Die Hochlandhexe

Erstes Kapitel

Es mag jetzt 35 Jahre her sein – erzählte mir einst Frau Martha Bethune Baliot, eine wackere Schottin, zu der meine Familie in nahen Beziehungen stand –, da begab ich mich auf eine Tour nach den Hochlanden, um mich von Herzeleid freizumachen, das vor ein paar Monaten durch schweres Unglück in meiner Familie über mich gekommen war. Solche Touren kamen damals auf. Aber man meine nicht, daß man zu jener Zeit, wenn auch die Heerstraße in ganz gutem Zustande war, die Bequemlichkeiten gefunden hätte, wie sie der Tourist von heute verlangt, und auch überall findet. Damals galten solche Touren, trotzdem sie, wie gesagt, in Aufnahme kamen, noch für höchst abenteuerliche Unternehmungen für Männer, geschweige Frauen, und wohl jeder nur halbwegs vorsichtige Mensch pflegte, bevor er sie antrat, sein Testament zu machen. Zudem empfand damals wähl auch so ziemlich noch jeder, der das Wort »Hochlande« vernahm, ein gewisses Gruseln, trotzdem dort damals im Grunde genommen schon ganz dieselbe Ordnung und Ruhe herrschte wie in irgendwelchem anderen der zur Krone König Georgs gehörigen Reiche, waren doch noch immer nicht wenige Menschen vorhanden, die den Aufstand vom Jahre 1745, wenn auch vielleicht nicht mitgemacht, so doch miterlebt hatten.

Kein Wunder, daß noch immer mancher, den der Weg zur Stirling-Feste hinaufführte, von ihren Türmen mit Grausen nach Norden hin den Blick lenkte auf die große Bergkette, die sich dort wie eine finstere Mauer erhebt und in ihren Gründen und Schluchten ein Volk beherbergt, das in Tracht, Sprache und Sitte von seinen Stammesgenossen in den Niederlanden solch starte Abweichungen aufweist.

Was indessen meine weibliche Wenigkeit anbetrifft, so darf ich hier sagen, daß ich aus einem Geschlecht stamme, welches für Furcht, die ihre Ursache bloß in der Phantasie hat, wenig oder keinen Sinn hat. Es lebte Verwandtschaft von mir in den Hochlanden, auch hatte ich dort Bekanntschaft mit mehreren angesehenen Familien oder, wie es dort heißt, »Sippen«. Ich trat also, ohne daß ich andere Begleitung als meine Zofe mitgenommen hätte, furchtlos die Reise an.

Indessen darf ich nicht vergessen, meines Führers und Cicerone zu erwähnen, der eine nicht unbedeutende Ähnlichkeit mit Greatheart in Bunyans »Pilgerreise« hatte. Er war der Lenker der Postkutsche, mit der ich fuhr, Donald Mac Leish mit Namen, den ich in Stirling gedungen hatte, zusammen mit ein paar Pferden, die ihm an Kraft und Stattlichkeit nichts nachgaben. Postillon und Pferde sollten mich mit meiner Zofe überallhin fahren, so war es in dem Vertrage, den wir mündlich geschlossen hatten, ausgemacht worden, wohin es mir passen würde.

Donald Mac Leish gehörte zu jener Klasse von Postillonen, die durch Dampfschiff und Eisenbahn wohl aus der Verkehrswelt gedrängt worden, also jetzt ausgestorben sein mögen.

Man traf sie hauptsächlichen Perth, Stirling und Glasgow. Dort wurden sie zu Geschäfts- oder Vergnügungsfahrten, die nach dem Lande der Gälen unternommen wurden, gemietet.

Sie glichen in Charakter und Wesen dem heutigen Zugführer der Eisenbahn oder dem Schiffskapitän auf Dampfbooten. Gleichwie diesen von ihren Direktionen die »Tour« vorgeschrieben wird, so damals dem sogenannten »Postillon«. Er notierte die Länge der »Tour«, die »Stationen«, die gemacht werden sollten, kurz alles, was für: die jeweilige Reise in Betracht kam und Berücksichtigung herrschte, und nach diesem schriftlich festgelegten »Itinerar« richtete er sich mit derselben unverbrüchlichen Genauigkeit, wie seine Nachtreter auf modernem Verkehrsgebiete.

Donald Mac Leish war nicht bloß ein fürsorglicher, sondern auch ein vorsichtiger Postillon. Er konnte auf den Tag voraussagen, wann in Tyndrum oder Glenuilt ein Lamm geschlachtet würde, wann sich also der Reisende und wo eines christlichen Mittagessens zu versehen hätte. Er wußte bis auf die Meile das letzte Dorf, wo man Weizenbrot bekam. Er konnte bis auf den Zoll angeben, welche Seite von den Brücken im Hochlande passierbar und welche nur mit Lebensgefahr passierbar sei: keine geringe Wissenschaft in einem Lande, wo man vor fünfzig Jahren noch, und zwar im schönsten Teile, die gruselige Warnungstafel traf: »Rechts halten! Links zu gehen oder zu fahren ist gefährlich!«

Kurzum, Donald Mac Leish war uns nicht bloß ein treuer Begleiter und handfester Diener, sondern auch ein bescheidener, rücksichtsvoller Freund, der uns stündlich zu Dank verpflichtete. Ich habe in Italien den halb und halb klassischen Cicerone, in Frankreich den geschwätzigen Valet de place, in Spanien den bedächtigen, auf seine persönliche Ehre übererpichten Maultiertreiber (und »Maisfresser!«) kennen gelernt, aber der »Hochlandspostillon« in Schottland ist und bleibt mir der liebste von allen: derb und grob, aber ehrlich und treu!

Die Einteilung unserer Fahrt, desgleichen in welcher Richtung wir fuhren, unterstand natürlich Mac Donalds Ermessen, und nicht selten kam es vor, daß wir bei schönem Wetter an Punkten Station machten, wo keine Station gelegen war. Dann rasteten wir und stärkten wir uns unter einer Klippe, von der ein Wasserfall in die Tiefe schoß, oder am Rande einer durch grünen Rasen oder zwischen wilden Rosen fließenden Quelle. Für solche Plätzchen besaß Mac Donald Leish ein vorzüglich geschultes Auge: und wenngleich er ganz gewiß niemals in seinem Leben einen Blick in den Gilblas oder Don Quixote getan hatte, so wählte er doch immer solche Stellen zur Rast, die sich weder ein Lesage noch ein Cervantes hätte entgehen lassen.

Mac Donald Leish besaß noch eine andere, für einen Postillon in solch romantischem Lande nicht gering zu schätzende Eigenschaft: er war imstande, allen Schaden zu kurieren, der ein Pferd unterwegs treffen konnte, und besaß die Fertigkeit, jede irgendwie, sich einstellende Reparatur an seiner Postkutsche ohne fremde Beihilfe vorzunehmen. Sogar für einen Deichsel- oder Radbruch führte er das notwendige Werkzeug und die notwendigen Ersatzteile im Wagenkasten mit.

Aber auch für geistige Speise verstand er Zu sorgen. Jawohl, für geistige Speise! Dieser Donald Mac Leish war wirklich »ein ganzer Kerl«, mit Respekt zu sagen. Alle Sagen und Mären des von ihm so viel befahrenen Landes kannte er genau, und auf die geringste Anregung hin war er mit Erzählen bei der Hand. Desgleichen kannte er jedes Plätzchen jeden Weg und Steg, wo solche Sagen und Mären spielten, und jeden Ort und jede Schlucht, die der Schauplatz von Kriegen und Fehden der Clans gewesen oder wo in den Grenz- und in den Unabhängigkeitskriegen Kämpfe stattgefunden hatten oder Schlachten geschlagen worden waren.

In seiner Ausdrucksweise lag etwas Urwüchsiges, tief zum Herzen Sprechendes: man fühlte, daß er verwachsen war mit seinem Stoffe, daß er aufging in der Liebe zu seiner schönen Heimat, und er bot hierin einen merkwürdigen Gegensatz zu den vielen anderen Genossen im Berufe, die ihre Stärke in Menschenkenntnis und Geriebenheit, seinen Nächsten auszubeuten, suchen. Ich muß wirklich sagen, daß mir die Unterhaltung mit ihm während der Fahrt keinen geringen Genuß verschaffte.

Da er bald, herausfand, daß es mir ein Vergnügen war, mich mit ihm und mit Landsleuten von ihm auszusprechen, richtete er es oft so ein, daß wir in der Nähe einer Hütte Rast machten, in welcher noch irgend ein alter Gäle hauste, dessen Degen bei Falkirk oder Preston im Sonnenschein geglitzert hatte, und der als ein, wenn auch schwaches, so doch wahrhaftiges Zeugnis für verwichene Zeiten gelten konnte.

Oder er wußte es einzurichten, daß wir Einkehr in einem Pfarrhause oder bei einer Familie der besseren Stände, die ihr Heim »draußen im Felde« aufgeschlagen, halten konnten: bei Leuten also, die mit den alten Ursitten von Einfachheit und Gastfreundschaft jene Ureigenschaft höflicher Verkehrsweise verbanden, die ,dem schottischen Bergvolke als heilig gilt, dessen niedrigste Klassen sich in solchem Lichte anzusehen Pflegen, daß sie, wie der Spanier zu sagen pflegt, »als Edelleute, wenn auch an Reichtum nicht, so doch an Ansehen gleichstehen«.

Wir hatten den größeren Teil des Vormittags in dem lieblichen Dorfe Dalmally zugebracht und hatten uns von dem wackeren Pfarrer von Glenorquhy auf den See hinausfahren lassen. Sagen über Sagen hatte er uns erzählt von den finsteren Clan-Häuptlingen des Loch Awe, von Duncan mit der groben Wollmütze und von anderen Gebietern über, die jetzt verfallenen Türme von Kilchurn. Von Dalmally waren wir über den furchtbaren Cruachan-Ben gefahren, der mit wilder Felsenmajestät in das Meer hineinragt und bloß Raum für einen einzigen Paß läßt, in welchem der kriegerische Clan Mac Dougal, von Lorn durch den großen Schlachtenheld Robert Bruce, »den Wellington seines Zeitalters«, nahezu vernichtet wurde. Die Unzahl der über den Gräbern der Erschlagenen errichteten Steinhaufen, an der westlichen Seite des Passes sichtbar, gibt noch heute Zeugnis von der furchtbaren Rache, die Robert Bruce an seinen und seines Hauses Feinden zu nehmen gewohnt war. Das Gemetzel muß um so wilder gewesen sein, als der tiefe und reißende Awe die Flucht unmöglich machte. Seinem Laufe folgten wir auf der Fahrt um den Riesen Cruachan-Ben herum, ließen also den majestätischen See hinter uns, welchem der wilde Gießbach entströmt. Die auf der rechten Wegseite senkrecht abfallenden Felsen bargen nur spärliche Reste von dem Walde noch, der sie einst bedeckte. Wie Donald Mac Leish erzählte, wären sie abgeholzt worden, weil die Stämme in den Hüttenwerken von Bunave zur Speisung des Feuers gebraucht würden. Eine große Eiche links vom Flusse, an die man die Axt noch nicht gelegt hatte, fesselte darum unser Interesse um so mehr. Es war ein Stamm von ungewöhnlicher Höhe und ein Baum von malerischer Schönheit. Sie stand auf einem ebenen Platze von einigen Ruten im Umfang, der von mächtigen Felsblöcken umlagert war. Die Romantik der Vorzeit, den diese Eiche bot, wurde noch erhöht dadurch, daß diese kleine ebene Fläche sich um den Fuß eines schroffen Felsens zog, von dessen Gipfel aus sechzig Fuß Höhe, zu Myriaden glitzernder Schaumperlen verwandelt, ein Gebirgsbach in mächtigem Falle herniederschoß, um unten am Bergfuße, gleich einem geschlagenen General, mit Mühe und Not die verstreuten Kräfte zu sammeln, und gleichsam gebändigt durch den gewaltigen Sturz, still und geräuschlos durch die Heide seinen Weg zum Awe zu suchen, in den er sich nach kurzem Weiterlauf ergoß.

Eiche und Wasserfall weckten mein Interesse. Ich sprach den Wunsch aus, näher heranzugehen, ohne übrigens hierbei an Skizzenbuch oder Griffel zu denken, denn zu meiner Zeit war die jüngere Damenwelt noch nicht so glücklich, sich mit Tändelei die Zeit vertreiben zu dürfen.

Donald Mac Leish riß auf der Stelle den Schlag auf, bemerkte aber, der Weg abwärts sei schwierig und der Baum besser sichtbar, wenn er noch etwa hundert Ellen höher hinaufführe, denn dort böge die Straße näher an die Stelle heran, für die er übrigens keine besondere Vorliebe zu hegen schien.

»Ich weiß noch höhere Bäume und in noch größerer Nähe vom Hüttenwerke als die Eiche dort,« sagte er, »Bäume, die frei genug stehen, daß eine Postkutsche dicht heranfahren kann. Bei dem Abhange dort geht das wohl kaum an. Indessen ganz wie es der Dame beliebt!«

Ich meinte jedoch, was man habe, das habe man: und zog es deshalb vor, mir die Eiche, die ich vor Augen hatte, anzusehen, statt weiterzufahren und nach anderen Bäumen zu suchen. Wir schritten nun neben dem Wagen her, bis wir an eine Stelle kamen, von wo aus wir, wie Donald Mac Leish sagte, den Baum erreichen könnten ohne waghalsige Kletterarbeit, indessen setzte er hinzu, wir sollten uns lieber nicht über die Landstraße hinaus zum Baum hin wagen.

Auf seinem sonnverbrannten Gesichte lag ein ernster, geheimnisvoller Ausdruck, als er uns diesen Rat gab, und sein Wesen ließ, seinen sonstigen Freimut in solchem Maße vermissen, daß ich neugierig wurde.

Wir gingen weiter. Eine Bodenerhöhung entzog den Baum unseren Blicken, und ich merkte nun, daß er viel weiter von der Straße abstand, als mir anfangs vorgekommen war.

»Ich hätte Stein und Bein geschworen,« sagte ich lachend zu meinem Cicerone, »daß Eiche und Wasserfall gerade der Ort feien, wo Ihr heute hättet Rast machen wollen.«

»Gott bewahre!« versetzte Donald Mac Leish mit Hast.

»Warum denn nicht, Donald?« fragte ich; »warum habt Ihr solch schönen Platz links liegen lassen wollen?«

»Er liegt zu dicht bei Dalmally, Lady, um schon zu füttern; die Tiere haben ja kaum erst gefrühstückt! Außerdem, Lady – außerdem – ist es hier nicht geheuer!«

»Aha! Nun ist es also heraus, das große Geheimnis!« rief ich lachend; »also hier spukt es? Ist es ein Kobold oder eine Hexe, ein Heimchen oder eine böse Fee, ein Popanz oder eine Frau Holle?«

»Nichts von dem allen, Lady! Davon ist die Straße rein, wenn ich so sagen darf. Wenn aber die Dame Geduld haben und warten will, bis wir vorbei sind und das Tal hinter uns haben, so will ich alles sagen, was ich von der Sache weiß. Spricht man von solchen Sachen an Ort und Stelle, wo sie passiert sind, so bringt's wenig Glück!«

Ich mußte mich drein fügen, denn daß sich Donald Mac Leish in einem Falle, wo der Aberglaube eine Rolle spielte, fügen würde, durfte ich, bei allem Gehorsam, den er mir gegenüber sonst wahrte, nicht erwarten.

Es dauerte übrigens nicht lange, so brachte uns die Straße, wie Donald Mac Leish gesagt hatte, bis auf knapp fünfzig schritt an den Baum heran, der mein Interesse so rege machte, und nun sah ich zu meiner nicht geringen Überraschung, daß dicht an seinem Fuße, Zwischen den ihn einfassenden Klippen, sich eine menschliche Wohnung befand.

Es war die kleinste, ärmlichste Hütte, die ich je in den Hochlanden gesehen hatte. Sie war aus Erdschollen aufgeführt und kaum fünf Fuß hoch. Sie war mit Rasen gedeckt, die Fugen waren mit Rasen ausgestopft, hin und wieder auch mit Schilf und Binsen gefüttert. Der Schornstein war aus Lehm geknetet und mit Strohseilen umwickelt. Das ganze Bauwerk, Mauern, Dach und Schornstein, war mit Hauslauch, Ried und Moos überwuchert, wie es ja häufig der Fall ist bei solch verfallenem Bauwerk aus solchem Material.

Von einem Gemüsegärtchen, sonst eine Zugabe auch der elendesten menschlichen Behausung, keine Spur. Auch von lebendigen Wesen keine Spur, ein Zicklein ausgenommen, das von dem Rasendache der Hütte die niederhängenden Halme fraß, und eine Geiß, seine Mutter, die unfern der Eiche am Ufer des Gießbaches sich ihr bißchen Nahrung suchte.

»Wer kann sich so versündigt haben, daß er an solch elender Stätte hausen muß?« rief ich unwillkürlich.

»Sie haben recht, Lady!« versetzte Donald Mac Leish; »hier ist schwere Sünde getan worden, aber auch Jammer genug geerntet worden. Indessen ist die Hütte nicht eines Mannes Behausung, sondern eines Weibes.«

»Eines Weibes?« wiederholte ich. »Ein Weib haust hier? An solch einsamer Stätte? Was für ein Weib kann dies sein?«

»Treten Sie hierher, Lady!« sagte Donald Mac Leish leise, »und urteilen Sie selber!«

Wir gingen ein paar Schritte vorwärts und erblickten, als wir um eine scharfe Ecke bogen, die herrliche große Eiche jetzt von einer der bisherigen direkt entgegengesetzten Richtung.

»Ist sie ihrer alten Gewohnheit treu geblieben,« sagte Donald, »so wird sie jetzt hier sein.«

Sogleich aber schwieg er, als wenn ihn Furcht ankäme, seine Worte möchten von anderen gehört werden, und zeigte mit dem Finger nach der Eiche hin. Ich blickte auf und sah nun, nicht ohne ein Gefühl von Angst, an dem Stamm der Eiche eine weibliche Gestalt liegen, dicht eingehüllt in einen schwarzen Mantel, die ihre Hände gefaltet und das Haupt tief auf die Brust gesenkt hielt: ganz in der Stellung und Haltung, wie man Judäa, unter einem Palmbaum sitzend, auf syrischen Münzen abgebildet sieht.

Von der Scheu, die meinen Führer vor diesem Wesen zu erfüllen schien, ging ein Teil auf mich über. Auch mochte ich nicht früher zu ihr treten und sie ansehen, als bis ich einen fragenden Blick auf Donald gerichtet hatte. Leise flüsternd gab er die Antwort:

»Sie war ein schrecklich böses Weib, Mylady!«

»Verrückt, meint Ihr?« fragte ich, denn ich hatte nicht recht verstanden, was er sagte. »Dann ist sie am Ende gefährlich?«

»Nein, verrückt ist sie nicht,« antwortete Donald, »denn wäre sie es, so würde sie glücklicher sein als sie ist. Und doch wieder kann es mit ihrem Verstande nicht ganz in Ordnung sein, wenn man erwägt, was sie getan hat und welche Ereignisse sie veranlaßt haben, von ihrem gottlosen Willen nicht eine Handbreit nachzugeben. Aber verrückt ist sie nicht, und auch keine Unheilstifterin. Nichtsdestoweniger, Lady, möchte ich es für besser halten, Sie gingen nicht näher zu ihr heran!«

Hierauf machte er mich durch ein paar flüchtige Worte mit der Geschichte dieses Weibes bekannt, die den Stoff für die folgende Erzählung abgibt. Mit einer Empfindung, halb Schauder, halb Mitleid, lauschte ich Mac Donald Leishs Worten. Wohl drängte es mich, zu ihr zu treten und ihr Worte des Trostes zu sagen; anderseits wieder konnte ich mich der Furcht vor ihr nicht erwehren. Mit ebensolcher, halb aus Furcht, halb aus Mitleid gemischter Empfindung betrachtete sie jedermann im Hochlande, diese Elspat Mac Tavish, wie sie hieß mit ihrem Geburtsnamen, oder »das Weib der Eiche«, wie sie gemeinhin vom Volke genannt wurde. Wie im Altertum die Griechen Menschen mieden, die von den Furien verfolgt wurden, nämlich geistige Qualen zur Strafe für verbrecherische Handlungen litten, so wurde Elspat Mac Tavish von allen Hochländern gemieden; aber gleichwie den Griechen solche Unglückliche weniger als die freiwilligen Verüber ihrer Verbrechen galten, als vielmehr als die leidenden Werkzeuge, durch welche die furchtbaren Schlüsse des Schicksals vollstreckt wurden, sahen auch die Hochländer Elspat Mac Tavish mehr als solches Schicksalswerkzeug denn als eigentliche Verbrecherin an, und in das Grausen, das sie vor ihr fühlten, mischte sich, bei dem Aberglauben, der in allen Hochländerherzen sitzt, recht Wohl erklärlich, ein Gefühl von Scheu, das gewissermaßen an Ehrfurcht grenzte.

Ich erfuhr nun weiter von Donald Mac Leish, daß man im ganzen Hochland meine, wer die Kühnheit besäße, solch unaussprechlich elendem Wesen sich zu nahen oder es in seiner Einsamkeit zu stören, den würde schweres Unglück heimsuchen; denn keiner, der solchem Wesen nahe, könne von Ansteckung mit Unglück verschont bleiben.

Nicht ohne Widerstreben ließ mich deshalb Donald Mac Leish näher zu der Unglücklichen treten. Aber er folgte mir, als ich mir nicht wehren ließ, und war mir beim Abstieg des rauhen Pfades, der zu der ärmlichen Hütte hinunterführte, behilflich. Seine Rücksicht gegen mich mochte ihm wohl helfen, Herr über die bösen Ahnungen zu werden, die ihm als Lohn für solche Dienstleistung Lähmung der Pferde, Verlust von Achsennägeln, Kippen von Kutschen und andere solcher Fährlichkeiten im Postillonsleben vor die Seele führen mochten.

Ob mich persönlicher Mut in so dichte Nähe von Elspat Mac Tavish geführt hätte, wenn er mir gefolgt wäre, kann ich nicht sagen. Der Eindruck, den dieses Weib auf mich machte, möchte nicht dafür sprechen.

Auf ihrem Gesichte lag finsterer Trotz, jener Trotz, der sich gegen jeden Einfluß von außen her verschließt, der schweren hoffnungslosen Kummer allein auf sich nimmt und in sich vergräbt, der allem Selbstvorwurf den Stolz entgegensetzt. Vielleicht erriet Elspat Mac Tavish, daß Neugierde, ihre seltsame Lebensgeschichte kennen zu lernen, mich herführe. Vielleicht war sie mir abhold, daß ich mich in ihre Einsamkeit drängte, um aus ihrem Schicksal flüchtige Unterhaltung zu schöpfen. Der Blick, mit dem sie mich maß, sprach nicht von Verlegenheit, sondern kündete Stolz: zu der Last ihres Elends konnte die Meinung der Welt kein Jota fügen, aber die Meinung der Welt konnte auch kein Jota von der Last ihres Elends nehmen!

