Es ist einer der seltenen warmen und sonnigen Tage in diesem Frühsommer.

Jane sitzt mit einem Buch im Garten der Lindleys. Ein Buch über Botanik ist es, die nach wie vor keine übergroße Begeisterung bei ihr auslöst, mit der sie sich dennoch gerne beschäftigt. Wegen ihrer Schreibtätigkeit für Mr Lindley, wie sie sich vordergründig selbst sagt. Doch viel mehr üben die Gedanken eine Faszination aus, die sich bei der Lektüre in ihr entwickeln und dann frei umherstreifen. Die Parallelen, die sie dabei zu den Menschen ziehen kann.

Immer wieder schielt sie über die Seiten hinweg zu Miss Lindley, die ebenfalls liest, inzwischen einfach Sarah für sie ist und Jane ebenfalls beim Vornamen nennt. Zu Ducky, die, einen Skizzenblock auf den Knien, mit dem Bleistift die Bewegungen der umhertollenden Kinder einzufangen versucht.

Eine Stunde köstlichen Müßiggangs, die sich die drei Frauen nach dem Mittagessen gegönnt haben, bevor es wieder an die Arbeit geht. Bevor es doch wieder tagelang nur regnet.

Einmal mehr fragt sich Jane, ob Sarah und Ducky auch solche Gedanken kennen, wie sie Jane im Kopf herumgehen. Solche Sehnsüchte und Gefühle, die sie derzeit umtreiben. Solche Fantasien und Träumereien.

Sie traut sich nicht, die beiden danach zu fragen, so gut kennen sie einander noch nicht. Verlegen beugt sie sich tiefer über das Buch.

Doch sie kann die gedruckten Buchstaben nicht in sich aufnehmen, sie entgleiten ihr vor den Augen.

Jane ist wütend. Darüber, dass wohl niemand auf die Idee käme, solche Gedanken und Fragen bei einem Mann unziemlich zu finden. Auf die Möglichkeiten, die Männer haben, all diese Dinge zu lernen und zu studieren und noch viele, viele weitere mehr. Die Möglichkeit, allein bis ans Ende der Welt zu reisen. Wie Robert.

Während sie, die immer zufrieden gewesen ist mit der Ordnung der Welt, ihren Aufgaben als Frau und Mutter, ihrem eigenen kleinen Leben, plötzlich überall an Grenzen stößt, die zuvor noch nicht da gewesen sind.

»Warum sind es immer die Männer«, rutscht es ihr heraus, »die die Dinge der Welt erforschen? Die Großes entdecken und auf weite Reisen gehen? Nie Frauen?«

»Es sind unsere Organe«, erwidert Sarah nüchtern und blättert eine Seite um. »Die Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen.«

»Das macht uns weich im Kopf.« Duckys Zeigefinger kreist um ihre Schläfe. »Zu zarten, empfindlichen Pflänzchen, die beim kleinsten Wind umknicken.«

Verwirrt blickt Jane die beiden Frauen an.

Bis sie das Glitzern in Sarahs Augen entdeckt. Das Zucken um Duckys Mundwinkel.

Sie begreift, dass sie nicht allein ist mit diesen Gedanken. Auch nicht mit ihrer Wut, die in den Stimmen der beiden anderen Frauen anklingt, in deren Augen aufblitzt, die sie jedoch mit einer tüchtigen Prise Humor und Ironie würzen. Eine Wut, aus der sich vielleicht auch das Selbstbewusstsein der beiden speist. Die Unbeirrbarkeit, mit der sie die Grenzen, die es für sie gab, verschoben oder sich einfach darüber hinwegsetzen.

Befreiend ist es, als Jane in das Gelächter von Sarah und Ducky einstimmt, das nur langsam abebbt, immer wieder als Kichern zwischen ihnen aufperlt, wenn sich ihre Blicke treffen.

Wie zwischen Freundinnen.

Eine neue Welt hat sich für Jane aufgetan, im Haus der Lindleys. Eine Welt, die die Geisteswelt Roberts berührt, sich mit den inneren Welten von Sarah und Ducky überschneidet.

Und trotzdem ist es nicht Roberts Welt, die Jane in diesem Frühling, diesem Frühsommer entdeckt.

Nicht die Mr Lindleys oder Sarahs oder Duckys.

Es ist ihre ganz eigene Welt.

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