Sonnabend, 21. 4. 90


Liebe Nicoletta!

Ich komme mir manchmal so kleingläubig vor. Dann wieder denke ich daran, wie Sie den Taxifahrer ermahnten, sanfter zu fahren. Ich habe jede Ihrer Gesten genossen. Manchmal greife ich mir an die Stirn, als könnte ich dort noch Ihre Hand finden, als Sie fühlten, ob ich Fieber hätte. Und ich sehe Ihre andere Hand, die eilig den Mantel zuknöpft. Das soll schon anderthalb Monate hersein?


Nach den ersten Tagen bei der Armee war klar: Die Hölle sieht anders aus. Darüber war ich froh, davon war ich enttäuscht. Es wurde viel gebrüllt, gepfiffen und herumkommandiert, man beschimpfte und verhöhnte uns, aber das war nur ein plumpes Spiel. Außerdem hat man im Rudel ein dickes Fell. Natürlich war es unangenehm, im Schutzanzug und mit Gasmaske zu rennen oder in Pfützen Liegestütze zu machen. Trotzdem nahm ich zu, denn anfangs hatten wir, die wir Fahrer von Schützenpanzerwagen (SPW) werden sollten, fast nur Polit-Unterricht. Bis auf die Stubenältesten, unsere Fahrlehrer, waren wir alle Neulinge, weshalb sich die Schikanen der höheren Diensthalbjahre in Grenzen hielten. Selbst wenn man Stubendienst hatte, blieb Zeit zum Schreiben oder Lesen.

Vereidigt wurden wir in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen, in dem, wie man uns lehrte, Antifaschisten aus 18 Ländern ermordet worden waren. Während der Zeremonie sahen wir auf den Obelisken mit seinen 18 auf der Spitze stehenden roten Dreiecken — wie geschaffen, um 18 Monate Grundwehrdienst daran abzuzählen.

Ich versuchte, den Alltag so genau wie möglich festzuhalten. Der Soldatenjargon, jeder Terminus technicus, faszinierte mich.

Als einziger bewahrte ich die Broschüre» Vom Sinn des Soldatseins «auf, die monatlich in einer anderen Farbe erschien. Häufig stenographierte ich Gespräche mit — Dialoge waren meine Schwäche.

Anfang Dezember durften wir für sechs Tage nach Hause, ein sogenannter Erholungsurlaub, der uns einmal pro Halbjahr zustand. Vera und ich fuhren mit einem geborgten Škoda zwischen Meißen und Görlitz nahezu alle Schlösser, Burgen und Kirchen ab. Stundenlang saßen wir dann in irgendeinem Café zwischen älteren Frauen, rauchten und tranken Gin Tonic, falls es den gab.

Statt vor dem Anblick ihres Sohnes in Uniform zu erschrekken, fand meine Mutter mich» ulkig«. Die Beschreibung der Umstände und des Tagesablaufes hatte sie beruhigt. Sie sah ja, wie gut genährt ich war.

Vera jedoch weinte beim Abschied. Ich hatte ihr verboten, mich zum Bahnhof zu bringen, ich wollte nicht, daß sie mich in Uniform sah.

Warum aber schlief morgens kaum einer von uns Neulingen bis sechs? Ich war lange vorher wach, horchte auf die Schritte im Flur, auf das Scheppern des großen Metallrostes am Eingang und hielt mir die Leuchtziffern meiner Uhr vor die Augen, als könnte ich verschlafen. Die Sekunden vor dem Weckpfiff zählte das Zeitzeichen eines laut gestellten Radios.

Draußen, beim Frühsport im Dunkeln, wo mit dem Losrennen eine unglaubliche Furzerei begann, hatte ich diese Unruhe schon vergessen.

War Alarm angekündigt, verschlimmerte sich das morgendliche Warten. Die Offiziere, in voller Montur, dufteten nach Rasierwasser und versperrten uns den Weg zur Toilette, während uns die Unteroffiziere aus den Stuben trieben. Überall schrie, klirrte, schepperte es wie bei einer Treibjagd. Wir rannten hinaus und dann auf der Straße vor den Kasernen bis zum Gebäude des Regimentsstabs und wieder zurück, um schließlich bei einem endlosen Appell unsere Ausrüstung begutachten zu lassen.

