67 Wohin das Geld fließt

Im Landespolizeiamt herrscht eine aufgebrachte, fast hasserfüllte Atmosphäre. Man vergleicht die Ereignisse mit Josef Eks Bestialität vor zwei Jahren. Die Zeitungen schreiben über das Drama in den Schären, sie nennen den Täter einen Polizistenschlächter, und die Journalisten spekulieren und versuchen, ihren Quellen im Polizeiapparat Informationen abzupressen.

Joona Linna und Saga Bauer sollen dem Leiter der Landeskriminalpolizei Carlos Eliasson, dem Abteilungsleiter beim Staatsschutz Verner Zandén, Kriminalkommissar Petter Näslund, dem Einsatzleiter Benny Rubin sowie Nathan Pollock und Tommy Kofoed von der Landesmordkommission Bericht erstatten.

Sie gehen den Flur hinab und sprechen darüber, wie Penelope Fernandez ihnen weiterhelfen könnte.

»Ich glaube, dass sie bald sprechen wird«, sagt Joona.

»Das ist nicht gesagt, genauso gut kann sie ganz dichtmachen«, erwidert Saga.

Anja Larsson ist aus ihrem Büro getreten, steht im Korridor und betrachtet Joona und Saga mit unglücklichem Blick. Als Joona sie sieht, lächelt er breit und winkt ihr zu, sieht aber nicht mehr, dass sie mit Daumen und Zeigefingern ein Herz formt, ehe er den Sitzungsraum betritt.

Sie schließen die Tür, setzen sich und begrüßen leise die anderen, die bereits Platz genommen haben.

»Als Erstes möchte ich festhalten, dass es keine Anhaltspunkte für ein linksextremistisches Attentat gibt«, erklärt Saga.

Verner flüstert Nathan Pollock etwas zu.

»Oder?«, fragt Saga mit erhobener Stimme.

Verner blickt auf und nickt.

»Ja, das ist korrekt«, bestätigt er und räuspert sich.

»Fang vorne an«, fordert Carlos Saga auf.

»Also … Penelope Fernandez engagiert sich in der Friedensbewegung, sie ist Vorsitzende der Schwedischen Friedens- und Schlichtungsgesellschaft. Sie ist seit Längerem mit Björn Almskog liiert, der an der Bar im Musikklub Debaser am Medborgarplatsen arbeitet. Sie wohnt in der Sankt Paulsgatan 3 und er in der Pontonjärgatan 47.

An der Glastür zwischen Wohnzimmer und Flur ihrer Wohnung hat Penelope Fernandez mit Klebestreifen ein Foto befestigt.

Mithilfe ihres Notebooks projiziert Saga Bauer eine Kopie des Bildes auf die Leinwand am Kopfende des Raums.

»Die Aufnahme ist im Frühjahr 2008 in Frankfurt am Main entstanden«, erläutert sie.

»Palmcrona erkennen wir«, sagt Carlos.

»Ja, genau«, bestätigt Saga und fährt fort, die Personen in der Loge zu identifizieren. »Das hier ist Pontus Salman, geschäftsführender Direktor des Waffenproduzenten Silencia Defence. Und diese Person hier ist kein Geringerer als Raphael Guidi. Er ist ein bekannter Waffenhändler, seit Langem im Geschäft … in der Branche nennt man ihn den Erzengel, er macht seine Geschäfte vor allem in Afrika und im Mittleren Osten.«

»Und die Dame haben Sie zum Kaffee eingeladen?«, erkundigt sich Benny Rubin.

»Sie heißt Agathe al-Haji«, bemerkt Saga, ohne auf den Scherz einzugehen. »Sie ist Sicherheitsberaterin der sudanesischen Regierung und steht in einem sehr engen Kontakt zu Präsident Umar al-Bashir.«

Benny schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte und bleckt die Zähne, als Pollock ihm einen gereizten Blick zuwirft.

»Ist es üblich, sich so zu treffen?«, fragt Carlos.

