Joona läuft durch die Ankunftshalle des Flughafens Vanda vor den Toren Helsinkis, als sein Telefon klingelt.
»Saga, was ist los?«
»Pontus Salman ist tot, er sitzt im Auto vor seinem Haus, es sieht so aus, als hätte er sich erschossen.«
Joona gelangt ins Freie, geht zum ersten Taxi in der Schlange, sagt dem Fahrer, dass er zum Hafen muss, und setzt sich nach hinten.
»Was hast du gesagt?«, fragt Saga.
»Nichts.«
»Wir haben keinen Zeugen mehr«, meint Saga. »Was zum Teufel sollen wir jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht«, erwidert Joona und schließt für einen Moment die Augen.
Er spürt die Bewegungen des Autos, ein sanftes Federn, Schaukeln. Das Taxi verlässt das Flughafengelände, beschleunigt und fährt auf die Autobahn auf.
»Du kannst nicht ohne Verstärkung zu Guidis Jacht hinausfahren …«
»Das Mädchen«, sagt Joona plötzlich.
»Was?«
»Axel Riessen hat mit einem Mädchen Geige gespielt«, sagt Joona und öffnet seine grauen Augen. »Sie könnte etwas gesehen haben.«
»Wie kommst du darauf?«
»Da stand ein Löwenzahnstängel, eine Pusteblume in einem Whiskyglas …«
»Wovon redest du eigentlich, verdammt noch mal?«, fragt Saga.
»Versuch einfach, sie zu finden.«
Joona lehnt sich zurück und denkt an Axel Riessen zurück, der mit seiner Geige in der Hand im Garten stand, als das Mädchen mit einem Strauß Löwenzahn kam. Dann erinnert er sich nochmals an die Pusteblume, deren Stängel über den Rand des Whiskyglases in Axel Riessens Schlafzimmer hing. Sie ist da gewesen, gut möglich also, dass sie etwas gesehen hat.
Joona geht an Bord des grauen Küstenpatrouillenboots Kirku, das die finnische Marine sechs Jahre zuvor von der Küstenwache übernehmen durfte. Als er Pasi Rannikko, dem Kapitän des Schiffs, die Hand gibt, wandern seine Gedanken augenblicklich zu Lennart Johansson von der Wasserschutzpolizei auf Dalarö, dem leidenschaftlichen Surfer, der sich Lance nannte.
Pasi Rannikko ist genau wie Lance ein junger, braun gebrannter Mann mit hellblauen Augen. Im Gegensatz zu Lance nimmt er seinen Posten jedoch ausgesprochen ernst. Der überraschende Auftrag außerhalb der finnischen Hoheitsgewässer bereitet ihm offensichtlich Sorge.
»Ich kann an diesem Ausflug nichts Gutes finden«, bemerkt er trocken. »Aber mein Befehlshaber ist ein Kumpel Ihres Chefs … und das hat offenbar gereicht.«
»Ich rechne damit, dass wir die Entscheidung des Staatsanwalts bekommen, während wir unterwegs sind«, sagt Joona und spürt die Vibrationen, als das Schiff vom Pier ablegt und geschmeidig Kurs aufs offene Meer nimmt.
»Sobald Sie Ihren Haftbefehl haben, setze ich mich mit der FNS Hanko in Verbindung. Das ist ein Flugkörperschnellboot mit zwanzig Offizieren und sieben Wehrpflichtigen.«
Er zeigt Joona die Position des Schiffs auf dem Radarschirm.
»Es kann eine Geschwindigkeit von bis zu 35 Knoten erreichen, sodass es nicht einmal zwanzig Minuten braucht, bis es uns eingeholt hat.«
»Gut.«
»Raphael Guidis Jacht hat Dagö hinter sich gelassen und befindet sich ein gutes Stück vor Estland … Ich hoffe, es ist Ihnen bewusst, dass wir in estnischen Gewässern nicht an Bord eines Schiffes gehen können, wenn es sich nicht um einen Notfall oder offen kriminelle Aktivitäten handelt.«
»Ja«, antwortet Joona.
Mit grollenden Maschinen verlässt das Boot das Hafengelände.
»Da kommt die komplette Besatzung«, sagt Pasi Rannikko.
Ein Hüne mit einem blonden Bart steigt die Treppe zur Kommandobrücke hinauf. Er ist er erste und einzige Steuermann und stellt sich als »Niko Kapanen, wie der Eishockeyspieler« vor. Er schielt zu Joona hinüber, kratzt sich am Bart und fragt behutsam:
»Was wirft man diesem Guidi eigentlich vor?«
»Freiheitsberaubung, Mord, Polizistenmord, Waffenschmuggel«, antwortet Joona.
»Und Schweden schickt einen einzigen Polizisten?«
»Ja«, erwidert Joona und lächelt.
»Und wir stellen einen unbewaffneten alten Kahn zur Verfügung.«
»Sobald uns das Okay der Staatsanwaltschaft vorliegt, haben wir fast einen Zug Männer«, erklärt Pasi Rannikko. »Ich rede mit Urho Saarinen von der Hanko, und er ist in zwanzig Minuten bei uns.«
»Aber was ist mit einer Inspektion«, sagt Niko. »Wir dürfen doch verdammt noch mal ein Schiff inspi– …«
»Nicht in estnischen Gewässern«, unterbricht Pasi Rannikko ihn.
»Zum Kotzen«, brummt Niko.
»Das wird schon«, sagt Joona.