Am 13. Dezember179 jedoch riß uns ein Alarm aus dem Schlaf. Diesmal dröhnte das ganze Regiment. Die Unteroffiziere, die nicht schneller als wir in die Sachen kamen, wollten nicht glauben, was passierte, und zögerten, die Waffenkammer zu öffnen. Erst als die Kompanien aus den oberen Etagen ausrückten, machten auch wir uns fertig — und vervollständigten das Chaos auf den Regimentsstraßen. Ich inhalierte die Abgase der Panzer, die auf der Plattenstraße vorüberrasselten. Überall Scheinwerfer, Lärm und Fahrzeugkolonnen. Unseren kalt gestarteten SPW bestieg ich wie eine Arche. Ich spürte weder Furcht noch Auflehnung, nichts, was mich gehindert hätte, an diesem Aufbruch teilzunehmen. Im Gegenteil: Selbst uns, den letzten in der Hierarchie, entging nicht das Grandiose dieses Alarms. Wir hockten unter geschlossenen Luken, spähten zu den Schießscharten hinaus und hofften, ohne Offiziere loszufahren180. Diesmal waren sie die Hasen.

Kaum hatten wir die Kaserne verlassen, bogen wir von der Straße ab. Zwei Stunden ging es über Wald- und Feldwege. Immer wieder knallten wir mit den Stahlhelmen gegen die Wagendecke. Manche wußten sich nicht anders zu helfen und pinkelten in ihr Eßgeschirr.

Als es hell wurde und wir absaßen und die Fahrzeuge tarnten, standen wir am Rand einer Schonung. Der Kompanieschreiber auf dem SPW vor uns fummelte an der Antenne eines schwarz verkleideten Sternrecorders herum und versuchte, sie auszurichten. Da das offenbar nicht gelang, nahm er den Apparat in beide Arme und drehte sich wie ein Tänzer im Kreis. Von ihm erfuhren wir nichts. Gunther, ein hellblonder bleicher Sachse, der sich für einen Kellner eigenartig hölzern bewegte und beim Exerzieren vor Eifer grimassierte, hielt sich sein» Micki«-Radio ans Ohr und begann sofort, mit seiner Falsettstimme loszujammern. Was das für eine Scheiße sei und ausgerechnet jetzt, er habe immer gesagt, die sollten lieber arbeiten und nicht rumzicken, das bringe nichts, gar nichts, das wisse man doch, da hätten wir aber voll in die Scheiße gegriffen. Dann war von» Polacken «und» faulen Polacken «die Rede.

Ich begriff, daß geschehen war, was ich mir gewünscht hatte. Zu jeder vollen Stunde stapfte Gunther in den Wald. Der erste Schnee war liegengeblieben, eine Weihnachtslandschaft mit Tannengrün und Tierspuren. Zehn Minuten später kehrte er fluchend zurück. Statt der neuesten SFB-Nachrichten gab er irgendwelche Schoten zum besten, die er mit Polen erlebt hatte. Als es mittags Rouladen mit Rotkraut gab und zum Nachtisch Pfirsichhälften aus der Dose, zweifelte niemand mehr am Ernst der Lage. Angeblich hatte der Spieß die Munitionskisten schon dabei. Unser Zugführer reichte als erster das Photo seiner Frau herum. Als die Reihe an mir war, zeigte ich Veras Photo vor.

Nach Einbruch der Dunkelheit wurde es bitter kalt. Der SPW war eine Eishöhle. Wir wärmten uns am Tee, den es reichlich gab, machten Kniebeugen, manche boxten miteinander. Die Zeiger meiner Uhr schienen eingefroren. Einmal legten wir uns dicht an dicht auf den Waldboden, hielten es aber nicht lange aus. Immer wieder faßte ich an meine Beintasche und spürte das Notizbuch — mein Amulett.

Der Befehl zum Aufsitzen kurz nach Mitternacht war eine Erlösung. Hauptsache, die Motoren sprangen wieder an. Nach zehn Minuten Fahrt beorderte mich unser Leutnant nach draußen und warf zwei Flaggen herab, mit denen ich den SPW dirigieren sollte. Ich rannte entlang einer Mauer vor dem SPW her. Meine Füße waren wie Stümpfe, deren Tok, Tok, Tok ich auf den Betonplatten vernahm. Wunderbarerweise blieb ich im Gleichgewicht. Wir passierten ein Tor — und da erst erkannte ich unsere Kaserne wieder.

Das Seltsamste an diesem Alarm war die Stille nach der Rückkehr. Auch von den Kompanien in den Stockwerken über uns hörte ich nichts. Man stellte einfach einen Hocker auf den Flur und putzte seine Waffe, die Unteroffiziere taten das gleiche, und die Offiziere verschwanden lautlos. Auf den Stuben wurde Tee gekocht, man schlurfte in Unterhemd und heruntergetretenen Turnschuhen umher und brachte seine Kalaschnikow in die Waffenkammer zurück wie einen Spaten in den Schuppen.