»Ja, ich denke schon«, antwortet Saga. »Bei der Besprechung auf dem Bild ging es um eine große Lieferung von lizenzgefertigter Munition an die sudanesische Armee. Das Geschäft wurde als sicherheitspolitisch relevant eingestuft und wäre zweifellos zustande gekommen, wenn der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht einen Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir ausgestellt hätte.«

»Das war 2009, stimmt’s?«, fragt Pollock.

»Ist mir entgangen«, sagt Carlos.

»Es wurde nicht besonders viel darüber berichtet«, sagt Saga, »aber der Haftbefehl wurde wegen direkter Beteiligung an Folter, Vergewaltigung und Völkermord in Darfur erwirkt.«

»Und deshalb ist aus dem Geschäft nichts geworden«, konstatiert Carlos.

»Richtig«, bestätigt Saga.

»Und das Foto? Was ist damit? Nichts?«, fragt Verner.

»Penelope Fernandez scheint jedenfalls nichts Gefährliches darin gesehen zu haben, denn sie hat es an eine Zimmertür gehängt«, bemerkt Saga.

»Dennoch ist es nicht unwichtig für sie – gerade weil sie es gut sichtbar platziert hat«, kommentiert Carlos.

»Das wissen wir nicht, vielleicht hat es ihr auch nur als eine Erinnerung daran gedient, wie es in unserer Welt aussieht«, meint Saga. »Dass es ganz unten einige gibt, die sich für den Frieden einsetzen, und ganz oben stoßen die Mächtigen mit Champagner an.«

»Wir hoffen, Penelope Fernandez bald vernehmen zu können, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass Björn Almskog sie hintergangen hat«, fährt Joona fort. »Vielleicht weiß er mehr über das Foto als Penelope, vielleicht hat er es einfach probiert, jedenfalls benutzt Björn am zweiten Juni in einem Internetcafé eine anonyme Mailadresse und schreibt einen Erpresserbrief an Carl Palmcrona. Die Mail ist der Auftakt zu einer kurzen Korrespondenz: Björn schreibt, dass er weiß, wie peinlich das Foto für Palmcrona sein muss, und dass er bereit ist, es ihm für eine Million Kronen zu verkaufen.

»Eine ganz gewöhnliche Erpressung«, murmelt Pollock.

»Björn benutzt im Zusammenhang mit dem Bild das Wort peinlich«, fährt Saga fort, »weshalb wir bezweifeln, dass er begreift, wie ernst Palmcrona das Ganze nehmen wird.«

»Björn glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben«, sagt Joona. »Dann staunt er nicht schlecht, als er Palmcronas Antwort liest, in der dieser seinen Erpresser warnt. Palmcrona erläutert mit großem Ernst, dass Björn keine Ahnung hat, worauf er sich da eingelassen hat, und fleht ihn schließlich an, ihm das Foto zu schicken, ehe es zu spät ist.«

Joona trinkt einen Schluck Wasser.

»Wie ist der Ton in der Mail?«, fragt Nathan Pollock nach. »Du hast gesagt, dass er ernst ist, aber ist er auch aggressiv?«

Joona schüttelt den Kopf und verteilt über den Tisch hinweg Kopien des Mailwechsels.

»In meinen Augen sind diese Mails nicht aggressiv, nur ernst.«

Tommy Kofoed liest die Mails, nickt, reibt seine pockennarbigen Wangen und notiert sich etwas.

»Was passiert dann?«

»Ehe die Haushälterin am Mittwoch nach Hause fährt, hilft sie Palmcrona, eine Schlinge an der Decke zu befestigen.«

Petter lacht.

»Warum das?«

»Weil er es nach einer Rückenoperation nicht selber tun konnte«, antwortet Saga.

»Na schön«, sagt Carlos und verzieht ein wenig den Mund.

