Der Kalender hat längst den Frühling verkündet, der Winter will davon jedoch nichts wissen.

Kaum voneinander zu unterscheiden sind die beiden Jahreszeiten, während sie sich grimmig umklammert halten und um die Herrschaft über England ringen: die eine so grau und kalt wie die andere, genauso verregnet. Ein leidenschaftliches Handgemenge ist es, in dem sich die Elemente verwirbeln und Stürme über die Insel fegen.

Ähnlich turbulent sieht es in Jane aus, in diesem März.

Würde es draußen nicht aus Kübeln schütten, würde sie jetzt im Garten dem Unkraut den Garaus machen, das innerhalb weniger Tage in die Höhe geschossen ist.

Stattdessen kniet sie in der Küche und schrubbt wutentbrannt den Boden. Eine Arbeit, die ihr immer verhasst gewesen ist; heute ist sie ihr mehr als willkommen.

Anlass für ihren Zorn ist ein Buch, das sie in der Bibliothek der Lindleys gefunden hat, eine Übersetzung aus dem Französischen: Letters on the Elements of Botany. Versehen mit dem Zusatz: Addressed to a Lady.

An eine Lady gerichtet. Ha!

Jane scheuert so heftig mit der Bürste über das Holz, dass die Seifenlauge durch die Küche spritzt.

Empfahl dieser Rousseau im vergangenen Jahrhundert doch die Botanik als geeigneten Zeitvertreib für Frauen, im Unterschied zur Zoologie: Pflanzen hätten den großen Vorzug, nicht zu bluten.

Solch dummes Zeug hat Jane ja noch nie gehört. Und das von einem Mann, der als großer Philosoph verehrt wird.

Tränen schießen ihr in die Augen, als sie an Robert denkt, der sich als Mann nicht zu schade gewesen war, Helen auf seinem Arm herumzutragen, wenn sie die halbe Nacht schrie, obwohl sie satt sein musste und frisch gewickelt war.

Wie konnte dieser Rousseau es wagen, Blut für unziemlich zu halten! Als Mann, unbelastet von der weiblichen Bürde, jeden Monat zu bluten. Ganz zu schweigen von all der blutigen Schmiere, die mit der Geburt eines Kindes einhergeht. Diese Urgewalt von Schmerz und Angst. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Eine Kraft und Stärke, von der man nichts ahnt, bis man mittendrin steckt. Wenn man aufbarst wie eine überreife Melone und sich danach noch Woche um Woche wie ein invalider Soldat fühlte, zurückgekehrt vom Schlachtfeld des Kindergebärens.

Janes Gesicht ist ganz heiß, vor körperlicher Anstrengung ebenso wie vor Zorn.

Was ist das überhaupt für eine verquere Einstellung, Mädchen vor solchen Dingen behüten zu wollen? Sie abzuschirmen wie ein empfindliches Pflänzchen unter Glas – und dann zu erwarten, dass sie mit ihrer Heirat auf einen Schlag zu Frauen werden, die mit genau den gleichen Dingen mühelos zurechtkommen.

Abrupt hält Jane inne. Erschrocken über diesen Gedanken, der ihr fast schon ketzerisch vorkommt. Sie kann sich nicht erinnern, etwas in dieser Art schon einmal von ihrer Mutter gehört zu haben. Von ihren Schwestern, ihren Freundinnen oder von sonst einer Frau, die sie kennt.

Keine von ihnen scheint solche Selbstverständlichkeiten je hinterfragt oder gar missbilligt zu haben.

Ihr graut jetzt schon davor, was sie Helen sagen soll, wenn diese einmal nicht mehr mit einfachen Antworten auf ihre Fragen nach Ferkeln und Kälbern zufrieden sein wird. Wie sie ihr all das einmal beibringen soll, ihrem jetzt noch kleinen Mädchen.

Oder noch schlimmer: wenn John anfangen wird, Fragen zu stellen.

Mehrmals setzt Jane dazu an, den Boden weiterzuschrubben. Ein Gedanke, der sich aus einem entlegenen Winkel ihres Verstandes anschleicht, hält sie jedoch davon ab; sie will ihn nicht verscheuchen.