Kein Leichnam, kein Marmorbild konnte sich gleichgültiger verhalten gegen meinen Blick, als sie.

Elspat Mac Tavish war über mittelgroß. Ihr Haar war ergraut, aber noch immer dicht und voll. In den jüngeren Jahren war es tiefschwarz gewesen. Schwarz war auch die Farbe ihrer Augen, und in ihren Augen funkelte jenes wilde, verstörte Licht, das dem Wahnsinn anzeigt.

Nachdem ich auf dieses Opfer von Schuld und Jammer so lange geblickt hatte, daß ich mich meines Schweigens zu schämen anfing, begann ich, ohne zu wissen, wie ich das Weib anreden solle, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß sie sich solch einsame, jämmerliche Behausung gewählt habe.

Ohne den Ausdruck ihres Gesichts zu ändern, ohne ihre Lage und Haltung zu ändern, schnitt sie mein Mitleid ab durch die finstere Antwort:

»Tochter der Fremden! Wer erzählte dir mein Leben?«

Diese Frage legte mir Schweigen auf; ich fühlte, daß ich verachtet wurde gleich allem, was Freude in dieses abgeschlossene Leben zu bringen trachtete. Ohne nochmals das Wort zu nehmen, griff ich in meine Börse, denn Donald hatte mir zugeflüstert, daß sie von Almosen lebe. Aber sie streckte die Hand nicht aus nach der Gabe, auch wies sie die Gabe nicht zurück: es schien, als sehe sie nicht, daß ich ihr etwas geben wolle, oder als sei ihr die Gabe nicht wert, trotzdem es ein Goldstück war im Betrage von sicher des Zwanzigfachen, als ihr sonst angeboten wurde. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihr das Geldstück auf den Schoß zu legen.

»Möge Gott Euch verzeihen und Euch erlösen!« sprach ich dabei unwillkürlich.

Nie werde ich den Blick vergessen, den sie zum Himmel lichtete, und nie den Ton, mit dem sie den Ausruf tat:

»Mein herrlicher Sohn! Mein tapferer Sohn!«

Es war die Sprache der Natur. Sie entsprang dem Herzen einer des Sohnes beraubten Mutter.

Zweites Kapitel

Elspat hatte, wenn auch ihr Alter in untröstlichen Gram und Kummer versunken war, auch glückliche Tage gekannt. Einst war sie des Hamish Mac Tavish, dem Körperkraft und Kriegstaten den Titel Mac Tavish Mhor gebracht hatten, schönes und glückliches Weib. Mac Tavish Mhors Leben war voll Unruhe und Gefahr, denn er war ein Hochländer vom alten Schlage und führte das Leben eines solchen. Etwas zu entbehren, was daß Stehlen verlohnte, hielt er für Schande. Niederländer, die in seinem Bereich wohnten und ihr Hab und Eigentum mit Ruhe genießen wollten, verstanden sich gern dazu, ein Schutzgeld in Gestalt einer freiwilligen Gabe an ihn zu leisten, des alten Sprichworts eingedenk: »Besser dem Teufel das Maul schmieren, als mit ihm raufen.« Andere, die solche Abfindung für schimpflich hielten, wurden zuweilen von Tavish Mhor und seinen Anhängern überfallen und gefangen hinweggeführt, bis sie sich zur Zahlung eines Lösegeldes verstanden. Wer sich des Lösegelds weigerte, wurde nicht bloß am Leibe, sondern auch am Besitztum gestraft. Noch vor wenigen Jahrzehnten war Mac Tavish Mhors Raubzug nach Monteith in aller Leute Munde, von wo er 150 Kühe an einem einzigen Morgen wegtrieb, und wo er den Gutsherrn von Ballybugh zur Strafe für die Drohung, ein schottisches Wachtkommando zum Schutze seiner Person und seines Eigentums aufzubieten, nackt in einer Jauchengrube aufhing, so daß er bloß mit Mund und Wasser über die ekle Flüssigkeit hinausragte.

Aber zu den Siegen dieses verwegenen Freibeuters gesellten sich auch Niederlagen, und oft solche, welche die Siege reichlich aufwogen. Wie oft es ihm gelungen sei, drohender Gefahr zu entrinnen, wieviel verzweifelte Fluchtversuche ihm geglückt waren und welches Unmaß scharfsinniger List er aufzubieten wußte, um sich aus schlimmen Situationen zu befreien, wurde von Mund zu Mund erzählt und von allen, selbst seinen Feinden im Lande, bewundert. Im Glück und im Unglück, bei allen Mühsalen, Schwierigkeiten und Gefahren war Elspat seine treue Kameradin, die ihm durch ihren starken Geist, ihre Besonnenheit und Ausdauer, ihren Mut und Eifer zum besten Beistand wurde.

Die Eheleute Mac Tavish Mhor und Elspat Mac Tavish führten ein Eheleben nach altem Hochländerbrauch: Ein Leib, ein Geist, ein Leben! dem Freunde treu, dem Feinde trutzig. Herden und Ernten des Niederlandes sahen sie an für ihr eigen, sobald sie die Mittel hatten, die Herden wegzutreiben und die Ernten einzuheimsen. Nie kam es vor, daß sich bei solchen Anlässen die geringsten Bedenken über mein und dein geltend machten. Hamish Mhor dachte, wie Hybrias, der kretische Krieger, in dieser Hinsicht gedacht hat, als er das Gastmahl bei Athenäus mit dem Rundgesange schloß:

Mein Reichtum ist mein Schwert und langer Speer,


Und der den Leib mir schützt, mein Schild!


Mit Schwert und Speer und Schilde pflüge ich,


Mit Schwert und Speer und Schilde ernte ich –


Mit Schwert und Speer, und Schilde keltre ich


Auch Weinstocks süßen Traubentrank!

Durch Schwert und Speer und Schild gelt ich als Herrscher,


Und wer nicht Schwert und Speer und Schild zu führen wagt


Der beugt vor mir als Herrn demütiglich sein Knie


Und grüßt und preist als seinen König mich!

Mit Mac Tavish Mhors gefahrvollen, wenn auch glückliche« Raubzügen begann es karger zu werden seit dem unglücklichen Kriegszuge des Prinzen Karl Eduard, »des Prätendenten«. Hamish Mac Tabish, genannt Mac Tavish Mhor, hatte es bei solchem Anlaß nicht zu Hause gelitten. Er war zum Prätendenten gestoßen und wurde deshalb geächtet als Staatsverräter sowohl wie als Freibeuter und Räuber. Es wurden Garnisonen gelegt in Orte, wo man nie zuvor einen Rotrock erblickt hatte, und die Sachsentrommel erklang jetzt bis zu den fernstem Schluchten der Hochlandsgebirge.

Mac Tavish Mhors Lage wurde von Tag zu Tag gefahrvoller; sein Schicksal drohte sich zu erfüllen; Anstalten zur Verteidigung oder Flucht ließen sich um so schwieriger treffen, als Elspat seinen Hausstand durch ein Kind vermehrt hatte: ein Umstand, der seine Beweglichkeit begreiflicherweise hemmte.

Endlich kam der Tag des Verhängnisses!

Am Fuße des Ben Cruachan, im Engpaß am Gietzbach, wurde der berühmte Mac Tavish Mhor von einem Kommando der Rotröcke überfallen. Sein Weib leistete ihm heldenhaft Beistand und lud ihm die Büchsen. Wohl wäre es möglich gewesen, über den Paß zu entkommen, dessen die Rotröcke sich nicht zu bemächtigen vermochten, wäre ihm nicht die Munition ausgegangen. Wer als die Kugeln, als auch all die blanken Knöpfe von Jacke und Weste verschossen waren und die Rotröcke nicht länger mehr durch die Furcht vor dem nie fehlenden Schützen gebannt wurden, da wurde die Feste gestürmt, da wurde Mac Tavish Mhor, der sich lebendig nicht fangen ließ – erschlagen – erschlagen nach dem verzweifeltsten Widerstande.

Elspat war ihm zur Seite bis zum letzten Augenblick; sie aber wurde geschont, geschont um des Kindes willen, und um des Kindes willen, das ihrer als Stütze bedurfte, verschmähte sie den Tod.

Wie sie ihr Leben fristete, ist nicht leicht zu sagen. Ein paar Ziegen waren die einzige Habe, die ihr blieb. Sie ließ sie frei auf den Hutweiden im Gebirge äsen, und niemand jagte sie weg von seinem Grund und Boden. Im Land herrschte Armut und Elend; da konnten die alten Bekannten ihr wenig geben: was von dem eigenen Bedürfnis erspart wurde, nahm freilich gern den Weg zu anderen hin, aber der anderen, die auf Unterstützung angewiesen waren, waren viel.

Von den Leuten im Niederland forderte sie lieber statt zu betteln: Tribut statt Almosen! Denn nie vergaß sie, daß sie des Mac Tavish Mhor Witwe war, und sie wähnte, ihr Kind, das ihr noch am Schoße hing und dem Vater so ähnlich sah, werde dereinst dem Vater nacharten und die gleiche Macht üben wie dieser.

So wenig pflegte sie Umgang und so selten und widerwillig verließ sie die wilden Schlupfwinkel ihrer Berge, daß sie von dem großen tiefgehenden Wandel im Lande nichts spürte, daß sie nichts erfuhr von der bürgerlichen Ordnung, die an Stelle von Clansgewalt trat, und davon, daß die Anhänger von Recht und Gesetz die Macht gewannen über diejenigen, die im gälischen Liede als »des Schwertes stürmische Söhne« gepriesen werden.

Freilich wohl fühlte sie persönlich die Minderung von Ansehen und Gewalt, freilich wohl fühlte sie, daß die Mittel zum Unterhalt für sie knapper und knapper wurden, daß mancher den Tribut weigerte, der ihn bislang entrichtet hatte; aber hierfür war ihrem Begriffe nach Mac Tavish Mhors Tod ausreichender Grund, und ganz außer Frage stand es ihr, daß sie Zu ihrer alten Bedeutung und Wichtigkeit zurückgelangen müsse, sobald Hamish Bean oder, wie sie ihn mit Vorliebe nannte, »ihr Hamish mit dem schönen Haar« alt genug sein werde, die Waffen des Vaters zu führen.

Deshalb kam es nicht selten vor, daß, wenn Elspat mit ihren Anliegen um Lebensmittel für sich und um Futter für ihre Ziegen von einem mürrischen Pächter abgewiesen wurde, die Pächters-Frau durch den finsteren Ausdruck von Elspats Gesicht und durch Furcht vor ihren Drohungen und Verwünschungen sich bestechen ließ, ihr die vom Manne verweigerte Gabe heimlich zuzustecken, freilich nicht ohne den stillen Wunsch, die finstere alte Hexe möchte recht bald den Weg zu ihrem verstorbenen Manne finden, und mit Bedauern darüber, daß sie nicht am selben Tage schon, da dieser seinen Lohn erntete, mitverbrannt worden sei.

Drittes Kapitel

Die Jahre schwanden, und Hamish Bean wuchs zum Jüngling heran. Zwar erlangte er nicht die gewaltige Stärke des Vaters, aber es fehlte dem schönhaarigen Burschen mit den roten Wangen und dem scharfen Adlerauge nicht an Mut und Lebenslust, nicht an Gewandtheit und Frische. Indem sie dem Sohne Leben und Taten des kühnen Vaters fleißig und ausführlich erzählte, suchte die Mutter sein Gemüt für das gleiche Abenteurerleben zu bilden.

Aber die Jungen haben für die Wandlung der Welt und die Forderungen neuen Zeitalters ein schärferes Auge als die Alten, und so groß auch die Liebe war, die Hamish Bean für seine Mutter im Herzen trug, so eifrig er, besorgt war, was in seiner Macht stand, zu ihrer Unterstützung zu tun, so entging ihm doch nicht, als er in die Welt trat, daß das vom Vater betriebene Freibeutergewerbe jetzt nicht bloß höchst gefahrvoll war, sondern als schimpflich und unehrlich galt, und daß sich des Vaters Tapferkeit, wenn er ihr nacheifern wollte, bloß auf anderem Gebiete, das mit der Ansicht der Gegenwart in besserem Einklang stehe, nacheifern lasse.

Je weiter sich die Gaben seines Geistes und seine leiblichen Fähigkeiten ausbildeten, desto besser erkannte er die Ungewißheit seiner Lage und den Irrtum, in welchem die Mutter zufolge ihrer Unbekanntschaft mit den Wandlungen von Zeit und Menschen befangen war. Durch den Umgang mit Bekannten, Freunden und Nachbarn wurde ihm die ärmliche Vermögenslage der Mutter, das geringe Einkommen, auf das sie angewiesen war, das kaum die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse deckte, offenbar. Wenn es ihm auch hin und wieder gelang, durch Jagd und Fischfang ihre kärgliche Nahrung zu mehren, so verhehlte er sich doch nicht, daß es ihm nicht möglich sei, ihr eine regelmäßige Beihilfe zu schaffen, sofern er sich nicht entschloß, bei fremden, Leuten in Dienst zu gehen, daß aber ein solcher Schritt die Mutter in ihrem Stolz auf das tödlichste verletzen würde.

Mittlerweile machte Elspat mit Erstaunen die Wahrnehmung, daß Hamish Bean, obgleich er nun erwachsen war und die Fähigkeiten zu Kampf und Krieg besaß, keine Anstalten machte, die Lebensweise des Vaters zu beginnen. Ihr Mutterherz sträubte sich aber dagegen, ihm die klare, bestimmte Aufforderung hierzu zu stellen; denn sie gedachte sehr wohl auch der Gefahren mit Kummer und Sorge, die der Freischärlerberuf für den Sohn im Gefolge haben müsse. War sie einmal Willens, mit ihrem Hamish über diese Sache zu sprechen, dann kam es ihr bei dem erhitzten Zustande ihrer Phantasie vor, als richte sich der Geist ihres Mannes in seinen blutgetränkten Kleidern vor ihr auf, mit dem Finger auf den Lippen, zum Zeichen, daß sie dem Sohne gegenüber schweigen solle. Mit Verwunderung über, wie es ihr zu sein vorkam, solchen Mangel an Mut seufzte sie; der Gedanke, ihren Sohn in der Uniform zu sehen, die von dem Militär unten im Tale getragen wurde, in dem langschößigen Kittel mit blanken Knöpfen, war ihr ein Greuel, umsomehr, als ihn das englische Parlament dem Galen an Stelle der romantischen Tracht aufgedrungen hatte, die ihm von den Vätern seit Jahrhunderten überkommen war. Wie so ganz anders hätte ihr schöner Sohn sich ausnehmen müssen in dem durch den Gürtel zusammengehaltenen Rock und Schürz mit den blanken Waffen an der Hüfte!

Auch noch andere Dinge waren es, die schwer auf Elspat lasteten und deren Last mit der Düsterheit wuchs, die sich ihres Gemüts bemächtigte. Ihr Verhältnis zu Mac Tavish Mhor, ihrem Manne, war bei aller Liebe, die sie für denselben empfunden hatte, doch immer mehr das einer Sklavin gewesen als das einer Gattin, denn der Freibeuter war keiner von denen, die dem Weibe das Regiment überlassen. Er hatte sie immer in Respekt, wenn nicht gar Furcht zu halten verstanden.

Anders das Verhältnis zu ihrem Sohne. Während seiner Kindheit und während der Knabenjahre war sie strenge Herrin über ihn gewesen, hatte mit Eifersucht, einer nicht zum geringeren Teile aus ihrer Mutterliebe entsprungenen Eigenschaft ihres Herzens, über ihn gewacht. Es war ihr unerträglich, daß ihr Sohn mit zunehmendem Alter die Neigung verriet, sich unabhängig von ihr seinen Weg im Leben zu bahnen, daß er sich selbständig von der Hütte entfernte und nach Belieben wegblieb, daß sich Gedanken in ihm regten, die Verantwortlichkeit für seine Handlungsweise falle allein ihm zu und deshalb müsse er auch Herr seiner Handlungen sein. Daß er sich neben alledem bemühte, ihr gegenüber alle Liebe und allen Respekt zu bewahren, änderte wenig an dem Eindruck, den die Mutter bekam, trug vielleicht sogar mehr dazu bei, ihn zu verschärfen als abzuschwächen.

Wäre die Mutter imstande gewesen, ihre Empfindungen im Schein ihres Herzens zu verschließen, so wäre dies alles Wohl nur von geringer Bedeutung geblieben. Aber die Zügellosigkeit ihres Wesens, die Ungeduld, die sie beherrschte, die Stärke ihrer Leidenschaften führten häufig zu Auseinandersetzungen, bei denen dann schlimme Worte aus ihrem Munde über Vernachlässigung und Zurücksetzung fielen.

Blieb der Sohn auf längere Zeit von der Hütte fern, ohne daß er sie von dem Zweck seiner Abwesenheit unterrichtet hatte, dann war sie so zornig, schlug aller Vernunft durch ihr Verhalten so direkt ins Gesicht, daß es gar nicht zu verwundern war, wenn ein junger Mensch wie ihr Sohn, den der Drang erfüllte, sein eigener Herr zu sein, auf den Gedanken kam, der Hütte den Rücken zu wenden, in der die Mutter hauste, und sich in eine bessere Lage zu setzen. Daß hierbei der Gedanke mit unterlief, auf solche Weise obendrein besser für die Mutter sorgen zu können, als zurzeit in solch abhängigem Verhältnisse, das ihm nach allen Seiten hin die Hände band, das nicht bloß ihn, sondern auch die Mutter zum Darben zwang, wird man gelten lassen dürfen.

Es war ein Tag gekommen, an welchem Hamish nach mehrtägiger Abwesenheit den Fuß wieder in die Hütte gesetzt hatte. Die Mutter war zorniger gewesen als sonst; Sie hielt sich für gekränkt, für herzlos behandelt, für beschimpft, und setzte den Sohn in eine Stimmung, die ihm die Zügel über sich entwand. Der Ärger, den er fühlte, trieb ihm die Röte auf Stirn und Wangen. Es ging zu Ende mit seiner Geduld, als die Mutter in ihrem unvernünftigen Zorn beharrte. Er nahm die Büchse aus der Kaminecke, sprach aus Rücksicht auf die Achtung vor der Mutter leise vor sich hin, schien ein paar Worte laut sagen zu wollen, unterdrückte aber die aufsteigende Luft dazu und schickte sich an, die Hütte, in die er eben den Fuß gesetzt hatte, wieder zu verlassen.

Da trat die Mutter vor ihn hin.

»Hamish,« fragte sie strengen Tones, »willst du mich wiederum allein lassen?«

Hamish gab keine Erwiderung, sondern blickte auf das Gewehr und putzte an dessen Schlosse herum.

»Nun ja, putze nur deine Flinte!« fuhr die Mutter mit Bitterkeit fort, »mich freut's ja schon, daß du Mut genug hast, sie abzufeuern, wenn auch bloß auf einen Bock!«

Hamish zuckte bei diesem Vorwurf, den er nicht zu verdienen meinte, zusammen und warf der Mutter als Erwiderung einen zornigen Blick zu, durch den sie inne wurde, ein Mittel gefunden zu haben, das ihm Verdruß und Schmerz bereite.

»Ja doch, ja doch!« sagte die Mutter; »blicke nur trotzig! So trotzig wie du willst auf ein altes Weib und deine Mutter! Bis sich deine Stirn in Falten legt vor dem zornigen Gesicht eines bärtigen Mannes, wird wohl noch manche Zeit vergehen!«

»Schweig, Mutter!« erwiderte Hamish gereizt, »oder sprich von Dingen, für die es dir an Verständnis nicht fehlt! Sprich vom Rocken und von der Spindel!«

»Habe ich an Rocken und Spindel gedacht, Hamish,« fragte die Mutter, »als ich dich als greinendes Kind auf dem Rücken trug durch das Gewehrfeuer von einem halben Dutzend sächsischer Soldaten? Ich sage dir, Hamish, von Büchse und Säbel verstehe ich tausendmal mehr, als du je lernen wirst! Du wirst vom edlen Kriegshandwerk durch dich selber nie so viel lernen, wie du gesehen hast, als ich dich noch in meinen Mantel gewickelt trug.«

»Wenigstens ist dein fester Wille, Mutter, mir keine Ruhe daheim zu gönnen! Aber das muß einmal sein Ende haben!« sagte Hamish drauf und ging, willens die Hütte zu verlassen, auf die Tür zu.

»Bleib, Hamish!« rief da die Mutter, »ich befehle es dir! Oder die Flinte, die du trägst, mag dir den Tod geben! Der Weg, den du gehen willst, mag der Weg deines Leichenzuges sein!«

»Mutter!« rief der Jüngling, sich umdrehend, »was sollen solche Worte? Sie taugen nichts, denn sie sind nicht gut und können keine guten Folgen haben! – Leb wohl, Mutter! Du bist jetzt zu zornig, daß ich mit dir sprechen könnte. Leb wohl! Es wird geraume Zeit vergehen, bis du mich wiedersiehst!«

Er ging. Die Mutter sandte ihm, im ersten Ausbruch des Zorns, Flüche hinterher. Dann rief sie die Flüche zurück auf das eigene Haupt, damit sie das des Sohnes schonen möchten.

Maßlose, ungezügelte Leidenschaft tobte an diesem Tage und an den nächsten Tagen in Elspats Herzen. Bald rief sie den Himmel, bald die Geister an, die in den Sagen und Mären, die ihr bekannt waren, eine Rolle spielten, ihr den geliebten Sohn, »das Kalb ihres Herzens«, zurückzugeben. Bald sann sie, von wildem Zorn befallen, über bittere Worte nach, mit denen sie ihn schmähen wollte, den ungehorsamen Sohn, wenn er den Weg zur Hütte zurückfände. Bald sann sie über Worte der Liebe und Zärtlichkeit, durch die sie ihn an ihre Hütte fesseln könne, die sie mit keinem Gemach im Schlüsse von Tahmouth tauschen mochte, wenn sie den Sohn bei sich wußte.

Viertes Kapitel

Zwei Tage verstrichen. Sie nahm weder Speise noch Trank zu sich, und bloß die Energie eines an Mühseligkeiten und Entbehrungen aller Art, gewöhnten Körpers vermochte sie am Leben zu erhalten. Die Angst, die ihre Seele beherrschte, machte sie unempfindlich gegen körperliche Schwäche.

Am dritten Tage nach dem Weggang ihres Sohnes saß sie, nach Art der Frauen im Hochland, wenn sie körperliche oder seelische Pein leiden, hin- und herrückend auf ihrer Türschwelle, als sich der seltene Umstand ereignete, daß ein Wanderer auf der Straße oberhalb der Hütte in Sicht kam.

