So traten sie ein. Der Pförtner verrammelte und verriegelte eilig die Pforte wieder, dann führte er sie durch eine Reihe von düstern, gewundenen Gängen.

»Unsre Väter,« sagte er unterwegs, »sind im Kapitelhause versammelt, würdige Schwester, um den neuen Abt zu wählen. Ach, und wir dürfen keine Glocken läuten, und kein Hochamt halten, die Hauptportale dürfen nicht geöffnet werden, damit das Volk seinen geistlichen Vater schaue und ehre. Unsre Väter müssen sich verstecken wie Räuber, die ihren Hauptmann, und nicht wie Mönche, die ihren insulierten Abt wählen.«

»Auf wen, mein Bruder, wird die Wahl fallen?« fragte die Gräme mit Eifer.

»Auf wen sie fallen kann?« versetzte der Bruder Pförtner, »oder, ach! wer wird es wagen, dem Rufe zu folgen, es sei denn der würdige Zögling des als heilig ausgerufenen Eustachius, der wackre, unerschrockne Bruder Ambrosius?«

»Wußte ich es doch, hat mir mein Herz doch den Namen zugeraunt!« sprach Magdalena. »Tritt vor, Du mutiger Kämpe, und verteidige die verderbliche Bresche! stehe auf, kühner Pilot, und nimm das Steuer in Deine Hand, dieweil der Sturm raset! wende die Schlacht, Du kraftvoller Bannerträger! schwinge Schleuder und Krummstab, Du edler Hirt einer zerstreuten Herde!«

»Verhaltet Euch, bitte, still, würdige Schwester,« sprach der Pförtner, »denn die Brüder werden gleich einziehen, die Wahl durch eine große Messe zu feiern; als Marschall muß ich sie zum Hochamt geleiten, denn alle Aemter dieser ehrwürdigen Stätte lasten jetzt auf den Schultern von mir armem, altem, müdem Manne!«

Behutsam verließ er die Kirche, und Magdalena und Roland standen allein, in dem großen, gewölbten Raume, der den edlen Baustil der Gotik des vierzehnten Jahrhunderts aufwies. Aber auch hier hatten die Vandalen gehaust, nicht einmal die Gräber der Helden und Fürsten hatten sie geschont, die Lanzen und Schwerter, die über den Särgen gehangen hatten, lagen mit den Reliquien, die andächtige Pilger gespendet hatten, zusammen auf wüstem Haufen, und die Gestalten, die einst, von Künstlerhand gemeißelt, die Sargdeckel geschmückt hatten, lagen zwischen. Heiligenfiguren und Engelsköpfen, die gewalttätige Hände von ihren Simsen gerissen hatten.

Das Traurigste aber war, daß die Mönche, obgleich nun Monate verstrichen waren, seit diese Greueltaten verübt worden waren, noch immer den Mut nicht gefunden hatten, den Schutt hinwegzuräumen und in der Kirche einen leidlichen Zustand von Ordnung zu schaffen. Und es wäre doch mit nicht allzuviel Mühe verbunden gewesen! Aber die ohnmächtigen Reste dieser einst so stolzen Gemeinschaft waren so kleinmütig, so verzagt, so schreckhaft geworden, daß sie sich, getragen von dem Bewußtsein, daß sie ihre Gegenwart bloß einem Uebermaß von Nachsicht und Milde verdankten, nicht dazu aufraffen konnten, irgend welche Schritte zu tun, die so hätten gedeutet werden können, als wollten sie alte Rechte wieder in Geltung setzen, sondern sich an der heimlichen und stillen Uebung ihrer kirchlichen Bräuche genügen ließen. Ein paar Brüder waren inzwischen dem Rufe ihres Herrn gefolgt, und zu ihrer Bestattung waren einige Aufräumungsarbeiten vorgenommen, aber auch auf das allernotwendigste beschränkt worden. Magdalena Gräme blieb vor einem dieser neuen Gräber stehen, das die sterblichen Reste des letzten Abtes Eustachius barg.

