»Das junge Fräulein,« sprach ich und zwang mich, eine scherzhafte Miene anzunehmen, die mir, glaub ich, sehr schlecht stehen mochte, »hätte vielleicht etwas tiefer am Familienbaume hinab sehen mögen, um den Zweig zu suchen, an welchem sie sich festzuhalten wünschte.«

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte er. »In unsrer Familie ist die Wahl beschränkt. Richard ist ein Spieler, Hans ein Bauer und Wilfred ein Esel. Ich glaube, mein Vater hat wirklich die beste Wahl für die arme Diana getroffen.«

»Die Anwesenden sind immer ausgenommen,« sprach ich.

»O, von mir konnte, bei meiner Bestimmung für den geistlichen Stand, nicht die Rede sein; andernfalls will ich mir nicht anmaßen zu sagen, daß, da ich durch meine Erziehung geeignet war, Fräulein Vernon zu unterrichten und zu leiten, ich eine bessere Wahl als einer meiner ältern Brüder gewesen sein würde.«

»Ohne Zweifel war das Fräulein dieser Meinung?«

»Das braucht Ihr nicht zu vermuten,« antwortete Rashleigh mit einem so erzwungenen Leugnen, daß dadurch die stärkste Bejahung ausgedrückt ward – »Freundschaft, nur Freundschaft knüpfte das Band zwischen uns, und die zarte Neigung eines sich aufschließenden Gemüts gegen den einzigen Lehrer – Liebe kam uns nicht nahe. Ich hab Euch gesagt, ich war beizeiten weise.«

Ich fühlte wenig Verlangen, die Unterhaltung länger fortzusetzen, und eilte, mich von Rashleigh losmachend, auf mein Zimmer. In großer Unruhe ging ich hier auf und nieder und wiederholte laut die Ausdrücke, die mich am meisten verletzt hatten. Reizbar – feurig – zarte Neigung – Liebe! – Diana Vernon, das schönste Wesen, das ich je gesehen, verliebt in ihn, den krummbeinigen, dickhalsigen, hinkenden Burschen! Der völlige Richard der Dritte, bis auf den Buckel! – Und dennoch, die Gelegenheiten, die er in seinen verwünschten Unterrichtsstunden gehabt haben mußte, und des Menschen leichte und fließende Darstellung, und ihre ausnehmende Abgeschiedenheit von allen Wesen, die mit gesundem Menschenverstand sprechen und handeln konnten ... ja, und ihr sichtbarer Groll gegen ihn, mit Bewunderung seiner Talente vermischt, was so sehr wie die Wirkung einer vernachlässigten Zärtlichkeit aussieht, als irgend etwas, das gab wohl zu denken! – »Aber was geht das mich an, daß ich darüber wüte und tobe? Ist Diana Vernon das erste hübsche Mädchen, das einen häßlichen Mann geliebt und geheiratet hat? Und wenn sie auch an keinen Osbaldistone gebunden wäre, was kümmert es mich? Katholisch – eine Jakobitin – eine Amazone – es wäre gänzliche Raserei, daran zu denken!« und mit diesen Gedanken kam mir die Ruhe wieder.

Zwölftes Kapitel

Mein Hauptfehler bestand, wie ich Dir bereits gesagt habe, lieber Tresham, was Dir wahrscheinlich nichts Neues war, in einem unbezwinglichen Stolz, der mich öftern Unannehmlichkeiten aussetzte. Nicht einmal leise hatt' ich mir gestanden, daß ich Diana Vernon liebte; aber kaum sprach Rashleigh von ihr, wie von einem Preise, den er davon tragen oder nach Gefallen vernachlässigen konnte, so erschien jeder Schritt, den das arme Mädchen in der Unschuld und Offenheit ihres Herzens getan hatte, um eine Art von Freundschaft, mit mir zu errichten, in meinen Augen als beleidigendste Koketterie.

»So! Sie wollte mich vermutlich zum Nothelfer machen, wenn Herr Osbaldistone kein Mitleid mit ihr haben sollte! Aber ich will ihr zeigen, daß ich nicht der Mann bin, der sich auf diese Art betrügen läßt – sie soll finden, daß ich ihre Künste durchschaue und sie verachte.«

Nicht einen Augenblick bedachte ich, daß dieser ganze Unwille, den ich ohne die geringste Berechtigung gefaßt hatte, nur bewies, wie ich nichts weiter als gleichgültig gegen Dianas Reize war, und in höchst übler Laune gegen sie und alle Töchter Evens setzte ich mich zur Tafel.

Mit Ueberraschung hörte Diana auf einige neckische Ausfälle, die sie mit ihrer gewöhnlichen Freimütigkeit äußerte, unfreundliche Antworten von mir; doch ohne den Argwohn, daß es böse gemeint sei, erwiderte sie meine rauhen Worte nur mit etwas ähnlichen Scherzen, gemildert durch ihre heitere Stimmung, obwohl geschärft durch ihren Witz. Endlich bemerkte sie, daß ich wirklich übler Laune war, und antwortete auf eine meiner unhöflichen Reden: »Man sagt, Herr Franz, auch von Toren lasse sich etwas Verständiges lernen. Gestern wollte Vetter Thorncliff spielen, weil Vetter Thorncliff ärgerlich wurde und stärker zuschlug, als es die Regeln eines freundschaftlichen Kampfes erlaubten. Wollt' ich Dir in allem Ernst den Kopf einschlagen, sprach der ehrliche Wilfred, so kümmert es mich nicht, wie böse Du wärest; denn ich würd' es nur um so leichter tun können. Aber es war hart, wenn ich Streiche übern Kopf kriegte und Dir nur Scheinhiebe dagegen versetzen sollte. – Versteht Ihr die Nutzanwendung, Franz?«

»Ich habe nie die Notwendigkeit gefühlt, gnädiges Fräulein, den wenigen Verstand, womit man in dieser Familie die Unterhaltung würzt, genau zu erforschen.«

»Notwendigkeit! Und gnädiges Fräulein! – Ihr setzt mich in Erstaunen, Herr Osbaldistone.«

»Das bedaure ich recht sehr.«

»Soll ich diesen Ton für Ernst halten? oder ist er nur angenommen, um Eure gute Laune desto schätzbarer zu machen?«

»Ihr habt ein Recht auf die Aufmerksamkeit so vieler Herren in diesem Hause, Fräulein Vernon, daß Ihr es nicht der Mühe wert halten könnt, nach der Ursache meiner Verstimmung zu fragen.«

»Wie! Muß ich also glauben, Ihr habt meine Partei verlassen, und seid zu dem Feinde übergegangen?«

Sie blickte hierauf über die Tafel, und als sie bemerkte, daß Rashleigh, der ihr gegenüber saß, mit einem besondern Ausdruck von Anteil in seinen rauhen Zügen uns beobachtete, fuhr sie fort:

»Entsetzlicher Gedanke! – Es ist wahr;


Denn lächelnd blickt der Grimmige mich an,


Und zeiget auf Dich, für sein –

Doch gedankt sei's dem Himmel, der mich zum Dulden gewöhnt hat, ich werde nicht so leicht empfindlich. Und damit ich mich nicht zum Streit gezwungen sehe, habe ich die Ehre, früher als gewöhnlich Euch eine gute Verdauung Eurer Mahlzeit und üblen Laune zu wünschen.«

Mit diesen Worten verließ sie die Tafel.

Nachdem Diana hinausgegangen war, war ich selber mit meinem Betragen recht unzufrieden. Mein Betragen kam mir roh vor. Um diese schmerzlichen Erwägungen zu bekämpfen oder zu ertränken, sprach ich der Flasche, die um den Tisch kreiste, mehr als gewöhnlich zu.

An Mäßigkeit gewöhnt und in einem aufgeregten Gemütszustande, empfand ich schnell die Wirkung des Weines. Eingewurzelte Trinker erhalten, glaub ich, die Fähigkeit, eine große Menge starker Getränke zu sich zu nehmen, ohne wenig mehr, als jene Verstandeskräfte zu trüben, die in ihrem nüchternen Zustande nicht zu den hellsten gehören; aber Männer, welche dem Laster der Trunkenheit fremd sind, werden gewaltsamer durch berauschende Säfte ergriffen. Einmal erregt, ward meine Gemütsstimmung bald ausgelassen. Ich sprach viel, stritt über Sachen, wovon ich nichts wußte, erzählte Geschichten, deren Ende ich vergaß, und lachte unmäßig über meine Vergeßlichkeit; ich ging mehrere Wetten ein, ohne das geringste Urteil, und forderte den Riesen Hans zum Ringen heraus, obwohl er schon Ringpreise erworben und ich durchaus keine Uebung in dieser Fertigkeit hatte. Mein Oheim war so gütig, dies Uebermaß trunkner Torheit zu verhindern, wo sonst wahrscheinlich mein Hals in Gefahr gewesen sein würde.

Zwar hatte ich nicht meine Besinnung verloren, aber ich verlor bald alle Selbstbeherrschung, und meine ungestümen Leidenschaften rissen mich nach Gefallen mit sich fort. Ich hatte mich mürrisch, unzufrieden, und zum Schweigen geneigt, niedergesetzt – der Wein machte mich geschwätzig, streitsüchtig und zänkisch. Ich widersprach allem, was behauptet wurde, und griff, ohne Rücksicht auf meinen Oheim, dessen politische Grundsätze und Glaubensmeinung an; Rashleighs erkünstelte Mäßigung, die er sehr wohl mit Anreizungen zu vereinigen wußte, empörte mich mehr, als die lärmenden und polternden Reden seiner Brüder. Mein Oheim, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, suchte die Ordnung unter uns herzustellen, allein sein Ansehen verlor sich im Taumel des Rausches und der Leidenschaft. Wütend über eine wirkliche oder eingebildete beleidigende Aeußerung, gab ich endlich Rashleigh einen Schlag mit der Faust. Kein Stoiker, über eigne und fremde Leidenschaften erhaben, hätte eine Beleidigung mit einem höhern Grade von Verachtung aufnehmen können. Was er anscheinend nicht der Mühe wert achtete zu fahnden, empfand Thorncliff für ihn. Degen wurden gezogen, und wir wechselten einige Stöße, als uns die übrigen Brüder mit Gewalt trennten, und ich werde nie das teuflische Hohnlächeln vergessen, das Rashleighs widrige Züge entstellte, als ich durch die vereinte Kraft von zwei dieser jungen Riesen aus dem Zimmer gebracht wurde. Sie verschlossen die Tür meines Gemachs, und zu meiner unaussprechlichen Wut hörte ich sie herzlich lachen, indem sie die Treppe hinabgingen. Ich versuchte in meiner Raserei durchzubrechen; allein die Fenstergitter und die Stärke der mit Eisen versehenen Tür widerstanden meinen Anstrengungen. Endlich warf ich mich aufs Bett und entschlief unter Gelübden, mich am folgenden Morgen grausam zu rächen.

Allein mit dem Morgen kam die kühle Besonnenheit. Ich fühlte aufs schmerzlichste das Gewaltsame und Abgeschmackte meines Betragens und mußte erkennen, daß Wein und Leidenschaft mich selbst unter Wilfred Osbaldistone herabgewürdigt hatten, den ich so gering achtete. Meine unangenehmen Betrachtungen milderten sich keineswegs, als ich die Notwendigkeit einer Entschuldigung meines Betragens erwog, und mich erinnerte, daß Diana Zeugin meiner Demütigung sein mußte. Mein unschickliches und unfreundliches Benehmen gegen sie selbst vermehrte die Bitterkeit meiner Erwägungen nicht wenig, und dafür konnte ich nicht einmal die elende Entschuldigung eines Rausches anführen.

Unter diesen erdrückenden Gefühlen von Scham und Erniedrigung ging ich zum Frühstück hinab, wie ein Verbrecher, der sein Urteil erwartet. Es traf sich, daß ein heftiger Frost es unmöglich gemacht hatte, die Hunde herauszulassen, und ich hatte nun noch die Demütigung, die ganze Familie, Rashleigh und Diana ausgenommen, im vollsten Eifer bei einer kalten Wildbretpastete und einem Stück Rindfleisch zu finden. Alle waren höchst vergnügt, als ich hereintrat, und ich konnte mir leicht denken, daß sie sich auf meine Kosten lustig machten. Was mich so schmerzlich berührte, betrachtete mein Oheim und die Mehrzahl meiner Vettern als einen recht vortrefflichen Spaß. Herr Hildebrand neckte mich über die Vorfälle des gestrigen Abends und beteuerte, daß er es für besser halte, wenn sich ein junger Bursche dreimal des Tages betrinke, als wenn er sich nüchtern zu Bett schleiche, wie ein Presbyterianer, und einen Kreis ehrlicher Kerle bei der Weinflasche verlasse. Und zur Unterstützung dieser tröstlichen Rede füllte er einen großen Humpen mit Branntwein und mahnte mich, »von dem Hundebiest, das mich gebissen hätte, ein paar Haare zu verputzen.«

»Laß die Jungen hier nur lachen, Neffe,« fuhr er fort. »Sie würden eben solche Milchsuppen sein wie Du, wenn ich sie nicht sozusagen mit Trinksprüchen und beim Humpen aufgezogen hätte.«

Bösartigkeit war im allgemeinen nicht der Fehler meiner Vettern. Als sie sahen, daß die Erinnerungen an den vorigen Abend mich verletzten und verlegen machten, suchten sie mit plumper Freundlichkeit den unangenehmen Eindruck zu vernichten, den sie auf mich gemacht hatten. Thorncliff allein sah mürrisch und unversöhnt aus. Dieser junge Mann hatte mich vom Anfang an nicht leiden können, und an den Beweisen von Aufmerksamkeit, welche ich gelegentlich von seinen Brüdern erhielt, so linkisch sie auch sein mochten, hatte er allein nie Anteil genommen. Wenn er wirklich, was ich jedoch zu bezweifeln anfing, von der Familie als der Dianen bestimmte Gemahl betrachtet wurde oder sich selbst dafür ansah, so konnte ein Gefühl von Eifersucht in ihm erwacht sein, als er den Vorzug bemerkte, welchen das Fräulein einem Manne zu geben beliebte, in welchem er vielleicht einen gefährlichen Nebenbuhler zu erhalten fürchtete.

Rashleigh trat endlich herein, sein Gesicht finster wie ein Trauergewand, brütend, wie ich nicht zweifeln konnte, über die unverantwortliche Beleidigung, die ich ihm zugefügt hatte. Ich war bereits mit mir einig, wie ich mich bei dieser Gelegenheit verhalten wollte, und hatte mich bemüht, mich in den Glauben zu finden, daß wahre Ehre darin bestehe, eine Kränkung, die mit irgend einem Anreiz dazu, den ich anführen konnte, nicht im Verhältnis stand, zu entschuldigen, aber nicht zu verteidigen. Ich eilte ihm daher entgegen und äußerte mein höchstes Leidwesen über die Heftigkeit, mit der ich am vorigen Abend gehandelt hatte. Kein Umstand, sagte ich, würde mir ein einziges Wort der Entschuldigung abgenötigt haben, als nur mein eignes Bewußtsein von der Unschicklichkeit meines Betragens. Ich hoffte, mein Vetter werde meine aufrichtige Reue annehmen, und bedenken, wie sehr das Uebermaß der Gastfreundlichkeit seines Herrn Vaters an meinem Mißverhalten schuld sei.

»Er soll Freund mit Dir sein, Junge!« rief der wackre Ritter in der Aufwallung seines Herzens, »oder Gott straf mich – ich nenn ihn nicht mehr Sohn. Warum stehst Du denn da, Rashleigh, wie ein Stock? Es ist mir leid, ist alles, was ein Ehrenmann sagen kann, wenn er etwas Unrechtes getan hat, besonders beim Wein. – Ich war auch Soldat, und weiß, denk ich, etwas von Ehrensachen. Laßt mich nichts mehr davon hören, und wir wollen alle zusammen gehen und den Dachs im Birkenwalde aufstören.«

Rashleighs Gesicht war, wie ich schon erwähnte, ganz anders, als die Gesichter, die ich je gesehen habe. Allein diese Sonderbarkeit lag nicht bloß in den Zügen, sondern in der Art ihres wechselnden Ausdrucks. Wenn in andern Gesichtern Kummer in Freude oder Unwille in Zufriedenheit übergeht, so gibt es eine kurze Zwischenzeit, ehe der Ausdruck der herrschenden Leidenschaft die frühere ganz verdrängt. Es ist eine Art Zwielicht, wie zwischen dem Erhellen der Dunkelheit und dem Aufgange der Sonne, während die aufgeschwollnen Muskeln nachgeben, das dunkle Auge sich aufklärt, die Stirn sich glättet, und das ganze Angesicht seine ernstern Schatten verliert und heiter und ruhig wird. Rashleighs Gesicht zeigte von solchen Uebergängen keine Spur, sondern veränderte fast plötzlich einen Ausdruck der Leidenschaft in den entgegengesetzten.

Auf diese Eigenschaft ward meine Aufmerksamkeit hierbei besonders gerichtet. Finster wie die Nacht trat Rashleigh ins Zimmer. Mit demselben unbeweglichen Gesicht hörte er meine Entschuldigung und seines Vaters Ermahnungen, und nun erst, als dieser nichts mehr sagte, verschwand auf einmal die Wolke, und er erklärte auf die freundlichste, verbindlichste Weise, daß ihm meine artige Entschuldigung vollkommen genug tue.

»Wirklich,« sagte er, »ich habe selbst einen so schwachen Kopf, daß ich, wenn ich ihm mehr als meine gewöhnlichen drei Gläser aufbürde, nur eine unbestimmte Vorstellung von der Verwirrung der letzten Nacht habe – ich erinnere mich einer Masse von Dingen, aber an nichts Bestimmtes, wohl eines Streites, aber nicht der Veranlassung. – Ihr könnt also denken, lieber Vetter,« fuhr er fort, mir freundlich die Hand schüttelnd, »wie sehr ich mich erleichtert fühle, da ich inne werde, daß nicht ich mich zu entschuldigen habe, sondern daß man sich bei mir zu entschuldigen hat. – Ich will kein Wort weiter davon hören; es würde töricht sein, eine Rechnung näher zu prüfen, deren anfangs ungünstige Bilanz sich so unerwartet und angenehm zu meinem Vorteil gewendet hat. Ihr seht, ich bediene mich der Sprache von Lombard-Street, und mache mich geschickt zu meinem neuen Berufe.«

Eben wollte ich antworten und erhob mein Auge, als ich Diana erblickte, die während des Gesprächs unbemerkt hereingetreten und aufmerksame Zuhörerin gewesen war. Verwirrt und beschämt blickte ich zur Erde und eilte zu der Frühstückstafel, an der ich mich zwischen meinen geschäftigen, Vettern niedersetzte.

Damit die Ereignisse des verflossenen Tages nicht ohne eine praktische Lehre der Moral aus unserm Gedächtnisse verschwinden möchten, gab mein Oheim Rashleigh und mir bei dieser Gelegenheit den ernstlichen Rat, unsre milchbärtigen Manieren, wie er es nannte, zu verbessern, und uns nach und nach an starke Getränke zu gewöhnen, und zwar in solchen Mengen, wie es einem adligen Herrn gezieme, ohne uns dabei zu zanken und zu prügeln. Damit wir nicht gleich den Mut sinken ließen, versicherte er, viele Männer gekannt zu haben, die in unserm Alter nicht eine Flasche auf einen Sitz geleert hätten, die aber in wackrer Gesellschaft und bei herzhaftem Zuspruch nachher ruhig und allmählich sechsmal so viel hatten trinken können, ohne dabei in Streit auszuarten oder am andern Morgen einen Katzenjammer zu haben.

