Ein Ruderboot aus lackiertem Mahagoniholz schaukelt auf dem Malmsee im Windschatten einer großen Landzunge. Aus östlicher Richtung weht eine sehr sanfte Brise, die schwachen Düngergeruch von den umliegenden Bauernhöfen übers Wasser trägt. Pontus Salman hat die Ruder hochgelegt, aber das Boot ist in einer Stunde kaum mehr als zehn Meter weit getrieben. Er denkt, wenn ihm klar gewesen wäre, dass es so lange dauern würde, sich zu erschießen, hätte er etwas zu trinken mitgenommen.
Die doppelläufige Schrotflinte liegt auf seinen Oberschenkeln.
Die einzigen Geräusche sind das Gluckern des Wassers gegen den Rumpf und das schwache Säuseln des Winds in den Laubmassen der Bäume.
Er schließt kurz die Augen, atmet einige Male, öffnet die Augen wieder und stellt den Gewehrkolben auf dem Boden ab und sorgt dafür, dass er auf dem Holz Halt findet. Seine Hand hält den sonnenwarmen Lauf, und er probiert, die Mündung auf seine Stirn zu richten.
Als er daran denkt, dass die Schrotladung ihm den ganzen Kopf abreißen wird, überkommt ihn Übelkeit.
Seine Hände zittern so sehr, dass er einen Moment warten muss. Er sammelt sich und richtet die Mündung stattdessen auf sein Herz.
Die Schwalben fliegen wieder tief, dicht über der Wasseroberfläche jagen sie Insekten.
Heute Nacht wird es wahrscheinlich regnen, denkt er.
Der weiße Kondensstreifen eines Flugzeugs zeichnet sich am Himmel ab, und Pontus Salman denkt erneut an seinen Albtraum.
Plötzlich kommt es ihm vor, als würde sich der ganze See verdunkeln, als würde das Wasser von unten geschwärzt.
Er wendet sich wieder dem Gewehr zu, nimmt den Lauf in den Mund, spürt ihn über die Zähne reiben, nimmt den metallischen Geschmack wahr.
Er streckt sich nach dem Abzughebel, als er das Motorengeräusch eines Autos hört. Das Herz rast in seiner Brust. Die unterschiedlichsten Gedanken schießen ihm binnen einer einzigen Sekunde durch den Kopf, dann wird ihm klar, dass es seine Frau sein muss, weil sie die Einzige ist, die weiß, wo er sich aufhält.
Er legt das Gewehr wieder ab, spürt das Blut schnell durch seinen Körper pulsieren und merkt, dass er zittert, während er versucht, zwischen den Bäumen am Haus etwas zu entdecken.
Ein Mann kommt den Pfad zum Bootssteg hinunter.
Pontus Salman braucht eine Weile, um zu erkennen, dass es der Kommissar ist, der in sein Büro gekommen war und ihm Veroniques Foto gezeigt hatte.
Als er Joona Linna schließlich erkennt, wallt eine völlig neue Angst in seinem Inneren auf. Sag, dass es noch nicht zu spät ist, denkt er immer wieder, während er zum Land zurückrudert. Sag, dass es nicht zu spät ist, sag, dass ich nicht mit ansehen muss, wie mein Albtraum in Erfüllung geht, sag, dass es nicht zu spät ist.
Pontus Salman rudert bis vor den Steg. Sein Gesicht ist leichenblass, und als Joona ihn bittet heraufzukommen, schüttelt er nur den Kopf. Sorgsam achtet er darauf, genügend Abstand zu halten, als er den Nachen mit umgekehrten Ruderzügen wendet, sodass der Bug seewärts zeigt.
Joona setzt sich auf die rissige, von der Sonne ausgebleichte Holzbank am äußeren Ende des Stegs. Die Wärme an Land lässt die Pflanzen dampfen, und das Wasser gluckert sanft.
»Was wollen Sie?«, fragt Pontus Salman ängstlich.
»Ich habe gerade mit Ihrer Frau gesprochen«, sagt Joona.
»Gesprochen?«
»Ja, und ich …«
»Sie haben mit Veronique gesprochen?«, fragt Pontus Salman besorgt.
»Ich brauche Antworten auf ein paar Fragen.«
»Dazu ist keine Zeit.«
»Das da eilt nicht«, erklärt Joona mit einem Blick auf die Schrotflinte im Boot.
»Was wissen Sie denn schon«, murmelt Pontus Salman.
Die Ruder bewegen sich sachte im Wasser.
»Ich weiß, dass die Munitionslieferung für Kenia in Wahrheit für den Sudan bestimmt ist«, sagt Joona.
Pontus Salman erwidert nichts.
»Ich weiß, dass Ihre Frau das Foto in der Loge gemacht hat.«
Pontus Salman hat den Blick gesenkt, hebt die tropfenden Ruder an und spürt das Wasser bis zu seinen Händen herabrinnen.
»Ich kann das Geschäft nicht mehr aufhalten«, sagt er. »Ich hatte es zu eilig, brauchte den Auftrag …«
»Also haben Sie den Vertrag unterschrieben.«
»Die Sache wäre selbst dann noch wasserdicht, falls sie auffliegen sollte. Jeder konnte behaupten, in gutem Glauben gehandelt zu haben, keiner war schuld.«
»Trotzdem ging es schief«, sagt Joona.
»Ja.«
»Ich hatte eigentlich damit warten wollen, Sie zu verhaften …«
»Weil Sie nichts beweisen können«, sagt Pontus Salman.
»Ich habe zwar noch nicht mit dem Staatsanwalt gesprochen«, fährt Joona fort, »aber ich bin mir sicher, dass wir Ihnen Strafmilderung zusagen können, wenn Sie bereit sind, gegen Raphael Guidi auszusagen.«
»Aussagen, ich werde nicht aussagen«, erklärt Pontus Salman. »Ich merke schon, Sie kapieren das nicht. Ich habe einen sehr speziellen Vertrag unterschrieben, und wenn ich nicht so verdammt feige wäre, hätte ich längst dasselbe getan wie Palmcrona.«
»Wenn Sie aussagen, werden wir Sie beschützen«, sagt Joona.
»Palmcrona ist davongekommen«, flüstert Salman. »Er hat sich erhängt, und jetzt muss sein Nachfolger die Ausfuhrgenehmigung unterzeichnen. Palmcrona wurde für Raphael Guidi vollkommen uninteressant, und so blieb es ihm erspart, seinen Albtraum in Erfüllung gehen zu sehen …«
Salmans lebloses Gesicht verzieht sich auf einmal zu einem Lächeln. Joona sieht ihn an und denkt, dass dies nicht wahr ist, Palmcrona ist nicht davongekommen, denn sein Sohn ist gestorben, und das war sein Albtraum.
»Eine Psychologin ist unterwegs«, sagt Joona. »Sie wird versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass Selbstmord kein Ausweg ist, der …«
Pontus Salman rudert wieder auf den See hinaus.
»Herr Salman, Sie müssen mir ein paar Fragen beantworten«, sagt Joona mit erhobener Stimme. »Sie sagen, der nächste Direktor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde wird die Ausfuhrgenehmigung unterzeichnen müssen, aber was passiert, wenn er sich weigert? Kann er sich nicht einfach weigern, einen solchen Paganini-Vertrag zu schließen?«
Pontus Salman hört auf zu rudern, der Nachen gleitet weiter hinaus, die Ruder schleifen durchs Wasser.
»Doch, das kann er«, antwortet er ruhig. »Aber das wird er nicht tun wollen …«