»Am nächsten Tag, um die Mittagszeit … nachdem die Post gekommen ist, nehmen wir an, ruft Palmcrona eine Nummer in Bordeaux an und …«

»Weiter ließ sich die Nummer nicht verfolgen«, wirft Saga ein.

»Die Nummer führt möglicherweise zu einer Telefonzentrale, und das Gespräch wird in ein ganz anderes Land, einen anderen Erdteil oder wieder zurück nach Schweden weiterverbunden«, sagt Joona. »Jedenfalls handelt es sich um ein sehr kurzes Telefonat, es dauert nur dreiundvierzig Sekunden. Vielleicht hinterlässt er auch nur eine Sprachnachricht. Wahrscheinlich berichtet er von dem Foto und dem Inhalt des Erpresserschreibens und erklärt, dass er Hilfe erwartet.«

»Denn danach … ein paar Minuten später, ruft Palmcronas Haushälterin die Taxizentrale an und bestellt einen Wagen für zwei Uhr auf den Namen Palmcrona mit dem Fahrziel Flughafen. Exakt eine Stunde und fünfzehn Minuten nach dem kurzen Gespräch klingelt das Telefon. Palmcrona hat bereits Mantel und Schuhe an, geht aber dennoch an den Apparat. Das Gespräch kommt aus Bordeaux. Es ist die Nummer, die er selbst gewählt hatte. Dieses Gespräch dauert zwei Minuten. Palmcrona schickt daraufhin eine letzte Mail an seinen Erpresser. Darin heißt es: Jetzt ist es zu spät, du und ich, wir werden beide sterben. Er gibt der Haushälterin frei, die den wartenden Taxifahrer dafür bezahlt, dass er gekommen ist. Anschließend fährt sie nach Hause. Ohne seinen Mantel auszuziehen, geht Carl Palmcrona in den kleinen Salon, stellt seinen Aktenkoffer hochkant, klettert hinauf und erhängt sich.«

Es wird still am Tisch.

»Aber das ist nicht das Ende der Geschichte«, sagt Joona, »denn Palmcronas Telefonat hat etwas in Gang gesetzt … Ein internationaler Profi ist beauftragt worden. Ein Killer ist ausgesandt worden, um alle Spuren zu verwischen und das Foto zu vernichten.«

»Wie oft taucht bei uns in Schweden ein solcher Profikiller auf ?«, sagt Carlos skeptisch. »Für eine so drastische Maßnahme muss viel Geld auf dem Spiel stehen.«

Joona sieht ihn ausdruckslos an.

»Ja.«

»Am Telefon hat Palmcrona wahrscheinlich die erpresserische Mail vorgelesen, die auch die von Björn angegebene Kontonummer enthielt«, bemerkt Saga.

»Es ist nicht besonders schwer, jemanden anhand einer Kontonummer aufzuspüren«, murmelt Verner.

»Als Palmcrona den Koffer umkippt, hält Björn Almskog sich im Internetcafé Dreambow auf«, fährt Joona fort. »Er loggt sich in sein anonymes Mailkonto ein und sieht, dass er zwei Antwortmails von Carl Palmcrona bekommen hat.«

»Er hofft natürlich, dass Palmcrona sich bereit erklärt hat, eine Million für das Foto zu zahlen«, erklärt Saga.

»Stattdessen findet er Palmcronas Warnung und als Nächstes die kurze Mail, in der steht, dass es zu spät ist, dass sie beide sterben werden.«

»Und jetzt sind sie tot«, sagt Pollock.

»Man kann nur vermuten, wie sehr Björn sich gefürchtet haben muss«, meint Saga. »Er ist ja kein routinierter Erpresser gewesen, er hat nur eine Chance ergriffen, als sie sich ihm bot.«

»Was tut er?«

Petter sieht die beiden an, sein Mund steht gähnend offen. Carlos schenkt ihm einen Schluck Wasser ein.

»Björn bereut, was er getan hat, beschließt, Palmcrona das Foto zu schicken, und versucht, die Sache so aus der Welt zu schaffen.«

»Aber als Björn Palmcrona schreibt, dass er ihm das Bild schicken wird, ist dieser bereits tot«, sagt Joona.