Das war zu damaliger Zeit kein häufiges Ereignis.

Elspat warf bloß einen schnellen Blick auf ihn, und sie erkannte, daß es Hamish nicht sein könne, denn der Wanderer führte ein Pferd am Zügel, von dem er abgesprungen war, um es den steilen Hang herunterzuführen.

Da es Hamish nicht war, kümmerte sich Elspat nicht weiter um den Reitersmann. Für andere Menschen besaß sie kein Interesse. Es hätte ihr nicht gelohnt, noch einen zweiten Blick auf ihn zu heften.

Der Fremde aber blieb, als er den beschwerlichen Weg zurückgelegt hatte, vor der Hütte stehen.

»Gott segne Euch, Elspat Mac Tavish!«

Elspat sah den Mann an, der das Wort in ihrer Muttersprache an sie richtete. Ihr Gesicht zeigte den unzufriedenen Ausdruck einer Person, die sich in ihrem Gedankengange gestört sieht.

Der Reitersmann indessen fuhr in seiner Rede fort:

»Elspat Mac Tavish! Ich bringe Euch Kunde von Eurem Sohne Hamish.«

Durch diese Worte gewann die Gestalt des Fremden, bisher für sie ein Gegenstand höchster Gleichgültigkeit, eine Ehrwürdigkeit, als sei es ein Bote vom Himmel, herab zu ihr gestiegen, um ihr Entscheid zu bringen über Leben und Tod. Sie fuhr von ihrem Sitze auf, preßte die Hände auf die Brust, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, hob die Hände zum Himmel auf, heftete die Äugen auf Gesicht und Gestalt des Fremden, schritt auf ihn zu und harrte schweigend der Worte, die er ihr sagen würde, denn ihre stammelnde Zunge war außerstande, die Frage, die ihr auf den Lippen lag, in Redeform zu fügen.

»Euer Sohn schickt Euch pflichtschuldig seinen Gruß und dieses hier!« sprach der Sendbote, indem er Elspat einen kleinen Beutel mit ein paar Schillingen in die Hand legte.

»Er ist fort! Mein Hamish ist fort für immer!« rief Elspat, »er hat sich als Knecht an die Sachsen verkauft! Und ich werde ihn nimmer, nimmer wiedersehen. O, sagt mir, Miles Mac Phadraick, denn jetzt erkenne ich Euch, ist dieses Geld, das Ihr in die Hand seiner Mutter gelegt, das Blutgeld für den Schwur, den mein Sohn geleistet?«

»Gott sei mir vor!« versetzte Mac Phadraick, ein Lehensmann, der ein hübsches Stück Land von dem Grundherrn in Pacht hatte, der an die zwanzig Meilen ab seinen Wohnsitz hatte, »Gott sei mir vor, Elspat Mac Tavish, daß ich Euch oder dem Sohne Mac Tavish Mhors etwas zu unrecht tun oder sagen sollte! Bei der Hand meines Häuptlings schwöre ich Euch, daß es Eurem Sohne gut geht, daß er Euch bald wiederzusehen gedenkt und Euch dann alles weitere selbst erzählen wird.«

Mit diesen Worten eilte Mac Phadraick auf die Landstraße zurück, bestieg seinen Gaul und ritt weiter.

Fünftes Kapitel

Elspat blickte lange auf das Geld, als hätte sie aus der Prägung, die es zeigte, erraten können, auf welche Weise ihr Sohn in seinen Besitz gekommen sei.

»Dem Mac Phadraick war ich nie grün,« sprach sie bei sich, »denn von seinem Geschlecht sang der Barde: »Sei furchtlos vor ihnen, wenn ihre Worte laut sind wie das Brausen des Sturmes im Winter, aber tönen ihre Worte wie Drosselsang, dann fürchte sie!« Das Rätsel selbst aber kann ich bloß lösen auf eine Weise: mein Sohn hat zum Schwert gegriffen, um mit Manneskraft das zu gewinnen, was ihm grobe Bauern durch Worte, die bloß Kinder schrecken können, vorenthalten möchten.«

Diese Meinung schien um so verständiger, als Mac Phadraick ihr als vorsichtiger Mann bekannt war, der ihrem verstorbenen Manne wohl öfter insofern Unterstützung gewährt hatte, als er ihm hin und wieder Vieh abkaufte, trotzdem er recht gut wußte, wie es derselbe an sich zu bringen pflegte, der aber immer dafür Sorge getragen hatte, daß der Handel ihm guten Gewinn abwarf, ihn aber niemals in irgendwelche Fährlichkeit Recht und Gesetz gegenüber bringen konnte. Wer konnte einem jungen Freibeuter so gut wie Mac Phadraick die Täler weisen, wo sich solch gefahrvolles Gewerbe noch mit Aussicht auf Erfolg treiben lasse? Wer war imstande, wie Mac Phadraick, Beute so leicht und schnell in klingende Münze umzusetzen?

Empfindungen, die sich bei anderen regen würden darüber, daß der einzige Sohn die gleiche Bahn betreten habe, auf der der Vater gewaltsamen Tod gefunden, waren den Müttern im Hochlande zu jener Zeit unbekannt. In Elspats Augen war Mac Tavish Mhor keinen anderen Tod als den eines Helden im Kriege gestorben, und solcher Tod durfte nicht ungesühnt, nicht ungerochen bleiben; Elspat fürchtete weniger den Tod, als die Unehre ihres Sohnes; Elspat fühlte Grauen davor, daß ihr Sohn sich vor Fremden beuge und in den seelischen Todesschlaf der Sklaverei sinke.

Die sittliche Lehre, die demjenigen so natürlich und richtig erscheint, der unter dem Regiment von Recht und Gesetz erzogen wird, das Besitztum des Schwächeren gegen die Übergriffe des Stärkeren zu schützen, war für Elspat Mac Tavish ein Buch mit sieben Siegeln. Von Jugend auf hatte sie gelernt, die »Sachsen«, die fremden Eindringlinge, die von Dänemarks Küste herüber unter Hengist und Horsa das Land ihrer Väter an sich gerissen hatten, als einen Stamm zu betrachten, mit welchem das edle Volk der Galen in Blutfehde lag. Jede Niederlassung eines Sachsen in dem zu den Hochlanden rechnenden Gebiete galt ihr als vogelfrei für jeden Galen, als ein Gegenstand, würdig seines Angriffs und Überfalls, wie seines Raubes.

Das Rachegefühl, wachgerufen durch ihres Mannes Totschlag, war nicht das einzige, was sie bei solcher Ansicht leitete; nicht minder entscheidend wirkte hierbei der allgemeine Unwille, der in den Hochlanden, und nicht ungerechterweise, über das gewalttätige häufig barbarische Benehmen der »Sachsen« nach ihrem Siege in der Schlacht von Culloden [In dieser Schlacht wurde bei letzte Stuart, Karl Eduard, endgültig besiegt und mußte, alles Besitzes beraubt, landflüchtig werden.] allenthalben herrschte. Mancher hochländische Clan teilte Elspat Mac Tavishs Meinung und Gesinnung und hatte der alten Feindschaft und Fehde mit Freuden zum Austrage verholfen, wären die Knebel, die das Land schnürten und zur Ohnmacht verdammten, von den Gegnern nicht täglich und stündlich fester angezogen worden.

Aber was anderen im Lande die Klugheit gebot, war dem in Einsamkeit lebenden Weibe, dessen Vorstellungen lediglich in der Zeit ihrer Jugend fußten, unbekannt. Elspat sah immer die Tage noch vor sich, in welchen sich der Gönner und heimlichen Freunde im Übermaß für einen Mann wie Mac Tavish Mhor gefunden hatten, der die Verwegenheit besaß, den Kampf als einzelner gegen tausende zu führen, der seinen Stolz darin suchte, altem Brauche zu seinem Rechte zu verhelfen ohne Rücksicht auf alles, dem Lande von feindlichen Bedrückern im Zwangswege auferlegte Gesetz.

Kein Wunder, daß Elspat Mac Tavish meinte, ihr Sohn brauche bloß das Erbe des Vaters anzutreten, brauche sich bloß in Abenteuer und Unternehmungen gegen die feindlichen Bedrücker zu stürzen, um einer Schar von Männern sicher zu sein, kühn und tapfer gleich jenen, die dem Banner des Vaters gefolgt waren. Kein Wunder, daß sie in Hamish den Adler sah, der bloß in die Lüfte zu steigen brauche, um aus unerreichbarer Höhe auf Beute niederzuschießen. Kein Wunder, daß sie kein Auge hatte für die vielen Augen, die seinen Flug überwachten, kein Wunder, daß sie der vielen Kugeln nicht achtete, die sich auf seine Brust als willkommenes Ziel richten würden!

Kurz: Elspat Mac Tavish sah Zeit und Menschen noch mit den Augen eines verwichenen Zeitalters, mit den Augen von Menschen aus solch verwichenem Zeitalter an. Seit ihr Mann den Tod gefunden hatte, war ihr Leben in Armut und Elend verflossen. Auf ihrem Sohne ruhte ihre Hoffnung und fußte ihr Glaube, daß sie schon lange im Kalten Grabe ruhen würde, daß die Totenklage des Stammes der Mac Tavish, nach altem Brauche, um ihren Heimtritt längst verhallt sein würde, wenn ihrem Havish der Tod winken, wenn er mit der Faust im Knauf seines vom Blute der Feinde geröteten Schwertes fallen und das Erdreich küssen würde. War doch des Vaters Haar schon grau gewesen, als er nach hundertfältiger Gefahr mit den Waffen in der Faust den Tod gefunden hatte!

Daß Elspat Mac Tavish solchem Tode ihres Einzigen mit solcher Ruhe ins Auge sah, war eine natürliche Folge damaliger Sitte. Es entsprach ihrer stolzen Sinnesart besser, ihn auf offenem Felde, im Kampf mit dem Feinde fallen zu sehen, als Zeugin seines langsamen Hinsiechens in rauchiger Hütte oder, einem alten Jagdhunde oder kranken Stiere gleich, auf verfaultem Stroh zu sein. Aber diese Stunde war ihrem Hamish, ihrem Einzigen, noch fern! Sie schlug ihm erst, gleichwie sie dem Vater erst geschlagen hatte, wenn er hundertfältige Gefahr überstanden hatte, wenn er in hunderten von Kämpfen Sieger gewesen war, wenn er hundertfältige Beute eingeheimst hatte. In dieser Zuversicht konnte Elspat Mac Tavish nicht irren! Und wenn er dereinst im Kampfe fallen, wenn blutiger Tod ihm winken würde, dann läge sie, seine Mutter, die Frau von Mac Tavish Mhor, dem ritterlichen Freibeuter der Hochlande, schon längst in der kalten Erde, und weder seinen Todeskampf würde sie sehen, noch über seinem Grabe trauern können.

Während solche Gedanken den Weg durch ihren Sinn nahmen, stieg der Mut der Greisin auf seinen früheren, oder vielmehr auf einen wesentlich höheren Standpunkt. Nach den kräftigen Worten der Bibel, die nur wenig verschieden sind von der Ausdrucksweise der Gälischen, stand sie auf, wusch sich und wechselte die Kleider, aß ihr Brot und fand ihre Kraft und Stärke wieder.

Mit Zweifel und Sorge harrte sie nun der Wiederkehr ihres Einzigen. Daß gar viel dazu gehöre, um in Zeiten, wie den damaligen, zu einem Anführer von Ruf und Ansehen sich zu erheben, sagte sie sich gar wohl. Sie erwartete aber, ihn nicht anders wiederzusehen, als an der Spitze einer kühnen Schar mit schallenden Sackpfeifen und fliegenden Bannern, die ohne Scheu vor den strengen Strafen, die auf dem Tragen der altberühmten Nationaltracht und des sonstigen Zubehörs hochländischer Ritterschaft standen, die edlen Hochlandsmäntel frei im Winde flattern ließ. Und daß dies also geschähe und nicht anders, dazu waren für die erhitzte Phantasie der Greisin bloß wenige Tage vonnöten, und schon übermorgen, schon morgen konnte der Fall eintreten.

Von dem Augenblick an, da dieser Glaube in ihrem Gemüt zur festen Überzeugung wurde, befaßte sie sich mit dem Gedanken, ihre Hütte zum Empfang des Sohnes an der Spitze seiner Anhänger auszuschmücken, wie es dereinst Brauch bei ihr war, wenn der Gatte heimkehrte.

Mittel zum Unterhalt zu beschaffen, war sie freilich nicht imstande, doch hielt sie dies für nicht erheblich, denn sie meinte, die Raubritter würden Kühe und Schafe mit heimbringen. Aber das Innere ihrer Wohnung war zum Empfange bereit, und das heimische Biskebah war in großer Menge gebraut und abgezogen wurden. Die Art, wie sie ihre Hütte ausgeschmückt hatte, deutete auf einen Freudentag. Mit allerhand Zweigen war sie geputzt, gleich dem Hause einer Israelitin, wenn das Laubhüttenfest naht. Was ihre kleine Herde an Milch gab, war nach allen Weisen, die sie kannte, zubereitet und in so reicher Menge, daß ihr Sohn mit den zahlreichen Gefährten, die sie erwartete, nicht Mangel leiden würde.

Der Hauptzierat für ihre Hütte, den sie mit vieler Mühe suchte, denn er wuchs nur auf hohen Bergen und auch hier in nicht großer Menge, war die Zwergmaulbeere, die von ihrem verstorbenen Manne, vielleicht auch schon einem seiner Vorfahren, zum Sinnbild für seinen Stamm erwählt worden war, weil sie durch ihr spärliches Vorkommen, die geringfügige Ausdehnung und durch den Ort, wo sie wuchs, die hochfahrenden Pläne desselben anzudeuten schien.

Solange diese Zurüstungen die Frau in Anspruch nahmen, war sie in einem Zustande von Unruhe und Freude zugleich. Nur eins machte ihr Sorge, daß sie nicht rechtzeitig mit allem fertig werden möchte, daß ihr Hamish früher kommen könne, als sie die letzte Hand an alles gelegt habe.

Endlich aber war es so weit, daß sie außer ihren Ziegen nichts mehr zu besorgen hatte. Nun musterte sie noch einmal all die Anstalten, die sie getroffen hatte, ersetzte die welken Zweige durch frische, setzte sich dann auf ihr Plätzchen vor der Tür der Hütte und hielt nun die Straße im Auge, die sich auf der einen Seite vom Ufer des Awe heraufzog und auf der anderen am Gebirge hinlief. Nun gedachte sie der Vergangenheit und malte sich nach den Bildern, die ihr Auge dort traf, die Zukunft: und in den Nebeldünsten am Morgen wie in den Trugschatten des Abends tauchten die wilden Gestalten eines Trupps kühner finsterer Krieger im schottischen Tartan, »Sidier-Dhu« genannt, zum Unterschiede von den englischen Rotröcken, in langen Zügen vor ihr auf.

über solchem Sinnen und Schauen verbrachte sie morgens und abends stundenlang.

Sechstes Kapitel

Aber lange, lange hielt Elspat die Blicke über die ferne Straße hin gerichtet, vom Frühlicht bis zum Ersterben der Abenddämmerung, und keine Staubwolke weckte frohe Hoffnung in ihrem Herzen, keine wallende Feder oder glitzernde Waffe zauberte Lächeln auf ihre Lippen. Im braunen Kittel des Talschotten, mit dem schwarz oder dunkelrot gefärbten Tartan, wie es dem Gesetz nach sein mußte, das alle bunte, gewürfelte Tracht verbot, mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenem Wesen zog hin und wieder wohl ein einsamer Wanderer vorbei, in Trauer über die strengen Vorschriften, die gegen hochländische Tracht und Bewaffnung, jedem Schotten heilig als Vorrechte seiner Geburt, vom Erbfeind erlassen worden waren. In solchem Wanderer erkannte aber Elspat den frischen munteren Tritt des Sohnes nicht wieder, der ihrer Meinung nach nun alle Zeichen sächsischer Sklaverei von sich gestreift haben müsse.

Eine Nacht um die andere schlich sie, wenn es dunkel geworden, von der Tür ihrer Hütte, die sie nie abschloß, hinweg zu ihrem ärmlichen Lager, das ihr aber nur selten Ruhe brachte. Der Tapfere und Furchtbare, sagte sie, wandelt bei Nacht; in der Finsternis, wenn alles still ist, außer dem Wind und dem Wasserfall, vernimmt man seinen Tritt; nur wenn die Sonne über dem Gipfel des Berges steht, wagt sich das scheue Reh hervor, aber der gierige Wolf wandelt im roten Lichte des Erntemonds. Umsonst waren solche Gedanken; nimmer weckte ihr Sohn sie von dem harten Lager, auf dem sie von seiner Ankunft träumte. Ihr Hamish kam nicht.

»Betrogene Hoffnung,« spricht der königliche Weise, »macht das Herz krank,« und so kräftig auch Elspat, in körperlicher Hinsicht war, so spürte sie doch allmählich, daß sie den Anforderungen nicht mehr so wie früher gewachsen war, die ihre ungezügelte Sehnsucht an ihren Körper stellten.

Da aber kam ein Morgen, an welchem auf der einsamen Bergstraße in weiter Ferne von der Hütte ein Wanderer sichtbar wurde. Die trostlose Verzweiflung, deren Beute sie seit so langer Zeit war, wich herrlicher Hoffnung. Denn je näher der Wanderer kam, desto deutlicher trat in Sicht, daß von sächsischer Sklaverei kein Zeichen an ihm war. Bald konnte sie den Hochlandsmantel wehen sehen, der sich in schönen Falten niederlegte, und bald auch die wallende Hutfeder, das Merkmal von Rang und edler Geburt.

Über der Schulter trug er die Flinte, an seiner Seite hing das breite Schlachtschwert, im Gürtel steckten Dolch und Pistol, und an der Seite hing der »Sporren-Mollach«, die geißlederne Tasche, die der Hochländer um den Leib geschnallt trägt. Näher und näher heran kam der Wanderer, seine Schritte schienen sich zu weiten, sein Herz schien ihnen Flügel zu geben – und nun, ein Augenblick noch, und die Greisin umarmte den geliebten Sohn, der vor sie hintrat in der Tracht des Vaters und der Ahnen, als Schönster für die Augen der Mutter unter zehntausend.

Unsäglich war das erste Entzücken, das in ihr Herz einzog. Mit den schönsten Schmeichelworten, die ihre kraftvolle Sprache birgt, verband sie die innigsten Segenswünsche. Im Nu war der Tisch gedeckt mit allem, was sich herbeischaffen ließ, und mit der gleichen seligen Wonne, die sie empfand, als sie den Neugeborenen zum erstenmal an die Brust legte, blickte die Mutter auf den jungen Krieger, der nun an ihrem Tische saß und sich labte.

Dann verlangte es sie, die Abenteuer zu hören, die ihr Sohn während der langen Trennung bestanden habe, und sie konnte sich nicht enthalten, ihn ob der Unbesonnenheit zu tadeln, am helllichten Tage in Hochlandstracht durch die Berge zu wandern, da doch so schwere Strafe auf solch Beginnen gesetzt sei und es von Verrätern in der Gegend doch wimmele.

»Seid meinetwegen ohne Furcht, Mutter,« sagte Hamish in besänftigendem Tone zu ihr, der ihre Unruhe aber eher noch mehrte – »ich trage, sobald ich Lust dazu habe, den Breacan [andrer Name für den buntgewürfelten Tartan. A. d. Ü.] vorm Tore von Fort Augustus.«

»Hamish, Hamish! Sei nicht allzukühn! Wenngleich solche Eigenschaft ein Fehler wäre, der dem Sohn deines Vaters gar wohl stünde – aber, sei nicht zu kühn! Ach, es wird ja nicht mehr gekämpft wie ehedem, ehrlich und unter gleichem Vorteil; man sucht einander an Zahl und Waffen zu überbieten, so daß der Starke wie der Schwache von der Kugel eines Buben fällt. Denke nicht, Hamish, daß ich unwert sei, deines Vaters Witwe und deine Mutter zu heißen, weil ich so rede, denn Gott weiß, ich will es aufnehmen mit dem Besten im Lande.«

»Glaubt mir, liebe Mutter, ich bin außer Gefahr«, versetzte Hamish; »aber habt Ihr Mac Phadraick bei Euch gesehen, Mutter, und was hat er Euch von mir gemeldet?«

»Geld hat er mir dagelassen, viel Geld,« antwortete Elspat, »aber was mir das liebste von allem war, das war die Kunde, daß du wohlauf seiest und bald zu mir kommen werdest. Nimm dich aber in acht vor Mac Phadraick, mein Sohn! Denn wenn er sich auch einen Freund deines Vaters nennt, so war ihm die schlechteste Kuh in seiner Herde doch mehr wert, als Mac Tavish Mhors Leben! Gebrauche ihn, wenn er dir nützen kann, und bezahle ihn für das, was er dir nützt; es läßt sich nun einmal nicht ändern, daß wir Umgang auch mit solchen halten müssen, die des Vaters nicht wert sind. Aber verlaß dich auf meinen Rat und traue ihm nicht!«

Hamish konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und Elspat schien zu verstehen, daß ihre Warnung zu spät komme.

