Kapitel 34.

Kardinal Mortati starrte hinauf zur prunkvollen Decke der Sixtinischen Kapelle und versank in stiller Kontemplation. Die freskenverzierten Wände echoten von den Stimmen der Kardinale aus aller Herren Länder. Die Männer hatten sich im nur von Kerzenlicht erleuchteten Chor versammelt. Sie unterhielten sich aufgeregt und in zahlreichen verschiedenen Sprachen, meist jedoch auf Englisch, Italienisch oder Spanisch.

Das Licht in der Kapelle war für gewöhnlich gedämpft -lange farbige Sonnenstrahlen, die wie Licht vom Himmel die Dunkelheit zerschnitten -, doch nicht heute. Wie es der Brauch wollte, waren sämtliche Fenster der Sixtinischen Kapelle wegen der Geheimhaltung mit schwarzem Samt verhangen. Auf diese Weise war sichergestellt, dass niemand aus dem Innern Signale sendete oder auf irgendeine Weise mit der Außenwelt in Kontakt trat. Das Ergebnis war sattschwarze Dunkelheit, erhellt allein durch Kerzen. ein flackerndes Licht, das jeden zu reinigen schien, auf den es fiel, jeden geisterhaft aussehen ließ. wie einen Heiligen.

Welch ein Privileg, dachte Mortati, dass ich derjenige bin, der diese heilige Zeremonie leiten darf. Über achtzigjährige Kardinale waren zu alt, um gewählt zu werden, daher besuchten sie das Konklave nicht, und so war Mortati mit seinen neunundsiebzig Jahren der älteste anwesende Kardinal und von den anderen bestellt worden, die Zeremonie zu leiten.

Traditionsgemäß hatten sie sich zwei Stunden vor Beginn des Konklave versammelt, um Freunde zu treffen und ein paar Unterhaltungen zu führen. Punkt sieben Uhr würde der Camerlengo des verstorbenen Papstes erscheinen, das Eröffnungsgebet sprechen und dann gehen. Anschließend würde die Schweizergarde die Türen schließen und die Kardinale in der

Sixtinischen Kapelle einschließen. Danach nahm das älteste und geheimste Ritual der Welt seinen Lauf. Man würde die Kardinale erst wieder nach draußen lassen, wenn sie entschieden hatten, wer von ihnen der nächste Papst sein sollte.

Conclave. Selbst der Name war geheimnisvoll. Con clave bedeutete wörtlich »mit dem Schlüssel«, hinter Schloss und Riegel. Den Kardinalen war jeglicher Kontakt mit der Außenwelt verwehrt. Keine Telefonanrufe. Keine Nachrichten. Kein Flüstern durch Schlüssellöcher. Das Konklave war ein Vakuum, das durch nichts in der Außenwelt beeinflusst werden durfte. Nur so war sichergestellt, dass die Kardinale sich an solum Deum prae oculis habentes hielten, nur Gott vor Augen und sonst nichts.

Vor den Mauern der Kapelle warteten die Vertreter der Medien und beobachteten, spekulierten, welcher der Kardinäle der nächste Hirte über eine Milliarde Christen weltweit werden würde. Konklaven schufen eine intensive, politisch geladene Atmosphäre, und im Lauf der Jahrhunderte waren viele Konklaven tödlich verlaufen: Giftanschläge, Faustkämpfe, selbst Mord hatte sich hinter den geheiligten Mauern zugetragen. Geschichten von gestern, dachte Mortati. Das heutige Konklave wird anders verlaufen. Einmütig, gelassen und vor allen anderen Dingen - kurz.

Oder zumindest hatte er das bis zu diesem Augenblick erwartet.

Doch jetzt hatte es eine unerwartete Entwicklung gegeben. Mysteriöserweise fehlten vier Kardinale in der Kapelle. Mortati wusste, dass sämtliche Eingänge zur Vatikanstadt streng bewacht wurden. Die fehlenden Kardinale konnten nicht weit sein - trotzdem, mit nur noch wenig mehr als einer Stunde bis zum Eröffnungsgebet wuchs in Mortati ein Gefühl von Unruhe. Schließlich waren die vier Verschwundenen keine gewöhnlichen Kardinale. Sie waren il preferiti.

Die vier Auserwählten.

Als Zeremonienmeister des Konklaves hatte Mortati bereits über die entsprechenden Kanäle mit der Schweizergarde Verbindung aufgenommen und sie über die Abwesenheit der Kardinale informiert. Er hatte noch keine Rückmeldung erhalten. Andere Kardinale hatten inzwischen ebenfalls die rätselhafte Abwesenheit bemerkt. Besorgtes Getuschel hatte eingesetzt. Von allen Kardinalen durften diese vier sich am wenigsten verspäten! Kardinal Mortati fürchtete allmählich, dass dieses Konklave vielleicht doch länger dauern könnte als erwartet.

Er konnte nicht ahnen, wie viel länger.

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