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»Herr Fu-Chung! Herr Fu-Chung!«

Widerstrebend löste Fortune seine Finger, als Lian ihm ihre Hand entzog.

Zwei junge Mönche, noch halbe Kinder, kamen lachend angerannt. Wie Zwillinge wirkten sie, so ähnlich waren sie sich in ihrer Mimik, mit den großen Augen, dem übermütigen Strahlen. In der jugendlichen Zappeligkeit ihrer Glieder. Aufgeregt kichernd traten sie von einem Bein aufs andere, schubsten sich gegenseitig.

»Du«, flüsterte der eine.

»Nein, du.«

»Sag du.«

»Herr Fu-Chung.« Der zweite nahm sichtbar allen Mut zusammen und verneigte sich, um feierlichen Ernst bemüht. »Unser verehrter Chu Chih bittet Euch darum, uns in die große Halle zu begleiten.«

»Eine Überraschung für Euch, Herr Fu-Chung!«, fiel ihm der zweite rasch ins Wort.

»Ein Geschenk«, trumpfte der andere wiederum auf. »Weil Ihr uns morgen in aller Frühe doch schon wieder verlasst!«

Im zuckenden Schein unzähliger Flämmchen schien der hohe, weite Raum wie im Fluss zu sein.

Rote Säulen und Nischen leuchteten auf, um sich gleich darauf wieder in die Schatten zurückzuziehen. Schriftzeichen erglänzten und verloschen. Die Gesichter, die Gliedmaßen der Statuen erwachten einen Wimpernschlag lang zum Leben, um gleich darauf wieder in erhabener Bewegungslosigkeit zu erstarren.

Steifbeinig schritt Fortune durch die Allee aus Mönchen, kalten Stein unter seinen bloßen Fußsohlen. Sein Hemd hatte Blütenstaub aufgesogen und Staub, war mit Erde und Gras verschmiert. Er wünschte sich, er hätte wenigstens noch genug Zeit gehabt, sich zu waschen; nachdem er den halben Tag durch den Wald gewandert war, fühlte er sich klebrig vor angetrocknetem Schweiß.

Ein ungehobelter, schmutziger, stinkender Barbar war er, hier in diesem Raum. In dieser Kammer, irgendwo tief im feurigen Herzen der Erde, unverändert seit Ewigkeiten und heilig.

Er hatte nicht die geringste Vorstellung, welches Auftreten von ihm erwartet wurde. Welche Gesten, welche Haltung, welche Worte. Welche Regeln hier galten.

Hilfesuchend warf er einen Blick zurück. Zu Wang, der ihm aufmunternd zunickte, ein schalkhaftes Grinsen in den Mundwinkeln, das den feierlichen Ernst auf seinem Gesicht, in seiner Haltung unberührt ließ. Dann zu Lian.

Klein und schmal nahm sie sich vor dem eindrucksvollen Portal der Halle aus; blass und reglos wirkte sie vor dem Hintergrund der kraftvollen Ranken, der mächtigen Blütenknospen aus dunklem Holz, die im Widerschein der Flammen pulsierten. Fast so weiß wie die Blüte der Gardenie, geradezu durchscheinend.

Ein Schlüssel war diese Gardenie gewesen, die etwas zu Lians Innerstem für ihn geöffnet hatte. Ohne Kalkül hatte er ihr die Blume von seinem Streifzug durch die Wälder mitgebracht, aber auch nicht gedankenlos. Blumen verschenkte man nicht unbedacht, selbst wenn man nicht um die genaue Bedeutung einer bestimmten Blüte wusste. Er hatte sich nur gewünscht, sie hätte eine andere Farbe gehabt als ausgerechnet Weiß, etwas anderes bedeutet als ausgerechnet Frieden, da sie beide doch nicht im Streit miteinander lagen. Auch wenn er nicht gewusst hätte, für welche Blume er sich entschieden hätte, hätte er die Wahl gehabt. Was er überhaupt damit hatte sagen wollen; er hatte es vorgezogen, nicht weiter darüber nachzudenken. Lieber hatte er sich auf die Rätsel konzentriert, die ihm die Regungen auf Lians Gesicht aufgaben.

Wie ihm auch jetzt die Art, wie sie ihren Kopf gesenkt hielt, Rätsel aufgab. Andächtig, ehrfürchtig? Gleichgültig, abweisend? Er wusste es nicht zu deuten.

Unwillkürlich schlossen sich seine Finger zur Faust. Als könnte er die Erinnerung an Lians Hand festhalten. An diese mädchenhaft kleine Hand, die jedoch alles andere als zerbrechlich war. Stark wie die Hand einer Frau, die es gewohnt war, zuzupacken, mit einer Spur von männlicher Kraft. Ihre einzige Schwäche war das Vertrauen gewesen, mit dem Lian ihm ihre Hand überlassen hatte.

Er hätte nie für möglich gehalten, dass etwas, das er einmal in seinen Händen gehalten hatte, sich im Rückblick unwirklich anfühlen würde.

Er gab sich einen Ruck und ging weiter, auf das Podest mit Abt Shanyuan zu, und erwiderte dessen Verbeugung, dachte sogar daran, dabei die Handflächen aneinanderzulegen.

»Verehrter Herr Fu-Chung – es war uns eine Ehre, Euch zu Gast in unserem bescheidenen Kloster zu haben. Vor allem sind wir Euch zu großem Dank verpflichtet. Wir bitten Euch, diese kleine Gabe als Zeichen unserer Wertschätzung anzunehmen, und hoffen, Ihr werdet Freude daran haben.«

Auf einen Wink von ihm traten zwei Mönche heran und öffneten die Truhe zu den Füßen des Abtes, schlugen das Sackleinen darin zur Seite.

Fortune starrte auf die feuchte Erde, auf die saftigen, blassgrünen Setzlinge darin.

Camellia sinensis.

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