Kapitel 74.

Langdon entdeckte den Bernini-Stein, als sie noch zehn Meter von ihm entfernt waren. Die weiße Mirmor-Ellipse von West Ponente stach leuchtend aus den Granitblöcken hervor, mit denen der Platz gepflastert war. Vittoria hatte den Stein offensichtlich ebenfalls entdeckt. Ihr Griff wurde fester.

»Entspannen Sie sich«, mahnte Langdon leise. »Machen Sie Ihren Piranha-Trick.«

Vittoria lockerte den Griff.

Sie kamen näher. Alles wirkte erschreckend normal. Touristen schlenderten umher, Nonnen unterhielten sich am Rand des Platzes, ein Mädchen fütterte beim Obelisken die Tauben.

Langdon schreckte davor zurück, auf die Uhr zu sehen. Er wusste, dass es fast neun sein musste.

Der elliptische Stein erschien zu ihren Füßen. Langdon und Vittoria blieben stehen - nicht zu auffällig, nur zwei harmlose Touristen, die pflichtergeben an einer interessanten Stelle Halt machten.

»WestPonente«, las Vittoria die Inschrift des Steins.

Langdon betrachtete das Marmorrelief und kam sich mit einem Mal naiv vor. Weder in seinen Kunstbüchern, weder bei seinen zahlreichen Reisen nach Rom, niemals war ihm die besondere Bedeutung von West Ponente aufgefallen.

Bis zum heutigen Tag.

Das Relief war elliptisch, etwa einen Meter breit, und zeigte ein rudimentäres Gesicht - eine Darstellung des Westwinds als engelgleiche Erscheinung. Aus dem Mund des Winds wehte eine kräftige Brise, fort vom Vatikan. der Atem Gottes, Dies war Berninis Interpretation des zweiten Elements. Luft. ein ätherischer Zephir, der von den Lippen eines Engels wehte. Als

Langdon das Relief betrachtete, erkannte er, dass seine Bedeutung noch tiefer ging. Bernini hatte den Wind in fünf deutlich erkennbaren Strichen dargestellt. fünf! Mehr noch, die Ellipse wurde an den beiden Seiten von zwei Sternen eingefasst. Galileo fiel ihm ein. Zwei Sterne. Fünf Windböen. Ellipsen. Symmetrie. Langdon fühlte sich ausgebrannt. Sein Kopf schmerzte.

Vittoria setzte sich in Bewegung und führte Langdon von dem Relief fort. »Ich glaube, jemand folgt uns«, sagte sie.

Langdon blickte sie überrascht an. »Wo?«

Vittoria ging dreißig Meter weiter, bevor sie antwortete. Sie deutete zur Kuppel des Petersdoms hinauf, als wollte sie ihm etwas zeigen. »Die gleiche Person. Sie folgt uns schon die ganze Zeit, quer über den Platz.« Wie beiläufig blickte Vittoria über die Schulter zurück. »Sie ist immer noch hinter uns. Kommen Sie, wir gehen weiter.«

»Glauben Sie, es ist der Assassine?«

Vittoria schüttelte den Kopf. »Nein. Es sei denn, die Illuminati heuern neuerdings Frauen mit BBC-Videokameras an.«

Als die Glocken von St. Peter mit ihrem ohrenbetäubenden Geläut begannen, schraken Langdon und Vittoria zusammen Es war neun Uhr. Sie hatten sich in einem großen Kreis von West Ponente entfernt, um die Reporterin abzuschütteln, und kehrten nun zu Berninis Stein zurück.

Trotz der dröhnenden Glocken schien der Platz ruhig und friedlich dazuliegen. Touristen spazierten umher. Ein betrunkener Obdachloser döste an der Basis des Obelisken. Ein kleines Mädchen fütterte Tauben. Langdon fragte sich, ob die Reporterin den Mörder vielleicht verscheucht hatte. Zweifelhaft, entschied er, als ihm das Versprechen des Assassinen wieder einfiel. Ich werde Ihre Kardinale zu Lichtgestalten für die Medien machen.

Als das Echo des neunten Schlages verhallte, legte sich völlige Stille über den Petersplatz.

Dann begann das kleine Mädchen zu schreien.

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