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Überall hier wächst Camellia sinensis wild – jetzt kann ich verstehen, dass es heißt, Tee sei die Essenz der Berge.
Ich kann nicht glauben, dass es hier Geister geben soll. Dämonen. Hier ist nichts als Friede und Stille. In einer Erhabenheit, einer Schönheit, die einem voller Euphorie den Atem verschlägt, um einen gleich darauf demütig werden zu lassen. Kein Palast, keine Kathedrale kann beeindruckender sein.
Das einzig Unheimliche ist, seit dem ersten großen Anstieg keiner Menschenseele mehr begegnet zu sein. Und die Schluchten und Abgründe, die sich immer wieder zu den Füßen auftun, oftmals dazu noch von Nebel oder Wolken verhüllt.
Ich hoffe, wir erreichen bald eine der Herbergen, die es hier geben soll.
AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE
Fortune kniete neben dem Gepäck und riss ein Stück Dörrobst in kleine Stücke. Eines davon streckte er dem neugierigen Äffchen entgegen, das sich halb hinter einen Stein duckte, halb dahinter hervorschielte.
»Da, sieh her. Ich habe hier was für dich.«
Sie hatten schon oft solche Affen mit langem braunen Fell und Backenbärten gesehen; in den frühen Morgenstunden sprangen ganze Horden zwischen den Felsen herum. Dies war auch die Zeit, in der kleine Hirsche und Rehe aus dem Gebüsch hervorglitten, um an den Bächen zu trinken, mit ihren weichen Mäulern Gräser abzuzupfen und dabei ihre sanftmütigen Blicke umherschweifen zu lassen. Die Mittagszeit gehörte den Greifvögeln am Himmel und den Echsen, die in der Sonne badeten, während in der Abenddämmerung manchmal etwas umherhuschte, das Fortune an ein Gürteltier erinnerte und das Lian nur unter dem Namen Was sich zusammenrollt kannte.
Dieser Affe war das erste Tier, das sich näher heranwagte.
Fortune legte das Stück Obst auf den Boden und zog die Hand zurück. Das Äffchen schien zu überlegen, machte dann einen Satz vorwärts, griff sich den Imbiss und verzehrte ihn schmatzend an Ort und Stelle.
Die nächsten Happen schnappte es sich aus Fortunes Fingern, der sich an der Mimik des Affen freute, an den genüsslichen Geräuschen, die er von sich gab.
»Ich würde dir gern mehr geben, aber wir haben selbst nicht viel. Und wir wissen nicht, wie lange unser Proviant noch reichen muss.«
Um ihren schwindenden Vorrat zu strecken, hatte Lian sich aufgemacht, um nach Beeren und Wurzeln Ausschau zu halten.
Mit seinen schimmernden Augen, die an grüne Oliven erinnerten, musterte der Affe die leere Hand, die Fortune ihm hinhielt.
Fortune zuckte zusammen, als der Affe plötzlich seinen Zeigefinger packte und festhielt. Ein Schauder überlief ihn, denn diese winzige Hand war warm und fühlte sich nicht mehr ganz nach Tier an. Nicht wie ein Hund, eine Katze, eine Kuh oder ein Schaf. Fast wie die Finger eines Säuglings. Ein Wesen, das irgendwo auf halbem Weg zwischen Tier und Mensch stand, mit einer Mimik, die zwischen Kind und Greis pendelte: in einem Lächeln, einem fragenden Stirnrunzeln, den zusammengekniffenen Augen voller Unmut. Wie eine seltsame Spiegelung des Menschen, von einer merkwürdigen Ähnlichkeit, die Fortune ebenso verstörte wie sie ihn berührte.
Er bedauerte es, als der Affe die Zähne bleckte und ihn losließ. In flinken Sätzen sprang er davon und verschwand hinter den Felsen.
Fortune richtete sich auf und streckte sich, legte den Kopf in den Nacken, hielt das Gesicht der Sonne entgegen.
Berauscht war er von der Schönheit dieser Bergwelt. Geriffelte Felswände, die im warmen Abendlicht weich aussahen wie Falten in einem schweren Seidenstoff, die Silhouetten der Kiefern wie Papierschirme oder luftige Pagoden. Felsnadeln wie verwunschene Märchengestalten und Felsen, die an einen Löwen erinnerten, an einen Drachen und an einen dickbäuchigen Buddha. Und immer wieder Wolkenfelder, durch die sie hindurchwandern mussten, nahezu blind und nur auf die anderen Sinne angewiesen, eine kühle, rauchige Nässe auf den Lungen. Bis sie dann aus den Wolken hervorbrachen und staunend auf dieses weißneblige Meer blickten, das sich bis zum Horizont erstreckte und in dem Berggrate wie einsame Inseln schwammen. Unter einem Himmel, so blau, dass er sicher im obersten Bereich von Humboldts Cyanometer lag.
Mit dem Ärmel wischte Fortune sich über das schweißnasse Gesicht; Hemd und Hose klebten auf seiner Haut. Verlangend blinzelte er zu dem kleinen See hinüber, der sich türkisblau in die Umarmung von Sträuchern, Felsen und hohen Gräsern schmiegte und über dem Libellen surrend aufzuckten wie dunkelrote Flämmchen.
Nur einen Wimpernschlag lang durchfuhr ihn der Gedanke an Bakterien und Amöben, an Würmer und Krankheiten, dann zerrte er sich seine durchgeschwitzten Sachen vom Leib und watete hinein.
Das Wasser war kühl, aber nicht allzu kalt. Herrlich war es, das erste richtige Bad seit … Ewigkeiten.
Fortune hielt die Luft an und tauchte unter.