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Kloster von Tiantung, 4. Mai 1844

Ich wünschte, ich wäre wortgewandter oder ein Maler – dann könnte ich all das festhalten, was meine Augen hier sehen, seit dem ersten, frühesten Tageslicht.

Dieses fruchtbare Tal mit seinen klaren Bächen. Die Seen, glatt und glänzend wie Spiegel. Die Farben des Tempels: Rot, Gelb, Blau, Weiß. Leuchtend vor dem Grün der Hügel, der Teefelder in der Ferne und der Nadelbäume von Cryptomeria japonica.

Die Wolken des gestrigen Tages lösen sich gerade auf und enthüllen die Bergflanken – nicht kahl, wie weiter im Süden. Sondern grün: Unterholz, Sträucher und Bäume, von einer tropischen Saftigkeit.

Nichts könnte mir fremder sein als die Lebensweise dieser Mönche, selbst nachdem ich in diesem Land schon so manches kennengelernt habe.

Und doch beneide ich sie fast. Um ihre glückliche Gelassenheit, die offenbar keine Zweifel kennt, keine Sehnsüchte, keine Enttäuschungen oder Konflikte. Vielleicht liegt es an diesem Ort hier. Ich habe noch nie solche Schönheit gesehen. Nicht in Schottland, in England und auch hier in China noch nicht. Dies ist zweifellos ein Ort, an dem die Seele Frieden finden kann. Eine jede Seele, mag sie auch noch so zerrissen sein.

Der Gong ruft, ich glaube, zur Morgenmahlzeit.

AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE

Staunend wanderte Fortune durch das grüne Meer, das ihm nicht ganz bis zur Hüfte reichte. Als ginge er hier auf heiligem Boden, so kam es ihm vor.

Die Luft, die er atmete, war erfüllt vom unverkennbaren Duft des Tees. Nur frischer, saftiger, wie noch mit Regen und Frühlingssonne und Bergluft vollgesogen.

Thea viridis, so weit das Auge reichte.

»Fünf bis sieben Jahre dauert es«, erklärte Hoshang Bo, ein junger Mönch mit feinen, fast femininen Zügen und vollen Lippen, »bis das erste Mal von einem Teestrauch geerntet werden kann. Dann aber bis zu hundert Jahre lang.«

Andächtig strich Fortune über die glatten, glänzenden Blätter. Der Mönch packte fester zu, als er fachmännisch einen der Zweige begutachtete.

»Er ist noch nicht ganz so weit. Obwohl er früh dran ist, dieses Jahr.«

»Alles hat seine Zeit«, äußerte sich Abt Shanyuan lächelnd, dessen welkes Gesicht immer etwas Verschmitztes hatte. »Besonders der Tee.«

Stolz schien er, dem Fremden von der anderen Seite der Welt die Teefelder von Tiantung zu präsentieren.

»Und was davon pflückt ihr?«

»Nicht viel. Nur die Knospe des Blattes und die zwei jungen Blätter daneben.«

Hoshang Bos Finger zeichnete die noch imaginären Blättchen in die Luft über dem gerade austreibenden Zweig – nicht einmal zwei Inches lang.

»So wenig?«

»Jaja.« Hoshang Bo nickte eifrig. »Immer nur die jüngsten Blättchen. Die frischesten. Die erste Pflückung ist die beste. Die feinste. Die danach sind aber auch gut, von anderem Geschmack. Kräftiger. Alle zwei Wochen pflücken wir dann wieder.«

»Und wie lange?«

»Es kommt auf die Sorte an. Dies hier ist Sommertee.« Hoshang Bos Hand winkte in die Ferne hinaus. »In den Tälern weiter draußen haben wir Frühlingstee. Der ist bereits fertig abgeerntet. Und dann gibt es noch Herbsttee.«

»Ist das dann schwarzer Tee?«

Der Mönch bejahte.

»Sieht die Pflanze genauso aus? Oder ähnlich?”

Hoshang Bo runzelte die Stirn, sah erst hilfesuchend zu seinem Abt, dann zu Lian und Wang, bevor er den Blick wieder auf Fortune richtete.

»Ich bedaure zutiefst, Herr Fu-Chung. Aber ich verstehe nicht, was Ihr meint.«

»Das hier ist doch die Pflanze für grünen Tee, ja?«

Der Mönch nickte.

»Und was ist mit der Pflanze für schwarzen Tee?«

Hoshang Bo wirkte ratlos. »Eine solche Pflanze gibt es nicht, Herr Fu-Chung.«

»Aber es gibt doch grünen und schwarzen Tee?«

Die Miene des jungen Mönchs hellte sich jäh auf. »Ihr meint verschiedene Sorten! Manche Tees sind vollkommen, wenn wir sie grün lassen. Andere schmecken besser, wenn wir schwarzen Tee daraus machen.«

Er hielt Zeige- und Mittelfinger seiner Rechten hoch.

