In diesem Augenblick brachen vier maskierte Männer durch das Unterholz. Laird Ellieslaw und sein Knappe zogen die Hirschfänger, die sie damaligem Brauche gemäß trugen, und suchten sich und Miß Isabel zu schützen. Aber während auf jeden von ihnen einer der Feinde kam, blieben zwei andern derselben die Hände frei, und im Nu war die Dame im Gestrüpp verschwunden, auf ein Pferd gehoben und über Tal und Hügel, durch Heide und Moor unterwegs nach Westburnflat zum Turme. Dort wurde sie unter Obhut der Greisin gestellt, deren Sohn über diesen einsamen Wohnsitz gebot. Weder durch Bitten noch durch Drohungen hatte die junge Dame Bescheid über den Zweck ihrer Entführung und Einsperrung erlangen können. Aber Earnscliffs Erscheinen mit seinen Mannen setzte den Räuber in Schrecken. Da er schon Sorge dafür getragen, Grace Armstrong ihren Verwandten wieder auszufolgen, war er nicht auf den Gedanken gekommen, daß Earnscliffs unwillkommener Besuch ihr gelte, umsoweniger als ihm nicht unbekannt war, daß dieser für Miß Vere schwärmte.

Als die mit dem Laird und seinem Knappen im Kampf befindlichen maskierten Männer das Stampfen der fliehenden Rosse hörten, brachen sie auf der Stelle den Kampf ab und wandten sich zur Flucht. Der Laird lag am Boden, am Fuß einer Birke. Dort fand ihn seine Knappe, nicht allein am Leben, sondern auch unverwundet. Ein heftiger Streich seines Gegners hatte ihn dorthin gestreckt. Seine Verzweiflung über das Verschwinden seines Kindes kannte keine Grenzen. Er selber jedoch war durch den Kampf so erschöpft, daß er geraume Zeit brauchte, bis er seinen Wohnsitz erreicht hatte und seine Mannen auf Verfolgung ausschicken konnte.

»Kein Wort, Sir Frederick,« sprach er zu dem Freunde, den er als Schwiegersohn in Aussicht genommen, »kein Wort – Ihr wißt nicht, was es heißt, Vater zu sein! Sie war mein Kind, mein einziges, wenn auch, wie ich mit Schmerzen besorge, undankbares Kind! Wo ist Miß Ilderton? Sie muß um den Überfall wissen! Es deckt sich mit dem, was ich von ihren Plänen weiß. Geh, Dickson, und rufe mir Ratcliffe! Er soll ohne Zögern kommen!«

Der Genannte war eben in das Zimmer getreten. Flugs schlug Herr Vere einen andern Ton an.

»Ich lasse Herrn Ratcliffe, hörst du, Dickson, ersuchen, sich auf der Stelle zu mir zu bemühen: es handle sich um eine Angelegenheit von unaufschieblicher Natur ... ach! Sir Ratcliffe! Lieber, teurer Herr!« rief er, als bemerke er ihn erst jetzt. »Euren Rat kann ich in diesem schrecklichen Augenblicke nicht missen!«

»Was hat Sie so außer Fassung gebracht, Sir Vere?« fragte mit ernster Miene Sir Ratcliffe; und während der Laird von Ellieslaw ihn unter Gebärden des Grams und Unwillens von dem Überfall im Walde unterrichtete, wollen wir den Leser in Kürze über das Verhältnis unterrichten, in welchem die beiden Männer zu einander standen.

Der Laird Vere von Ellieslaw war in seiner Jugend durch verschwenderisches Leben in üblem Rufe gewesen. Im vorgerückten Alter hatte er dasselbe mit finsterm Ehrgeiz vertauscht. Beiden Leidenschaften hatte er gefrönt ohne irgendwelche Rücksicht auf seinen Vermögensstand, während er sonst für einen höchst geizigen Herrn galt. Zufolge solcher ständigen Ausgaben für unproduktive Dinge war es kein Wunder, daß er in Vermögensverfall geriet. Die Folge hiervon war, daß er Schottland mit England vertauschte. Jahrelang blieb er von seinem Familiensitz abwesend. Wie es hieß, hatte er in England eine Geldheirat geschlossen. Völlig unerwartet kehrte er nach Schottland zurück, als Witwer, mit einer Tochter im Alter von etwa zehn Jahren.

Von dieser Zeit an war sein Leben, nach Ansicht der schlichten Gebirgsbewohner seiner Heimat, im höchsten Maße verschwenderisch. Niemand glaubte anders, als daß er tief in Schulden stecken müsse. Nichtsdestoweniger setzte er sein Leben in gleich verschwenderischer Weise fort, bis durch das Auftreten Sir Ratcliffes und seinen Aufenthalt im Schlosse Ellieslaw kurz vor dem Beginn unserer Erzählung die Gerüchte über den schlechten Vermögensstand des alten Laird greifbare Gestalt gewannen. Vom ersten Tage an nahm es den Anschein, als übe Sir Ratcliffe, freilich nicht zur besonderen Freude des alten Schloßherrn, auf die Vermögensverhältnisse wie auch auf alle Privatangelegenheiten einen stillen, aber nachhaltigen Einfluß.

Sir Ratcliffe war ein ernster, gesetzter Mann in vorgerücktem Alter. Wer sich über Geschäftssachen mit ihm unterhielt, gewann den Eindruck, als habe er es mit einem äußerst gewandten Manne zu tun. Mit andern als Geschäftsleuten pflegte er geringen Verkehr. Kam aber die Rede zufällig auf andre Dinge, so zeigte er sich nicht minder als ein Mann von Umgang und Bildung. Längere Zeit schon vor seiner Übersiedlung ins Schloß hatte er in bald längeren bald kürzeren Pausen Besuche bei dem alten Laird abgestattet und war von demselben immer, im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten des Schloßherrn Leuten geringeren Ranges gegenüber, nie anders als mit Aufmerksamkeit und Achtung begrüßt und behandelt worden. Bloß schien es, als wenn ihn der Schloßherr trotz allem lieber gehen als kommen sähe. Nichts schien denselben auch mehr zu verdrießen als Anspielungen auf sein scheinbar abhängiges Verhältnis von diesem Mitbewohner seines Schlosses, der seit seiner Übersiedlung in dasselbe in allen Angelegenheiten nicht bloß zu Rate gezogen wurde, sondern das entscheidende Wort sprechen durfte.

Dies war der Mann, der in dem Augenblicke in das Zimmer trat, als ihn der alte Laird durch Dickson, seinen Knappen, zu sich entbieten lassen wollte und dem jetzt das seltsame Abenteuer von Isabellas Entführung erzählt wurde, mit einer Hast, die ihm dasselbe bloß um so seltsamer erscheinen lassen mußte. Kein Wunder, daß er mit auffälligen Zeichen von Unglauben zuhörte.

Der alte Laird schloß seinen Bericht mit einer Aufforderung, ihm in solcher Notlage mit allem Beistand und Rat als Standesgenossen und Landsmann zu helfen.

»Satteln wir unsre Rosse! Bieten wir unsere Knappen und Reisigen auf und veranstalten wir Streifen durch das Land nach den Schurken,« rief Sir Frederick.

»Habt Ihr auf niemand Verdacht,« fragte Ratcliffe, »Beweggründe zu solch verbrecherischem Tun zu haben? In der Zeit der Romantik leben wir nicht mehr. Bloß ihrer Schönheit wegen werden junge Damen heut nicht mehr geraubt.«

»Leset hier dieses Schreiben,« sprach Sir Vere, »das mir, wie ich besorge, die Untat zu erklären scheint. Es stammt von Miß Lucy Ilderton und ist an den jungen Earnscliff gerichtet, den ich laut ererbtem Recht als Freund und Kameraden betrachten darf und betrachte. Sie schreibt ihm, wie Ihr seht, vom Standpunkt als Freundin und Vertraute meiner Tochter, erklärt ihm, daß sie seiner Sache sich sehr annehme, weist aber auf einen guten Freund in einer Garnison hin, der ihm noch wirksamer dienen könne. Hauptsächlich, lieber Ratcliffe, möchte ich hinweisen auf die mit Bleistift eingefügten Stellen, in denen durch diese Intrigantin mit richtiger Unverfrorenheit auf kühne Maßregeln hingewiesen wird, die über den Grenzen der Baronie Ellieslaw unzweifelhaft von Erfolg gekrönt sein dürften.«

»Und aus diesem Briefe stark romantischen Anstrichs, verfaßt von einer ohne Frage stark romantisch angehauchten jungen Dame, Herr Vere, wollen Sie den Schluß ziehen,« fragte Sir Ratcliffe, »daß Earnscliff Ihre Tochter entführt habe? daß Earnscliff ohne jedweden anderen Rückhalt und Rat als solchen von Miß Lucy Ilderton, sich solcher verbrecherischen Gewalttat schuldig gemacht habe?«

»Was kann ich mir sonst für Gründe denken?« versetzte Ellieslaw.

»Was könnt Ihr Euch sonst für Gründe denken?« fragte Sir Frederick Langley Sir Ratcliffe.

»Wäre dieses der einfachste Weg, jemand die Schuld zuzuschieben,« erwiderte mit Ruhe Sir Ratcliffe, »so ließen sich wohl leicht noch andere Leute finden, deren Charakter auf solche Gewalttat weit eher noch schließen ließe, und denen es an ausreichenden Beweggründen dazu wohl auch nicht fehlen dürfte. Angenommen, es würde für ratsam erachtet, Miß Vere an einen Ort zu bringen, wo man besser in der Lage sei, bis zu einem gewissen Grade die Richtung ihrer Neigungen zu beeinflussen, auf sie ungezwungener als hier im Schloß Ellieslaw einen gewissen Druck auszuüben? ... Was möchte Sir Frederick Langley zu solcher Auffassung der Situation meinen?«

»Meine Meinung zu solcher Auffassung der Lage wünschen Sie zu hören?« fragte spitz Sir Frederick, »nun, sie lautet, Sir Ratcliffe: wenn es auch Sir Vere für geraten ansehen mag, sich durch Sie mancherlei bieten zu lassen, was mit seinem Rang und seiner Stellung im Leben nicht völlig im Einklang stehen dürfte, so werde ich mir doch Gleiches weder in Winken oder Blicken, noch auch nur in Andeutungen unter keinen Umständen bieten lassen!«

»Und wenn Ihr meine Meinung hören wollt,« mischte sich der junge Mareschal auf Mareschal-Wells, auch ein Gast im Schlosse, in die Unterhaltung, »so laßt Euch sagen, daß Ihr alle miteinander von der Tarantel gestochen sein müßt, um hier zu hadern, statt hinter den Strolchen herzusetzen.«

»Ich habe bereits Befehl erteilt,« nahm Sir Vere das Wort, »daß meine Diener sich auf die Verfolgung begeben und zwar in der Richtung, in welcher die Räuber wahrscheinlich geflohen sind ... wollt Ihr uns begleiten und helfen, Mareschal?«

Alle Anwesenden schlossen sich dem Laird an, dessen Bemühungen aber ergebnislos verliefen, da sie in der Richtung nach Earnscliff-Tower zu, in dessen Eigentümer Sir Vere den Entführer vermutete, unternommen wurden, statt in der entgegengesetzten, wo derselbe zu suchen gewesen wäre.

Abends kehrte die Gesellschaft mutlos und müde zurück. Unterdes waren andere Gäste im Schloß eingetroffen, und Diskussionen über die politische Lage, in welcher stündlich umwälzende Änderungen zu erwarten waren, drängten die Angelegenheit, die nur den Vater und nicht den Patrioten anging, in den Hintergrund.

Manche der Herren, die an der nun stattfindenden Beratung teilnahmen, waren Katholiken, durch die Bank aber waren es Männer streng jakobitischer Richtung, deren Hoffnungen zur Zeit an Zuversicht gewannen, seit zugunsten des Prätendenten täglich von Frankreich aus ein feindlicher Einfall erwartet wurde, für den die Chancen insofern nicht ungünstig standen, als Schottland von Garnisonen ziemlich entblößt war, so gut wie keine festen Plätze hatte und in seiner Bevölkerung sehr viel Elemente barg, die solchem Einfall weit mehr freundlich als feindlich gesinnt waren.

Ratcliffe suchte zu diesen Verhandlungen weder Anschluß, noch erhielt er Aufforderung zur Teilnahme daran, und hatte sich auf sein Zimmer zurückgezogen.

Während Miß Lucy Ilderton tags darauf auf ihre väterliche Besitzung zurückgebracht wurde, gewann im Schlosse Ellieslaw die Verwunderung darüber, daß man sich mit der Abwesenheit der Tochter vom Hause so leicht und schnell abzufinden wußte, immer weiteren Boden.

Zwölftes Kapitel

»Auffallend ist und bleibt es,« meinte am andern Tage, nachdem eine abermalige Streife, aber mit der gleichen Ergebnislosigkeit, unternommen worden, Sir Mareschal zu Sir Ratcliffe, »daß vier Reitersleute mit einer Dame durch das Land gejagt sein sollten, ohne irgendwelche Spur hinter sich zu lassen. Fast möchte man meinen, sie hätten ihren Weg durch die Lüfte oder unter der Erde genommen.«

»Es läßt sich zuweilen Kenntnis von einer Sache gewinnen,« meinte Ratcliffe, »indem man sich um Dinge kümmert, die abseits vom großen Wege liegen. Mich bedünkt in unserm Falle, als hätten wir wohl alle Landstraßen, Reit- und Fußwege, die zum Schlosse führen, nach allen Windrichtungen abgesucht, bloß nicht den unzugänglichen, schwierigen Paß, der in südlicher Richtung nach Westburnflat durch das Moor führt.«

»Und warum nicht?«

»Diese Frage müssen Sie an Sir Vere richten,« versetzte trocken Sir Ratcliffe.

»Das soll auf der Stelle geschehen!« versetzte Mareschal und wandte sich zu Sir Vere mit den Worten: »Laird Ellieslaw! Einen Pfad sollen wir noch nicht abgesucht haben, wird mir eben gesagt: den der in südlicher Richtung nach Westburnflat hinüberführt!«

»O, den Turmherrn von Westburnflat,« rief Sir Frederick, »kennen wir gut: einen wilden Patron, der zwischen Nachbarsgut und eignem Gut nur wenig Unterschied kennt, sonst aber verläßlicher Art ist und sich an nichts vergreifen wird, was dem Laird Ellieslaw gehört.«

»Zudem hatte er,« deutete Ellieslaw mit verstecktem Lächeln an, »in letztverwichener Nacht andern Flachs auf seinem Spinnrocken. Habt Ihr nicht vernommen, daß dem Hobbie Elliot der Hahn aufs Dach gesetzt und alles Vieh aus dem Stall getrieben worden, weil er sich geweigert hat, ein paar ehrlichen Mannen, die für den König in Aufstand treten wollten, die Waffen auszuliefern?«

Die Herren zeigten eine Miene, als hörten sie von einer eignen Absichten günstigen Unternehmung.

»Darum grade meine ich,« begann Mareschal aufs neue, »daß wir nach dieser Richtung hin nicht müßig bleiben dürfen, wollen wir nicht Gefahr laufen, einer Nachlässigkeit wegen Tadel zu ernten.«

Gegen solchen Vorschlag ließ sich nichts einwenden, und die Herren wandten ihre Rosse nach der Richtung, in welcher der Turm von Westburnflat lag. Noch waren sie nicht weit geritten, als der Schall von Hufen an ihre Ohren drang und ein Reitertrupp in Sicht kam.

»Dort kommt Earnscliff geritten,« rief Mareschal, »ich erkenne sein Roß an dem Stern auf der Stirn.«

»Und meine Tochter ist bei ihm!« rief Ellieslaw ergrimmt, »wer wird mich jetzt noch falschen oder kränkenden Verdachts zeihen wollen? Ihr Herren! Freunde! Leiht mir Eures Degens Beistand, auf daß ich mein Kind wiedererlange!«

Er zog den Degen. Sir Frederick und andre folgten dem Beispiel und trafen Anstalt zum Angriff auf die heranreitende Schar; der größere Teil aber zeigte Bedenken.

»Die Herren kommen heran in Vertrauen und Frieden,« sprach Mareschal Wells. »Hören wir also zuvörderst, was sie von dem seltsamen Vorfall zu berichten haben. Sofern Miß Vere bekundet, daß sie durch Earnscliff irgendwelche Kränkung, sei es auch nur mit Worten, erleiden mußte, so bin ich der erste, der seinen Degen zieht, solchen Frevel zu ahnden. Hören wir aber erst, was sie melden.«

»Ihr tut mir unrecht, in meinen Verdacht Zweifel zu setzen, Sir Mareschal!« rief Laird Ellieslaw, »von Euch hätte ich solches zuletzt erwartet!«

»Durch Eure Heftigkeit, Ellieslaw,« versetzte Mareschal, »schadet Ihr Euch selber, wenn man auch Entschuldigung dafür bei solchem Falle gern gelten lassen kann.« Dann ritt er den übrigen vorauf und rief mit lauter Stimme: »Gebietet Euren Mannen Halt, Earnscliff, und kommt allein mit Miß Vere zu uns heran! Man zeiht Euch des Verbrechens, die Dame aus ihres Vaters Haus entfernt zu haben! Wir stehen hier in Waffen und in Bereitschaft, unser Blut zu vergießen, erfüllt von der Absicht, sie dem Vater zurückzuführen und jeden, der sich solchen Verbrechens schuldig gemacht, der Gerechtigkeit in die Hände zu liefern.«

»Und wen könntet Ihr williger hierzu finden, Herr Mareschal, als mich?« erwiderte mit stolzem Selbstbewußtsein Earnscliff; »ward mir doch heut morgen die Ehre und Freude, sie aus dem Gefängnis, in welchem ich sie eingesperrt fand, zu befreien, und seht Ihr mich doch auf dem Ritt nach Schloß Ellieslaw begriffen, der Dame ritterliches Geleit dorthin zu geben?«

»Verhält es sich also, Miß Vere?« fragte Mareschal.