»Was hast du mit ihm gehabt, Hamish?« fragte sie ungestüm; »ich erhielt Geld von ihm, und Geld gibt doch er nicht umsonst! Er gehört nicht zu denen, die für Spreu Gerste tauschen. Ach, wenn dich euer Handel gereut, und wenn du, ohne deine Ehre und Männlichkeit zu scheuen, ihn nicht rückgängig machen kannst, dann gib ihm sein Geld wieder, bloß traue seinen schönen Worten nicht!«

»Es geht nicht an, Mutter,« versetzte Hamish, »und es möchte mich auch nicht reuen, wenn ich Euch bloß nicht bald verlassen müßte.«

»Du mich verlassen? Was sprichst du, Hamish, einfältiger Knabe! Meinst du, ich wüßte nicht, was für das Weib und die Mutter eines verwegenen Mannes als Pflicht gilt? Du bist ja noch immer ein Knabe, aber dein Vater war zwanzig Jahre lang der Schrecken der Gegend, und doch verachtete er meine Gesellschaft und meinen Beistand nicht, sondern sprach es oft aus, daß meine Hilfe mehr wert sei als die von zwei kräftigen Knappen.«

»Nicht darum ist es, Mutter, aber da ich das Land verlassen muß –«

»Du das Land verlassen?« rief die Frau, ihn unterbrechend; »Und meinst du denn, ich sei wie ein Busch, der bloß dort wächst, wo er Wurzel schlägt und eingeht, wenn er versetzt wird? Habe ich denn nicht oft genug schon andere Luft als die vom Ben Cruachan geatmet? Bin ich nicht deinem Vater in die Wildnisse von Roß und in die unzugänglichen Ödeneien von Q-Mac Q-Mhor gefolgt? Kein Wort mehr, Knabe! Denn meine Glieder, so alt sie auch sein mögen, werden mich noch immer so weit tragen können, wie deine Füße laufen.«

»Ach, Mutter,« sagte stockend der Jüngling, »aber über die See?«

»über die See? Ei, für was hältst du mich, wenn du meinst, ich solle mich vor der See fürchten? War ich etwa nie im Leben zu Schiffe? Habe ich denn nicht den Sund von Mull gesehen, die Inseln von Treshornish und die gefährlichen Klippen von Harris?«

»Ach, Mutter! Ich muß weiter, viel weiter! Ich habe mich für die neuen Regimenter werben lassen und marschiere mit gegen die Franzosen – drüben in Amerika!«

»Anwerben lassen?« schrie die Mutter, wie vom Donner gerührt – wider meinen Willen? Ohne meine Zustimmung?« Das hast du nicht gekonnt, Hamish, du nicht, Hamish!« Dann stand sie auf, trat auf den Sohn zu und sprach herrisch, eine gebietende Stellung annehmend: »Hamish, das war dein Wille nie! Hamish, das hast doch du nicht getan!«

»Verzweiflung, Mutter, vollbringt alles«, entgegnete Hamish in resolutem Tone; »was sollte ich hier beginnen, wo sich kaum das kärgste tägliche Brot schaffen läßt für mich und Euch, da die Zeiten doch immer schlechter werden? Wollt Ihr Euch setzen und zuhören, so will ich Euch überzeugen, daß ich besser, als ich gehandelt habe, nicht handeln konnte!«

Mit bitterem Lächeln setzte sich Elspat. und mit bitterem Lächeln, mit fest aufeinander gepreßten Lippen hörte sie ihm zu. Ohne von ihr, wie er befürchtet hatte, unterbrochen zu werden, fuhr Hamish fort:

»Als ich von Euch ging, Mutter, habe ich Mac Phadraick aufgesucht, denn wenn es auch feststeht, daß er ein ausgefeimter Halunke ist wie alle Sassenach, so läßt sich doch nicht leugnen, daß er ein Mann von Witz ist,« und darum dachte ich, er könne mir, zumal es ihn doch nichts koste, gut und gern sagen, auf welche Weise sich unsere Umstände besser gestalten ließen.«

»Unsere Umstände!« wiederholte Elspat, indem sie anfing die Geduld zu verlieren; »und bei einem Schuft, dessen Herz nicht besser ist als das eines Kuhhirten, erkundigst du dich darnach, was du zu tun und zu lassen hast? Dein Vater hat niemand gefragt als sein Schwert und seinen Mut!«

»Aber, Mutter,« rief Hamish, wann werdet Ihr endlich einsehen lernen, daß Ihr in diesem Lande Eurer Väter noch immer so lebt, wie wenn Eure Väter noch lebten? Ihr wandelt wie im Traum, umschwebt von den Geistern derer, die längst bei den Toten weilen. Als der Vater noch lebte und focht, da fühlten die Großen im Lande noch vor dem Manne mit der starken Hand Achtung, und wer was zu verlieren hatte, fürchtete ihn. Von der ersten Klasse gewährten ihm Mac Allan Mhor und Caberfee ihren Schutz, und von der zweiten zahlten ihm nicht wenige Tribut. Er ist tot; aber sein Sohn würde bei einer Lebensweise, die dem Vater Ansehen gab und zur Macht verhalf, nur Schimpf und Schande ernten und unbemitleidet in die Grube fahren. Heute ist Schottland von England unterjocht – die Leuchten des Landes sind verlöscht – Glengarry, Lochiel, Perth, Lord Lewis, alle die großen Häuptlinge sind entweder ins Grab gestiegen oder leben in der Verbannung! Wir mögen hierüber trauern, aber helfen, ändern können wir es nicht! Das breite Schlachtschwert ist bei Drummossie-Muir verloren gegangen und mit ihm Macht, Stärke, Reichtum und Ruhm!«

»Das ist nicht wahr!« rief Elspat grimmig; »dich und andere feige Memmen gleich dir hat eure Mutlosigkeit besiegt, aber nicht Feindesmacht. Dem scheuen Wasserhuhn gleichest du, das die geringste Wolke am Himmel für den Schatten des Adlers hält.«

»Mutter,« erwiderte Hamish stolz, »beschuldige mich nicht feigen Sinnes! Denn ich gehe dorthin, wo es an Männern mit starkem Arm und keckem Mut fehlt. Ich verlasse eine Einöde, um in ein Land zu gehen, wo ich mir Lorbeeren sammeln will.«

»Von deiner alten Mutter willst du gehen, daß sie sterbe, verlassen von allen?« fragte Elspat, eifrig bemüht, einen entschlossenen Sinn, der ihr viel größer erschien als sie anfangs gedacht hatte, zu erschüttern.

»Das ist nicht der Fall, Mutter,« antwortete er, »denn ich lasse Euch in behaglicher Lage, mit einem gesicherten Einkommen, wie Ihr es noch niemals hattet, zurück. Barcaldines Sohn ist zum Offizier ernannt worden, und unter ihm habe ich mich anwerben lassen. Mac Phadraick steht in seinen Diensten, rührt die Werbetrommel für ihn und findet sein gutes Auskommen dabei.»

»Das ist das wahrste Wort von der ganzen Mär,« rief die Greisin bitter, »alles andere mag so falsch sein wie die Hölle!«

»Aber auch wir finden unseren Vorteil dabei,« fuhr Hamish fort, »denn Barcaldine gibt Euch eine Hütte in seinem Walde Letter-Findreight und Gras für Eure Ziegen, auch eine Kuh, wenn Ihr eine haben wollt. Wenn ich auch weit weg von Euch bin, so wird Euch doch mein Sold, Mutter, mit Mehl und allem, was Ihr sonst brauchen könnt, reichlich versorgen. Hegt also um mich keine Sorge! Ich trete wohl als gemeiner Mann ein, aber ich will, sofern es durch Pünktlichkeit und Tapferkeit im Dienste sich erreichen laßt, als Offizier und mit einem halben Dollar Einkommen pro Tag zurückkehren.«

»Armes Kind!« rief Elspat in einem Tone, in welchem sich Mitleid mit Verachtung paarte, »du traust also dem Mac Phadraick wirklich?«

»Ja, Mutter,« sagte Hamish, während die dunkelrote Farbe seines Stammes ihm auf Stirn und Wangen trat, »denn Mac Phadraick kennt das Blut, das in meinen Adern rollt, und weiß, daß Hamish zurück nach Breadalbane kehren würde, wenn er den Vertrag, der mit ihm in Eurem Betreff geschlossen wurde, nicht halten wollte, und daß seine Tags dann gezählt wären. Den Dolch stieße ich ihm ins Herz, wenn er das mir gegebene Wort bräche! So wahr Gott der Allmächtige lebt, der ihn und mich geschaffen hat!«

Blick und Haltung des jungen Kriegers zwangen Elspat auf eine Weile Ehrfurcht ab, denn solch feste, feierliche Rede, die ihr den Vater so lebhaft in Erinnerung rief, war sie nicht an ihm gewohnt. Aber sie fuhr mit ihren Einwänden in der gleichen bitteren Weise fort, wie sie begonnen hatte.

»Armer Junge!« rief sie, »und du meinst, daß über dem Zwischenraum einer halben Welt deine Drohungen gehört werden oder Berücksichtigung finden? Geh aber nur, geh und beuge deinen Nacken unter hannöversches Joch, gegen das jeder getreue Gäle bis zu seinem Tode kämpfte. Geh, und verleugne die königlichen Stuarts, für die dein Vater und deine Ahnen und deiner Mutter Ahnen Felder über Felder mit ihrem Blute gefärbt haben. Geh und beuge dein Haupt unter den Degengurt eines vom Geschlechte der Dermid, dessen Kinder,« setzte sie mit furchtbarer Stimme hinzu, »deiner Mutter Väter in ihren Wohnungen zu Glencoe ermordeten! Ja,« rief sie wieder und noch lauter, gellender, »ich war damals noch nicht auf der Welt, aber aus dem Munde meiner Mutter vernahm ich es, und ich lauschte der Stimme meiner Mutter, und ihre Worte klingen noch heute in meinen Ohren! In Frieden kamen sie und wurden gastfreundlich aufgenommen, und Blut ist geflossen und Feuer hat gewütet und Mord ist verübt worden!«

»Mutter,« erwiderte Hamish voll Trauer, aber mit Festigkeit, »dies alles habe ich bedacht! An der Hand des edlen Barcaldine klebt von dem Glencoer Blut kein Tropfen; der Fluch lastet auf dem unglücklichen Hause Glencoe, und Gott der Herr hat es an ihm und seinen Gliedern gerächt!«

»Sprichst ja schon ganz so wie der sächsische Pfaffe«, höhnte die Mutter; »ob du dich nicht noch besser stündest, wenn du bei Mac Allan Mhor um eine Kirche betteltest, daß du Vergebung predigen könntest für das Geschlecht Dermid?«

»Gestern war gestern, Mutter,« sagte hierauf Hamish, »und heute ist heute! Da die Clans niedergeworfen sind und in ihrer alten Reinheit und Unvermischtheit nicht weiter bestehen, sollte es für weise gelten, daß ihr Haß und ihre Erbitterung ihre Macht und Unabhängigkeit nicht überleben. Wer nicht wie ein Mann sich rächen kann, der sollte nicht nutzlose Feindschaft hegen wie ein besiegter Hahn. Der junge Barcaldine, Mutter, ist ehrlich und brav. Ich weiß, daß ihm Mac Phadraick geraten hat, mich nicht zu Euch hin gehen zu lassen, auf daß Ihr mir mein Vorhaben nicht ausredetet; aber Barcaldine hat ihm geantwortet: Hamish Mac Tavish ist eines braven Mannes Sohn und wird sein Wort nicht brechen. Mutter! Barcaldine führt hundert braver Galensöhne in ihrer Landestracht und mit den Waffen ihrer Väter ausgerüstet, Brust an Brust, Schulter an Schulter. Ich habe geschworen, mit ihm zu gehen. Er hat mir vertraut und ich will ihm vertrauen.«

Wie vom Donner gerührt war Elspat durch diese mit solcher Festigkeit erteilte Antwort und brach voller Verzweiflung zusammen. Gleich Wogen von einer Klippe waren die Beweise, die sie für so unwiderstehlich gehalten hatte, abgeprallt. Nach einer langen Pause füllte sie ihres Sohnes Becher und reichte ihn ihm mit dem Ausdruck achtungsvoller Niedergeschlagenheit und Unterwerfung.

»Trink,« sprach sie, »auf das Gedeihen des Baumes vor deines Vaters Hause, bevor du von ihm auf immer scheidest, und sage mir, da die Ketten eines neuen Königs und neuen Häuptlings, die deine Väter nur als Todfeinde kannten, an deines Vaters Sohne hängen – sage mir, wieviel Glieder zählst du an dieser Kette?«

Hamish nahm den Becher und sah sie an, als sei ihm nicht recht verständlich, was sie mit ihren Worten meinte. Mit gehobener Stimme fuhr sie fort:

»Sage mir, denn ich besitze ein Recht darauf, es zu wissen – sage mir, wieviel Tage, dich zu sehen, läßt mir der Wille derer, die du dir zu Herren erkoren hast? Mit anderen Worten: Wieviel Tage bleiben mir noch zu leben? Denn was hat die Erde noch, das mir das Leben wert machen könnte, wenn du von mir gehst?«

»Mutter,« versetzte Hamish, »sechs Tage kann ich bei Euch weilen, und ist es Euch recht, so will ich Euch am fünften in Euer neues Heim geleiten. Wollt Ihr hingegen hier bleiben, so will ich am siebenten mit Tagesgrauen aufbrechen, denn dies ist der letzte Termin, daß ich zurück nach Dumbarton muß. Melde ich mich nicht am achten als wieder eingetroffen, so werde ich als Deserteur bestraft und bin entehrt als Soldat und Edelmann.«

»Deines Vaters Fuß war frei wie der Wind auf der Heide,« gab sie zur Antwort, »ihn zu fragen, wohin gehst du, war ebenso müßig, wie diesen unsichtbaren Wolkenverjager zu fragen: weshalb bläst du? Sag mir, da du nun gehen mußt und gehen willst: welche Strafe trifft dich, wenn du in deine Sklaverei nicht zurückkehrst?«

Sprich nicht von Sklaverei, Mutter,« versetzte Hamish, »denn ich tue Dienst als ehrlicher Soldat, und Soldatendienst ist der einzige, der für Mac Tavish Mhors Sohn noch übrig ist.«

»Also sage mir: welche Strafe wartet deiner, wenn du nicht zurückkehrst?« fragte Elspat.

»Man straft mich als Deserteur«, erwiderte Hamish, und seiner Mutter entging der Kampf nicht, der in seinem Gemüte tobte. Sie nahm sich vor, das äußerste zu versuchen.

»Also die Strafe,« sprach sie mit einer Ruhe, die von ihrem blitzenden Auge Lügen gestraft wurde, »die den Hund erwartet, wenn er nicht parieren will? Ist es so, Hamish?«

»Stelle mir keine Fragen mehr, Mutter,« antwortete Hamish, »die Strafe bedeutet dem nichts, der sie nie verdienen wird!«

»Aber mir bedeutet sie was,« sagte Elspat, »denn ich weiß besser als du, daß dort, wo die Macht ist zu strafen, oft auch der Wille nicht fehlt, ohne Grund und Ursache zu strafen. Ich will beten für dich, Hamish, und muß darum wissen, gegen welches Unglück ich zu Ihm flehen muß, daß er dir Jugend und Unschuld bewahre, zu Ihm, der keinen verläßt, über dem niemand mehr wacht.«

»Mutter,« erwiderte Hamish, »sofern ein Mann entschlossen ist, nie in Strafen zu verfallen, so hat es wenig zu sagen, was für Strafen ausgesetzt werden. Unsere hochländischen Häuptlinge haben ihre Vasallen auch bestraft und, wie ich gehört habe, sehr grausam. War es nicht, wie ich von altersher mich erinnere, Lachlan Mac Lane, dem sein Häuptling den Kopf vom Rumpfe schlagen ließ, weil er vor ihm auf einen Hirsch geschossen hatte?«

»Ja.« antwortete Elspat, »und mit Recht ließ der Häuptling ihm den Kopf vor die Füße legen, weil er den Vater des Volkes entehrte angesichts der versammelten Clans. Allein die Häuptlinge des Hochlandes waren edler in ihrem Zorn: sie straften mit der scharfen Klinge und nicht mit dem Stocke. Ihre Strafe war blutig, aber sie brachte keinen Schimpf. Kannst du gleiches sagen von den Gesetzen, unter deren Joch du deinen, freigeborenen Nacken gebeugt hast?«

»Nein, Mutter, ich kann es nicht,« sagte Hamish düster, »selbst mit angesehen habe ich es, wie man einen Sassenach wegen Desertion oder Fahnenflucht, so lautet der Ausdruck im Kriegsgesetz, strafte. Er wurde geschlagen, mit Riemen geschlagen, ich bekenne es, wie ein Hund, der seine herrischen Herren erzürnt hat. Empört hat mich der Anblick, das muß ich sagen, und mir ist schlecht dabei geworden. Aber man straft nur solche wie Hunde, die schlechter sind als Hunde, elende Patrone, die Wort und Treue nicht zu halten wissen.«

»Gleichem Schimpf, Hamish, bist aber auch du ausgesetzt,« erwiderte Elspat, »wenn du was versiehst im Dienst oder deine Offiziere Anstoß an dir nehmen sollten. Ich mag nicht mehr mit dir über den Fall sprechen. Bloß eins sage ich noch: wäre der sechste Tag, von der heutigen Morgensonne ab gerechnet, mein Sterbetag und du verweiltest hier, mir die Augen zuzudrücken, so würdest du gleicherweise Gefahr laufen, an einen Pfahl gebunden und wie ein Hund gepeitscht zu werden? Ja! Sofern du kein Tröpfchen Mut besäßest, mich allein und an einsamem Herde sterben zu lassen, auf daß der letzte Funke von deines Vaters Herdfeuer und deiner Mutter letzter Lebensfunke zusammen verlöschen.«

Hamish schritt, von Ungeduld und Zorn befallen, in der Hütte auf und ab.

»Mutter,« sprach er nach einer Weile, »laß dich nicht durch solche Dinge beirren! Solcher Schande kann ich nicht ausgesetzt sein, denn ich werde mich der Ursache dazu nie schuldig machen, und sollte sie mir doch einmal drohen, dann werde ich, ehe ich mich so entehren lasse, zu sterben wissen.«

»Das spricht der Sohn meines Mannes!« rief Elspat.

Dann gab sie dem Gespräch eine andere Wendung. Es schien, als hörte sie dem Sohn mit stiller Schwermut zu, als er sie nun an die kurze Frist gemahnte, die sie noch miteinander zu verleben hätten, und herzlich bat, sie nicht mit unnützen und unangenehmen Erinnerungen zu vergeuden.

Siebentes Kapitel

Elspat hatte jetzt die Überzeugung gewonnen, daß außer anderen Eigenschaften des Vaters auch dessen stolzer männlicher Geist auf den Sohn überkommen sei, und daß sie nicht rechnen dürft, ihn von einem freiwillig gefaßten Schlusse abzubringen. Sie gab sich zufolgedessen das Ansehen, als schicke sie sich in diese unvermeidliche Trennung, und wenn sie auch dann und wann noch einmal zu klagen anfing, so geschah dies nur, weil sie ihr ungestümes Temperament nicht zügeln konnte oder weil sie denken mußte, es möchte ihrem Sohne auffällig sein, wenn sie sich so ohne weiteres fügen und ihn veranlassen wollte, auf seiner Hut zu sein und ihr alle Mittel, durch die sie ihn noch immer bei sich zu halten hoffte, aus der Hand zu winden. Die heiße, eigensüchtige Liebe, die sie für den Sohn fühlte und die sie unfähig machte, das wahre Interesse desselben zu erkennen, glich der dem Tiere vom Instinkt eingegebenen Liebe zu seinem Jungen, und wenn sie auch weiter in die Zukunft sah als Geschöpfe, die auf niedriger Daseinsstufe stehen, so hatte sie im Grunde doch keine andere Empfindung, als daß Trennung von Hamish für sie gleichbedeutend mit Tod sei.

In der kurzen Zeit, die noch blieb, erschöpfte sich Elspat in der Kunst, die nur Liebe eingeben kann, ihn auf alle erdenkliche Weise zu erfreuen und zu unterhalten. Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach Erzählungen und Sagen, die seit jeher für den Hochländer, wenn er Muße hat, die angenehmste Kurzweil bilden. Eine ungemeine Kenntnis bewies sie mit den Liedern der alten Sänger und mit den Märchen der berühmtesten Erzähler. Ihre Aufmerksamkeit gegen den Sohn kannte fast keine Grenzen, und wenn er ihr wehren wollte, blühendes Heidekraut für sein Lager zu sammeln oder ihm ein leckeres Mahl zu bereiten, dann sagte sie:

»Laß mich, Hamish, laß mich! Wenn du deine Mutter verläßt, so handelst du nach deinem eigenen Willen, laß nun auch deiner Mutter den Willen, wenn sie dir Freude machen will, so lange sie dich noch hat!«

Es schien, als sei sie nun mit den Anstalten, die er für ihren Unterhalt getroffen, zufrieden, denn, sie hörte ihn ruhig an, wenn er davon sprach, daß er sie zu Green Colin hinüber bringen wolle, auf dessen Grund und Boden er ein Asyl für sie ausbedungen hatte. In Wahrheit aber war sie weit entfernt davon, sich mit solchem Gedanken zu befreunden. Aus den feindseligen Worten, die während ihrer ersten Unterhaltung gefallen waren, hatte sie entnommen, daß er sich der Gefahr einer körperlichen Züchtigung aussetzte, wenn er zur festgesetzten Frist von seinem Urlaub nicht zurückkehrte. Aber sie wußte nun, daß er sich solcher Schmach auch nie unterziehen, also gewiß nicht zum Regiment zurückkehren werde. Ob sie die weiteren Folgen ihres Planes überdachte, ob sie sich gutes oder schlimmes für ihren Sohn daraus ersah, läßt sich nicht sagen. Aber soviel steht fest, daß sie als Frau des Mac Tavish Mhor, den sie auf allen Raub- und Kriegszügen begleitet und in keiner Gefahr im Stich gelassen hatte, hunderte, von Mitteln und Wegen zum Widerstand oder zur Flucht kannte, durch die ein braver Kerl in einem Landgebiet voll Felsen, Seen, Bergen, gefährlichen Pässen und dichten Wäldern sich der Verfolgung Hunderter entziehen könne. Für die Zukunft des Sohnes bangte ihr also nicht. Der einzige Gedanke, der sie beherrschte, war, ihren Sohn daran zu hindern, daß er seinem Vorgesetzten sein Wort halte.

Zufolge dieses geheimen Planes suchte sie den Vorschlag, den Hamish ihr wiederholt machte, nach der für sie gemieteten Hütte zu Green Colin hinüberzuziehen, zu hintertreiben durch allerlei Gründe und Ausflüchte, die bei ihrem Charakter so natürlich waren, daß sie bei dem Sohne weder Mißfallen noch Unruhe erregten.

»Laß mich nicht auch noch von dem Tale, in welchem ich so lange gelebt habe, in der gleichen Woche Abschied nehmen, in der ich dem einzigen Kinde Lebewohl sagen muß. Gönne meinen Augen, wenn sie von den Tränen um dich sich trüben, noch eine Weile Zeit, über den See Uwe und auf den Ben Cruachan zu blicken!«

Hamish fügte sich in die Launen der Mutter um so williger, als verschiedene andere Leute, deren Söhne sich gleichfalls bei Barcaldine hatten anwerben lassen, auf dessen Gütern verteilt werden sollten. Es wurde also beschlossen, daß sich Elspat an sie anschließen solle, wenn sie in ihre neuen Asyle zögen.

Auf diese Weise glaubte Hamish sowohl die Launen der Mutter berücksichtigt, als für ihre Bequemlichkeit und Sicherheit gesorgt zu haben. Die Mutter aber leiteten ganz andere Pläne!

Hamishs Urlaub nahte sich seinem Ende. Mehr denn einmal faßte er den Entschluß, aufzubrechen, um noch früh genug nach Dunbarton, der Stadt, in welcher sein Regiment in Quartier lag, zu gelangen. Aber die Bitten der Mutter, die eigene erklärliche Gemütsstimmung, die Liebe zu der ihm so teuren Heimat, vor allem aber das Vertrauen in sich, auf seine Schnelligkeit und Körperkraft, bestimmten ihn, den Aufbruch bis zum sechsten Urlaubstage, hinauszuschieben, dem letzten, den er bei der Mutter zubringen durfte, sofern er nicht gegen die Bedingungen seines Urlaubs verstoßen, also für fahnenflüchtig angesehen sein wollte.