»Zu guter Stunde für Dich, Du Heiliger, aber zu gar unglücklicher Stunde für die Kirche wurdest Du von uns gerufen. Laß Deinen Geist mit uns sein, erfülle Deinen Nachfolger mit Mut, in Deine Fußtapfen, zu treten, gib ihm Deine Kühnheit, Deine Klugheit, Deine Gewandtheit, Deinen Eifer und Deinen frommen Sinn!«

Dieweil sie noch so sprach, tat sich eine Seitentür auf, und auf dem aus der einstigen Abtswohnung nach der Kirche führenden Gange, mitten zwischen Schutt und Trümmern, schritten sieben bis acht greise Männer, von Gram und Furcht gebeugt, und bebend und zitternd vor Alter, ebensoviel Gespenstern gleich, aufwärts zum Hochaltar, um dort ihr erwähltes Oberhaupt zum Vorsteher eines Schutthaufens zu weihen.

Der Priester, dem das Amt eines Abts vom heiligen Marienkloster überwiesen worden war, war ein Mann, zu dem schweren Amte, das seiner wartete, geeignet wie keiner, kühn und schwärmerisch, und doch edelmütig und versöhnlich, klug und bedacht und doch schnell und eifrig, -- und es bedurfte bloß eines bessern Anlasses, als der Stürzung eines im Niedergange begriffnen Aberglaubens, ihn in die Reihe wahrhaft großer Männer zu rücken. Ein solcher Mann war Pater Ambrosius, der letzte Abt von Kennaqhueir. Seine Haltung bei dieser Feierlichkeit, die doch aller sonst hierbei vorhandnen Herrlichkeit entbehrte, breitete eine hehre Würde über die heilige Stätte wie über die frommen Teilnehmer, die aus Furcht, Kummer und Scham, im Bewußtsein der Gefahr, in der sie schwebten, geneigt waren, die Handlung so viel wie möglich abzukürzen, gleich als ob sie etwas vorhätten, das sie entwürdigen oder in andre verdrießliche Lage bringen könne. Nicht so Pater Ambrosius! Wenn er auch in tiefer Schwermut den Hauptgang hinaufschritt, zwischen den Ruinen von Gegenständen, die ihm heilig gegolten hatten, so zeigte seine Stirn doch keine Spur von Niedergeschlagenheit, und sein Gang war fest und würdevoll. Auf seinem Gesicht stand zu lesen, daß er die Herrschaft übernehme als keineswegs abhängig von äußern Umständen, unter denen sie übertragen werde, daß sich seine Sorge nicht zu erstrecken habe auf die Sorge um die eine oder um fremde Personen, sondern einzig und allein mit allen Fasern des ihm gewählten Denkens und Seins um die Kirche, deren Dienst er sich geweiht hatte.

Der Weg, den er zu wandeln hatte, war beschwerlich, ein rechtes Abbild jenes andern Weges, der ihm im Leben bevorstand, aber endlich stand er doch auf den zertrümmerten Stufen des Hochaltars, barfuß, wie es vorgeschrieben stand, mit dem Hirtenstab in der bloßen Hand, denn Demantring und Inful, die mit kostbaren Juwelen besetzt gewesen waren, waren eine Beute der Plünderer geworden. Und keine Vasallen erschienen, ihre Huldigung darzubringen, ihr geistliches Oberhaupt mit Parade-Zelter und Prachtgeschirr zu versorgen; kein Bischof wohnte der Feierlichkeit bei, um den Prälaten, dessen Stimme bei der Gesetzgebung soviel galt wie seine eigene, in den Hochadel der Kirche aufzunehmen. Mit abgekürztem Zeremoniell traten die wenigen Brüder, die noch in der Abtei anwesend waren, an den Altar heran, um ihrem neuen Abte den Friedenskuß zu geben, der das Unterpfand sein sollte für brüderliche Liebe und geistliche Huldigung. Dann wurde die Messe gelesen, ebenfalls im beschleunigten Verfahren, und doch stockte der Priester, der sie las, und blickte sich wiederholt um, wie wenn ihn die bange Sorge befiele, mitten in der feierlichen Handlung gestört zu werden durch unheilige Elemente ... und die wenigen Brüder lauschten seinen Worten, wie von dem Wunsche beseelt, daß es bald, recht bald vorüber sein möge ...

