»Flieh hin, ehrlicher Bursch!« sagte der Graf; »auch Du, Arthur, flieh! Rette Deine Jugend für glücklichere Tage! Ich kann und will nicht weiter fliehen. Ich will mich den Verfolgern ergeben; gewähren sie mir Gnade, so ist's gut; wo nicht, so lebt einer über uns, der mir seine Gnade verleihen wird.« – »Ich verlasse Euch nicht!« rief Arthur. »Ich will bleiben und Euer Schicksal teilen!« – »Und ich will auch bleiben,« sagte Thibault.

Das Schweizerhäuflein, das heraufkam, zeigte Sigismund, dessen Bruder Ernst und etliche andere Söhne aus Unterwalden. Sigismund nahm die Gefangenen liebreich und freudig auf und leistete so dem jungen Grafen von Oxford für die Güte, die dieser ihm früher erwiesen hatte, zum drittenmale einen wesentlichen Dienst.

»Ich will Euch zu meinem Vater führen,« sagte Sigismund, »der recht erfreut sein wird, Euch zu sehen; nur ist er eben jetzt betrübt über den Tod unseres Bruders Rüdiger, der mit dem Banner in der Hand durch den einzigen Mörser fiel, der an diesem Morgen abgefeuert wurde; die übrigen Donnerbüchsen konnten nicht bellen. Campobasso hat den Hunden des Colvin die Mäuler verstopft, sonst wären mehrere von uns gleich dem armen Rüdiger bedient worden. Aber dafür liegt Colvin auch hingestreckt.« – »So war Campobasso mit Euch im Einverständnis?« fragte Arthur. – »Nicht mit uns – wir verachten solche Genossen – doch etwas dergleichen fand zwischen den Welschen und dem Herzoge Ferrand statt, und als sie das Geschütz vernagelt und die deutschen Kanoniere trunken gemacht hatten, kam er mit fünfzehnhundert Reitern zu uns herüber und wollte gemeinsame Sache mit uns machen. »Nichts da, nichts!« rief mein Vater. »Verräter dulden wir nicht in unseren Reihen!« Und so wollten wir nichts mit ihm zu schaffen haben, wiewohl wir durch das Tor drangen, das er uns geöffnet hatte. So gesellte er sich zu dem Herzog Ferrand, um den andern Teil des Lagers zu überfallen. So glückte der Sieg, und man sagt, der Herzog werde nie wieder ein Heer sammeln können.«

»Nie wieder, junger Mann,« sagte der Graf von Oxford, »denn er liegt tot vor Euch,«

Sigismund stutzte; denn er hegte Hochachtung, ja eine Art von Furcht vor dem hohen Namen Karls des Kühnen und wollte kaum glauben, daß der zerfetzte Leichnam, der jetzt vor ihm lag, einst der gewaltige Mann gewesen wäre. Doch, Kummer mischte sich in sein Staunen, als er die Leiche seines Ohms, des Grafen Albert von Geierstein, erblickte. »O, mein Ohm, mein Ohm!« rief er, »mein teurer Ohm Albert! hat all Deine Hoheit und Weisheit Dir neben einem Moraste gleich einem schäbigen Bettler das Grab gegraben? – Kommt, diese trübe Kunde muß gleich meinem Vater mitgeteilt werden. Das wird zur Bitterkeit über den Fall des armen Rüdiger noch Galle hinzufügen. Bei alledem ist es ein Trost, daß Vater und Oheim sich nicht recht vertragen konnten!«


Sie zogen jetzt in die Stadt Nancy ein. Die Fenster waren mit Teppichen behangen, und die Straßen wimmelten von lärmenden und jauchzenden Menschenmassen, die der glückliche Sieg vor großer Not und vor der gefürchteten Rache Karls von Burgund bewahrt hatte. – Die Gefangenen wurden mit der größten Güte von dem Landammanne aufgenommen, der ihnen seinen Schutz und seine Freundschaft zusagte. Es schien, als ertrüge er den Tod seines Sohnes Rüdiger mit ernster Gelassenheit, und er nahm die Nachricht vom Tode seines Bruders mit sichtlicher Bewegung entgegen, jedoch ohne überrascht zu sein. »So,« sagte er, »mußte sein Ehrgeiz enden.« – Dann fragte der Landammann den Grafen von Oxford ernstlich, was seine Absichten wären, und inwiefern er ihm darin beistehen könnte.

»Ich denke die Bretagne zu meinem Zufluchtsorte zu wählen,« versetzte der Graf, »wo meine Gattin wohnt, seit die Schlacht bei Tewkesbury uns aus England vertrieb.« – »Tut das nicht,« sagte der Landammann, »sondern kommt nach Geierstein mit Eurer Gräfin, wo sie willkommen sein soll, wie in dem Hause ihres Bruders. Sie wird einen Boden betreten, wo weder Verschwörung noch Verrat jemals blühten. Ihr wißt, daß es in Frankreich wie in Burgund Leute gibt, die nach Eurem Blute dürsten.«

Der Graf von Oxford äußerte seinen Dank für diesen Antrag und nahm ihn an, für den Fall, daß Heinrich von Lancaster, Graf von Richmond, den er jetzt als seinen Monarchen betrachtete, seine Einwilligung dazu geben würde.


Die Erzählung zum Schluß zu bringen, berichten wir, daß drei Monate nach der Schlacht bei Nancy der verbannte Graf von Oxford sich den Beinamen Philippson wieder beilegte, seine Gattin und die Trümmer seines früheren Reichtumes mitbrachte und sich unweit Geierstein eine anmutige Wohnung kaufte. Der Landammann erwirkte ihnen das Bürgerrecht, Anna von Geierstein und Arthur de Bere reichten sich die Hand zum Ehebunde, und Annette Veilchen zog samt ihrem Liebsten zu den Neuvermählten, nicht als Diener, sondern als treue Gehilfen in der Landwirtschaft, denn Arthur zog es vor, sich lieber der Jagd als dem Ackerbau zu widmen. Die Zeit verrann, und fünf Jahre hatte die verbannte Familie schon in der Schweiz zugebracht. Da starb im Jahre 1482 der Landammann den Tod des Gerechten, allgemein beklagt als ein Muster eines echten, tapfern, schlichten und einsichtsvollen Vorstandes. Im selben Jahre starb die Gemahlin des älteren Oxford.

Um diese Zeit begann der Stern des Hauses Lancaster noch einmal zu erglänzen und rief den verbannten Lord und dessen Sohn aus ihrer Abgeschiedenheit zurück in das Getriebe der großen Welt. Das kostbare Halsgeschmeide Margarethens ward nun zu seiner Bestimmung verwendet, und das daraus gelöste Geld zur Aushebung jener Scharen benützt, die bald darauf die berühmte Schlacht bei Bosworth kämpften, in welcher die Waffen der beiden Oxfords so viel zum Siege Heinrich II. beitrugen.

Das änderte das Geschick de Beres und seiner Gemahlin.

Ihre Schweizer Pachtung wurde Annette Veilchen und deren Manne überlassen, und die Sitten und die Schönheit Annas von Geierstein erregten nun am englischen Hofe eben die Bewunderung wie vormals zwischen den Hürden des Schweizerlandes.

Ende

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