Achtes Kapitel

Am Abend vor dem für den Aufbruch festgesetzten Tage ging Hamish Zum Flusse hinab, um zu angeln, ein Geschäft, in welchem er sehr geschickt war. Es sollte ihm zugleich ein besseres Mahl bringen, als die Mutter sonst hatte bereiten können. Das Glück war ihm hold, und er fing bald einen prächtigen Salm.

Auf dem Heimweg trug sich ein Fall zu, geeignet, einem Hochländer wie Hamish als schlimme Vorbedeutung zu gelten, der schließlich, wenn er auch eine Zeitlang in der Fremde gelebt hatte, noch immer nicht frei von Aberglauben war. Auf dem zu seiner Hütte hinaufführenden Pfade erblickte er nämlich zu seinem nicht geringen Erstaunen eine Gestalt, die gleich ihm die alte Hochlandstracht und die alten Waffen des schottischen Kriegsmannes trug. Sein erster Gedanke war, er habe jemand von seinem Korps vor sich, weil es, als durch die Regierung angeworben, außerhalb der gegen hochländische Tracht und Waffen erlassenen Verordnungen stand. Unter diesem Eindruck verdoppelte er seine Schritte, um den vermeintlichen Kameraden einzuholen, den er für den kommenden Tag zu sich einzuladen vorhatte.

Aber wie groß war sein Schreck, als er jetzt sah, daß der Fremde die große Kokarde trug, das in den Hochlanden so streng verbotene verhängnisvolle Abzeichen. Die Gestalt war groß; und durch den Schatten, den sie warf, wuchs sie ins Ungeheuerliche. Die Art, wie sie sich bewegte, glich mehr einem Schweben als einem Gehen. Kein Wunder, daß Hamish, dessen erhitzte Phantasie ohnehin zu dem bei seinen Landsleuten so scharf vorherrschenden Hange zum Wunderbaren neigte, von Furcht vor einer übernatürlichen Erscheinung, die im Zwielicht sich vor ihm her bewegte, befallen wurde, und daß es ihm nicht länger mehr eilig war, derselben näher zu kommen oder sie gar einzuholen. Aber dem Aberglauben des Hochländers gemäß, man solle solchem »Mar« oder Gespenst weder nahen noch aus dem Wege gehen, sondern abwarten, ob es reden und Kunde geben oder schweigen und Kunde weigern werde, je nachdem es seine Macht zulasse und seine Bestimmung fordere – diesem Aberglauben gemäß behielt er es im Auge.

Auf einer hohen Stelle seitlich vom Wege, gerade dort, wo der Pfad zu Elspats Hütte hinunterging, blieb die Gestalt stehen, als wolle sie auf Hamish warten, Hamish seinerseits sah, daß er an ihr vorbei müsse, nahm also all seinen Mut zusammen und näherte sich, wenn auch langsam, der Stelle, wo die Gestalt stand.

Zuerst zeigte sie auf Elspats Hütte; dann machte sie mit Kopf und Arm eine Bewegung, daß Hamish ihr nicht nahe kommen solle. Dann streckte sie die Hand nach dem südwärts führenden Wege aus und schien in dieser Richtung weiterziehen zu wollen. Dann noch ein Augenblick und die Gestalt war verschwunden. An Felsen und Unterholz, wohinter sie sich bergen konnte, war sicherlich kein Mangel. Aber Hamish war der festen Meinung, der Geist Mac Tavish Mhors sei ihm erschienen und habe ihn gemahnt, mit seiner Wanderung nach Dunbarton nicht zu säumen, nicht bis zum Morgen zu warten und die Hütte der Mutter nicht mehr zu betreten.

Es konnten wirklich allerhand Vorfälle sich ereignen, durch die sich die Reise verzögerte, zumal er über manchen Strom auf Fähren übersetzen mußte. So faßte er den festen Entschluß, nur so lange noch verziehen zu wollen, bis er Abschied von der Mutter genommen hätte, denn ohne solchen aufzubrechen, dazu konnte er sich nicht entschließen. Der erste Strahl der Frühsonne sollte ihn schon unterwegs nach Dunbarton sehen.

Er stieg den schmalen Pfad hinunter und trat in die Hütte. Hastig, in zitterndem Tone, nur mühsam die Erregung bekämpfend, die in seinem Innern tobte, gab er der Mutter seinen Entschluß, auf der Stelle aufzubrechen, bekannt. Zu seinem Befremden schien die Mutter nichts gegen diese Absicht zu haben. Bloß bat sie ihn, ehe er von ihr gehe, sich durch Speise und Trank noch zu stärken. Er aß von dem, was da war, schnell und schweigend, im Gedenken der nahen Trennung und mit der Zuversicht, daß es dabei ohne einen letzten Kampf mit der Mutter nicht abgehen werde.

Zu seinem Erstaunen füllte sie aber den Becher schweigend zum Abschiedstrunk.

»Geh, mein Sohn,« sprach sie, »da es nun doch einmal dein fester Entschluß ist. Aber trink erst noch einmal am elterlichen Herde, auf dem die Flamme erloschen sein wird, lange bevor du deinen Fuß wieder wirst hierher setzen können.«

»Dir zur Gesundheit, Mutter!« sagte Hamish; »möge es uns beschieden sein, trotz Eurer Rede schlimmer Vorbedeutung, in Glück und Freude wieder zusammenzukommen.«

»Besser, wir trennten uns überhaupt nicht«, versetzte die Mutter, ihn scharf im Auge haltend, als er den Inhalt des Bechers in die Kehle schüttete.

»Und nun geh!« – sprach sie – und leise vor sich hin wiederholte sie: »Geh! wenn du – kannst!«

»Mutter,« erwiderte Hamish, indem er den leeren Becher auf den Tisch setzte, »Euer Trank schmeckt gut, aber statt zu stärken schwächt er.«

»Das ist seine erste Wirkung, mein Sohn«, versetzte Elspat; »leg dich auf dies weiche Lager und ruhe eine Weile! Eine einzige Stunde wird dich kräftiger machen als der gewöhnliche Schlaf von drei Nächten.«

»Mutter,« rief Hamish, bei dem sich schon die schnelle Wirkung des Trankes zeigte, »gebt mir mein Barett! Ich muß jetzt Abschied nehmen und gehen. Aber wie wird mir? Mir ist zu Mute, als sei mir der Fuß an den Boden genagelt.«

»Es wird dir sicherlich schnell wieder besser, wenn du dich ein halbes Stündchen legst. Bloß ein halbes Stündchen! Noch ist es acht Stunden hin bis Tagesanbruch, dann ist noch immer Zeit im Überfluß für deines Vaters Sohn, solche Wanderung anzutreten.«

»Ich muß Euch gehorchen, Mutter,« antwortete Hamish mit schwerer Zunge, »ich fühle, daß ich es muß, aber weckt mich, sobald der Mond aufgeht.« Er setzte sich auf das Lager, sank um und lag bald in festem Schlafe.

Neuntes Kapitel

Mit klopfendem Herzen, halb vor Freude, halb vor Bangigkeit, gleich dem, der ein schweres Stück Arbeit glücklich zu Ende gebracht hat, trat Elspat leise zu dem bewußtlosen Schläfer, dem ihr Übermaß von Liebe so verderblich werden sollte, und legte ihm sanft den Mantel über die Beine. Dabei gab sie ihrer Freude durch Zeichen der Liebe und durch Frohlocken Ausdruck.

»Ja«, sagte sie, »Kind meines Herzens! Der Mond wird heraufsteigen und auf dich scheinen und auch die Sonne; aber nicht, um dir aus deinem Vaterhaus zu leuchten dorthin, wo du einem fremden Fürsten dienen sollst oder zinsbarem Feinde. Keinem Sohne von Dermid soll ich überliefert werden, um von ihm gefüttert zu werden wie eine Sklavin, sondern der wird mein Hüter und Beschützer sein, der mein Stolz ist und meine Freude! Ihr sagt, das Hochland sei anders geworden? Aber ich sehe, der Ben Cruachan hebt sein Haupt am Abendhimmel noch ganz so hoch wie ehedem! Noch hat niemand die Kühe unten in der Tiefe des Loch Awe zur Weide getrieben, und noch immer beugt sich der Eichbaum nicht wie Farrenkraut. Aber die Kinder der Berge werden sein wie ihre Väter, bis die Berge gleich werden den Tälern. Noch immer geben diese wilden Forste, einst der Tummelplatz für Tausende von Männern, sichere Zuflucht für ein altes Weib und einen schönen Jüngling aus altem Geschlecht und von alter Sitte.«

Durch das Leben in der Wildnis, das Elspat mit ihrem Manne durch Jahre hindurch geführt hatte, war sie zu ungewöhnlicher Kenntnis von Pflanzen und Kräutern gelangt. Sie wußte sie ebenso leicht zu finden wie zu behandeln. Sie konnte Krankheit besser heilen, als mancher wirkliche Arzt. Aus diesen bereitete sie die Farben für den bunten Tartan des Hochländers, aus jenen Tränke von allerlei Wirkung, und so besaß sie auch das Geheimnis der Bereitung eines stark wirkenden Schlaftrunks. Auf ihn setzte sie, wie der Leser schon gesehen haben wird, die Hoffnung, ihren Sohn über die Frist hinaus festhalten zu können, die ihm für die Rückkehr gesetzt war. Sie kannte

sein Entsetzen vor der Strafe, welcher er sich hierdurch aussetzte, und hierauf baute sie ihre Hoffnung, ihn von aller Rückkehr fernzuhalten.

Zehntes Kapitel

Hamishs Schlaf an diesem verhängnisvollen Abend war tiefer, als es der Natur gemäß ist, aber die Mutter fand keine Ruhe. Kaum schloß sie von Zeit zu Zeit einmal die Augen, so schreckte sie auch schon auf, von Furcht erfüllt, ihr Sohn möchte aufgewacht und weggegangen sein. Dann trat sie an sein Lager heran und lauschte den tiefen, regelmäßigen Atemzügen, bis sie sich wieder beruhigt hatte darüber, daß er noch immer fest schlafe.

Aber als der Morgen dämmerte, beschlich sie die Furcht, er möge aufwachen, trotz der ungewöhnlichen Stärke des Tranks, den sie ihm gereicht hatte. Daß er es versuchen würde, Dunbarton, sein Quartier, zu erreichen, wenn ihm noch irgend eine Hoffnung blieb, es pünktlich zur festgesetzten Zeit erreichen zu können, das wußte sie, und wenn er laufen sollte, bis er vor Müdigkeit zusammenbräche. Unter dem Eindruck dieser neuen Besorgnis suchte sie das Tageslicht fernzuhalten und verstopfte alle Spalten und Ritzen, durch welche die Strahlen der Frühsonne leichter als auf anderem Wege Zugang in ihre elende Behausung finden konnten. Und das alles tat sie, um ein geliebtes Wesen in Mangel und Elend festzuhalten, für das sie mit Freuden die ganze Welt hingegeben hätte, wenn sie ihr zur Verfügung stände.

Es war unnötige Angst gewesen. Schon stand die Sonne hoch am Himmel und der schnellste Hirsch von ganz Breadalbane hätte vor der Meute nicht schneller um sein Leben rennen können, als Hamish hätte rennen müssen, um zu der Zeit, da sein Urlaub ablief, noch bis Dunbarton zu kommen.

Sie hatte ihren Zweck erreicht. Die Rückkehr zum festgesetzten Termin war unmöglich, und für ebenso unmöglich hielt sie es, daß er es sich je einfallen lassen würde, auf die Gefahr einer schimpflichen Strafe hin zurückzukehren. Es war ihr langsam klar geworden, welches Schicksal seiner wartete, wenn er zum festgesetzten Tage ausbliebe, und welche geringe Hoffnung er sich auf gelinde Behandlung zu machen habe.

Der Gedanke des großen und klugen Grafen Chatham, die tapferen Hochländer zur Verteidigung der amerikanischen Kolonie für England aufzubieten, ist bekannt. Es traten aber mancherlei Hindernisse der Ausführung dieses vaterländischen Planes entgegen, die ihre Gründe in dem seltsamen Charakter dieses Bergvolkes haben. Natur und Gewohnheit bestimmten jeden Hochländer, Waffen zu tragen, entfremdeten ihn aber gleichzeitig jeder bei regulären Truppen unumgänglich notwendigen Disziplin. Sie bildeten eine Art Miliz, die kein Kriegslager außer ihrer Heimat kannten und gelten lassen mochten. Verloren sie eine Schlacht, so liefen sie auseinander, indem jeder auf seine persönliche Rettung und auf die Sicherung seiner Sippe bedacht war. Gewannen sie eine Schlacht, so kehrten sie in ihre Berge zurück, um dort die gemachte Beute aufzuhäufen, nach wie vor für ihr Vieh zu sorgen und ihre Äcker zu bestellen. Das Vorrecht, zu gehen und zu kommen, wie es ihnen beliebte, ließen sie sich von ihren Häuptlingen, denen sonst so große Macht zustand, niemals kürzen. Daß die in den Hochlanden neugeworbenen Rekruten eine militärische Kapitulation nicht begreifen konnten, die den, der sie abgeschlossen hatte, für die Zeit ihrer Dauer zum Dienst bei den Waffen zwang und nicht bloß so lange, wie es ihm gerade beliebte, war durchaus natürlich. Vielleicht wurde manchmal auch nichts getan, sie in entsprechender Weise über die Dauer der Kapitulation zu unterrichten, wenn eine solche abgeschlossen wurde, um sie durch solchen Bescheid nicht erst auf andere Gedanken zu bringen. Desertion war deshalb bei diesen neugeworbenen Regimentern keineswegs eine Seltenheit, und so hatte der greise Oberst, der in Dunbarton kommandierte, sich nicht anders Rat gewußt, als daß er an einem Soldaten, der aus einem englischen Korps desertierte, ein Exempel ungewöhnlicher Strenge statuierte.

Das junge Hochländer-Regiment war zu der Exekution kommandiert worden, um ein Volk, das so hoch auf persönliche Ehre hält, mit Schrecken und Abscheu zu erfüllen. Aber es übte auch noch eine andere Wirkung, indem es ihm alle Lust zum Kriegsdienste unter englischer Fahne benahm.

Der alte Oberst, von Jugend auf in deutschen Kriegen an strenge Disziplin gewöhnt, wich von seiner Ansicht nicht ab, sondern gab Befehl, den ersten Hochländer, der seine Fahne verließe oder nach Ablauf seines Urlaubs nicht pünktlich wieder einträfe, öffentlich auspeitschen zu lassen, gleichwie jenen ersten Deserteur, von dessen Züchtigung sie Zeugen gewesen waren. Daß der Oberst sein Wort auch halten werde, daran zweifelte niemand, und deshalb war Elspat auch überzeugt, daß ihr Sohn, wenn er die Bedingung rechtzeitigen Eintreffens vom Urlaub nicht erfüllen könne, auf die Rückkehr zum Regiment ganz verzichten werde.

Als es Mittag wurde, ohne daß sich in der Situation etwas änderte, stiegen in der Brust des einsamen Weibes neue Besorgnisse auf. Ihr Sohn schlief noch immer, wie betäubt von dem Tranke, den sie ihm gereicht hatte. Wenn der Trank zu stark gewesen wäre? Wenn er die Gesundheit oder den Verstand des Sohnes angegriffen hätte? Dann kamen ihr, trotz der hohen Meinung, die sie von ihrer mütterlichen Gewalt über ihr Kind hatte, noch schrecklichere Gedanken. Sie fragte sich, wie sie ihrem Hamish, den sie doch, wie ihr Herz ihr sagte, betrogen hatte, gegenübertreten solle, wenn er zum Bewußtsein zurückkäme? Schon längst hatte sie ja die Wahrnehmung gemacht, daß er ihr nicht mehr recht gehorchen wollte, daß er es liebte, seine Entschlüsse frei und unabhängig zu fassen und unerschrocken auszuführen. Hatte er das doch sattsam bewiesen gelegentlich seiner freiwilligen Stellung zu dem Regimente der Hochschotten! Es fiel ihr ein, welchen unbezähmbaren Starrsinn sein Vater besessen hatte, sobald er irgendwie merkte, daß Mißbrauch mit ihm getrieben werden solle oder gar getrieben worden war, und nun kam sie Furcht an, ihr Sohn möchte, wenn er der List inne würde, die sie gegen ihn gebraucht habe, unbändig werden, sie ganz im Stich lassen und in die weite Welt hinausflüchten.

Und diese Besorgnisse ängstigender Natur wichen nun nicht mehr von der unglücklichen Frau.

Elftes Kapitel

Es wurde Abend, ehe Hamish erwachte. Aber im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte war er noch bei weitem nicht. Als Elspat seine wirren Reden vernahm, als sie den unregelmäßigen Pulsschlag fühlte, da befiel die Frau die schrecklichste Angst. Sie bot alles auf, was sie von Arzneien und ärztlichem Wissen irgend anwenden konnte, diese schwere Betäubung von ihrem Sohne zu nehmen, und hatte endlich die Freude, ihn des Nachts abermals in einen tiefen Schlaf sinken zu sehen, der wahrscheinlich die Wirkung des Trankes aufheben würde.

Gegen Sonnenaufgang hörte sie ihn auch aufstehen und laut nach seiner Mütze rufen, die sie mit Absicht versteckt hatte, weil sie besorgte, er möchte während der Nacht munter werden und sich ohne ihr Wissen hinwegbegeben.

»Meine Mütze! Meine Mütze!« rief Hamish, »ich muß aufbrechen. Es wird die höchste Zeit! Euer Trunk, Mutter, war zu gut gemeint! Die Sonne steigt ja schon herauf, aber am nächsten Morgen muß ich die Doppelkuppel vom alten Dun sehen. Meine Mütze, Mutter, meine Mütze! Ich muß fort, muß im Augenblick fort!«

Diese Worte ließen deutlich erkennen, daß der unglückliche Jüngling nicht wußte, daß drei Nächte und ein Tag verstrichen waren, seit er den Becher getrunken hatte, und jetzt hub für Elspat die schlimme und, wie sie recht wohl wußte, gefahrvolle Verpflichtung an, ihn über ihre Tat aufzuklären.

»Verzeih mir, mein Sohn«, sagte sie, auf Hamish zutretend, und nahm seine Hand mit einem Ausdruck, so voller Angst, wie sie ihn vielleicht nicht immer ihrem Manne gegenüber, wenn er finsterer Laune war, gezeigt haben mochte.

»Euch verzeihen, Mutter, und weshalb?« erwiderte Hamish mit Lachen. »Weil Ihr mir einen Trunk reichtet, der zu stark war und den ich heut morgen noch im Kopfe spürte? Oder weil Ihr mir, um mich einen Augenblick länger zu halten, die Mütze verstecktet? Nein, Mutter! Verzeiht Ihr mir, das ist das Richtigere zwischen uns. Gebt mir meine Mütze und laßt geschehen, was sich nicht ungeschehen machen läßt. Gebt mir die Mütze, oder ich gehe ohne sie. Mich soll das gewiß nicht abhalten, habe ich doch jahrelang bloß einen Lederriemen gehabt, das Haar mir aufzubinden! Gebt mir die Mütze, Mutter, oder ich muß barhäuptig gehen, denn länger, hier zu bleiben ist mir unmöglich.«

»Mein Sohn,« Hub Elspat an, ihn fest bei der Hand nehmend, »Geschehenes läßt sich nicht ändern! Könntest du dir vom Adler die Schwingen borgen, so würdest du doch zu spät kommen nach Dun zu dem, was du vorhast, zu früh aber zu dem, was deiner dort wartet. Du meinst, die Sonne zum erstenmal, seit du sie sinken sahst, aufsteigen zu sehen, aber gestern sah sie der Ben Cruachan, während deine Augen dem Lichte verschlossen lagen.« Einen wilden Blick äußersten Schreckens warf Hamish auf die Mutter. Dann faßte er sich schnell und sagte:

»Mutter, ich bin kein Kind, mich durch solche Kniffe von meinem Vorsatz abbringen zu lassen. Lebt wohl, Mutter! Jeder Augenblick wiegt ein Leben auf!«

»Halt ein,« rief sie, »und bleib hier, mein heißgeliebter und schwerbetrogener Sohn! Stürze dich nicht in Verderben und Schande! Dort auf der Straße erblick ich den Priester auf seinem Schimmel. Geh, frag ihn um Wochen- und Monatstag. Er mag entscheiden zwischen dir und mir!«

Schnell wie der Adler flog Hamish den Hang hinauf und trat vor den Geistlichen von Glenorquhy, der so früh auf dem Wege war, um nach Bunawe, einer in Trauer befindlichen Familie zum Troste, zu eilen.

Der wackere Priester war aufs höchste betroffen, einen Hochländer im Tartan und in Waffen vor sich zu sehen, der sich im Zustande wilder Erregtheit seinem Gaul entgegenwarf und mit lallender Stimme nach Wochen- und Monatstag fragte.

»Wäret Ihr gestern gewesen, junger Mann, wo Ihr hättet sein sollen, dann wüßtet Ihr, daß es am Sabbath gewesen wäre und daß wir heut Montag, den zweiten Tag der Woche, haben, und zwar den einundzwanzigsten des Monats!«

»Ist das wahr, Pfarrer?« rief mit dem Ausdruck entsetzlicher Bangigkeit Hamish.

»So wahr,« antwortete der Priester überrascht, »als daß ich gestern in meiner Pfarrkirche das Wort Gottes verkündigte. Junger Mann«, setzte er hinzu, »was fehlt Euch? Seid Ihr krank oder nicht recht bei Verstand?«

Hamish gab keine Antwort, sondern wiederholte bloß mit lallender Stimme die ersten Worte, mit denen der Pfarrer ihm Antwort gegeben hatte:

»Wäret Ihr gestern gewesen, wo Ihr hättet sein sollen–«

Dann stand er eine kurze Weile da, wie von Sinnen, dann ließ er den Zügel des Pferdes fallen und ging den Fußpfad zur Hütte hinab, mit der Miene und im Schritt eines Delinquenten, der zum Hochgericht geführt wird.

Verwundert sah ihm der Geistliche nach, indessen konnte er es nicht über sich gewinnen, den Fuß zur Hütte hinunterzusetzen, denn der Charakter des Weibes, das dort hauste, war ihm wohlbekannt, galt sie doch allgemein als Papistin oder vielmehr als Frau, die gar keine Religion besäße, sondern nur wenige abergläubische Gebräuche, die sich von den Eltern auf sie vererbt hätten.