»So verhält es sich, und nicht anders!« rief Miß Vere lebhaft. »Ihr Herren, ich schwöre bei allem, was heilig ist, daß rohe Gesellen, mir unbekannt von Person, mich geraubt und entführt haben und daß ich meine Befreiung allein der Dazwischenkunft dieses edlen Herrn hier zu danken habe.«

»Wer können diese Gesellen sein? Und welche Absicht kann sie geleitet haben?« fragte Mareschal ... »hattet Ihr keine Kenntnis von dem Orte, wohin Ihr gebracht wurdet? Earnscliff! Wo fandet Ihr die Dame?«

Bevor jedoch durch Earnscliff oder Miß Vere Auskunft hierauf gegeben wurde, sprengte Ellieslaw heran und schnitt das Gespräch ab, indem er den Degen in die Scheide schob.

»Sobald ich die Höhe der Schuld kenne,« sprach er, »in der ich bei Earnscliff stehe, werde ich mit dem Ausgleich nicht säumen. Einstweilen Dank für seinen Dienst!«

Mit diesen Worten griff er nach dem Zaum von Miß Veres Roß und schlug den Rückweg mit ihr nach seinem Schlosse ein, alsbald vertieft in so ernstes Zwiegespräch, daß die übrigen es für ungeziemend erachteten, sich störend einzumischen. Seinem finstern Blick begegnete Earnscliff mit Stolz und unterließ es nicht, bevor er sich verabschiedete, mit lauter Stimme die folgenden Worte an die Begleiter des Lairds zu richten:

»Wenn ich mir auch keinerlei Umstands in meinem Verhalten bewußt bin, der zu irgendwelchem Verdacht einen Schimmer von Recht geben könnte, so meine ich doch hier sagen zu sollen, daß Sir Vere sich in dem Glauben zu befinden scheint, auf mich fiele ein gewisser Anteil an der gegen seine Tochter verübten gemeinen Gewalttat. Ich bitte Euch, Ihr Herren, meine feste und bestimmte Zurückweisung solcher unehrenvollen Beschuldigung gelten zu lassen. Dem erregten Gefühl eines Vaters läßt sich in solchem Fall wohl verzeihen. Sollte aber irgendwer anders« (mit scharfem Seitenblick auf Sir Frederick Langley) »das von mir gegebene und von Miß Vere bestätigte Wort, dem auch das Zeugnis aller mich begleitenden Freunde zur Seite steht, als nicht ausreichend zu meiner Rechtfertigung betrachten, dann werde ich nicht säumen, solche Bemängelung so zurückzuweisen, wie es einem Mann, der seine Ehre höher einschätzt als sein Leben, zukommt.«

»Und ich will ihm zur Seite stehen,« rief Simon von Hackburn, »und es paarweis mit Euch aufnehmen, gleichviel ob Edelmann oder Bauer, Gutsherr oder Pächter – auf solche Unterschiede pfeife ich!«

»Wer ist der grobe Flegel?« fragte Sir Frederick Langley, »und was hat er sich in edelmännischen Zwist zu mischen?«

»Ich bin ein Bursch vom obern Teviot,« beschied ihn Simon, »der mit jedermann Händel suchen darf nach freiem Belieben, bloß nicht mit seinem König und seinem Gutsherrn!«

»Still,« rief Mareschal, »keinen Zank und Streit! Herr Earnscliff, wenn wir auch nicht in allen Dingen gleicher Anschauung sind, so hoffe ich doch, daß wir, falls es das Schicksal fügen sollte, auch als Feinde einander gegenüber stehen können, ohne daß wir die Achtung vor Geburt und Person und ehrlichem Tun außer Augen setzen. Ich halte Euch in dem vorliegenden Falle für ganz ebenso schuldlos wie mich selber, und ich verbürge mein Wort, daß mein Vetter Ellieslaw, sobald die Verstörtheit ob dieser jähen Ereignisse von seinem Geiste gewichen ist und er wieder freier Herr seines Urteils ist, dem wichtigen Dienste, den Ihr ihm heute geleistet, die gebührliche Anerkennung nicht versagen wird.«

»Der Dienst, den ich Eurer Base erwies, trägt seinen Lohn in sich selber!« erwiderte Earnscliff, »gute Nacht, Ihr Herren! Ich sehe, die meisten von Eurer Gesellschaft sind schon nach Ellieslaw unterwegs!«

Nach artigem Gruße für Mareschal und gleichgültigem für die übrigen wandte Earnscliff sein Pferd und ritt nach Heughfoot, um dort mit Hobbie Elliot sich über Maßnahmen zu verständigen, die ihm die gestohlene Braut wiederzuschaffen vermöchten, wußte er doch nicht, daß dieselbe ihren Verwandten bereits zurückerstattet worden war.

»Da reitet er hin!« sagte Mareschal, »fürwahr, ein schöner, tapferer Jüngling und dennoch stünd ich ihm gern auf grünem Rasen mit blanker Waffe gegenüber! Auf der Schule galt ich ihm ebenbürtig im Fechtrappier. Aber gern versuchte ich mich an ihm mit scharfer Klinge!«

»Meinem Dafürhalten nach,« äußerte Sir Frederick Langley, »taten wir unklug, ihn mit seinen Leuten ziehen zu lassen, ohne sie zu entwaffnen. Die Whigpartei wird sich ganz gewiß unter solch mutigem Jungbursch sammeln!«

»Pfui doch, Sir Frederick!« rief Mareschal; »meint Ihr, es hätte sich mit Landesehre vertragen, wenn Ellieslaw Einwilligung zu Gewalttat gegen Earnscliff, der sein Gebiet bloß betrat, um ihm die Tochter wiederzubringen, hätte geben wollen? Und meint Ihr, ich mit den übrigen Herren hätte, falls er gleicher Meinung gewesen wäre wie Ihr, Ja zu solch schimpflichem Tun gesagt? Nein! Ehrlich Spiel und Alt-Schottland allzeit! Ist das Schwert aus der Scheide, dann will ich es führen, wie Recht und Ehre es fordern; solange es aber noch in der Scheide steckt, wollen wir gelten und uns benehmen als Männer von Schliff und als gute Nachbarn!«

Bald nach dieser Zwiesprach befanden sie sich im Schlosse, Dort begegnete ihnen Ellieslaw, der um einige Minuten früher angelangt war.

»Wie geht es Miß Vere? Und habt Ihr erfahren, wie es um ihre Entführung sich verhält?« rief ihm Mareschal mit Hast entgegen.

»Isabel hat sich zurückgezogen. Sie ist zu sehr angegriffen. Ich kann kaum früher Aufklärung von ihr erhoffen, als bis sie sich erholt haben wird,« antwortete der Vater. »Euch jedoch, Mareschal, und auch den andern Freunden bin sowohl ich als mein Kind für die eifrige Teilnahme zu Dank eng verbünden. Indessen muß ich jetzt mein Vatergefühl auf einige Zeit in den Hintergrund drangen, weil die Pflicht als Patriot mich ruft. Ihr wißt, daß der heutige Tag zur endlichen Beschlußfassung festgesetzt wurde. Die Zeit drängt; unsre Freunde nahen sich, und mein Haus steht zur Zeit nicht bloß uns Herren von Stand, sondern auch dem geringeren Spornleder offen, dessen wir unmöglich entraten können. Zu Empfangszurüstungen ist deshalb kaum Zeit. Seht diese Listen hier flink durch, Mareschal! Und Ihr, Sir Frederick, überfliegt mal dies Schreiben aus Lothian und dem Westen. Es ist alles reif für die Sichel, und bloß die Schnitter find noch aufzubieten.«

»Bravo!« rief Mareschal. »Je mehr Unheil, um desto besser der Krieg!«

Sir Fredericks Züge zeigten einen ernsten, verstörten Ausdruck.

»Tretet mit mir beiseite, Freund!« sagte Ellieslaw zu dem finstern Baronet, »ich habe geheime Kunde für Euch, mit der Ihr gewiß zufrieden sein werdet.«

Sie traten zusammen ins Schloß hinein, Ratcliffe mit Mareschal im Hofe zurücklassend. »Die Herren, die Eure politische Meinung teilen, halten also den Sturz der bestehenden Regierung als so fest und bestimmt, daß sie für ihre Intrigen alle manierliche Hülle verschmähen?« fragte Sir Ratcliffe.

»Der Verhüllung, Sir Ratcliffe,« erwiderte Mareschal, »bedürfen vielleicht Eurer Freunde Gedanken und Handlungen; mir aber gefällt es besser, wenn sich die unsrigen mit offnem Antlitz zeigen.«

»Ist es denn möglich,« nahm Ratcliffe wieder das Wort, »daß ein Mann wie Ihr, dem doch neben Charakterschwächen, wie Unbedacht und Heißblütigkeit – verzeiht mir, bitte, Sir Mareschal, ich bin ein schlichter Mann – gesunder Menschenverstand und Bildung nicht abzusprechen sind, sich betören läßt zum Beitritt zu solch verzweifelter Unternehmung? Was fühlt wohl, wenn Ihr an solch gefährlicher Zusammenkunft teilnehmt, Euer Kopf?«

»So sicher auf den Schultern, als spräche ich von Jagd und Falken, fühlt er sich freilich nicht!« versetzte Mareschal. »Solch gleichgültigen Sinnes wie Ellieslaw, mein Vetter, der von Hochverrat spricht wie von einem Wiegenliede für Säuglinge, und der das süße Mädchen, seine Tochter, leichter verliert und wiederfindet, als mir es gehen möchte mit einem Jagdhund, bin ich nun freilich nicht; mein Temperament ist nicht eisern und mein Haß gegen die Regierung nicht so eingewurzelt, daß mir für die Gefahren, die solches Beginnen birgt, der Blick verloren ginge.«

»Weshalb laßt Ihr Euch denn in solch Beginnen ein?« fragte Ratcliffe.

»Nun, mir liegt der arme verbannte König am Herzen! Mein Vater war Royalist vom Scheitel bis zur Sohle, und ich gönne dem speichelleckerischen Höflingsgesindel, das uns die Union über den Hals gebracht und unser armes Schottland verraten und verkauft und um Krone und Unabhängigkeit gebracht hat, von Herzen gern eine derbe Lektion!«

»Euer, Vaterland wollt Ihr also um solcher Schemen willen, in kriegerische, Euch selbst in seelische Bedrängnis bringen?« fragte mahnend Sir Ratcliffe.

»Bedrängnis für Bedrängnis! Zahn um Zahn!« rief Mareschal, »und lieber wäre es mir, der Krawall bräche morgen aus statt erst in vier Wochen. Denn kommen wird er! Und je früher, um desto jünger und besser bei Kräften sind alle, die

dabei sind! Was aber den Strick anbetrifft, Ratcliffe, nun! so kann ich, um mit Falstaff zu reden, dem Galgen ganz ebensoviel Ehre machen, wie jeder andre!«

»Herr Mareschal! Ihr tut mir leid!« sprach sein bedächtiger Ratgeber.

»Herr Ratcliffe,« erwiderte der andere, »ich bin Euch gewiß dankbar, bloß möchte ich nicht, daß Ihr Euer Urteil über dies Beginnen nach meinem Versuch, es zu rechtfertigen, bildet; denn es sind klügere Köpfe dabei am Werke gewesen als der meinige.«

»Es können auch Köpfe fallen, die klüger sind als der Eurige,« sprach Ratcliffe im warnenden Ton.

»Vielleicht aber kein Herz gebeugt werden, das leichter wäre als meines! Indessen, Sir Ratcliffe, damit es durch Eure Worte nicht schwerer werde, Adieu für jetzt bis zum Essen! Dann sollt Ihr sehen, daß Eure Besorgnis meinen Appetit nicht beeinträchtigt hat!«

Dreizehntes Kapitel

Auf Schloß Ellieslaw waren große Vorbereitungen für die Beherbergung und Bewirtung der zahlreichen Gäste getroffen worden, die zu diesem großen Tage dort erwartet wurden. Nicht bloß die in diesem Landesteil durchweg zur jakobitischen Partei gehörigen Standesherren, sondern auch allerhand Leute minder hohen Ranges, die aus allerhand Ursache, ungünstige wirtschaftliche Lage, Lust am Neuen, Haß gegen England, in das regierungsfeindliche Lager und zur Teilnahme an solch gefährlicher Unternehmung getrieben wurden, Männer von wirklich hohem Rang und Vermögen befanden sich jedoch im Grunde nicht viele darunter. Die großen Grundbesitzer blieben fern, und der niedere Adel, wie auch die Bauern, welche die Landmiliz stellten, waren zur sogenannten presbyterianischen oder reformierten Kirche gehörig, also schon aus diesem Grunde, so unzufrieden sie mit der Union an sich waren, zur Beteiligung an einer jakobitischen Verschwörung nicht geneigt. Ausnahme hiervon bildeten ein paar Landedelleute, die sich teils aus traditionellem Parteihange wie Mareschal auf Wells, teils aus persönlichem Ehrgeiz wie Laird Ellieslaw, zu den Grundsätzen, welche die Verschwörung verfolgte, bekannten. Was sonst von der Bevölkerung in den Bahnen derselben wandelte, waren Personen niederen Ranges und schlechter Vermögenslage, schon damals zum Aufstande bereit, der später, Anno 1715, unter den Führern Forster und Derventwater zum Ausbruch gelangte, als ein Grenzedelmann des Namens Douglas für das Haus Stuart in Waffen trat.

Eine lange Tafel war in der weiten Halle des Schlosses aufgeschlagen, das noch ganz die baulichen Einrichtungen früherer Jahrhunderte aufwies. Die »Halle« war also noch, wie zu jener frühen Zeit, ein langer, finsterer Raum mit Schwibbogen aus Bruchstein über weit ausgekragten Figuren, die solch wunderlich-groteske Formen aufwiesen, wie der Phantasie eines gotischen Baukünstlers nur jemals entsprungen sein mögen, und füllte die ganze eine Schloßseite aus. Der Bankettsaal erhielt sein Licht durch lange schmale Fenster, die, zu beiden Seiten befindlich, mit bunten, den Schein abdämpfenden Scheiben durchsetzt waren, über dem Sessel, in welchem Laird Ellieslaw als Leiter der Verhandlungen seinen Sitz hatte, wehte ein Banner, der bestehenden Überlieferung nach den Engländern in der Schlacht bei Sark entwunden, gleichsam berechnet darauf, den Mut der versammelten Schloßgäste durch die Erinnerung an früher errungene Siege über ihre reisigen Nachbarn zu entzünden. Der Laird selbst, eine stattliche Gestalt mit stolzen, trotz ihres finstern Ausdrucks schönen Zügen, zum vorhandenen Anlaß in standesgemäßer Tracht, spielte die Rolle des Baronets aus der alten Feudalzeit ganz vorzüglich. Ihm zur Rechten hatte Sir Frederick Langley, ihm zur Linken Sir Mareschal auf Wells seinen Platz. Am oberen Ende der Tafel saßen mit ihren Brüdern und Vettern mehrere Herren von Rang und Ansehen, unter ihnen auch Sir Ratcliffe. Unterhalb des Salzfasses aus massivem Silber, das in der Mitte der Tafel stand, saß »der Schwarm«, Leute mit geringem und auch ohne Namen, die eine Befriedigung ihrer Eitelkeit auch in dem untergeordneten Platze fanden, der ihnen hier angewiesen wurde, Repräsentanten eines »Unterhauses«, bei dessen Zusammensetzung keine »strenge Hand gewaltet« hatte: denn zu ihnen gehörte sogar »kein geringerer« mit als Willie von Westburnflat. Für dieses Menschen Unverfrorenheit, sich in dem Hause eines Edelmanns zu zeigen, dem er eben erst einen solch eklatanten Schimpf angetan, ließ sich bloß eine Erklärung finden: daß derselbe nämlich nicht im geringsten sich darüber im unklaren war, daß seine Rolle bei des Mädchens Entführung ein Geheimnis sei, das bei ihm selbst, wie auch ihrem Vater sicher ruhe.

Dieser zahlreichen, an sich recht gemischten Gesellschaft war ein reiches Essen aufgetragen worden, ein Essen so reich an soliden, aus Erzeugnissen von Schottlands Erde bereiteten Speisen, daß, wie man sich gern auszudrücken pflegt, »der Tisch krachte«. Aber die Fröhlichkeit stand zu der großartigen Bewirtung nicht im richtigen Verhältnis: am unteren Teile der Tafel fühlten sich die Gäste bedrückt durch den Zwang, den sie sich als Gäste solches Hauses, als Tafelgenossen solcher illustren Gesellschaft Wohl oder übel auferlegen mußten. Ähnlich erging es dem, »Herrn Küster«, der, wie er sich ausdrückte, »in Ehrfurcht erstarb«, als er den Psalm in Anwesenheit so hochgestellter Herrschaften, wie z. B. des »allweisen Herrn Lokal- und Friedensrichters Freeman«, der »lieben, gnädigen Frau Johnes« und des »vielvermögenden Herrn Sir Thomas Truby« anstimmen mußte. Erst als die Becher zu kreisen anfingen, wich in diesen »untern Regionen« die zeremoniöse Kälte der Fröhlichkeit; erst dann fing es an, dort in allmählicher Steigerung erst gesprächig, dann laut, zuletzt geräuschvoll zu werden.

