Der Parkplatz vor dem Sankt-Göran-Krankenhaus ist heiß und die Luft furchtbar schwül. Im Andachtsraum manövriert Erixon seinen Rollstuhl. Er hat ein funktionierendes Basislager eingerichtet, und laufend klingeln drei verschiedene Telefone.
Joona kommt mit dem Computer im Arm herein und stellt ihn auf einen Stuhl. Johan Jönson sitzt bereits auf einer kleinen Couch. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt und trägt einen schwarzen, schlecht sitzenden Trainingsoverall. Sein Kopf ist rasiert, er hat dichte, über der Nasenwurzel zusammengewachsene Augenbrauen. Er steht auf, geht zu Joona, sieht ihn scheu an, gibt ihm die Hand und lässt seinen roten Computerrucksack vom Rücken herabrutschen.
»Ei saa peittää«, sagt er und zieht ein dünnes Notebook aus dem Rucksack.
Erixon schenkt aus einer Thermoskanne Fanta in eine kleine, wacklige Tasse aus ungebleichter Pappe.
»Wenn sie Mucken macht, lege ich die Festplatte meistens für ein paar Stunden ins Gefrierfach«, erklärt Johan, »und schließe nur ein ATA/SATA-Adapter an. Jeder arbeitet anders, nicht wahr, ich habe einen Kumpel bei Ibas, der mit RDR arbeitet, und der trifft seine Klienten nicht mal, er schiebt den ganzen Kram einfach über eine verschlüsselte Telefonleitung. Auf die Art kann man das meiste retten, aber ich will nicht das meiste haben, ich will alles, das ist mein Ding, jeden Krümel, und dafür benötigt man ein Programm, das Hangar 18 heißt …«
Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht wie ein irrer Wissenschaftler.
»Moahahaha … Ich habe es selbst erschaffen«, fährt er fort. »Es funktioniert wie ein digitaler Staubsauger, es bringt wirklich alles zurück und strukturiert es bis in den Mikrosekundenbereich nach Uhrzeit.«
Er setzt sich auf die Altarschranke und verbindet die beiden Computer miteinander. Sein Notebook rattert leise. Rasend schnell tippt er eine Vielzahl von Kommandos ein, liest vom Bildschirm ab, scrollt nach unten, liest und gibt neue ein.
»Dauert das lange?«, fragt Joona nach einer Weile.
»Ich weiß es nicht«, murmelt Johan Jönson. »Nicht länger als einen Monat.«
Er flucht vor sich hin, tippt ein neues Kommando und betrachtet die vorbeiflimmernden Zahlen.
»War ein Witz«, sagt er dann.
»Hab ich kapiert«, erwidert Joona geduldig.
»In einer Viertelstunde werden wir wissen, wie viel sich retten lässt«, erklärt Jönson und wirft einen Blick auf den Zettel, auf dem Joona Datum und Uhrzeit von Björn Almskogs Besuch im Internetcafé notiert hat.
»Der Verlauf scheint wiederholt gelöscht worden zu sein, was ein bisschen mühsam ist …«
Fragmente alter grafischer Darstellungen huschen über den Bildschirm, im Sonnenlicht sind sie kaum zu erkennen. Johan Jönson schiebt sich geistesabwesend Kautabak unter die Oberlippe, wischt die Hand an seiner Hose ab und wartet, den Blick ab und zu auf den Bildschirm gerichtet.
»Hier ist gründlich aufgeräumt worden«, sagt er schleppend. »Aber man kann nichts löschen, es gibt keine Geheimnisse … denn Hangar 18 findet sogar noch Räume, die gar nicht existieren.«
Plötzlich pfeift es in seinem Computer, und er gibt etwas ein und liest sich eine lange Zahlenkolumne durch. Er tippt noch etwas, und das Pfeifsignal hört abrupt auf.
»Was tut sich?«, fragt Joona.
»Nicht viel«, sagt Johan Jönson. »Wegen der ganzen modernen Firewalls, Norman Sandbox und der gefakten Antivirenprogramme läuft es nur ein bisschen zäh … Es ist ein Wunder, dass der Computer überhaupt noch arbeitet, wenn alle Virenprogramme gleichzeitig laufen.«
Er schüttelt den Kopf und leckt einen Krümel Kautabak von der Oberlippe.
»Ich habe noch nie auch nur ein einziges Virenschutzprogramm besessen und … Jetzt halt aber mal das Maul«, unterbricht er plötzlich seine eigene Suada.
Joona tritt näher, schaut ihm über die Schulter.
