12
Unter dem grauen Himmel leuchteten die Blüten in kräftigem Purpurrosa, die Staubblätter in ihrer Mitte wie tausend winzige Sonnen. Mit einer Fröhlichkeit, die beinahe vergessen ließ, dass es schon spät im Herbst war. Wie kalt der Wind doch blies.
Der stumpf gewordene Bleistift in seinen klammen Fingern glitt langsamer über das Papier.
Fortune hob den Kopf. Seine Nase lief, er schniefte.
»Diese Blume habe ich oft auf Gräbern gesehen. In Weiß. Hat das eine besondere Bedeutung?«
Das Mädchen schwieg.
Fortune hatte den Eindruck gewonnen, dass sie zwar nicht alles verstand, was er sagte, aber doch das meiste. Das Wichtigste. Er hatte es nicht eilig, ließ ihr Zeit.
»Tod«, flüsterte sie nach einer Weile. »Die Blume ist Tod. Weiß ist Tod. Trauer.«
Betreten senkte er den Blick auf Anemone hupehensis.
Es war ihm unangenehm, nicht von selbst darauf gekommen zu sein. Womöglich ein Tabu verletzt, an einer alten Wunde des Mädchens gerührt zu haben.
Die Stille klang jedenfalls danach.
»Bei uns gibt es die Sage von Adonis«, erzählte er leise. »Ein schöner Jüngling, den sowohl Aphrodite als auch Persephone begehrten. Ares, der Kriegsgott, war deshalb eifersüchtig und schickte einen wilden Eber, der Adonis tötete. Aus seinem Blut entsprangen rote Anemonen, aus jedem Tropfen eine.«
Unter zusammengezogenen Brauen starrte das Mädchen ihn an.
»Tochter des Windes«, fügte er lahm hinzu und kratzte sich mit dem Bleistift an der Schläfe. »Das bedeutet der Name Anemone. Ja. Tochter des Windes.«