»Das Problem ist, dass die Aufnahme an einer Glastür in Penelopes Wohnung hängt«, fährt Saga fort. »Und sie weiß nichts von der Erpressung.«

»Er muss also an das Foto herankommen, ohne ihr etwas von seinem Erpressungsversuch zu verraten«, sagt Tommy Kofoed.

»Wir wissen nicht, wie er Penelope erklären wollte, dass das Foto verschwunden ist«, meint Saga und lächelt. »Wahrscheinlich hat er in Panik gehandelt, wollte einen Schlussstrich unter die ganze Sache ziehen und hat gehofft, dass sich der Sturm verziehen würde, während sie sich auf seinem Boot in den Schären verstecken.«

Joona steht auf, geht zum Fenster und sieht hinaus. Eine Frau trägt ein Kind im Arm und schiebt einen Buggy mit Einkaufstüten auf dem Bürgersteig vor sich her.

»Am Morgen des nächsten Tages nimmt Penelope ein Taxi zum Fernsehsender, um an einer Diskussion teilzunehmen«, fährt Saga fort. »Sobald sie gegangen ist, begibt Björn sich in ihre Wohnung, greift sich das Foto, läuft zur U-Bahn-Station Slussen, fährt zum Hauptbahnhof, kauft in einem Laden einen Umschlag und eine Briefmarke, adressiert den Brief an Palmcrona, läuft zum Internetcafé und schreibt ihm eine letzte Mail, in der er ihm mitteilt, dass er das Foto in die Post gegeben hat. Anschließend fährt Björn in seine Wohnung, holt sein und Penelopes Gepäck und macht sich auf den Weg zu seinem Boot, dass im Motorbootclub auf Långholmen liegt. Als Penelope fertig ist, nimmt sie vom Karlaplan aus die U-Bahn und fährt vermutlich auf direktem Weg bis zur Haltestelle Hornstull, von wo aus sie das letzte Stück nach Långholmen zu Fuß geht.«

»Zu der Zeit hat der Killer bereits Björns Wohnung durchsucht und ein Feuer gelegt, bei dem die gesamte Etage zerstört wird.«

»Aber ich habe den Bericht gelesen … Der Brandermittler ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein vergessenes Bügeleisen in der Nachbarwohnung für das Feuer verantwortlich gewesen ist«, wendet Petter ein.

»Das ist sicher richtig«, sagt Joona.

»Genauso wie in Penelopes Wohnung eine Gasexplosion die Brandursache gewesen wäre«, ergänzt Saga.

»Der Profi hatte vermutlich den Plan, sämtliche Spuren zu vernichten«, fährt Joona fort. »Als er das Foto in Björns Wohnung nicht findet, brennt er sie nieder und folgt Björn zu dem Boot.«

»Um nach dem Foto zu suchen«, ergänzt Saga, »Björn und Penelope zu ermorden und das Ganze wie einen Bootsunfall aussehen zu lassen.«

»Nicht wissen konnte unser Mann allerdings, dass sich die Pläne in letzter Sekunde geändert hatten und Penelopes Schwester Viola das Paar auf der Jacht begleitete.«

Joona verstummt und denkt kurz an die tote Frau im Leichenschauhaus. An ihr junges, verletzliches Gesicht, das rote Mal auf dem Brustkorb.