Anders an den oberen Plätzen, wo die kältende Erregung, die häufig beim Menschen eintritt, wenn er sich, in Umstände versetzt, die ein Vorwärts ebenso erschweren wie ein Rückwärts, gezwungen sieht, verzweifelte Entschlüsse zu fassen. Je näher sie dem Rande des Abgrundes rückten, desto tiefer und gefährlicher erschien ihnen sein Schlund, und alle warteten voll Scheu, wer zuerst von ihnen den Sturz hinunter wagen würde. Diese Empfindung von Furcht, gepaart mit Widerstreben, wirkte je nach den Gewohnheiten und dem Charakter der anwesenden Gäste verschieden: der eine schnitt ein ernstes, der andre ein einfältiges Gesicht; ein dritter blickte mit ängstlicher Besorgnis auf die leeren Sitze am oberen Ende der Tafel, wo solche fehlten, welchen politischer Eifer noch nicht alle Klugheit, sich im letzten Augenblick fern zu halten, geraubt hatte. Noch andre schienen sich die Chancen derjenigen, welche fehlten, im Vergleich zu den Chancen derjenigen, welche anwesend waren, zu überschlagen.

Sir Frederick Langley zeigte eine finstere, friedlose Miene und ein zurückhaltendes Wesen; Laird Ellieslaw gab sich, aber mit viel Gezwungenheit, allerhand Mühe, den Mut der Versammelten anzuspornen, war aber nicht imstande, den Eindruck, als fehle es ihm selber am meisten an Mut, zu verwischen. Ratcliffe überschaute das Bild, das sich ihm bot, mit wachsamem Auge, aber mit der Miene eines völlig unbeteiligten Gastes, Mareschal allein wahrte seine ungebundene Fröhlichkeit und durch nichts zu beirrende Zuversichtlichkeit, aß und trank, scherzte und lachte und schien sogar an der Beklommenheit, die sich der Versammlung bemächtigte, an der Schwüle, die im ganzen Räume herrschte, »sein Gaudium zu haben«.

»Was hat euern heut morgen noch so blendenden Mut so dämpfen können?« rief er aus. »Es nimmt ja den Anschein, als seien wir hier zu einem Begräbnis versammelt, bei welchem die Leidtragenden kaum atmen dürfen, während« – dabei blickte er auf die untere Tafel – »die gedungenen Weh- und Klageleute lärmen wie beim wüsten Gelage. Wann wollt Ihr mit der Debatte beginnen, Ellieslaw? Was hat die hochtrabenden Hoffnungen des Ritters von Langley-Dale so verkümmert?«

»Ihr sprecht gleich einem Narren,« versetzte Ellieslaw barsch, »seht Ihr denn nicht, wieviele fern geblieben sind?«

»Was will das sagen?« erwiderte Mareschal, »war es Euch denn nicht vorher klar, daß die Hälfte der Menschheit mit dem Maule flinker ist als mit der Hand? Was mich persönlich angeht, so fühle ich mich eher ermutigt als entmutigt insofern, als ich doch wenigstens zwei Drittel unsrer Freunde in unsrer Halle anwesend sehe. Freilich scheint mir zu dem Argwohn, daß die Hälfte von allen bloß gekommen sei, schlimmstenfalls ein Mittagessen zu schnorren, mancherlei Ursache vorhanden zu sein.«

»Es ist keinerlei Kunde von der Küste herübergekommen, die uns über die Landung des Königs Verläßliches meldet«, bemerkte ein anderer in jenem Halbton beklommenen Geflüsters, der auf Mangel an Klarheit und Entschlossenheit deutet.

»Kein einziges Wort vom Grafen D–! Kein einziger Mann von der südlichen Grenze!« bemerkte ein Dritter.

»Wer hat Begehr nach Mannen noch mehr von englischem Boden und Grund?« rief Mareschal im affektierten Heldenton.– »Laird Ellieslaw, Ihr Vetter mein! Dann zeigt ihn mir flink, den Hund – und sollte der Tod uns beschieden sein –«

»Um Gottes und Schottlands willen, Vetter,« unterbrach ihn Ellieslaw, »bloß jetzt keine Torheiten, Mareschal!«

»Wohlan denn!« versetzte der Vetter, »so will ich statt ihrer Euch von meiner Weisheit zum besten geben was ich besitze. Sind wir vorwärts gegangen wie Narren, so wollen wir nicht rückwärts gehen wie Memmen! Genug, den Verdacht der Regierung uns auf den Hals zu laden, haben wir getan. Ein Zurück gibt es für uns nicht mehr, solange wir nicht was getan haben, das einen Grund und ein Recht dazu gibt! Was? Will keiner das Maul auftun? Nun, so will ich als erster den Sprung über den Graben wagen!« Er sprang auf, goß einen Humpen voll Rotwein, erhob denselben und gebot allen, seinem Beispiel zu folgen und sich von den Sitzen zu erheben.

Alle gehorchten: die Gäste höhern Standes gewissermaßen in passivem Gehorsam, die andern voll Begeisterung.

»Freunde! Kameraden!« rief Mareschal wieder, »vernehmt die Parole des Tages: Schottlands Unverletzlichkeit und unsers rechtmäßigen Königs Jakobs des Achten Gesundheit! Gelandet ist Seine Majestät soeben in Lothian und zurzeit schon, wie ich traue und glaube, wieder im unbeschränkten Besitz seiner Hauptstadt!« Er trank den Humpen leer bis auf die Neige und schleuderte ihn über sein Haupt mit dem Rufe: »Nimmer soll er entweiht werden durch geringeren Spruch.«

Alle folgten seinem Beispiel und verbürgten ihr Wort beim Krachen der Gläser, und unter den Zurufen der Gesellschaft, mit den Grundsätzen ihrer Partei, wie ihr Trinkspruch sie gekündet hatte, zu stehen und zu fallen.

»Den Sprung über den Graben habt Ihr getan unter Zeugenschaft!« sprach Ellieslaw beiseite zu Mareschal, »indessen glaube ich, daß es auch so zum besten führen werde. Jedenfalls habt Ihr recht mit der Rede, daß es kein Zurück mehr für uns gibt. Ein Mann« – er blickte auf Ratcliffe – »hat die Teilnahme am Spruch verweigert. Aber dies nur beiläufig!«

Hierauf erhob er sich und sprach zur Versammlung Worte bitterer Schmähung gegen die Regierung und ihre Anordnungen, vornehmlich aber gegen die Union: die er ein Abkommen hinterhältigster Art nannte, durch das Schottland um seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit betrogen und als gefesselter Sklave seinem Nebenbuhler England zu Füßen geworfen worden sei, gegen dessen Usurpation schottischer Macht und schottischen Rechts es sich jahrhundertelang mit Blut und Ehren in so mancher Gefahr gewehrt habe.

Hiermit war ein Ton angeschlagen, der in der Brust aller Anwesenden eine mächtig klingende Saite anschlug.

»Unser Handel ist vernichtet!« schrie der alte John Newcastle, ein Schleichhändler aus Jadburgh, am untern Ende der Tafel.

»Unser Ackerbau ist zugrunde gerichtet!« rief der Gutsherr von Broken-Girth-flow und Eigentümer von Land, das seit Adams Zeiten nichts als Heidekraut und Schwarzbeeren getragen hatte.

»Unsre Religion ist mit Stumpf und Stiel ausgerottet!« jammerte der rotnasige Pastor von Kirkwhistle.

»Ohne Gutschein vom Kirchenältesten und Sprengel-Rendanten werden wir bald kein Reh mehr schießen und keine Dirne mehr küssen dürfen«, rief Mareschal auf Wells.

»Und ohne Gutschein vom Steueramtsschreiber bald keinen Krug Bier mehr an kalten Wintertagen mehr brauen dürfen«, rief der Schleichhändler.

»Und in keiner finstern Nacht mehr über Moor und Heide reiten,« ergänzte Westburnflat, »ohne Gutschein vom englisch gesinnten Friedensrichter à la Earnscliff! Ha! Waren das schöne Zeiten an der Grenze, als von Frieden und Friedensrichtern noch keine Rede war!«

»Gedenken wir des bittern Unrechts von Darieu und Glencoe!« hub Laird Ellieslaw wieder an, »und ergreifen wir die Waffen zum Schutz unsrer Rechte, unserer Habe, unseres Lehns und unsrer Sippe!«

»Gedenket der rechten bischöflichen Weise, ohne die es keine recht- und gesetzmäßige Priesterschaft geben kann!« sprach der Pfarrer.

»Gedenket des Seeraubes, der von Green und den englischen Dieben an eurem ostindischen Handel begangen wurde!« rief William Willieson, Eigentümer zur Hälfte und alleiniger Kapitän einer Brigg, die zwischen Cockpool und Whitehaven jährlich vier Fahrten machte.

»Gedenket eurer Freiheiten!« hub Mareschal wieder an, einem Schelm von Jungen gleich, der die Schleusen eines Mühldammes geöffnet und nun am Geklapper der Räder sich weidet, von boshafter Freude erfüllt über all diese Äußerungen einer von ihm künstlich geweckten Begeisterung – »hole der Teufel die Steuern samt allen Steuerbeamten und allem Andenken an den alten Simpel von Willie [gemeint ist König Wilhelm III. aus dem Geschlechte der Oranier], der solchen Fluch unserm Lande gebracht hat!«

»Verdammt sei dieser Aichmeister der Union!« schrie der alte John Newcastle – «mit eigener Hand will ich ihn spalten!«

»Verdammt seien Friedensrichter und Gerichtsbüttel!« schrie Westburnflat – »noch vor Tagesgrauen will ich ihnen gefeite Kugeln auf den Pelz brennen!«

»Wir alle, die wir hier versammelt sind,« sprach Ellieslaw, als der Lärm nachgelassen hatte, »sind also des einmütigen Willens, solchen Zustand der Dinge nicht länger mehr zu dulden!«

»Sämtlich stehen wir ein, daß es anders werden müsse im Lande!« riefen die Versammelten wie aus einem Munde.

»Nicht ganz!« verwahrte sich Sir Ratcliffe; »wenn ich auch nicht hoffen darf, die heftige Aufregung zu dämpfen, die sich der Versammlung so plötzlich bemächtigt zu haben scheint, so bitte ich doch, soweit die Meinung eines einzelnen Mitgliedes der Versammlung Geltung finden kann, gelten zu lassen: daß ich nicht in völliger Übereinstimmung stehe mit der Reihe von Beschwerden, die soeben ausgesprochen worden sind! sowie daß ich gegen die wahnwitzige Maßregel zur Abstellung der vermeintlichen Mißstände Protest erhebe, zu deren Annahme die Versammlung geneigt zu sein scheint. Freilich kann ich verstehen und will ich gelten lassen, daß vieles von dem hier Verlautbarten seine Begründung finden mag in der Erregtheit der Zeit, vielleicht auch nur im Scherz so gemeint worden ist! Indessen gibt es Scherze auf solchem Gebiete, die Wohl leicht laut, aber nicht leicht verdaut werden, Und die Herren dürften gut tun, nicht unvergessen zu lassen, daß schon häufig auch steinerne Mauern Ohren gehabt haben!«

»Es mögen freilich, auch steinerne Mauern ihre Ohren haben!« versetzte mit einem Blicke sieghafter Bosheit Laird Ellieslaw, »aber Spione im Innern der Häuser, Sir Ratcliffe, haben bequemere Wege, vornehmlich solche, die ihren Aufenthalt in Familien nehmen, ohne daß sie gerufen wurden, und ohne Erlaubnis verlängern! die es aber, wenn sie solchen Wink nicht verstehen und nützen, erleben können, daß sie das Haus, in das sie sich eingeschlichen haben, verlassen in der Rolle des an der Nase geführten Schurken!«

»Sir Vere!« versetzte Ratcliffe mit Ruhe, aber um so größerer Verachtung, »ich bin mir recht wohl bewußt, daß meine Gegenwart hier im selben Verhältnis, wie sie Ihnen immer verhaßt war, für mich unsicher wird im selben Moment als sie Ihnen nicht mehr von Nutzen ist. Einen Schutz und zwar einen recht starken, habe ich; denn es wird Ihnen nicht eben genehm sein, wenn ich vor diesen Herren und Männern von Ehre die absonderlichen Umstände offenbare, unter welchen unsre Beziehungen ihren Ursprung fanden. Im übrigen freue ich mich über die Beendigung unseres Verhältnisses, und wenn mir, was ich wohl annehmen darf, Herr Mareschal im Verein mit einigen anderen Herren für die Dauer der Nacht Sicherheit verbürgt für Ohren und Hals (für den ich besonderen Grund zu Besorgnissen haben zu sollen meine), so werde ich vor morgen früh, Laird Ellieslaw, Ihr Schloß nicht verlassen.«

»Sei es so!« versetzte dieser, »Eure Inferiorität, die gesellschaftliche sowohl als andere, schützt Euch vor meiner Rache, nicht aber die Scheu vor Offenbarung meiner Privatverhältnisse, nichtsdestoweniger gebe ich Euch in Eurem Interesse den Rat, Euch davor zu hüten. Einem Mann, der alles gewinnen oder alles verlieren muß, je nachdem in dem nunmehr bevorstehenden Kampfe Recht und Gesetz oder rechtswidriger Raub von Krone und Thron den Sieg erringen, kann Eure Geschäftsführung und Vermittlung nur von geringem Wert sein. Drum lebt Wohl, Herr!«

Ratcliffe stand auf und warf dem Laird einen Blick zu, dem derselbe nur mühsam standzuhalten schien. Dann verbeugte er sich vor der übrigen Gesellschaft und schritt aus der Halle.

Den peinlichen Eindruck, welchen dieses Zwiegespräch bei vielen Anwesenden hervorrief, suchte Ellieslaw durch die Eröffnung der Debatte über die Tagesordnung zu verwischen. Dieselbe wurde in beschleunigtem Tempo geführt. Sie bezog sich in der Hauptsache auf die sofortige Organisation des Aufstands. Ellieslaw, Mareschal und Frederick Langley wurden zu Anführern ernannt und mit der Vollmacht, alle notwendigen Maßregeln anzuordnen, ausgestattet. Es wurde ein Treffort vereinbart, wo sich am andern Morgen jeder Anwesende mit soviel Begleitern einzufinden gelobte, als sich in seiner Umgebung für die Verfechtung der hier zu Recht erklärten Forderungen finden lassen würden.

Einige von den Gästen begaben sich, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, zu sich nach Hause. Laird Ellieslaw entschuldigte sich bei den andern, die mit Westburnflat, dem Wegelagerer, und John Newcastle dem Schleichhändler, noch beim guten Trunke verweilten, daß er die Tafel, so früh verlasse aus Rücksicht auf die Verhandlungen, die er mit den ihm zur Seite gegebenen Führern noch pflegen müsse. Solche Entschuldigung wurde für um so willkommener erachtet, als mit ihr die Aufforderung verbunden wurde, sich an den Erfrischungen, welche die Keller des Schlosses boten, noch weiterhin gütlich zu tun.

In dem Gemache, wohin sich die drei Rädelsführer zurückgezogen, blickte zunächst einer den andern nicht ohne einen gewissen Grad von Beklommenheit an. Während sich dieser Ausdruck auf Sir Fredericks finsterm Antlitz zu mürrischer Verdrossenheit wandelte, brach Mareschal zuerst das Schweigen durch helles Lachen.

»Wohlan!« rief er, »jetzt haben wir die Schiffe hinter uns verbrannt! Jetzt heißt's: Schwimmen!«

»Für diesen jähen Tauchersprung müssen wir Ihnen Dank sagen,« meinte Ellieslaw.

»Hm! Ob mir euer Dank aber noch sicher ist, wenn ich euch das Schreiben hier zeige, das mir zur Zeit behändigt wurde, als wir uns zur Tafel setzten, weiß ich nicht recht. Mein Knappe brachte mir das Schreiben mit dem Bescheide, es sei ihm von einem Manne zur Weitergabe an mich überantwortet worden, den er nie vorher im Leben gesehen habe und der, sobald er sich des Auftrags entledigt habe, weitergaloppiert sei und ihm bloß noch ans Herz gelegt habe, das Schreiben ohne Säumen an mich zu bestellen.«

Voller Ungeduld entfaltete Laird Ellieslaw das Schreiben und las:

Edinburg – Werter Herr! Da mich gegen Eure Sippe Verpflichtungen fesseln, die hier nicht erörtert zu werden brauchen, und mir eben bekannt wird, daß Ihr in enger Verbindung mit den Spekulanten steht, die für das Haus Jakob u. Co., früher in London, jetzt in Dünkirchen seßhaft, arbeiten, halte ich es für geboten. Euch die noch wenig bekannten Mitteilungen zu machen, daß die von denselben erwarteten Schiffe von der Küste abgetrieben wurden, bevor sie ihre Ladung oder auch nur einen Teil derselben löschen konnten; und daß sich die Geschäftsfreunde im Westen dahin verständigt haben, ihre Namen aus der Firma zu scheiden, weil hinfort alle Geschäfte bloß noch mit Verlusten entriert werden könnten.

In der lebhaften Hoffnung, daß Euch diese Nachricht rechtzeitig zu Händen kommen und nützen und Euch instandsetzen, auch dazu bereit finden möge, alle Maßregeln zu treffen, die Euch vor Schaden schützen können, verbleibe ich Euer untertäniger Diener

Nihil Anonymus.

An Herrn Ralf Mareschal auf und zu Mareschal-Wells. Sofort zu bestellen.

Sir Frederick ließ das Kinn bis zu den Knieen hängen, als der Brief zu Ende war, und sein Gesicht legte sich in die finstersten Falten, als Wieslaw nun rief:

»Das betrifft die eigentliche Sprungfeder unserer Unternehmung. Ist die französische Flotte mit König Jakob an Bord durch die englische Flotte verjagt worden, wie aus diesem vermaledeiten Gekritzel, wie es scheint, geraten werden soll, so frage ich: wie und wo stehen wir nun?«

»Genau so und genau dort, meiner Ansicht nach, wie heute morgen!« entgegnete Mareschal, nach wie vor lachend.