Mit Hamish hatte Ehrwürden Mr. Thrin dann und wann, bei zufälliger Begegnung, ein Gespräch angeknüpft und recht Wohl erkannt, daß, wenn auch die Saat hier zwischen die Dornen eines wilden und ungezügelten Gemüts fiel, sie doch nicht ganz verloren war. Die Gesichtszüge des Jünglings hatten einen so gräßlichen Ausdruck gezeigt, daß der wackere Mann sich versucht fühlte, zur Hütte hinunterzusteigen und Nachfrage zu halten, ob die Leute etwa Unglück getroffen habe. Vielleicht daß sich ihm Gelegenheit böte zur Tröstung oder anderswie seines Amtes zu walten.

Ein Unstern fügte es, daß diesem Gedanken nicht der Entschluß folgte, denn großes Unglück wäre dann vielleicht verhütet worden, weil der Pfarrer schließlich doch vielleicht hätte vermitteln können. Aber der rauhe Sinn der damaligen Hochländer, deren Erziehung noch der alten Volkssitte gemäß erfolgt war, schreckte ihn davor zurück, sich um das Schicksal von Witwe und Sohn des gefürchteten Räubers Mac Tavish Mhor zu bekümmern, und so ließ er eine Gelegenheit, viel Gutes zu stiften, ungenützt vorbeiziehen, zum Höchsten Schaden, wie er später zu seinem schweren Leidwesen erkannte, eines unseligen Menschenpaares.

Zwölftes Kapitel

Hamish Mac Tavish trat wieder in die Hütte der Mutter und warf sich wieder auf das Lager, von dem er eben erst sich erhoben hatte.

Zerknirscht rief er: »Verloren, verloren!« und machte seinem Schmerze über den grausamen Betrug, dessen unglückliches Opfer er geworden, in herzzerreißenden Klagen und Verwünschungen Luft.

Auf solchen ersten Zornesausbruch war Elspat gefaßt.

Sie dachte bei sich: »Was ist es anders, als eine Gießbachsflut, vom Gewitter veranlaßt? Warten wir am Ufer ab! Und wenn es zurzeit auch noch so tobt, so wird es doch nicht lange währen, bis wir trockenen Fußes hinüberkönnen.«

Selbst bei diesem äußersten Schmerze, der ihm die Brust zerriß, bewegten seine Klagen und Vorwürfe sich in den Schranken kindlicher Ehrerbietung, und Elspat hörte alles an, ohne ihm Antwort zu geben. Eist als er die Ausdrücke des Schmerzes, dessen Sprache ja für den von ihm Betroffenen so reich ist, bis auf die Neige erschöpft hatte und in finsteres Schweigen sank, erst dann, nach Verlauf von fast einer Stunde, trat sie an sein Lager.

»Bist du nun zu Ende mit deinen vergeblichen Klagen?« fragte sie mit einer Stimme, die von Mutterwürde und Mutterliebe zugleich erfüllt war, »vermagst du nun, was du gewonnen, dem, was du verloren, gegenüberzustellen? Ist der falsche Sachse von Dermid dein Bruder oder deines Stammes Vater, daß du Tränen vergißt, weil du dich nicht an seine Degenkoppel binden, nicht einer von denen werden kannst, die tun müssen, was er gebeut? Kannst du in jenem fernen Lande die Berge und Seen wiederfinden, die du hier zurücklässest? Kannst du den Breadalbane-Hirsch in Amerikas Wäldern jagen? Gibt dir der Ozean den silberschuppigen Salm des Awe? Erwäge, was du verloren hast, und halte es als weiser Mann dem gegenüber, was du gewonnen.«

»Ich habe alles verloren, Mutter,« antwortete Hamish, »denn ich habe mein Wort gebrochen und meine Ehre geschändet. O, könnte ich mein Schicksal beichten! Aber wem? Wer möchte mir glauben?«

Der unglückliche Jüngling ballte von neuem die Hände, preßte sie an die Stirn und vergrub das Gesicht in den Kissen.

Jetzt geriet Elspat wirklich in Unruhe. Jetzt beschlich sie der Wunsch, den Betrug nicht versucht zu haben. Ihre einzige Hoffnung beruhte noch darauf, daß es ihrer Beredsamkeit gelingen werbe, den Sohn zu überzeugen, daß er nicht alles verloren, sondern alles gewonnen habe; und die Gabe der Beredsamkeit besaß sie auch in nicht geringem Grade, wenn auch ihre völlige Unbekanntschaft mit dem dermaligen Stande der Dinge ihre Kraft lähmte. Mit den zärtlichsten Schmeichelreden, die eine Mutter dem Sohne sagen kann, bat sie ihn, nunmehr auf seine Sicherheit bedacht zu sein.

»Ich will deine Verfolger hintergehen,« sagte sie, »will dein Leben, deine Ehre retten, will ihnen sagen, mein schönlockiger Hamish sei von dem Corrie Dhu [Schwarzer Schlund] in die Tiefe gestürzt, deren Grund noch keines Menschen Auge erblickt hat. Ja, Hamish, das will ich ihnen sagen, und damit sie mir glauben, will ich deinen Plaid auf die Dornen werfen, die am Rande der Schlucht wachsen; glaube mir, Hamish, sie werden es glauben und werden zu der Doppelkuppe des Dun zurückkehren, denn wohl mag die Trommel der Sachsen den Lebenden zum Tode rufen, nicht aber den Toten zu ihrem knechtischen Banner. Dann ziehen wir gen Norden zu den salzigen Seen von Kintail und lassen Berge und Täler zwischen uns und den Söhnen von Dermid. Wir besuchen die Ufer des schwarzen Sees und besuchen all meine Verwandten, denn war nicht meine Mutter eines der Kinder von Kenneth? Und werden sie unser nicht mit der alten Liebe gedenken? Ganz sicher werden meine Verwandten uns mit der Liebe der alten Zeiten aufnehmen, die in jenen fernen Tälern blüht, wo die Gälen noch wohnen in ihrer alten Größe und Herrlichkeit und unvermischt mit den gemeinen Sachsen oder der Bastardbrut ihrer Knechte und Sklaven.«

Die kräftige Sprache, die oft in ihren gewöhnlichsten Ausdrücken in Hyperbeln spricht, schien doch beinahe zu matt, selbst für Elspats überzeugende Beredsamkeit, um das gleißende Bild auszumalen, das sie von dem Lande entwarf, wohin sie mit ihm zu fliehen gedachte.

Auch waren es der Farben nur wenige, mit denen sie ihr hochländisches Paradies malen konnte.

»Die Berge dort,« fuhr sie fort, »sind höher und prächtiger als die in Breadalbane, und der Ben Cruachan ist bloß ein Zwerg gegen den Skoorovra. Die Seen dort sind breiter und tiefer und bergen nicht bloß Fische im Überfluß, sondern auch verhexte Amphibien [den Seehund betrachtete der Hochländer als verzauberten Prinzen], von denen wir das Öl zu den Lampen bekommen. Dort sind die Hirsche größer und zahlreicher. Dort wird der Eber mit den weißen Hauern, nach dessen Jagd den tapferen Schotten am meisten gelüstet, in den Öden des Westens noch immer gestellt. Dort sind die Männer edler und Weiser und stärker als die entartete Brut, die unter dem sächsischen Banner lebt. Dort sind die Töchter des Landes voll Liebreiz, mit den blauen Augen und dem schönen Lockenhaar, und aus ihrer Schar, Hamish, will ich für dich ein Weib suchen von tadelloser Abkunft und unbeflecktem Rufe, von treuer und wahrer Liebe, das zur Sommerszeit in unserer Hütte sein soll wie ein Sonnenstrahl, und zur Winterszeit wie die Wärme des Herdfeuers.«

Mit solchen Worten suchte die Mutter ihren trostlosen Sohn zu beruhigen, suchte ihn zu überreden, daß er von dem gefährlichen Orte wiche, an dem er nun zu bleiben entschlossen schien. Ganz so wie sie zu Hamish gesprochen hatte, wenn er als Knabe unwillig oder unfolgsam gewesen war, ganz so sprach sie noch heute zu ihm, und je mehr sie daran verzweifelte, mit ihren Worten ihre Wünsche erfüllt zu sehen, desto lauter, schneller und eindringlicher redete sie.

Aber auf Hamish machten all ihre Worte keinen Eindruck, war ihm doch die wirkliche Beschaffenheit des Landes besser bekannt als ihr, und wußte er doch nur allzu gut, daß es im ganzen Hochlande, wenn sich auch vielleicht in seinen höheren Gebirgsstrichen jemand als Flüchtling eine Weile lang fristen könnte, doch schon lange kein Winkelchen mehr gäbe, wo sich seines Vaters Handwerk noch hätte ausüben lassen, ganz abgesehen davon, daß ein Räuberleben kein Weg mehr zu Ehren und Auszeichnungen sei. Zu dieser Wahrheit hatte Hamish, so niedrig der Stand seiner eigentlichen Bildung war, die Aufklärung der Zeit, in der er lebte, geführt.

Elspat verschwendete mithin all ihre Reden an taube Ohren und erschöpfte sich vergebens in Versuchen, die Gegend, wo die Verwandtschaft seiner Mutter noch heute lebe, ihm in gleißenden Farben und mit schmeichlerischen Worten zu schildern. Stundenlang redete sie, aber immer umsonst, und keine Antwort vermochte sie ihm abzugewinnen außer Tränen, Seufzern und Ausrufungen, äußerster Verzweiflung.

Endlich sprang sie auf. Aus dem ruhigen Tone, in welchem sie das Land gepriesen hatte, wohin sie flüchten wollte, in die kurze rauhe Sprache finsterer Leidenschaft verfallend, rief sie zornig:

»Ich Törin, daß ich meine Worte an einen trägen Burschen von schwächlichem Mut und ärmlichem Verstand verschwende, der sich wie ein Hund vor der Peitsche duckt. Bleib hier und erwarte deine Vögte, sowie deine Züchtigung von ihren Händen! Aber glaube nicht, daß es deiner Mutter Augen mit ansehen werden. Ich könnte es nicht, es wäre mein Tod! Dem Tod sah ich oft ins Auge, niemals aber der Schande. Leb' wohl Hamish! Wir sehen uns niemals wieder!«

Schnell wie ein Kiebitz schoß sie aus der Hütte, im Augenblick vielleicht tatsächlich willens, auf immer von ihrem Sohne zu scheiden. Wer sie diesen Abend getroffen hätte, gleich einem ruhelosen Gespenst durch die Wildnis streifend, im Selbstgespräch mit sich in Ausdrücken, die keine Feder wiedergeben möchte, dem wäre sie ein furchtbarer Anblick gewesen. Stundenlang rannte sie umher, absichtlich die gefahrvollsten Pfade und Steige aufsuchend, statt sie zu vermeiden, durch das Moor auf schwankem Boden, am Rande jäher Abgründe hin, neben reißenden Gießbächen her, und immer hastig, unbedacht; verwegen. Aber der Mut, den ihr Verzweiflung einflößte, rettete ihr das Leben, das sie, wenngleich Selbstmord mit Vorbedacht kein häufiges Verbrechen im Hochlande ist, doch vielleicht abzuschließen suchte. Fest und sicher, wie der Tritt der Gemse, war ihr Tritt auf Schroffen, an Schluchten und neben Strömen, und ihr Blick so scharf, daß sie Gefahren, die kein anderer am hellen Mittag gewahrt hätte, mitten in finsterer Nacht erkannte.

Nicht geradeaus ging sie, sonst wäre sie bald weit entfernt von der Hütte gewesen, in der sie den Sohn zurückgelassen hatte, sondern im Kreise, wie die Häsin um ihr Lager. Denn die Hütte war der Mittelpunkt, um den sich alle Fibern ihres Herzens drehten, und ihr Herz sagte ihr, daß sie sich aus der Nähe dieses Mittelpunktes unmöglich entfernen könne.

Dreizehntes Kapitel

Mit dem ersten Sonnenstrahl fand sie den Weg zur Hütte zurück. Eine Weile blieb sie vor der aus Zweigen geflochtenen Tür stehen, als schäme sie sich, daß ihre törichte Mutterliebe sie wieder an die Stätte zurückgeführt haben sollte, die sie in der Absicht, nie wieder zurückzukehren, verlassen hatte. Aber ihr Zaudern hatte seinen Grund mehr in Furcht und Angst – Furcht, ihrem schöngelockten Hamish mochte der Schlaftrunk von schlimmer Wirkung gewesen sein – Angst, seine Feinde möchten ihn nachts überfallen haben.

Leise drückte sie die Tür der Hütte auf und trat mit geräuschlosem Schritt ein.

Erschöpft von Kummer und Bangigkeit, vielleicht noch immer von dem starken Schlaftrunk benommen, lag Hamish Bean wieder in tiefem Schlafe, ähnlich wie Indianer in den Pausen ihres Martertodes schlafen sollen. Kaum konnte die Mutter die Überzeugung gewinnen, daß sie seine Gesichtszüge vor sich habe; kaum konnte sie den Glauben fassen, daß ihr Ohr seine Atemzüge höre.

Mit klopfendem Herzen trat sie an den Herd, der in der Mitte der Hütte stand; mit einem Stück Torf bedeckt, glimmten dort noch die Kohlen des Feuers, das im schottländischen Hause nicht früher zu verlöschen pflegt, als bis es seine Bewohner für immer verlassen.

»Mattes Feuer« sagte sie, einen Fichtenspan, der das Licht ersetzte, mittels Feuersteins in Brand setzend, »schwaches Feuerchen! Bald wirst du ausgehen auf immer. Gebe bloß der Himmel, daß Elspat Mac Tabishs Leben zugleich mit dir verlösche!«

Also sprechend, trat sie mit dem flackernden Lichtspan an das Bett, auf dem ihr Sohn noch ausgestreckt lag, in einer Stellung, die es ungewiß ließ, ob er schlafe oder in Ohnmacht liege. Da traf das Licht seine Augen, und im Nu war er auf den Beinen, riß den Dolch aus dem Gürtel, zückte ihn und trat ein Paar Schritte vor.

»Hinweg, wenn Euch das Leben lieb ist!« schrie er mit schrecklicher Stimme – »hinweg, hinweg!«

»Dies ist das Wort meines Seligen! Das sind die Gebärden von Mac Tavish Mhor!« rief Elspat. »An dieser Stimme, an dieser Rede, an diesem Schritte erkenne ich den Sohn Mac Tavish Mhors!«

»Mutter,« versetzte Hamish, aus dem durch die Verzweiflung gestählten Tone in den Ton trauriger Wehklage fallend, »Mutter, Mutter! Warum seid Ihr wiedergekehrt?«

»Frage, warum die Hindin zu ihrem Kalbe, warum die Wildkatze zu ihrem Lager und ihren Jungen zurückkehrt,« antwortete Elspat. »Weißt du nicht, Hamish, daß das Herz der Mutter nur im Busen des Kindes lebt?«

»Dann wird es bald aufhören zu schlagen,« sagte Hamish, »es müßte denn in einer Brust wohnen können, die der Nasenhügel deckt. Mutter, Mutter, schilt mich nicht, wenn ich weine; denn nicht um meinetwillen fließen meine Tränen, sondern um Euretwillen, Mutter! Ach, Mutter! Mein Herzeleid ist bald zu Ende, aber Eures, Eures – ach, Mutter! Daß ihm der Himmel doch bald ein Ziel setzen möchte!«

Schaudernd trat Elspat zurück. Aber sogleich gewann sie ihre Ruhe und Unerschrockenheit wieder, und gleich wieder stand sie da, fest und aufrecht.

»Ich war der Meinung, du seiest ein Mann geworden,« sagte sie, »und schon bist du wieder ein Kind. So folge mir doch weg von diesem Orte! Habe ich dir unrecht oder Leids getan? Und wenn dies der Fall ist, dann räche dich nicht so grausam! Sieh, Elspat Mac Tavish, die noch vor keinem gekniet hat, selbst nicht vor dem Priester, wirft sich vor ihrem Sohne nieder und fleht um Verzeihung.«

Und plötzlich warf sie sich vor dem Jüngling auf die Knie nieder, nahm seine Hand und küßte sie und wiederholte mehrmals in herzzerreißendem Tone ihre Bitte.

»Verzeih mir,« rief sie, »verzeih mir um der Asche deines Vaters willen! Verzeih mir um der Schmerzen willen, mit denen ich dich gebar, um der Treue und Liebe willen, mit der ich dich auferzog! O Himmel, vernimm es! Ach, Erde, sieh her! Eine Mutter bittet ihr Kind um Verzeihung, und das Kind verzeiht der Mutter nicht!«

Umsonst bemühte sich Hamish, den Ausbruch ihres Zornes zu hemmen, indem er ihr mit den feierlichsten Worten beteuerte, er habe ihr den Betrug völlig verziehen, den sie ihm gespielt habe.

»Leere Reden,« rief sie, »eitle Zusicherungen, hinter denen du deinen Groll zu verbergen suchst. Sofern ich dir glauben soll, so verlaß noch im Augenblick diese Hütte und flieh aus einer Gegend, deren Gefahr stündlich wächst. Tu das, und ich will dir glauben, daß du mir verziehen hast. Tust du es nicht, so rufe ich wieder Mond und Sterne, Himmel und Erde zu Zeugen an, daß du unerbittlich bist in deinem Groll gegen deine Mutter um einer Handlung willen, die, wenn sie ein Vergehen ist, aus ihrer Liebe zu dir entsprang.«

»Mutter,« erwiderte Hamish, »hierzu kannst du mich nimmer bewegen. Ich fliehe vor keinem Manne. Barcaldine mag jeden Gälen unter seinem Banner senden, und ich bleibe. Und wenn du mich bittest, daß ich fliehe, so magst du eher zu den Bergen dort sprechen, daß sie sich aus ihren Gründen heben. Hätte ich den Weg gewußt, auf dem sie hierher ziehen, so hätte ich ihnen die Mühe des Suchens erspart. Aber ich könnte über das Gebirge wandern, während sie vielleicht vom See herüberkämen. Hier will ich mein Geschick erwarten. Keine Stimme in Schottland ist so gewaltig, daß sie mich bestimmen könnte, von hinnen zu gehen, und daß ich ihr gehorchen sollte.«

»So bleibe auch ich hier«, sprach mit erzwungener Ruhe Elspat und stand auf; »meinen Mann sah ich sterben, also werden auch meiner Augen Lider nicht schmerzen, wenn ich den Sohn fallen sehe. Aber Mac Tavish Mhor starb, wie es sich für einen tapferen Mann geziemt, mit seinem guten Schwert in der Faust. Mein Sohn aber fällt wie der Stier, den die Sachsen, nachdem sie ihn um Geld kauften, zur Schlachtbank führen.«

»Mutter,« versetzte der unglückliche Jüngling, »Ihr nahmt mir das Leben und hattet ein Recht dazu, weil Ihr es mir gabt. Aber meine Ehre, Mutter, tastet nicht an! Von einer Reihe wackerer Ahnen wurde sie auf mich vererbt, und sie soll nicht befleckt werden, weder durch eines Mannes Tat noch durch eines Weibes Reden. Was ich tun soll, weiß ich selbst vielleicht nicht. Aber setzet mich nicht ferner in Versuchung durch Vorwürfe! Ihr habt mir bereits tiefere Wunden geschlagen, als Ihr je würdet heilen können, wenn Heilung noch in Betracht kommen kann.«

»Wohlan denn, mein Sohn«, antwortete Elspat. »Erwarte von mir nicht Klagen und Vorwürfe mehr; erwarte auch nicht länger Vorstellungen von mir! Schweigen wir und warten wir ab, was der Himmel über uns verhängt.«

Vierzehntes Kapitel

Als die Sonne am anderen Morgen aufstieg, fand sie die Hütte ruhig und still wie das Grab. Mutter und Sohn waren aufgestanden und gingen ihrer Arbeit nach. Hamish putzte seine Waffen, fürsorglich aber tiefbekümmert; Elspat richtete die Mahlzeit her, die beide wegen der traurigen Vorgänge am verwichenen Tage ungewöhnlich lange hinausgeschoben hatten.

Sobald sie das Essen fertig hatte, stellte sie es vor den Sohn auf den Tisch hin mit den Worten des gälischen Sängers:

»Ohne tägliches Mahl rostet dem Landmann die Pflugschar in der Furche. Ohne tägliches Mahl ist dem Krieger das Schwert zu schwer für die Hand. Unsere Weiber sind unsere Sklaven, aber die Sklaven wollen gefüttert sein, sollen sie uns Dienste tun. Also sprach in alter Zeit der blinde Barde zu den Kriegern von Fion.«

Hamish gab keine Antwort, sondern aß, was ihm vorgesetzt wurde, wie wenn er sich Kraft für den Auftritt schaffen wolle, dessen er gewärtig war. Als seine Mutter sah, daß er mit Essen fertig war, nahm sie den Becher und füllte ihn und setzte ihn dem Sohne vor, damit er mit einem Trunk das Mahl schließe. Aber ein krampfhaftes Zucken lief durch seinen Leib und mit einer Gebärde, Scheu und Ekel zugleich zum Ausdruck bringend, wich Hamish zurück.

»Nein, mein Sohn,« sprach sie, »diesmal hast du wahrlich nichts zu fürchten.«

»Reizet mich nicht, Mutter,« erwiderte Hamish, »schüttet Gift in eine Flasche, und ich will es trinken. Aber aus diesem verfluchten Becher und von diesem Schierlingstrank werde ich nie wieder kosten.«

»Ganz wie es dir recht ist, mein Sohn«, sagte Elspat stolz und machte sich, anscheinend mit vielem Eifer, an die Verrichtung ihrer Hausarbeiten. Was in ihrem Gemüt vorging, hätte niemand sagen können, denn aus ihrem Blick und Benehmen schien jede Besorgnis verschwunden. Bloß solche, die schärfer zu beobachten wissen, hätten aus der lauten geschäftigen Weise ihres Hantierens auf eine innere Ursache ihrer Handlungen, auf Erregtheit oder Gereiztheit schließen können; solchen schärferen Beobachtern würde auch aufgefallen sein, wie oft sie, anscheinend ohne es zu wissen, ein Lied anfing und abbrach, um einen Blick durch die Hüttenpforte zu tun.

Hamishs Benehmen wies von dem der Mutter das gerade Gegenteil auf. Als er die Waffen geputzt und in der Wohnung aufgehängt hatte, setzte er sich vor die Tür und hielt die Augen auf den Berg, der neben der Hütte sich erhob, gerichtet, wie eine Schildwache, die den anrückenden Feind erwartet.

Am Mittag saß er noch auf demselben Flecke, in derselben Haltung, mit dein Blick, auf den Berg gerichtet.

