34 Dreambow

Auf Erixons Schoß liegen eine Mappe und ein großer Umschlag, die ein Bote in seinem Krankenhauszimmer abgeliefert hat. Er hält sich einen kleinen surrenden Handventilator vors Gesicht, während Joona ihn im Rollstuhl durch den Korridor schiebt.

Seine Achillessehne ist genäht und statt in einem Gips ist sein Fuß in einer Art Spezialstiefel fixiert worden, in dem die Zehen nach unten zeigen. Erixon hat sich beschwert, dass er für den anderen Fuß auch so einen Schuh bräuchte, wenn sie Schwanensee sehen wollten.

Joona nickt freundlich zwei alten Frauen zu, die auf einer Couch sitzen und sich an den Händen halten. Sie kichern, tuscheln und winken ihm zu wie Schulmädchen.

»Am selben Morgen, als sie mit dem Boot rausgefahren sind, hat Björn im Hauptbahnhof einen Umschlag und zwei Briefmarken gekauft«, berichtet Erixon. »Er hatte eine Quittung des Zeitungs- und Schreibwarenladens in seinem Portemonnaie, das auf der Jacht lag, und ich habe die Sicherheitsfirma genötigt, mir den Film der Überwachungskamera zuzumailen. Wie du die ganze Zeit vermutet hast, handelt es sich um ein Foto.«

»Heißt das, er hat das Bild jemandem zugeschickt?«

»Man kann leider nicht sehen, was er auf den Umschlag schreibt.«

»Vielleicht hat er den Brief an sich selbst adressiert.«

»Aber seine Wohnung ist ausgebrannt, es gibt nicht einmal mehr eine Tür«, erwidert Erixon.

»Ruf bei der Post an und hör nach.«

Sobald sie im Aufzug sind, beginnt Erixon seltsame Schwimmbewegungen mit den Armen zu machen. Joona beobachtet ihn und stellt keine Fragen.

»Jasmin meint, das ist gut für mich«, erklärt Erixon.

»Jasmin?«

»Meine Krankengymnastin … Sie sieht aus wie ein Törtchen, ist aber wunderbar streng: ›Seien Sie still, sitzen Sie gerade, jammern Sie nicht.‹ Sie nennt mich sogar Dickerchen.« Erixon lächelt schüchtern. »Weißt du eigentlich, wie lang die Ausbildung dieser Leute ist?«

Sie verlassen den Aufzug und begeben sich in einen Andachtsraum mit einem glatten Holzkreuz auf einem meterhohen Ständer und einem einfachen Altar. Der Raum ist mit einem Wandteppich geschmückt, auf dem eine Christusgestalt in einer Reihe heller dreieckiger Farbfelder zu sehen ist.

Joona tritt in den Korridor hinaus, öffnet einen Lagerraum, aus dem er ein Flipchart und Filzschreiber holt. Als er in die Kapelle zurückkehrt, sieht er, dass Erixon den Wandteppich unbekümmert herunterreißt und ihn über das Kreuz hängt, das er in eine Ecke gestellt hat.

»Wir wissen, dass dieses Foto irgendjemandem Menschenleben wert ist«, sagt Joona.

»Ja, aber warum?«

Erixon hängt mit Heftzwecken Ausdrucke von Björn Almskogs Kontoauszügen, Listen über alle Telefongespräche, Kopien von Bustickets, Quittungen aus den Portemonnaies und Abschriften der auf der Mailbox hinterlassenen Nachrichten an die Wand.

»Das Foto muss etwas enthüllen, was jemand geheimhalten will, es muss wichtige Informationen enthalten, vielleicht Firmengeheimnisse, vertrauliches Material«, sagt Joona.

»Ja«, antwortet Erixon.

»Also sehen wir zu, dass wir dieses Foto finden, damit das Ganze ein Ende hat«, erklärt Joona.

Er nimmt einen Filzschreiber und notiert auf dem großen Block:

06.40 Penelope wird in ihrer Wohnung von einem Taxi abgeholt.

06.45 Björn betritt Penelopes Wohnung.

06.48 Björn verlässt die Wohnung mit dem Foto.

07.07 Björn verschickt das Foto vom Schreibwarenladen im Hauptbahnhof aus.

Erixon rollt näher heran und betrachtet die Liste, während er Papier und Folie von einem Stück Schokolade abschält.

»Penelope Fernandez verlässt den Sender und ruft fünf Minuten später Björn an«, sagt er und zeigt auf die Liste der Telefongespräche. Ihre Mehrfahrtenkarte ist um 10.30 Uhr abgestempelt worden. Ihre jüngere Schwester Viola ruft um 10.45 Uhr Penelope an. Da ist Penelope wahrscheinlich schon mit Björn im Bootshafen auf Långholmen.«

»Aber was tut Björn?«

»Das werden wir herausfinden«, sagt Erixon zufrieden und wischt sich die Finger an einem weißen Taschentuch ab.

Er rollt an der Wand entlang und zeigt auf eine der Mehrfahrtenkarten.

»Björn verlässt Penelopes Wohnung mit dem Foto. Er nimmt unmittelbar darauf die U-Bahn und kauft bereits um 07.07 Uhr im Bahnhof den Umschlag und zwei Briefmarken.«

»Und wirft den Brief ein«, sagt Joona.

Erixon räuspert sich und fährt fort:

»Der nächste Anhaltspunkt ist ein Geschäftsvorgang mit seiner Visakarte, zwanzig Kronen im Internetcafé Dreambow in der Vattugatan um 07.35 Uhr.«

»Fünf Minuten nach halb acht«, sagt Joona und hält den Vorgang auf dem Flipchart fest.

»Wo zum Henker liegt die Vattugatan?«

»Es ist eine ziemlich kleine Straße«, antwortet Joona. »Sie liegt unten im alten Klara-Viertel.«

Erixon nickt und fährt fort:

»Ich nehme an, dass Björn Almskog mit derselben Fahrkarte zum Fridhemsplan weiterfährt. Als Nächstes haben wir nämlich ein Telefonat vom Festnetzanschluss in seiner Wohnung in der Pontonjärgatan 47. Es ist ein unbeantworteter Anruf bei seinem Vater, Greger Almskog.«

»Darüber müssen wir mit seinem Vater sprechen.«

»Nächster Fixpunkt ist ein weiterer Stempel, 09.00 Uhr, auf seiner Mehrfahrtenkarte. Wahrscheinlich nimmt er einen Bus der Linie 4 vom Fridhemsplan zur Högalidsgatan auf Södermalm und geht von dort zu Fuß zu seinem Boot auf Långholmen.«

Joona hält die letzten Uhrzeiten auf dem Papier fest, schiebt es zur Seite und betrachtet das Zeitschema für den Vormittag.

»Björn hat es eilig, das Foto zu holen«, sagt er. »Aber er will Penelope am Morgen nicht begegnen, weshalb er wartet, bis sie in einem Taxi verschwunden ist. Daraufhin rennt er ins Haus, nimmt das Foto von der Glastür ab, verlässt die Wohnung und fährt zum Hauptbahnhof. Ich möchte die Aufnahmen der Überwachungskameras sehen.«

»Vom Schreibwarenladen aus geht Björn zu einem Internetcafé in der Nähe«, fährt Erixon fort. »Dort bleibt er ungefähr eine halbe Stunde und fährt anschließend …«

»Da haben wir es«, unterbricht Joona ihn und geht zur Tür.

»Wie bitte?«

»Penelope und Björn haben beide zu Hause Internet.«

»Warum also ein Internetcafé?«, fragt Erixon.

»Ich fahre hin«, erwidert Joona und verlässt den Raum.

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