»Verzeiht, Mareschal, aber Eure Lustigkeit erscheint übel angebracht und bleibt besser beiseite: Heute morgen hatten wir uns öffentlich noch nicht bloßgestellt, wie jetzt zufolge Eures tollkühnen Benehmens, um so tollkühner, man darf sagen verrückter, als Ihr doch das Schreiben in der Hand hattet, das uns von der Aussichtslosigkeit unseres Beginnens in Kenntnis setzt!«

»Freilich! Daß Ihr solches sagen würdet, darauf bin ich und war ich gefaßt. Fürs erste aber kann Freund Nihil Anonymus mitsamt seinem Schreiben eine Farce sein; sodann wollte ich Euch den wirksamsten Beweis dafür liefern, daß ich einer Partei überdrüssig bin, die abends kühne Pläne schmiedet und sie über Nacht verschläft! Heute ist die Regierung noch unversorgt mit Munition und Truppen; binnen wenigen Wochen wird sie an beidem mehr denn Überfluß haben. Heute steht das Land gegen sie in Feuer und Flammen; morgen wird Eigennutz, Furcht und Lauheit die Gemüter kälter gestimmt haben wie das Wetter um Weihnachten. Ich meinesteils aber bin entschlossen, alles auf einen Trumpf zu setzen. Deshalb habe ich dafür Sorge getragen, daß Ihr ganz ebenso hoch spielt wie ich. Gleichgültig hierbei ist, ob ich Euch zu offener Erklärung gezwungen habe oder nicht: Ihr steht jetzt mitten drin im Moore und müßt durch, wenn Ihr nicht drin versinken wollt!«

»Ihr irrt Euch, Herr Mareschal, betreffs eines von uns!« sprach Sir Frederick Langley, zog die Klingel und befahl dem eintretenden Diener, seinen Leuten zu melden, daß sie sich zu sofortigem Aufbruch zu rüsten hätten.

»Auf solche Weise verlassen dürft Ihr uns nicht, Sir,« verwahrte sich Ellieslaw, »wir müssen doch zuvörderst unsere Musterrollen durchsehen!«

»Ich will noch heut nacht fort, Sir Vere,« entgegnete Sir Frederick, »und euch meine Absichten in dieser Angelegenheit, sobald ich zu Hause bin, schriftlich bekannt geben.«

»So, so!« spottete Mareschal, »und wollt uns das Schreiben mit einem berittenen Trupp aus Carlisle übermitteln und uns gefangen nehmen lassen? Hütet Euch, Sir Frederick! Ich wenigstens mag mich weder aufs Trockne setzen noch hinters Licht führen noch verraten lassen! Wollt Ihr heut nacht noch aus Ellieslaw weg, so findet Ihr den Weg bloß über meine Leiche!«

»Schämt Euch, Mareschal!« rief Sir Vere, »wie könnt Ihr unserm Freunde im Handumdrehen solch schlimme Absicht unterschieben? Ich bin fest überzeugt, daß Sir Frederick nur im Scherze spricht. Wären wir nicht zu ehrenhaft, um je an einen Verzicht auf unsere Pläne denken zu können, so müßte er doch bedenken, daß wir den vollen Beweis für seinen Beitritt zu der Verschwörung und seine eifrige Förderung derselben in Händen haben. Zudem muß er sich dessen bewußt halten, daß die Regierung die erste Anzeige gern registrieren und dankbar erkennen wird und daß wir ihm doch, wenn die Sache darauf hinauslaufen soll, leicht ein paar Stunden abgewinnen können, um die Vorhand zu spielen!«

»Ihr solltet hier von Euch nur sprechen, nicht von uns, wenn Ihr von Vorhand bei solch verräterischem Rennen sprecht!« sagte Mareschal, »denn was mich angeht, so ist mir mein Roß zu schade, um es zum Zweck solcher Schurkerei zu besteigen!« Zwischen den Zähnen flüsternd, setzte er hinzu: »Ein famoses Schurkenpaar, um in seiner Gesellschaft den Hals zu riskieren!«

»Ich brauche niemand, mir zu soufflieren, was zweckmäßig für mich sei, was nicht!« erwiderte Langley, »mein erster Schritt soll sein hinaus aus Schloß Ellieslaw und weg von Laird Ellieslaw, dem mein Wort zu halten schon um deswillen kein Grund für mich vorliegt, weil er mir das seinige nicht gehalten hat.«

»Und worin hätte ich Euch, Sir Frederick, mein Wort nicht gehalten?« fragte Ellieslaw, dem Vetter durch eine Gebärde sein Ungestüm verweisend.

»In meinem empfindlichsten und im zartesten Punkte des Herzens – Ihr habt mir was von einer Heirat vorgeschwatzt, die, wie Euch recht gut bekannt ist, als Pfand für unsere politische Unternehmung gesetzt war! Den Raub und die Rückkehr Eurer Tochter und all Eure entschuldigenden Worte für die mir von Eurer Tochter bereitete kalte Aufnahme halte ich für leere Ausflüchte, zu dem Zweck erhoben, die ihr von Rechts wegen gehörigen Güter in Eurem Besitz zu behalten, mich hingegen unterdessen als Werkzeug bei Eurem verzweifelten Unternehmen zu benützen und dafür mit Hoffnungen abzuspeisen, die sich durch Euch niemals verwirklichen lassen, zu deren Verwirklichung Ihr überhaupt nicht gesonnen seid!«

»Sir Frederick! Bei allem, was heilig ist, versichere ich Euch –«

»Ich mag nichts mehr von Beteuerungen und Versicherungen hören! Man hat mich schon zu lange getäuscht –«

»Wenn Ihr uns im Stiche laßt, Sir Frederick,« sagte Ellieslaw, »dann müßt Ihr damit rechnen, daß Euer Untergang gleich dem unsrigen außer Zweifel steht! Jetzt hängt alles nur vom Zusammenhalten unsrer Kräfte ab.«

»Laßt mich für mich allein sorgen!« versetzte der Ritter. »Sprächet Ihr aber die Wahrheit, dann würde ich lieber umkommen als mich länger zum Narren halten lassen!«

»Kann Euch nichts von meinem aufrichtigen Willen überzeugen?« fragte nicht ohne Beunruhigung Laird Ellieslaw. »Heute morgen hätte ich Euren ungerechten Verdacht als Schimpf zurückgewiesen; aber in unserer gegenwärtigen Lage –«

»In der gegenwärtigen Lage«, fiel ihm Sir Frederick ins Wort, »fühlt Ihr Euch zur Aufrichtigkeit gezwungen? Wollt Ihr, daß auch ich dies glaube, dann könnt Ihr nur auf einem einzigen Wege mich davon überzeugen, indem Ihr Eure Tochter bestimmt, mir noch heute abend ihre Hand zu reichen!«

»So schnell?« versetzte Sir Vere, »das geht unmöglich! Bedenkt den Schrecken des Mädchens und unser gegenwärtiges Unternehmen!«

»Mir gilt nichts anderes mehr für gewiß als ihr Jawort am Altar! Ihr habt im Schloß eine Kapelle. Der Pfarrer weilt bei der Tafelgemeinschaft. Gebt mir noch heute abend diesen Beweis Eures ehrlichen Willens, und wir sind wieder durch Herz und Hand verbunden. Weigert Ihr mir aber mein Gesuch in einem Augenblicke, wo seine Gewährung Eurem Nutzen und Vorteil so angemessen ist, wie soll ich Euch dann am andern Tage vertrauen, nachdem ich mich bloßgestellt habe und wenn jedes Zurück für mich ausgeschlossen ist?«

»Kann ich darauf bauen, daß unsre Freundschaft die alte bleibt, wenn Ihr heut abend mein Schwiegersohn seid?« fragte Laird Ellieslaw.

»Unfehlbar!« versetzte Sir Frederick, »und unabänderlich!«

»Dann meine Hand darauf,« rief Sir Vere, »daß meine Tochter, so vorschnell und so unzart und ungerecht gegen meinen Charakter Euer Vorgehen auch ist, heut abend Euer Weib sein soll.«

»Heute abend – nicht anders!« betonte Sir Frederick.

»Heute abend, nicht anders!« beteuerte Ellieslaw, »noch ehe die Glocke zwölf Uhr geschlagen, sollt Ihr ins Ehebett steigen.«

»Mit Verlaub und Willen jedoch der edlen Dame!« nahm jetzt Mareschal das Wort – »nicht anders! Denn das mögen die beiden Herren sich gesagt sein lassen, daß ich nicht zugeben werde – unter keinen Umständen und keiner Bedingung, – daß meiner hübschen Base hierbei auch nur der leiseste Zwang auferlegt werde!«

»Die Pest über den Hitzkopf!« brummte der Laird zwischen den Zähnen, um dann laut fortzufahren: »Wofür seht Ihr mich an, Mareschal, daß Ihr solche Einmischung für nötig erachtet, als Schützer meines Kindes gegen mich, ihren leiblichen Vater? – Verlaßt Euch darauf, Sir Frederick Langley ist ihr nicht unsympathisch!«

»Oder vielmehr wohl«, wandte Mareschal ein, »der Titel Lady Langley? Das letztere bedünkt mich wahrscheinlicher: und dieser Meinung möchten schließlich auch andre hübsche Damen sein! Ich bitte um Verzeihung. Aber solch plötzliche Forderung, gefolgt von solch plötzlichem Zugeständnis, hat mich um meiner hübschen Base willen in gewisse Unruhe versetzt.«

»Mich versetzt einzig und allein die plötzliche Erledigung der Angelegenheit in Unruhe,« nahm Ellieslaw wieder das Wort, »und falls es mir unmöglich sein sollte, die Einwilligung meiner Tochter in solcher Kürze zu erhalten, so wird Sir Frederick zu bedenken haben ...«

»Keine Rede hiervon, Sir Vere! Ich wiederhole: entweder bis heute Mitternacht die Hand Ihrer Tochter – oder ich reise ab, und wäre es um Mitternacht! Dies betrachtet als mein Ultimatum!«

»Angenommen,« sprach Ellieslaw; »ich verlasse Euch jetzt, um meine Tochter auf diese jähe Handlung vorzubereiten; Euch hingegen ersuche ich, alle Vorsorge für kriegerische Eventualitäten zu treffen.«

Mit diesen Worten verließ er die beiden Gefährten.

Vierzehntes Kapitel

Sir Vere, durch lange Übung in der Kunst sich zu verstellen recht wohl imstande, Gangart und Tritt nach Bedarf und Gefallen zu regeln, ging durch die steinerne Flur und die Treppe zu Isabels Zimmer hinauf mit dem kräftigen Tritt eines Mannes, der wohl weiß, daß er eine wichtige Angelegenheit zu erledigen hat, aber nicht im Zweifel darüber ist, daß dieselbe ihre befriedigende Lösung finden werde. Als er aber weit weg genug war, daß ihn die Herren, die er verlassen hatte, nicht mehr hören konnten, verlangsamte sich sein Schritt so, wie es seinem Zweifel und seiner Furcht besser entsprach.

Um seine Gedanken zu sammeln und sich über die Unterredung mit seiner Tochter, bevor er in das Zimmer derselben trat, einen bestimmten Plan zurecht zu legen, blieb Sir Vere im Vorzimmer stehen.

»Hat sich ein vom Unglück verfolgter Mensch wohl je in einen verzweifelteren Zustand verrannt?« dachte er bei sich; »verfallen wir in Zwist und Hader, so steht es wohl außer Zweifel, daß es mir als dem Haupträdelsführer an den Kragen gehen wird. Selbst angenommen, durch schnelle Unterwerfung sei Rettung noch möglich: bin ich dann nicht erst recht in der Patsche? Mit Ratcliffe habe ich vollständig gebrochen und kann von ihm auf das Schlimmste rechnen. Was bleibt mir übrig als in die weite Welt zu laufen, arm und entehrt? Ohne Mittel zum Lebensunterhalt? Daran, die Schande politischen Renegatentums auszuwetzen, die sich an meinen Namen hängen wird, kann ich gar nicht denken! Dazu wäre Geld notwendig und das besitze ich nicht. Und doch: bleibt mir eine andre Wahl als zwischen solchem Lose und schmachvollem Schafott? Was mich allein zu retten vermag, ist Ruhe und Frieden mit diesen Menschen: um deswillen habe ich Langley versprochen, daß Isabella vor Mitternacht sein Weib werden solle, habe ich Mareschal versprochen, keinerlei Zwang auf das Mädchen auszuüben. Nur ein einziges Mittel kann mich vor dem Untergange schützen: ihre Einwilligung, einem Manne die Hand zu reichen, der ihr zuwider ist, sie diesem Manne in solch kurzer Frist zu reichen, daß es sie aufbringen müßte, wenn es ihr Bräutigam wäre, der ihr dies Ansinnen stellte. Mir bleibt nur übrig, auf die romantische Seite ihres Wesens zu bauen. Und wenn ich es ihr noch so dringend vorstelle, wie notwendig es ist, daß sie mir gehorche, so werde ich doch nie imstande sein, der Wirklichkeit auch nur im entferntesten nahe zu kommen.«

Er trat in das Zimmer seiner Tochter. Trotz des Ehrgeizes, der ihn erfüllte, trotz seiner Gewandtheit in allen Lebenslagen, wohnte doch noch Vaterliebe genug in seinem Herzen, um über die Rolle zu erschrecken, die er jetzt spielen wollte; aber der Gedanke einerseits, daß seine Tochter durch die Verbindung mit Sir Frederick doch eine standesgemäße Partie schlösse, und anderseits die Gewißheit für ihn, im Fall des Mißlingens ein völlig ruinierter Mann zu sein, waren ausreichend, die Stimme seines Gewissens zu ertöten.

Isabel saß am Fenster, den Kopf in die Hand gestützt, in Schlummer oder Nachsinnen so tief versunken, daß sie das Geräusch seiner Tritte nicht hörte. Mit dem Ausdruck tiefen Kummers im ganzen Wesen näherte er sich ihr, setzte sich neben sie und nahm, tief aufseufzend, ihre Hand.

»Vater!« rief das Mädchen und fuhr empor. Aus ihrem Gesicht sprach Besorgnis in nicht geringerem Grade als Freude und Zuneigung.

»Isabel!« sprach Sir Vere, »dein Vater, von allem Glück verlassen, kommt als Bittender: um Verzeihung bittet er dich für die Kränkung, die er dir im Übermaß von Liebe zufügte – um dann auf immer von dir Abschied zu nehmen!«

»Vater! Verzeihung für eine Kränkung? und Abschied auf immer? Was sollen solche Worte heißen?« fragte Isabel.

»Isabel, aus meinem Munde spricht bitterer Ernst. Zuvörderst möchte ich die Frage an dich stellen, ob du mich irgendwelches Anteils an dem seltsamen Vorfalle beargwöhnst, der sich gestern morgen ereignet hat?«

»Ich? – Vater!« stammelte Isabel, in dem Bewußtsein sowohl, daß er ihre Gedanken richtig erraten habe, wie von Scham und Furcht befallen, sich der Möglichkeit solcher Frage ausgesetzt zu haben.

»Ja,« fuhr er fort, »deine Unsicherheit sagt mir, daß du von solchem Argwohn nicht frei bist; und mir fällt jetzt die peinliche Aufgabe zu, dir die Wahrheit zu sagen: daß du mir nämlich durch solchen Argwohn kein Unrecht getan hast. Aber leih meinen Gründen dein Ohr! In schlimmer Stunde ermutigte ich Sir Frederick Langley, um deine Hand anzufragen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß deine Abneigung gegen eine Verbindung mit ihm Bestand haben könne, weil doch in fast allen Hinsichten der Vorteil auf deiner Seite lag. In noch schlimmerer Stunde ließ ich mich mit ihm in ein Komplott ein, dessen Zweck sein sollte, die Unabhängigkeit unsers Vaterlandes wiederherzustellen und unsern aus dem Lande verbannten König zurückzuführen. Sir Frederick Langley hat mein Vertrauen benützt, und jetzt liegt mein Leben in seiner Hand!«

»Euer Leben, Vater?« fragte mit matter Stimme Isabel.

