Saga hält ihr Handy ans Ohr und bleibt im Flur neben einem großen Plastikbehälter für Altpapier stehen. Geistesabwesend betrachtet sie die blattähnlichen Reste eines Schmetterlings, die auf dem Fußboden liegen und im Windzug der Belüftung zittern.
»Habt ihr in Stockholm eigentlich nichts anderes zu tun?«, fragt sie ein Mann mit einem starken gotländischen Akzent, als sie mit der Polizei von Södertälje verbunden wird.
»Es geht um Pontus Salman«, sagt sie.
»Mag sein, aber der ist schon weg«, erklärt der Polizist zufrieden.
»Was zum Teufel soll das heißen?«, fragt sie.
»Also, ich habe mit Gunilla Sommer gesprochen, der Psychologin, die mit ihm in die psychologische Notaufnahme gefahren ist.«
»Und?«
»Sie hatte nicht den Eindruck, dass er seine Selbstmorddrohung ernst meinte, also hat sie ihn gehen lassen, Therapieplätze sind ja nicht gerade gratis und …«
»Geben Sie eine Fahndung nach ihm heraus«, fällt Saga dem Mann ins Wort.
»Und weshalb? Wegen eines halbherzigen Selbstmordversuchs?«
»Finden Sie ihn einfach«, erwidert Saga und beendet das Gespräch.
Sie ist auf dem Weg zum Aufzug, als Göran Stone sich ihr mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellt.
»Du willst Pontus Salman vernehmen, stimmt’s?«, fragt er sie neckisch.
»Ja«, antwortet sie kurz und will weitergehen, aber er lässt sie nicht durch.
»Du brauchst nur mit dem Hintern zu wackeln«, sagt er, »und vielleicht ein bisschen deine Locken zu schütteln, und schon wirst du befördert oder …«
»Geh mir aus dem Weg«, sagt Saga wütend, rote Punkte flammen auf ihrer Stirn auf.
»Okay, ich bitte vielmals um Entschuldigung dafür, dass ich dir helfen wollte«, sagt Göran Stone beleidigt. »Aber wir haben gerade vier Streifenwagen zu Salmans Haus auf Lidingö geschickt, weil …«
»Was ist passiert?«, fragt Saga schnell.
»Die Nachbarn haben die Polizei gerufen«, antwortet er lächelnd. »Anscheinend haben sie ein bisschen Pengpeng und Schreie gehört.«
Saga stößt ihn zur Seite und läuft los.
»V ielen Dank, Göran«, ruft er ihr hinterher. »Du bist der Beste, Göran!«
Während sie Richtung Lidingö fährt, muss sie ständig daran denken, was passiert sein könnte, aber ihre Überlegungen vermischen sich immer wieder mit der Tonbandaufnahme von dem Mann, der weinend von seiner Tochter erzählt.
Saga nimmt sich vor, am Abend hart zu trainieren und früh zu Bett zu gehen.
Sie kommt nicht in den Roskullsvägen, weil zu viele Menschen auf der Straße sind, sodass sie ihren Wagen zweihundert Meter von Salmans Haus entfernt abstellen muss. Schaulustige und Journalisten drängeln sich an den blauweißen Absperrungsbändern und versuchen, einen Blick auf Salmans Haus zu werfen. Als sie sich durch die Menge zwängt, entschuldigt Saga sich mit gestresster Stimme. Die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge pulsieren über den grünen Bäumen. Ihre Kollegin Magdalena Ronander stützt sich an der dunkelbraunen Backsteinwand ab und übergibt sich. Pontus Salmans Auto steht in der Garagenauffahrt. Es ist ein weißer BMW, dessen Schiebedach fehlt. Kleine blutige Glasstücke liegen auf der Karosserie und rund um das Auto verteilt. Durch das blutverschmierte Seitenfenster erkennt man vage einen männlichen Körper.
Es ist Pontus Salman.
Magdalena blickt erschöpft auf, wischt sich den Mund mit einem Taschentuch ab und hält Saga auf, als diese auf die Haustür zustrebt.
»Nein, oh nein«, sagt sie heiser. »Du willst da auf keinen Fall reingehen.«
Saga bleibt stehen, wirft einen Blick in das große Haus, wendet sich Magdalena zu, um sie etwas zu fragen. Doch dann denkt sie nur noch daran, dass sie Joona anrufen und ihm mitteilen muss, dass sie keinen Zeugen mehr haben.