Stewe Billgren hat soeben zwölf schwer bewaffnete Polizisten durch die beiden Türen der Markthalle laufen sehen. Seit Mira mit dem Kollegen aus Gruppe fünf vor weniger als zehn Minuten in dem Gebäude verschwunden ist, hat er seine Pistole auf den nächstgelegenen Eingang gerichtet. Jetzt haben die beiden Verstärkung bekommen. Er richtet sich erleichtert auf und setzt sich auf den Fahrersitz des Wagens. Blaulicht huscht über die Wände weit unten an der Sturegatan. Stewe wirft einen Blick auf das Funkgerät, auf das bleiche Licht der RAKEL-Einheit, die auf dem gewöhnlichen Funkgerät vom Typ S70M sitzt. Plötzlich bemerkt er im Rückspiegel eine unerwartete Bewegung. In der Einfahrt zum Haus neben der Markthalle taucht ein roter Volvo auf, der langsam über den Bürgersteig auf die Straße fährt und rechts in die Humlegårdsgatan biegt. Der Wagen nähert sich von hinten, fährt an ihm vorbei und biegt direkt vor ihm in die Majorsgatan. Der helle Himmel spiegelt sich in den Scheiben, sodass er die Person am Steuer nicht erkennen kann. Er schaut erneut zum Platz hinauf und sieht die Einsatzleiterin in ihr Funkgerät sprechen. Als Stewe überlegt, dass er zu ihr gehen und sie nach Mira fragen könnte, fügen sich in seinem Kopf unerwartet eine Reihe von Beobachtungen zu einem Bild zusammen. Der Mann im roten Volvo ließ das Lenkrad los, um zu schalten, benutzte seinen linken Arm nicht. Seine schwarze Jacke glänzte. Sie war nass, denkt Stewe, während sein Herz schneller schlägt. Der linke Arm war nass, und im linken hinteren Fenster spiegelte sich der Himmel nicht. Der helle frühmorgendliche Himmel, der dafür sorgte, dass er das Gesicht des Fahrers nicht sehen konnte, wurde nicht reflektiert, weil dort kein Fenster war. Auf der Rückbank schimmerten Glassplitter. Jemand hatte das Fenster eingeschlagen, und der Arm des Fahrers war blutig. Stewe Billgren reagiert schnell und korrekt. Er ruft über Funk die Einsatzleiterin, während der rote Volvo die Majorsgatan hinauffährt. Als sie sich nicht meldet, beschließt er, die Verfolgung des verdächtigen Fahrzeugs aufzunehmen. Es ist keine bewusste Entscheidung, er reagiert nur und denkt plötzlich nicht mehr an seine eigene Sicherheit. Er lässt den zivilen Polizeiwagen an und schaltet. Als er in die Majorsgatan biegt, gibt der rote Volvo vor ihm Gas. Der Fahrer hat erkannt, dass er entdeckt worden ist. Die Reifen drehen kreischend durch und finden Halt. Beide Autos werden schneller, fahren die schmale Straße hinauf, an der neogotischen Dreifaltigkeitskirche vorbei und auf eine T-Kreuzung zu. Stewe wechselt in den vierten Gang, nähert sich von hinten, denkt, dass er neben den anderen Wagen gelangen und den Fahrer zum Anhalten zwingen muss. Die helle Fassade vor ihm kommt rasend schnell näher. Der Volvo biegt rechts in die Linnégatan ein, aber das Lenkrad wird so jäh herumgerissen, dass der Wagen auf den Bürgersteig und unter eine rote Jalousie gerät. Mit Wucht zertrümmert das Auto einige Tische eines Straßencafés. Splitterndes Holz und Metallteile wirbeln durch die Luft. Der linke Kotflügel hängt lose, schleift Funken sprühend über den Asphalt. Stewe folgt dem Volvo, gibt auf der schmalen Straße Gas, erreicht die Kreuzung, bremst und nimmt die Kurve, gerät dabei leicht ins Schleudern und holt einige Sekunden auf. Er schaltet erneut hoch und nähert sich dem roten Volvo von hinten. Beide Autos fahren mit hoher Geschwindigkeit die Linnégatan hinab. Der Kotflügel des Volvos fällt ab und flattert mit einem Knall gegen Stewes Windschutzscheibe. Er verliert kurz an Fahrt, gibt dann aber wieder Gas. Ein Taxi in einer Stichstraße hupt ihnen lang gezogen hinterher. Sie scheren beide auf die Gegenfahrbahn aus und überholen zwei langsamere Pkw. Stewe sieht flüchtig die falsch platzierten Straßensperren rund um den Östermalmstorg. Es haben sich bereits Schaulustige eingefunden. Am Historischen Museum wird die Straße breiter, und Stewe versucht erneut, über Funk Verbindung mit der Einsatzleitung zu bekommen.