So weise dieser Rat und so tröstlich die Aussicht war, die er darbot, gewann ich nur wenig durch die Ermahnung; zum Teil vielleicht, weil ich immer, so oft ich die Augen von der Tafel erhob, Dianas Blicken begegnete, worin ich ernstes Mitleiden, mit Bedauern und Mißfallen vermischt, zu entdecken glaubte. Ich überlegte, wie ich eine Gelegenheit, mich auch gegen sie zu erklären und zu entschuldigen, herbeiführen könne, als sie mir zu verstehen gab, daß sie mir die Mühe, um eine Unterredung zu bitten, ersparen wolle.

»Vetter Franz,« sagte sie, »ich habe diesen Morgen eine schwere Stelle in Dantes göttlicher Komödie gefunden; wollt Ihr die Güte haben, in das Bücherzimmer zu kommen und mir Euren Beistand zu leihen? Wenn wir den Sinn des dunklen Florentiners aufgespürt haben, wollen wir den Herren in den Birkenwald nachfolgen und sehen, ob sie so glücklich sind, den Dachs aufzujagen.«

Ich erklärte mich natürlich sofort bereit, ihr zu folgen, Rashleigh erbot sich, uns zu begleiten. »Ich verstehe mich etwas besser darauf« sprach er, »Dantes Sinn durch die Bilder und Auslassungen der wilden und düstern Dichtung zu verfolgen, als den armen, harmlosen Einsiedler dort aus seiner Höhle aufzujagen.«

»Verzeiht, Rashleigh,« erwiderte Diana; »da Ihr aber Eures Vetters Platz im Kontor einnehmen sollt, so müßt Ihr es nun ihm überlassen. Eure Schülerin hier zu erziehen. Wir werden Euch jedoch rufen, wenn es nötig ist. Ueberdies gereicht es Euch zur Schande, daß Ihr so wenig von der Jagd versteht. – Was wollt Ihr machen, wenn der Oheim in London Euch fragen sollte, an welchen Zeichen Ihr die Fährte eines Dachses erkennt?«

»Ja wohl, Dianchen – ja wohl!« sprach Herr Hildebrand seufzend. »Ich glaube, Rashleigh wird schlecht bestehen, wenn man ihn auf die Probe setzt. Komm mit uns, Rashleigh, und trag meinen Jagdstock. Deine Base braucht jetzt Deine Gesellschaft nicht, und ich wünsche nicht, daß meiner Diana widersprochen wird. – Es soll nicht heißen, in Schloß Osbaldistone war nur eine Frau, und sie starb, weil sie nicht ihren Willen hatte.«

Rashleigh folgte seinem Vater, wie er befahl, und Diana ging mit mir voran nach dem Büchersaal, und ich folgte ihr mit einem Gefühl von Verlegenheit und Unbehagen, das ich gern um jeden Preis hätte los sein mögen. Ich hielt es für eine unwürdige und erniedrigende Empfindung bei einer solchen Gelegenheit, da ich die Luft des festen Landes lange genug eingeatmet hatte, um die Meinung anzunehmen, daß Leichtigkeit, Galanterie und ein gewisses anständiges Selbstvertrauen den Mann auszeichnen müsse, den eine schöne Frau unter vier Augen zu sprechen wünscht. Meine englischen Gefühle siegten indes über meine französische Erziehung, und ich machte wahrscheinlich eine sehr klägliche Figur, als Fräulein Vernon, einem Richter gleich, der einen wichtigen Fall anhören will, sich majestätisch in einen großen Armstuhl setzte, mir ein Zeichen gab, ihr gegenüber Platz zu nehmen, und die Unterhaltung im Tone bitterer Ironie anfing.

Dreizehntes Kapitel

»Auf mein Wort, Herr Franz Osbaldistone,« sprach Fräulein Vernon, mit dem Ansehen, als halte sie sich völlig für berechtigt, mir auf ironische Weise Vorwürfe zu machen. »In unserm Kreise nehmt Ihr an Bildung zu – ich hatte mirs nicht träumen lassen, daß soviel Talent in Euch schlummre.« »Ich bin mir vollständig meiner Unart bewußt, Fräulein Vernon, und zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, daß ich durch einige kürzlich erhaltne Mitteilungen in ungewöhnlich hohem Grade erregt gewesen bin. Ich weiß wohl, daß mein Benehmen ungehörig und albern war.«

»Ihr tut Euch sehr unrecht,« entgegnete die unbarmherzige Ermahnerin. »Nach allem, was ich sah und seitdem gehört habe, gelang es Euch, im Laufe eines Abends alle die meisterhaften Eigenschaften zu enthüllen, wodurch Eure verschiednen Vettern sich auszeichnen: das milde und gutmütige Wesen des wohlwollenden Rashleigh – Percivals Mäßigkeit – Thorncliffs kalten Mut – Johanns Einsicht im Hundeabrichten – Richards Fertigkeit im Wetten – alles dies zeigte der einzige Herr Franz, und das mit einer Wahl der Zeit, des Ortes und der Umstände, die dem Geschmack und dem Scharfsinn des weisen Wilfred Ehre gemacht haben würde. – Aber ich möchte Euch doch nicht verhehlen, daß wenigstens eine Person mit Bekümmernis sieht, wie ein Jüngling von Talenten und Erwartungen in den Sumpf versinkt, worin die Bewohner dieses Hauses jeden Abend sich wälzen.«

»Ich versichre Euch, Fräulein, ich habe nur meine Schuhe naß gemacht, und die Unsauberkeit der Pfütze ist mir zu sehr zuwider, als daß ich weiter hinein gehen sollte.«

»Wenn Ihr das beschlossen habt, so ist es weise,« erwiderte sie. »Doch was ich gehört habe, betrübte mich so sehr, daß ich über Euern Gefahren ganz die eignen vergaß. – Ihr betrugt Euch gestern bei Tische gegen mich, als ob man Euch etwas gesagt hätte, wodurch ich in Eurer Meinung gesunken wäre. – Darf ich fragen, was es war?«

Ich war betroffen. Die unumwundne Gradheit dieser Frage war ganz in dem Tone gehalten, den ein Herr dem andern gegenüber anschlägt, wenn er in gutmütiger und doch entschiedner Weise eine Erklärung seines Benehmens fordert, und es waren dabei all jene Umschreibungen, Bemäntelungen, Milderungen und Verblümtheiten, von denen sonst in den höhern Gesellschaftskreisen Erklärungen zwischen Personen verschiednen Geschlechts begleitet zu sein pflegen, völlig außer acht gelassen worden.

Ich war in größter Verlegenheit; denn es kam mir in den Sinn, daß Rashleighs Mitteilungen, wenn sie begründet waren, Fräulein Vernon eher zu einem Gegenstande meines Mitleidens als meiner Empfindlichkeit machen mußten, und wenn in diesen Mitteilungen auch die beste Entschuldigung für mein eignes Benehmen gelegen hätte, so brachte mich das doch nicht über die größte Schwierigkeit hinweg – Fräulein Vernon etwas klar zu legen, worin für ihr Empfinden so viel Kränkendes liegen mußte. Sie erkannte meine Unbeholfenheit, und sprach in etwas bestimmterm, aber immer noch gemäßigtem und höflichem Tone:

»Ihr werdet mir hoffentlich nicht das Recht streitig machen, diese Erklärung zu verlangen. Ich habe keinen Verwandten, der mich beschützen kann; es ist daher nur recht und billig, mir zu erlauben, daß ich mich selber beschütze.«

»Ich suchte zögernd die Schuld meines unfreundlichen Betragens auf Unpäßlichkeit – auf unangenehme Briefe aus London zu schieben, aber sie hörte mir mit ungläubigem Lächeln zu.

»Und nun, Herr Franz,« sprach sie, »da Ihr Euren Entschuldigungsprolog mit der übeln Weise vollzogen habt, womit gewöhnlich Prologe, gehalten werden, seid gebeten, den Vorhang aufzuziehen, und zeigt mir, was ich zu sehen wünsche. Mit einem Worte laßt mich hören, was Rashleigh von mir gesagt hat; denn er ist es, der hier alle Maschinen in Bewegung setzt und in Bewegung hält.«

»Aber gesetzt, es wäre etwas zu sagen, was verdient derjenige, welcher die Geheimnisse eines Verbündeten dem andern verrät? Nach Eurem eignen Bericht war Rashleigh noch Euer Verbündeter, obwohl nicht länger Euer Freund.«

»Ich habe weder Geduld, Ausflüchte anzuhören, noch Neigung, über diesen Gegenstand zu scherzen. Rashleigh kann, soll und darf nichts von mir, Diana Vernon, sagen, was ich nicht verlangen kann, wiederzuhören. Daß wir Geheimnisse vor einander haben, ist sehr gewiß; aber das kann mit dem, was er Euch mitgeteilt hat, nichts zu tun haben.«

Ich hatte mich nun völlig wieder gefaßt, und beschloß schnell, von allem, was mir Rashleigh wie im Vertrauen gesagt hatte, nichts wiederzusagen. Ein Gespräch unter vier Augen auszuplaudern, erschien mir unwürdig; es konnte auch zu nichts führen und Fräulein Vernon selber nur unangenehm sein. Ich erwiderte daher ernst, daß Rashleigh sich mit mir nur über nebensächliche Familienangelegenheiten besprochen hätte und versicherte, nichts gehört zu haben, was einen für sie nachteiligen Eindruck zurückgelassen habe. Als rechtlicher Mann, setzte ich hinzu, könnte ich von dem Inhalt einer vertraulichen Unterredung nichts mehr sagen.

Sie erhob sich fast ein wenig ungestüm.

»Das soll Euch nichts helfen – ich muß eine andre Antwort von Euch haben!« rief sie. Ihre Stirn glühte und ihr Auge leuchtete, indem sie fortfuhr: »Ich verlange eine Erklärung, wie sie ein böslich verleumdetes Weib von jedem Manne fordern darf, der sich Ehrenmann nennt, wie sie ein mutterloses, unbefreundetes Wesen, das allein in der Welt steht und sich selbst leiten und beschützen muß, mit Recht verlangen kann. Ihr sollt es mir nicht verweigern – oder,« setzte sie mit feierlich emporgehobnem Blick hinzu, »Ihr werdet Eure Weigerung bereuen, wenn es auf Erden oder im Himmel noch Gerechtigkeit gibt.«

Ich war aufs höchste erstaunt, daß sie so heftig sein konnte, fühlte aber, daß es nach einer solchen Aufforderung meine Pflicht sei, jedes Bedenken aus zarter Rücksicht beiseite zu setzen, und teilte ihr kurz, aber bestimmt, das Hauptsächlichste von dem, was Rashleigh mir gesagt hatte, mit.

Ich stotterte alles herunter, was Rashleigh mir davon gesagt hatte, daß es ihr schon von früh auf bestimmt sei, einen Osbaldistone zu heiraten, und wie schwierig es sei, eine Wahl zu treffen. Hier hätte ich gern geschwiegen, allein bei ihrem Scharfsinn entdeckte sie, daß ich noch etwas zurückhalte, und sie ahnte, was es betraf.

»Es war bösartig von Rashleigh, dies von mir zu erzählen. Aber Rashleigh hat gewiß auch etwas von sich selbst in Beziehung auf mich gesagt. – Nicht wahr?«

»Er deutete allerdings an – es sei nur das Mißliche, daß er seinen Bruder verdrängen müsse, sonst würde er jetzt, da er ja nicht mehr Pfaffe zu werden brauchte, die freie Stelle in der Verfügungsschrift ausfüllen und seinen Namen an Thorncliffs Stelle hineinschreiben.«

»So? wirklich?« erwiderte sie; »war er so herablassend? – Zu viel Ehre für seine demütige Magd Diana Vernon. Und sie hätte selbstverständlich vor Freude außer sich zu sein, wenn eine solche Veränderung stattfinden könnte?« »Die Wahrheit zu sagen, er deutete ja etwas an, und gab ferner zu verstehen –«

»Was? – laßt mich alles hören!« rief sie hastig.

»Er habe den vertraulichen Umgang abgebrochen, um nicht erst eine Neigung entstehen zu lassen, die er bei seiner Bestimmung zum geistlichen Stande sich doch aus dem Sinne hätte schlagen müssen.«

»Ich bin ihm sehr für seine Rücksicht verbunden,« erwiderte Diana, und aus jedem Zuge ihres schönen Gesichts sprachen Hohn und Verachtung. Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann mit ihrer gewöhnlichen Fassung: »Ich habe nur wenig von Euch gehört, was ich nicht zu hören erwartete; denn einen einzigen Umstand ausgenommen, ist alles sehr wahr. Wie man aber so wirksame Gifte hat, daß wenig Tropfen davon hinreichen sollen, eine ganze Quelle zu vergiften, so enthält auch Rashleighs Mitteilung eine Lüge, welche die Wahrheit selbst verunstalten könnte. Es ist eine abscheuliche Unwahrheit, daß ich, die ich alle Ursache habe, Rashleigh nur zu gut zu kennen, mich durch irgend einen Umstand auf der Welt bewegen lassen könnte, sein Geschick zu teilen. Nein,« fuhr sie mit einer Art von Schauder fort, der ein unwillkürliches Entsetzen auszudrücken schien; »lieber jedes Los, als dies – der Trunkenbold, der Spieler, der Eisenfresser, der Pferdejunge, der Narr wären tausendmal Rashleigh vorzuziehen; – das Kloster, der Kerker, das Grab wird willkommner sein als sie alle.«

Der Ton ihrer Stimme war traurig und wehmütig, übereinstimmend mit der seltsamen und anziehenden Verwickelung ihres Lebens. So jung, so schön, so unerfahren, so sehr sich selbst überlassen, alles Beistandes beraubt! Aber in der Kühnheit, mit der sie jede Zeremonie verachtete, lag so viel Würde – in dem Mute, mit dem sie jede Falschheit verschmähte, lag so viel Gradsinnigkeit und Stolz – in der Gelassenheit, mit der sie die Gefahren um sich her ins Auge faßte, lag so viel Entschlossenheit – daß sich zu meinem Mitleid die wärmste Bewunderung gesellte.

Ich wollte den Gefühlen der Teilnahme und Bewunderung, mit denen ihre unglückliche Lage und ihr hoher Mut mich erfüllten, Ausdruck verleihen, aber sie legte mir mit einem Male Schweigen auf!

»Ich sagte Euch im Scherz,« sprach sie, »daß ich Schmeicheleien nicht leiden kann – und jetzt sag ich Euch im Ernste, daß ich kein Mitleid begehre und den Trost verachte. Was ich erduldet habe, das hab ich erduldet. Was ich erdulden werde, will ich tragen, wie ich kann; kein mitleidiges Wort vermag die Last des Sklaven, der sie schleppen muß, um eine Feder leichter zu machen. Es gibt nur ein menschliches Wesen, das mir hätte beistehen können, und das statt dessen meinen Kummer nur vergrößert hat: Rashleigh Osbaldistone. Ja, es gab eine Zeit, wo ich diesen Mann hätte lieben lernen können. Aber, großer Gott, die Absicht, warum er sich das Vertrauen eines Wesens erwarb, das bereits so verlassen war, der unverdrossene Eifer, womit er diese Absicht von Jahr zu Jahr verfolgte, ohne einen Augenblick Gewissensbisse oder Reue zu fühlen, die Absicht, in welcher er die Nahrung, die er meinem Geiste darbot, in Gift würde verwandelt haben – gütige Vorsehung! was würde in dieser und in der andern Welt an Leib und Seele aus mir geworden sein, wenn ich den Kunstgriffen dieses vollendeten Bösewichts erlegen wäre!«

Ich war so ergriffen von der treulosen Verräterei, die diese Worte mich durchschauen ließen, daß ich mich von meinem Sitze erhob, kaum wissend, was ich tat, die Hand ans Schwert legte und das Zimmer verlassen wollte, um meinen gerechten Zorn ihn fühlen zu lassen. Fast atemlos und mit Blicken, worin Zorn und Verachtung der lebhaftesten Unruhe gewichen waren, vertrat mir Diana den Weg zur Tür.

»Bleibt,« sprach sie – »bleibt! So gerecht Euer Unwille ist, wißt Ihr doch nicht zur Hälfte die Geheimnisse dieses furchtbaren Gefängnisses.« – Sie blickte hierauf ängstlich umher, und ihre Stimme ward fast ein leises Flüstern: »Er hat ein verzaubertes Leben; er ist gefeit, und Ihr könnt ihn nicht angreifen, ohne andrer Leben in Gefahr zu setzen und Zerstörung zu verbreiten. Wär es anders gewesen, so würde er in einer Stunde gerechter Vergeltung selbst kaum vor dieser schwachen Hand sicher gewesen sein. Ich sagte Euch,« fuhr sie fort, mir wieder meinen Platz anweisend, »daß ich keines Trösters bedürfe – jetzt sag ich Euch, ich bedarf keines Rächers.«

Ich nahm wieder Platz, mechanisch ihre Worte erwägend, und gedachte auch, was mir im ersten Erglühen des Unwillens entgangen war, daß ich durchaus kein Recht hatte, als Dianas Kämpfer aufzutreten. Sie schwieg, bis wir beide uns ein wenig beruhigt hatten und sprach dann gefaßter:

»Ich hab Euch bereits gesagt, Rashleigh steht in Verbindung mit einem gefährlichen und verhängnisvollen Geheimnis. So verworfen er ist, und so sehr er weiß, daß er als überführter Bösewicht vor mir steht, kann ich, darf ich doch nicht offen mit ihm brechen oder ihm Trotz bieten. Auch Ihr, Herr Osbaldistone, müßt ihn mit Geduld ertragen, seinen Kunstgriffen Klugheit, nicht Gewalt, entgegensetzen, und vor allem solche Auftritte vermeiden, wie gestern abend, die ihm nur gefährliche Vorteile über Euch geben können. Diese Warnung wollt' ich Euch erteilen, und es war die Absicht, warum ich diese Unterredung wünschte; aber ich habe mein Vertrauen weiter ausgedehnt, als ich willens war.«

Ich versicherte ihr, daß es nicht verschwendet sei.

»Das glaub ich auch nicht,« erwiderte sie. »Ihr habt etwas in Euren Zügen und Eurem Betragen, das Vertrauen erweckt. Laßt uns Freunde bleiben. Und nun, bitt ich Euch, geht und seht, was aus den Dachsjägern geworden ist. Mein Kopf tut mir so weh, daß ich nicht dabei sein kann.«

Ich verließ die Bibliothek, aber nicht um den Jägern zu folgen. Ich fühlte, daß ich mich ein Weilchen in aller Einsamkeit ergehen müsse, um mich zu beruhigen, ehe ich es wagen durfte, Rashleigh wiederzusehen, dessen berechnete Schlechtigkeit mir so ergreifend geschildert worden war. Der ausgeklügelte Plan, die Erziehung eines verwaisten Mädchens von edler Geburt, das obendrein noch eine so nahe Verwandte war, in die Hand zu nehmen und dabei von vornherein nur den schädlichen Zweck der Verführung im Auge zu haben, wie das auserlesene Opfer mir mit aller Wärme eines tugendhaften Unwillens berichtet hatte, das erschien mir als höchst verwerflich, und ich fühlte, wie schwer es mir sein würde, Rashleigh zu sehen, und dennoch den Abscheu zu unterdrücken, den er mir einflößte. Dies war indessen durchaus notwendig, nicht allein wegen des geheimnisvollen Befehls, den Diana mir gegeben hatte, sondern auch, weil ich in der Tat keinen scheinbaren Grund zum Streit mit ihm hatte.

