57 Unwetter

Joona Linna und Saga Bauer verlassen nach ihrer kurzen Begegnung mit Direktor Pontus Salman die Firma Silencia Defence. Sie haben ihm eine Falle gestellt. Aber Pontus Salman hat sie überrascht, indem er sich augenblicklich selbst identifiziert und die Umstände erläutert hat. Das Foto entstand im Frühjahr 2008 in einem Konzertsaal in Frankfurt. Das Geschäft war weit gediehen, als im Frühjahr 2009 etwas geschah, durch das es doch noch verhindert wurde. Salman schien vorauszusetzen, dass Joona Linna und Saga Bauer wussten, worauf er anspielte.

Er berichtete, dass es bei dieser einzigen Besprechung mit dem Sudan blieb, da für weitere Verhandlungen kein Spielraum mehr bestand.

»Begreifst du, wovon Salman gesprochen hat?«, fragt Joona. »Was ist 2009 passiert?«

Noch ehe sie auf den Nynäsvägen fahren, greift Saga Bauer nach ihrem Handy und ruft Simon Lawrence vom Staatsschutz an.

»Ich vermute mal, dass du nicht anrufst, um ein Rendezvous zu vereinbaren«, sagt Simon.

»Als unser Experte für Afrika nördlich der Sahara weißt du wahrscheinlich, was im Frühjahr 2009 im Sudan passiert ist.«

»Woran denkst du genau?«

»Schweden kann danach aus irgendeinem Grund keine Waffen mehr in den Sudan exportieren.«

»Liest du eigentlich keine Zeitung?«

»Doch«, antwortet sie leise.

»Im März 2009 hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Umar al-Bashir, den Präsidenten des Sudans, ausgestellt.«

»Gegen den Präsidenten?«

»Ja.«

»Keine Kleinigkeit.«

»Die Anklage bezog sich auf die direkten Befehle des Präsidenten zu Plünderungen, Vergewaltigungen, Zwangsumsiedlungen, Folter, Mord und Völkermord an drei Stämmen in Darfur.«

»Ich verstehe.«

Ehe sie das Gespräch beenden, hält Simon Lawrence ihr eine kurze Vorlesung über die Lage im Sudan.

»Und, worum ging es?«, erkundigt sich Joona.

»Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir erlassen«, sagt sie und wirft Joona einen langen Blick zu.

»Das wusste ich nicht«, gesteht er.

»Die Vereinten Nationen haben 2004 gegen die Dschandschawid und andere bewaffnete Gruppen in Darfur ein Waffenembargo beschlossen.«

Sie fahren auf dem Nynäsvägen in nördliche Richtung. Der Sommerhimmel bewölkt sich, und die Wolken hängen tief.

»Sprich weiter«, sagt Joona.

»Präsident al-Bashir hat stets jede Verbindung zur Miliz geleugnet«, erzählt sie. »Nach dem Embargo der Vereinten Nationen waren Exporte nur noch direkt an die sudanesische Regierung erlaubt.«

»Weil sie nicht mit der Miliz in Darfur in Verbindung stand.«

»Genau«, bestätigt Saga. »2005 wurde dann ein umfassender Friedensvertrag geschlossen, das Comprehensive Peace Agreement, mit dem der längste Bürgerkrieg Afrikas beendet wurde. Danach gab es keine prinzipiellen Gründe mehr, die gegen schwedische Waffenlieferungen an die sudanesische Armee gesprochen hätten. Carl Palmcronas Rolle bestand deshalb darin zu beurteilen, ob die Frage sicherheitspolitisch relevant war.«

»Aber der Internationale Strafgerichtshof kam offenkundig zu einer anderen Einschätzung«, bemerkt Joona.

»Ja, allerdings … dort sah man eine direkte Verbindung zwischen dem Präsidenten und der bewaffneten Miliz als erwiesen an und erließ einen Haftbefehl wegen Vergewaltigungen, Folter und Völkermord gegen ihn.«

»Was ist danach passiert?«

»Im April wurde gewählt, al-Bashir wurde in seinem Amt bestätigt, und der Sudan hat natürlich nicht die Absicht, sich nach dem Haftbefehl zu richten, aber nach Lage der Dinge ist es natürlich völlig ausgeschlossen, Waffen in den Sudan zu exportieren und Geschäfte mit Umar al-Bashir und Agathe al-Haji zu machen.«

»Genau wie Pontus Salman gesagt hat«, wirft Joona ein.

»Ja, deshalb haben sie das Geschäft abgebrochen.«

»Wir müssen Penelope Fernandez finden«, sagt Joona, während die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe des Autos treffen.

Sie fahren in ein Unwetter hinein, die Sicht wird sehr schlecht. Es gießt in Strömen, und der Regen trommelt laut auf das Autodach. Joona kann auf der Autobahn nicht schneller als fünfzig Stundenkilometer fahren. Es ist stockfinster, nur gelegentlich wird der Himmel vom Licht ferner Blitze erleuchtet. Die Scheibenwischer sausen hin und her.

Plötzlich klingelt Joonas Handy. Es ist Petter Näslund, sein direkter Vorgesetzter, der gestresst erklärt, Penelope Fernandez habe zwanzig Minuten zuvor in der Notrufzentrale angerufen.

»Warum habe ich davon nichts erfahren?«

»Ich fand, dass es Vorrang hatte, die Wasserschutzpolizei dorthin zu beordern, sie sind schon unterwegs. Ich habe aber zusätzlich noch einen Hubschrauber vom Seenotrettungsdienst angefordert, um sie möglichst schnell zu holen.«

»Gut, Petter«, sagt Joona und sieht, dass Saga ihm einen fragenden Blick zuwirft.

»Ich weiß, dass du Penelope Fernandez und Björn Almskog möglichst schnell vernehmen willst.«

»Ja«, erwidert Joona.

»Ich rufe dich wieder an, sobald ich weiß, in welchem Zustand sie sind.«

»Danke.«

»Die Kollegen von der Wasserschutzpolizei müssten Kymmendö eigentlich jeden Moment erreichen und … Moment mal, da ist was passiert, kannst du bitte kurz warten?«

Joona hört, wie Petter mit jemandem spricht, immer erregter klingt und schließlich schreit: »Dann versuch es eben immer wieder.«

»Ich muss Schluss machen«, erklärt Petter Joona kurzerhand.

»Was geht da vor?«, fragt Joona.

Ein Donner grollt und verebbt knisternd.

»Wir bekommen keinen Kontakt zu den Kollegen auf dem Boot, sie antworten nicht. Es ist dieser verdammte Lance, wahrscheinlich hat er irgendeine Welle gesehen, der er nicht widerstehen konnte.«

»Petter«, sagt Joona. »Hör mir bitte gut zu, du musst jetzt sehr schnell handeln. Ich glaube, dass das Boot gekapert wurde und …«

»Jetzt mach aber mal einen …«

»Halt’s Maul und hör zu.«

»Wahrscheinlich sind unsere Kollegen von der Wasserschutzpolizei schon tot. Du hast nur ein paar Minuten, um eine Einsatztruppe zusammenzustellen und deren Leitung zu übernehmen. Ruf auf dem einen Apparat die Landeskriminalpolizei an und auf dem anderen Bengt Olofsson, du musst versuchen, zwei Patrouillen von der Nationalen Antiterrortruppe zu bekommen, und bitte um Verstärkung durch einen Hubschrauber 14 vom nächstgelegenen Fliegerhorst.«

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