47 Die vierte Person

Saga Bauer fährt rechts heran. Das hohe Gras im Straßengraben schmiegt sich ans Fenster. Joona Linna sitzt vollkommen regungslos und betrachtet die Aufnahme.

Irgendetwas verdeckt den oberen Rand des Motivs, aber ansonsten ist das Bild gestochen scharf. Wahrscheinlich wurde das Foto heimlich gemacht.

Auf dem Foto sind vier Personen in der geräumigen Loge eines Konzertsaals zu sehen, drei Männer und eine Frau. Ihre Gesichter sind deutlich zu erkennen. Nur einer der Anwesenden hat sich vom Betrachter abgewandt, aber sein Gesicht ist nicht verdeckt.

In einem Sektkühler steht Champagner, und der Tisch ist so gedeckt, dass die vier essen, sich unterhalten und gleichzeitig der Musik lauschen können.

Joona erkennt sofort Carl Palmcrona, der ein schlankes Champagnerglas in der Hand hält, und Saga identifiziert zwei der drei anderen.

»Das hier ist Raphael Guidi, der Waffenhändler, der in dem Erpresserbrief erwähnt wurde«, erläutert sie und zeigt auf einen Mann mit schütterem Haar. »Und der hier, der etwas abgewandt steht, ist Pontus Salman, der Chef von Silencia Defence.«

»Waffen«, sagt Joona leise.

»Silencia Defence ist ein seriöses Unternehmen.«

Im Scheinwerferlicht auf der Bühne hinter den Männern in der privaten Loge sieht man ein Streichquartett, zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello. Die Musiker sind alle Männer. Sie sitzen in einem Halbkreis, einander zugewandt, mit ruhigen, lauschenden Gesichtern. Man kann nicht erkennen, ob ihre Lider gesenkt oder geschlossen sind, ob ihre Blicke auf den Noten ruhen oder ob die Musiker die Augen geschlossen haben, um den verschiedenen Stimmen zu lauschen.

»Wer ist die vierte Person, die Frau?«, fragt Joona.

»Ich komme gleich drauf«, antwortet Saga. »Ich kenne sie, aber … Verdammt …«

Saga verstummt, und ihr Blick verharrt auf dem Gesicht der Frau.

»Wir müssen herausfinden, wer sie ist«, sagt Joona.

»Ja.«

Saga lässt den Wagen an, und als sie auf die Straße fährt, fällt ihr die Antwort ein.

»Agathe al-Haji«, sagt sie schnell. »Sie ist die Sicherheitsberaterin von Präsident Umar al-Bashir.«

»Sudan«, sagt Joona.

»Ja.«

»Wie lange ist sie schon seine Beraterin?«, erkundigt sich Joona.

»Fünfzehn Jahre, vielleicht auch länger, ich erinnere mich nicht.«

»Und was soll nun so besonders an diesem Bild sein?«

»Keine Ahnung, nichts, ich meine … es ist nicht weiter seltsam, dass sich diese vier Leute treffen, um die Möglichkeiten für Geschäfte auszuloten«, erklärt Saga. »Im Gegenteil. Besprechungen dieser Art gehören dazu. Sie können ein erster Schritt sein. Man trifft sich, erzählt von seinen Plänen und bittet Carl Palmcrona möglicherweise um einen vorläufigen Bescheid.«

»Und ein positiver vorläufiger Bescheid bedeutet, dass die Kontrollbehörde höchstwahrscheinlich die endgültige Ausfuhrgenehmigung erteilen wird?«

»Genau, es ist zumindest ein Hinweis darauf.«

»Exportiert Schweden häufig Waffen in den Sudan?«, fragt Joona.

»Nein, das glaube ich nicht«, antwortet sie. »Wir werden mit jemandem sprechen müssen, der Spezialist für diese Region ist. Ich meine mich zu erinnern, dass China und Russland die größten Exporteure sind, aber das könnte sich auch geändert haben, denn im Sudan ist 2005 ein Friedensabkommen geschlossen worden, und ich nehme an, dass der Markt daraufhin geöffnet wurde.«

»Aber welche Bedeutung hat dieses Bild dann eigentlich? Warum führt es dazu, dass Carl Palmcrona sich das Leben nimmt? Das Einzige, was sich ihm entnehmen lässt, ist doch, dass er sich mit diesen Leute in einer Loge getroffen hat.«

Schweigend fahren sie auf der staubigen Autobahn nach Süden, während Joona das Foto betrachtet, es umdreht, die abgerissene Ecke mustert und nachdenkt.

»Dann ist das Bild also nicht weiter bedrohlich?«, fragt er.

»Nein, in meinen Augen jedenfalls nicht.«

»Hat Palmcrona sich das Leben genommen, weil er wusste, dass der Fotograf ein Geheimnis enthüllen wird? Vielleicht ist die Aufnahme nur eine Warnung. Sind Penelope und Björn womöglich wichtiger als das Foto?«

»Wir wissen rein gar nichts.«

»Doch, das tun wir«, widerspricht Joona. »Unser Problem ist, dass es uns nicht gelingen will, die Teile, die wir gefunden haben, zusammenzusetzen. Wir können weiterhin nur vermuten, wie der Auftrag des Profis lautet, aber es sieht ganz so aus, als hätte er nach diesem Foto gesucht, um es zu zerstören, und dass er Viola Fernandez in dem Glauben ermordet hat, sie wäre Penelope Fernandez.«

»Penelope könnte die Fotografin gewesen sein«, meint Saga. »Wahrscheinlich ist es so, aber es reicht dem Killer nicht, sie nur zu töten.«

»Richtig, das ist genau der Punkt, über den ich ständig nachdenken muss. Wir wissen nicht, was wichtiger ist … Ist das Bild eine Verbindung zum Fotografen, der als die eigentliche Bedrohung wahrgenommen wird? Oder ist der Fotograf eine Verbindung zu der Aufnahme, die als die wahre Bedrohung gesehen wird?«

»Das erste Ziel des Killers war Björns Wohnung.«

Daraufhin sitzen sie eine halbe Stunde schweigend nebeneinander und haben fast das Landeskriminalamt auf Kungsholmen erreicht, als Joona noch einmal einen Blick auf das Bild wirft. Die vier Personen in der Loge, das Essen, die vier Musiker auf der Bühne hinter ihnen, die Instrumente, der schwere Vorhang, die Champagnerflasche, die hohen Gläser.

»Ich schaue mir das Foto an«, sagt Joona »und ich sehe vier Gesichter … und ich denke, dass einer der Menschen in dieser Loge für den Mord an Viola Fernandez verantwortlich ist.«

»Ja«, meint Saga. »Palmcrona ist tot, sodass wir ihn eigentlich ausschließen können. Bleiben also nur noch drei … und zwei von ihnen werden wir nicht vernehmen können, weil sie weit außerhalb unserer Reichweite sind.«

»Wir müssen mit Pontus Salman sprechen«, sagt Joona.

»Sollen wir ihn zu einer Vernehmung vorladen?«

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