79 Wenn es passiert

Joona Linna erwacht in seiner Wohnung in der Wallingatan. Er öffnet die Augen und blickt in den hellen Frühsommerhimmel hinaus. Er zieht nie die Vorhänge zu, bevorzugt das natürliche Licht.

Es ist früher Morgen.

Als er sich im Bett herumdreht, um weiterzuschlafen, klingelt das Telefon.

Noch ehe er sich aufsetzt und an den Apparat geht, ist ihm klar, worum es geht. Er greift nach dem Telefon, lauscht dem gestressten Bericht über die Entwicklung des Einsatzes, öffnet den Safe und holt seine Pistole heraus, eine silbrig glänzende Smith & Wesson. Der Tatverdächtige befindet sich in der Östermalm-Markthalle, und die Polizei hat soeben ohne durchdachte Strategie das Gebäude gestürmt.

Seitdem der Alarm ausgelöst wurde und der Täter in der Markthalle verschwand, sind erst sechs Minuten vergangen. Die Einsatzleitung versucht, das Vorgehen der Polizei zu koordinieren, das erweiterte Einsatzgebiet abzusperren und die einzelnen Gruppen zu verschieben, ohne die Bewachung von Penelope Fernandez zu vernachlässigen.

Eine neue Einsatzgruppe benutzt den Eingang an der Nybrogatan. Sie wenden sich nach links, am Süßwarenladen und den Tischen der Fischrestaurants mit den Stühlen darauf, an Kühltheken mit Hummern und Steinbutt auf zerstoßenem Eis vorbei. Man hört die schnellen Schritte der Beamten auf dem Fußboden, während sie geduckt weitereilen, sich verteilen und hinter Pfeilern in Deckung gehen. Während sie neue Anweisungen abwarten, hören sie vor sich in der Dunkelheit jemanden jammern, ein Kollege liegt hinter einer Fleischertheke schwer verletzt in seinem Blut.

Über den rußigen Scheiben an der Decke nimmt der Sommerhimmel allmählich Gestalt an. Miras Herz rast. Soeben sind zwei dumpfe Schüsse abgefeuert worden, gefolgt von vier schnellen Pistolenschüssen und zwei weiteren dumpfen Schüssen. Ein Polizist ist still, ein zweiter ist verletzt und ruft, dass er im Bauch getroffen wurde und Hilfe braucht.

»Hört mich denn keiner?«, wimmert er.

Mira beobachtet das Spiegelbild in der Glasscheibe, die Gestalt, die sich hinter einem Stand mit herabhängenden Fasanen und geräuchertem Rentierfleisch bewegt. Sie zeigt ihrem Kollegen an, dass schräg vor ihnen jemand ist. Er ruft die Einsatzzentrale und erkundigt sich leise, ob dort bekannt ist, dass sich ein Polizist im Mittelgang aufhält. Mira wischt sich den Schweiß von der Hand, nimmt erneut ihre Pistole und verfolgt die seltsamen Bewegungen mit den Augen. Sie nähert sich vorsichtig, zusammengekauert, presst sich seitlich gegen eine Gemüsetheke. Die Glock zittert in ihrer Hand, sie lässt sie herabsinken, atmet tief durch und nähert sich der Ecke. Ihr Kollege gibt ihr ein Zeichen. Er koordiniert einen Einsatz mit drei anderen Beamten, die von der Nybrogatan hereingekommen sind. Plötzlich wird mit einer Schnellfeuerwaffe auf das Restaurant geschossen. Mira hört das satte Seufzen, als eine Kugel die Platten aus Borcarbid in der Schutzweste eines Kollegen durchschlägt und in den weichen Körper eindringt. Die Patronenhülse aus der Schnellfeuerwaffe klirrt in ihrer unmittelbaren Nähe auf den Boden.

Der Profikiller sieht seinen ersten Schuss in die Brust des Polizisten eindringen und zwischen den Schulterblättern austreten. Noch ehe seine Beine einknicken, ist der Mann tot. Der Mörder beachtet den Beamten nicht mehr, als dieser zur Seite rutscht und im Fallen einen der Tische mitzieht. Ein kleiner Ständer mit Salz- und Pfefferstreuer fällt zu Boden, die kleinen Behälter rollen unter einen Stuhl.

Der Killer bleibt nicht stehen, sondern bewegt sich schnell weiter in die Halle hinein und begrenzt routiniert verschiedene Schusslinien. Er weiß, dass sich ein weiterer Polizist hinter einer Backsteinwand neben der Fischtheke verbirgt. Ein dritter nähert sich mit eingeschaltetem Waffenlicht in einem Gang mit herabhängenden Hasen und Hirschfleisch. Der Mann fährt herum und feuert zwei schnelle Schüsse ab, während er sich weiter auf den Eingang zur Küche des Fischrestaurants zubewegt.

Mira hört zwei weitere Schüsse und sieht den Körper ihres jungen Kollegen flattern und Blut aus der Austrittswunde am Rücken spritzen. Sein Sturmgewehr fällt zu Boden. Er stolpert rückwärts und fällt so haltlos, dass sich sein Helm löst und davonrollt. Der Lichtstrahl von seiner Waffe fällt direkt auf Mira. Sie rutscht weg und kauert sich auf dem Fußboden neben dem Obststand zusammen. Plötzlich wird die Markthalle von vierundzwanzig Polizisten gestürmt, durch jeden Eingang kommen sechs. Sie versucht, Bericht zu erstatten, bekommt aber keinen Kontakt. In der nächsten Sekunde sieht sie den Täter nur zehn Meter entfernt. Er bewegt sich mit eigentümlicher Schnelligkeit und geschmeidiger Exaktheit. Er will in die Küche des Fischrestaurants, als Mira ihre Glock hebt, zielt und drei Schüsse auf ihn abfeuert.

Als er durch die Pendeltüren in die dunkle Küche tritt, trifft eine Kugel den linken Oberarm des Killers. Er läuft an der sauberen Bratfläche vorbei, reißt einige Metallschüsseln herunter und eilt zu einer schmalen Stahltür. Er spürt warmes Blut über seinen Handrücken laufen. Die Pistolenkugel hat größeren Schaden angerichtet. Es muss sich um ein Hohlspitzgeschoss gehandelt haben, und ihm wird klar, dass sein Arm hinten stark zerfetzt ist, die Arterie jedoch nicht getroffen wurde. Ohne stehen zu bleiben oder die Verletzung zu untersuchen, öffnet er die Tür zu einem Warenaufzug, durchquert diesen, öffnet die andere Aufzugtür, gelangt in einen engen Gang und tritt eine graue Blechtür auf. Er kommt auf einen asphaltierten Innenhof mit acht parkenden Autos. Die hohe Wand der Markthalle ist gelb und vollkommen glatt. Wie die Rückseite einer Kulisse. Er klappt den Kolben seines Gewehrs ein, läuft zu einem älteren roten Volvo ohne Wegfahrsperre, tritt das hintere Seitenfenster ein, streckt sich hinein und öffnet die Fahrertür. Aus dem Inneren der Markthalle dringt Maschinengewehrfeuer zu ihm hinaus. Er setzt sich, bricht die Verkleidung um den Zündschlosskolben auf, kappt das Lenkradschloss, reißt den hinteren Teil des Zündschlosses weg und lässt das Auto mithilfe einer Messerklinge an.

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