70 Ein Gefühl

Joona Linna und Saga Bauer verlassen das Haus von Familie Riessen und setzen sich ins Auto. Sagas Telefon surrt, sie liest eine SMS und lächelt in sich hinein.

»Ich esse daheim zu Mittag«, sagt sie und errötet.

»Wie viel Uhr ist es?«

»Halb zwölf«, antwortet sie. »Arbeitest du weiter?«

»Nein, ich gehe mit einer Freundin in ein Mittagskonzert im Södra-Theater.«

»Könntest du mich dann vielleicht auf Södermalm absetzen, ich wohne in der Bastugatan.«

»Wenn du willst, fahre ich dich nach Hause.«

Joona war in Robert Riessens Atelier gegangen, Saga dagegen bei Axel Riessen geblieben. Er hatte gerade begonnen, seine Laufbahn bei den Vereinten Nationen zu skizzieren, als sein Handy klingelte. Axel hatte auf das Display geschaut, sich entschuldigt und den Raum verlassen. Saga war sitzen geblieben und hatte gewartet, als jedoch fünfzehn Minuten vergangen waren, hatte sie sich schließlich auf die Suche nach ihm gemacht. Als sie ihn nicht finden konnte, war sie zu Robert Riessens Atelier gegangen. Gemeinsam mit Robert und Joona hatten sie anschließend nach Axel Riessen gesucht und festgestellt, dass er offenbar das Haus verlassen hatte.

»Was wolltest du eigentlich von Axel Riessens Bruder?«

»Ach, ich hatte nur so ein Gefühl«, setzt Joona an.

»Hurra«, murmelt Saga. »Ein Gefühl.«

»Weißt du … Wir haben das Foto doch Pontus Salman gezeigt«, fährt Joona fort, »und er hat sich erkannt und ganz offen von dem Treffen in Frankfurt erzählt, von den Verhandlungen mit der Regierung des Sudans und dass alle Geschäftsverbindungen abgebrochen wurden, als der Strafgerichtshof in Den Haag seinen Haftbefehl ausgestellt hat gegen …«

Als sein Handy klingelt, unterbricht er sich, sucht nach dem Handy, ohne den Verkehr aus den Augen zu lassen, und meldet sich:

»Das ging aber schnell.«

»Der Zeitpunkt kommt hin«, sagt Anja Larsson. »Das Tokyo String Quartet hat in der Alten Oper gespielt, und Pontus Salman ist in Frankfurt gewesen.«

»Ich verstehe«, sagt Joona.

Saga sieht ihn zuhören, nicken und sich bedanken, ehe er das Gespräch beendet.

»Dann hat Pontus Salman also die Wahrheit gesagt?«, erkundigt sich Saga.

»Das weiß ich nicht.«

»Aber der Zeitpunkt ist bestätigt worden?«

»Nur, dass Pontus Salman nach Frankfurt gefahren ist und das Tokyo String Quartet in der Alten Oper gespielt hat … aber Salman ist oft in Frankfurt gewesen und das Tokyo String Quartet spielt mindestens einmal im Jahr in der Alten Oper.«

»Versuchst du mir zu sagen, dass du glaubst, er hat über den Zeitpunkt gelogen, und das, obwohl du gerade die Bestätigung bekommen hast, dass der Zeitpunkt stimmt?«

»Nein, aber … ich weiß auch nicht, wie gesagt, es war nur so ein Gefühl«, sagt Joona. »Es gäbe jedenfalls sehr gute Gründe zu lügen, falls er und Carl Palmcrona nach dem Haftbefehl mit Agathe al-Haji verhandelt hätten.«

»Das wäre natürlich kriminell, verdammt, als würde man die Miliz in Darfur direkt mit Waffen beliefern, das würde gegen internationales Recht verstoßen und das …«

»Wir haben Pontus Salman geglaubt, weil er sich identifiziert hat«, unterbricht Joona sie. »Aber dass er einmal die Wahrheit gesagt hat, heißt nicht, dass er immer die Wahrheit sagt.«

»Ist das dein Gefühl?«

»Nein, aber da war etwas mit Salmans Stimme … als er meinte, das einzig Bemerkenswerte an dem Bild sei, dass Carl Palmcrona den Champagner nicht dankend abgelehnt habe.«

»Weil es überhaupt nichts zu feiern gab«, ergänzt Saga.

»Ja, so hat er es formuliert, aber mein Gefühl sagt mir, dass es ganz im Gegenteil doch etwas zu feiern gab und sie mit Champagner anstießen, weil sie sich geeinigt hatten.«

»Alle Fakten sprechen gegen das, was du da sagst.«

»Aber denk doch mal an das Bild«, fährt Joona fort. »Es herrscht eine gewisse Stimmung in der Loge und … ihre Gesichter strahlen aus, dass der Vertrag in trockenen Tüchern ist.«

»Aber selbst wenn das stimmen würde, können wir den genauen Zeitpunkt nicht ohne Penelope Fernandez bestimmen.«

»Was sagt denn ihre Ärztin?«, fragt Joona.

»Dass wir bald mit ihr sprechen können, aber dass sie mental immer noch völlig erschöpft ist.«

»Wir haben keine Ahnung, was sie weiß«, sagt Joona.

»Stimmt, aber verdammt, welcher Spur sollen wir denn sonst nachgehen?«

»Dem Foto«, antwortet Joona. »Im Hintergrund sieht man die vier Musiker und vielleicht kann man anhand ihrer Hände feststellen, welches Stück sie spielen, und so den genauen Zeitpunkt bestimmen.«

»Joona«, seufzt sie.

»Ja«, sagt er lächelnd.

»Das ist doch totaler Irrsinn – ich hoffe, das ist dir klar.«

»Robert Riessen meinte, es sei theoretisch möglich.«

»Wir werden wohl oder übel darauf warten müssen, dass es Penelope Fernandez besser geht.«

»Ich rufe mal an«, sagt Joona, greift nach seinem Handy, wählt eine Nummer im Landeskriminalamt und bittet darum, mit Raum U 12 verbunden zu werden.

Saga wirft einen kurzen Blick auf sein ruhiges Gesicht.

»Mein Name ist Joona Linna, ich bin …«

Er verstummt und grinst über das ganze Gesicht.

»Natürlich erinnere ich mich an Sie und Ihren roten Mantel«, sagt er und hört anschließend zu. »Ja gut, aber … Ich hätte eigentlich gedacht, Sie würden eine Hypnose vorschlagen?«

Saga hört die Ärztin über seinen Scherz lachen.

»Schon gut«, sagt er. »Aber Spaß beiseite – wir müssen dringend, wirklich dringend mit ihr sprechen.«

Sein Gesicht wird ernst.

»Ich verstehe, aber … das Beste wäre, wenn Sie Penelope überzeugen könnten … Okay, wir werden eine Lösung finden … Tschüss.«

Er beendet das Telefonat und biegt in die Bellmansgatan ein.

»Ich habe mit Daniella Richards gesprochen«, sagt Joona zu Saga.

»Was sagt sie?«

»Sie denkt, dass wir Penelope Fernandez in zwei Tagen vernehmen können, dass sie aber erst eine neue Unterkunft bekommen muss – sie weigert sich, in dem unterirdischen Raum zu bleiben und sagt …«

»Es gibt keinen sichereren.«

»Aber wenn sie sich nun einmal weigert«, erwidert Joona.

»Dann werden wir ihr erklären müssen, dass es gefährlich ist.«

»Das weiß sie besser als wir«, sagt er.

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