Ich beschloß daher, Rashleighs Verstellung mit gleicher Vorsicht zu begegnen, so lange wir in derselben Familie lebten, und wenn er nach London reiste, wollte ich wenigstens Owen einen Wink geben, was für einen gefährlichen Burschen er in Rashleigh vor sich habe, damit er ihm gegenüber im Interesse meines Vaters auf der Hut sein sollte. Die Aufgabe war etwas schwierig, besonders in meinen Verhältnissen, da man der Warnung, die ich gab, Eifersucht gegen meinen Nebenbuhler, oder vielmehr meinen Nachfolger in meines Vaters Gunst zu grunde legen konnte. Dennoch, hielt ich es für durchaus notwendig, einen solchen Brief zu schreiben; ich mußte es eben Owen überlassen, die Kenntnis von dem wahren Charakter Rashleighs in der erforderlichen Weise zu verwerten, ich kannte ja Owen als vorsichtig, klug und umsichtig. Der Brief ward also geschrieben und mit der ersten Gelegenheit auf die Post geschickt.

Als ich mit Rashleigh zusammentraf, schien auch er sich entfernt halten und allen Anlaß zu Reibungen vermeiden zu wollen. Er mochte wohl ahnen, daß Fräulein Vernon nichts Vorteilhaftes über ihn gesagt hätte, wenn er auch nicht wissen konnte, daß sie sogar soweit gegangen, all seine ihr gegenüber betätigte Schändlichkeit zu enthüllen. Unser Verkehr war daher von beiden Seiten zurückhaltend und betraf nur Nebensächliches.

Sein Aufenthalt im Schlosse dauerte nur noch wenige Tage, während welcher Zeit mir zweierlei an ihm auffiel. Das erste war die Leichtigkeit und Klarheit, womit sein kräftiger und reger Geist die zu seinem neuen Berufe nötigen Grundkenntnisse auffaßte und bearbeitete, so daß er gelegentlich mit seinen Fortschritten groß tat, als wenn er mir hätte zeigen wollen, wie leicht es ihm sei, eine Last zu heben, die ich aus Ermüdung und Unfähigkeit, sie zu tragen, von mir geworfen hatte. Zweitens erschien es mir sehr absonderlich, daß Diana mit Rashleigh, ungeachtet der Beleidigungen, deren sie ihn bezichtigte, mehrere ziemlich lange, geheime Unterredungen hatte, obwohl sich beide öffentlich nicht herzlicher als gewöhnlich gegen einander zu betragen schienen.

Als der Tag von Rashleighs Abreise herangekommen war, sagte sein Vater ihm gleichgültig Lebewohl; seine Brüder schieden mit der schlecht verhehlten Freude von Schulknaben, die ihren Lehrmeister auf einige Zeit abreisen sehen und ein Vergnügen empfinden, das sie nicht auszudrücken wagen; ich selbst nahm mit kalter Höflichkeit von ihm Abschied. Als er Diana nahte und sie umarmen wollte, wich sie mit einem Blicke stolzer Verachtung zurück, sagte aber, ihm die Hand reichend: »Lebt wohl, Rashleigh! Gott vergelte Euch das Gute, das Ihr mir erwiesen habt, und vergebe Euch das Böse, das Ihr im Schilde geführt habt.«

»Amen, schöne Base!« erwiderte er mit einem Ausdruck von Frömmigkeit, der meines Bedünkens der Bildungsanstalt von St. Omer angehörte: »Selig ist der, dessen gute Absichten die Frucht der Taten tragen, und dessen böse Gedanken in der Blüte verdarben.«

Dies waren seine Abschiedsworte. »Vollendeter Heuchler!« sprach Diana zu mir, als er die Tür hinter sich zumachte. »Wie sehr kann doch, was wir am tiefsten hassen und verachten, dem, was wir am höchsten ehren, dem äußern Wesen nach gleichkommen.«

Ich hatte Rashleigh einen Brief an meinen Vater und auch einige Zeilen an Owen mitgegeben, außer dem bereits erwähnten vertrauten Briefe, den ich auf andre Weise zu bestellen für klüglich hielt.

Es wäre sehr natürlich gewesen, wenn ich meinem Vater all die Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten dargestellt hätte, die ein längerer Aufenthalt in Osbaldistones Haus für einen Mann von meinem Alter, meiner Bildung und meinen Neigungen mit sich bringen mußte. Daß ich aber darüber Schweigen bewahrte, war nicht schwer zu erklären. Dianas ausgezeichnete Schönheit, deren sie sich selbst so wenig bewußt schien, ihre romantische und geheimnisvolle Lage, die Leiden, welchen sie ausgesetzt war, der Mut, womit sie ihnen entgegen zu blicken schien, ihr, mehr als es ihrem Geschlecht geziemte, freies Betragen und die schmeichelhafte Auszeichnung, die sie mir vor jedem andern gab, mußte zugleich meine edelsten Gefühle ansprechen, meine Neugierde erregen, meine Einbildungskraft beschäftigen und meine Eitelkeit befriedigen. Ich wagte es fürwahr nicht, mir selbst zu gestehen, welche lebhafte Teilnahme mir Diana einflößte, oder wie sehr sie meine Gedanken erfüllte. Wir lasen zusammen, gingen, ritten und aßen zusammen. Die Geistesbeschäftigungen, die sie bei ihrem Zwiste mit Rashleigh abgebrochen hatte, erneuerte sie jetzt, unter der Leitung eines Lehrers, der redlichere Absichten, obwohl weit beschränktere Fähigkeiten hatte.

Wie gefährlich es für einen Jüngling von meinem Alter und meinen lebhaften Gefühlen sein mußte, mit einem so liebenswürdigen und so besonders anziehenden Wesen in so vertraulicher Nähe zu leben, wird jeglicher leicht denken können, der sich seiner eignen Gefühle in meinem Alter erinnert.

Vierzehntes Kapitel,

Unsre Lebensweise im Schlosse war sehr einförmig. Diana Vernon und ich brachten viele Stunden mit gemeinschaftlichen geistigen Beschäftigungen zu; die andern Mitglieder der Familie töteten ihre Zeit mit Vergnügungen und Ergötzlichkeiten, wie sie die Jahreszeit darbot, woran auch wir gelegentlich Anteil nahmen. Mein Oheim wurde allmählich mit meiner Gegenwart und Lebensweise so vertraut, daß er mir im ganzen mehr zu- als abgeneigt war. Wahrscheinlich würde ich noch höher in seiner Gunst gestiegen sein, wenn ich mich derselben Kunstbegriffe zu bedienen bemüht hätte, die Rashleigh anwendete, der, seines Vaters Abneigung gegen Geschäfte benutzend, sich nach und nach die Verwaltung seines Vermögens angemaßt hatte. Zwar stand ich meinem Oheim bereitwillig mit meiner Feder und Rechenkunst bei, so oft er an einen Nachbar schreiben oder mit einem Pächter sich berechnen wollte, und war ihm insofern nützlicher als einer seiner Söhne; allein ich hatte keine Lust, ihn gänzlich der Führung seiner Angelegenheiten zu entheben, so daß der gute Ritter, während er angab, der Vetter Franz sei ein wackrer, behender Bursche, gewöhnlich in demselben Atem zu bemerken pflegte: er habe nicht geglaubt, daß ihm Rashleigh so sehr an allen Ecken und Enden fehlen werde.

Ich habe bereits erwähnt, wie wenig Thorncliff, während die andern Vettern sich halbwegs freundlich gegen mich zeigten, mich leiden konnte. Er hatte zwar etwas mehr Verstand, aber auch eine weit schlimmere Gemütsart als seine Brüder. Mürrisch, tückisch und zänkisch, hielt er meinen Aufenthalt im Schlosse für etwas Aufgedrungenes und sah mit neidischen, eifersüchtigen Blicken meine Freundschaft mit Diana Vernon, die nach einer gewissen Familienübereinkunft zu seiner Braut bestimmt war. Daß er sie liebte, läßt sich kaum sagen, allein er betrachtete sie sozusagen als sein Eigentum und ärgerte sich innerlich, daß man ihm in den Weg trat, und wußte dabei doch auch kein Mittel, es zu verhüten oder zu verhindern. Ich versuchte bei mehreren Gelegenheiten einen versöhnlichen Ton gegen ihn, doch er erwiderte mein Entgegenkommen ungefähr so freundlich wie ein knurriger Schäferhund, den ein Fremder liebkosen will. Ich überließ ihn daher seiner übeln Laune und gab mir weiter keine Mühe.

Auf diesem Fuße stand ich mit der Familie im Schlosse; doch muß ich noch eines andern Bewohners erwähnen, mit welchem ich mich gelegentlich unterhielt. Dies war Andreas Gutdienst, der Gärtner, welcher, seit er wußte, daß ich Protestant war, mich selten vorübergehen ließ, ohne mir seine schottische Dose darzubieten.

»Ich war,« sprach er eines Abends mit bedeutsamer Miene zu mir, »heute unten im Dorfe, mein Herr.«

»Gut, Andreas; und Ihr habt vermutlich etwas Neues gehört?«

»Den Hausierer Macready habe ich getroffen, und er hat mir erzählt, in London sei der Teufel los, und einen großen Krakehl wegen dem Felleisen, das jenem Kerl, dem Morris, abhanden gekommen sein soll, hätte es im Parlament gesetzt.«

»Im Parlament! Wie sollte denn der Fall vors Parlament gekommen sein?«

»Ja, das sagt ich auch. – Patrick, sagt ich, was haben die Lords und die Herren in London mit dem Kerl und seinem Felleisen zu schaffen? Wenn wir ein schottisches Parlament hätten, machte es Gesetze für Stadt und Land und bekümmerte sich nicht um Dinge, die vor einen gewöhnlichen Richter gehören; aber ich glaube, wenn hier ein altes Weib ihrer Nachbarin einen Topf wegnähme, so würden sie im Parlament von London davon sprechen. Es ist ebenso toll, sagt ich, wie hier mit unserm alten Herrn und seinen Söhnen, Jägern und Hunden, die tagelang einer ärmlichen Bestie nachjagen, die nicht sechs Pfund schwer ist, wenn sie sie fangen.«

»Vortrefflich geschlossen, Andreas,« sprach ich, um ihn zu genauem Bericht aufzumuntern; »und was sagte Macready?«

»O, er sagte, was man Besseres von dem engländischen Pudding-Volke erwarten könne? Doch auf den Raub zu kommen. – Nachdem sich vermutlich die Whigs und die Torys gestritten und geschimpft hatten wie die ungehängten Diebe, stand einer unter ihnen auf und sagte, daß in Nord-England lauter Erz-Jakobiten wären – worin er auch wohl nicht unrecht hat – und sie hätten einen offnen Krieg angefangen und einen königlichen Boten auf der Landstraße angehalten und beraubt, und die vornehmsten Edelleute in Northumberland wären dabei gewesen, und man hab' ihm vieles Geld und mehrere wichtige Schriften abgenommen. Der beraubte Mann hätte kein Recht erhalten können; denn bei dem ersten Friedensrichter, zu dem er gegangen, hab er die beiden Burschen, welche die Tat verübt, schmausend angetroffen, und der Richter habe ihnen das Wort geredet, so daß der ehrliche Mann, der um sein Geld gekommen sei, das Land schleunigst verlassen habe, damit es ihm nicht noch schlimmer erginge.«

»Kann dies wirklich wahr sein?« fragte ich.

»Patrick schwört darauf. Und als dieser Mann das Schlimmste gesagt hatte, war ein gewaltiges Geschrei von Namen, und man nannte diesen Mann Morris und Euren Oheim und Junker, Inglewood und noch andre Leute« – setzte Andreas mit einem schlauen Blick auf mich hinzu. – »Und dann erhob sich jemand von der andern Seite und sagte, man solle nicht die besten Edelleute im Lande auf den Eid einer feigen Memme anklagen, denn dieser Morris sei vom Heer in Flandern davon gelaufen, und die Geschichte sei wahrscheinlich zwischen ihm und dem Minister ausgemacht gewesen, ehe er London verlassen, und wenn man Haussuchung tun wollte, würde man das Geld nicht weit vom königlichen Schlosse finden. Währenddessen brachten sie Morris vor die Schranken, um zu hören, was er zu der Sache sagen könnte; aber die Leute, die gegen ihn waren, machten ein so arges Gerede von seinem Davonlaufen, und von allem Bösen, was er bisher in seinem Leben getan oder gesagt hatte, daß er, wie Patrick erzählt, mehr tot als lebendig aussah, und sie konnten kein vernünftiges Wort aus ihm herausbringen, so große Angst hatte er vor ihnen, weil sie so furchtbaren Krakehl machten.«

»Und was war das Ende von allem? Hat es Euer Freund erfahren?«

»Ei ja; denn Patrick schob seine Reise hierher etwa eine Woche lang auf, weil es seinen Kunden angenehm sein würde, die Neuigkeit zu hören. Der Mensch, der zuerst gesprochen hatte, zog die Hörner ein und sagte, er glaube wohl, daß der Mann beraubt worden sei, aber er könne sich in den einzelnen Umständen geirrt haben. Und dann trat der andre auf und äußerte, es sei ihm einerlei, ob man Morris beraubt habe oder nicht, wenn nur keines braven Mannes Ehre und Ruf dadurch befleckt werde, besonders in Nord-England; denn er komme selbst daher, und wisse wohl, wie's da aussehe. Nachdem nun im Unterhause über Morris und seine Beraubung gesprochen und gestritten worden, bis man es überdrüssig war, kams zu den Lords, und die ergriffen die Sache so eifrig, als wenn sie ganz nagelneu gewesen wäre. Nebenbei sprach man auch von einem gewissen Campbell, der mehr oder weniger beim Raub im Spiel gewesen sein sollte und der ein gutes Zeugnis vom Herzog von Argyle gehabt hatte. Morris' Geschichte wurde für eine bösliche Verleumdung erklärt, und wenn er nicht Bürgschaft geleistet hätte, wär er vielleicht deshalb an den Pranger gekommen.«

Mit diesen Worten nahm der wackre Andreas seine Hacken, Spaten und Rechen zusammen und warf sie in den Schubkarren, jedoch gemächlich genug, um mir Zeit zu lassen, weitre Fragen zu tun, ehe er sie fortschaffte.

»Ich hätte gern den Hausierer gesprochen und von ihm selbst seine Neuigkeiten erfahren. Ihr habt wahrscheinlich gehört, daß die abgeschmackte Torheit dieses Morris mir Unannnehmlichkeiten verursacht hat,« – Andreas verzog sein Gesicht zu bedeutungsvollem Lächeln – »und ich möchte daher den Hausierer genau wegen des Vorgangs in London befragen, wenn es keine Umstände weiter macht.«

»Nichts ist leichter,« bemerkte der Gärtner; »ich darf meinem Vetter nur einen Wink geben, daß Ihr ein Paar Strümpfe braucht, so wird er aufs schnellste herbeieilen.«

»O ja; versichert ihm, daß er ein Geschäft mit mir machen kann, und da die Nacht schön und heiter ist, will ich im Garten auf und ab gehen, bis er kommt; der Mond wird bald aufgehen. Ihr könnt ihn durch die kleine Hinterpforte führen, und ich werde indessen die Sträuche und Immergrün-Hecken im Glanze des herbstlichen Mondlichts betrachten.«

Ich ging in dem alten Schloßgarten auf den weichen, kurzverschnittnen Rasengängen, die mit hohen Hecken von Taxus und Stechpalmen eingefaßt waren, auf und ab. Ich erhob meine Augen zu den Fenstern des Büchersaales, die, klein aber zahlreich, sich längs des zweiten Stockwerks an der Seite des Hauses reihten, die mir jetzt entgegen stand. Sie waren erleuchtet. Es überraschte mich nicht, denn ich wußte, daß Diana oft des Abends darin verweilte, obwohl ich aus Gründen des Zartgefühls mir es streng auferlegt hatte, sie nie zu einer Zeit dort aufzusuchen, wo ich wußte, daß die übrigen Mitglieder der Familie bei einander saßen und uns niemand stören konnte. In den Morgenstunden lasen wir in diesem Zimmer gewöhnlich zusammen; doch es traf sich dann oft, daß einer oder der andre unsrer Vettern hereinkam, um ein Pergamentbändchen zu suchen, das, trotz seiner Vergoldungen und Ausmalungen, zu einem Angelhaken benutzt werden konnte, oder uns von einer geplanten Jagd zu erzählen, oder auch bloß aus Mangel an anderm Zeitvertreibe. Kurz, während des Morgens war der Büchersaal eine Art gemeinschaftlichen Treffpunktes. In den Abendstunden war es anders, und ich machte selbst in aller zarten Rücksicht Diana darauf aufmerksam, daß, so oft wir des Abends lesen wollten, die Gegenwart eines Dritten schicklich sei.

Hierzu wurde dann in der Regel Martha, die alte Haushälterin, ersehen; die andern Dienstboten vermieden es, bei Nacht in dieses Zimmer zu kommen, weil es auf der Seite des Hauses lag, wo es nach ihrer törichten Meinung nicht geheuer war. Die Furchtsamsten wollten dort Gesichter gesehen und Töne gehört haben, wenn alle Hausgenossen zur Ruhe waren, und selbst meine jungen Vettern hatten keine Lust, nach angebrochner Dunkelheit in jenen furchtbaren Bezirk einzutreten, sofern sie nicht etwas Wichtiges dort zu tun hatten. Daß der Büchersaal einige Zeit Rashleighs Lieblingsaufenthalt gewesen war, und eine besondre Tür aus demselben in das abgelegene Gemach führte, welches er für sich gewählt hatte, gereichte eher zur Erhöhung als zur Verminderung des Grauens der Dienerschaft vor diesem furchtbaren Saale. Rashleighs ausgebreitete Kunde von allem, was in der Welt vorging, seine tiefen Kenntnisse in jeder Wissenschaft, einige physikalische Experimente, die er gelegentlich vorgemacht hatte, waren für die unwissenden und abergläubischen Bewohner das Schlosses hinreichende Gründe, ihm Gewalt über die Geisterwelt zuzuschreiben. Er verstand Griechisch, Lateinisch und Hebräisch, und brauchte daher, wie sein Bruder Wilfred sagte, weder vor Geistern noch Gespenstern, Teufeln oder Kobolden sich zu fürchten. Ja, die Diener behaupteten, sie hätten im Büchersaale Gespräche halten hören, wenn jeder sterbliche Mensch im Schlosse zur Ruhe gewesen wäre, und er habe die ganze Nacht über auf Gespenster gewartet und dann erst am Vormittag geschlafen, anstatt, wie ein echter Osbaldistone, die Hunde herauszuführen.

