Kapitel 114.

Die Konfrontation dauerte nur Sekunden.

Camerlengo Carlo Ventresca schrie noch immer, als Chartrand sich gegen die Tür zum päpstlichen Amtszimmer warf und sie aufbrach. Die Wachen stürmten hinein. Langdon und Vittoria folgten ihnen.

Die Szene vor ihnen war Schwindel erregend.

Das Zimmer wurde nur von Kerzen und einem erlöschenden Feuer erhellt. Kohler stand unsicher vor seinem Rollstuhl neben dem Kamin. Er hielt eine Pistole auf den Camerlengo gerichtet, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden wälzte. Sein Priestergewand war aufgerissen, seine nackte Brust schwarz versengt. Langdon konnte das Symbol auf die Entfernung nicht erkennen, doch neben Kohler lag ein großes, quadratisches Brandeisen auf dem Boden. Das Metall glühte noch immer.

Zwei Hellebardiere reagierten augenblicklich. Sie eröffneten das Feuer. Die Kugeln trafen Kohler in die Brust und warfen ihn nach hinten. Er brach in seinem Rollstuhl zusammen. Blut sprudelte aus den Schusswunden. Seine Waffe fiel zu Boden.

Langdon stand wie betäubt im Eingang.

»Max.«, stammelte Vittoria fassungslos.

Der Camerlengo wand sich noch immer am Boden. Als er Rocher sah, hob er anklagend den Finger und zeigte zitternd auf ihn, während er ein einziges Wort ausstieß: »Illuminatus!«

»Du verdammter Bastard!«, rief Rocher aus und stürzte vor. »Du scheinheiliger, elender.«

Diesmal war es Chartrand, der instinktiv reagierte. Er feuerte drei Schüsse in Rochers Rücken. Der Hauptmann der Schweizergarde fiel mit dem Gesicht nach vorn und blieb leblos im eigenen Blut liegen. Chartrand und die Wachen stürzten zu

dem Camerlengo, der seine Brust umklammert hielt und sich vor Schmerzen wand.

Beide Wachen stießen entsetzte Schreie aus, als sie das in die Brust des Camerlengos eingebrannte Symbol erblickten. Der zweite Gardist sah das Zeichen auf dem Kopf stehend und stolperte angsterfüllt zurück. Chartrand, nicht weniger fassungslos, zog das Gewand über die Brust des Camerlengos und schirmte die Verstümmelung vor weiteren Blicken ab.

Langdon bewegte sich wie im Delirium. Durch einen Nebel von Irrsinn und Gewalt hindurch versuchte er zu begreifen, was er soeben gesehen hatte. Ein verkrüppelter Wissenschaftler war in den Vatikan gekommen und hatte den höchsten Würdenträger der Kirche gebrandmarkt. Einige Dinge sind es wert, dass man sein Leben dafür gibt, hatte der Assassine gesagt. Langdon fragte sich, wie ein so schwer behinderter Mann wie Kohler genügend Kraft aufbringen konnte, um den Camerlengo zu überwältigen. Andererseits - Kohler war im Besitz einer Waffe gewesen. Es spielt keine Rolle, wie er es gemacht hat. Er hat seine Mission erfüllt.

Langdon bewegte sich auf die grauenhafte Szenerie zu. Der Camerlengo erhielt erste Hilfe. Langdon fühlte sich von dem rauchenden Brandeisen auf dem Boden neben Kohlers Rollstuhl angezogen. Das sechste Brandzeichen? Je näher er kam, desto größer wurde seine Verwirrung. Das Brandzeichen schien ein perfektes Quadrat zu sein und stammte offensichtlich aus dem mittleren Fach der Bronzeschatulle, die Langdon im Nest der Illuminati im Castel Sant’ Angelo gesehen hatte. Das sechste Brandzeichen. Die vollkommene Vereinigung der antiken Elemente, hatte der Assassine gesagt. Das letzte Brandzeichen ist das brillanteste von allen.

Langdon kniete neben dem Rollstuhl nieder und griff nach dem Eisen. Das Metall verströmte noch immer Hitze. Er packte den hölzernen Griff und drehte es herum. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, doch ganz gewiss nicht dies hier.

Langdon starrte einen langen, verwirrten Augenblick auf die kunstvolle Arbeit. Nichts ergab einen Sinn. Warum hatten die Wachen voller Entsetzen aufgeschrien, als sie das Brandmal gesehen hatten? Es war nichts weiter als ein Quadrat voller bedeutungsloser Schnörkel. Das brillanteste von allen? Es war symmetrisch, zugegeben, doch brillant? Langdon drehte es in der Hand, doch es blieb unleserliches Kauderwelsch.

Er spürte eine Hand auf der Schulter und blickte auf in der Erwartung, Vittoria zu sehen. Doch die Hand war blutverschmiert. Sie gehörte Maximilian Kohler, der sich in seinem Rollstuhl regte.

Langdon ließ das Brandeisen fallen und rappelte sich auf. Kohler lebt noch!

Der sterbende Generaldirektor von CERN saß zusammengesunken in seinem Rollstuhl und atmete nur noch schwach und mühsam. Sein Blick begegnete Langdons - der gleiche steinerne Blick, der Langdon bereits in CERN früher am Tag begrüßt hatte. Im Sterben sahen die Augen noch härter aus, alle Verachtung und Feindseligkeit wurde offenbar.

Der Körper des Wissenschaftlers bebte, und Langdon spürte, dass er sich bewegen wollte. Alle anderen im Raum konzentrierten sich auf den Camerlengo. Langdon wollte sie alarmieren, brachte aber keinen Laut hervor. Mit unsäglicher

Anstrengung hob Kohler die Hand und zerrte ein kleines elektronisches Gerät aus der Armlehne seines Rollstuhls. Es war nicht größer als eine Streichholzschachtel. Er hielt es Langdon zitternd hin. Einen Augenblick lang fürchtete Robert, es könnte eine weitere Waffe sein, doch es war etwas anderes.

»Geben Sie.«, Kohlers letzte Worte waren ein gurgelndes Röcheln. »Geben Sie das hier. den Medien.« Er brach zusammen, und das Gerät landete in seinem Schoß.

Schockiert betrachtete Langdon das Gerät. Es war elektronisch, und auf der Vorderseite stand SONY RUVI. Langdon erkannte es als einen jener neuen, ultrakleinen Camcorder. Zur Hölle mit diesem Mistkerl, dachte Langdon. Offensichtlich hatte Kohler eine Art Abschiedsbotschaft aufgenommen, die von den Medien ausgestrahlt werden sollte. ohne Zweifel irgendein Sermon über die Bedeutung der Wissenschaft und die Übel der Religion. Langdon kam zu dem Entschluss, dass er in dieser Nacht bereits zur Genüge von diesem Mann manipuliert worden war. Bevor Chartrand den Camcorder sah, schob er ihn in seine tiefste Jackentasche. Kohlers letzte Botschaft soll in der Hölle verrotten!

Es war die Stimme des Camerlengos, die schließlich die Stille durchbrach. Er versuchte sich aufzurichten. »Die Kardinale!«, ächzte er.

»Sind noch immer in der Sixtinischen Kapelle eingeschlossen, Monsignore!«, rief Chartrand erschrocken. »Hauptmann Rocher hat befohlen.«

»Evakuieren. augenblicklich! Jeden!«

Chartrand sandte einen seiner Hellebardiere zur Kapelle, um die Kardinale zu befreien. Der Mann rannte davon, so schnell er konnte.

Der Camerlengo verzog das Gesicht vor Schmerz. »Helikopter. vor dem Eingang. bringt mich in ein Krankenhaus!«

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