Möglicherweise war es nicht in erster Linie Rousseau, der sie verärgert hat. Sondern Linnaeus, den sie davor gelesen hat.

Aus der Ferne betrachtet, ist sein System, die Pflanzen in Klassen, Familien, Ordnungen und Arten einzuteilen, nicht nur denkbar einfach: Jeder, der Augen im Kopf hat und zählen kann, ist in der Lage, die Pflanzen nach Anzahl und Anordnung der weiblichen Fruchtblätter und der männlichen Staubblätter in dieses Schema einzuordnen. Darüber hinaus macht es auf den ersten Blick auch einen überaus unverfänglichen Eindruck.

Doch bereits der Untertitel Sexuelles System hat Jane schockiert. Noch viel mehr die Begrifflichkeiten, die Linnaeus verwendet.

Blütenblätter als Hochzeitsbetten, hinter edlen Vorhängen und mit süßen Düften parfümiert. Unfruchtbare Ehefrauen und fruchtbare Konkubinen bei der Ringelblume. In der Lilie vergnügt sich eine Ehefrau mit sechs Ehemännern, und bei den Eichen und Buchen leben Männer und Frauen zwar in einem Haus, tollen aber durch andere Betten. Nur bei wenigen Blumen, wie der Cannalilie, ist es so, wie es sich gehört: ein Mann, eine Frau; ein Haus, ein Bett.

Kopulierende Blüten, bar jeder Moral: Mit Linnaeus‘ Augen betrachtet, finden jedes Jahr im Garten, draußen in der freien Natur, zügellose Orgien statt. Wie konnte man da nicht schockiert sein, oder wenigstens peinlich berührt?

Und jedes Mal aufs Neue sitzt ihr die immer gleiche Frage im Genick: Wenn der Herr im Himmel die Schöpfung doch genauso gestaltet hat – wie kann es dann schlecht sein?

Reverend Bowerbank mag sie sich nicht anvertrauen, obwohl sie nach wie vor den Gottesdienst in St. Nicholas besucht. Zu verwerflich, geradezu gottlos kommen ihr all diese Gedanken vor. Zudem scheint die Welt des Pastors eine andere zu sein als Janes. Zwar hat er Verständnis, wie sehr Jane unter der Trennung von Robert leidet, um ihn bangt, im fernen China. Aber mehr als die Aussage, das sei das Los der treuen Ehefrau, und den Rat, für ihren Mann zu beten, hat sie von ihm nicht bekommen.

Vielleicht hat Rousseau doch recht, schwirrt es Jane durch den Kopf, und Frauen sollten sich einfach nicht mit den theoretischen und den abstrakteren Seiten der Botanik beschäftigen.

Beruhigen kann sie dieser Gedanke nicht; im Gegenteil: neuer Zorn wallt in ihr auf. Dabei war Rousseau sicher, eine Beschäftigung mit der Botanik, das Studium der Natur, würde einen Tumult von Leidenschaften verhindern.

Ha, so viel dazu!

Mit neuem Elan und frischer Seifenlauge macht Jane sich wieder über den Boden her.

In einer solchen Stimmung ist sie häufig in der letzten Zeit. Wütend und fast schon trotzig. Zumindest gereizt und manchmal sogar ungeduldig mit den Kindern.

Wie unvermittelt aus einem tiefen und erholsamen Schlaf gerissen, so kommt sie sich vor. Durch das unzeitige Krähen eines Hahns. Das scharfe Krachen eines Donners, mitten in der Nacht. Unleidlich, weil die Glieder aus Blei sind, die Augenmuskeln sich wie überdehnt anfühlen und brennen und der Kopf wie mit Baumwollflocken vollgestopft ist.

Wie in jenen Momenten fühlt sie sich, in denen man sich danach sehnt, wieder in die Tiefe des Schlafs abzugleiten. In den schönen Traum, den man eben noch gehabt hatte.

Momente, in denen man genau weiß, dass das nicht mehr möglich ist, weil man die Grenze zum Wachsein bereits überschritten hat.

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