»Jawohl, mein Kind!« fuhr ihr Vater fort, »das Leben desjenigen, der dir das Leben gab, liegt in Sir Fredericks Hand. Sobald ich das Unheil übersah, das seine zuchtlose Leidenschaft, die mir, wie ich nicht ungesagt lassen will, aus übergroßer Neigung zu dir zu entspringen scheint, über ihn bringen mußte, suchte ich mich aus der verdrießlichen Lage, in welche ich mich gebracht hatte, auf Zeit von einigen Wochen dadurch zu befreien, daß ich dich unter plausiblem Vorwand auf einige Wochen aus meinem Schloß entfernte. Ich gedachte dich, falls sich deine Abneigung gegen diese Heirat nicht verlieren sollte, heimlich nach Paris, in das Kloster deiner Tante mütterlicherseits zu bringen. Durch eine Kette von Irrungen und Wirrungen wurdest du aus dem Platze, wo du dich zunächst kurze Zeit aufhalten solltest, hinweggebracht. Ein widriges Geschick hat mir diese letzte Möglichkeit zur Rettung genommen. Mir bleibt jetzt bloß übrig, dich mit Herrn Ratcliffe aus dem Schlosse ziehen zu lassen. Es wird dir bekannt sein, daß Herr Ratcliffe das Schloß verläßt. Mein eignes Schicksal ist besiegelt und wird sich bald erfüllt haben.«

»Gerechter Himmel! Ist solches möglich?« rief Isabel. »Ach! warum bin ich aus dem Turm befreit worden, in den Ihr mich hattet bringen lassen? und warum habt Ihr mir nicht Kenntnis von, Eurem Willen gegeben?«

»Ziehe nicht weitere Schlüsse, Isabel! Wäre es dir recht gewesen, wenn ich den Freund, dem ich zu dienen wünschte, in deiner Meinung dadurch heruntersetzte, daß ich dich die Energie fühlen ließ, mit der er seinen Zweck verfolgte? Konnte ich als ehrenhafter Mann so verfahren, nachdem er mein Versprechen besaß, seiner Bewerbung nicht hinderlich sein zu wollen? Indessen darüber braucht jetzt kein Wort mehr zu fallen. Das ist vorüber! Mareschal und ich, wir sind entschlossen als Männer zu sterben. Mir liegt jetzt bloß noch ob, dich unter sicherm Geleit von Schloß Ellieslaw zu entfernen.«

»Ach Himmel! Gibt es keine Rettung?« rief erschreckt Miß Vere. »Keine Rettung, mein Kind!« versetzte Vere mit sanfter Stimme, »außer einer, einer einzigen, die ich aber verschmähe und als Ehrenmann verschmähen muß –«

»Sprecht, Vater!«

»Ich müßte der erste sein, der die Freunde anzeigt und verrät!«

»Nein, Vater, nein!« erwiderte sie mit Abscheu, »das nicht! das unter keiner Bedingung! Aber gibt es kein andres Mittel? Flucht? Intervention? Ich will das Knie beugen vor Sir Frederick!«

»Das würde fruchtlose Entwürdigung sein! Sir Frederick weiß, was er zu tun und zu lassen hat, und ich nicht minder. Nur unter einer Bedingung will er sein Tun dem meinigen anpassen, aber solche Bedingung soll mein Kind nimmer von meinen Lippen vernehmen.«

»Nennt sie mir, Vater!« rief Isabel. »Wozu sollte ich nicht bereit sein, da es doch gilt, dem schrecklichen Schicksal vorzubeugen, das Euch bedroht?«

»Erst wenn deines Vaters Haupt über das blutige Schafott rollt,« sprach Sir Vere in feierlichem Tone, »soll mein Kind erfahren, daß es ein Opfer gab, durch das er zu retten gewesen wäre!«

»Warum wollt Ihr es mir nicht nennen?« fragte Isabel, »fühlt Ihr Sorge, ich würde mich scheuen, mein Vermögen zu Eurer Rettung hinzugeben? oder würdet Ihr mir lebenslange Gewissenspein, daß ich mich einem Weg verschlossen hätte, der Euch noch Rettung schaffen konnte, als Euer Vermächtnis hinterlassen wollen?«

»Nun gut, mein Kind!« sprach Sir Vere, »da du mich drängst, das zu nennen, was ich tausendmal lieber verschwiegen hätte, muß ich dir sagen, daß er von keinem andern Lösegeld wissen will außer du reichst ihm deine Hand und zwar noch heute, bis Mitternacht!«

»Noch heute?« rief das junge Mädchen, von Schauder geschüttelt, – »solchem Menschen, solchem Ungeheuer, das die Tochter zu werben sucht, indem es den Vater am Leben bedroht – nein, Vater! das geht über meine Kraft!«

»Du redest wahr, meine Tochter!« pflichtete der Vater bei, »dergleichen ist unmöglich! Ich besitze weder das Recht, solches Opfer zu fordern, noch wünsche ich, daß meine Tochter solches Opfer bringe! Es ist ja Naturgesetz, daß das Alter stirbt und der Vergessenheit anheimfällt, und daß der Jugend Glück und Leben winken!«

»Mein Vater sollte sterben, wenn sein Kind ihn retten kann? Nein, Vater, das ist undenkbar! Daß kann nicht sein! Ihr wollt mich bloß Euren Wünschen gefügig machen. Freilich weiß ich, daß Ihr dabei nichts anderes im Auge haltet, als was Euch mein Glück zu sein bedünkt. All dies Entsetzliche berichtet Ihr mir nur, um mein Benehmen und Verhalten zu beeinflussen, um meine Bedenklichkeiten zu beseitigen.«

»Meine Tochter,« versetzte hierauf Laird Ellieslaw, in einem Tone, aus dem der Kampf zwischen gekränktem Stolz und väterlicher Liebe scharf herausklang, »du hegst Argwohn, daß ich auf falschen Bericht sänne, um auf dein Herz zu wirken! Auch das also muß ich noch hören! Sogar solche Unterstellung muß ich widerlegen! Du kennst die makellose Ehre unsers Vetters Mareschal, Isabel! Hier lies, was ich ihm schreibe, und urteile nach seiner Antwort, ob die Gefahr, von welcher ich sprach, über unsern Häuptern schwebt oder nicht, und ob ich alle Mittel, sie abzuwenden, versucht habe oder nicht!«

Er brachte hastig ein paar Zeilen zu Papier und reichte sie seiner Tochter, die erst nach wiederholten Anstrengungen imstande war, das Schreiben zu lesen und seinen Inhalt zu begreifen.

»Lieber Vetter,« hieß es darin, »wie ich erwartet habe, finde ich meine Tochter über Sir Langleys unzeitiges und voreiliges Drängen in Verzweiflung. Sie ist sogar nicht imstande, die Gefahr zu fassen, in welcher wir schweben, oder zu ermessen, bis zu welchem Grade wir uns in seiner Gewalt befinden. Ich bitte Euch inständig, gebraucht allen Einfluß, den Ihr über ihn habt, daß er sich bereit finden lasse zur Abänderung von Anträgen, zu deren Annahme ich mein Kind nicht drängen kann – aus Rücksicht nicht minder auf ihr persönliches Empfinden als auf die allgemeinen Rücksichten auf Anstand und Sitte.

Ihr verpflichtet hierdurch zu großem Danke

Euren Vetter R. V.«

Daß Miß Bere in dem Schreiben übersah, daß der Nachdruck ihrer Ablehnung mehr auf die Form und die Frist als auf ihre Abneigung gelegt wurde, ist bei der Aufregung, in der sie sich befand, und die sie im Vollbrauch ihrer Sinne in gewissem Maße beeinträchtigte, recht wohl erklärlich. Sir Vere klingelte, nach dem eintretenden Diener das Schreiben zur sofortigen Weitergabe an Herrn Mareschal und ging, die Antwort darauf erwartend, in großer Erregtheit mit weiten Schritten im Zimmer auf und ab. Es währte nicht lange, so kam die Antwort. Er überflog sie und säumte nicht, sie der Tochter zu geben.

»Lieber Vetter! Ich habe den Ritter in der von Euch mir aufgetragenen Sache bereits interpelliert, finde ihn aber so starr und unzugänglich wie die Cheviot-Berge. Es schmerzt mich lebhaft, daß meine schöne Base dermaßen gequält wird, auf das ihr zustehende Recht als Jungfrau zu verzichten. Aber Sir Frederik ist damit einverstanden, das Schloß gleich nach der Trauungsfeier zu verlassen, damit wir in keiner Weise behindert seien, unsre Anhänger zu sammeln und in den Kampf zu treten. Auf diese Weise ist wenigstens Hoffnung vorhanden, daß es dem Bräutigam früher, als er sich mit der Braut wiedersieht, an den Kragen geht und daß Isabel die beste Aussicht hat, auf höchst bequeme und billige Weise Lady Langley zu werden. Im übrigen beschränke ich mich auf den Hinweis, daß meine schöne Base, wenn sie die Verbindung überhaupt eingehen will, sich dazu mit Eile entschließen muß. Sonst wird uns allen zur Reue Muße genug oder vielleicht auch, je nachdem, in sehr bescheidenem Maße bleiben. Das sind die Mitteilungen, die ich Euch auf Eure diesbezügliche Anregung zu geben habe.

Euer Vetter R. M.

Nachschrift: Meiner Base dürft Ihr noch sagen, daß ich den Ritter lieber um einen Kopf kürzer mache, als sie dem Zwange ausgesetzt weiß, sich gegen ihren Willen zu verheiraten.«

Isabel drohte vom Stuhl zu sinken, als sie diesen Brief des Ritters Mareschal gelesen hatte. Ihr Vater stützte sie.

»Gott! Mein Kind wird sterben!« rief Sir Vere, hinter dessen väterlichem Empfinden politische Rücksicht auf einen Moment in den Hintergrund trat. »Sieh mich an, Isabel! Senke den Blick nicht so! Nein, nein! Du sollst, komme was wolle, das Opfer nicht sein! Soll ich fallen, so will ich mit dem Bewußtsein fallen, dich glücklich zu hinterlassen. Mein Kind mag weinend, nicht aber mit Grimm im Herzen an mein Grab treten!« Er trat auf die Schwelle und rief eine Dienerin. »Ich lasse Herrn Ratcliffe bitten, sich zu mir zu bemühen.«

Totenbleich, die Hände auf das Herz gepreßt, mit geschlossenen Augen und zusammengepreßten Lippen, stand Miß Vere da. Sie kämpfte einen schweren Kampf. Aber siegreich ging sie aus ihm hervor. Gehobenen Hauptes, den Atem haltend, sprach sie mit Festigkeit:

»Vater, ich willige ein!«

»Nein, Kind! Du sollst nicht! Ich nehme das Opfer nicht an! Ich will nicht Unglück über dich bringen, um Gefahr von mir zu wälzen,« rief Ellieslaw.

»Vater, ich willige ein,« wiederholte Isabel.

»Nicht doch, Kind! Zum wenigsten nicht jetzt!« wehrte Ellieslaw; »wir wollen uns demütigen, um Aufschub von ihm zu erhalten. Indessen, Isabel, wenn du den Widerwillen, der in Wirklichkeit auf schwachen Füßen steht, zu überwinden vermagst, dann bedenke nach der andern Seite den Glanz solcher Heirat – Reichtum, Rang, vornehme Kreise –«

»Vater, ich willige ein!« sprach Isabel zum dritten Male, scheinbar außer stande, anderes als diesen Satz zu sprechen.

»Des Himmels Segen über dich, meine Tochter!« rief Sir Vere, »er wird dich mit Reichtum, mit Freude und Macht überschütten!«

Mit schwacher Stimme bat Miß Vere, den Rest des Abends allein gelassen zu werden.

»Auch Sir Frederick soll nicht kommen?« fragte der Vater unruhig.

»Ich werde ihn sehen, wann und wo ich muß,« antwortete sie, »aber jetzt bitte ich um Rücksicht!«

»Sei es, mein Kind! Keinen Zwang, den ich dir sparen kann, sollst du von mir leiden. Urteile nicht hart über Sir Frederick! Seine Handlung wird diktiert von überheftiger Leidenschaft.

Isabel bewegte mit Ungeduld ihre Hand.

»Vergib mir, Kind – ich gehe – des Himmels Segen über dich! – falls du mich nicht früher rufst, werde ich um 11 Uhr hier sein und dich holen!«

Isabel sank in die Knie, als er das Gemach verlassen hatte.

»O Himmel, hilf mir, daß ich in dem gefaßten Entschlusse nicht wanke! Nur du, o Himmel, vermagst es! – Armer Earnscliff! wer wird ihm Trost bringen? Mit welcher Verachtung wird er meinen Namen sprechen, da ich erst heute ihn erhörte und noch in selbiger Nacht mit einem andern vor den Altar trete! Nun, mag er mich verachten! Tröstlich soll mir der Verlust seiner Achtung sein, wenn sein Gram hierdurch Linderung erfahrt!«

Bittere Tränen rannen über ihre Wangen. Immer und immer versuchte sie, sich im Gebete zu sammeln, war aber außer stande, ihr Gemüt zu andächtiger Ruhe zu stimmen.

Da tat sich langsam die Tür auf.

Fünfzehntes Kapitel

Sir Ratcliffe stand auf der Schwelle.

»Ihr ließet mich rufen, Sir Vere,« Hub er an. Dann eist sah er sich um, und bewegt setzte er hinzu:

»Miß Vere allein! und auf den Knien? in Tränen?«

»Verlaßt mich, Sir Ratcliffe!« sprach die unglückliche Dame. »Wohl ließ mein Vater Euch rufen. Aber Eure Gegenwart ist nicht mehr vonnöten,«

»Ich kann Euch jetzt nicht verlassen, Miß Vere,« versetzte Ratcliffe; »wiederholt suchte ich Zutritt bei Euch, um mich zu verabschieden, wurde aber hinweggewiesen, bis Euer Vater mich selbst rufen ließ. Zeiht mich nicht der Zudringlichkeit! wenn ich bitte, meine Gegenwart zu dulden, so geschieht es, weil es mir obliegt, eine Pflicht zu vollbringen.«

»Euch jetzt anzuhören, Sir Ratcliffe, bin ich ebenso außer stande, wie zu sprechen. Ich bitte, laßt mich allein!«

»Nur eins sagt mir, Miß Vere!« bat Sir Ratcliffe; »findet, die Euch verhaßte Heirat wirklich statt? und heute abend? Das Bedientenvolk sprach auf der Treppe davon, es hieß, die Kapelle sei zu heut abend herzurichten.«

»Schonet meiner!« sprach die unglückliche Braut, »und urteilt über die Grausamkeit Eurer Fragen nach dem Zustand, in welchem Ihr mich findet!«

»Ihr sollt Euch also noch heute abend mit Sir Langley vermählen? Das kann nicht sein, das darf nicht sein, soll nicht sein!«

»Es muß sein, Sir Ratcliffe! Denn sonst ist mein Vater zugrunde gerichtet!«

»Ha, ich verstehe!« erwiderte Ratcliffe; »um ihn zu retten, opfert Ihr Euch? Des Kindes Tugend soll des Vaters Fehltritte – sie herzuzählen gebricht es an Zeit – sühnen? Was kann geschehen? Die Zeit drängt. Ich sehe bloß ein Mittel, Miß Vere: Ihr müßt den Schutz des einzigen menschlichen Wesens anrufen, welches die Gewalt hat den Lauf der Ereignisse, die Euch fortzureißen drohen, zu hemmen!«

»Und welches Wesen besäße solche Gewalt?« fragte Miß Vere.

»Erschreckt nicht, wenn ich den Namen nenne, Miß Vere!« versetzte Ratcliffe, näher tretend, und fuhr in leiser, doch deutlicher Stimme fort, »der Mann ist es, den man Elshender, den Klausnerzwerg vom Mucklestane-Moor, nennt!«

»Ihr seid von Sinnen, Sir Ratcliffe; oder wollt Ihr meines Jammers durch unzeitigen Scherz spotten?«

»Miß Vere,« antwortete er mit strengem Anflug im Tone, »ich bin nicht minder von Sinnen als Ihr! Scherz zu treiben ist nicht Gewohnheit bei mir, am wenigsten dem Unglück gegenüber, am allerwenigsten aber, um Eurer zu spotten! ich versichre Euch, er, der ein ganz andrer Mensch zu sein scheint, als er ist, besitzt in der Tat ein Mittel, Euch von dieser verhaßten Verbindung zu erlösen.«

»Auch meines Vaters Sicherheit zu verbürgen?«

»Auch dieses,« antwortete Ratcliffe, »sofern Ihr seine Sache bei ihm vertretet! Wie aber könnt Ihr Zutritt zu dem Klausner bekommen?«

»Darum keine Besorgnis!« sagte Isabel, der jetzt der seltsame Vorfall mit der Rose einfiel; »der Klausner hat mir einst selbst den Wunsch ausgesprochen, ich solle, falls ich einmal in äußerste Not geriete, seine Hilfe suchen; zum Zeichen gab er mir diese Rose hier mit den Worten: solcher Hilfe würde ich bedürftig sein, bevor die Blume verwelkt sei. Aber sollten seine Worte wirklich aus anderer Quelle entsprungen sein als Wahnsinn?«

»Zweifelt nicht, Miß Vere, und fürchtet nicht!« sagte Sir Ratcliffe; »vor allem aber verlieret keine Zeit! Seid Ihr Herrin Eures Tuns und unbewacht?«

»Ich glaube,« antwortete Isabel – »was aber soll ich tun?«

»Verlaßt auf der Stelle das Schloß,« sagte Ratcliffe, »und eilt zu dem Manne, der auf Euer Schicksal, wenn er auch in äußerster Armut zu leben scheint, einen fast grenzenlosen Einfluß zu üben vermag. Noch sitzt alles beim Gelage oder ist in geheimer Beratung der verräterischen Plane begriffen, die gegen Recht und Staat hier geschmiedet werden – mein Pferd steht im Stalle bereit – eins für Euch will ich satteln und Euch am kleinen Gartentor erwarten. Laßt Euch durch keinerlei Zweifel an meiner Treue und ehrlichem Eifer bestimmen, den einzigen, in Eurem Bereich möglichen Schritt zu unterlassen, der Euch vor dem schlimmen Schicksale, Sir Frederick Langleys Gemahlin zu werden, bewahren kann.«

»Sir Ratcliffe,« erwiderte Miß Vere, »Ihr seid immer als Mann von Rechtlichkeit und Ehre gehalten worden, und der Ertrinkende klammert sich ja an einen Halm: ich will Euch also vertrauen und Eurem Rate folgen. Erwartet mich, bitte, am Gartentor!«

Sie riegelte, sobald Sir Ratcliffe das Zimmer verlassen hatte, die Tür ab, warf sich rasch Hut und Mantel über, bekämpfte Gedanken, die ihr kamen, die schnell gegebene Einwilligung zurückzunehmen, und eilte in den Garten. Dort standen Pferde bereit, Sir Ratcliffe war in voller Bereitschaft zur Stelle, und nach wenigen Augenblicken waren sie unterwegs nach der Hütte des Einsiedlers. So lange ihr Ritt über günstiges Terrain ging, wehrte ihnen das schnelle Tempo alle Unterhaltung. Als aber ein steiler Abhang dasselbe zu mäßigen zwang, gab Miß Vere der Besorgnis, die sie von neuem befiel, durch die folgenden Worte Ausdruck:

