Lars Kepler Paganinis Fluch

Es herrscht Windstille, als die große, ziellos treibende Motorjacht in der hellen Nacht auf dem Wasser der Jungfrufjärden genannten Bucht in den südlichen Stockholmer Schären gefunden wird.

Das Meer hat eine schläfrige, blaugraue Farbe und bewegt sich so sanft wie Nebelschwaden.

Der alte Mann rudert in seinem Kahn hinaus. Mehrmals ruft er hinüber, obwohl er bereits ahnt, dass ihm niemand antworten wird. Seit fast einer Stunde hat er die Jacht von Land aus beobachtet und gesehen, wie sie rückwärts der Strömung Richtung Meer folgt.

Jetzt legt er seinen Kahn seitlich gegen das Motorboot, nimmt die Ruder hoch und vertäut sein Boot an der Badeplattform der Jacht. Er steigt die Metallleiter hinauf und über die Reling. Mitten auf dem Achterdeck steht ein rosa Liegestuhl.

Der alte Mann wartet einen Moment und lauscht. Als er nichts hört, öffnet er die Glastür und steigt die Treppe in den Salon hinunter. Graues Licht fällt durch die großen Fenster auf eine Einrichtung aus lackiertem Teak und den dunkelblauen Stoff der Polster. Er setzt seinen Weg auf der Treppe mit Paneelen aus glänzendem Holz fort, kommt an Pantry und Bad vorbei und gelangt in die große Kajüte. Dämmerlicht sickert durch die kleinen Fenster unter der Decke und beleuchtet schwach ein pfeilförmiges Doppelbett.

Am Kopfende des Betts sitzt eine junge Frau in Jeansjacke in einer schlaffen, zusammengekauerten Haltung. Mit weit gespreizten Beinen lehnt sie an der Wand, eine Hand ruht auf einem rosa Kissen. Sie sieht den alten Mann mit ängstlich fragendem Gesichtsausdruck unverwandt an.

Es dauert eine Weile, bis der Mann begreift, dass die Frau tot ist.

In ihren langen schwarzen Haaren trägt sie eine Spange in Form einer weißen Taube, einer Friedenstaube.

Als der alte Mann zu ihr tritt und ihre Wange berührt, kippt ihr Kopf nach vorn, und ein dünner Striemen Wasser rinnt zwischen ihren Lippen heraus und über das Kinn.


Das Wort Musik bedeutet ursprünglich ›Kunst der Musen‹ und geht auf den griechischen Mythos von den neun Musen zurück.

Alle neun Musen waren Töchter des mächtigen Gottes Zeus und der Titanin Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung. Euterpe, die Muse der Musik, wird mit einer Doppelflöte an den Lippen dargestellt und ihr Name bedeutet die Ergötzende.

Für die Begabung, die man Musikalität nennt, existiert keine allgemein akzeptierte Definition. Manche Menschen sind unfähig, die unterschiedlichen Frequenzen von Tönen zu hören, andere werden dagegen mit einem schier unglaublichen Musikgedächtnis und jenem absoluten Gehör geboren, das es ihnen erlaubt, einen Ton ohne jede Hilfe von Referenzpunkten exakt zu bestimmen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Welt eine ganze Reihe außerordentlicher musikalischer Genies gesehen, von denen manche sehr berühmt geworden sind, zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart, der seit seinem sechsten Lebensjahr in Europa von Hof zu Hof reiste, und Ludwig van Beethoven, der viele seiner großen Werke erst komponierte, als er schon vollkommen taub war.

Der legendäre Nicolò Paganini wurde 1782 im italienischen Genua geboren. Er war ein Geiger und Komponist, ein Autodidakt. Bis zum heutigen Tag sind nur wenige Geiger in der Lage gewesen, Paganinis schnelle und komplizierte Werke zu spielen. Bis zu seinem Tod wurde Paganini von dem Gerücht verfolgt, um seine einzigartige Geschicklichkeit zu erlangen, habe er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.

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