Kapitel 37.

Vittoria funkelte den Wachposten draußen vor Olivettis abgeschlossenem Büro an. Der Wachposten starrte zjrück, und sein buntes Kostüm täuschte nicht über den tödlichen Ernst hinweg, mit dem er seiner Aufgabe nachkam.

Che fiasco!, dachte Vittoria. Gefangen von einem bewaffneten Soldaten im Pyjama!

Langdon war verstummt, und Vittoria hoffte, dass er sein Harvard-Gehirn dazu benutzte, über einen Ausweg nachzudenken. An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie jedoch, dass er eher schockiert als nachdenklich war, und sie bedauerte, ihn so tief in diese Geschichte verwickelt zu haben.

Ihr erster Gedanke war, das Mobiltelefon zu nehmen und Kohler anzurufen, doch sie wusste, dass es zwecklos war. Erstens würde der Wachposten wahrscheinlich hereinkommen und ihr das Telefon wegnehmen, und zweitens, falls Kohlers Anfall verlief wie üblich, war er wahrscheinlich immer noch nicht ansprechbar. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Olivetti sah nicht danach aus, als würde er im Augenblick irgendjemandes Ratschlag in Sicherheitsfragen annehmen.

Erinnere dich!, sagte sie sich. Erinnere dich an die Lösung dieser Aufgabe!

Es war ein Trick aus der buddhistischen Philosophie. Statt ihren Verstand nach einer Lösung für eine möglicherweise unlösbare Herausforderung suchen zu lassen, versuchte Vittoria, sich einfach an die Lösung zu erinnern. Die Voraussetzung, dass man die Antwort einmal gewusst hatte, schuf die Überzeugung, dass eine Antwort tatsächlich existierte... und eliminierte auf diese Weise das Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Vittoria setzte diesen Trick häufig ein, um wissenschaftliche Probleme

anzugehen, von denen die meisten Menschen glaubten, dass es keine Lösung für sie gab.

Im Augenblick jedoch wollte der Erinnerungstrick nicht funktionieren. Also dachte sie über ihre Möglichkeiten nach. und ihre Bedürfnisse. Sie hatte das dringende Bedürfnis, jemanden zu warnen. Irgendjemand im Vatikan musste sie doch ernst nehmen! Aber wer? Der Camerlengo? Wie? Sie saß in einem Glaskasten mit nur einem einzigen Ausgang.

Werkzeug, sagte sie sich. Es gibt immer ein geeignetes Werkzeug. Such deine Umgebung ab.

Instinktiv senkte sie die Schultern, schloss entspannt die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag verlangsamte und ihre Muskeln weich wurden. Die chaotische Panik wich aus ihrem Verstand. In Ordnung, dachte sie. Lass deinen Gedanken freien Lauf. Was ist positiv an dieser Situation? Welche Trümpfe halte ich in der Hand?

Der analytische Verstand von Vittoria Vetra, nachdem er sich endlich beruhigt hatte, war ein mächtiges Instrument. Innerhalb von Sekunden erkannte sie, dass ihre Einkerkerung wahrscheinlich zugleich den Ausweg bedeutete.

»Ich werde telefonieren«, sagte sie unvermittelt.

Langdon sah auf. »Ich wollte gerade vorschlagen, dass Sie Kohler anrufen, aber.«

»Nicht Kohler. Jemand anderen.«

»Wen?«

»Den Camerlengo.«

Langdon starrte sie entgeistert an. »Sie wollen den Camerlengo anrufen? Wie das?«

»Olivetti hat gesagt, der Camerlengo wäre im Amtszimmer des Papstes.«

»Schön. Wissen Sie die Nummer?«

»Nein. Aber ich habe nicht vor, mein Telefon zu benutzen.«

Sie deutete auf das kompliziert aussehende Telefon auf Olivettis Schreibtisch. Es war übersät mit Schnellwahlknöpfen. »Der Sicherheitschef muss eine direkte Leitung zum Papst haben.«

»Er hat auch einen Gewichtheber mit einer Kanone keine drei Meter weit weg.«

»Wir sind eingesperrt.«

»Dessen bin ich mir durchaus bewusst.«

»Ich meine, der Wachposten ist ausgesperrt. Das hier ist Olivettis Büro. Ich bezweifle, dass irgendjemand anders einen Schlüssel besitzt.«

Langdon schaute zu dem Wachposten jenseits der Tür. »Das Glas ist ziemlich dünn, und diese Pistole ist ziemlich schwer.«

»Was soll er denn machen? Mich erschießen, weil ich versuche zu telefonieren?«

»Wer weiß, verdammt noch mal! Das ist ein merkwürdiger Laden, und wie die Dinge hier laufen.«

»Entweder das«, sagte Vittoria, »oder wir verbringen die nächsten fünf Stunden und achtundvierzig Minuten im Gefängnis des Vatikans. Wenigstens haben wir Sitzplätze in der ersten Reihe, wenn die Antimaterie hochgeht.«

Langdon erbleichte. »Aber der Wachposten wird Olivetti alarmieren, sobald Sie den Hörer anfassen! Außerdem sind zwanzig Knöpfe auf dem Apparat. Ich sehe nirgendwo Schildchen. Wollen Sie etwa jeden einzelnen ausprobieren und hoffen, dass Sie Glück haben?«

»Bestimmt nicht«, entgegnete Vittoria. »Nur einen einzigen.« Sie nahm den Hörer in die Hand und drückte auf den obersten Knopf. »Nummer eins. Ich wette einen von Ihren Illuminati-Dollars, dass es die Nummer des Amtszimmers ist. Was sonst könnte wichtiger sein für den Kommandanten der Schweize rgarde?«

Langdon blieb keine Zeit für eine Antwort. Der Wachposten draußen vor der Tür fing an, mit dem Kolben seiner Waffe gegen das Glas zu hämmern. Er bedeutete Vittoria mit wilden Handbewegungen, das Telefon wieder hinzulegen.

Vittoria zwinkerte ihm zu. Der Wachposten schien außer sich vor Zorn.

Langdon ging von der Tür weg und wandte sich Vittoria zu. »Ich hoffe wirklich, dass Sie sich nicht irren. Der Bursche da draußen sieht nicht aus, als würde er sich amüsieren.«

- 168 »Verdammt!«, sagte sie und lauschte. »Eine

Sprachaufzeichnung!«

»Was?«, rief Langdon. »Der Papst hat einen Anrufbeantworter?«

»Es war nicht das Amtszimmer«, entgegnete Vittoria und legte auf. »Es war der wöchentliche Speiseplan der

vatikanischen Kantine.«

Langdon grinste dem Wachposten draußen vor der Tür verlegen zu, der inzwischen sein Walkie-Talkie hervorgezogen hatte und Olivetti rief.

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