»Sir Ratcliffe,« sprach sie, den Zügel ihres Pferdes anziehend, »reiten wir nicht weiter! Läßt sich doch solcher Schritt von meiner Seite nur durch hochgradige seelische Erregung rechtfertigen! Es ist mir freilich bekannt, daß dieser Klausner beim großen Volk als Wesen gilt, ausgestattet mit übernatürlicher Kraft und im Verkehr befindlich mit der andern Welt; ich möchte aber über mich die Meinung nicht aufkommen lassen, daß mich dergleichen Gerede irre führen oder irgendwie bestimmen könne, im Unglück bei solchem Wesen um Hilfe anzuklopfen.«

»Mein Charakter und meine Denkweise, Miß Vere, sollten doch wohl bekannt genug sein,« versetzte Ratcliffe, »mich gegen jede Vormeinung zu sichern, als hätte mir je daran liegen können, den Glauben an solches Gerede, wie Sie es nennen, irgendwie zu fördern.«

»Wie aber soll ich mir anders die Kraft erküren, die solch elendem Wesen innewohnen soll, mir Beistand und Hilfe zu leisten?«

»Miß Vere,« erklärte nach kurzer Pause Sir Ratcliffe, »mich bindet ein feierlicher Eid zur Geheimhaltung; Ihr müßt Euch also an meinem Wort und meiner Versicherung genügen lassen, daß dem Klausner solche Kraft innewohnt, und daß er sie ausüben wird, sofern Ihr den Willen bei ihm zu erwecken vermögt! Daß dies der Fall sein wird, darein setze ich keinen Zweifel.«

»Allein des Mannes wunderliche Lebensweise, seine Absonderung, seine Gestalt, sein tiefeingewurzelter Menschenhaß, der in jedem Wort seiner Rede zum Ausdruck kommen soll, –wie soll ich mir das alles deuten, Sir Ratcliffe? und was soll ich von ihm denken, wenn er tatsächlich die Gewalt besitzt, die Ihr ihm zumeßt?«

»Im katholischen Glauben erzogen, hat ihn Abscheu vor der Welt bewogen, aus ihr zu fliehen,« berichtete Ratcliffe. »Soweit darf ich in meiner Mitteilung gehen. Der Mann war Erbe eines bedeutenden Vermögens, dessen Mehrung die Eltern durch seine Vermählung mit einer weiblichen Verwandten, die zu diesem Zweck bei ihnen erzogen wurde, im Auge hatten. Ihr habt seine Gestalt gesehen und werdet Euch über die Empfindungen, welche das Mädchen erfüllen mußten, nicht im unklaren sein; ihre Verwandten aber meinten, die Stärke seiner Zuneigung und seine umfassende Geistesbildung würden, im Verein mit seinen vielen liebenswürdigen Eigenschaften, über seine Mißgestalt bei ihr den Sieg davontragen. Er aber war sich dieser Mißgestalt nur zu scharf bewußt. Zu mir besaß er Vertrauen und besitzt Vertrauen und zu mir sprach er hierüber: All dessen ungeachtet, was Ihr mir sagen mögt, bin und bleibe ich ein armer, elender Krüppel, ein von der Natur verfehmter Wurm, dem es besser wäre, man hätte ihn in der Wiege erstickt, statt ihn aufzuziehen zu einer Vogelscheuche für die Menschheit!«

»Ihr wiederholt, was ein Wahnsinniger gesprochen!« sagte Miß Vere.

»Nein,« antwortete Ratcliffe; »es sei denn, daß man, krankhafte Empfindlichkeit für Wahnsinn gelten läßt. Freilich will ich nicht in Abrede stellen, daß sich seine Phantasie durch Überreizung seiner Vorstellungen bis auf eine krankhafte Höhe gesteigert hat. Was ihm die Natur verfügt hat, hat er nun, wie es scheint, durch übertriebene Freigebigkeit gegen seine Mitmenschen wettmachen wollen. Die Täuschungen, die er hierbei erlitt, durch Mißbrauch und Undank, wie es mehr oder weniger wohl allen ergeht, die keinen gerechten Maßstab an Wohltaten zu legen wissen, sind die erste Nährquelle seines Menschenhasses geworden, und nach und nach ist er zum ausgeklügeltsten Selbstquäler geworden, den die Erde jemals getragen haben mag, erfüllt von Mißtrauen gegen seine ganze Umgebung, gegen alles Wasser sah und hörte. Zuletzt schien er bloß zwei Personen noch der Treue und Aufrichtigkeit für fähig zu halten: die ihm verlobte Braut und einen an äußeren Gaben überreichen Freund, der ihm ernstlich zugetan schien. Ursache dazu hätte er reichlich gehabt, denn er wurde mit Wohltaten geradezu überschüttet von dem unglücklichen Menschenhasser, den Ihr jetzt zu besuchen denkt. Es traf sich, daß ihm kurz nacheinander die Eltern starben. Die Hochzeit, für die der Tag schon bestimmt war, erlitt infolgedessen Aufschub, was die Dame nicht sehr zu beklagen schien. Indessen wurde nach Ablauf des Trauerjahrs ein neuer Tag für die Hochzeit festgesetzt. Da kam es, daß der, Krüppel mit dem Freunde, der mit in seinem Schlosse wohnte, in einen Klub traten, dessen Mitglieder sich aus den verschiedensten Parteien rekrutierten. Der Freund geriet eines Abends mit einem stärkeren Mitglieds in Streit, wurde in dem Duell geworfen und entwaffnet. Der Krüppel griff nach einem Schwert, durchbohrte den Feind des Freundes, wurde in Haft genommen und vor Gericht gestellt, über die Kerkerstrafe tröstete er sich hinweg mit der Hoffnung, reichlich Dank zu ernten von Braut und Freund, wenn ihm die Freiheit wieder winken würde. Er wurde schwer getäuscht; denn bevor die Haft zu Ende ging, war aus Braut und Freund ein Paar geworden.«

»Der Arme!« rief Miß Vere.

»Die Wirkung dieses furchtbaren Schlages auf sein heißes Temperament kann ich Euch nicht beschreiben. Seine Verbitterung wuchs ins Maßlose. Es schien, als ob das letzte Tau, an welchem ein Schiff hängt, jäh risse: aller Wut des wilden Sturmes fiel er anheim. Man brachte ihn unter ärztliche Aufsicht. Sein Freunde durch das ihm in den Schoß gefallene Glück verhärtet, durch die geschlossene Ehe in nahen Verwandtschaftsgrad zu ihm getreten, tat nicht bloß nichts, ihn aus dem Irrengefängnis zu befreien, sondern schürte, um den Genuß aus den ungeheuren Einkünften länger allein für sich zu haben, die Meinung, daß der Krüppel tatsächlich verrückt sei. Nur ein Mensch war noch da, der dem Krüppel alles verdankte und ihm in Dankbarkeit und Liebe zugetan war. Ihm gelang es, durch unaufhörliche Agitation dem Krüppel die Freiheit und den Wiederbesitz seiner Güter und seines Vermögens zu erringen. Das Gleichgewicht seiner Seele ließ sich indessen nicht wiederherstellen. Abwechselnd lebte er jetzt als Einsiedler oder als Pilger, von Abscheu erfüllt gegen alles, was Mensch heißt.«

»Alles, was Sie mir von dem Manne erzählen, Sir Ratcliffe,« bemerkte Miß Vere, »rechtfertigt noch immer nicht in meinen Augen die Kühnheit, ihm zu solch später Stunde in seiner Steinhütte einen Besuch zu machen.«

»Ich darf Euch,« antwortete Ratcliffe, »wiederholt auf das feierlichste versichern, daß Ihr nicht die geringste Gefahr, weder an Leib noch an Seele, lauft. Was ich Euch aber bisher nicht sagen mochte, aus Furcht, Euch zu schrecken, darf ich Euch jetzt, da wir seinen Zufluchtsort sehen können, nicht länger verbergen: Ihr müßt jetzt allein vorwärts gehen!«

»Allein? Das getraue ich mir nicht!«

»Es muß sein,« fuhr Ratcliffe fort; »ich will hier bleiben und auf Euch warten.«

»Nicht weiter gehen wollt Ihr mit mir?« fragte Miß Vere; »aber die Entfernung ist doch noch so groß, daß Ihr mich nicht hören könnt, wenn ich um Hilfe rufen sollte.«

»Seid ohne Furcht,« sagte ihr Führer; »aber achtet, jeden Ausdruck von Furchtsamkeit zu vermeiden! Bedenkt, daß sein Übermaß von Scheu und Willigkeit aus dem Bewußtsein seiner Häßlichkeit entspringt. Ein Pfad führt in gerader Linie dort an der halbgestürzten Weide vorbei. Haltet Euch links von ihr! rechts liegt der Sumpf. Lebt jetzt wohl auf einige Zeit und seid des Unglücks eingedenk, das Euch droht und das, sollte ich meinen, Eure Furcht und Eure Bedenken beseitigen muß.«

»Sir Ratcliffe! Adieu!« sprach Isabel; »und solltet Ihr eine so unglückliche Dame wie mich getäuscht haben, dann wird mein

Glauben an Rechtlichkeit und Ehrenhaftigkeit auf immer dahin sein.«

»Bei meinem Leben und meiner Seele,« rief ihr mit lauter Stimme Ratcliffe nach, »Ihr seid in Sicherheit!«

Sechzehntes Kapitel

Der Schall seiner Stimme erreichte ihr Ohr nicht mehr. Um so ermutigender war es für sie, wenn sie sich umsah, im Dämmerlicht seine Gestalt zu erblicken. Bald aber geriet dieselbe im Bereich der sich tiefer senkenden abendlichen Schatten aus ihrer Sehweite.

Im letzten Schimmer des Dämmerlichts erreichte sie die Hütte des Klausners. Zweimal griff sie nach der Tür, und zweimal ließ sie die Hand sinken; und als sie endlich klopfte, kam der Laut dem der Schläge im eignen Busen nicht gleich. Indessen wiederholte sie das Klopfen und jedesmal lauter, denn die Furcht, des Beistands, von welchem Ratcliffe so viel erhofft hatte, nicht teilhaftig zu werden, begann die Bange vor der Gegenwart des Mannes, der ihr denselben leisten sollte, zu beseitigen. Als sie noch immer ohne Antwort blieb, rief sie den Klausner wiederholt bei dem von ihm angenommenen Namen und bat ihn zu antworten und das Tor seiner Hütte zu öffnen.

»Welches Wesen in Not,« fragte da die unheimliche Stimme des Einsiedlers,. »bettelt hier um Zuflucht und Unterstand? Weiche von hinnen! Das Auerhuhn, das Unterschlupf braucht, sucht ihn nicht im Rabennest!«

»Vater, ich komme zu Euch in meiner Stunde des Unglücks,« sprach Isabel, »wie Ihr mir selber befählet. Allein ich fürchte? –«

»Ha!« rief der Einsiedler, »dann bist du Isabel Vere? Gib mir ein Zeichen, daß du es bist!«

»Zum Zeichen bring ich die Rose zurück, die Ihr mir gabt. Wie Ihr mir kündetet: es ist ihr nicht Zeit geblieben zum Welken, so ist auch das harte Geschick, das Ihr voraussähet, über mich gekommen,« »Und da du dein Wort so gelöst Haft,« rief der Zwerg, »will ich das meinige nicht verwirken! Herz und Tor, sonst jedem Menschwesen verschlossen, soll dir und deinem Kummer geöffnet sein.«

Sie hörte ihn in seiner Hütte hantieren: er schlug Feuer an und schob einen Riegel zurück. Isabel klopfte das Herz hörbar. Dann tat sich das Tor auf,, und der Klausner stand vor ihr, in der Hand eine eiserne Lampe, die die seltsame Gestalt mit den abstoßenden Zügen erhellte.

»Tritt herein, Tochter der Trübsal!« lautete seine Rede; »tritt herein in die Stätte der Trübsal!«

Isabel trat ein, vorsichtig und behutsam, von Angst beschlichen, als sie wahrnahm, daß der Klausner, sobald er die Lampe aus der Hand gesetzt hatte, das Tor seiner Hütte wieder durch Riegel sicherte. Aber sie blieb der Warnung Ratcliffes eingedenk und mühte sich, jeden Schein von Furcht zu unterdrücken. Die Lampe warf ein mattes, unsicheres Licht; der Klausner, seine Aufmerksamkeit gegen Isabel auf die Aufforderung, sich auf einen Schemel am Kamin zu setzen, beschränkend, steckte trocknen Stechginster in Brand, dessen Flackerlicht sogleich hellen Schein durch die Hütte warf. Neben dem Kamin stand ein hölzernes Gesims mit einigen Büchern und Bündeln getrockneter Kräuter, auch ein paar Trinkgeschirren und Tellern und Schüsseln; auf der andern Seite stand einiges Ackergerät und Werkzeug. Statt eines Bettes stand ein mit verwittertem Moos und trocknen Binsen bestreuter Holzrahmen an der einen Wand. Der gesamte Raum der Hütte innerhalb der Mauern maß bloß zehn Fuß in der Länge und sechs Fuß in der Breite, Das einzige Mobiliar der Hütte bestand in einem Tisch und zwei Stühlen aus groben Brettern.

Innerhalb dieses engen Raumes befand sich jetzt Isabel einem Wesen gegenüber, das nach dem, was sie von ihm wußte, nicht dazu angetan war, sie zu beruhigen, dessen unheimliche Gestalt mit dem abschreckenden Gesicht ihr einen fast abergläubischen Schreck bereitete. Er setzte sich ihr gegenüber, ließ die großen, langen und dichten Brauen über die scharfen schwarzen Augen fallen und blickte sie, wie durch eine Kette von widerstreitenden Empfindungen bewegt, lange Zeit hindurch an. Bleich wie der Tod saß Isabel auf der andern Seite der rohgezimmerten. Tischplatte; ihr durch den feuchten Nebel in Strähnen gezogenes Haar fiel ihr über Brust und Schulter, gleich nassen Wimpeln, die nach dem Sturme am Maste klatschen.

Der Zwerg brach zuerst das Schweigen durch die jähe, abgerissene, einschüchternde Frage:

»Weib! welch' böses Geschick lenkte deine Schritte hierher?«

Mit fester Stimme gab sie die Antwort:

»Meines Vaters Fährlichkeit und Euer Befehl!«

»Und Ihr erhofft von mir oder durch mich Hilfe?« fragte der Zwerg mit der gleichen Stimme.

»Sofern Ihr mir Hilfe zu leisten vermögt, ja,« lautete, abermals fest und bestimmt, des Mädchens Antwort.

»Und wie sollte ich die Kraft hierzu besitzen?« fragte der Zwerg weiter mit bitterm Hohne. »Ist meine Gestalt denn die eines dem Recht zum Recht, dem Unrecht zu unrecht helfenden Ritters? Ist denn meine Hütte ein Schloß, in welchem ein Mächtiger thront, imstande, einem bittenden Weib, das sich ihm naht, Hilfe zu leisten? Mädchen! als ich sagte, ich würde dir helfen, da habe ich – deiner gespottet.«

»Dann muß ich die Füße von hinnen heben und meinem Schicksal, soweit ich vermag, trotzen.«

»Nein,« sprach hierauf der Zwerg, zwischen Mädchen und Tür tretend und mit finstrer Gebärde sie auf ihren Sitz zurückdrängend, »nein! mit solchen Worten sollt Ihr nicht von mir gehen! laßt uns weiter zusammen sprechen! Weshalb sollte ein Wesen eines andern Wesens Hilfe heischen? warum sollte nicht jeder sich selber genug sein? Blick um dich! ich bin verachtet von allen und habe von niemand Mitleid oder Hilfe begehrt. Mit eignen Händen habe ich diese Steine aufeinander geschichtet, mit eigner Hand dies Gerät geformt, und mit dem da« – er legte mit trotzigem Blick die Hand auf den langen Dolch, den er stets unter dem Kleide trug und jetzt so weit aus der Scheide zog, daß die Klinge im Flackerlichte des Ginsterfeuers glitzerte – »mit dem da kann ich, wenn Not am Manne ist, das Lebenslicht in solch armseligem Rumpfe wie dem meinigen gegen den schönsten und stärksten Mann verteidigen, der mir mit Gewalt droht!« Nur mit höchster Anstrengung hielt Isabel einen Angstruf zurück; indes gelang es ihr noch, ihrer Furcht Herrin zu werden.... »So ist das Leben in der Natur!« fuhr der Klausner fort, »sich selbst genügend, auf sich selbst gewiesen, von niemand abhängig. Der Wolf ruft, seine Höhle zu bauen, nicht seinesgleichen zum Beistand, und der Geier, will er auf Beute niederfahren, nicht seinesgleichen zur Mitfahrt.«

»Und wenn sie sich selber nicht ausreichen und sich Hilfe nicht schaffen können?« fragte Isabel, scharfsinnig erwägend, daß er am ehesten Gründen zugänglich sein werde, die ihm in seinem bilderreichen Stil vorgeführt würden – »welcher Art ist dann ihr Schicksal?«

»Laßt sie sterben gehn, wenn sie hungrig sind – und in Vergessenheit fallen, wenn sie tot sind!«

»Das Los der wilden Naturgeschlechter,« sagte Isabel, »und vornehmlich solcher, die vom Raube zu leben bestimmt wurden, der einen Teilnehmer nicht verträgt; aber nicht allgemeines Naturgesetz! denn selbst niedere Tiere schließen Bündnis zu wechselseitiger Wehr. Das Menschengeschlecht aber würde dem Untergange geweiht sein, wollte der eine Mensch dem andern den Beistand versagen. Von dem ersten Augenblicke an, da die Mutter dem neugeborenen Kinde den Nabel abbindet, bis hin zu jenem andern Augenblicke, da ein lieber Freund dem Sterbenden den Todesschweiß von der Stirn wischt, können wir ohne wechselseitige Hilfe nicht leben. Und deshalb besitzen alle, die der Hilfe bedürfen, ein Recht darauf, Hilfe zu heischen, und kein Nebenmensch, der die Macht hat, Hilfe zu leisten, darf, ohne sich schuldig zu machen, erbetene Hilfe weigern.«

»Und mit solch einfältiger Hoffnung, Mädchen,« fragte der Einsiedler, »bist du, mich aufzusuchen, in diese Ödenei gekommen? mich? einen Krüppel von Menschen, der keinen andern Wunsch mehr kennt, als daß alle Verbindung zwischen Mensch und Mensch aufhören, daß das ganze Geschlecht umkommen möge im wahren Sinne des Wortes? Hast du dich nicht gefürchtet, den Fuß hierher zu setzen?«

»Das Elend ist der Mörder der Furcht,« versetzte fest und bestimmt das Mädchen.