Diese Zeichen von Unruhe mehrten sich, je länger die heilige Handlung währte, und es gewann allmählich den Anschein, als sei nicht bloß Angst die Ursache dazu, denn jetzt ertönten in den Pausen des Festgesangs allerhand Klänge, von außen her, dazwischen. Schwach und in der Ferne begannen sie, kamen aber näher und näher an die Kirche heran, bis sie endlich anschwollen zu mißtönendem Geschrei, das den Festgesang der frommen Brüder übertönte. Dazwischen Hornstöße ohne Rücksicht auf Wohlklang, und Schellengeklingel und Trommelwirbel, Dudelsack-Pfiffe und Cymbelschläge, dann Johlen und Kreischen einer vielköpfigen Menge, Weiber- und Kindergekreisch, untermischt mit Männergebrüll, kurz ein Durcheinander von Lärm, daß es an das heidnische Babel erinnerte, zuerst die kirchlichen Hymnen übertönte, dann einschüchterte und gänzlich verstummen machte.

Elftes Kapitel

Die Mönche verstummten, und gleich einer Herde Küchlein, in die ein Habicht hineinfährt, stoben sie zuerst auseinander und suchten nach verschiedenen Richtungen zu entfliehen, dann drängten sie sich, verzweifelnd an Rettung, um ihren neuen Abt. Er aber, mit dem gleichen unerschrocknen und festen Blicke, der während der ganzen feierlichen Handlung nicht von ihm gewichen war, stand auf der obersten Altarstufe, als wenn er sich des Platzes, der ihn zur Zielscheibe für die im Nahen begriffne Gefahr machte, in keinem Falle freiwillig begeben wolle, vielmehr seine Brüder durch die Gefährdung der eignen Person vor Gefahren zu schützen bedacht sei.

Unwillkürlich traten Magdalena Gräme und Roland Gräme von dem Platze, an dem sie bislang geweilt, hinweg und an den Altar heran, wie wenn ihre Herzen sie trieben, der Gefahren, denen die Brüder entgegengingen, teilhaftig zu werden. Beide neigten sich tief vor dem Abt, und während Magdalena das Wort nehmen wollte, legte Roland die Hand an den Dolch und richtete den Blick fest auf die Pforte, vor der jetzt der Lärm am meisten zu toben anfing.

Aber beiden gebot der Abt mit einer leichten Handbewegung Ruhe.

Mit jedem Augenblick schwoll jetzt das Getöse. Es wurden Stimmen laut, die ungeduldig Einlaß begehrten. Der Abt trat ruhig und würdevoll an die Pforte und forderte in strengem, Achtung gebietendem Tone, wer hierher gekommen sei, fromme Andacht zu stören, und in welchem Begehr? ... Eine kurze Weile trat draußen Ruhe ein. Dann aber erscholl schrilles Gelächter. Und endlich antwortete eine höhnische Stimme:

»Einlaß in die Kirche begehren wir, und wenn Ihr aufmacht, dann seht Ihr ja im Nu, wer wir sind.«

»Auf wessen Vollmacht fordert Ihr hier Einlaß?« fragte der Abt. --

»Der hochwürdige Herr Abt hat's also verfügt,« versetzte die Stimme von außen, und dem Gelächter nach zu schließen, das auf diese Worte folgte, mußte es ein ganz besondrer Ulk sein, der draußen sich der Menge zeigte.

»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht und will ihn nicht verstehen,« sagte darauf der Abt, »denn jedenfalls ist es etwas Ungeziemendes. Indessen geht in Gottes Namen und laßt seine Diener zufrieden! Und' wenn ich solches Euch künde, so geschieht es, weil ich Vollmacht besitze, hier zu befehlen.«

»Aufgemacht!« rief eine grobe Stimme, »wir wollen Eure Vollmacht mit der unsern vergleichen, mein liebes Mönchlein, denn auch wir gehorchen einem Oberhaupt das gewohnt ist, ersten Baß zu spielen.« »Brechstangen her!« rief ein dritter, »wenn der Kerl noch lange salbadert!« Ein wüstes Geschrei folgte auf die Worte. »Wir haben keine Lust, die schuftigen Mönche noch lange zu betteln, die uns bloß unsre Gerechtsame verkürzen!« rief ein vierter.