»Ich stelle mir vor, dass die jungen Leute an irgendeiner Insel in der Bucht Jungfrufjärden vor Dalarö ankern«, fährt Joona fort. »Und bevor der Killer kommt, geht Penelope aus irgendeinem Grund an Land. Als der Killer an Bord von Björns Boot geht, begegnet er dort Viola. In dem Glauben, dass sie Penelope ist, ertränkt er sie in einem Zuber und setzt sie auf dem Bett im Vorpiek ab. Während er auf Björn wartet, sucht er wahrscheinlich nach dem Foto, und als er es nicht findet, bereitet er eine Explosion vor. Erixons Bericht liegt euch vor. An dieser Stelle wissen wir nicht genau, was passiert ist, jedenfalls gelingt es Penelope und Björn irgendwie, dem Killer zu entkommen.«

»Und das Boot mit der toten Viola Fernandez wird zurückgelassen.«

»Wir wissen nicht, wie sie fliehen, aber am Montag befinden sie sich jedenfalls auf Kymmendö.«

Es zuckt um Bennys Mundwinkel.

»Im Haus von Ossian Wallenberg? Er war wirklich verdammt gut, aber in diesem Land des Mittelmaßes war natürlich kein Platz für ihn.«

Carlos räuspert sich leise und gießt sich noch etwas Kaffee ein.

»Als der Killer erkennt, dass er die beiden verloren hat, begibt er sich zu Penelopes Wohnung, um dort nach dem Foto zu suchen«, fährt Joona fort, ohne eine Miene zu verziehen. »Erixon und ich tauchen auf und stören ihn. Erst in dem Moment, als ich ihm gegenüberstand, ist mir klar geworden, dass wir es mit einem Profi von internationalem Kaliber zu tun haben.«

»Er hat offensichtlich Zugang zu unseren Systemen, hört den Funkverkehr via RAKEL ab und so weiter«, bemerkt Saga.

»Hat er so Björn und Penelope auf Kymmendö gefunden?«, fragt Petter.

»Das wissen wir nicht«, antwortet Joona.

»Er handelt jedenfalls sehr schnell«, bemerkt Saga. »Wahrscheinlich ist er direkt nach der Konfrontation mit Joona und Erixon in Penelopes Wohnung nach Dalarö zurückgekehrt, um weiter nach ihr zu suchen.«

»Er ist also schon vor Ort, als ich mit der Wasserschutzpolizei spreche«, sagt Petter, lehnt sich über den Tisch und rückt das Blatt mit der Tagesordnung gerade.

»Was passiert dann?«, fragt Carlos.

»Wir haben mit der Rekonstruktion gerade erst begonnen«, antwortet Petter. »Aber irgendwie kapert er das Kampfboot der Wasserschutzpolizei, ermordet Lennart Johansson und Göran Sjödin, fährt nach Kymmendö, tötet Björn Almskog und Ossian Wallenberg, jagt das Polizeiboot in die Luft, verfolgt Penelope und schießt den Hubschrauber des Seenotrettungsdienstes ab.«

»Und verschwindet«, seufzt Carlos.

»Aber durch Petter Näslunds geschickte Einsatzleitung konnte Penelope Fernandez gerettet werden«, erklärt Joona und sieht, dass Pollock sich interessiert Petter zuwendet.

»Der exakte Ablauf muss natürlich noch detailliert untersucht werden«, sagt Petter mit einer Schroffheit in der Stimme, die seine Freude über das Lob nicht übertünchen kann.

»Das wird verdammt lange dauern«, sagt Kofoed.

»Aber was ist mit dem Foto? Es muss doch eine Bedeutung haben«, sagt Carlos.

»Es ist nur ein verdammtes Bild«, seufzt Petter.

»Sieben Menschen sind wegen dieses Fotos gestorben«, sagt Joona ernst. »Und weitere werden wahrscheinlich sterben, wenn wir nicht …«

Joona verstummt und blickt aus dem Fenster.

»Vielleicht ist dieses Foto wie ein Schloss, für das man einen Schlüssel braucht«, sagt er.

»Was denn für einen Schlüssel?«, fragt Petter.

»Den Fotografen«, antwortet Saga.

»Ist Penelope Fernandez die Fotografin?«, erkundigt sich Pollock.

»Das würde die Jagd auf sie erklären«, platzt Carlos heraus.

»Sicher«, bestätigt Saga zögernd.

»Aber?«, fragt Carlos.

»Was spricht dagegen?«, sagt Benny.