»Hast du in deiner sterblichen Welt nie davon gehört, daß ich im Bunde sei mit andern Mächten? dem Menschengeschlecht so feindlich gesinnt wie ich? Kam solche Rede nie zu deinen Ohren? Und du suchst meine Zelle auf zu mitternächtlicher Stunde?«

»Das Wesen, das ich verehre und anbete, schützt und hütet mich vor eitler Furcht!« sprach Isabel. Aber das Wallen ihres Busens strafte den erzwungenen Mut, von dem ihre Lippen sprachen, schmählich Lügen.

»Haha!« lachte der Zwerg, »du prahlst mit Philosophie? Hast du denn aber die Gefahr nicht bedacht, daß du dich, jung und schön, der Gewalt eines Wesens anvertrauest, das die Menschheit so tief, so unsäglich tief haßt, daß es sein einziges Vergnügen findet in Entstellung und Entweihung ihrer schönsten Werke?«

Isabel, wenngleich erschrocken, gab mit der Festigkeit früherer Einrede zur Antwort:

»Welch Unrecht Ihr auch in der Welt erlitten haben mögt, so könnt Ihr es doch nicht rächen wollen an mir, denn ich habe weder Euch noch andern jemals mit Absicht ein Unrecht angetan.«

»Mädchen,« sagte hierauf der Zwerg, und aus seinen Augen leuchtete helle Bosheit, die sich auf seine wilden, häßlichen Züge übertrug, »Rache ist die hungrige Wölfin, die nur darauf sinnt, Fleisch zu zerreißen und Blut zu lecken. Meinst du, die Wölfin kehre sich dran, wenn das Lamm sich auf seine Unschuld beruft?«

»Mann!« rief Isabel, aufstehend, mit edler Würde, »mich schrecken die grausen Bilder nicht, die Ihr mir entrollt, um Eindruck bei mir zu wecken; ich weise sie zurück voll Verachtung. Wenn Ihr sterblich seid so wenig, wie wenn Ihr ein böser Geist seid, würdet Ihr je einem unglücklichen Weibe schaden, das als Bittende Euch naht in seiner äußersten Not? Das werdet Ihr nicht, und das wagt Ihr Euch nicht!«

»Du redest die Wahrheit, Weib!« antwortete der Klausner, »das wage ich nicht! und das tue ich nicht! Kehr um und heim! fürchte nicht, womit man dir droht! Du hast Schutz bei mir gesucht – und Schutz soll dir werden durch mich!« »Aber, Vater! ich habe drein gewilligt, noch heute nacht dem Manne mich zu vermählen, den ich verabscheue – wofern nicht mein Vater zugrunde gehen soll.«

»Noch heute nacht? zu welcher Stunde?«

»Vor Mitternacht.«

»Zwielicht ist schon vorüber,« sprach der Zwerg; »indessen sei unbesorgt! die Zeit genügt zu deinem Schutze.«

»Und mein Vater?« fragte in bittendem Tone Isabel.

»Dein Vater,« antwortete der Zwerg, »war mein bitterster Feind und ist es noch heut. Aber sei unbesorgt! Deine Tugend soll ihn retten. Nun aber geh! wollte ich dich länger bei mir behalten, so könnte ich zurückfallen in die törichten Träume von Menschengüte und Menschenhochsinn, aus denen ich ehedem so schrecklich gerissen wurde. Du aber fürchte nichts! und stündest du am Altare, so würde ich dich von ihm reißen! Leb wohl, Mädchen! die Zeit drängt, und ich muß handeln.«

Er führte sie zum Tor seiner Hütte und öffnete es, sie herauszulassen. Sie bestieg ihr Roß, das innerhalb des Zaunes geweidet hatte, und trieb es im matten Schein des aufsteigenden Mondes an den Platz, wo Ratcliffe noch weilte.

»Habt Ihr Erfolg gehabt?« war seine erste hastige Frage.

»Versprechungen erhielt ich von dem Manne, zu dem Ihr mich sandtet. Wie aber wird und kann er sie erfüllen?«

»Gedankt sei Gott!« rief Ratcliffe; »und nun zweifelt nicht an seiner Fähigkeit zu erfüllen, was er versprochen.«

Da ertönte ein schriller Pfiff über die Heide.

»Er ruft mich – horch!« rief Ratcliffe – »Miß Vere! reitet nach Haus zurück! laßt die Hinterpforte zum Garten offen! zu der Tür, die zur Hintertreppe führt, habe ich den Schlüssel.«

Ein zweiter Pfiff, noch schriller als der erste!

»Ich komme – ich komme!« sprach Ratcliffe, gab seinem Roß die Sporen und ritt über die Heide in der Richtung, wo des Klausners Hütte lag.

Miß Vere schlug den Rückweg nach dem Schlosse ein. Die Angst, die ihr das Herz schnürte, und das Feuer ihres Rosses gaben ihrem Ritte Flügel.

Sie gehorchte, ohne Ahnung von ihrem Zweck, Ratcliffes Weisungen, ließ ihr Pferd auf einem eingehegten Platz im Garten äsen und eilte in ihr Gemach hinauf, das sie unbemerkt erreichte. Nun klingelte sie und befahl Kerzen zu bringen. Zugleich mit dem Diener, der ihren Befehl ausführte, erschien ihr Vater.

»Zweimal während der verwichnen zwei Stunden,« sagte er, »habe ich an deiner Tür gehorcht, Tochter. Da ich nichts vernahm, besorgte ich, Du seiest krank.«

»Erlaubt mir, Vater, mich auf das Versprechen zu berufen, das Ihr mir gabt,« erwiderte Miß Vere; »laßt mir die letzten freien Augenblicke zu unbehelligtem Genusse! laßt mir die gewährte Frist bis zum letzten Augenblicke!«

»Es sei,« antwortete der Vater; »du sollst nicht gestört werden. Aber diese geringe Kleidung, dies wirre Haar – wenn ich dich rufe, Kind, so darfst du in solchem Zustande nicht kommen. Freiwillig muß das Opfer gebracht werden, soll es heilsam sein.«

»Wohlan, Vater! muß es so sein, dann seid ohne Sorge! Das Opfer wird sich schmücken!«

Siebzehntes Kapitel

Die Kapelle im Schlosse Ellieslaw, in welcher die unselige Vermählung zur Vollziehung gelangen sollte, war ein Bauwerk von noch höherem Alter als das Schloß selbst, das doch bereits in die grauen Jahrhunderte schottischer Kultur hinaufreichte. Vor Ausbruch der fortdauernden, langwierigen Grenzkriege zwischen den in England seit Hengist und Horsa sässigen Angelsachsen und den in Schottland ursässigen Kelten, in deren Folge alle Grenzhäuser zu Vesten sich wandelten, hatten in Ellieslaw Mönche, zur reichen Abtei von Jedburgh gehörig, ihre Niederlassung gehabt; durch die Wandlungen, die der ewige Grenzkrieg mit sich brachte, war aber das Kloster verwüstet und an Stelle desselben ein Feudalschloß aufgeführt worden; bloß die Kapelle war erhalten und als Zubehör des Schlosses von einem Mauerringe umschlossen worden. Der Bau der Kapelle zeigte in seiner Ureinfachheit, in den massigen Pfeilern und Schwibbogen den angelsächsischen Baustil in seiner ersten Periode. Eine düstere Stätte, um so düsterer, als sie, gleichwie vordem von den Mönchen, auch später von den Schloßherren als Begräbnisstätte benützt wurde. Zurzeit wurde die Düsternis der Kapelle durch den Kontrast von Fackelschein zu verstärktem Ausdruck gebracht. Zum Vollzug der kirchlichen Feier war die Kapelle mit Hast geschmückt worden. Alte Gobelins, Szenen aus der düstern Ahnengeschichte der Lairds von Ellieslaw vorstellend, waren aus den Schloßgemächern entfernt und hier aufgehängt worden bald neben, bald über und unter den Wappenschildern und Emblemen der in ihren Särgen in der Kapellengruft schlummernden Toten. Zu beiden Seiten des steinernen Altars standen Denkmäler, in sonderbarem Gegensatze zueinander gehalten. Auf dem einen erhob sich die Gestalt eines finstern Mönchs oder Klausners, mit Kapuze und Skapulier, das Antlitz im Gebet aufwärts gewandt, und die Hände, von denen Rosenkränze niederhingen, über die Brust gefaltet. Ihm gegenüber stand ein Grabmal im italienischen Stile, ein schönes Werk der Plastik und ein Muster der neueren Kunst, zum Andenken errichtet an Isabels Mutter, die verstorbne Frau Vere von Ellieslaw, die durch dasselbe mit dem Tode ringend dargestellt wurde, während ein weinender Cherub mit abgewendeten Augen eine schwach brennende Lampe, als sinnbildliche Darstellung ihres schnellen Hintritts in das ewige Leben, verlöschte.

Das ganze Bild, das die Kapelle bot, wurde durch ein paar qualmige Fackeln erhellt, die den Raum in ihrem Bereich mit hellem, gelbem Schein erfüllten, um dessen äußeren Ring sich ein Rand von tiefpurpurner Färbung schloß. Jenseits davon zog sich, die Weite der Kapelle, da dem Auge die Grenzen nicht erreichbar waren, scheinbar vergrößernd, rings tiefe Finsternis.

Vor den beiden Standbildern hatten sich die Hochzeitsgäste versammelt, der Zahl nach wenig, denn viele hatten das Schloß verlassen, um Zurüstungen zu der geplanten Erhebung zu treffen; anderseits war bei den obwaltenden Umständen die Kürze der Frist ein unbedingtes Hindernis gegen die Ladung all jener nahen Verwandtschaft, deren Anwesenheit sonst, der Sitte von Land und Geschlecht gemäß, ein ebenso unbedingtes Gebot gewesen wäre.

Dem Altar zunächst stand Sir Frederick Langley, finstrer, mürrischer, tiefer in Gedanken versunken als sonst. Neben ihm stand Mareschal, in der Rolle eines Brautführers, dessen unbeirrte Lebensfreudigkeit und kräftige Zuversicht die über der Stirn des Bräutigams lagernde Wolke noch verdüsterten.

»Die Braut hat ihr Gemach noch nicht verlassen,« flüsterte er dem Bräutigam zu, »hoffentlich brauchen wir nicht zu den gewaltsamen Mitteln der Römer greifen, dem Weibermangel abzuhelfen, von denen man in der Schule liest. Für meine hübsche Base wäre es eine harte Sache, wenn mit ihr zweimal in zwei Tagen durchgegangen werden müßte, wenn ich auch sonst kaum ein Weib kenne, das würdiger solch gewaltsamer Werbung wäre als sie!«

Sir Frederick bemühte sich, sein Ohr solchen Worten zu verschließen dadurch, daß er hinwegsah und eine Melodie summte. Aber Mareschal setzte seine Nadelstiche fort.

»Dem Pfaffen fällt es scheinbar auch recht sauer, sich von seiner dritten Flasche zu trennen. Wie kann man auch einem solchen Epikuräer zumuten, jemand zu kopulieren, wenn er beim Pokulieren sitzt?! Ihr werdet ihn doch wenigstens vor einem Rüffel seiner Obern schützen, Sir Frederick? denn meines Wissens ist er zu solcher Zeit und Stunde nicht mehr verpflichtet, seines geistlichen Amtes zu walten. Doch da kommt ja der Laird mit meinem hübschen Bäschen – schöner als sonst, meine ich, wenn auch recht schwach und totenbleich – das laßt Euch gesagt sein, Herr Ritter: erklingt ihr Ja nicht froh und ungezwungen, dann wird nichts aus der Hochzeit, ganz gleichgültig was bisher vorgegangen!«

»Nichts aus der Hochzeit, Herr?« zischelte Sir Frederick, aber so grimmig, daß dem andern kein Zweifel blieb, wie schwer es dem Bräutigam wurde, seinen Zorn zu meistern.

»Nein – nichts aus der Hochzeit und nichts aus dem Brautbett!« versetzte, zischelnd, gleich ihm, Sir Mareschal – »hierauf verpfände ich Hand und Handschuh!«

Sir Frederick faßte die Hand und zischelte leiser, doch um so grimmiger: »Dafür sollt Ihr mir Rede stehen, Mareschal!«

»Gern und willig,« versetzte der andre; »niemals nahm ein Wort den Weg über meine Lippen, für das meine Hand nicht einstand! Drum sprecht, meine hübsche Base,« rief er mit lauter Stimme, »ist es Euer freier Wille und unbefangener Entschluß, diesen tapfern Ritter als Herrn und Gemahl zu nehmen? Denn hegt Ihr hierüber auch nur die geringste Bedenklichkeit, dann tretet zurück! ohne Zaudern! dann hat er nicht Anspruch auf Euch und soll Euch als Weib nicht besitzen!«

»Seid Ihr von Sinnen, Mareschal?« rief Ellieslaw, der als einstiger Vormund des jungen Ritters sich noch oft ein überlegenes Wort gegen ihn herausnahm – »meint Ihr, ich möchte mein Kind vor den Altar schleppen, sofern sie den Weg nicht freiwillig machte?«

»Still, Ellieslaw,« versetzte der junge Ritter; »redet mir nicht vom Gegenteil! Meiner Base Augen sind mit Tränen gefüllt und die Farbe ihrer Wangen weißer denn ihr weißes Kleid. Ich muß darauf bestehen um der schlichtesten Rücksicht auf Menschlichkeit willen, daß die Feier um einen Tag verschoben werde.«

»Sie wird es dir selber sagen, unverbesserlicher Grünschnabel,« rief der Laird, dessen Zorn jetzt überschäumte, »was sie will und was sie nicht will. Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen! Meine Tochter wird dir selber sagen, daß es ihr Wunsch ist, daß die Feier in Vollzug trete. Sprich, Isabel, ist dies dein Wille?«

»Ja! es ist mein Wille,« antwortete sie halb ohnmächtig – »da sich Hilfe ja doch nicht, weder von Gott noch von Menschen, erhoffen läßt.«

Bloß die erste Hälfte dieses Satzes war hörbar. Achselzuckend trat Mareschal zurück. Ellieslaw reichte der Tochter den Arm zum Weg zu den Stufen des Altars; Sir Frederick trat vor und ihr zur Seite; der Geistliche schlug sein Gebetbuch auf und blickte auf Sir Vere, um von dessen Lippen das Zeichen zum Beginn der Handlung zu hören.

»So fanget an!« sprach dieser feierlich.

Aber eine Stimme, dem Schein nach dem Grabe seiner verstorbnen Gemahlin entsteigend, mit schrillem Klange und widerhallend aus jedem Winkel der gewölbten Kapelle, rief:

»Haltet inne!«

Alles stand stumm und regungslos. Da ließ sich von den entfernter liegenden Gemächern herüber Geräusch vernehmen wie Degengeklirr, das aber fast ebenso schnell wieder verstummte.

»Was geht da von neuem vor?« rief trotzigen Tones Sir Frederick, indem er den Laird und Mareschal mit Blicken voll Bosheit und Argwohn maß.

»Das kann nur Scherz von Trunkenbolden sein!« antwortete, obgleich er selber weit über den Durst getrunken hatte, der Laird; »bei solchem Übermaß von Tafelfreuden, wie sie der heutige Abend mit sich gebracht hat, müssen wir Nachsicht walten lassen ... Vollzieht die feierliche Handlung!« wandte er sich nun an den Pfarrer.

Aber ehe der Geistliche gehorchen konnte, dröhnte vom gleichen Orte herüber das gleiche Verbot: »Haltet inne!« Die weiblichen Gäste flohen kreischend aus der Kapelle. Die Männer legten die Hand an den Degen. Noch ehe der Schrecken sich gelegt hatte, trat hinter dem Grabdenkmal hervor der Klausnerzwerg und stellte sich vor Sir Vere. Solch seltsame, grausige Erscheinung unter solchen Umständen an solchem Orte übte auf alle Anwesenden ein furchtbares Entsetzen, den Gutsherrn von Ellieslaw aber schien sie zu vernichten: er ließ seinem Kinde den Arm frei und wankte zum nächsten Pfeiler hinüber, den er als Halt und Stütze mit den Armen umschlang, an dessen Steine er die Stirn legte.