Ich war daher nicht verwundert, die Fenster des Büchersaales erhellt zu sehen, fühlte mich aber ein wenig betroffen, als ich deutlich den Schatten von zwei Gestalten bemerkte, der vor dem Fenster sich bewegte und es einen Augenblick verdunkelte. Es muß die alte Martha sein, welche diesen Abend mit dort zubringen soll, dachte ich, oder ich muß mich geirrt

haben und Dianas Schatten für eine zweite Gestalt gehalten haben. Nein, beim Himmel, es erscheint am zweiten Fenster. Ganz deutlich zwei Gestalten! Nun verlieren sie sich – jetzt sind sie am dritten – am vierten Fenster. Wen kann Diana bei sich haben? – Die Bewegung der Schatten zwischen dem Lichte und den Fenstern wiederholte sich zweimal, als ob ich mich hätte überzeugen sollen, daß meine Beobachtung richtig sei, worauf die Lichter ausgelöscht wurden und die Schatten verschwanden.

So unbedeutend dieser Umstand war, beschäftigte er doch meine Seele eine geraume Zeit. Ich gestattete mir nicht vorauszusetzen, daß meine Freundschaft für Fräulein Vernon irgend eine selbstsüchtige Absicht habe; aber ich empfand einen unbeschreiblichen Unmut bei dem Gedanken, daß sie einem andern Zusammenkünfte gestattete, zu einer Zeit und an einem Orte, wo ich es für unschicklich hielt, sie zu besuchen, wie ich um ihrer selbst willen ihr zu zeigen bemüht gewesen war.

»Törichtes, leichtsinniges, unachtsames Mädchen!« sprach ich zu mir selbst, »bei welchem aller gute Rat, alles Zartgefühl weggeworfen ist. Ich habe mich hintergehen lassen durch die Einfalt ihres Betragens, die sie wohl ebenso leicht annehmen kann, als einen Strohhut von der neusten Mode.«

Ich hatte mich nicht lange mit diesem unangenehmen Gegenstande beschäftigt, als die Hintertür des Gartens aufging, und Andreas und sein Landsmann, mit seinem Warenbündel beladen, im Mondschein herbeikamen.

Ich fand in Macready, wie ich erwartet hatte, einen rauhen, verschmitzten Schottlander, einen echten und rechten Neuigkeitstkrämer. Er konnte mir eine bestimmte Nachricht von allem geben, was im Ober- und Unterhause in der Morris'schen Angelegenheit vorging, die, wie es schien, von beiden Seiten als Prüfstein gebraucht ward, um die Stimmung des Parlaments zu erforschen. Das Ministerium war schwach genug gewesen, eine Geschichte zu behaupten, worin angesehene und wichtige Männer verwickelt waren, und die auf der Aussage eines Menschen von so unbedeutendem Ruf wie Morris beruhte, der überdies verworren und widersprechend in seiner Angabe war. Macready konnte mir sogar eine gedruckte Nachricht der Verhandlungen, die man selten außer der Hauptstadt fand, und die ebenfalls gedruckte Rede des Herzogs von Argyle mitteilen.

Ob etwas Ehrenrühriges wider mich selber vorgebracht worden sei, konnte ich nicht mit Bestimmtheit erfahren; aber es ließ sich vermuten, daß die Ehre der Familie meines Oheims angetastet worden war; und Morris hatte angegeben, daß von den beiden, die ihn überfallen hätten, allein gerade der Mann namens Campbell der eigentlich tätige Räuber gewesen sei, und daß gerade eben dieser Campbell vorm Richter erschienen sei und ein Wort zu gunsten eines Herrn Osbaldistone eingelegt hätte, der daraufhin von dem Richter auch bereitwilligst freigegeben worden sei.

Bestürzt und voll Unmut über die seltsame Geschichte, entließ ich die beiden Schottländer, nachdem ich Macready etwas abgekauft hatte, und eilte in mein Zimmer, um zu erwägen, was bei diesem öffentlichen Angriff auf meinen Charakter meinerseits am besten und schicklichsten zu tun sei.

Fünfzehntes Kapitel

Nach einer schlaflosen Nacht, die ich im Nachdenken über die empfangenen Nachrichten zugebracht hatte, war ich erst der Meinung, ich müsse schleunigst nach London zurückkehren und mich persönlich mit der wider mich vorgebrachten Verleumdung befassen. Ich mochte mich aber zu diesem Schritte doch nicht recht entschließen, denn ich bedachte, daß mein Vater mir wohl, am besten raten könnte, wie ich mich zu verhalten hätte. Da er ferner die vornehmsten Herren von der Whigpartei, die damals das Ruder führte, persönlich kannte, war er sicher in der Lage, sich in meiner Angelegenheit Gehör zu verschaffen. Ich hielt es daher für das Sicherste, ihm meine ganze Geschichte schriftlich mitzuteilen, und da nur selten zwischen dem Schlosse und der Post Verkehr stattfand, so beschloß ich, selbst zur nächsten Station zu reiten und meinen Brief aufzugeben.

In der Tat fing es an mich zu befremden, daß ich nach einer Abwesenheit von mehreren Wochen weder von meinem Vater noch von Owen einen Brief erhalten hatte, obgleich Rashleigh seine glückliche Ankunft in London mit dem freundlichen Empfang im Hause seines Oheims gemeldet hatte. Am Schlusse meines Briefes führte ich daher an, daß ich ernstlich auf ein paar Zeilen von seiner Hand hoffte, um mir seinen Rat und seine Vorschriften in einer etwas schwierigen Sache zu erteilen, in der meine Lebenserfahrung mir nicht hinreichend erschiene. Ich konnte es unmöglich über mich gewinnen, jedoch bat ich um Erlaubnis, wenigstens auf kurze Zeit nach London kommen zu dürfen, um die schändlichen Lästerungen zu widerlegen, die so öffentlich gegen mich verbreitet waren. Nachdem ich meinen Brief vollendet hatte, ritt ich zur Post-Stadt, ihn abzugeben, wo ich folgendes Schreiben von meinem Freund Owen vorfand:

»Werter Herr Franz!

Habe Dero Zuschrift durch Güte des Herrn R. Osbaldistone erhalten und den Inhalt bemerkt. Werde dem Herrn R. O. alle Höflichkeiten erweisen, und habe ihm die Bank und das Zollhaus gezeigt. Er scheint ein verständiger, wackrer junger Mann und ergreift das Geschäft; wird daher der Firma von Nutzen sein. Würde gewünscht haben, eine andre Person hätte ihr Gemüt auf diesen Weg gelenkt, aber des Herrn Wille geschehe! Da in dortiger Gegend Kassa selten sein möchte, so verhoffe, Ihr werdet entschuldigen, daß ich einen Wechsel, zahlbar sechs Tage nach Sicht, auf die Herren Hooper und Girder in Newcastle für hundert Pfund einschließe, der ohne Zweifel gebührend honoriert werden wird. – Verbleibe pflichtgemäß, teurer Herr Franz, Euer ehrerbietiger und gehorsamer Diener

Joseph Owen.«

»Postskriptum. Verhoffe, Ihr wolltet richtigen Empfang des Obigen melden. Bedaure, daß wir so wenig von Euch haben. Euer Vater sagt: Es gehe ihm, wie sonst; sieht aber kummervoll dabei aus.«

Mit Befremden fand ich in diesem Schreiben nicht des vertraulichen Briefes erwähnt, den ich an Owen mit der Absicht geschrieben hatte, ihn mit Rashleighs Sinnesart bekannt zu machen, und doch mußte er denselben, dem Postlaufe nach, empfangen haben. Dennoch hatte ich ihn mit der gewöhnlichen Gelegenheit vom Schlosse abgeschickt, und keinen Grund, zu fürchten, daß er unterwegs verloren gehen könne. Da dessen Inhalt sowohl für meinen Vater als für mich von großer Wichtigkeit war, so schrieb ich sogleich im Posthause von neuem an Owen, wiederholte die Hauptsachen des frühern Briefes, und bat, mit nächstem mir zu melden, ob er ihn erhalten habe. Ich bescheinigte auch den Empfang des Wechsels und hielt es in der Tat für seltsam, daß mein Vater es seinem Buchhalter überließ, für meine Bedürfnisse zu sorgen; allein ich schloß, es wäre unter ihnen ausgemacht worden. Owen war unverheiratet, verfügte über ein verhältnismäßig stattliches Vermögen und war mir herzlich ergeben, so daß ich kein Bedenken trug, ihm für eine kleine Summe verbunden zu sein, die ich als ein Darlehen betrachtete, und, sobald es mir möglich, zurückgeben wollte, wenn es nicht früher durch meinen Vater geschehen würde. In diesem Sinne schrieb ich an Owen. Ein Krämer in der kleinen Stadt, an den mich der Postmeister wies, zahlte mir willig den Betrag des Wechsels in Gold, und ich kehrte weit reicher nach dem Schlosse zurück, als ich es verlassen hatte. Als ich im Schlosse eintraf, war Herr Hildebrand mit allen seinen Söhnen in ein nahes Dorf gegangen, wie mir der Gärtner erzählte, um einen Hahnenkampf zu sehen.

»'s liegt auch nicht viel daran,« setzte er hinzu, »was die Leute mit dem Hahnenvieh machen, denn sie kratzen und scharren in den Gärten, daß man keine Bohne oder Erbse vor ihnen erhalten kann. – Aber ich möchte wissen, wer die Turmtüre offen gelassen hat; jetzt, da Rashleigh fort ist, kann er's doch nicht gewesen sein.«

Die Turmtüre, worauf er deutete, ging in den Garten am Fuß einer Wendeltreppe, die zu Rashleighs abgelegnem Zimmer führte, das, wie ich bereits erwähnte, durch eine geheime Tür mit der Bibliothek, und durch einen dunkeln, gewölbten Gang mit dem übrigen Hause zusammenhing. Ein langer, schmaler Rasenweg führte zwischen zwei hohen Stechpalmenhecken von der Turmtür zu einer kleinen Hinterpforte in der Gartenmauer. Auf diese Weise konnte Rashleigh, der stets seine eignen Wege gegangen war, die Halle verlassen und sie wieder betreten, ohne daß sein Verschwinden oder Erscheinen aufgefallen wäre. In seiner Abwesenheit wurden aber Treppe und Turmtür gar nicht gebraucht, und so war die Verwunderung des Gärtners in der Tat begründet.

»Habt Ihr diese Tür öfters offen gesehen?« fragte ich.

»Just nicht oft; aber doch einmal oder zweimal. Ich denk, es muß der Priester gewesen sein, Pater Vaughan, wie sie ihn nennen. Keiner der Diener wird Euch diese Treppe hinauf gehen, aus Furcht vor Gespenstern und Kobolden. Aber Pater Vaughan glaubt ein Vorrecht zu haben. Ich stehe dafür, der geringste Seelenhirt, der je eine Predigt in Schottland hervorbrachte, würde einen Geist zweimal so schnell bannen, als der Priester mit seinem Weihwasser und seinem abgöttischen Tand. Er mag wohl auch nicht gut Latein sprechen; wenigstens versteht er mich kaum, wenn ich ihm die gelehrten Namen der Pflanzen sage.«

Von Pater Vaughan, der seine Zeit und geistliche Sorgfalt zwischen dem Schlosse und den Häusern eines halben Dutzends katholischer Edelleute in der Umgegend teilte, hab ich noch nichts gesagt, weil ich ihn nur wenig gesehen hatte. Er war ungefähr sechzig Jahre alt und, wie man mir zu verstehen gab, aus einem guten Hause in Schottland, von imposanter, Ehrfurcht gebietender Erscheinung und unter den Katholiken in Northumberland sehr geschätzt als ein würdiger und redlicher Mann. Dennoch fehlten ihm nicht gänzlich jene Eigenheiten, die seinem Stande eigen sind. Es haftete seiner Person eine gewisse mysteriöse Manier an, die in den Augen eines Protestanten wie Priesterbetrug erschien. Die Bewohner des Schlosses betrachteten ihn weit mehr mit Furcht, oder wenigstens Ehrfurcht, als Zuneigung. Er verdammte offenbar ihre Gelage, die einigermaßen eingeschränkt waren, wenn der Priester im Schlosse sich aufhielt.

Pater Vaughan stand auf gutem Fuße mit Rashleigh, sonst wäre wohl im Schlosse nicht seines Bleibens gewesen. Aus diesem Grunde fand ich kein Verlangen, seine Freundschaft zu suchen, und da ihm ebensowenig an der meinigen gelegen zu sein schien, so beschränkte sich unser gelegentlicher Verkehr nur auf gegenseitige Höflichkeiten. Ich hielt es für höchst wahrscheinlich, daß der Pater bei seinem Aufenthalt im Schlosse Rashleighs Zimmer bewohnte, und nach seinem Stande ließ sich vermuten, daß er auch wohl die Bibliothek besuchte. Nichts war daher wahrscheinlicher, als daß sein Licht am vorhergehenden Abend meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich erinnerte mich dabei unwillkürlich, daß Diana mit dem Priester in einem gewissermaßen ebenso geheimnisvollen Verkehr wie mit Rashleigh stand. Nie hatte sie mir Vaughans Namen genannt oder nur auf ihn hingedeutet, außer bei unserm ersten Zusammentreffen, wo sie den alten Priester und Rashleigh als die einzigen umgänglichen Wesen im Schlosse, außer sich selbst, bezeichnete. Wenn sie aber auch über den Pater nichts sprach, so war sie doch jedesmal, wenn er im Schlosse erschien, in angstvoller, zaghafter Stimmung, die erst dann von ihr wich, wenn sie ein paar bedeutsame Blicke miteinander gewechselt hatten.

Ich erinnere mich, einige Male gesehen zu haben, daß sie einander Zeichen machten, die ich damals für Winke über die Beobachtung irgend einer religiösen Zeremonie gehalten hatte, weil ich wußte, wie schlau die katholischen Priester überall und zu allen Zeiten ihren Einfluß auf die Gemüter ihrer Anhänger behaupten. Jetzt aber war ich geneigt, diesen Mitteilungen eine tiefere, und geheimnisvollere Bedeutung beizulegen. Hatte er geheime Zusammenkünfte mit Fräulein Vernon in der Bibliothek? und, wenn das der Fall war, in welcher Absicht? Und warum sollte sie mit dem Vertrauten des treulosen Rashleigh in so vertraulichem Verkehr stehen?

Sechzehntes Kapitel

Die Gefühle von Teilnahme und Eifersucht, welche Dianas sonderbare Lage in mir erregte, machten mich zu einem so scharfen Beobachter ihrer Blicke und Handlungen, daß es ihrem Scharfsinn nicht entging, so viel ich mir auch Mühe gab, es zu verbergen. Das Bewußtsein, von meinen Blicken beobachtet oder vielmehr bewacht zu werden, schien ihr Verlegenheit, Pein und Unmut zu verursachen. Zuweilen war es, als suche sie eine Gelegenheit, ihre Empfindlichkeit über ein Betragen zu äußern, das ihr beleidigend sein mußte, wenn man in Betracht zog, wie offen sie von den Schwierigkeiten gesprochen hatte, die sie umringten. Manchmal schien sie sich fest vorgenommen zu haben, darüber zu sprechen, aber entweder verließ sie der Mut, oder irgend ein andres Gefühl hielt sie ab, Aufklärung zu verlangen. Ihr Unmut verflog in einer witzigen Antwort, und ihre Klagen erstarben auf ihren Lippen. Wir standen in einem sonderbaren Verhältnisse zu einander. Einen großen Teil unsrer Zeit, nach beiderseitiger Wahl, mit einander zubringend, verhehlten wir doch unsre gegenseitigen Gefühle, und des einen Tun reizte den andern zur Eifersucht oder Empfindlichkeit. Es war Vertraulichkeit zwischen uns ohne Vertrauen; auf der einen Seite Liebe ohne Hoffnung oder Zweck und Neugier ohne einen vernünftigen und angemessenen Beweggrund; auf der andern Seite Verlegenheit und Zweifel, wozu sich gelegentlich Unmut gesellte. Dennoch glaub ich, daß diese Erregung der Leidenschaften, die fortdauernd durch tausend anreizende und anziehende, wenn auch unbedeutende Umstände, immerwährend uns einander näher führte, dazu beitrug, die Neigung zu erhöhen, die uns gegenseitig anzog. Aber Diana besaß einen zu ausgebildeten und bestimmten Charakter, als daß sie über ihrer Liebe zu mir hätte vergessen sollen, was ihr die Pflicht, und was ihr die Klugheit gebot, und sie bewies mir dies in einer Unterredung, die wir um diese Zeit hatten.

Wir saßen zusammen in der Bibliothek. Diana blätterte in einer Ausgabe des »Rasenden Roland«, die mir gehörte, als ein beschriebnes Blatt herausfiel. Ich wollte es schnell aufheben, allein sie kam mir zuvor.