»Joona glaubt nicht, dass Penelope Fernandez die Fotografin ist«, antwortet Saga.

»Was zum Teufel«, ruft Petter.

Carlos schaut auf den Tisch und ist klug genug, sich jedes Kommentars zu enthalten.

»Penelope Fernandez steht natürlich unter Schock, sodass wir noch nicht wissen, welche Rolle sie in dem Ganzen spielt«, berichtet Saga.

Nathan Pollock räuspert sich und verteilt Kopien von Carl Palmcronas Testament.

»Palmcrona hat ein Konto bei einer Bank auf Jersey«, erzählt er.

»Die Steueroase«, kommentiert Petter Näslund und holt den Portionsbeutel Kautabak unter seiner Lippe hervor. Er wischt seinen Daumen am Tisch ab, ohne Carlos’ genervten Blick zu bemerken.

»Können wir herausbekommen, wie viel auf dem Konto ist?«, fragt Verner.

»Wir haben keine Möglichkeit, seine Transaktionen einzusehen«, sagt Joona, »aber laut Testament handelt es sich um neun Millionen Euro.«

»Seine finanziellen Verhältnisse sind ziemlich schlecht gewesen, und es ist nicht zu erklären, wie er solche Summen auf legale Art verdient haben soll«, sagt Pollock.

»Wir haben uns mit Transparency International in Verbindung gesetzt, der global agierenden Organisation, die Korruption bekämpft, aber denen liegt nichts gegen Carl Palmcrona oder jemand anderen bei der Staatlichen Kontrollbehörde vor, nicht einmal der Hauch eines Verdachts.«

»Das Vermögen wird einem sechzehnjährigen Jungen namens Stefan Bergkvist vermacht, bei dem es sich um Palmcronas Sohn handelt. Er ist ihm allerdings nie begegnet. Der Sohn kommt nur drei Tage nach Palmcronas Selbstmord bei einem Brand in Västerås ums Leben.«

»Der Junge hat nie erfahren, wer sein richtiger Vater ist«, fügt Saga hinzu.

»Dem vorläufigen Polizeibericht zufolge handelt es sich um einen Unfall«, sagt Carlos.

»Mag sein, aber glaubt hier wirklich jemand, dass das Feuer, das Carl Palmcronas Sohn drei Tage nach dessen Selbstmord getötet hat, ein Zufall ist?«, fragt Joona.

»Wie sollte es das sein?«, sagt Carlos.

»Aber das ist doch alles vollkommen krank«, sagt Petter. »Warum sollte jemand Palmcronas Sohn ermorden, dem der selbst nicht einmal begegnet ist?«

»Verdammt, worum geht es hier eigentlich?«, fragt Verner.

»Wer immer wieder auftaucht, ist Palmcrona«, sagt Joona und klopft mit dem Finger auf den lächelnden Mann auf dem Foto. »Er ist auf dem Bild, er wird erpresst, er wird erhängt aufgefunden, sein Sohn stirbt, und er hat neun Millionen Euro auf einem Bankkonto.«

»Das Geld ist interessant«, bemerkt Saga.

»Wir haben uns sein Leben angesehen«, erklärt Pollock. »Er hat keine Familie, keine Interessen, hat nichts investiert, besitzt keine Aktien …«

»Wenn dieses Geld sich wirklich auf seinem Bankkonto befindet, müssen die Einnahmen irgendwie mit seinem Posten als Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde zusammenhängen«, sagt Joona.

»Er könnte über Strohmänner Insidergeschäfte getätigt haben«, sagt Verner.

»Oder doch Schmiergelder angenommen haben«, schlägt Saga vor.

»Follow the money«, flüstert Pollock.

»Wir müssen mit Axel Riessen, Palmcronas Nachfolger, sprechen«, sagt Joona und steht auf. »Sollte es Unregelmäßigkeiten bei Palmcronas Entscheidungen geben, müsste er inzwischen darauf gestoßen sein.«

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