Kapitel 126.

Kardinal Mortati wusste, dass es keine Sprache gab, die das Mysterium dieses Augenblicks hätte ausdrücken können. Die Lautlosigkeit der Vision über dem Petersplatz sagte mehr als tausend Engelschöre.

Während Mortati hinauf zu Camerlengo Ventresca blickte, spürte er den lähmenden Zusammenprall von Herz und Verstand. Die Vision schien real, doch wie konnte so etwas möglich sein? Jeder hatte gesehen, wie der Camerlengo in den Hubschrauber gestiegen war. Alle hatten den blendend weißen Ball aus Licht am Himmel gesehen. Und jetzt stand der Camerlengo auf der Terrasse über der Fassade der Basilika. War er von Engeln dorthin gebracht worden? Wiedergeboren von der Hand Gottes?

Das ist unmöglich...

Mortatis Herz wünschte sich nichts sehnlicher als zu glauben, doch sein Verstand schrie nach Vernunft. Die Kardinale ringsum starrten nach oben wie er, sahen das Gleiche wie er, waren gelähmt vor Staunen.

Es war der Camerlengo. Daran bestand nicht der geringste Zweifel. Doch er sah irgendwie anders aus. Göttlich. Als wäre er geläutert worden. Ein Geist? Ein Mensch? Seine weiße Haut schimmerte im Licht der Scheinwerfer mit einer beinahe körperlosen Gewichtslosigkeit.

Auf dem Platz hinter und um Mortati herum weinten, jubelten und applaudierten die Menschen. Eine Gruppe Nonnen sank auf die Knie und sang saetas. Über dem Platz gewann ein rhythmisches Geräusch an Intensität. Plötzlich riefen alle den Namen des Camerlengos. Die Kardinale, einige von ihnen mit Tränen in den Augen, stimmten ein. Mortati blickte sich um und

versuchte zu begreifen. Geschieht das alles wirklich?

Camerlengo Carlo Ventresca stand hoch oben auf der Dachterrasse der Peterskirche und blickte hinunter auf die Menschen. War er wach oder träumte er? Er fühlte sich verwandelt, transformiert, wie in einer anderen Welt. Er fagte sich, ob dies sein Leib oder nur sein Geist war, der vom Himmel herabgeschwebt und in den sanften, grünen Vatikanischen Gärten gelandet war. hell wie ein Engel auf dem verlassenen Rasen, der schwarze Fallschirm unsichtbar hinter den gewaltigen Schatten der Basilika. Er fragte sich, ob es sein Körper oder sein Geist gewesen war, der die Kraft besessen hatte, die alte Scala della Medaillone zur Terrasse hinaufzusteigen, wo er nun stand.

Er fühlte sich leicht wie ein Geist.

Auch wenn die Menschen unten seinen Namen riefen, so wusste er doch, dass nicht er es war, dem sie zujubelten. Sie jubelten aus impulsiver Freude. der Freude, die der Camerlengo jeden Tag seines Lebens verspürt hatte, solange er den Herrn bei sich wusste. Sie spürten, wonach alle sich stets gesehnt hatten. die Existenz des Jenseits, die Materialisierung der Macht des Schöpfers.

Camerlengo Carlo Ventresca hatte sein Leben lang für diesen Augenblick gebetet, und doch konnte er sich noch immer nicht vorstellen, dass Gott einen Weg gefunden hatte, es geschehen zu lassen. Er wollte es ihnen entgegenschreien. Euer Gott ist ein lebendiger Gott! Seht nur die Wunder überall um euch herum!

Stattdessen stand er stumm und betäubt da, auch wenn er mehr empfand als je zuvor in seinem Leben. Als er sich schließlich regte, trat er von der Brüstung zurück und kniete nieder.

Allein, den Blicken der Menschen entzogen, begann er zu beten.

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