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»Fu-Chung! Fu-Chung!«

Wang schnaufte wie eine Lokomotive, während er über die Ruinen hinwegkletterte.

Fortune drückte sich den Hut wieder auf den Kopf und stand auf.

»Fu-Chung kann nicht einfach weglaufen! Ist er Mann oder Mädchen? Ich mach alles, um Gesindel zu verjagen – und dann ist Fu-Chung weg! Weg! Allein! Muss Wang ihn erst suchen gehen! Wie soll Wang da Schutz geben, hng?!«

Schweigend schlug Fortune den Weg bergab ein. Einen anderen als den, den er aufwärts genommen hatte – für den Fall, dass die geschäftstüchtige Meute auf der anderen Seite des Hügels sich noch nicht zerstreut hatte.

Hin und wieder beschlichen ihn Zweifel, ob er bei Wang wirklich in guten Händen war.

Letzten Endes gab es jedoch nicht allzu viele Chinesen, die sowohl ein bisschen Englisch als auch mehrere der chinesischen Dialekte beherrschten. Und die dazu noch bereit waren, für mehrere Monate einen fan-kwai unter ihre Fittiche zu nehmen.

Ein Umstand, der Wang ebenfalls bewusst zu sein schien.

Seine Beschwerden, Klagen, Ermahnungen perlten an Fortune ab wie das Wasser am Gefieder einer Ente.

Er hatte sie nicht kommen sehen.

Sie waren auf einmal da, auf dem schmalen Pfad zwischen den Felsen.

Ein halbes Dutzend Männer, bewaffnet mit Bambusstöcken.

Jetzt wünschte Fortune sich, er hätte auf Wang gehört. Auf die Warnungen der Fischer unten an der Küste und auf den Fährmann, der sich als Geleitschutz angeboten hatte. Er verfluchte sich dafür, die Flinte und die Pistole, um die er so hart mit der Society gefeilscht hatte, in seiner Unterkunft zurückgelassen zu haben, weil sie ihm hinderlich waren, wenn er Blumen pflückte und Pflanzen samt der Wurzel ausgrub.

Vermutlich hätten sie ihm ohnehin nichts genutzt. Er war schon immer ein lausiger Jäger gewesen, der ein Karnickel nur dann traf, wenn es gerade stillsaß, und froh sein konnte, wenn er sich dabei nicht selbst in den Fuß schoss.

Wie eine Brandungswelle stürzten die Männer vorwärts und warfen sich auf ihn.

Mit der Botanisiertrommel schlug er um sich, nutzte sie mal als Prügel, mal als Schild. Er war größer und stärker, aber sie waren zu viele. Zu entschlossen.

Zu viele Stöcke, die auf ihn eindroschen; zu viele Füße, die nach ihm traten.

»Hilfe!«, hörte er hinter sich. »Wang holt Hilfe! Fu-Chung, haltet durch!«

Dann gab es nur noch dumpfe Schläge. Heiser gebellte Beschimpfungen und Forderungen. Sein eigenes zorniges, hilfloses Gebrüll, das ihm jedoch im Hals stecken blieb, als sie ihm die Beine wegkickten und er hart aufschlug. Der Hut flog ihm vom Kopf, und die ersten Finger wühlten sich in seine Tasche, seine Kleider, gierig nach etwas von Wert.

Eine Stimme schnitt durch die Luft, scharf und glatt, und eine Klinge blitzte auf, dahinter ein grimmig verzogenes Gesicht.

Er riss die Arme hoch, um Kopf und Hals zu schützen, kniff die Augen zusammen; er wollte es nicht sehen, wenn die Klinge ihn traf.

Die Stimmen überschlugen sich, laut und giftig, durchsetzt von hässlichem Gelächter. Geräusche von Hieben, von Tritten. Hastig aus-gestoßene Rufe, die über ihm zerfaserten, und er konnte plötzlich wieder atmen.

Langsam hob er den Kopf und blinzelte.

Bergab rannten sie davon, als wäre ein Teufel hinter ihnen her; einer humpelte, stolperte mehr, als dass er lief, und hielt seinen Arm; ein zweiter ließ in der Eile seinen Stock fallen und hob ihn ungeschickt wieder auf.

Fortune rappelte sich hoch, betastete Arme und Beine und Rippen. Der Saum seiner Jacke war ausgerissen, in seiner Hose klaffte ein Loch. Überall pochte und brannte es, aber mehr als blaue Flecken und Schürfwunden hatte er wohl nicht davongetragen.

Fahrig klaubte er die Münzen aus Kupfer und Silber vom Boden, sah sich währenddessen vorsichtig um, immer noch auf der Hut.

Ein Schatten zeichnete sich gegen die Sonne ab. Kraftvoll und leichtfüßig tänzelte er über die Felsen, zur Pagode hinauf, den Umriss eines Schwerts auf dem Rücken wie der schmale Flügel eines zerrauften Engels.

Scham durchglühte ihn, mischte sich mit Erleichterung. Mit Dankbarkeit.

mh goi. Danke.

Beim nächsten Sprung peitschte der geflochtene Zopf durch die Luft, und das Sonnenlicht flackerte für einen kurzen, flüchtigen Augenblick über die Züge des Schwertkämpfers. Weich sahen sie aus, fast feminin.

Wie das Gesicht eines Mädchens.