»Was haben wir denn hier?«, flüstert Jönson singend. »Was haben wir denn hier?«
Er lehnt sich zurück, massiert seinen Nacken, gibt anschließend etwas mit einer Hand ein, drückt »Enter« und lächelt in sich hinein.
»Da haben wir es«, sagt er.
Joona und Erixon starren auf den Bildschirm.
»Gebt mir noch eine Sekunde … Die Sache ist nicht ganz leicht, es kommt nur in kleinen, kleinen Stückchen und Fragmenten …«
Er schirmt den Bildschirm mit der Hand ab und wartet. Langsam tauchen Buchstaben und Bruchstücke von Bildern aus dem Internet auf.
»Seht ihr, jetzt öffnet sich sachte die Tür … jetzt werden wir gleich sehen, was Björn Almskog an diesem Computer gemacht hat.«
Erixon hat den Rollstuhl blockiert und lehnt sich vor, um besser auf den Bildschirm schauen zu können.
»Scheiße, da sind ja nur Striche«, sagt er.
»Schau mal in die Ecke.«
Rechts unten auf dem Bildschirm sieht man eine kleine bunte Flagge.
»Er hat Windows benutzt«, sagt Erixon. »Sehr originell in …«
»Hotmail«, sagt Joona.
»Er hat sich eingeloggt«, erwidert Johan Jönson.
»Jetzt wird die Sache interessant«, sagt Erixon.
»Kannst du den Namen sehen?«, erkundigt sich Joona.
»So funktioniert das nicht … Man kann sich nur chronologisch in der Zeit bewegen«, sagt Johan Jönson und scrollt nach unten.
»Was war das?« Joona zeigt auf den Bildschirm.
»Wir sind im Ordner für gesendete Nachrichten«, antwortet Johan Jönson.
»Hat er was gemailt?«, fragt Joona gespannt.
Auf dem Bildschirm erkennt man zerstückelte Fragmente von Werbung für billige Reisen nach
Mailand, New Y k, Lo dn, P ris
. Ganz unten in der Ecke sieht man zudem eine kleine hellgraue Ziffer, eine Uhrzeit: 07.44.42 AM.
»Hier haben wir was«, sagt Johan Jönson.
Auf seinem Bildschirm taucht ein Fragment auf:
ss i h kontakt it
»Eine Kontaktanzeige«, grinst Erixon. »Das klappt nie, ich habe es selbst …«
Er verstummt abrupt. Johan Jönson scrollt vorsichtig an unverständlichen Grafiktrümmern vorbei, dann stoppt er plötzlich. Mit einem breiten Grinsen räumt er den Stuhl vor dem Computer.
Joona nimmt seinen Platz ein, blinzelt im Sonnenlicht und liest, was auf dem Bildschirm steht:
Carl Palmer
abe f to ickt. ss ich kontakt mit I
Joona spürt, dass sich die kleinen Härchen in seinem Nacken aufstellen. Ein Schauer läuft ihm über Arme und Rücken. Palmcrona, denkt er immer wieder, während er sich die Fragmente notiert, wie sie auf dem Computerbildschirm erscheinen. Dann streicht er sich übers Haar und geht zum Fenster. Er versucht, klar zu denken, und atmet flach. Die Stiche eines leichten Migräneanfalls ziehen vorüber. Erixon starrt weiter auf den Bildschirm und flucht vor sich hin.
»Du bist sicher, dass Björn Almskog das geschrieben hat?«, fragt Joona.
»Absolut«, antwortet Johan Jönson.
»Ganz sicher?«
»Wenn er um diese Uhrzeit an dem Computer gesessen hat, ist das seine Mail.«
»Dann ist das seine Mail«, bestätigt Joona, der in Gedanken bereits woanders ist.
»Jetzt schlägt’s dreizehn«, flüstert Erixon.
Johan Jönson betrachtet die verstreuten Fragmente aus dem Adressfeld »crona@isp.se« und trinkt Fanta direkt aus der Thermoskanne. Erixon lehnt sich im Rollstuhl zurück und schließt für einen Moment die Augen.
»Palmcrona«, sagt Joona in sich gekehrt und konzentriert.
»Das gibt’s doch gar nicht«, sagt Erixon. »Was zum Teufel hat Carl Palmcrona mit dieser Sache zu tun?«
Joona geht in Gedanken versunken zur Tür. Er bleibt stumm, steigt die Treppe vor dem Andachtsraum hinunter und verlässt das Krankenhausgebäude und seine beiden Kollegen. Mit großen Schritten eilt er im gleißenden Sonnenschein über den Parkplatz zu seinem schwarzen Auto.