Joona Linna geht im Laufschritt durch den Flur zum Büro des Leiters der Landeskriminalpolizei, um ihm von Björn Almskogs Mail an Carl Palmcrona zu erzählen. Zu seinem Erstaunen steht die Tür weit offen. Carlos Eliasson schaut aus dem Fenster, setzt sich dann jedoch wieder an seinen Schreibtisch.
»Sie steht immer noch da«, sagt er.
»Wer?«
»Die Mutter der jungen Frauen.«
»Claudia Fernandez?«, fragt Joona und tritt ans Fenster.
»Sie steht da jetzt schon seit einer Stunde.«
Joona blickt hinaus, kann sie jedoch nicht sehen. Ein Vater in einem dunkelblauen Anzug geht mit einer Königskrone auf dem Kopf zusammen mit einem Mädchen in einem rosa Prinzessinnenkleid vorbei.
Dann sieht er, praktisch direkt gegenüber vom Haupteingang zum Landeskriminalamt, eine Frau mit hängenden Schultern neben einem schmutzigen Mazda Pick-up stehen. Es ist Claudia Fernandez. Sie steht einfach nur ganz still da, den Blick auf das Foyer des Polizeigebäudes gerichtet.
»Ich bin hingegangen und habe sie gefragt, ob sie auf jemanden wartet, ich dachte, du hättest vielleicht vergessen, dass ihr euch treffen wolltet …«
»Nein«, sagt Joona leise.
»Sie meinte, sie warte auf ihre Tochter, auf Penelope.«
»Carlos, wir müssen reden …«
Ehe Joona dazu kommt, von Björn Almskogs Mail zu erzählen, klopft es leise an die Tür, und Verner Zandén, der Leiter der Abteilung Sicherheitsmaßnahmen beim Staatsschutz, tritt ein.
»Guten Tag«, sagt der große Mann und gibt Carlos die Hand.
»Herzlich willkommen«, sagt Carlos.
Verner begrüßt Joona und blickt sich anschließend im Raum um, als suche er etwas.
»Wo ist denn Saga abgeblieben?«, fragt er mit seiner Bassstimme.
Im selben Moment tritt Saga langsam durch die Tür. Ihre zartgliedrige, helle Gestalt scheint das silbrige Schimmern des Aquariums widerzuspiegeln.
»Ich hab gar nicht gemerkt, dass du langsamer warst als ich«, sagt Verner und lächelt.
Carlos wendet sich Saga zu, scheint aber nicht so recht zu wissen, wie er sich verhalten soll, ob es eventuell unpassend sein könnte, einer Elfe die Hand zu geben. Er entscheidet sich dafür, einen Schritt zurückzuweichen und die Arme in einer einladenden Geste auszubreiten.
»Herein in die gute Stube«, sagt er mit etwas zu lauter Stimme.
»Danke«, erwidert sie.
»Joona Linna sind Sie ja schon begegnet.«
Saga steht mit ihren glänzenden, taillenlangen Haaren vor Carlos, aber ihre Augen sind hart, die Kiefer fest geschlossen. Die scharf gezeichnete Narbe, die durch ihre Augenbraue läuft, leuchtet kalkweiß in ihrem Gesicht.
»Fühlt euch wie zu Hause«, ruft Carlos, und es gelingt ihm, fast jovial zu klingen.
Saga nimmt steif auf dem Stuhl neben Joona Platz. Carlos legt eine Hochglanzbroschüre mit dem Titel »Strategien für kooperierende Abteilungen« auf den Tisch. Verner hebt scherzhaft die Hand wie ein Schuljunge, ehe seine tiefe Stimme im Raum ertönt:
»Offiziell sind diese Ermittlungen Sache des Staatsschutzes«, erklärt er, »aber ohne die Landeskripo und Joona Linna wäre uns bei dem Fall kein Durchbruch gelungen.«
Verner zeigt auf die Broschüre, und Saga Bauers Gesicht läuft knallrot an.
»Einen Durchbruch würde ich das nicht direkt nennen«, murmelt sie.
»Was?«, fragt Verner laut.