»Es sind Verse,« sprach sie, auf das Papier blickend, und indem sie es zögernd entfaltete, als ob sie meine Antwort erwarten wollte, fuhr sie fort: »Darf ich so frei sein? – O wenn Ihr errötet und stammelt, muß ich Eurer Bescheidenheit Gewalt antun, und die Erlaubnis voraussetzen.«

»Es ist nicht wert, daß Ihr es lest – ein Brocken von einer Uebersetzung. – Mein teures Fräulein, es würde ein zu strenger Ausspruch erfolgen, wenn Ihr, die Ihr mit der Urschrift so wohl bekannt seid, im Gerichte sitzen solltet.«

»Mein ehrlicher Freund,« erwiderte Diana, »wenn Ihr guten Rat von mir annehmen wollt, so ködert Eure Angel nicht mit zu viel Bescheidenheit; denn es gilt zehn gegen eins, Ihr fangt nicht eine einzige Schmeichelei damit. Ihr wißt, ich gehöre zu dem unbeliebten Geschlechte der Wahrheitssager, und Apollo selbst würde keine Schmeichelei über seine Leier erhalten.«

Nach diesen Worten las sie die erste Stanze, aber schon nach wenigen Zeilen brach sie mit den Worten ab: »Das geht ja endlos fort. Ist mir viel zu lang!«

»Auch wohl kaum Eurer Aufmerksamkeit wert, Fräulein,« sprach ich etwas empfindlich, und nahm ihr das Blatt weg, das sie mir ohne Widerstreben überließ. »Und dennoch,« fuhr ich fort, »dürfte ich mir zuweilen hier in meiner abgesonderten Lage wohl kaum in bessrer Weise die Zeit vertreiben können, als wenn ich, versteht sich nur zu meinem eignen Vergnügen, die Übersetzung dieses bezaubernden Dichters wieder vornähme, die ich vor einigen Monaten am Ufer der Garonne begann.«

»Es fragt sich nur,« sprach Diana, »ob Ihr Eure Zeit nicht doch zu etwas Besserm verwenden könntet.«

»Ihr meint, zu eignen Arbeiten?« sagte ich höchst geschmeichelt; »doch aufrichtig gesprochen, mein Geist versteht sich mehr darauf; Worte und Reime zu finden, als Gedanken; daher fühl ich mich glücklich, die zu brauchen, welche mir Ariosto in die Hände liefert. Aber die Aufmunterung, die Ihr mir gebt, Fräulein –

»Verzeiht, Franz; ich gebe keine Aufmunterung, sondern Ihr nehmt sie. Ich meinte, weder eigne Arbeiten noch Uebersetzung, als, ich glaubte, Ihr könntet Eure Zeit weit besser anwenden, als zu beiden. Ihr seid empfindlich,« fuhr sie fort, »und es tut mir leid, Euch gekränkt zu haben. Aber seid mir nicht böse, wenn ich Eure Empfindungen noch höher auf die Probe stelle; was ich zu sagen habe, wird Euch vielleicht noch mehr verletzen.«

»Ich fühlte, wie kindisch mein Betragen und wie sehr Diana mir überlegen war, und gab ihr die Versicherung, daß sie nicht zu fürchten brauche, mich durch ihren Tadel, dessen freundliche Absicht ich kenne, unwillig zu machen.«

»Das war aufrichtig gemeint und gesprochen,« erwiderte sie. »Ich wußte wohl, daß der Dämon der Dichterempfindlichkeit mit dem kleinen, der Erklärung vorhergehenden Husten, entfliehen würde. Und nun muß ich ernsthaft sein. – Habt Ihr kürzlich etwas von Eurem Vater gehört?«

»Nicht ein Wort,« erwiderte ich. »Seit meinem hiesigen Aufenthalte von mehreren Monaten hat er mich nicht mit einer einzigen Zeile beehrt.«

»Das ist seltsam! Ihr seid ein sonderbares Geschlecht, Ihr kühnen Osbaldistones. – Also wißt Ihr nicht, daß er nach Holland gegangen ist, um dringliche Angelegenheiten zu ordnen, die seine Gegenwart erheischten?«

»Das ist das erste, was ich höre.«

»Dann ist es jedenfalls auch eine Neuigkeit für Euch – und gewiß keine sehr unangenehme – daß er Rashleigh bis zu seiner Rückkehr fast die gänzliche Leitung seiner Angelegenheiten überlassen hat.«

Erschrocken konnte ich meine Überraschung und Besorgnis nicht unterdrücken. »Ihr habt Grund, beunruhigt zu sein,« sprach Diana sehr ernst. »Wäre ich an Eurer Stelle, so würde ich die Gefahren zu verhüten suchen, die aus einer so unerwünschten Anordnung entstehen.«

»Und wie ist dies mir möglich?«

»Alles ist dem möglich, der Mut und Tatkraft hat,« sprach sie mit einem Blicke, der an die Heldinnen der Ritterzeit erinnerte, deren Aufmunterung den Kämpfern doppelten Mut in der Stunde der Gefahr erteilte, »aber dem Furchtsamen und Zögernden ist alles unmöglich, weil es so scheint.«

»Und welchen Rat, Fräulein Vernon, gebt Ihr mir?« fragte ich, ihre Antwort wünschend und fürchtend.

Sie schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie mit festem Tone: »Daß Ihr sogleich das Schloß verlaßt und nach London zurückkehrt. Ihr seid vielleicht,« fuhr sie sanfter fort, »schon zu lange hier gewesen; doch das war nicht Eure Schuld. Jeder nun folgende Augenblick, den Ihr hier verschwendet, wird ein Verbrechen sein. Ja, ein Verbrechen, denn ich sage Euch geradezu, wenn Euer Vater seine Angelegenheiten lange in Rashleighs Händen läßt, so könnt Ihr seinen Untergang für ausgemacht halten.«

»Wie wäre das möglich?«

»Keine Fragen,« sprach sie; »aber glaubt mir, Rashleighs Absichten erstrecken sich weit hinaus über den Besitz oder die Vermehrung des Handelsreichtums. Er wird Eures Vaters Einkünfte und Güter nur zum Mittel machen, seine eigennützigen und weit ausgedehnten Pläne auf die Beine zu bringen. So lange Euer Vater in England blieb, war dies unmöglich; während seiner Abwesenheit wird Rashleigh viele Gelegenheiten haben, und er wird nicht versäumen, sie zu benutzen.«

»Aber wie kann ich, der ich in Unfrieden mit meinem Vater lebe und von aller Aufsicht über seine Angelegenheiten ausgeschlossen bin, durch meine bloße Gegenwart in London die Gefahr abwenden?«

»Diese Gegenwart allein wird viel tun. Euer Anspruch auf Mitwissenschaft ist ein Teil Eures Geburtsrechtes, und unveräußerlich. Auf den Beistand des ersten Buchhalters Eures Vaters und seiner vertrauten Freunde und Handelskollegen könnt Ihr ohne Zweifel rechnen. Und vor allem, Rashleighs Entwürfe sind von einer Art, die –« sie hielt plötzlich inne, als fürchte sie zu viel zu sagen – »Kurz,« fuhr sie fort, »sie sind von der Art aller eigennützigen und gewissenlosen Pläne, welche schnell aufgegeben werden, sobald diejenigen die sie hegen, gewahr werden, daß sie entdeckt und bewacht sind. Daher mit den Worten Eures Lieblingsdichters:

»Zu Roß! Zu Roß! laßt Zweifel den Verzagten!«

Ein unwiderstehliches Gefühl bewog mich zu der Antwort: »O, Diana! könnt Ihr mir raten, das Schloß zu verlassen? – Dann habe ich fürwahr schon zu lange hier verweilt.«

Sie errötete, fuhr aber mit großer Festigkeit fort: »Ich gebe Euch allerdings den Rat – nicht das Schloß zu verlassen, sondern auch, nie dahin zurückzukehren. Ihr habt nur eine Freundin daselbst zu beklagen,« sprach sie weiter, und zwang sich zu lachen, »und diese ist längst gewohnt, ihre Freundschaft und was ihr Trost gibt, der Wohlfahrt andrer aufzuopfern. In der Welt werdet Ihr Hunderte finden, deren Freundschaft ebenso uneigennützig sein wird, und weit vorteilhafter, weniger gehemmt durch widrige Verhältnisse, weniger beeinflußt durch böse Zungen und böse Zeiten.«

»Nie!« rief ich aus, »nie! Die Welt kann mir nicht ersetzen, was ich hier zurücklassen muß.« – Ich faßte ihre Hand und drückte sie an meine Lippen.

»Das ist Torheit!« rief sie – »das ist Wahnsinn!« und sie versuchte, mir ihre Hand zu entziehen, aber sie tat es nur zögernd, so daß ich sie fast eine Minute hielt. »Hört mich, Herr Osbaldistone,« sprach sie, »und bezähmt diesen unmännlichen Ausbruch der Leidenschaft. Ich bin durch feierlichen Vertrag eine Braut des Himmels, wenn ich mich nicht lieber der Schlechtigkeit in Rashleigh Osbaldistone oder der Roheit in seinem Bruder vermählen will. Daher bin ich als Braut des Himmels dem Kloster geweiht seit meiner Wiege. Bei mir sind sentimentale Ausbrüche unrecht angebracht, sie dienen nur noch mehr als Beweise dafür, wie notwendig Eure Abreise ist, und das ohne Aufschub.« Bei diesen Worten brach sie plötzlich ab und sprach dann mit gepreßter Stimme: »Verlaßt mich sogleich. – Wir sehen uns hier noch einmal, aber dann nie wieder.«

Meine Augen folgten der Richtung der ihrigen, indem sie dies sprach, und es kam mir vor, als bewege sich die Tapete, welche die Tür des geheimen Ganges zu Rashleighs Zimmer bedeckte. Ich glaubte, wir würden beobachtet, und warf einen fragenden Blick auf Diana.

»Es ist nichts,« sprach sie mit schwacher Stimme; »eine Ratte hinter der Tapete.«

»Tot für einen Dukaten« [Stelle aus Hamlet], würde ich geantwortet haben, wenn ich mich meinem Gefühle überlassen hätte, das sich bei dem Gedanken, jetzt behorcht zu werden, unwillig empörte. Klugheit, die Notwendigkeit, meine Leidenschaft zu verbergen, und Dianas wiederholtes Gebot: »Verlaßt mich! verlaßt mich!« hemmten zu rechter Zeit eine unbesonnene Handlung. Ich eilte hinaus in wilder Aufregung des Gemüts, die ich vergebens bei der Rückkehr in mein Zimmer zu beruhigen suchte.

Ein Chaos von Gedanken erfüllte mich auf einmal, zog schnell durch meine Seele und verdunkelte sich unter einander, gleich den Nebeln, die in Gebirgsgegenden in düstern Wolken sich niedersenken, und die Merkzeichen verhüllen, nach denen der Wanderer seinen Pfad durch die Wildnis lenkt. Die dunkle, unbestimmte Vorstellung der Gefahr, die aus den Ränken eines Mannes, wie Rashleigh Osbaldistone entstehen konnte – die halbe Liebeserklärung, die ich Diana Vernon dargeboten hatte – ihre anerkannte mißliche Lage, gebunden durch einen frühern Vergleich, sich dem Kloster oder einer unpassenden Verbindung zu opfern – alles dies drängte sich auf einmal vor meine Seele, und mein Verstand war unfähig, irgend etwas davon in gehörigem Lichte zu betrachten. Vor allem wurde ich nicht recht klug daraus, wie Diana das Geständnis meiner Zuneigung aufgenommen hatte, zumal ihr zwischen Teilnahme und Festigkeit schwankendes Benehmen mir ein Interesse an meiner Person zu verraten schien, das freilich noch nicht stark genug war, um ihr über die Hindernisse hinwegzuhelfen, die es ihr verwehrten, mir Gegenliebe zu gestehen. Der Blick, mit dem sie die Bewegung der Tapete vor der heimlichen Tür beobachtet hatte, drückte mehr Furcht als Ueberraschung aus und verriet die Besorgnis einer Gefahr, die ich für unbegründet halten mußte; denn Diana hatte nicht die reizbaren Nerven ihres Geschlechts und war gänzlich unfähig, ohne eine wirkliche und begründete Ursache sich zu fürchten. Von welcher Art konnten diese Geheimnisse sein, welche sie wie ein Zauberkreis umringten, und auf ihre Gedanken und Handlungen fortwährend einen lebhaften Einfluß zu haben schienen, obgleich deren Vollstrecker nie sichtbar waren? Bei diesem zweifelhaften Gegenstande verweilte zuletzt meine Seele, als sei sie froh, der Frage über die Schicklichkeit oder Klugheit meines eignen Betragens auszuweichen, indem sie die Nachforschung auf Dianas Verhalten übertrug. Ich will, beschloß ich, ehe ich das Schloß verlasse, mir klar darüber sein, in welchem Lichte ich in Zukunft dieses bezaubernde Wesen betrachten soll, über dessen Leben Offenheit und Geheimnis die Herrschaft geteilt zu haben scheinen, indem Offenheit all ihre Worte und Gefühle beseelt, während all ihre Handlungen geheimnisvoll beeinträchtigt werden.

Siebzehntes Kapitel

In der letzten Zeit, wo in unsern Verhältnissen immer mehr Störungen eintraten, waren Diana und ich nie in den Abendstunden zusammengekommen. Der Büchersaal stand mir, wie jedem andern Mitgliede der Familie, zu allen Stunden bei Tag und Nacht offen, und man konnte mich nicht der Zudringlichkeit beschuldigen, so plötzlich und unerwartet ich auch erschien. Ich glaubte fest, daß Diana in diesem Zimmer Vaughan oder sonst jemand, nach dessen Meinung sie ihr Verhalten zu regeln gewohnt war, gelegentlich sah, und zwar zu einer Zeit, wo sie am wenigsten eine Störung befürchten konnte. Das Licht, welches die Fenster des Saales in ungewöhnlichen Stunden erhellte, die vorüberwandelnden Schatten, die ich selber bemerkt hatte, die Fußtritte im Morgentau, die man von der Turmtür bis an die Hinterpforte des Gartens entdecken konnte, die Töne und Gestalten, welche einige Diener, und vornehmlich Andreas, beobachtet und nach ihrer Weise ausgelegt hatten, alles dies verriet, daß der Ort von jemand besucht werde, der nicht zu den gewöhnlichen Hausgenossen gehörte. Da dieser Freund wahrscheinlich in Dianas Schicksal verwickelt sein mußte, so entwarf ich alsbald einen Plan, zu entdecken, wer oder was er war, und inwiefern sein Einfluß gute und böse Folgen für sie haben konnte; vor allem aber wünschte ich zu wissen, durch welche Mittel dieser Unbekannte seinen Einfluß auf Diana erworben hatte und behauptete, und ob er sie durch Furcht oder durch Zuneigung leitete. Mit dem glühenden Verlangen, einen Nebenbuhler zu entdecken, oder vielmehr zu ertappen, ging ich daher in den Garten, um den Augenblick abzuwarten, wo die Fenster des Büchersaals erleuchtet sein würden.

Meine Ungeduld war indes so groß, daß ich an einem Juliabend, eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit, ehe das Licht erscheinen konnte, meine Wache antrat. Es war Sonntag, und die Gänge waren still und einsam. Ich wandelte ein Weilchen auf und nieder, die erfrischende Kühlung des Sommerabends genießend, und sann darüber nach, was für Folgen mein Beginnen unter Umständen haben könnte. Die frische balsamische Luft wirkte beruhigend auf mein heiß wallendes, fieberhaftes Blut, und als der Aufruhr in meinem Gemüt sich etwas legte, begann ich mich zu fragen, was ich für ein Recht hätte, in die Geheimnisse des Fräuleins oder meines Oheims einzudringen. Was ging es mich an, wen mein Oheim in seinem Hause verbergen wollte, wo ich selbst nur als Gast geduldet ward? Und welches Recht hatte ich, Dianas Angelegenheiten nachzuforschen, welche, wie sie selbst gestand, mit einem Geheimnis umhüllt waren, das sie nicht erforscht wissen wollte?

Leidenschaft und Eigenwille hielten ihre Antworten auf diese Fragen bereit. Wenn ich diesen geheimen Gast entdeckte, erzeigte ich aller Wahrscheinlichkeit nach meinem Oheim einen Dienst, da er vermutlich nichts von den Ränken wußte, die in seiner Familie verübt wurden, und einen noch wichtigern Dienst konnte ich Diana Vernon leisten, welche sich, bei der arglosen Einfalt ihres Charakters, in dem geheimen Umgange mit einem Manne von vielleicht zweideutiger und gefährlicher Sinnesart, so vielen Gefahren aussetzte. Wenn ich mich in ihr Vertrauen einzudrängen schien, so geschah es mit der edelmütigen und uneigennützigen Absicht, – ja ich wagte sogar, es Uneigennützigkeit zu nennen – sie zu leiten, zu verteidigen, zu beschützen gegen List, gegen Bosheit – und vor allem gegen den geheimen Ratgeber, den sie zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Das waren die Gründe, die mein Wille dreist meinem Gewissen als gültige Münze darbot, und die das Gewissen trotz aller Zweifel an ihrer Echtheit, gleich einem murrenden Krämer, lieber ruhig hinnahm, als es zum offnen Bruche mit einem guten Kunden kommen zu lassen.

Während ich, diese Dinge für und wider erwägend, durch die grünen Gänge wandelte, traf ich plötzlich den Gärtner, der wie ein Standbild vor einer Reihe von Bienenstöcken in andächtiger Betrachtung versunken stand. Mit einem Auge beobachtete er die Bewegungen des kleinen regen Völkchens, das in seinem Strohhaus sich für den Abend niederließ, und das andere heftete er auf ein Andachtsbuch, das durch langen Gebrauch seine Ecken verloren, und so abgenutzt war, daß es schon eine länglich runde Form erhalten hatte.

»Ich las da eben ein Sprüchlein in des verdienstvollen Quacklebens Werke: »Die Blume süßen Wohlgeruchs, gesäet auf dem Misthaufen dieser Welt,« sprach Andreas, als er mich sah, und machte das Buch zu, seine Hornbrille als Lesezeichen hinlegend.

»Und die Bienen,« bemerkte ich, »lenkten Euch ab von Eurer Lektüre?«

»Sie sind ein widerspenstiges Volk,« erwiderte der Gärtner. »Sechs Tage in der Woche haben sie Zeit zu ihrem Tun, und dennoch, wie man weiß, schwärmen sie immer am Sabbath, und halten die Leute ab, Gottes Wort zu hören. – Doch hier wird des Abends nicht in der Kapelle gepredigt –«

»Wäret Ihr in der Pfarrkirche gewesen, Andreas, wie ich, so hättet Ihr eine vortreffliche Predigt gehört.«

»Ei ja!« erwiderte Andreas mit trotzigem Lachen, »ich hätt' ohne Zweifel gehört, wie dort der Pfarrer in seinem weißen Hemd seine Litanei herunter plapperte und die Musikanten aufspielten, mehr wie zu einer Hochzeit, als zu einer Predigt. Da wäre ich lieber zur Vater Docharty in die Messe gegangen.«

»Docharty?« wiederholte ich, – es war der Name eines alten Priesters, eines Irländers, denk ich, der zuweilen im Schlosse das Amt verrichtete – »ich glaube, Vater Vaughan sei gegenwärtig. Er war gestern hier.«

»Ja,« erwiderte Andreas, »aber er ist gestern nach Greystock oder wer weiß sonst wohin gereist. Es ist jetzt eine rechte Unruhe unter ihnen. Sie sind so geschäftig, wie meine Bienen hier. Gott behüte sie, daß ich die armen Dinger mit den Papisten vergleiche! – Das ist der zweite Schwarm, der erste ist am Morgen geschwärmt. Doch ich denke, sie werden sich über Nacht ruhig verhalten. So wünsch ich Euer Gnaden eine gute Nacht.«

Mit diesen Worten entfernte sich der Gärtner; doch warf er noch einen Abschiedsblick auf die Bienenkörbe zurück.

Ich verdankte ihm die wichtige Nachricht, daß Vater Vaughan nicht mehr im Schlosse war. Wenn also an diesem Abend. Licht im Bücherzimmer erschien, so konnte es entweder nicht das seinige sein, oder er beobachtete ein sehr geheimnisvolles und verdächtiges Betragen. Mit Ungeduld erwartete ich den Untergang der Sonne. Kaum war es Dämmerung, als ein schwacher Schein im Büchersaale sichtbar ward, kaum zu unterscheiden bei dem noch fortdauernden Abendschimmer. Ich entdeckte jedoch den ersten Strahl so schnell, wie der Schiffer, den die Nacht auf hoher See überfällt, das ferne Blinken des Leuchtturms entdeckt, der ihm den Kurs zeigt. Wenn ich bisher bei aller Eifersucht und Neugierde Bedenken gehegt hatte, ob es auch schicklich sei, mich einzumischen, so war jetzt, als sich die erste Gelegenheit bot, Eifersucht und Neugierde zu befriedigen, jedes Bedenken verschwunden. Ich ging in das Haus zurück, und die besuchten Gemächer vermeidend, gleich einem, der seine Absicht zu verheimlichen wünscht, erreichte ich die Tür des Büchersaales. Ich zögerte einen Augenblick, als meine Hand die Klinke berührte – hörte leise Fußtritte drinnen – öffnete die Tür und fand – Diana allein.