In dieser Nacht zirpte eine Grille. Anfangs hielt ich das Zirpen für eine Halluzination oder eine Störung im Radio. Vielleicht war die Grille, angelockt von der Stille, aus dem Heizungskeller heraufgekommen und hatte unter unseren Spinden Quartier genommen.

Keinen der über zweihundert Armeebriefe an Geronimo habe ich je wieder gelesen. Ob diese mir helfen könnten, Ihnen jene Tage genauer zu beschreiben, als ich es hier vermag, sei dahingestellt. Wichtiger erscheint mir die Feststellung, daß über der Erinnerung an diese Wochen ein Schleier des Ungefähren liegt.

So wie das Kriegsrecht in Polen meinem Unbehagen vor dem Weckpfiff post festum eine Begründung lieferte, die jenseits von persönlicher Empfindlichkeit lag, so nehme ich das, was mir zu Weihnachten widerfuhr, als Beweis dafür, daß meine merkwürdige Stimmung in den anderthalb Wochen zuvor mehr gewesen war als eine Laune.

Am vierzehnten Dezember, dem Tag nach dem großen Alarm, zerbrach meine Idylle. Ich schlief über Knut, unserem Fahrer und Stubenältesten, einem auffällig kleinen, aber kräftigen Mann, Gewichtheber in einer der leichten Klassen. Seine Freundin hatte ihn kurz nach seiner Einberufung verlassen, was ihn nicht daran hinderte, ständig von ihr zu schwärmen. Weder schrieb noch erhielt Knut Briefe, einmal im Monat kam von seiner Mutter ein Päckchen.

Es war halb elf, also nach Beginn der Nachtruhe. Gunther und Matthias, ein säbelbeiniger gutmütiger Fischkopp181, unterhielten sich darüber, was man essen, überhaupt, was man tun müsse, um möglichst schnell krank zu werden und ins Lazarett zu kommen. Sowenig ich selbst von ihrem Wissen Gebrauch gemacht hätte, so passend erschien mir ihr Gespräch. Dialoge waren, wie gesagt, meine Schwäche. Ich schrieb mit. Das Licht war noch an und Knut nicht im Zimmer. Im Bett zu schreiben bedeutete, daß ich morgens, in den drei Minuten, die zum Anziehen und Heraustreten blieben, die Blätter ins Kuvert stecken, dieses beschriften und frankieren mußte, alles in der Hoffnung, wir kämen während des Frühsports am Briefkasten vorbei, wo ich ausscheren und meinen unter der Trainingsjacke verborgenen Kassiber einwerfen konnte.

Knut liebte es, auf die Klinke zu hauen und der Tür einen Tritt zu geben, so daß sie aufflog und gegen die Wand krachte. Das war lästig, doch wer sollte ihn daran hindern. Auch diesmal spielte Knut wieder Major, sah mich über seine Brille hinweg an und knipste das Licht aus. Ich hatte nichts anderes erwartet, schrieb den Satz blind zu Ende und roch Knuts Fahne, während er sich auszog. Er warf sich hin und her, das Bettgestell wackelte und quietschte, dann war es still, als habe er seine Schlafposition gefunden. Ich schrieb gerade den Gruß, da wurde ich emporgeschleudert, einmal, zweimal. Stößt jemand von unten mit beiden Füßen gegen die Matratze, ist man oben wehrlos wie ein Käfer auf dem Rücken. Ich klammerte mich ans Bettgestell. Als es wieder ruhig war, beugte ich mich hinunter, rief irgendein Schimpfwort — da trat er erneut zu. Diesmal verlor ich das Gleichgewicht. Mir passierte nichts, es war beinah wie ein Abgang vom Barren, und die Bettdecke, die zuvor heruntergefallen war, dämpfte meine Landung. Wütend trat ich nach Knut.

Schreiend standen wir uns im Dunkeln gegenüber. Ein paarmal traf er mich. Als das Licht anging, hielt auch er sich die Seite. Ich hatte ein Sakrileg begangen. Das wußte ich.