»Zwei Arten, Tee herzustellen.«

Der Mittelfinger faltete sich ein.

»Aber nur eine Pflanze.«

»Eine Pflanze? Nur eine?«

Hoshang Bo nickte.

Die Brauen zusammengezogen, ließ Fortune eines der glatten Blätter des Teestrauchs zwischen Daumen und Zeigefinger gleiten.

Erst dann traf ihn der Schock der Erkenntnis.

Falls es wirklich zutraf, was Hoshang Bo sagte, dann existierte Thea bohea nicht, und demzufolge war auch die botanische Bezeichnung Thea viridis nicht korrekt.

Eine Pflanze. Zwei Teearten durch unterschiedliche Herstellungsprozesse. Unzählige verschiedene Sorten von Grün und Schwarz, mittels Faktoren, die er noch nicht kannte.

Dieses zarte Blättchen zwischen seinen Fingern stellte womöglich alles auf den Kopf, was man in der westlichen Welt über Tee zu wissen glaubte.

Eine botanische Sensation.

»Hier, bitte, Herr Fu-Chung.«

Fortune blinzelte von der Türschwelle aus in das Halbdunkel des Schuppens, zu dem ihn Hoshang Bo am Ende des Teefelds geführt hatte. Staubig roch es, überwältigend stark nach Tee und ein bisschen nach Rauch.

Sein Blick schweifte von der äußerst einfachen gemauerten Feuerstelle über die Tische aus Bambusrohr und die flachen Metallsiebe, die genauso aussahen wie diejenigen, über denen in Garküchen Reis und Klöße gedämpft wurden.

»Wenn wir geerntet haben, muss alles schnell gehen« erklärte der Mönch. »Sonst haben wir gleich Schimmel auf den Blättern. Da oben welken die Blätter – nicht lange, nur etwa einen halben Tag.«

Fortunes Blick folgte der Leiter, die an der Wand lehnte, hinauf zu einer Art Dachboden, wo er schemenhaft die Umrisse eines Gestells ausmachen konnte.

»Dann rollen wir ihn, um den Geschmack herauszuholen. Danach wird er getrocknet und sortiert. Der schwarze Tee gärt vor dem Trocknen noch – das ergibt seine Farbe und den kräftigen Geschmack.«

Fortune sah kurz von seinem Notizbuch auf, in dem er eilig alles notierte.

»Aber wie genau geht das? Wie lange dauern die einzelnen Prozesse bei der jeweiligen Sorte? Welche Temperaturen sind notwendig?«

Hoshang Bo knetete verlegen eine seiner Ohrmuscheln. »Ich bitte beschämt um Verzeihung, Herr Fu-Chung! Ich kenne nur den Ablauf. Nicht die Einzelheiten. Ich sorge allein für die Pflanzen, für ihr Wachsen und Gedeihen und die Ernte.«

Hilfesuchend drehte er sich zu seinem Abt um und verneigte sich mit aneinandergelegten Handflächen. »Verehrter Chu Chih … Könnten wir vielleicht nach Hoshang Hai schicken? Er kann diese Fragen sicher alle beantworten. Oder wir bringen Herrn Fu-Chung zu ihm?«

Abt Shanyuan wollte zu einer Antwort ansetzen, als laute Rufe ihn unterbrachen.

»Chu Chih! Chu Chih!«

Seine Robe mit beiden Händen raffend, kam ein Mönch durch das Teefeld auf sie zugerannt.

Atemlos verbeugte er sich vor seinem Abt und redete aufgeregt auf ihn ein. In einer Geschwindigkeit, die es Fortune unmöglich machte, ihn zu verstehen.

»Was ist passiert?«, wandte er sich leise auf Englisch an Lian.

»Wildschweine«, flüsterte sie. »Haben vom ganz jungen Bambus gefressen. Wohl nicht zum ersten Mal. Dabei können die Mönche den Bambus für gutes Geld verkaufen, ist ein begehrtes Gemüse.«

Mit besorgter Miene hörte Abt Shanyuan sich den Bericht des Mönchs an und stellte leise Zwischenfragen, schüttelte immer wieder zungenschnalzend den Kopf.

Bis sich ein Strahlen auf seinem Gesicht ausbreitete, er in einer aufmunternden Geste kurz die Schultern des Mönchs drückte und sich zu Fortune umdrehte, sich vor ihm verneigte.

»Verehrter Herr Fu-Chung – ich habe eine Bitte vorzubringen. Eine sehr große Bitte. Würdet Ihr so freundlich sein und uns die Ehre erweisen, mit Eurer Feuerwaffe zu Hilfe zu kommen?«

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