»Joona Linna hat nur einen Handabdruck und die Reste eines Fotos gefunden.«
»Und du hast … Zusammen mit ihm hast du die Information besorgt, dass Penelope Fernandez lebt und verfolgt wird. Ich sage nicht, dass es nur sein Verdienst war, aber …«
»Scheiße, das ist doch total krank«, schreit Saga und fegt alle Papiere vom Tisch. »Verdammt, wie zum Teufel könnt ihr hier sitzen und ihn loben, er durfte überhaupt nicht da sein, er durfte nicht einmal wissen, dass Daniel Marklund …«
»Aber er wusste es nun einmal und war da«, unterbricht Verner sie.
»Dieses ganze Material unterliegt verdammt noch mal der Geheimhaltung«, fährt sie fort.
»Saga«, sagt Verner streng. »Du solltest auch nicht dort sein!«
»Nein, aber sonst wäre alles …«
Sie verstummt abrupt.
»Können wir unsere Unterhaltung jetzt fortsetzen?«, fragt Verner.
Sie sieht ihren Chef einen Moment an, ehe sie sich Carlos zuwendet.
»Entschuldigen Sie bitte, es tut mir leid, dass ich wütend geworden bin.«
Sie bückt sich und fängt an, die herumliegenden Papiere vom Fußboden aufzuheben. Ihre Stirn ist voller zorniger roter Punkte. Carlos bittet sie, die Blätter liegen zu lassen, aber Saga hebt alle auf, sortiert sie und legt sie auf den Tisch zurück.
»Es tut mir furchtbar leid«, wiederholt sie.
Carlos räuspert sich.
»Wir hoffen trotzdem, dass Joona Linnas Beitrag, oder wie man es nennen will, für euch ein Argument ist, ihn gemeinsam mit euch ermitteln zu lassen«, sagt er.
»Aber jetzt mal im Ernst«, sagt Saga zu ihrem Chef. »Ich will wirklich nicht negativ sein, aber ich begreife einfach nicht, warum wir Joona Linna in unsere Ermittlungen einbinden sollen, wir brauchen ihn nicht. Ihr redet von einem Durchbruch, aber ich finde, das stimmt nicht …«
»Ich kann Saga verstehen«, sagt Joona bedächtig. »Ich bin mir sicher, dass ihr den Handabdruck und die Ecke des Fotos auch ohne meine Hilfe gefunden hättet.«
»Mag sein«, sagt Verner.
»Darf ich jetzt gehen?«, fragt Saga ihren Chef und steht auf.
»Aber es gibt etwas, was ihr nicht wisst«, fährt Joona fort. »Und zwar, dass Björn Almskog am Tag von Violas Ermordung heimlich Kontakt zu Carl Palmcrona aufgenommen hat.«
Es wird totenstill im Raum. Saga setzt sich vorsichtig wieder hin. Verner lehnt sich vor, verarbeitet das Gehörte und räuspert sich.
»Es soll einen Zusammenhang zwischen Carl Palmcronas und Viola Fernandez’ Tod geben?«
»Joona?«, fragt Carlos.
»Ja, es gibt eine Verbindung zwischen den beiden Todesfällen«, bestätigt dieser.
»Die Sache ist größer, als wir dachten«, flüstert Verner. »Das ist eine große Sache …«
»Gute Arbeit«, sagt Carlos aufgeregt.
Saga Bauer hat die Arme verschränkt und sieht zu Boden. Auf ihrer Stirn sind erneut kleine rote Punkte aufgetaucht.
»Joona«, sagt Carlos und räuspert sich vorsichtig. »Ich kann Petter nicht übergehen, er wird weiter unsere Ermittlungen leiten, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dich an den Staatsschutz auszuleihen.«
»Was sagst du dazu, Saga?«, fragt Joona.
»Die perfekte Lösung«, antwortet Verner schnell.
»Ich leite die Ermittlungen.« Saga steht von ihrem Stuhl auf und verlässt den Raum.
Verner entschuldigt sich und folgt ihr.
Joonas graue Augen leuchten eisig. Carlos bleibt auf seinem Stuhl sitzen, räuspert sich und sagt schließlich:
»Sie ist jung, und du wirst versuchen müssen … Ich meine, ein bisschen nett zu sein, auf sie aufzupassen.«
»Ich glaube, Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen«, antwortet Joona kurz.