»Was ist das für eine Scheuche?« rief wild Sir Frederick – »und was hat seine zudringliche Gegenwart hier zu sagen?«

»Jemand ist es, der dir zu sagen kommt,« versetzte der Zwerg mit aller ihm eigentümlichen Herbigkeit, »daß du, falls du dich dieser Dame hier vermählst, dich weder vermählst mit der Erbin von Ellieslaw, noch mit der Erbin von Mauleyhall und Polverton, noch daß du durch solche Heirat eine Furche Landes gewinnen wirst, sofern die Vermählung nicht stattfindet mit meiner Einwilligung: und meine Einwilligung wirst du nimmer erhalten, unter keinen Umständen erhalten, gleichviel wie sich dieselben auch jemals fügen sollten! Nieder auf die Kniee! Und sei dem Himmel dankbar dafür, daß du verhindert wurdest, dich einem Wesen zu vermählen, mit dessen edlem Wesen, mit dessen Tugend und Unschuld du nichts zu schaffen hast! ... Und du, elendes, undankbares Subjekt!« wandte der Zwerg sich nun an den Laird, »was bringst du nun als Ausflucht vor? Die Tochter wolltest du verschachern, weil du dir eine Gefahr vom Halse schaffen mußt? verschachern wolltest du sie, wie du sie umgebracht hättest, verschlungen hättest aus Hunger, um dir das eigne Jammerleben zu erhalten! – Ha! verbirg dein Gesicht hinter deinen Händen! Freilich, freilich! Grund zum Erröten hast du, in reichem Maße, wenn du demjenigen in die Augen siehst, dessen Leib du einst in Ketten schlugst, dessen Hand du der Blutschuld, dessen Seele du der Hölle überliefertest! Noch einmal ist dir Rettung geworden durch die Tugend jenes einzigen Wesens, das dich Vater ruft. Heb dich hinweg! und mögen dir die Wohltaten, die du durch mich geerntet, die Verzeihung, die ich dir spendete, zu feurigen Kohlen werden, bis dein Gehirn versengt ist gleich dem meinigen!«

Von Verzweiflung übermannt, wankte Laird Ellieslaw lautlos aus der Kapelle.

»Geht ihm nach, Hubert Ratcliffe!« sprach der Zwerg, »und gebt ihm bekannt, was ihm das Schicksal hinfort bestimmt! Zu seiner Freude, denn ihm gilt es als Glück, die Luft zu atmen und Gold zwischen den Fingern zu fühlen.«

»Mir ist das Ganze ein Buch mit sieben Siegeln,« rief Sir Frederick Langley; »wir stehen hier, eine Schar von Edelleuten, in Waffen für König Jakob und dessen Gewalt! Seid Ihr in der Tat jener Sir Edward Mauley, der so lange schon als verstorben im Irrenhause galt? Oder seid Ihr ein Betrüger, der Sir Edward Mauleys Namen und Titel sich aneignet? Um das festzustellen, nehme ich Euch in Haft, und in meiner Haft sollt Ihr bleiben, bis Ihr über Eure Erscheinung an solchem Ort und zu solcher Stunde bessere Rechenschaft gegeben habt! Wir wollen keinen Spion in unsrer Mitte. Ergreift ihn, Diener!«

Diese aber fuhren, von Zweifel und Bange ergriffen, zurück. Da schritt Sir Frederick selbst auf den Klausnerzwerg zu, um Hand auf ihn zu legen ... wurde aber durch die blitzende Spitze einer Partisane zum Halt genötigt, die durch die derbe Faust Hobbie Elliots gegen seine Brust geführt wurde,

»Das Tageslicht soll Euch durch die Knochen scheinen, sofern Ihr einen Schritt weiter gegen ihn tut!« rief der kräftige Grenzer; »niemand soll einen Finger heben gegen Elshie, der ein kluger Mann und ein getreuer Nachbar ist und stets bereit, einem Freunde zu helfen. Und seht Ihr ihn auch an für einen Krüppel, so verlaßt Euch doch drauf, daß er Euch das Blut aus den Nägeln kratzt: einen Widder setze ich für mein Wort zum Pfande! Elshie preßt schärfer als Schrauben!«

»Wer hat Euch hergerufen, Elliot, daß Ihr Euch mischt in die Händel von Edelleuten?« fragte jetzt Mareschal den Grenzer.

»Fürwahr, Mareschal Wells!« antwortete hierauf Hobbie, »das zu sagen fällt leicht! mit zwanzig bis dreißig Leuten weile ich hier, und mehr im Namen der Herrscherin über englisches und schottisches Land und über Schotten und Engländer als aus eignem Willen, als um selbst erlittenes Unrecht zu sühnen, aber mit Wissen und Willen des klugen Elshie, der dem Lande den Frieden erhalten will. Ihr braucht die Hand nicht an den Degen zu legen, ihr Herren: denn das Schloß ist bereits unser ohne viel Lärm, zumal Tor und Türen offen und eure Mannen des Punsches voll waren und wir ihnen Degen und Pistolen nehmen konnten so leicht als gelte es Erbsen zu zählen.«

Mareschal stürzte aus der Kapelle hinaus, kam aber im Nu wieder zurück.

»Beim Himmel, Sir Frederick! was der Mann spricht, ist wahr! Das Haus wimmelt von Bewaffneten, und unser trunkenes Gesinde ist entwaffnet. Den Degen gezogen! Wir schlagen uns durch!«

»Nicht zu flink!« rief Hobbie Elliot; »höret erst, was ich sagen will! Es liegt uns ferne, Euch ein Leid anzutun. Aber da Ihr für König Jakob, wie Ihr den Prätendenten nennt, und für die Bischöflichen in Waffen steht, hielten wir es für recht und geboten, die alte Fehde wachzurufen und für das andre Königshaus und unsre Kirche aufzustehen. Kein Haar soll Euch gekrümmt werden, sofern Ihr Euch ruhig nach Hause verfügt: was für Euch das beste ist was Ihr tun könnt, denn es ist sichere Kunde aus London da, daß Bang oder Byng, wie Ihr den Admiral nennt, die Schiffe Frankreichs mit dem neuen König von der Küste vertrieben hat. Also ist es schon, da Ihr einen andern Herrscher zur Stunde nicht haben könnt, am besten und klügsten, Ihr bescheidet Euch, gleich uns, mit unsrer alten Anna!«

Ratcliffe trat ein und bestätigte diese für die Jakobiten so ungünstige Meldung. Sir Frederick verließ mit seinen Begleitern auf der Stelle das Schloß, ohne sich bei irgendwem zu verabschieden.

»Und Ihr, Mareschal,« fragte Ratcliffe – »was gedenkt Ihr zu tun?«

»Hm,« machte der junge Ritter mit lächelnder Miene, »dem Beispiel dieses edlen Bräutigams zu folgen, dazu ist mein Mut zu groß und mein Vermögen zu klein! Dergleichen ist nicht nach meiner Natur und lohnt nicht der Mühe.«

»Wohlan! Dann zerstreut Eure Leute und verhaltet Euch ruhig! Man wird aus der Sache kein Aufhebens machen, da es ja zu offenem Aufruhr nicht gekommen ist.«

»Alles Vergangene,« fügte Hobbie Elliot den Worten Ratcliffes bei, »soll vergessen sein! Seien wir die alten Freunde wieder! Ich hege gegen niemand Groll als gegen Westburnflat, der mir jüngst solch böse Morgensuppe, mit Vorwissen Ellieslaws, wie ich hier feststelle, einbrockte; dem ich aber das Fell schon heiß und kalt dafür gegerbt habe. Kaum drei Schläge hatte mein Pallasch mit dem seinigen gewechselt, als er durch das Fenster in den Schloßgraben sprang und sich hindurcharbeitete wie eine wilde Ente. Ein geschickter Patron, das muß man sagen! brennt durch am Morgen mit einem hübschen Mädchen und in der Nacht drauf mit einem andern! Brennt er aber nicht noch selber durch und schüttelt Englands Staub von den Füßen, so lasse ich ihn noch am Stricke tanzen: denn mit der Zusammenkunft in Castleton, die er mit solcher Schlauheit in Vorschlag brachte, ist es aus, da seine Freunde ihm nicht mehr Beistand hierzu leihen wollen.«

Während der Verwirrung, die durch Hobbie Elliots Erscheinen entstand, hatte sich Isabel dem Klausnerzwerg, den wir hinfort mit dem ihm gebührenden Namen Sir Edward Mauley nennen müssen, zu Füßen geworfen, um ihm ihren Dank zu stammeln und Vergebung für ihren Vater zu erflehen. Als es ruhiger in der Kapelle wurde, begannen aller Augen sich auf sie zu richten, die am Grabe der Mutter kniete und mit der bildlichen Darstellung von Gestalt und Gesichtszügen der Mutter so außerordentliche Ähnlichkeit aufwies und dem Klausnerzwerg, Sir Mauley, die Hand mit Küssen und Tränen bedeckte.

Starr und mit Tränen unter den dichten Wimpern, die er vergeblich durch die vorgehaltne Hand zu verbergen suchte, stand Sir Mauley vor ihr, die Blicke bald auf sie, bald auf die marmorne Figur auf dem Denkstein gerichtet.

»Tränen, meinte ich, hätten seit langem nichts mehr gemein mit mir,« sprach er, »aber wir vergießen sie bei unsrer Geburt, und ihre Quelle versiegt erst, wenn wir im Grabe liegen. Kein Schmerz aber soll mich wankend in meinem Entschlusse machen! hier trenne ich mich zugleich und auf immer von allem, dessen Erinnerung« – er kniete auf das Grabmal – »mir wert und teuer war, und dessen Nähe« – er umschloß Isabels Hand – »mir lieb und wert ist und lieb und wert bleibt! Sprecht nicht mit mir und laßt alle Versuche sein, mich umzustimmen: sie würden zu nichts helfen, denn Ihr sollt nicht länger mehr etwas hören oder sehen von diesem häßlichen Monstrum! Tot will ich sein für Euch alle, bevor ich in das Grab steige, aber als eines Freundes, der befreit ist von allem Verbrechen und allem Leiden des irdischen Daseins, sollt Ihr meiner gedenken!«

Er küßte Isabel auf die Stirn, kniete neben der steinernen Figur nieder und drückte ihr einen andern Kuß auf die Stirn. Dann verließ er, von Ratcliffe begleitet, die Kapelle.

Achtzehntes Kapitel

Am andern Morgen wurde es in dem Schlosse, in welchem nachts über der wackre Grenzer Elliot mit seinen Mannen die Wacht gehalten hatte, beizeiten lebendig; Westburnflat, der mit dem Schleichhändler von Newcastle aus dem Schlosse gewichen war, sobald Elshie sich gezeigt hatte, trotze, so hieß es, in seinem Turme der ganzen Sippe, die den Namen Elliot führe, und lasse sie fordern zum Kampfe. Nach Heugh-foot, wo sich schon eine beträchtliche Schar von Verwandten und Freunden Hobbies zusammengefunden, brach dieser jetzt auf. Aber der Turm war leer, als sie kamen, und Westburnflat selber schon unterwegs nach Frankreich, wo er vor Hobbies Grimm sicherer war, sich bei Marlboroughs Heer anwerben ließ und um seiner Verdienste willen für geschickte und rasche Verproviantierung der Söldner durch allerhand Raubzüge zum Leutnant befördert wurde, auf diesen Raubzügen auch Geld und Gut für sich zusammenbrachte, nach England zurückkam, den alten Turm von Westburnflat niederreißen ließ und an seiner Stelle ein drei Stock hohes schmales Wohnhaus errichtete, in welchem er, wie noch heute auf seinem Grabstein in Kirkwhistle zu lesen steht, nach mancherlei Fehde mit seinen Nachbarn und reichlichem Bier- und Schnapsgenuß im Besitz der Eigenschaften eines tüchtigen Soldaten und ehrlichen Christen eines natürlichen Todes gestorben ist.

Miß Isabel Vere empfing am Morgen nach der schreckensvollen Nacht den Besuch Sir Ratcliffes, der ihr ein Schreiben ihres Vaters brachte, in welchem derselbe ihr mitteilte, daß er es, um des eignen und auch ihres Friedens willen, für geraten erachtet habe, England mit Frankreich zu vertauschen, daß er sich von ihrer Seite des besten Einsehens und aller Nachsicht betreffs seines Verhaltens in den letzten Wochen ihres Zusammenlebens versichert halte, daß er ihr Schloß und Gut Ellieslaw als unveräußerliches Besitztum verschreibe mit der Verpflichtung, sich über alle Hypotheken, die Sir Hubert Ratcliffe auf Schloß und Gut geliehen habe, im gütlichen Wege zu verständigen, schließlich daß er, da sie auf solche Weise in den Genuß bedeutender Einkünfte noch zu seinen Lebzeiten gelange, von ihr dasjenige ausgesetzt zu erhalten hoffe, was ihm selber im Alter zur Lebensführung vonnöten sei, und deshalb auf ein Angebot Sir Edward Mauleys, ihm einen beträchtlichen Jahresgehalt für die Dauer seines Aufenthalts im Auslande auszusetzen, mit dem Stolz verzichtet habe, der ihm einem Manne gegenüber, zu dem ihn das Schicksal in viele trübe Verhältnisse gesetzt habe, ohne daß aber andere als ihn selber irgendwelche Schuld dabei träfe, als Selbstpflicht erscheine.

»Und Sir Mauley?« fragte Isabel, als sie den Brief des Vaters gelesen und von Sir Ratcliffe vernommen hatte, daß dieser schon auf dem Wege nach dem Hafen sei, um sich nach Frankreich einzuschiffen.

Den Klausnerzwerg hatte niemand mehr im Schlosse gesehen.

»Ich glaube, wir haben den weisen Elshie auf ewig verloren,« sprach Hobbie, als er am Spätnachmittag von seiner Streife zurückkehrte, die ihn bei der Steinhütte vorbeigeführt hatte – »die Tür seiner Hütte stand offen, das Feuer war erloschen, die Ziege kam mir blökend entgegen, denn die Zeit, da er sie zu melken pflegt, war lange vorbei. Von ihm selber keine Spur! nicht die geringste!« »Es ist, wie Ihr vermutet, Hobbie Elliot,« sagte Ratcliffe, ihm eine Urkunde überreichend; »Sir Mauley weilt nicht mehr dort. Leset das Schriftstück: Ihr werdet aus dem Inhalt sehen, daß Ihr durch Eure Bekanntschaft mit ihm nichts eingebüßt habt.«

Das Schriftstück war eine Schenkungsurkunde, in welcher Sir Edward Mauley, früher bekannt unter dem Namen Elshender der Klausner, Halbert oder Hobbie Elliot und seiner Frau Grace, gebornen Armstrong, die volle Summe als Geschenk überwies, die er ihm zum Wiederaufbau von Haus und Hof als Darlehn ausgefolgt hatte.

In Hobbies Freude mischten sich Tränen, die ihm in dicken Tropfen über die rauhen Wangen rollten.

»Seltsam,« sprach er, »so recht aus Herzensgrund kann ich mich nicht freuen, so lange ich den edlen Mann, der mich so reich machte, nicht gleichfalls glücklich weiß.«

»Das Bewußtsein, andre glücklich gemacht zu haben,« versetzte Ratcliffe, »kommt eignem Glück am nächsten. Wer Wohltaten spendet ohne rechtes Urteil, übt niemals Gutes und wird niemals Dank finden, denn er säet Wind, um Sturm zu ernten.«

»Das wäre schlimme Ernte,« erwiderte Hobbie, »aber mit Veres gütigem Verlaub möchte ich gern Elshies Bienenstöcke mitnehmen und in dem Blumengarten meiner Frau aufstellen. Eingeräuchert sollen sie dort nie von uns werden. Auch die arme Ziege würde verkommen, wenn sie allein in der Hütte bliebe. Bei uns soll sie ihr Futter haben, und Grace mag sie täglich melken. Um Elshies willen stelle ich diese Bitte, denn er hatte die stummen Geschöpfe, wenn er auch mürrisch war, ja immer gern.«

Was der wackre Grenzer bat, wurde ihm gern gewährt, nicht ohne Verwunderung über die Feinfühligkeit seines Temperaments, die sich auf solche Weise an ihm offenbarte. Hobbie Elliot lebte hinfort so glücklich in Heugh-foot, wie er's durch seine Ehrlichkeit und Zärtlichkeit und auch durch seine Tapferkeit verdiente.

Zwischen Isabel und Earnscliff waren nun alle Hindernisse beseitigt, und die Höhe der Einkünfte, die dem jungen Paar im Auftrag Sir Edward Mauleys durch Ratcliffe überwiesen wurden, hätte sogar die Habgier des alten Laird Ellieslaw zu stillen vermocht. Seine Gattin aber ebenso wie Sir Ratcliffe erachteten es für unangebracht, Earnscliff darüber aufzuklären, daß ein wichtiger Beweggrund bei der Verfügung über sein Vermögen zugunsten von ihm und seiner Frau die Rücksicht auf die blutige Tat war, durch die Earnscliffs Vater vor Jahren sein Leben eingebüßt hatte. Jahre zogen hin über dem jungen Paare, aber eines derselben war immer glücklicher als das andere, und eine fröhliche Schar von Nachkommen freute ihr Alter.

Mareschal jagte so lange und führte Zweikämpfe so lange, bis er des einen wie des andern überdrüssig war und Miß Lucy Ilderton heimführte, die ihm gar bald Zügel anlegte.

Sir Frederick Langley verwickelte sich in den unglücklichen Aufstand von 1715 und fand in dem Treffen bei Preston ein unrühmliches Ende, während Sir Ratcliffe ein hohes Alter erreichte und auf dem Schlosse von Ellieslaw, wo er seinen Wohnsitz behalten hatte, starb. Jahrelang war er, ohne je zu verraten wo, im Frühjahr regelmäßig vier Wochen abwesend gewesen. Aber jedermann wußte, daß er diese Zeit bei seinem Freunde und Schützer verbrachte, dem unglücklichen Sir Edward. Dann war ein Tag gekommen, an welchem er in Trauerkleidern und mit Trauer im Herzen heimkehrte: Er hatte den edlen Menschenfeind zur Ruhe gebettet, der heute noch in der Gegend des Mucklestane-Moors weiter in freundlicher Erinnerung lebt als

der schwarze Zwerg.

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