»Jawohl, unsre Gerechtsame!« johlte die Menge. »Schlagt die Türen ein! Rückt dem faulen Gesindel, die unserm Herrgott den Tag abstehlen, zu Leibe!«

Jetzt schlugen die Missetäter mit eisernen Hämmern gegen die Tore, und bei der Wut, mit der die Schläge geführt wurden, bestand keine Aussicht, daß die Tore lange sich halten würden. Der Abt sah ein, daß Widerstand müßig sein würde, und um die Kirchenstürmer nicht durch solchen Versuch noch zu stärkerer Wut zu reizen, bat er ernstlich um Ruhe, erlangte über nur mit Mühe Gehör.

»Meine Kinder,« redete er die Menge an, »ich will versuchen, ob es meinen Worten gelingen mag, Euch vor schwerer Sünde zu bewahren, die Ihr zu begehen Euch anschickt. Der Pförtner wird gleich zur Stelle sein, das Tor zu öffnen. Er ist auf dem Wege nach den Schlüsseln. Inzwischen geht mit Euch zu Rate, ob Ihr in einer Stimmung seid, wie sie vorhanden sein soll, um den Fuß über eine heilige Schwelle zu setzen.«

»Lirum larum mit Eurem Gewäsch!« wurde draußen geschrieen, »niemals war's den Mönchen so wohl, als wenn sie Brühsuppe aßen mit Kohl. Drum, hat Euer Pförtner nicht Zipperlein vom Bier und Wein und Branntewein, so bringt ihn trab trab auf die Schemelbein', kommandiert ihm ein bißchen Eile, sonst brechen wir ein sonder Weile! ... »Na, Jungens, war das nicht fein geredt?«

»Fein geredt!« brüllten draußen ein paar Dutzend Kehlen, »und so sein wie Eure Rede war, so sein wollen wir uns auch benehmen!«

Und wäre nicht im selben Augenblick der Pförtner mit den Schlüsseln gekommen, so hätte der Pöbel draußen ihn der Mühe des Aufschließens ganz sicher enthoben. Der Pförtner aber; kaum, daß er den Schlüssel herumgedreht hatte, flüchtete erschrocken wie ein Schleusenmeister, der das Wehr aufgezogen hat und von der hereinbrechenden Flut ereilt zu werden fürchtet. Die Mönche hatten sich, wie scheues Wild, hinter ihren Abt geflüchtet, der allein ein paar Schritte vorm Eingange dastand, ohne weder Bestürzung noch Furcht zu zeigen.

Ein lautes Gelächter brach aus, als die Pforte sich auftat, aber es flutete keine Schar wilder Frevler, wie Abt und Mönche erwartet hatten, in das Gotteshaus. Im Gegenteil dröhnte der Ruf über die Menge:

»Halt, Ihr Herren, halt! laßt den beiden ehrwürdigen Patres doch Zeit, sich zu beschnopern! Also geziemt es sich, und keiner verstoße dagegen!«

Ein wieherndes Gelächter folgte der Rede.