Als ich am nächsten Morgen meinen Brief zusammenfaltete, fehlte ein Blatt. Obwohl ich diesem Verlust bald keine Bedeutung mehr beimaß, geriet ich in einen merkwürdigen Zustand. Alles Eigene, der Schweiß meiner Achselhöhlen und zwischen den Beinen, der Geruch meiner Socken oder der Fleck auf meiner Uniform, alles erschien mir auf einmal kostbar, weil zu mir gehörig. Ich wollte mich in meinem Körper verstecken, ich war dabei, mich zu verpuppen.

In dem Brief, den ich noch von meiner Mutter erhalten hatte — vor Weihnachten gab es eine Postsperre —, war sie wie verwandelt. Ich hatte nichts von dem Alarm geschrieben, sie aber fühlte sich schuldig und quälte sich mit Vorwürfen. Ohne ihre Intervention, glaubte sie, hätte ich den Wehrdienst verweigert, was nach dem 13. Dezember keine Dummheit, kein falsches Heldentum mehr war, sondern vielleicht die einzige Chance, sich zu retten. Sie, die doch alle Romane von Arnold Zweig gelesen hatte, verstand sich selbst nicht mehr. Unseren Streit um die Röntgenaufnahme schien sie vergessen zu haben.

Und nun werde ich versuchen, Ihnen zu schildern, was ich bis heute immer verschwiegen habe. Nicht einmal Vera weiß davon.

Ausgerechnet an Heiligabend, wir hatten den ganzen Tag putzen müssen, ging es mir wieder besser. Die Hälfte der oberen Diensthalbjahre hatte Urlaub, Knut war geblieben und hoffte auf ein Silvester zu Hause. Seine Tritte gegen meine Matratze hatte er mal als Erziehung, mal als Spaß bezeichnet; wer nicht mitlachte, war selbst schuld. Ich hatte wieder Lust, an meinem ersten Kapitel zu arbeiten, und wollte Steinbecks» Früchte des Zorns «lesen, die ich in der Regimentsbuchhandlung gekauft hatte.

Nach dem Abendbrot sangen ein paar Soldaten auf dem Flur Weihnachtslieder. Ich war im Zimmer geblieben und schrieb Geronimo, wie eigenartig es sei, allein zu sein, wenn auch nur für Minuten. Es komme mir vor, als schwänzte ich irgend etwas, so fremd sei mir das Alleinsein geworden.

Einige Minuten später mußte ich tatsächlich ein Gefühl des Ertapptwerdens unterdrücken, als die Tür aufflog. Die halbe Kompanie schien auf Besuch zu kommen. Mein erster Impuls war aufzustehen, doch ich beherrschte mich. Ein Tritt gegen meinen Hocker ließ mich hochfahren. Knut verlangte Meldung, er befahl, daß ich mich nach Dienstvorschrift ankleidete und Pit, dem einzigen auf der Kompanie verbliebenen EK — das heißt Entlassungskandidat, also dem einzigen verbliebenen Soldaten im dritten Diensthalbjahr —, Meldung machte. Ich konnte sehen, wie man im Flur die Köpfe reckte und hochsprang. Ich fragte, was er wolle.

Da umklammerte mich jemand von hinten und preßte mir die Arme an den Körper. Ich war völlig hilflos. Das bißchen Würde, das in so einer Situation noch möglich ist, glaubte ich zu bewahren, indem ich mich nicht wehrte. Mehrmals wurde ich hochgehoben, landete aber immer wieder auf den Füßen. Mein Spind stand offen. Knut warf mir die Stiefel gegen die Knie. Er brüllte. Ich wurde losgelassen.

Ich legte das Koppel an und salutierte, ich salutierte langsam und lächelte dabei. Knut forderte ein Geständnis, ich solle es zugeben. Der mich umklammert hatte — mein Ajax-Thersites — stieß mich in den Rücken. Als ich mich umdrehte, fuhr er mich an, ich solle nach vorn sehen. Aber das alles wurde schnell belanglos, nachdem ich das Blatt mit meiner Schrift in Knuts Hand erkannt hatte. Noch bevor Gunther und Matthias vortraten, wurde mir klar, was hier geschah.

Knut verlas stockend, mich und meine Sauklaue verfluchend, was ich an jenem Abend mitgeschrieben hatte. Nach jedem Satz fragte er:»Hast du das gesagt?«—»Ja, das habe ich gesagt«, antwortete mal Gunther, mal Matthias.»Ja, das habe ich gesagt. «Die Püffe in die Seite, die Kopfnüsse, die Stöße — all das hätte ich ertragen, wäre es nicht von diesem einen Wort begleitet gewesen. Spitzel! Jeder sagte es: Spitzel! Ein Spitzel! Knut ließ keinen Satz aus. Zu gut funktionierte diese Inszenierung.»Ja, das habe ich gesagt!«Knut war zum Magier geworden. Er zog die Fäden. Selbst diejenigen, mit denen ich mich gut verstand, mit denen ich mich sogar über Knut lustig gemacht hatte, riefen» Spitzel! Spitzel!«. Und sie warteten, daß endlich etwas geschah.