Sie schien überrascht, ob über meinen plötzlichen Eintritt oder über sonst etwas konnte ich nicht erraten; allein ihr Wesen zeigte eine so hohe Unruhe, wie ich nie an ihr bemerkt hatte. Nach einem Augenblick war sie jedoch ruhig; und so mächtig ist das Gewissen, daß ich, der sie überraschen wollte, selbst überrascht schien und gewiß der Verlegenste war.

»Ist etwas vorgefallen?« sagte Fräulein Vernon. »Ist jemand im Schlosse angekommen?«

»Niemand, daß ich wüßte,« antwortete ich mit einiger Verwirrung; »ich suchte nur nach Orlando.«

»Da liegt er,« sprach Diana, auf den Tisch zeigend.

Indem ich nach dem Buche suchte und einige andre beiseite legte, sah ich den Handschuh eines Mannes auf dem Tische liegen. Dianas Blicke begegneten den meinigen, und sie errötete tief.

»Es ist eine meiner Reliquien,« sprach sie mit unsichrer Stimme, nicht meine Worte, sondern meine Blicke beantwortend; »es ist einer von den Handschuhen des Großvaters, das Urbild des trefflichen Vandyke, den Ihr bewundert.«

Als wenn sie glaubte, daß die bloße Versicherung nicht genügte, ihre Behauptung glaubhaft erscheinen zu lassen, öffnete sie einen Schiebkasten des großen eichnen Tisches, nahm einen Handschuh heraus und warf ihn mir zu. Wenn ein von Natur aufrichtiges Gemüt sich zu Zweideutigkeit und Verstellung herabläßt, erregt oft die ängstliche Unruhe, womit die ungewohnte Sache verrichtet wird, bei dem Zuhörer einen Zweifel an der Wahrheit. Ich warf einen schnellen Blick auf beide Handschuhe und erwiderte dann ernst: »Die Handschuhe sind sich allerdings in Gestalt und Stickerei ähnlich; allein sie machen kein Paar, da sie beide an die rechte Hand gehören.«

Sie biß sich ärgerlich in die Lippen und errötete von neuem.

»Ihr habt recht, mich nicht zu schonen,« sprach sie mit Bitterkeit. »Andre Freunde würden aus dem, was ich sagte, bloß geschlossen haben, daß ich keine besondre Erkärung über einen Umstand geben wollte, der keine bedarf – wenigstens für einen Fremden. Ihr habt besser geurteilt, und mich nicht allein fühlen lassen, wie gemein Doppelzüngigkeit ist, sondern auch wie unfähig ich bin, mich zu verstellen. Ich sage Euch nun deutlich, daß dieser Handschuh nicht zu jenem gehört, wie Ihr scharfsinnig bemerkt habt. Er gehört einem Freunde, der mir noch teurer ist, als das Urbild von Vandykes Gemälde – einem Freunde, dessen Rat mich geleitet hat und leiten wird, den ich verehre, den ich –«

Sie schwieg. Ich war gereizt durch ihr Benehmen und ergänzte die abgebrochne Rede auf meine Weise: »Den sie liebt, wollte Fräulein Vernon sagen.«

»Und wenn ich so sagte,« erwiderte sie stolz, »wer will mich wegen meiner Zuneigung zur Rede stellen?«

»Ich nicht, Fräulein Vernon, gewiß nicht. Ich bitte Euch, mich nicht einer solchen Anmaßung zu zeihen. Aber,« fuhr ich etwas nachdrücklich fort, da ich auch empfindlich war, »Fräulein Vernon wird hoffentlich einem Freunde verzeihen, dem sie diesen Namen zu entziehen geneigt scheint, wenn er bemerkt –«

»Bemerkt nichts, mein Herr,« fiel sie mit einiger Heftigkeit ein, »außer daß ich mir weder Zweifel an meiner Person noch zudringliche Fragen gefallen lassen will. Von keinem Menschen auf Erden will ich mich verhören und beurteilen lassen, und wenn Ihr diese ungewöhnliche Zeit, Euch sehen zu lassen, gewählt habt, um meine Heimlichkeiten zu erspähen, so ist die Freundschaft oder Teilnahme, die Ihr für mich empfinden wollt, nur eine armselige Entschuldigung unhöflicher Neugier.«

»Ich befreie Euch von meiner Gegenwart,« sprach ich, ebenso stolz wie sie; denn meiner Gemütsart war es von jeher fremd, nachzugeben, selbst wo meine Gefühle am tiefsten ergriffen waren. »Ich erwache aus einem lieblichen, aber täuschenden Traume, und – doch, wir verstehen uns nun.«

Ich hatte die Tür des Zimmers erreicht, als Diana, wie es oft geschah, von einer plötzlichen Regung durchdrungen, mich einholte, meinen Arm ergriff und mit jenem Ausdruck von Hoheit, den sie so wunderbar annehmen konnte, und der, bei der Unbefangenheit und Einfalt ihres Betragens, so besonders anziehend war, mich zurückhielt.

»Halt, Herr Franz!« sprach sie. »Auf diese Weise sollt Ihr mich nicht verlassen. Ich bin nicht so reichlich mit Freunden versehen, daß Ich selbst die undankbaren und selbstsüchtigen wegstoßen könnte. Merkt, was ich sage, Herr Osbaldistone; Ihr sollt nichts von diesem geheimnisvollen Handschuh erfahren –« und, sie hielt ihn bei diesen Worten empor, – »nichts, nein, nicht ein Jota mehr, als Ihr bereits wißt, und dennoch soll er nicht zu einem Fehdehandschuh zwischen uns beiden werden. Mein Aufenthalt hier,« fuhr sie fort, in einen sanftern Ton fallend, »muß notwendig sehr kurz sein, der Eurige noch kürzer. Wir werden uns bald trennen und nie uns wiedersehen. Wir wollen uns nicht streiten und wollen uns die wenigen Stunden, die wir noch beisammen sein werden, diesseits der Ewigkeit nicht durch mein geheimnisvolles Unglück verbittern.«

Ich weiß, nicht, durch welche Zauberkraft dies einnehmende Wesen eine so völlige Herrschaft über ein Gemüt erhielt, das ich manchmal selber nicht beherrschen kann. Beim Eintritt in den Büchersaal war ich entschlossen, eine Erklärung zu suchen. Diana hatte mir dieselbe mit unwilligem Trotz verweigert und mir ins Gesicht gestanden, daß sie einen Nebenbuhler vorziehe; denn wie konnte ich anders den eingestandnen Vorzug des geheimnisvollen Vertrauten auslegen? Und dennoch, als ich das Zimmer verlassen und für immer mit ihr brechen wollte, brauchte sie nur Blick und Ton zu ändern, und von jener wahren und stolzen Empfindlichkeit zu freundlicher, scherzender, mit Wehmut und Ernst gepaarter Gewalt überzugehen, und sie hatte mich zur Annahme ihrer harten Bedingungen gezwungen und auf meinen ursprünglichen Platz zurückverwiesen. »Was hilft das?« sprach ich, als ich mich niedersetzte. »Was kann es helfen, Fräulein Vernon? Warum soll ich Zeuge von Verlegenheiten sein, die ich nicht erleichtern kann, und von Geheimnissen, die ich nicht einmal versuchen darf zu enthüllen, ohne Euch zu beleidigen? So unerfahren Ihr in der Welt seid, kann es Euch doch nicht entgehen, daß eine junge, schöne Frau nur einen männlichen Freund haben kann. Selbst bei meinem Freunde würde ich eifersüchtig sein auf einen dritten, unbekannten und verheimlichten Vertrauten; aber bei Euch, Fräulein –«

»Natürlich seid Ihr eifersüchtig, und zwar nach allen Graden und Launen dieser liebenswürdigen Leidenschaft. Aber, mein lieber Freund, Ihr habt die ganze Zeit über nichts gesprochen, als armseliges Gewäsch, welches Schwachköpfe so lange aus Schauspielen und Romanen nachsprechen, bis sie solchem Kauderwelsch einen wichtigen und mächtigen Einfluß auf ihr Gemüt gestatten. Knaben und Mädchen schwatzen sich in die Liebe hinein, und wenn ihre Liebe schläfrig wird, schwatzen und necken sie sich in die Eifersucht. Aber Ihr und ich, Franz, wir sind vernünftige Wesen, und weder einfältig noch müßig genug, um uns in irgend ein andres Verhältnis, als offne, redliche, uneigennützige Freundschaft, hinein zu sprechen. Jede andre Verbindung zwischen uns ist unmöglich. – Die Wahrheit zu sagen,« fügte sie nach augenblicklicher Pause hinzu, »wenn ich auch so nachgiebig gegen den weiblichen Anstand bin, ein wenig zu erröten über meine Aufrichtigkeit, wir können uns nicht heiraten, wenn wir auch wollten, und wir dürften es nicht, wenn wirs könnten.«

Und gewiß, sie errötete auf das lieblichste, als sie diese grausame Erklärung aussprach. Ich wollte eben ihre beiden Behauptungen angreifen, gänzlich uneingedenk des Verdachtes, der sich mir an diesem Abend bestätigt hatte, aber sie fuhr mit einer kalten Festigkeit, die an Strenge grenzte, fort:

»Was ich sage, ist einfache, unbestreitbare Wahrheit, worüber ich weder Fragen noch Erklärungen haben will. Wir sind also Freunde, Herr Osbaldistone? – Nicht wahr?« Sie hielt die Hand dar, aber die meinige fassend, setzte sie hinzu: »Und nichts andres, jetzt oder künftig, als Freunde.«

Sie ließ meine Hand los. Ich senkte sogleich mit derselben das Haupt, überwältigt von der Güte und Entschiedenheit ihres Wesens. Sie gab schnell dem Gespräch eine andre Wendung. »Hier ist ein Brief,« sprach sie, »richtig und deutlich an Euch überschrieben, der aber, bei aller Vorsicht der Person, die ihn schrieb und beförderte, vielleicht nie in Eure Hände gekommen wäre, hätte nicht ein gewisser Pacolet, ein bezauberter Zwerg, Besitz davon erhalten, den ich, wie alle unglücklichen Mädchen in Romanen, in meinen geheimen Diensten habe.«

Ich öffnete den Brief, überlief den Inhalt, – und das Blatt fiel aus meiner Hand: »Gütiger Himmel!« rief ich unwillkürlich aus, »meine Torheit und mein Ungehorsam haben meinen Vater zu grunde gerichtet!«

Diana erhob sich mit Blicken wahrer und zärtlicher Unruhe. »Ihr erblaßt – Ihr seid krank – soll ich Euch ein Glas Wasser bringen? Ermannt Euch, Herr Osbaldistone, seid stark! Ist Euer Vater – ist er nicht mehr?«

»Er lebt, Gott sei Dank!« sprach ich; »aber in welcher Not und Beschwerde –«

»Wenn das alles ist, so verzweifelt nicht. Darf ich den Brief lesen?« fragte sie und hob ihn auf.

Ich bejahte es, kaum wissend, was ich tat. Sie las ihn mit großer Aufmerksamkeit.

»Was ist dieser Tresham, der den Brief unterschrieben hat?«

»Meines Vaters Geschäftsteilhaber, aber er nimmt nur wenig tätigen Anteil an den Geschäften des Hauses.«

»Er spricht hier von mehreren Briefen, die früher an Euch abgegangen sind,« sprach Diana.

»Ich habe keinen davon erhalten,« erwiderte ich.

»Und wie es scheint,« fuhr sie fort, »ist Rashleigh, der seit Eures Vaters Reise nach Holland die ganze Führung der Geschäfte übernommen hat, vor einiger Zeit mit Waren und Geldsummen, zur Bezahlung ansehnlicher Wechsel, die Euer Vater einigen Personen in London ausgestellt hatte, von London nach Schottland gereist, und man hat seitdem nichts von ihm gehört.«

»Es ist nur zu wahr.«

»Und dann hat man,« fuhr sie, in den Brief blickend, fort, »einen Buchhalter oder dergleichen – Owenson – Owen nach Glasgow geschickt, um Rashleigh, wo möglich, aufzufinden, und man ersucht Euch, gleichfalls dahin zu reisen und ihm in seinen Nachforschungen beizustehen.«

»So ist es, und ich muß sogleich abreisen.« »Bleibt noch einen Augenblick,« sprach Diana. »Das Schlimmste, was aus dieser Sache erfolgen kann, scheint mir der Verlust einer gewissen Geldsumme zu sein, und kann dies Tränen in Eure Augen bringen? Schämt Euch, Herr Osbaldistone!«

»Ihr tut mir unrecht,« Fräulein Vernon,« antwortete ich. »Nicht der Verlust ists, was mich bekümmert, sondern die Wirkung, die er unfehlbar auf meines Vaters Gemüt und Gesundheit haben wird. Sollte seine Zahlungsunfähigkeit erklärt werden, so würde er ins Grab sinken, niedergedrückt von Kummer, Vorwürfen und Verzweiflung, gleich einem Krieger, den man der Feigheit beschuldigt, oder wie ein Mann von Ehre, der Rang und Ansehen in der Welt verloren hat. Alles dies hätte ich vermeiden können durch das geringe Opfer eines törichten Stolzes und einer Arbeitsscheu, die mich zurückhielten, die Geschäfte seines ehrenwerten und nützlichen Berufs zu teilen! Guter Himmel! wie werde ich die Folgen meiner Verirrung wieder gut machen!«

»Ihr müßt sogleich nach Glasgow reisen, wie Euer Freund in diesem Briefe Euch bittet.«

»Aber wenn Rashleigh wirklich den schändlichen und gewissenlosen Plan geschmiedet hat, seinen Wohltäter zu plündern, wie kann ich da Mittel zu finden hoffen, einen so tief angelegten Entwurf zu vereiteln?«

»Die Hoffnung ist freilich ungewiß; allein auf der andern Seite ist es unmöglich, Eurem Vater etwas zu nützen, wenn Ihr hier bleibt. Bedenkt, wenn Ihr den Euch zugedachten Platz eingenommen hättet, so hätte dies Unglück nicht geschehen können; eilt jetzt dorthin, wohin man Euch ruft, und es läßt sich vielleicht wieder gut machen. – Aber wartet, bleibt hier, bis ich wiederkomme.«

Sie ließ mich allein. Nach wenigen Minuten kam sie zurück und hielt ein Papier in der Hand, das wie ein Brief gefaltet und versiegelt, aber ohne Ueberschrift war. »Ich will Euch,« sprach sie, »diese Probe meiner Freundschaft anvertrauen, weil ich die vollkommenste Zuversicht in Eure Ehre setze. Wenn ich die Natur Eures Unfalls recht verstehe, so müssen die Geldsummen, welche in Rashleighs Händen sind, an einem gewissen Tage – ich glaube, der zwölfte September ist genannt – wieder erlangt werden, damit sie zur Zahlung jener Wechsel gebraucht werden können. Lassen sich daher hinreichende Summen vor jener Zeit finden, so ist Eures Vaters Kredit gesichert.«

»Gewiß, so verstehe ich Treshams Brief« – ich blickte noch einmal hinein und setzte hinzu: »Es ist ohne Zweifel so.«

»Gut in diesem Falle,« sprach Diana, »wird Euch mein kleiner Pacolet nützlich sein. – Dieser Brief enthält einen Zauber. Nehmt ihn hin, und öffnet ihn nicht eher, bis andre gewöhnliche Mittel fehlgeschlagen haben. Wenn Ihr durch eigne Anstrengungen das Ziel erreicht, so habe ich das Vertrauen auf Eure Ehre, daß Ihr ihn vernichtet, ohne ihn zu öffnen oder öffnen zu lassen. Aber wo nicht, so könnt Ihr das Siegel brechen zehn Tage vor der verhängnisvollen Zeit, und Ihr werdet Nachweisungen finden, die Euch wahrscheinlich von Nutzen sind. – Lebt wohl, Franz, wir sehen uns nie wieder –, aber denkt zuweilen an Eure Freundin Diana Vernon.«

Sie reichte mir die Hand, aber ich drückte sie an meine Brust. Sie seufzte, als sie sich aus der Umarmung wand, gegen die sie sich nicht wehrte, eilte durch die Tür, welche zu ihrem Wohnzimmer führte, und ich sah sie nicht wieder.

Achtzehntes Kapitel

Die Trennung von Fräulein Vernon schmerzte mich tief, allein nicht so sehr, daß nicht auch das Mißgeschick, welches meinem Vater drohte, meine Aufmerksamkeit beschäftigt hätte, und andrerseits bedrückten mich die erhaltenen Nachrichten weniger, weil sie nicht allein meine Seele erfüllten. Ich war weder ein treuloser Liebhaber noch ein gefühlloser Sohn, aber der Schmerz kann unsre Empfindung nur bis zu einem gewissen Grade erregen, und wenn zwei Veranlassungen denselben zugleich in Anspruch nehmen, wird der Anteil unter ihnen geteilt, wie die Summen bei dem Bankerott.

Sorgfältig dachte ich über den Inhalt des Briefes nach. Er war recht unklar gehalten, und ich wurde in mehreren Punkten an Owen verwiesen, den ich sobald als möglich in Glasgow aufsuchen sollte, wo ich ihn bei den Herren Macvittie, Macfin und Compagnie, Kaufleuten in dieser Stadt, erfragen könne. Es war Bezug genommen auf mehrere Briefe, die verloren oder unterschlagen sein mußten, und wurde über mein hartnäckiges Schweigen Klage geführt, was doch höchst ungerecht gewesen wäre, wenn meine Briefe ihr Ziel erreicht hätten. Ich war äußerst bestürzt. Nicht einen Augenblick konnte ich zweifeln, daß Rashleighs Geist mich umspukte und die Zweifel und Gefahren beschwor, die mich umringten; dennoch erwog ich mit Entsetzen, wieviel Büberei und Macht er zur Ausführung seiner Entwürfe aufgewendet haben müsse. In einer Hinsicht kann ich mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; die Trennung von Fräulein Vernon, so sehr sie mich in andrer Beziehung und zu einer andern Zeit bekümmert hätte, trat in den Hintergrund, wenn ich der Gefahren dachte, die meinem Vater drohten.

Der Erfolg meiner Erwägungen war ein fester Entschluß, am nächsten Tage das Schloß zu verlassen und ohne Verzug Owen in Glasgow aufzusuchen. Ich hielt es nicht für ratsam, meinem Oheim diesen Vorsatz anders mitzuteilen, als durch einen Brief, worin ich ihm für seine Gastfreundschaft dankte, und ihm versicherte, daß eine dringende und wichtige Angelegenheit mich abhalte, persönlich meine Erkenntlichkeit zu bezeugen. Ich wußte, der schlichte alte Ritter werde mich leicht entschuldigen, und ich glaubte so fest an Rashleighs weit verbreitete, entschiedene Ränke, daß ich besorgte, wenn ich meine Abreise öffentlich bekannt machte, werde er Mittel finden, ein Unternehmen zu verhindern, das auf die Störung seiner Anschläge berechnet war.

Ich beschloß deshalb, mit Tagesanbruch mich zu entfernen, um das nahe Königreich Schottland zu erreichen, ehe ich im Schlosse vermißt wurde. Aber ein Umstand hätte mir leicht einen Strich durch die Rechnung machen können: ich kannte nämlich gar nicht den Weg nach Glasgow, und da in meinem Falle Beschleunigung von höchster Wichtigkeit war, so beschloß ich den Gärtner zu befragen, der mir die nächste und sicherste Auskunft geben konnte. So spät es war, machte ich mich wegen des wichtigen Punktes auf den Weg, und erreichte nach wenigen Minuten des Gärtners Wohnung.