Eine Stunde darauf trat die Mutter zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte gleichgültig, wie wenn sie von Freunden spräche, auf deren Besuch gewartet würde:

»Wann denkst du, daß sie da sein werden?«

»Bevor nicht der Schatten lang gegen Osten zu fällt, können sie nicht da sein,« versetzte Hamish, »selbst wenn sie den nächsten Posten unter Sergeant Allan Breack Cameron mit Expreßboten von Dunbarton hierher beordert haben sollten.«

»So tritt noch einmal in deiner Mutter Hütte und nimm zum letztenmal von den Speisen, die sie bereitet hat. Dann laß sie kommen, jene anderen! Du sollst sehen, ob deine Mutter am Tage des Kampfes dir unnütze Last sein wird. Dein Arm, so geübt er ist, kann deine Flinte nicht so schnell abfeuern, wie ich sie lade. Ich fürchte mich, wenn Not am Manne ist, auch vor dem Blitz und Knall des Pulvers nicht, und ehedem galten meine Hand und mein Blick für sicher.«

»Um Gottes Christi willen, Mutter, mischt Euch in solche Dinge nicht!« sagte Hamish; »Allan Breack ist ein guter, einsichtsvoller Mensch und stammt aus gutem Hause. Vielleicht kann er mir im Namen der Offiziere versprechen, daß keine schimpfliche Strafe mich treffen solle. Erkennen sie mir Einsperrung im Turm oder den Tod durch die Kugel zu, so mag noch alles hingehen.«

»Kind! Ihren Worten möchtest du trauen? Bedenke, das Geschlecht Dermids war immer falsch und tückisch, und hast du dir erst einmal Fesseln um die Gelenke legen lassen, so werden sie dir den Rücken auch bald mit der Geißel zerreißen.«

»Mutter, spart Euch Euren Rat,« erwiderte Hamish bitter und finster, »ich weiß jetzt, wie ich mich verhalten werde.«

So sprach er wohl, aber nur, um dem Drängen der Mutter zu entgehen, deren Hetzreden ihn dem Tode nahe brachten. Hätte er sagen sollen, worauf er sinne, was er zu beginnen dächte, wenn die Verfolger nahten, so hätte er es nicht gekonnt. Nur über eins war er sich klar: daß er sein Schicksal erwarten müsse, gleichviel wie es sich gestalten würde, und daß er den Wortbruch, dessen er sich unfreiwillig schuldig gemacht hatte, nicht durch Furcht vor der Strafe erschweren dürfe. Dieses Selbstopfer meinte er seiner persönlichen Ehre und der Ehre seines Landes schuldig zu sein. Welchem seiner Kameraden würde man fernerhin getraut haben, wenn er sein Wort brach und das Vertrauen seiner Offiziere mißbrauchte? Und welchem anderen, als Hamish Bean Mac Tavish, würden die Gälen die Schuld aufbürden, daß durch ihn der Argwohn der Sachsen gegen die Treue der Gälen überhaupt bestärkt worden sei? Darum war er fest entschlossen, sein Schicksal zu erwarten. Offen blieb dabei, ob er sich der gegen ihn ausgesandten Schar freiwillig ergeben oder ob er sie durch Widerstand zwingen wollte, ihn auf dem Platze zu töten. Auf diese Frage hätte er sich zur Stunde noch keine Antwort geben können. Das Verlangen, sich mit Barcaldine auszusprechen, ihm die Ursache seines Ausbleibens zu erklären, machte ihn freiwilliger Ergebung geneigt, während die Furcht vor der schimpflichen Strafe und vor den bitteren Vorwürfen der Mutter ihn, trotzdem die Gefahr dabei größer war, zum Widerstande trieb.

Er meinte, die Entscheidung hierüber dem Schicksal überlassen zu müssen, und es ließ ihn nicht lange warten.

Fünfzehntes Kapitel

Es war Abend geworden. Die gewaltigen Schatten der Berge bedeckten weithin gegen Osten das Tal, während die westlichen Gipfel noch in dunklem Golde erglühten.

Von der Hüttenpforte aus ließ sich die Straße, die sich am Ben Cruachan hinzieht, weithin übersehen.

Plötzlich tauchte am äußersten Punkte, wo die Straße hinter dem Berge verschwindet, ein Kommando von fünf hochländischen Soldaten auf. Ihre Waffen glitzerten in der Sonne. Dem Kommando schritt einer vorauf, die vier anderen folgten im Gliede. An ihren Flinten, Plaids und Mützen war zu erkennen, daß sie zu Hamishs Regiment gehörten. Die Absicht, die sie herführte, war leicht zu raten.

»Sie kommen schnell heran«, sprach Elspat Mac Tavish Mhor; »warten wir ab, ob sie so schnell auch wieder abziehen. Es sind ihrer fünf; für offenen Kampf also sind sie dir überlegen, Hamish. Komm herein in die Hütte, Sohn, und schieße durch das Guckloch neben der Pforte. Zwei kannst du niederstrecken, ehe sie von der Straße den Steig erreichen. Dann sind es ihrer bloß drei noch, und dein Vater hat, wenn ich bei ihm war, oft gegen ebenso viel standgehalten.«

Hamish Bean nahm der Mutter die Flinte ab, ohne indes von dem Flecke wegzutreten, auf dem er stand. Das Kommando hatte ihn schon, wie sich an ihrem schnelleren Marsch erkennen ließ, erkannt. Indessen liefen sie noch scharf im Gliede, wie zusammengekoppelte Windhunde, kamen aber eilends heran.

Rasch klommen sie den Steig hinunter. Schnell wären sie zur Hütte bis auf Pistolenschußnähe gekommen. Unbeweglich wie eine Bildsäule, mit der Büchse in der Hand, stand Hamish an der Pforte. Hinter ihm die Mutter. Vom Zorn dem Wahnsinn nahe gebracht, warf sie ihm in den härtesten Ausdrücken der Verzweiflung seine Unschlüssigkeit und Feigheit vor, den Grimm und Zorn verstärkend, der in seinem Gemüt aufloderte, als er die einstigen Kameraden auf sich zustürmen sah, wie Hunde auf den Hirsch im Garne. Ob dieses Anblicks fing die nüchterne Besonnenheit, die ihn bis jetzt geleitet hatte, an, von ihm zu weichen und dem wilden, von Vater und Mutter ererbten Kampfesmut das Feld zu räumen.

Jetzt rief ihm der Sergeant zu:

»Hamish Bean Mac Tavish, streck das Gewehr und ergib dich!«

»Bleibt, wo Ihr seid, Allan Breack Cameron, »der es ist unser aller Unglück.«

»Stillgestanden!« kommandierte der Sergeant seinen Leuten, ging aber selbst weiter. »Hamish, bedenke was du tust, und gib dein Gewehr ab! Du kannst wohl noch Blut vergießen, aber der Strafe entgehst du darum nicht!«

»Die Rute, mein Sohn, die Rute!« zischelte die Mutter ihm zu. – »Hüte dich vor der Rute!«

»Allan Breack Cameron, seht Euch vor!« rief Hamish, »ich tu Euch nicht gern Schaden, aber freiwillig ergebe ich mich nicht, sofern Ihr mir nicht Sicherheit gewährt vor der sächsischen Peitsche.«

»Hamish, du Tor!« entgegnete Cameron; »daß ich das nicht kann, weil ich keine Befugnis habe, weißt du! Aber ich will tun, was ich kann, und will rapportieren, ich hätte dich unterwegs getroffen. Dann ist die Strafe gering. Aber gib dein Gewehr ab, Hamish! Kommando, marsch heran!«

Mit vorgestrecktem Arme drang er vorwärts, in der Absicht, Hamish die Flinte von der Wange zu reißen. Da rief Elspat:

»Jetzt schone nicht deines Vaters Blut, um deines Vaters Herd zu verteidigen!«

Hamish drückte ab, und Allan Breack Cameron stürzte tot nieder.

Dies alles geschah in einem einzigen Augenblicke.

Die Soldaten stürzten vor und ergriffen Hamish, der, ob seiner Tat wie versteinert, sich nicht zur Wehr setzte. Anders die Mutter, die, als sie sah, daß die Männer ihrem Kinde Handschellen anlegten, mit solchem Ingrimm sich auf die Soldaten stürzte, daß ihrer zwei notwendig waren, um sie zu halten, während die anderen, beiden Hamish fesselten.

»Bist du nicht ein ganz erbärmliches Subjekt,« sprach der eine Soldat zu Hamish, »deinen besten Freund über den Haufen zu schießen, der auf dem ganzen Hermarsch von nichts anderem gesprochen hat, als wie sich ein Mittel ausfindig machen lasse, dich der Strafe zu entziehen?«

»Mutter, hört Ihr das?« rief Hamish und drehte sich, soweit es die Fesseln ihm erlaubten, nach ihr herum.

Aber die Mutter sah nichts und hörte nichts. Sie war ohnmächtig zu Boden gesunken.

Ohne abzuwarten, ob sie die Besinnung wieder bekäme oder nicht, marschierte das Kommando mit seinem Gefangenen ab in der Richtung auf Dunbarton. In Dalmally, dem nächsten Dorfe, wurde Rast gemacht, um die Leiche des unglücklichen Sergeanten durch ein paar Bauern holen zu lassen und den Vorfall beim Ortsrichter anzuzeigen.

Von diesem bekam das Kommando Weisung, weil das Verbrechen an einem Soldaten begangen worden, unverzüglich mit dem Mörder nach Dunbarton zu marschieren.

Sechzehntes Kapitel

Hamishs Mutter lag lange in Ohnmacht, vielleicht um so länger, weil die Kraft ihres Körpers durch die Überreizung ihres Gemüts während der letzten drei Tage völlig aufgerieben sein mußte. Endlich weckten sie Weiberstimmen aus ihrer Starre. Der Coronach oder die Totenklage, Wehrufe im Verein mit Händeklatschen, schlug an ihr Ohr, und gleich darauf, auf der Sackpfeife geblasen, die Klänge des dem Clan der Camerons eigentümlichen Trauergesanges.

Elspat fuhr erschreckt auf, wie vom Tode erwacht, völlig außerstande, sich der schrecklichen Szene, die sich vor ihren Augen abgespielt hatte, zu erinnern.

Es waren Weiber in der Hütte, beschäftigt, den Leichnam in das blutige Plaid zu wickeln, ehe er von der Unglücksstätte hinweggeschafft würde.

»Sagt mir, ihr Weiber,« lallte sie, aufspringend, »warum singt ihr Mac Dhoneril Dhus Grablied im Hause von Mac Tavish Mhor?«

»Schweige, du Wölfin, mit deinem unheilvollen Gekreisch,« rief eines der Weiber, eine Verwandte des Gemordeten, »und hindere uns nicht in der Ausübung unserer Pflicht gegen unseren geliebten Verwandten. Nie soll ein Klagelied erschallen um dich und deine blutige Wolfsbrut. Die Raben werden ihn vom Galgen fressen, deinen schönlockigen Hamish, und deine Leiche sollen Füchse und Wildkatzen auf den Bergen zerreißen. Verflucht sei, wer deine Gebeine segnet oder einen Stein dir auf das Grab wälzt!«

»Tochter einer törichten Mutter,« versetzte die Witwe van Mac Tavish Mhor, »wisse, daß der Galgen, mit dem du uns drohst, kein Teil unseres Erbes ist! Dreißig Jahre lang gelüstete den schwarzen Gesetzespfahl, an dem statt Äpfel Menschenleichen hängen, nach dem Geliebten meines Herzens, aber er ist als braver Mann mit dem Schwert in der Faust gestorben und hat den schwarzen Pfahl um seine Hoffnung und Frucht betrogen.«

»Mit deinem Kinde aber wird es solches Ende nicht nehmen, du blutige Hexe!« versetzte das Klageweib, dessen Leidenschaftlichkeit um nichts geringer war als die Elspats; »denn ihm werden die Raben die Locken in Strähnen ausreißen und ihre Nester damit füttern, noch ehe die Sonne hinter den Inseln verschwindet.«

Durch diese Worte kamen der unseligen Mutter die Ereignisse der drei letzten gräßlichen Tage in das Gedächtnis zurück. Zuerst stand sie da, starr wie eine Säule, ganz als ob sie der höchste Grad menschlicher Pein in Stein verwandelt hätte. Bald aber erwachten Stolz und Heftigkeit wieder, weil sie meinte, in ihrem eigenen Haus und Hof gelästert worden zu sein, und sie versetzte:

»Ja, du greinende Unholdin! Sterben wird mein schönlockiger Sohn, aber nicht mit weißer Hand, denn er hat sie getaucht in Feindesblut, in bestes Cameron-Blut! Das bedenke, du Unholdin! Und bettet ihr euren Toten ins Grab, so sei seine Grabschrift, daß Mac Tavish Mhors Sohn Hamish Bean ihn erschlug, weil er Hand an ihn an seinem Herde legen wollte. Lebt Wohl! Die Schande der Niederlage bleibt haften an dem Manne, der sie erlitt!«

Die Verwandte des Gemordeten wollte Antwort mit verstärkter Stimme geben. Aber Elspat, die das Wortgefecht nicht weiter führen mochte, die vielleicht auch fühlte, daß der Schmerz sie zu überwältigen und unfähig zu machen drohte, ihren Zorn in Worte zu kleiden, hatte die Hütte verlassen und rannte im Mondschein auf und davon.

Die Weiber, die sich mit der Leiche des Gemordeten befaßten, ließen ihr trauriges Werk im Stiche, um der zwischen den Felsen dahinwankenden hohen Gestalt nachzusehen.

»Mir ist es recht, daß sie weg ist,« sprach eine jüngere, »denn lieber schon hülle ich eine Leiche in ihre Tücher und stände, Gott sei bei uns! der Böse selber sichtbar vor uns, als daß ich die »Elspat vom Baume« in unserer Mitte sehe. Ja, ja! Mit dem bösen Feind hat die im Leben schon viel Verkehr gehabt!«

»Törin!« erwiderte das Weib, das mit Elspat das Wortgefecht geführt hatte, »meinst du, es gebe einen schlimmeren Feind auf oder unter der Erde, als den Stolz und Grimm eines in seinem Herzen getroffenen Weibes, wie der blutdürstigen Hexe dort? Laß dir sagen, ihr war Blut so alltäglich wie der Tau den Blumen im Gebirge. Sie ist Ursache gewesen zu manches braven Mannes Tod um geringfügigen Unrechts willen, das er ihr oder den Ihrigen zugefügt hatte. Jetzt sind ihr die Sehnen aber zerschnitten, denn ihre Wolfsbrut muß, da sie mordete, den Mördertod leiden!«

Während die Weiber sich also unterhielten, setzte die Unselige, die unmittelbare Urheberin von Allan Breack Camerons Ermordung, ihren Weg über das Gebirge fort. So lange sie noch in Sicht der Hütte war, tat sie sich Zwang an, um ihren Feindinnen nicht Ursache zum Frohlocken zu geben, daß körperliche Schwäche sie befallen oder maßlose Verzweiflung sie am gewohnten Gange verhindere. Sie ging deshalb eher langsamen als schnellen Schrittes, in aufrechter Haltung, zum Zeichen, daß sie das über sie gekommene Unglück mit Festigkeit trage und allem drohenden Unglück mit Trotz entgegensähe. Sobald sie aber außerhalb des Sehbereichs war, verließ sie die Kraft, ihren Schmerz zu bändigen. Den Mantel mit wilder Gebärde zurückschlagend, kletterte sie einen Hügel hinauf und reckte die Hände Zum Monde empor, Himmel und Erde anklagend wegen des Unglücks, das über ihr Haupt gekommen, mit schrecklichem Wehgeschrei, dem Adler gleichend, dem die Jungen aus dem Neste geraubt wurden.

Nachdem sie ihrem wilden Schmerze eine Zeitlang auf solchem Wege Luft gemacht hatte, eilte sie ungleichen Schrittes weiter, in der vergeblichen Hoffnung, das Kommando einzuholen, das ihren Sohn, ihren Hamish, gefesselt nach Dunbarton führte.

Allein so übermenschlich auch ihre Kraft zu sein schien, so versagte sie schließlich doch, und selbst mit äußerster Anstrengung wollte ihr die Durchführung ihres Vorhabens nicht gelingen. Nichtsdestoweniger schleppte sie sich, so schnell es ihre erschöpften Glieder ihr gestatteten, weiter. Wenn sie vor Hunger nicht weiter konnte, schlich sie in das nächste Dorf und bettelte:

»Gebt mir zu essen! Ich bin die Witwe von Mac Tavish Mhor, bin die Mutter von Hamish Mac Tavish Bean. Gebt mir zu essen, daß ich meinen schönlockigen Hamish noch einmal sehe.«

Niemals wurde ihre Bitte ihr abgeschlagen, wenngleich bei manchen, an die sie sich wendete, sich neben Mitleid auch Abscheu regte, manche sogar Grauen anwandelte. Wieviel von der Schuld an dem Tode Allan Breack Camerons, der den Tod ihres eigenen Sohnes nach sich ziehen mußte, auf ihre Person kam, wußte freilich niemand genau. Weil man aber die Leidenschaftlichkeit ihres Wesens kannte und weil jedermann im Lande wußte, welche Lebensweise sie früher geführt hatte, so war es für niemand zweifelhaft, daß sie bis zu gewissem und wahrscheinlich nicht geringem Grade die Verantwortlichkeit für das schwere Verbrechen traf, und alles war geneigt, in Hamish Bean mehr das Werkzeug, als den eigentlichen Urheber des Mordes zu sehen.

Indessen konnte solche Meinung seiner Landsleute, so große Verbreitung sie auch gewann, dem unglücklichen Jüngling wenig oder nichts helfen. Seinem Hauptmann, der die Sitten und Gebräuche des Hochlandes gut kannte, war es ein leichtes, von Hamish die Einzelumstände herauszubekommen, die dessen vermeintliche Desertion und den Tod des Sergeanten betrafen. Er fühlte mit dem Jüngling, der so unseligerweise das Opfer einer übermäßigen, törichten Mutterliebe geworden war, das größte Mitleid, wußte aber keinen Ausweg, ihn von der Strafe zu retten, welche auf Grund der Kriegsgesetze das Kriegsgericht, wegen des von ihm begangenen Mordes über ihn verhängen mußte.

Es ging alles rasch von statten. Zwischen dem Spruch und Vollzug des Urteils blieb nur geringe Frist. Der Oberst hielt an seinem Entschlusse fest, an dem ersten Deserteur, der wieder eingebracht würde, ein strenges Exempel zu statuieren, und hier handelte es sich nun gar um einen Deserteur, der sich mit der Waffe verteidigt und den nach ihm ausgesandten Unteroffizier erschossen hatte. Solche Gelegenheit zur Sanktionierung seines Entschlusses fand sich so leicht für den strengen Kommandeur nicht wieder.

Hamish wurde also zum Tode durch den Strang, wie der Spruch lautete, als gemeiner Mörder verurteilt. Die Exekution sollte auf der Stelle stattfinden. Das einzige, was sein Hauptmann für ihn auswirken konnte, war die Begnadigung zum Tode durch Pulver und Blei.

Um diese Zeit befand sich zufälligerweise gerade der würdige Pfarrer von Glenorquhy in Dunbarton. Er machte seinem unglücklichen Pfarrkind im Militärarrest seinen Besuch. Wenn er auch in ihm einen Menschen ohne alle Schulweisheit fand, so fand er doch keinen verstockten Christen in ihm, und die Antworten auf religiöse Fragen, die er von ihm erhielt, machten es ihm doppelt schmerzlich, in dem Jüngling eine von Natur so reine und edle Seele in solch verwildertem Zustande anzutreffen.

Bittere Vorwürfe machte sich der Geistliche, nachdem er diese Meinung von dem Charakter und dem Gemüt des Jünglings gewonnen hatte, daß er sich durch die Scheu vor dem schlechten Rufe, welcher der Witwe des einstigen Räubers anhaftete, an jenem Morgen, als ihn Hamish nach Zeit und Stunde fragte, hatte bestimmen lassen, die von dem liebreichen Bestreben, dies verlorene Schaf seiner Herde zurückzugewinnen, diktierte Absicht eines Besuchs in der Hütte von Hamishs Mutter fallen zu lassen. Der wackere Pfarrer tat nun sein möglichstes, für sein Pfarrkind, wenn nicht Begnadigung, so doch Aufschub zu erlangen, denn die Empfänglichkeit der edlen, schönen Seele des jugendlichen Mörders rührte ihn tief. Er sprach bei dem Hauptmann vor. Düstere Trauer lag auf dessen Stirn. Sie vergrößerte sich noch erheblich, als er Namen und Wohnort des Pfarrers erfahren hatte und über Grund und Zweck des Besuchs aufgeklärt worden war.

»Es ist gar nicht möglich, hochwürdiger Herr,« erklärte der hochländische Offizier, »daß Sie mir mehr Gutes von dem Jünglinge melden, als ich selbst von ihm glaube. Auch bedarf es gar keiner Bitte von Ihrer Seite, mich für den unseligen Menschen zu verwenden, denn so weit mir dies irgend möglich war, ist es ja bereits geschehen. Aber es ist alles umsonst und kann ja nach Art des Vorganges auch gar nicht anders sein. Zudem ist unser Oberst halb Niederländer, halb Engländer, dem es an jeglichem Verständnis für den hohen, enthusiastischen Sinn fehlt, der in diesem Gebirgslande so häufig die hehrsten Tugenden in Konnex bringt mit schweren Verbrechen und Lastern, die in der Regel mehr Herzenssünden sind als Verstandesirrungen. Ich bin so weit gegangen, ihm zu bemerken, daß in diesem jungen Menschen von dem im Grunde durchweg tüchtigen Mannschaftstande meiner Kompagnie der tüchtigste durch das Kriegsgericht verurteilt worden sei. Ich habe ihm den ungeheuerlichen Betrug auseinandergesetzt, der dieser scheinbaren Fahnenflucht des Jünglings zugrunde liegt, und wie wenig sein Herz Anteil an einem Verbrechen habe, das unglücklicherweise durch seine Hand begangen worden sei. Was mir der Oberst darauf erwidert hat, lautet: Ich kann an dem Spruche nichts ändern, Kamerad; das Exempel muß statuiert werden, und fällt das Los nun zufälligerweise auf einen Mann, der sonst ein guter Rekrut ist, so wird es nur desto bessere Wirkung üben.« Lassen Sie es also lieber Ihre Sorge sein, ehrwürdiger Herr, Ihren bußfertigen Sünder auf eine Reise vorzubereiten, die er morgen mit Tagesanbruch antreten muß und gegen die es schließlich für uns alle kein Rezept gibt.«

»Und auf die uns alle,« setzte der Geistliche hinzu, »der gütige Gott vorbereiten möge, gleichwie ich nicht wanken will in meiner Pflicht für diesen armen Jüngling.«

Siebzehntes Kapitel

Am nächsten Morgen grüßten die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne die grauen Türme, die den Gipfel des wunderlichen schrecklichen Felsens Dunbarton krönen, als die Mannschaften des neuen Hochlandsregiments in der gleichnamigen Feste zum Appell antraten und nach abgenommener Parade die steinernen Stufen und engen Gänge zum äußeren Tore hinunterschritten, das auf dem Grunde des Felsens errichtet ist. Hin und wieder vernahm man die wilden wehklagenden Töne des hochländischen Kriegsgesanges, abwechselnd mit den Pfeifen und Trommeln, die den Leichenmarsch schlugen.