Ob sie denn tatsächlich glaubten, so würden Spitzelberichte aussehen? Das könne ja wohl nur ich beantworten, rief Knut. Er wollte endlich von mir hören, warum und für wen ich das geschrieben habe. Jemand schlug mir auf den Kopf.

Weil ich Schriftsteller bin, weil ich an einem Buch über die Armee arbeite! Warum gestand ich es nicht?

«Lauter!«rief Knut.»Ich wollte meinem Freund einen richtigen Eindruck von der Armee geben!«wiederholte ich — jedes Wort ein Messerstich. Ich hatte aufgegeben, ich spielte mit, ich versuchte gar nicht mehr, sie zu überzeugen. In gewisser Weise bewunderte ich Knut sogar. Man knöpft sich einen Spitzel vor — eine Szene, wie ich sie selbst gern erfunden hätte.

Pit, der sich täglich im Waschraum mit einem Schlauch duschte und dann, naß gekämmt, mit rosigem Gesicht, den Schlauch über der Schulter, über den Flur tänzelte, dieser Pit krähte, warum hier überhaupt diskutiert werde, die Sache sei doch klar: Spitzel!

Aber Knut war noch nicht fertig. Was das denn für ein Freund sei, an den ich da schriebe, so ein Freund vielleicht wie jene Freundin, die ich ihnen aufgetischt hätte?

Wieder wurde ich umklammert. Gunther und Matthias sollten zuerst» reinhauen«. Mein Ajax-Thersites half ihnen aus der Verlegenheit und warf mich zu Boden. Ich fiel auf den Rücken.»In die Eier!«rief jemand. Ich spürte nichts.

Was folgte, erspare ich Ihnen. Ihnen und mir. Ich staunte die ganze Zeit, daß sie das Richtige taten, daß sie instinktiv wußten, wie sie am tiefsten demütigen konnten. Vielleicht waren sie auch so treffsicher, weil sie guten Gewissens handelten, weil es niemanden gab, der etwas gegen die Bestrafung eines Spitzels gehabt hätte. Das heißt, einen gab es, doch das erfuhr ich erst später.

Knuts einziger Fehler war: Er übertrieb. Meine Züchtigung dauerte zu lange. Und mit der Empfindung für Schmerz kehrte auch die Wut zurück und ein euphorisches Freiheitsgefühl: Ich hatte nichts mehr zu verlieren!

Kurz darauf wurde ich zum Kartoffelschälen beordert. In dem gefliesten Lagerraum des Küchengebäudes saß ich auf einer umgestülpten Kiste, schälte vor mich hin und hörte zu, was die anderen Ausgestoßenen erzählten. Damals hätte ich sofort zugestimmt, die restlichen sechzehn Monate zwölf Stunden täglich Kartoffeln zu schälen. Es reihte sich Strafarbeit an Strafarbeit. Doch ich war froh, die Feiertage nicht auf der Kompanie verbringen zu müssen.

Da mir kaum Zeit zum Schreiben blieb, machte ich meine Notizen auf der Toilette — hastige Stichworte, die Interpunktion auf Gedankenstriche reduziert. Es war Geronimo, der mir gratulierte. Ich hätte das neue Jahr mit einem eigenen, unverwechselbaren Stil begonnen. Merkwürdigerweise erwachte ich auch nicht mehr vor dem Weckpfiff.

Mein Schweigen unterband jeden Annäherungsversuch. Entschuldigungen überhörte ich. Selbst jenen Unteroffizier, der mir eröffnete, man habe mich nicht in der Küche benachrichtigt, als meine Mutter zu Besuch gekommen war — er nannte die Schuldigen und bot sich als Zeuge an —, würdigte ich keines Wortes. Von dem Kuchen, den Mutter für mich abgegeben hatte, war nur das Netz und die leere Springform bis zu mir gelangt.

Meine Rolle war in gewisser Weise bequem: Ich mußte keine Rücksichten mehr nehmen. Knuts Befehle ignorierte ich. Als er mir einmal die Unterwäsche aus dem Spind kehrte, landete seine Bettdecke auf dem Flur. Ich war zu allem bereit, auch zum unendlichen Kleinkrieg.

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