Andreas' Behausung, nicht weit von der äußern Mauer des Gartens gelegen, war eine gemächliche northumbrische Hütte, von rauhen Steinen erbaut, und an Fenstern und Türen mit schweren steinernen Einfassungen geziert. Ein Birnbaum an der einen Seite, ein Bächlein an der andern, das Blumenbeet und der Küchengarten, der umzäunte Platz für eine Kuh, und das kleine Feld für den Hausbedarf, bezeichneten die Annehmlichkeiten, welche Alt-England, selbst an der nördlichsten Grenze, seinen geringsten Bewohnern zu teil werden ließ.

Ich fragte den alten Andreas, ob er mir den nächsten Weg nach der Stadt Glasgow in Schottland angeben könnte.

»Glasgow!« wiederholte er. »Den Weg nach Glasgow wollt Ihr wissen? Warum sollt' ich ihn nicht kennen? – 's ist nicht weit von meinem eignen Kirchspiel Dreepdaily, das liegt ein bißchen mehr nach Abend. Aber was wollt Ihr in Glasgow?«

»Besondre Geschäfte.«

»Das heißt so viel, als: Fragt nicht, und ich lüg Euch nichts vor. – Nach Glasgow?« er schwieg ein wenig – »Ich dächte, Ihr nähmet lieber einen Führer.«

»Freilich, wenn ich nur jemand dazu finden könnte.«

»Und Ihr gebt ohne Zweifel etwas für Versäumnis und Mühe?«

»Unstreitig. – Mein Geschäft ist dringend, und wenn Ihr einen Burschen schaffen könnt, der mich begleitet, so will ich ihn gut bezahlen.«

»Heut ist kein Tag, von weltlichen Sachen zu sprechen,« sagte der Gärtner, die Augen zum Himmel hebend; »aber wenn es nicht Sonntagabend wär, möcht' ich Euch fragen, was Ihr der Person geben wollt, die Euch angenehme Gesellschaft leistet auf der Straße, und Euch die Namen der Schlösser und die Sitze der Herren und Edelleute nennt, und ihre Sippschaft Euch herrechnet?«

»Ich sag Euch, ich brauche nichts als den Weg zu wissen. Ich will den Menschen zu seiner Zufriedenheit bezahlen – ich geb' ihm alles, was billig ist.«

»Alles ist nichts,« entgegnete er; »und dieser Bursche, von dem ich spreche, kennet die kürzesten Pfade und Nebenwege durch die Gebirge –«

»Ich habe keine Zeit, deshalb zu sprechen; macht den Handel für mich, wie Ihr wollt.«

»Aha! Das ist ein Wort zur Sache,« versetzte Andreas.

»Ich denke, da es so ist, will ich selbst der Bursche sein, der Euch den Weg zeigen soll.« »Ihr, Andreas? Wie könnt Ihr Euren Dienst verlassen?«

»Ich hab' Euch schon gesagt, Herr, daß ich lange habe abgehen wollen, wohl seit dem ersten Jahre, da ich hier bin, und nun soll's Ernst werden.«

»Ihr verlaßt also Euern Dienst? – werdet Ihr da nicht Euern Lohn verlieren?«

»Etwas wird freilich verloren gehen; aber da ich das Geld für die Aepfel im alten Baumgarten und dann das Geld für die Sämereien in Händen habe, so wird der Lohn wohl geziemend ausgeglichen sein – und wann wollt Ihr fort?«

»Mit Tagesanbruch.«

»Das ist etwas plötzlich – wo werd ich ein Pferd finden? – Halt, ich weiß gerade ein Tier, wie ichs brauche.«

»Also um fünf Uhr morgens treffen wir uns vor dem Hause.«

»Wenn ich raten sollte,« erwiderte der Gärtner, »so brächen wir zwei Stunden früher auf. Ich kenne den Weg bei Tag und Nacht, so gut wie der blinde Ralph Ronaldson, der über jeden Sumpf im Lande wandert.«

Ich war mit seiner Abänderung sehr zufrieden, und wir wollten uns um drei Uhr an dem bestimmten Orte treffen. Auf einmal durchkreuzte ein Gedanke den Kopf meines künftigen Reisegefährten. »Was Gespenst! das Gespenst!« rief er; »wenn das über uns käme? Ich mag nicht zweimal in vierundzwanzig Stunden mit solchen Dingen zusammenkommen.«

»Pah! Pah!« rief ich und machte mich von ihm los; »fürchtet nichts von Wesen der nächsten Welt, – die Erde besitzt lebende Feinde genug, die ohne Beistand besser fertig werden können, als wenn Lucifer und all seine gefallenen Engel ihnen zu Hilfe kämen.«

Mit diesen Worten, die meine eigne Lage mir eingegeben hatte, verließ ich des Gärtners Wohnung und kehrte nach dem Schlosse zurück.

Ich traf die wenigen nötigen Vorbereitungen zur Reise, untersuchte und lud meine Pistolen und warf mich dann aufs Bett, um womöglich vor einer langen und unruhigen Reise eines kurzen Schlummers zu genießen. Erschöpft von den heftigen Bewegungen des Tages war die Natur gütiger gegen mich, als ich erwartete, und ich sank in einen tiefen Schlaf, aus welchem ich indes emporfuhr, als die Glocke auf dem Turme, nahe an meinem Zimmer, zwei schlug. Ich stand sogleich auf, schlug Licht an, schrieb den Brief, den ich meinem Oheim zurücklassen wollte, packte die nötigsten Sachen in meinen Mantelsack, ging die Treppen hinab und erreichte ohne Hindernis den Stall. Ohne im geringsten in Stallknechtsarbeiten so bewandert zu sein wie meine Vettern, hatte ich doch im Schlosse gelernt, mein eignes Pferd zu satteln und zu zäumen, und in wenig Minuten war ich zur Abreise bereit.

Als ich den alten Eingang, worauf das Licht des abnehmenden Mondes einen bleichen Schimmer warf, hinabritt, blickte ich mit einem tiefen Seufzer nach den Mauern zurück, wo Diana wohnte, und empfand aufs schmerzlichste, daß wir uns wahrscheinlich für immer getrennt hatten. Unter den langen und unregelmäßigen Reihen der gotischen Fenster, die jetzt geisterbleich im Mondschein blinkten, war es unmöglich, die des Zimmers zu entdecken, das sie bewohnte. Sie ist bereits für mich verloren, ehe ich den Ort ihres Aufenthalts verlassen habe. Wie könnte ich hoffen, eine Verbindung mit ihr zu unterhalten, wenn Meilen zwischen uns liegen?

Während ich in einer Träumerei von nicht sehr angenehmer Art verweilte, kündete die eiserne Zunge der Zeit dem trägen Ohre der Nacht an, daß es drei Uhr war, und erinnerte mich an die Notwendigkeit, mein Versprechen einem weniger anziehenden Wesen zu halten – dem Gärtner.

Beim Tore des Eingangs fand ich im Schatten der Mauer einen Reiter aufgestellt, aber erst nachdem ich zweimal gehustet, und dann »Andreas!« gerufen hatte, erwiderte der Gartenbauer: »Ja, es ist Andreas!«

»Voran denn!« sprach ich, »und schweigt, wenn Ihr könnt, bis wir durch das Dorf im Tale sind.«

Der Gärtner ritt demgemäß voran, und weit schneller, als ich es empfohlen hätte, und gehorchte auch meinem Gebot, zu schweigen, so genau, daß er auf die wiederholten Fragen nach dem Grunde dieser unnötigen Eile keine Antwort gab. Nachdem wir uns durch kürzere Pfade, die Andreas wußte, aus den vielen steinigen Wegen in der Nähe des Schlosses herausgefunden hatten, ritten wir rasch über eine offne Heide und kamen zu den nackten Hügeln, welche Schottland von England teilen und »die Mittelgrenzen« genannt werden. Andreas verminderte nicht seine Eile, sondern trabte mannhaft fort. Ich war erstaunt und entrüstet über des Menschen Halsstarrigkeit; denn wir ritten hinab und hinauf über einen Boden von sehr halsbrechender Natur und kamen an Abgründen vorbei, wo ein Ausgleiten des Pferdes dem Reiter unfehlbar den Tod gebracht hätte. Der Mond gewährte nur ein flaches und unsichres Licht, und an einigen Stellen befanden wir uns unter dem Schatten der Gebirge in so gänzlicher Finsternis, daß nur der Hufschlag des Pferdes und die Funken, die es aus dem Felsen schlug, mir die Spur meines Begleiters verriet. Diese rasche Bewegung und die Aufmerksamkeit, welche ich, meiner eignen Sicherheit wegen, der Lenkung meines Pferdes zuwenden mußte, dienten anfangs, meine Seele gewaltsam von so vielen schmerzlichen Erwägungen abzulenken, die mich sonst erfüllt haben möchten. Endlich aber, nachdem ich dem Gärtner wiederholt zugerufen hatte, langsamer zu reiten, ward ich ernstlich aufgebracht über seine unverschämte Beharrlichkeit, mir weder zu gehorchen, noch zu antworten. Mein Zorn war indes ganz ohnmächtig. Ich versuchte es einige Male, ihn einzuholen, um ihn mit meiner Peitsche vom Pferde zu schlagen, allein er war besser beritten als ich, und entweder der Geist seines Rosses oder, wahrscheinlicher, einige Ahnung von meiner gütigen Absicht trieb ihn an, noch schneller zu reiten, so oft ich ihn einzuholen versuchte. Auf der andern Seite war ich genötigt, meine Sporen anzuwenden, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren; denn ohne seine Leitung konnte ich, wie ich nur zu gut einsah, nie den Weg durch die Wildnis finden, die wir jetzt in so ungewöhnlichem Trabe durchstrichen. Endlich war ich so aufgebracht, daß ich drohte, nach meinen Pistolen zu greifen, um diesem Heißsporn eine Kugel nachzuschicken. Diese Drohung machte sichtlich einigen Eindruck auf das Trommelfell seines Ohres, so taub er bei allen meinen mildern Vorstellungen gewesen war; denn er ritt langsamer und bemerkte, als ich ihm nahe war: »Man ist nicht recht klug, auf einem solchen verdammten Wege zu reiten.«

»Und warum bist Du so schnell geritten, Du Schurke?« erwiderte ich in heftiger Aufregung.

»Was wollt Ihr, mein Herr?« fragte Andreas mit unerschütterter Ernsthaftigkeit.

»Was ich will, Du Schelm? – Ich habe seit einer Stünde Dir zugerufen, langsamer zu reiten, und Du hast mir nicht einmal geantwortet. Bist Du trunken oder wahnsinnig?«

»Ich höre etwas schwer und will nicht leugnen, daß ich einen Schluck getan habe, ehe ich die alte Hütte verließ, wo ich so lange wohnte; und da ich niemand hatte, der mir zutrank, mußt' ich mir selber Bescheid tun oder den Rest des Branntweins den Papisten zurücklassen.« Dies konnte wahr sein, aber da ich bei meiner Lage darauf angewiesen war, mich mit meinem Wegweiser auf gutem Fuße zu halten, so begnügte ich mich, ihm anzudeuten, künftig nach meinen Vorschriften die Art und Weise der Reise einzurichten. Dreister gemacht durch meinen milden Ton, stimmte er den seinigen hinauf, pedantisch und eingebildet, wie er sich meistens zeigte.

»Niemand wird mich überreden, daß es gesund und klug ist, in der Nachtluft über ein Moor zu gehen, ohne eine Herzstärkung von Nelkenwasser oder dergleichen vorher zu nehmen. Ich bin hundertmal über Otterscope-Rigg, bei Tag und bei Nacht, gewandert, und habe meinen Weg immer am besten gefunden, wenn ich meinen Morgenschluck im Magen und außerdem noch zwei Fäßchen Branntwein an jeder Seite hatte.« –

»Mit andern Worten, Andreas, Ihr waret ein Schleichhändler.«

Daß ich mit dieser Vermutung recht hatte, stellte sich bei näherer Nachfrage heraus. Mir war dies deshalb wichtig, weil es mir seine Brauchbarkeit als Führer bewies. Selbst jetzt, obwohl gemäßigter trabend, schien doch der Frühtrank, oder was sonst auf des Gärtners Bewegungen wirkte, nicht ganz seinen Einfluß verloren zu haben. Er warf oft einen starren, ängstlichen Blick hinter sich, und so oft der Weg ebener schien, zeigte er Spuren des Verlangens, schneller zu reiten, als wenn er Verfolgung befürchte. Dieser Anschein von Besorgnis verminderte sich allmählich, als wir auf den Rücken einer Hügelreihe kamen, welche östlich und westlich weit fortlief, und auf beiden Seiten sich steil hinabsenkte. Die bleichen Strahlen des Mondes erleuchteten jetzt den Rand des Himmels, und als Andreas, rückwärts blickend, keine Gestalt eines menschlichen Wesens auf dem Moore sah, das wir hinter uns zurückgelassen hatten, erheiterten sich nach und nach seine rauhen Züge, er fing an zu pfeifen, klopfte den Hals des Pferdes, das ihn so wacker getragen, und als ich dadurch auf das Tier aufmerksam wurde, erkannte ich sogleich Thorncliffs Lieblingsroß. »Was ist das?« sprach ich streng; »diese Stute gehört Junker Thorncliff!«

»Ich will nicht leugnen, daß sie dem Junker zu ihrer Zeit gehört hat, aber jetzt ist sie mein.«

»Du hast sie gestohlen, Schurke!«

»Nein, nein, Herr! Niemand kann mich des Diebstahls beschuldigen. Die Sache steht so, seht Ihr – Junker Thorncliff borgte mir zehn Pfund ab, als er zum Pferderennen nach York ging, und da ich mein Eigentum wieder verlangte, wollt' er mir nichts geben und sagte bloß, er wollte mir alle Knochen im Leibe zerschlagen. Nun habe ich mich an seinem Pferde schadlos gehalten. Wenn er mich nicht auf Heller und Pfennig bezahlt, kriegt er nie wieder ein Haar von seinem Schwanze zu sehen. Ich kenne einen Schreiber in Lochmaben, der mir zu einem Vergleich mit ihm helfen wird.«

Ich war höchst entrüstet über Andreas' Tat, beschloß indes, ihm das, Pferd, sobald wir das Ende unsrer Reise erreicht hätten, abzukaufen und es Thorncliff zurückzuschicken, was ich vorläufig meinem Oheim vom nächsten Postorte bekannt machen wollte. Mit Andreas unterdessen länger zu zanken, hielt ich für überflüssig.

Neunzehntes Kapitel

In der ersten schottischen Stadt, die wir erreichten, suchte mein Begleiter seinen Freund und Ratgeber auf, um mit ihm zu überlegen, wie auf fügliche und gesetzliche Weise das Pferd zu seinem rechtmäßigen Eigentum gemacht werden könne, das gegenwärtig nur durch jene eigenmächtigen Mittel ihm gehörte, die noch immer zuweilen in dieser einst gesetzlosen Gegend vorkommen. Es freute mich, ihn mit betrübter Miene zurückkehren zu sehen. Er war, scheint es, eher zu offenherzig gegen seinen vertrauten Freund, den Anwalt, gewesen, und erfuhr zu seinem großen Leidwesen auf seine rückhaltlose Freimütigkeit, daß Touthope indessen Friedensschreiber geworden und genötigt war, alle dergleichen Fälle dem Gericht anzuzeigen. Nach der Versicherung dieses behenden Polizeimitgliedes mußte das Pferd mit Beschlag belegt und gegen Hinterlegung von zwölf schottischen Schillingen per diem in Verwahrung genommen werden, bis die Frage über das Eigentumsrecht gehörig geprüft und entschieden worden sei. Er sprach sogar davon, daß seine Pflicht ihm auferlege, den ehrlichen Andreas selbst festzuhalten; doch auf die dringenden Bitten meines Führers stand er nicht allein von diesem Vorhaben ab, sondern schenkte ihm sogar einen kurzatmigen Klepper zur Fortsetzung seiner Reise. Für diese Handlung der Großmut mußte ihm der arme Andreas freilich seine Rechte und Ansprüche auf Thorncliffs stattliches Roß übertragen.

Andreas tat, als ich ihn hierüber befragte, sehr niedergedrückt; daß er so um etwas geprellt worden sei, was er sich mit Gefahr seines Halses angeeignet hatte, hätte ihn nicht halb so sehr gekränkt, meinte er, wenn es unter den Engländern geschehen wäre; aber es sei eine schlimme Sache mit anzusehen, wie eine Krähe der andern die Augen aushacke oder ein guter Schottländer einen andern betrüge. Doch ohne Zweifel habe sich alles in seinem Vaterlande sehr verändert seit der bösen und trübseligen Vereinigung beider Königreiche.

Nach diesem Ausgange der Sache glaubte ich, von aller Sorge um das Pferd befreit zu sein, und schrieb meinem Oheim, wie es nach Schottland gekommen sei, und daß es sich in den Händen der Gerechtigkeit und ihrer würdigen Stellvertreter befinde, an die ich ihn wegen des Nähern verwies.

Wir setzten nun die Reise in nordwestlicher Richtung fort, und weit langsamer, als wir zur Nachtzeit England verlassen hatten. Eine Reihe kahler, reizloser Hügel folgte der andern, bis sich das fruchtbare Tal des Clyde vor uns öffnete, und bald erreichten wir die Stadt Glasgow. Ein ausgedehnter stetig wachsender Handel mit Westindien und Amerika hat, soviel ich weiß, den Grund zu ihrem Reichtum und Wohlstand gelegt. Zu jener Zeit war die Morgenröte dieses Glanzes noch nicht angebrochen. Die Vereinigung mit England hatte zwar Schottland den Handel mit den englischen Kolonien eröffnet, aber Mangel an Kapital und die Nationaleifersucht der Engländer schlossen die schottischen Kaufleute noch großenteils von dem Gebrauche des Vorrechts aus, welches dieser denkwürdige Vertrag ihnen verliehen hatte. Glasgow galt schon damals für den wichtigsten Ort im westlichen Schottland. Der breite, nahe an den Mauern strömende Clyde gewährte die Mittel zu einem nicht unerheblichen inländischen Handel. Nicht allein, die fruchtbaren Ebenen der umliegenden Gegend, sondern auch die Bezirke von Ayr und Dumfries betrachten Glasgow als ihre Hauptstadt, in die sie ihre Erzeugnisse bringen, und dagegen feinere Handelsartikel und andre Gebrauchsartikel empfangen.