»Zivilfahndung Wagen Alpha«, schreit er.
»Ich höre Sie«, antwortet eine Stimme.
»Ich verfolge ihn im Auto auf der Linnégatan in Richtung Djurgården«, ruft Stewe über Funk. »Er fährt einen roten Volvo, der …«
Stewe verliert die Mikrofoneinheit des Funkgeräts, die vor dem Beifahrersitz auf den Boden fällt, der Wagen kollidiert in diesem Moment mit einer Holzschranke vor einem Sandhaufen. Das rechte Vorderrad hebt ab, und Stewe lenkt nach links, und es gelingt ihm, an dem Loch vorbeizufahren, das im Asphalt ausgehoben wurde, dann lässt er das Lenkrad los, lenkt anschließend in die andere Richtung gegen, rutscht auf die Gegenfahrbahn, gewinnt die Kontrolle über das Auto zurück und gibt Gas.
Er jagt dem Volvo hinterher, zum zweispurigen Narvavägen hinunter, der die Linnégatan mit seiner grünen Allee kreuzt. Ein Bus wird von dem Volvo zu einer Vollbremsung genötigt und rutscht in die Kreuzung. Der hintere Teil bricht aus und schlägt gegen einen Laternenpfahl, der umstürzt. Ein anderer Autofahrer weicht dem Bus aus und fährt geradewegs in den Unterstand einer Bushaltestelle. Splitter von den Glaswänden wirbeln über Rasen und Bürgersteig. Eine Frau wirft sich zur Seite und fällt hin. Der Busfahrer versucht zu bremsen, die Reifen donnern auf eine Verkehrsinsel, das Dach reißt einen großen Ast von einem Laubbaum herunter.
Stewe verfolgt den Volvo in Richtung Berwaldhalle, fährt auf gleiche Höhe und sieht, dass der Fahrer eine Pistole auf ihn richtet. Er bremst, und gleichzeitig durchschlägt der Schuss das Seitenfenster und zischt zehn Zentimeter vor seinem Gesicht vorbei. Das gesamte Coupet ist voller wirbelnder Glassplitter. Der Volvo fährt gegen ein angekettetes Fahrrad mit einem Reklameschild für Lindas Café. Es knallt, und das Rad fliegt scheppernd über die Motorhaube und das Dach und segelt durch die Luft. Vor Stewe Billgrens Wagen schlägt es auf die Erde auf. Es klappert unter den Reifen, und der Wagen holpert darüber hinweg.
Sie fahren sehr schnell durch die steile Rechtskurve zum Strandvägen, direkt über die Verkehrsinsel zwischen den Bäumen. Stewe gibt am Ende der Kurve Gas. Die Reifen drehen auf dem Asphalt durch. Die Fahrt führt durch den einsetzenden Berufsverkehr, er hört scharfe Bremsgeräusche und einen dumpfen Aufprall. Unmittelbar darauf biegen sie links neben der Berwaldhalle ab, fahren über eine grasbewachsene Verkehrsinsel und in den Dag Hammarskjölds väg.
