8 Åhlén

Das Schwimmbad des Landespolizeiamts ist still und leer, hinter der Glaswand ist es ruhig, und in der Cafeteria sitzen keine Gäste. Das Wasser in dem großen blauen Becken ist fast spiegelglatt. Das Licht der Unterwasserlampen, die das Becken von unten beleuchten, schaukelt langsam auf Wänden und Decke. Joona Linna schwimmt eine Bahn nach der anderen, hält sein Tempo und kontrolliert den Rhythmus seiner Atemzüge.

Er schwimmt, während verschiedene Erinnerungen durch sein Bewusstsein taumeln, zum Beispiel Disas Gesicht, als sie meinte, ihre Zähne würden kribbeln, wenn sie ihn sehe.

Joona erreicht den Beckenrand, wendet unter Wasser und stößt sich mit den Beinen ab. Es ist ihm nicht bewusst, dass er schneller schwimmt, als er sich in Gedanken plötzlich in Carl Palmcronas Wohnung in der Grevgatan befindet. Erneut betrachtet er den hängenden Körper, die Urinpfütze, die Fliegen im Gesicht. Der Tote hatte Mantel und Schuhe angehabt, sich aber trotzdem die Zeit genommen, Musik anzustellen.

Das Ganze hatte Joona das Gefühl einer zugleich geplanten und spontanen Tat vermittelt, eine bei Selbstmord keineswegs ungewöhnliche Mischung.

Er schwimmt schneller, wendet, erhöht weiter die Schlagzahl und lässt innerlich Revue passieren, wie er durch Palmcronas Flur geht und nach dem Klingeln die Tür öffnete, woraufhin er die hoch aufgeschossene Frau mit den großen Händen erblickt, die hinter der Tür im Dämmerlicht des Treppenabsatzes steht.

Joona macht am Beckenrand heftig atmend Pause und legt seine Arme auf das Plastikgitter, das die Überlaufrinne abdeckt. Seine Atemzüge beruhigen sich schnell, aber die Schwere in den Schultermuskeln, die von der Milchsäure kommt, nimmt noch zu. Eine Gruppe von Polizisten in Trainingsanzügen betritt das Schwimmbad. Die Beamten haben zwei Rettungspuppen, eine Kinder- und eine Übergewichtpuppe, dabei.

»Sterben ist kein Albtraum«, hatte die große Frau gesagt und dabei gelächelt.

Seltsam gestresst steigt Joona aus dem Becken. Er weiß nicht, was es ist, aber Carl Palmcronas Tod lässt ihm keine Ruhe. Aus irgendeinem Grund sieht er immer noch den leeren, hellen Raum vor sich. Hört die ruhige Geigenmusik in Kombination mit dem trägen Surren der Fliegen.

Joona weiß genau, dass es sich um einen Selbstmord handelt, und versucht sich zu sagen, dass der Fall nichts für die Landeskripo ist. Trotzdem würde er nur zu gern zum Fundort eilen und ihn sich noch einmal ansehen, ihn untersuchen, jedes Zimmer durchgehen und überprüfen, ob er etwas übersehen hat.

Während seines Gesprächs mit der Haushälterin hatte er gedacht, sie wäre verwirrt, dass sich der Schock wie dichter Nebel um sie gelegt, sie konfus und verdächtig gemacht hätte, weshalb sie ihm so eigenartig und unzusammenhängend geantwortet hatte. Doch jetzt versucht Joona, die Sache genau umgekehrt zu sehen. Vielleicht war sie ja gar nicht verwirrt, gar nicht geschockt, sondern hatte seine Fragen möglichst konkret beantwortet. Wenn das zutreffen sollte, behauptete die Haushälterin, Edith Schwartz, dass jemand Carl Palmcrona bei der Schlinge geholfen hatte, dass es helfende Hände, hilfsbereite Menschen gegeben hatte. Wenn es so war, dann erzählte sie, dass sein Tod kein selbst verschuldetes Ereignis gewesen war, dass er seinen Tod nicht alleine herbeigeführt hatte.

Irgendetwas stimmt da nicht.

Er weiß, dass er recht hat, kann das Gefühl aber nicht greifen.

Joona betritt die Herrenumkleide, schließt seinen Schrank auf, holt das Handy heraus und ruft den Chef der Pathologie Nils Åhlén an.

»Ich bin noch nicht fertig«, lauten Åhléns erste Worte.

»Es geht um Palmcrona. Was ist dein erster Eindruck, auch wenn du …«

»Ich bin noch nicht fertig«, unterbricht Åhlén ihn.

»Auch wenn du noch nicht fertig bist.«

»Komm am Montag vorbei.«

»Ich komme jetzt«, erwidert Joona.

»Um fünf wollen meine Frau und ich uns eine Couch ansehen.«

»Ich bin in fünfundzwanzig Minuten bei dir.« Joona beendet das Gespräch, bevor Åhlén Zeit hat zu wiederholen, dass er noch nicht fertig ist.

Als Joona geduscht und sich umgezogen hat, hört er Stimmengewirr von lachenden und plappernden Kindern und begreift, dass bald die Schwimmschule im Landespolizeiamt beginnt.

Er überlegt, was es bedeutet, dass der Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde erhängt aufgefunden wurde. Die Person, die letztlich alle wichtigen Entscheidungen über Herstellung und Ausfuhr von Kriegswaffen in Schweden trifft, ist tot.

Was ist, wenn ich mich irre, was ist, wenn er doch ermordet wurde?, fragt sich Joona. Ich muss mit Pollock sprechen, bevor ich zu Åhlén fahre, vielleicht sind er und Kofoed schon dazu gekommen, sich das Material von der Tatortuntersuchung anzusehen.

Joona geht mit großen Schritten durch den Korridor, läuft eine Treppe hinunter und ruft seine Assistentin Anja Larsson an, um sich zu erkundigen, ob Nathan Pollock im Haus ist.

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