Die dunklen Gebirge des westlichen Hochlands schickten oft ihre wilden Stämme auf die Märkte von St. Mungos Lieblingsstadt. Herden von wilden, zottigen, zwerghaften Rindern und Pferden, von Hochländern geführt, die ebenso wild und zottig, und zuweilen auch so zwerghaft waren, wie ihre Tiere, sah man häufig in den Straßen. Fremdlinge blickten mit Ueberraschung auf die altertümliche, seltsame Tracht und lauschten auf die unbekannten, mißfälligen Töne ihrer Sprache, während die Gebirgsbewohner, selbst bei diesem friedlichen Verkehr mit Flinte und Pistole, Schwert und Dolch bewaffnet, voll Erstaunen auf Gegenstände der Ueppigkeit schauten, deren Gebrauch sie nicht kannten, und mit etwas beunruhigender Habsucht auf solche Dinge blickten, die sie kannten und schätzten. Der Hochländer verläßt immer ungern seine Wirrnisse, und in jenen frühen Zeiten war es, als ob man eine Fichte aus ihrem Felsen riß, wenn man sie wo andershin verpflanzen wollte. Allein schon damals waren die Täler des Hochlandes so reichlich bevölkert, daß viele ihrer Bewohner nach Glasgow wanderten, sich da niederließen, und Beschäftigung suchten und fanden, so verschieden sie auch von dem Leben war, das sie in ihrer Heimat geführt hatten. Dieser Zuwachs an starken und nützlichen Einwohnern hatte Einfluß auf den Wohlstand des Ortes, verschaffte die Mittel zur Fortsetzung einiger Industrien, die bereits der Stadt einen rühmlichen Namen gemacht hatten, und legten den Grund zu ihrem künftigen Reichtum.

Das Aeußere des Ortes paßte zu diesen verheißungsvollen Auspizien. Die vornehmste Straße war breit und ansehnlich, mit öffentlichen Gebäuden geschmückt, von mehr auffallender als geschmackvoller Bauart, und die hohen steinernen Häuser an den Seiten, deren Vorderseite gelegentlich reich mit Mauerwerk verziert war, gaben der Straße einen Ausdruck von Würde und Pracht.

Es war ein Sonntagmorgen, als ich mit meinem Begleiter in der westlichen Hauptstadt von Schottland ankam. Geläute schallte vom Turme, und das Gedränge der vielen Menschen, die zu der Kirche wollten, verkündete die Ehrfurcht für diesen heiligen Tag. Wir stiegen vor der Tür einer muntern Wirtsfrau ab, von der wir höflich empfangen wurden. Mein erster Gedanke war natürlich, Owen aufzusuchen, aber auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß, bevor die Kirche aus sei, jede Bemühung vergebens sein würde. Die Wirtin und mein Führer versicherten einstimmig, im Hause Mac Vittie und Compagnie, an das ich mich zu wenden hatte, werde keine lebendige Seele, geschweige denn einer der Inhaber zu finden sein. Sie seien gesetzte Männer und würden sich da befinden, wo gute Christen zu dieser Zeit sein sollten, nämlich in der Kirche.

Ich beschloß denn, auch in die Kirche zu gehen, mehr mit dem Vorsatze, womöglich etwas von Owens Ankunft zu erfahren, als mich zu erbauen. Meine Hoffnung, wurde durch die Versicherung erhöht, daß Herr Ephraim Mac Vittie, wenn er am Leben sei, gewiß heute die Kirche besuchen und, wenn er einen Fremden beherberge, ihn ohne allen Zweifel mitnehmen werde. Diese Mutmaßung bestimmte mich in meinem Vorsatze und unter dem Geleit meines Reisebegleiters machte ich mich auf den Weg nach der Kirche.

Bei dieser Gelegenheit hatte ich indes seine Führung entbehren können, denn die Menschenmenge, welche den steilen, rauhen Steinweg hinanzog, um den beliebtesten Prediger von West-Schottland zu hören, hätte mir schon den Weg gewiesen. Als wir den Gipfel des Hügels erstiegen hatten, traten wir linker Hand durch eine große Flügeltür auf den weiten Kirchhof, der das Münster umgibt. Die Kirche ist ein wuchtiges, düsteres Gebäude in gotischer Bauart; allein ihr eigentümlicher Charakter hat sich so wohl erhalten und paßt so gut zu der Umgebung, daß der Eindruck, den sie auf den ersten Blick macht, im höchsten Grade ernst und feierlich ist.

In einer volkreichen und angesehenen Stadt gelegen, liegt über diesem ehrwürdigen, Gebäude doch die tiefste Einsamkeit. Hohe Mauern trennen es auf der einen Seite von der Stadt; auf der andern ist es von einer Schlucht begrenzt, durch deren Tiefe, unsichtbar dem Auge, ein Bach murmelt, dessen Geräusch die Feierlichkeit des Schlosses erhöht. Jenseits der Schlucht ragt eine steile Höhe empor, dicht mit Föhren bedeckt, deren dunkle Schatten sich düster über den Kirchhof verbreiten. Der Kirchhof selbst gewährt einen eignen Anblick; denn so geräumig er auch ist, bietet er doch nicht Raum genug für die, die hier beerdigt werden. Daher kann nirgends das lange, wuchernde Gras emporschießen, das gewöhnlich jene Stätten überzieht, wo die Bösen keinen Schaden mehr stiften und die Müden ruhen. Die breiten, flachen Denksteine sind so dicht an einander gerückt, daß der Kirchhof ganz damit überzogen scheint, und obwohl nur von dem Himmel überwölbt, gleichen sie dem Fußboden in einer unsrer alten englischen Kirchen, der mit Grabschriften bedeckt ist. Der Anblick dieser traurigen Denkmale der Sterblichkeit, der vergebliche Kummer, den sie berichten, die ernste Lehre, welche sie über die Nichtigkeit menschlicher Dinge erteilen, die weite Fläche, die sie decken, und ihr einförmiger trauriger Inhalt erinnerten mich an jene Rolle des Propheten, die da war »beschrieben inwendig und auswendig, und es waren darin geschrieben Klagen und Trauer und Wehe.«

Der Dom harmoniert in seiner ernsten Hoheit mit dieser Umgebung. Sein Bau ist schwerfällig, doch wäre die Wirkung des Ganzen zerstört, wenn er leichter gebaut oder mehr verziert wäre.

Zwanzigstes Kapitel

So ungeduldig mein Führer auch war, mußte ich doch einige Minuten noch verweilen, um das Aeußere des Gebäudes zu betrachten, das nun in der Einsamkeit, die es umgab, noch ehrwürdiger erschien. Die bis jetzt offen stehenden Türen waren verschlossen, nachdem sie gleichsam die Menschenmenge verschlungen hatten, die erst auf dem Friedhof sich drängte, doch nun, im Innern des Gebäudes, wie die Stimmen des schwellenden Chorgesanges uns verkündeten, zu feierlicher Andacht beisammen war. Der Ton so vieler Stimmen, durch die Entfernung in eine Harmonie vereint, und frei von jenen rauhen Mißklängen, die das Ohr in der Nähe beleidigen, verschmolz mit dem Murmeln des Baches und dem Winde, der durch die alten Föhren rauschte, und erregte in mir das Gefühl der Erhabenheit.

Als ich noch auf die feierlichen Klänge lauschen wollte, ergriff mich Andreas beim Aermel; »Kommt, Herr, kommt!« sprach er., »Wir dürfen nicht zu spät hineingehen und den Gottesdienst stören; wenn wir hier bleiben, werden die Aufseher kommen und uns auf die Wache bringen, als Müßiggänger zur Kirchzeit.«

Auf diese Mahnung folgte ich meinem Führer, aber nicht, wie ich vermutet hatte, zur Haupttüre. »Hierher! hierher!« rief er, mich davon wegziehend. »Dort ist nur frostige Wahrheit! – fleischliche Moral, so kraft- und saftlos wie Rauke im Juli. Hier ist der wahre Wohlgeruch der reinen Lehre!«

Mit diesen Worten trat er in eine niedrig gewölbte Pforte, die ein ernst aussehender Mann eben verschließen zu wollen schien, und wir stiegen mehrere Stufen hinab, wie zu einem Grabgewölbe unter der Kirche. So war es auch; denn in diesen unterirdischen Kreisen war, aus mir unbekannten Gründen, ein höchst sonderbarer Ort zum Kirchendienst errichtet.

Man denke sich eine lange Reihe niedrig gewölbter, finstrer Hallen, wie sie anderswo zu Begräbnissen gebraucht werden, und auch hier dazu gedient hatten. Ein Teil davon war mit Sitzen versehen und wurde als Kirche gebraucht. Die so hergerichteten Gewölbe konnten zwar eine Versammlung von mehreren Hunderten fassen, waren aber weit kleiner als die dunklern und ausgebreitetern Höhlen, welche rings umher gähnten. In diesen öden Höhlen der Vergessenheit bezeichneten düstre Banner und zerrissene Wappenschilder die Gräber derjenigen, welche einst ohne Zweifel »Fürsten in Israel« waren. Inschriften in veralteter Sprache, nur dem Altertumsforscher lesbar, luden den Wanderer ein, für die Seelen derjenigen zu beten, deren Gebeine hier ruhten. Umringt von diesen letzten Ueberresten der Sterblichkeit, fand ich eine zahlreiche Versammlung eben im Gebete begriffen. So standen mehrere Hunderte beiderlei Geschlechts und von jedem Alter, die Männer mit unbedecktem Haupte, und hörten ehrerbietig und aufmerksam dem Gebete zu, das ein alter, sehr beliebter Geistlicher aus dem Stegreif sprach. In diesem Glauben erzogen, neigte sich mein Gemüt zu ernster Teilnahme an dieser Andachtsübung, und erst als die Versammlung wieder die Sitze einnahm, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf alles, was mich umgab.

Nach geendetem Gebete setzten die meisten Männer ihre Hüte oder Mützen auf, und wer so glücklich war, einen Sitz zu haben, ließ sich nieder. Andreas und ich gehörten nicht zu dieser Zahl, da wir zu spät gekommen waren. Wir standen unter mehreren andern, die einen Kreis um die Sitzenden schlossen. Hinter uns und rings umher waren die bereits erwähnten Gewölbe; vor uns die andächtige Versammlung, in matter Beleuchtung des Lichts, welches durch einige kleine gotische Fenster fiel, wie man sie in Beinhäusern findet. Man konnte dabei die Mannigfaltigkeit der Gesichter erkennen, die, wie gewöhnlich beim schottischen Gottesdienste, sich dem Prediger zuwendeten.

Hier saß ein eifriger, verständiger Calvinist, dessen gesenkte Augenbrauen tiefe Aufmerksamkeit andeuteten. Seine Lippen waren leicht geschlossen und die Augen auf den Prediger geheftet, mit dem Ausdrucke geziemenden Stolzes, als ob er über die wohlbegründeten Lehren innerlich triumphierte. Ein andrer, der wilder und ernster aussah, verriet zu gleicher Zeit seine Verachtung gegen alle, die an den Lehren seines Seelsorgers zweifelten, und seine Freude über die ihnen angedrohten Strafen. Ein dritter, der vielleicht zu einer andern Gemeinde gehörte und nur durch Zufall oder aus Neugierde hierher gekommen war, verriet durch ein leichtes Kopfschütteln deutlich seinen Zweifel an den dargelegten Glaubenssätzen. Die meisten lauschten mit ruhigem, zufriedenem Gesicht, dessen Ausdruck andeutete, daß sie es sich als Verdienst anrechneten, einer so scharfsinnigen Rede zuzuhören, obwohl sie dieselbe vielleicht nicht ganz verstanden. Zu diesen letztern gehörten größtenteils die Weiber; die Alten schienen jedoch ernster auf die Darlegung der abstrakten Lehren zu achten, während die Jüngern gelegentlich ihre Blicke bescheiden in der Versammlung umherwandeln ließen.

Das waren die Gruppen, die ich bei den Sonnenstrahlen unterschied, welche durch die schmalen Fenster fielen, die aufmerksame Gemeinde beleuchteten und sich dann im leeren Raum der hintern Gewölbe verloren. Bei dieser Beleuchtung lag der vordere Teil des Raumes in matter Dämmerung, während der tiefere Hintergrund in gänzliche Dunkelheit gehüllt war.

Ich stand mit dem Rücken gegen diese Hallen und hatte den Blick auf den Prediger gerichtet. Von meinem Platze aus konnte mir nicht das geringste Geräusch entgehen, das in jenen einsamen Gewölben tausendfach widerhallte. Mehr als einmal blickte ich mich ringsum, wenn Regentropfen durch eine Spalte des verfallnen Daches auf die Steine herabfielen, und hatten meine Augen einmal jene Richtung genommen, so fand ich es schwer, sie abzuwenden; ein solches Vergnügen gewährt es unsrer Einbildungskraft, soweit als möglich in ein dunkles Labyrinth einzudringen, das nur matt erleuchtet ist und Gegenstände darbietet, die unsre Neugierde nur erregen, weil sie unbestimmt und unerkenntlich sind. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit des Raumes, auf den ich sie gerichtet hielt, und es hatte nun mehr Interesse für mich, diese Finsternis zu ergründen, als den theologischen Auseinandersetzungen des Predigers zu folgen.

Ich bat Andreas leise, sich zu erkundigen, ob jemand aus dem Hause Mac Vittie da wäre. In tiefer Aufmerksamkeit auf die Predigt, antwortete mir Andreas nur mit derben Ellbogenstößen, womit er mir zu verstehen gab, daß ich mich still verhalten sollte. Mit ebenso schlechtem Erfolge strengte ich meine Augen an, ob ich unter der Menge erhobner Gesichter, die sich nach der Kanzel richteten, Owens ehrbare, bedächtige Züge erblicken könnte. Allein weder unter den breiten Filzhüten der Bürger von Glasgow, noch unter den noch breitrandigern Mützen der Bauern von Lanarkshire, konnte ich etwas entdecken, was der anständigen Perücke, den steifen Manschetten und dem ganzen hellbraunen Anzug des Buchhalters der Firma Osbaldistone und Tresham ähnlich gewesen wäre. Nun kehrten meine Befürchtungen plötzlich mit solchem Ungestüm zurück, daß ich ganz vergaß, wo ich mich befand. Ich zog den Gärtner derb am Aermel und sagte ihm, ich wolle hinaus, um meine Nachforschungen fortzusetzen. Er erwiderte aber, daß wir vor Ende des Gottesdienstes nicht hinausgehen könnten, weil die Türen, sobald das Gebet anfange, verschlossen würden. Nachdem er mir dies kurz und mürrisch zugeflüstert hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit, mit dem Ausdruck von Verständnis und Urteil, wieder auf den Vortrag des Predigers.

Indem ich mich bemühte, aus der Not eine Tugend zu machen und wieder auf die Predigt zu achten, ward ich durch eine neue seltsame Störung unterbrochen. Eine Stimme hinter mir flüsterte vernehmlich in mein Ohr: »Euch droht Gefahr in dieser Stadt.« – Unwillkürlich drehte ich mich um.

Ein Paar steife, schlichte Handwerker standen neben und hinter mir, die ebenso wie wir zu spät gekommen waren. Mit einem Blick auf ihre Gesichter war es mir klar, obwohl ich kaum sagen konnte warum, daß keiner von ihnen zu mir gesprochen hatte. Mit ruhiger Aufmerksamkeit hörten sie der Predigt zu, und keiner erwiderte meinen forschenden Blick. Hinter einem starken, runden Pfeiler, der dicht hinter uns stand, hätte die Person, sogleich nachdem sie die geheimnisvolle Warnung ausgesprochen hatte, sich verstecken können; aber warum ich an solch einem Ort gewarnt wurde und vor welcher Gefahr, und wer die Warnung gegeben hätte, das waren Fragen, die ich mit allen Mitteln meiner aufgeregten Phantasie zu beantworten suchte. Ich erwartete, daß die Warnung wiederholt würde, und richtete von neuem den Blick auf den Prediger, damit der Warnende glauben sollte, seine ersten Worte seien nicht gehört worden.

Mein Plan gelang. Kaum hatte ich fünf Minuten meine Augen dem Redner zugewendet, als dieselbe Stimme flüsterte: »Hört mich, aber seht Euch nicht um.« – Ich drehte den Kopf nicht um einen Zoll. – »Euch droht Gefahr in dieser Stadt,« fuhr die Stimme fort, »und ich bin es auch. Sucht mich auf der Brücke heute nacht mit dem Schlage zwölf. Bleibt zu Hause, bis es dunkel wird, und laßt Euch nicht sehen.«

Die Stimme schwieg hier, und ich wandte mich sogleich um; doch der Sprecher hatte sich noch schneller hinter den Pfeiler versteckt, so daß ich ihn nicht sehen konnte. Aber ich wollte sehen, wer es sei, und so drängte ich mich aus dem Kreise der Zuhörer und trat hinter den Pfeiler. Alles war leer, und ich sah nur eine Gestalt in einen Mantel gehüllt, die, einem Schatten gleich, den grausen Raum des Gewölbes durchschritt.

Unwillkürlich wollte ich der geheimnisvollen Erscheinung folgen, die in den Grabgewölben dahin glitt und verschwand, wie der Geist eines hier ruhenden Toten. Es war wenig Hoffnung, die Erscheinung einzuholen, da sie allem Anschein nach eine Begegnung vermeiden wollte; aber selbst dieses bißchen Hoffnung wurde noch vereitelt; denn ich hatte kaum drei Schritte getan, so strauchelte ich und fiel. Glücklicherweise schützte mich die Dunkelheit, denn schon hatte der Prediger mit jener Strenge, mit der die schottischen Geistlichen Ordnung in ihren Versammlungen aufrecht erhalten, seine Rede unterbrochen und den Aufseher aufgefordert, den Störer der Andacht in Gewahrsam zu nehmen. Da jedoch das Geräusch sich nicht wiederholte, wurde keine nähere Untersuchung vorgenommen, und ich konnte, ohne weitere Aufmerksamkeit zu erregen, meinen Platz an des Gärtners Seite wieder einnehmen.

Als der Gottesdienst zu Ende war und die Versammlung auseinander ging, zeigte mir mein Freund Andreas den Herrn Mac Vittie und dessen ganze Familie. Ich erblickte in ihm einen langen, magern, ältlichen Mann mit harten Gesichtszügen, dicken, grauen Augenbrauen, lichten Augen und, wie mir vorkam, einem hämischen Ausdruck, vor welchem mein Herz zurückbebte. Ich dachte gleich an die erhaltene Warnung und zögerte, den Mann anzureden, wiewohl ich mir selbst keinen vernünftigen Grund für Abneigung und Argwohn angeben konnte.

Noch war ich unentschlossen, als Andreas, der meine Zögerung für Schüchternheit hielt, mir zuredete: »Sprecht mit ihm – sprecht mit ihm, Herr Franz! Er wird Euch gewiß ausführlichen Bescheid geben, wenn Ihr kein Geld von ihm verlangt; denn die Leute sagen, so reich er auch ist, zieht er doch nicht gern den Beutel.«

Mir war es sofort klar, daß, falls dieser Kaufmann in der Tat so geizig wäre, ich mich nicht so ohne weiteres zu erkennen geben dürfte, da ich ja über den Stand seiner Geschäfte mit seinem Vater nicht genau unterrichtet war. Diese Erwägung verstärkte den Eindruck, den die geheimnisvolle Warnung auf mich gemacht hatte, und die unangenehme Meinung, die ich beim ersten Blick von diesem Manne gewonnen hatte. Anstatt mich also direkt an ihn zu wenden, sprach ich nur den Wunsch aus, Andreas möchte sich erkundigen, ob Herr Owen sich im Hause Mac Vitties aufhalte. Er sollte dabei meiner Person nicht Erwähnung tun und mir nach dem kleinen Gasthaus, in welchem wir abgestiegen waren, Bescheid bringen. Das versprach Andreas zu tun.

Ende des ersten Bandes.

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