Stewe zieht seine Pistole und legt sie zwischen die Glassplitter auf dem Beifahrersitz. Er denkt, dass er den Volvo auf dem Djurgårdsbrunnsvägen einholen, sich von links nähern und versuchen wird, den Fahrer von schräg hinten unschädlich zu machen. Als sie an der amerikanischen Botschaft hinter ihrem hohen militärgrauen Zaun vorbeifahren, sind sie mit fast 130 Stundenkilometern unterwegs. Plötzlich verlässt der Volvo mit qualmenden Reifen die Straße und biegt unmittelbar hinter der norwegischen Botschaft links auf einen Fußgängerweg zwischen Bäumen ein. Stewe reagiert eine Sekunde zu spät und wird zu einer weiter ausholenden Kurve gezwungen, an einem Bus vorbei, über den Bürgersteig, den Rasen hinauf und durch einige flache Sträucher. Als er das Italienische Kulturinstitut umfährt, knallen seine Reifen gegen den Bordstein. Er überquert den Bürgersteig, rutscht nach links auf die Gärdegatan und sieht den Volvo sofort.
Der Wagen steht in etwa hundert Metern Entfernung auf der Straße, mitten auf der Kreuzung zur Skarpögatan.
Stewe erkennt durch die Heckscheibe schemenhaft den Fahrer. Er nimmt die Pistole vom Beifahrersitz, entsichert sie und fährt vorsichtig näher. Die Blaulichter einer ganzen Reihe von Streifenwagen tauchen hinter dem Gebäude des staatlichen Fernsehens auf dem Valhallavägen auf. Der schwarz gekleidete Mann verlässt den roten Volvo und läuft die Straße vor den Botschaften Deutschlands und Japans hinunter. Als Stewe Gas gibt, explodiert im selben Moment der Volvo in einem Ball aus Feuer und Rauch. Er spürt die Druckwelle auf seinem Gesicht, und der Knall schlägt ihm auf die Ohren. Als er auf den Bürgersteig hinauffährt, in den rußigen schwarzen Rauch hinein und über die brennenden Autoteile, ist die Welt auf einmal seltsam still. Er kann den Täter nirgendwo entdecken. Es gibt keine Fluchtwege. Er beschleunigt und fährt zwischen die hohen Zäune, bleibt stehen; als er das Ende der Straße erreicht, verlässt er den Wagen und läuft mit gezogener Waffe zurück.
Der Fahrer ist verschwunden. Die Welt ist immer noch still, aber jetzt rauscht es seltsam, als wäre es sehr windig. Stewe hat einen guten Überblick über die Straße mit den Botschaften hinter hellgrauen Stahlzäunen. Der Mann kann in der kurzen Zeit nicht weit gekommen sein. Er muss auf das Gelände einer Botschaft geflohen sein, mithilfe des Türcodes durch eine Pforte gelangt oder über einen hohen Zaun geklettert sein.
Menschen kommen auf die Straße, um zu sehen, was der Grund für die Explosion gewesen ist. Stewe hält Ausschau, geht ein paar Schritte, macht kehrt und sieht sich um. Auf einmal entdeckt er den Täter auf dem Gelände der deutschen Botschaft, in der Nähe des Hauptgebäudes. Er bewegt sich völlig unauffällig, öffnet die Tür zum Haupteingang und tritt ein.
Stewe Billgren senkt die Pistole, versucht, sich zu beruhigen, langsamer zu atmen. In seinen Ohren klingelt mittlerweile ein hoher Ton. Er weiß, dass die Polizei ausländische Botschaften nicht ohne Weiteres betreten darf, sodass er den Täter nicht einfach verfolgen kann. Er muss stehen bleiben, kann nichts tun, die Befugnisse der schwedischen Polizei enden am Tor zum Botschaftsgelände.