Tagsüber vergisst Jane oft, dass er nicht hier ist.

An diesen Tagen, die kürzer und kürzer werden.

Noch sind diese Tage kupferfarben und golden. Aber unter dem Nebel, der sich immer häufiger niederlässt, breitet sich schon stumpfes Braun aus.

Mehr und mehr muss sie sich beeilen, kein kostbares Tageslicht zu verschwenden. Wenn sie im Gärtchen werkelt, das zum gemieteten Haus gehört, Obst und Gemüse einkocht. Im Haus putzt und wischt und die Wäsche macht. Kleidchen und kleine Mäntel für den kommenden Winter näht.

Es sind die Abende, an denen er fehlt.

In der Küche, wenn sie nur für sich und Helen Essen macht und nicht für drei. Sobald Helen endlich neben ihrem Brüderchen eingeschlafen ist, das morgens und abends noch die Brust bekommt, und Jane dann am Kamin sitzt.

Während ihre Finger im Schein des Feuers und einer Lampe damit beschäftigt sind, ein neues Jäckchen für John zu stricken, ist sie sich des leeren zweiten Sessels bewusst.

Kein Robert, der die Beine von sich streckt und über einer Tasse Tee gedankenverloren in die Flammen schaut. In einem Buch liest. Ihr leise von Blumen mit fremdartigen Namen erzählt. Blumen, die sie sich nur vage vorstellen kann, wenn er sie beschreibt. In sorgsam abgewogenen Worten, immer noch mit dem dunklen, vollmundigen Akzent der schottischen Heimat. War der Arbeitstag besonders hart, nickt er irgendwann ein.

Eine stille, starke Präsenz ging immer von ihm aus. Ein Kraftfeld, fast zu groß für das kleine Cottage, das in Schieflage zu geraten scheint, seit er fort ist, die Proportionen der Räume, der Möbel wie verschoben.

Manchmal holt sie die Kinder zu sich ins Bett, wenn sie sich schlafen legt.

In dieser Zeit bei ihren Eltern unterkommen, wie es üblich gewesen wäre und vielleicht auch einfacher – das wollte sie nicht. Sie wollte nicht zurück in die ärmliche Enge mit den verrußten Wänden und dem Kohlgeruch.

Sie ist froh, es dort heraus geschafft zu haben. Von der Tochter eines Knechts zum Dienstmädchen in Edinburgh, und schließlich hierher, in dieses hübsche Häuschen in Chiswick.

Mehr, als ihre beiden Schwestern erreicht haben. Mehr als die anderen Mädchen im Dorf.

Jane kettelt die letzte Reihe des Halsbündchens ab und wandert mit den Gedanken in die Ferne.

China.

Genauso gut hätten sie ihn zum Mond schicken können.

Und alles nur wegen ein paar Pflanzen. Die keinen weiteren Zweck erfüllen, als hübsch auszusehen. Die sicher schwierig zu halten sind.

Männer sind es, die neue Pflanzen entdecken und züchten, kategorisieren und benennen. Ein Männerberuf ist es, Gärten anzulegen, die die noble Eleganz von Herrenhäusern noch unterstreichen. Die das Auge erfreuen und die Seele beflügeln.

Unpraktische und nutzlose Allüren, typisch für Männer und feine Ladys, die sonst nichts zu tun haben. Die sich keine Gedanken machen müssen, wovon ihre Kinder satt werden.

Mit einem energischen Schnippen schneidet sie den Faden ab.

Trotzdem ist Jane stolz, einen Mann mit diesem Beruf geheiratet zu haben. Einen Künstler, der leeren Raum gestaltet, indem er aus vergänglichen Materialien lebendige Werke erschafft. Der Bücher liest und Latein und Griechisch beherrscht. Ihr gemeinsames Brot mit ehrlicher Arbeit verdient. In einem Beruf, der mehr Ansehen genießt als der eines Knechts, eines Heckengärtners. In dem mehr Geld zu machen ist.

Genauso stolz ist sie auf ihr eigenes Gärtchen. In dem sie im Frühsommer ihre eigenen Erdbeeren ernten kann und später im Jahr Brombeeren und grüne Bohnen und in der Zeit dazwischen Radieschen. Ein Frauengarten mit Veilchen und Ringelblumen, Löwenmäulchen und Flieder, Salbei, Kamille und Petersilie. Robuste Pflanzen, die wenig Arbeit machen und nützlich sind.

Männer erkunden und gestalten die Welt. Frauen nähren und kleiden.

Das ist die gottgewollte Ordnung.

Sie streicht das fertige Rückenteil glatt; dämpfen und zum Jäckchen zusammennähen wird sie die gestrickten Teile morgen, im Tageslicht.

Jane träumt von einem größeren Garten. Mit einem Apfel- und einem Birnbaum, vielleicht sogar einem Kirschbaum. Von eigenen Karotten und Gurken, ein paar Hühnern. Und von einem größeren Haus.

Unter der wärmenden Aussicht darauf ist schließlich ihr Widerstand gegen diese Reise geschmolzen.

Es ist ja nur für ein Jahr, sagt sie sich immer wieder.

Sie greift zu einem frischen Wollknäuel und schlägt mit dem Nadelspiel Maschen für eine Socke an.

Robert wird neue brauchen, wenn er erst wieder hier ist.

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