Der grauhaarige Leibwächter eilt weiter die Treppe hinunter, richtet die Waffe auf das Panoramafenster mit der Reihe Kugellöcher. Das Sturmgewehr raucht, leere Patronenhülsen hüpfen klirrend die Stufen hinunter.
Peter hat sich zusammengekauert und hält sich die Ohren zu.
Lautlos verlässt der Leibwächter durch eine Seitentür den Speisesaal.
Axel Riessen weicht mit Geige und Bogen in den Händen zwischen die Tische zurück. Raphael Guidi zeigt mit dem Messer auf ihn.
»Wie kannst du nur so verdammt bescheuert sein«, schreit er und folgt Axel. »Ich werde dir das Gesicht aufschlitzen, ich werde …«
»Papa, was ist los?«, ruft Peter.
»Hol meine Pistole und komm zum Hubschrauber, wir verlassen das Schiff!«
Der Junge nickt, er ist blass, sein Kinn zittert. Der Waffenhändler geht zwischen den Tischen auf Axel zu. Axel weicht zurück, kippt zwischen ihnen Stühle um.
»Lade sie mit Parabellum, Hohlspitzgeschosse«, sagt Guidi.
»Ein Magazin?«, fragt der Junge gefasst.
»Ja, das reicht, aber beeil dich!«, antwortet Raphael Guidi und tritt einen Stuhl fort.
Axel versucht, die Tür am hinteren Ende des Raums zu öffnen, dreht am Türknauf, aber sie klemmt.
»Du und ich, wir zwei sind noch nicht fertig miteinander«, brüllt der Waffenhändler.
Axel zerrt mit seiner freien Hand an der Tür, und sein Blick fällt auf einen hoch sitzenden Riegel. Guidi ist nur noch wenige Meter entfernt. Er nähert sich mit dem Messer, und Axel handelt instinktiv. Er dreht sich um und wirft die schöne Geige auf seinen Verfolger. Rot und glänzend wirbelt sie durch die Luft. Raphael Guidi macht einen schnellen Schritt zur Seite, bei dem er über einen liegenden Stuhl strauchelt, um das Instrument retten zu können, fängt sie fast, verliert sie jedoch wieder, schafft es aber dennoch, ihren Fall abzudämpfen.
Die Geige rutscht mit einem seltsamen Klang über den Boden.
Axel gelingt es, die Tür zu öffnen, und er rennt in einen Flur voller Müll, es ist so viel Gerümpel, dass er kaum durchkommt. Er klettert über einen Stapel Liegestuhlauflagen, stolpert durch Schnorchelbrillen und Taucheranzüge.
»Gleich habe ich dich«, sagt Raphael Guidi und folgt ihm mit der Geige in der einen Hand und dem Messer in der anderen.
Axel fällt über ein zusammengerolltes Tennisnetz, bleibt mit dem Fuß in den löchrigen Maschen hängen und versucht, sich kriechend Guidi zu entziehen, der mit großen Schritten näher kommt, während Axel strampelt, um freizukommen. Draußen ertönt Gewehrfeuer, eine knatternde Salve.
Raphael Guidi atmet schnell und zeigt mit dem Messer auf Axel, aber ehe er dazu kommt, etwas zu sagen, hat Axel sich befreit. Er rappelt sich auf, weicht zurück und kippt dem Waffenhändler eine große Tischfußballplatte vor die Füße. Er rennt zur nächstgelegenen Tür, seine Hände hantieren fahrig an Schloss und Klinke, irgendetwas blockiert die Tür, er stößt sie ein kleines Stück auf.
»Das hat keinen Sinn«, ruft Guidi.
Axel versucht, sich durch den Spalt zu pressen, der jedoch zu schmal ist. Ein großer Schrank mit gestapelten Tontöpfen steht im Weg. Er wirft sich nochmals gegen die Tür, und der Schrank bewegt sich einige Zentimeter. Axel spürt, dass Raphael Guidi hinter ihm näher kommt. Ihm läuft ein Schauer über den Rücken, und er stößt und presst seinen Körper durch den Türspalt. Er schürft sich die Haut am Schloss auf, aber das ist ihm egal, er muss raus.
Guidi versucht, ihn mit dem Messer zu erreichen, und sticht zu. Die Messerklinge schlitzt Axels Schulter auf.
Er spürt einen brennenden Schmerz.
Axel stolpert in einen hellen Raum mit Glasdecke, der wie ein verlassenes Gewächshaus aussieht. Er eilt hindurch, tastet seine Schulter ab, sieht das Blut auf den Fingern und läuft gegen einen verdorrten Zitronenbaum in einem Tontopf.
Er rennt weiter, duckt sich in den Gängen zwischen den Frühbeeten voller vertrockneter Pflanzen mit braunen Blättern.
Raphael Guidi tritt mit Wucht gegen die Tür, immer wieder und schwer stöhnend. Die Tontöpfe klappern, und der Schrank bewegt sich langsam.
Axel weiß, dass er sich verstecken muss, und kriecht rasch unter eine Arbeitsfläche, bewegt sich seitlich unter eine schmutzige Plastikplane und weiter zwischen Zubern und Eimern. Er hofft, dass Raphael Guidi bald aufgeben und die Jacht mit seinem Sohn verlassen wird.
Es hämmert an der Tür, Töpfe fallen herab und zerspringen.
Raphael Guidi betritt den Raum, atmet keuchend und stützt sich auf ein Spalier mit raschelnden Weinranken.
»Komm raus und küss meine Hand«, ruft der Waffenhändler.
Axel versucht, lautlos zu atmen, weicht kriechend zurück, dann versperrt ein großer Metallschrank ihm den Weg.
»Ich verspreche dir, meinen Teil der Abmachung zu halten,« sagt Guidi und sucht die Frühbeete mit den trockenen Stümpfen der toten Sträucher ab. »Die Leber deines Bruders wartet auf dich, und um sie zu bekommen, brauchst du nur meine Hand zu küssen.«
Axel ist schlecht, und er sitzt zitternd vor Angst mit dem Rücken zu dem Metallschrank. Sein Herz schlägt schnell. Er versucht, keinen Laut von sich zu geben. In seinem Kopf braust es. Er sieht sich um, sucht nach einem Fluchtweg und entdeckt, dass es nur fünf Meter entfernt eine Schiebetür zum Vordeck der Jacht gibt.
Er hört das Geräusch des Hubschraubers. Der Motor läuft warm.
Axel überlegt, dass er unter dem Tisch mit den Töpfen voller Erde hindurchkriechen und dann das letzte Stück laufen könnte. Er bewegt sich seitlich, ganz vorsichtig. Die Tür scheint nur mit einem Haken verriegelt zu sein.
Er hebt ein wenig den Kopf, um besser sehen zu können, denkt gerade, dass er in ein paar Sekunden auf dem Vordeck sein kann, als ihm plötzlich fast das Herz stehen bleibt. Die kalte Klinge eines Messers liegt an seinem Hals. Die Berührung mit der Schneide brennt leicht. Raphael Guidi hat ihn gefunden und sich hinterrücks angeschlichen. Adrenalin schießt durch Axels Körper. Als würde er von innen gekühlt. Erst jetzt hört er Guidis Atemzüge und riecht seinen Schweiß. Die Klinge ruht beißend an seiner Kehle.