Das Schicksal des unglücklichen Menschen fand anfänglich bei dem Regiment wenig Mitleid; ganz anders hätte es sich in dieser Hinsicht verhalten, wäre er bloß wegen Desertion verurteilt worden. Der ermordete Allan Breack war allgemein beliebt gewesen und gehörte obendrein einem starken und mächtigen »Clan« an, zu dem auch Leute hohen Ranges gehörten. Das an ihm begangene Verbrechen hatte auf Hamish das schlechteste Licht geworfen. Hatte sich auch sein Vater durch seine Stärke und Männlichkeit einen Namen erworben, so war doch sein »Clan« gebrochen und gleich allen Clans, wenn es an einem Häuptling fehlte, die Stammesgenossen in die Feldschlacht zu führen, dem Gespött verfallen.

Hätte der Fall in dieser Hinsicht anders gelegen, so würde es nicht angängig gewesen sein, die Exekutionsmannschaft aus dem Regiment selbst zu wählen. Aber die sechs dazu bestimmten Leute waren Freunde des Gemordeten und gehörten gleich ihm zu dem mächtigen Clan der Mac Dhoneril Dhu. Nicht ohne die grausame Empfindung befriedigter Rache rüsteten sie sich zu dem traurigen Amt, das die Pflicht ihnen auferlegte.

Die Kompagnie rückte vor das Festungstor, die anderen Kompagnien folgten. Es wurde ein längliches Viereck formiert, drei Seiten Militär, mit den Fronten nach innen, die vierte oder »offene« Seite bildete der gewaltige Felsen, auf welchem die Festung stand.

Im Mittelpunkte des Vierecks, barhäuptig, entwaffnet und gefesselt, stand der unselige Jüngling. Leichenblaß, das Auge aber hell und glänzend wie sonst, war er dem Geistlichen, der ihm Trostesworte zusprach, hierher gefolgt. Vor ihm her war der Sarg getragen worden, der seine sterblichen Reste aufnehmen sollte. Ruhig und feierlich war der Ausdruck auf allen Gesichtern. Die schöne, männliche Gestalt des Jünglings, seine Standhaftigkeit, der sanfte Zug auf dem dunkeln Gesicht, seine kräftige Haltung stimmte manches Herz freundlich für ihn, selbst unter denen, die von Rache gegen ihn erfüllt waren.

Die Bahre wurde in dem Viereck niedergesetzt, etwa zwei Schritte von dem Fuße des Felsens, der sich hier so steil wie ein steinerner Wall bis zur Höhe von 3-400 Metern erhob.

Hierher wurde nun der Delinquent geführt.

Der Geistliche war noch immer an seiner Seite, sprach ihm noch immer Mut und Trost zu, und der Jüngling schien ihm voll Ergebung zu lauschen.

Langsam und scheinbar nicht eben willig traten die zur Exekution bestimmten Mannschaften in das Viereck und stellten sich zehn Schritte von dem Delinquenten auf. Der Geistliche schickte sich an, beiseite zu treten.

»Gedenke dessen, mein Sohn, was ich dir sagte,« sprach er, »und wende deine Hoffnung zu dem Anker, den ich dir gezeigt habe. Du wirst ein kurzes elendes Dasein eintauschen gegen ein Leben, das keine Plage und keine Betrübnis mehr kennt. Hast du mir noch irgendwelche Bitte oder Besorgung vorzutragen?«

Der Jüngling warf einen Blick auf seine Ärmelknöpfe, die von Gold, vielleicht ein Beutestück seines Vaters, einem englischen Offizier während der Grenzkriege abgenommen, waren. Der Geistliche trennte sie ab.

»Meiner Mutter – bringt sie!« sprach er nicht ohne Mühe, »meiner – armen Mutter! Gehen Sie zu ihr, frommer Herr, bitte, bitte! Und belehren Sie sie darüber, was sie von alledem denken soll. Sagen Sie ihr, ihr Hamish sehe dem Tode mit größerer Freude entgegen, als der Ruhe nach der ermüdendsten Jagd. Leben Sie wohl, frommer Herr! Leben Sie wohl!«

Der wackere Pfarrer war kaum imstande, einen Schritt zu tun. Ein Offizier bot ihm den Arm. Ein letzter Blick auf den Jüngling, der auf der Bahre kniete. Die wenigen Personen, die bei ihm gestanden hatten, waren zurückgetreten. Das Todesurteil wurde verlesen. Von dem Felsen hallte der Knall der Gewehre. Ein Schrei noch, und Hamish stürzte vorwärts. Er war tot, wahrscheinlich verschieden ohne jede Empfindung eines Todeskampfes.

Zehn bis zwölf Mann von seiner Kompagnie traten vor und legten feierlich die sterblichen Reste ihres Kameraden in die Bahre, während der Leichenmarsch wieder intonierte. Die Kompagnien wurden zum Vorbeimarsch an der Bahre kommandiert, der ganzen Mannschaft zum warnenden Exempel an dem schrecklichen Schauspiel. Dann zog das Regiment unter den Klängen lustiger Marschmusik, wie es bei solchen Anlassen üblich, um den Schmerz über das Erlebte schneller zu bannen, den Felsen wieder hinauf.

Unterdes trug das Exekutionskommando den Sarg des Delinquenten zum Grabe hin, das in einem Winkel des Schloßhofes, der Beerdigungsstätte für Verbrecher, gegraben worden war.

Achtzehntes Kapitel

Gleich nach der Hinrichtung verließ der Geistliche Dunbarton. Im Vertrauen auf seine Landeskenntnis verließ er die Hauptstraße und schlug einen jener kürzeren Pfade ein, deren sich Fußgänger oder Leute, die, wie der Geistliche, im Besitz eines der kleinen, aber sicher schreitenden und klugen, als »Poney« bekannten Pferde sind, zu bedienen pflegen. Die Örtlichkeit, durch die der Pfad führte, war an sich düster und öde. Der Aberglaube, hierzulande stark im Schwange, hatte ihm Mären und Sagen angedichtet, die ihm noch schrecklicheren Charakter gaben. So sollte hier ein böser Geist, Cloght-deary oder »Rotmantel«, sein Wesen treiben und zu allen Zeiten und Stunden, hauptsächlich des Mittags und Mitternachts, umhergehen, Menschen und Tieren feind und so böswillig, als es nur irgend in seiner Macht stand. Als der Geistliche sich umsah, mußte er sich sagen, daß die Gegend für den Aufenthalt von Geistern nicht übel gewählt sei, da sie, wie es ja heißt, Öde und Einsamkeit vor allem lieben. Die Talschlucht war steil und schmal, kaum ein paar Strahlen der Mittagssonne fielen auf den finsteren, reißenden Bach, der sich, wild brausend gegen Felsen und Blöcke, mit Mühsal den Weg brach.

Als der Geistliche an dem schmalen Wege anlangte, der zum anderen Bachufer führte, stand er plötzlich still. Eben hatte er bei sich gedacht, daß der wilde Bach schon manches von den Vorgängen bewirkt haben möchte, die dem Gespenst des »Rotmantels« zugeschrieben würden, als er sich von einer weiblichen Stimme in gellenden Tönen angerufen hörte.

»Michael Tyrie! Michael Tyrie!« schallte es durch die Schlucht.

Verdutzt, nicht ohne einen geheimen Schauder, blickte der Geistliche sich um. Einen Moment lang schien es, als ob der böse Geist, dessen Dasein er eben noch bezweifelt hatte, ihm erscheinen wolle, um ihn für seine Ungläubigkeit zu strafen. Aber die Furcht war rasch verflogen, und mit lauter Stimme rief er als Antwort:

»Wer ruft? –und wer bist du?«

»Eine, die im Elend wandert zwischen Leben und Tod,« versetzte die Stimme.

Und eine hohe Gestalt trat vor zwischen den Trümmern von Felsen, die sie bislang vor dem Auge des Pfarrers verborgen hatten.

Sie kam näher. Ihr Mantel aus hellem Tartan, in welchem die rote Farbe hervorstach, ihre Figur, ihr weiter Schritt, die verzerrten Züge, die grimmig blitzenden Augen – das alles war angetan, sie zu einer schicklichen Stellvertreterin des bösen Geistes, dessen Namen das Tal führte, zu machen.

Aber Michael Tyrie erkannte sogleich in ihr die »Elspat vom Baume«, die Witwe Mac Tavish Mhors, die Mutter Hamish Beans, des Delinquenten, von dessen Hinrichtung er kam.

Die Erscheinung des bösen Geistes würde für den Geistlichen nicht so schrecklich gewesen sein wie die Erscheinung dieses Weibes in allem Elend der auf ihr lastenden Mitschuld an dem Verbrechen des Sohnes.

Instinktmäßig ließ er sein Pferd halten und bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln, während sie mit wenigen Schritten die Strecke bis zu seinem Pferde zurückgelegt hatte. »Michael Tyrie,« hub sie an, »das verrückte Weib aus dem Dorfe hält dich für einen Gott. Sei mir ein Gott und sage mir, daß mein Sohn lebt. Sage mir das, und ich will wie du beten zu dem himmlischen Wesen, dessen Namen du kündest, und will meine Kniee beugen an jedem siebenten Tage im Hause deines Gottes, der hinfort auch mein Gott sein soll!«

»Unglückliches Weib,« antwortete ihr der Geistliche, »mit dem ewigen Schöpfer schließt kein sterblicher Mensch einen Vertrag, wie mit einem Wesen aus Ton, gebrechlich gleich uns! Denkst du zu feilschen mit Ihm, der die Erde geschaffen und die Himmelsbogen gespannt hat, oder meinst du, du dürfest Ihm ein Sandkorn Verehrung und Anbetung bieten, das Ihm wohlgefällig wäre? Dürfest es Ihm bieten im Tausch gegen einen Zentner von Wohltat und Segen? Gott der Herr will gehorsame Gläubige haben und keine Opfer! Er will, daß die Prüfungen, die Er über uns verhängt, mit Geduld getragen werden, und verabscheut Geschenke, wie sie für unsere Nebenmenschen am Platze sind, wenn wir wünschen, sie von gefaßtem Vorsatz abzubringen.«

»Schweig, Priester!« entgegnete das rasende Weib. »Bete nicht mir die Worte deines weisen Buches vor. Elspats Verwandte gehören zu denen, die sich bekreuzigen und niederknien, wenn die heilige Glocke klingt, und sie weiß, daß man für Taten, die man im Felde verübt, Sühnopfer am Altar darbringen kann.

»Elspat hatte dereinst auch Schafe und Ziegen auf der Alm und Vieh im Stalle. Gold trug sie um den Hals und dicke Perlen im Haar, wie die Helden der Vorzeit. All dies hätte sie dem Priester gegeben, all dies! Und hatte er den Schmuck eines Edelfräuleins oder den Sporran eines hohen Häuptlings verlangt, Mac Tavish Mhor hätte auch das beschafft und es Elspat zugesagt.

»Nun ist Elspat arm und kann nichts mehr geben. Aber hätte sie den schwarzen Abt von Inchaffray um eine Geißel für ihren Rücken gebeten und hätte sie sich den Fuß auf Pilgerfahrten wund gelaufen, er hätte ihr Vergebung gewährt beim Anblick ihres rinnenden Blutes, ihres zerrissenen Fleisches. Da waren die Priester, die auch über die Mächtigsten Macht besaßen; mit dem Wort ihres Mundes, mit dem Text ihres Buches, mit der Flamme ihrer Fackel, mit dem Klange ihrer heiligen Glocke hielten sie im Zaume die Gewaltigen der Erde.

»Der Mächtige beugte den Nacken ihrem Willen, und ewig der Freiheit beraubt waren die, die sie in ihrem Grimm geknechtet hatten. Die hatten wohl Einfluß und Gewalt, und vor ihnen, deren Macht den Stolzen erniedrigte, fiel auch der Arme in die Knie.

»Doch ihr! Gegen wen seid ihr streng als gegen Weiber, die den Verstand verlieren, und gegen Männer, die kein Schwert mehr führen? Die alten Priester waren wie der Regenschwall, der sein enges Tal füllt und die gewaltigen Steinblöcke gegeneinander schleudert, als wären sie so leicht wie, ein Ball, mit dem ein Knabe spielt!

»Doch ihr! Ihr seid wie der Bach, den die glühende Hitze des Sommers ausgetrocknet hat, der den Binsen aus dem Wege geht und von einem Busch Riedgras in seinem Lauf gehemmt wird. Ihr seid wert, daß man Wehe schreit über euch, denn von euch kömmt keine Hilfe!«

Der Geistliche merkte Wohl, daß Elspat ihrem römisch-katholischen Glauben untreu geworden war, ohne einem anderen sich hinzugeben. Von Mitleid ergriffen mit ihrer Not, und um sie von ihren Irrtümern zu bekehren und in ihrer Unwissenheit zu belehren, erwiderte er in mildem, liebevollem Tone:

»Unglückliche Frau! Stünde auch Rom selber und sein ganzes Priestertum Euch zu Gebote, um ein Geschenk oder eine Buße könnte Euch auch von dorther in Eurem Jammer weder Trost noch Hilfe kommen. Elspat Mac Tavish, ich muß Euch leider etwas recht Trauriges mitteilen.«

»Ich weiß es ohnedem,« antwortete die Unglückliche. »Mein Sohn ist zum Tode verurteilt worden.«

»Elspat,« sagte der Geistliche, »er war verurteilt worden – und das Urteil ist bereits vollzogen worden.«

Die arme Mutter schlug die Augen zum Himmel empor und schrie laut auf. Ihre Stimme hatte einen allem Menschlichen so unähnlichen Klang, daß der Adler, der hoch oben in den Lüften schwebte, darauf Antwort gab, als hätte einer seinesgleichen ihm zugerufen.

»Unmöglich!« schrie sie, »Unmöglich! – Wird denn an einem Tage verdammt und gemordet! – Du lügst! Dich nennt das Volk einen heiligen Mann – und du hast doch das Herz, einer Mutter zu sagen, sie habe ihr einziges Kind ermordet?« –

»Gott weiß es« – antwortete der Priester mit Tränen in den Augen, »gerne hätte ich dir eine bessere Nachricht gebracht, sofern ich gekonnt hätte. Aber die ich dir gebracht habe, ist ebenso gewiß, als sie eine Todesnachricht ist. Mit eigenen Ohren habe ich die Salve gehört, und mit eigenen Augen sah ich deinen Sohn sterben, sah ich deines Sohnes Leiche. – Meine Zunge bezeugt nur, was meine Ohren vernahmen und meine Augen erschauten.«

Die Unglückliche rang die Hände und reckte sie zum Himmel empor wie eine Wahrsagerin, die Krieg und Verwüstung prophezeit. Dabei stieß sie in ebenso ohnmächtiger wie gräßlicher Wut einen Strom fürchterlicher Verwünschungen aus:

»Gemeiner sächsischer Bube!« rief sie. »Erbärmlicher gleißnerischer Betrüger! Daß doch deine Augen, die den Tod meines schöngelockten Knaben erschauten, zerfließen möchten in ihren Höhlen, verzehrt durch nie versiegende Tränen, die du weinen mögest um alle deinem Herzen Liebsten und Teuersten! Daß doch deine Ohren, die den tödlichen, mörderischen Knall vernahmen, tot und taub sein möchten für jeden anderen Laut als das Krächzen der Raben und das Zischen der Schlangen! Daß doch die Zunge, die mir seinen Tod berichtet und mir mein eigenes Verbrechen kündet, verdorren möchte in deinem Munde, oder besser, sobald du mit deinem Volke Gebete sprechen willst, möchte der Teufel in deine Zunge fahren, daß sie Schmähungen und Lästerungen lalle statt Gebete, daß die Leute vor dir fliehen voller Grausen! Daß doch der Donner des Himmels niederprassle auf dein Haupt, und deine fluchende und verfluchte Stimme verstumme auf ewig! Hinweg! Geh, beladen mit diesem Fluche! Nie mehr, nie mehr wird Elspat so viele Worte reden über einen Lebenden!« –

Sie hat Wort gehalten.

Von diesem Tage an war die Welt für sie eine Ödenei, in der sie gedankenlos und interesselos vegetierte, nur ihrem Schmerze nachhängend und apathisch gegen alles andere.

über ihre Lebensweise oder vielmehr ihre Art, das Leben zu fristen, ist der Leser unterrichtet, so gut ich selber ihm darüber Mitteilung habe machen können. Wie sie geendet hat, kann ich nicht sagen. Es wurde vermutet, daß sie ein paar Jahre, nachdem meine vortreffliche Freundin, Mrs. Bethune Baliol, auf sie aufmerksam geworden war, gestorben sei. Diese brave Frau, die nicht bloß Tränen des Mitleids vergoß, wo eine gute Tat verrichtet werden konnte, hat mehrmals versucht, der Unglücklichen Erleichterung in ihrer Not zu verschaffen. Aber so oft sie auch versuchte, eine Person, die für die Bedauernswerte sorgen sollte, in die Hütte hineinzubringen, so oft scheiterte der Versuch an dem Widerstand, den die Einsame allem, was ihre Einsamkeit stören könnte, entgegensetzte, oder an der Angst und Furchtsamkeit derer, die mit dem entsetzlichen Weibe unter ein und demselben Dache leben sollten. Endlich, als es der Armen (wenigstens dem Anscheine nach) gänzlich unmöglich war, sich auf der elenden Schütte, die ihr zum Lager diente, auch nur noch zu bewegen, sandte ihr der menschenfreundliche Mr. Tyrie zwei Frauen, die der Einsamen in den letzten Augenblicken behilflich sein sollten. Der Tod konnte ja freilich nicht mehr fern sein; doch sollte verhütet werden, daß sie aus Mangel an Beistand oder Nahrung zugrunde gehen könnte, ehe sie dem hohen Alter oder einer tödlichen Krankheit erlag.

Neunzehntes Kapitel

Ein Novemberabend war es, als die beiden Weiber, die für die trübselige Arbeit bestimmt waren, in die bereits geschilderte jammervolle Hütte kamen.

Die darin wohnende Unglückliche lag auf ihrem Bette hingestreckt, anscheinend schon eine Tote. Noch aber schweiften ihre wilden schwarzen Augen, schrecklich in ihren Höhlen rollend, unstät umher. Mit Verwunderung und Ingrimm schien sie die Bewegungen der Fremden zu beobachten, die sie nicht erwartet hatte und die ihr unwillkommen waren.

Den fremden Weibern ward unter den Blicken dieser Augen angst und bange; aber da sie zu zweit waren, faßten sie sich ein Herz, machten Feuer und trafen allerlei Vorbereitungen, des ihnen erteilten Amtes zu walten.

Sie hatten miteinander abgemacht, daß sie abwechselnd bei der Kranken wachen wollten; aber da sie, seit dem Morgen schon auf den Beinen gewesen waren, überwältigte sie gegen Mitternacht die Müdigkeit, und beide schliefen fest ein.

Als sie ein paar Stunden später erwachten, war die Hütte leer und die Kranke verschwunden.

Bestürzt sprangen sie auf und eilten nach der Tür, die aber, wie in der vorigen Nacht, noch verschlossen war. Sie starrten in die Finsternis hinaus und riefen die Kranke beim Namen.

Vor der alten Eiche krächzten die Nachtraben, oben auf dem Hügel winselte der Fuchs, laut rauschend dröhnte der Wasserfall – aber keine menschliche Stimme gab Antwort.

In ihrem Entsetzen dachten die Weiber nicht daran, vor Anbruch des Morgens weiter nachzuforschen; denn daß eine so schwächliche Kranke, wie Elspat – die obendrein noch so Furchtbares erlebt hatte – so spurlos verschwunden war, kam ihnen so grausig vor, daß sie keinen Schritt aus der Hütte hinaus wagen mochten. Sie blieben in heller Angst drinnen. Bisweilen vermeinten sie die Stimme der Kranken draußen zu hören; bisweilen war ihnen, als tönten sonderbare Laute aus dem Klagen des Nachtwindes und dem Rauschen des Wasserfalles seltsam hervor.

Oft auch knarrte die Klinke an der Tür, wie wenn eine schwache, kraftlose Hand vergebens sie zu öffnen versuchte; und stetig waren die beiden darauf gefaßt, die entsetzliche Kranke eintreten zu sehen, beseelt von übernatürlicher Kraft, in ihrem Gefolge überirdische Wesen, die vielleicht noch schrecklicher wären als sie selber.

Endlich brach der Morgen an. Sie durchsuchten das Gebüsch, die Felsen, das Dickicht – doch vergebens.

Zwei Stunden nach Tagesanbruch kam der Geistliche selber. Als die Wärterinnen ihm mitteilten, was geschehen war, brachte er alles Volk in der Runde auf die Beine und ließ die ganze Gegend um die Hütte und den Eichbaum her durchsuchen.

Aber alle Nachforschungen blieben erfolglos.

Elspat Mac Tavish wurde nicht wieder gefunden – ob sie nun schon tot sein oder noch leben mochte. Keine Menschenseele erfuhr, was aus ihr geworden war.

Ihr rätselhaftes Verschwinden wurde von den Leuten der Gegend verschiedentlich erklärt. Die Abergläubischen meinten, der böse Geist, der Gewalt über sie gehabt hätte, habe sie geholt, und manch einer vermied es, wenn unheimliches Wetter war, an der Eiche vorüberzugehen, weil sie dort, wie es hieß, noch immer säße, wie sie einst gepflegt.

Andere, die nicht von Aberglauben beherrscht waren, meinten, wenn man die Tiefe des Corrie Dhu, den Boden des Sees oder die Strudel des Stromes absuchen könnte, würde man vielleicht Elspats Leiche finden. Bei ihrer körperlichen Schwäche und ihrem geistigen Verfall sei es ja nur natürlich, daß sie verunglückt wäre oder sich mit der Absicht, den Tod zu finden, ins Wasser gestürzt habe.

Der Geistliche hatte seine Auslegung für sich. Er meinte, die Unglückliche habe der ihr lästigen Aufsicht entkommen wollen, geleitet von dem Instinkt, den man an manchen Haustieren beobachtet, dem Anblick ihres Geschlechts sich zu entziehen, und sie sei in irgend einer verborgenen Schlucht umgekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach keines Menschen Auge je ihre Leiche zu sehen bekommen würde. Er war der Ansicht, daß ein solcher instinktartiger Trieb über ihrem ganzen Leben gewaltet und seinen genügenden Einfluß bis zu ihrem

Ende

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