Es war ein wunderlicher Schwarm, dem diese Stimme Ruhe gebot, und abenteuerlich im höchsten Maße. Männer, Weiber, Kinder, in buntem Durcheinander und auf die possierlichste Weise herausgeputzt! Da war einer vorn mit einem Pferdekopf und hinten mit einem Pferdeschweif, in eine große Pferdedecke gehüllt, die ihm das Aussehen eines Pferdes geben sollte. Ein andrer war als Drache vermummt, mit mächtigen Flügeln aus Goldpapier und einem Rachen voll gräßlicher Zähne, zwischen denen eine spitzige, scharlachrote Zunge spielte. Der Drache schnappte nach einem Buben, der als Königin von Saba herausstaffiert war und mit langen Beinen vor ihm ausriß, und zwischen beide drängte sich ein martialischer Sankt-Georgsritter, statt eines Helms mit einem Punschnapfe auf dem Kopfe und statt der Lanze mit einem Bratspieß in der Faust. Dem Jungen aber gelang es, dem Drachen, und dem Drachen, dem Ritter zu entkommen. Dann kam ein Bär und ein Wolf und noch ein paar andre wilde Bestien, und alle suchten es dem Schneider Snug in Shakespeares Sommernachtstraum gleichzutun und waren die echten Muster von Vorsichtskommissarien, die durch den beschränkten Gebrauch ihrer künstlichen Hinterfüße niemand im geringsten Zweifel ließen darüber, daß sie nur armselige Zweifüßler waren. Dann kam eine Gruppe von Bösewichtern à la Robin dem Roten oder Kohlhaas, und das war entschieden die beste Gruppe in der ganzen tollen Gesellschaft, was übrigens insofern erklärlich war, als es dem Gewerbe nach zumeist Komödianten waren, die sie darstellten. Männer waren kostümiert als Weiber, und Weiber waren kostümiert als Männer, Kinder liefen als Greise an Krücken und mit Stöcken, in großen Flausröcken und mit wollnen Hauben auf den Flachsköpfen, während Großväter und Großmütter als kleine Kinder sich herausgeputzt hatten. Und wem die Mittel oder die Gedanken zu einem Kostüm gefehlt hatten, der hatte sich wenigstens Gesicht und Hände rot oder schwarz bemalt und das Futter seines Wamses nach außen gewandt, und so war mit einem Male die ganze Menschheit hier vor dem Kloster in einen Trupp der tollsten Maskerade verwandelt, die man sich selbst mit der buntesten Phantasie nicht bunter ausmalen konnte.

Die Krone der Maskerade war aber der »Abt der Unvernunft«, eine Maske, die jetzt in vollem Kostüm ihren Aufzug nach dem Haupteingange der Klosterkirche hielt, und zwar als lebendiges Konterfei des wirklichen Oberhauptes, zu dessen Begrüßung sie an seinem Weihetage, in Gegenwart seiner Klosterbrüder und im Chore seiner Amtsbrüder, sich eingefunden hatten. Dieses Konterfei eines Prälaten war ein stämmiger, untersetzter Mensch, der sich einen echten Falstaffswanst ausgestopft hatte, eine Inful aus Leder trug, die vorn wie ein Grenadiershelm, mit allerhand verrückter Stickerei und Flitterwerk aus Blech verziert, aussah, die aber noch unendlich stark von einem Gesicht übertroffen wurde, dessen wichtigster Bestandteil die Nase war, die sich als ein »Lötkolben« von ganz ungewöhnlicher Größe erwies und reicher als der reichste Hals- und Kopfschmuck mit Rubinen besetzt war. Sein Chormatel war aus Wachsleinwand und das Meßgewand aus Segeltuch, mit seltsamer Malerei versehen und aufgeschlitzt. Auf der einen Schulter war das Bild einer Eule befestigt und in der rechten Hand trug er den Hirtenstab, in der linken aber einen kleinen Spiegel mit einem langen Griff, so daß er dem bekannten Hansnarren Eulenspiegel, und zwar solchem in der Kutte, glich.

Die Begleiter dieses Eulenspiegel-Prälaten trugen ihre eigne Tracht mit dem dazu passenden Zubehör und äfften auf die gleiche verrückte Weise die verschiedenen untern Klosterämter nach, wie ihr Führer den Klosterabt. Sie folgten demselben in langer Prozession, und die buntscheckigen Masken drangen nun hinter ihm her in die Kirche mit dem Geschrei: »Platz, Platz dem ehrwürdigen Pater Eulenspiegel, dem gelahrten Mönche Ohnezucht, dem hochwürdigen Abte der Unvernunft!«

Dazu stimmte die Kohorte ein wüstes Konzert an von allerhand Klängen und Tönen. Die Kinder quiekten und heulten, die Männer lachten und tobten, die Weiber kreischten und kicherten, die Bestien heulten, der Drache zischte, das Steckenpferd wieherte, bockte und schmiß, und alles hüpfte und tanzte durcheinander, stampfte mit den Nägelschuhen gegen die, Steinplatten, daß die Funken stoben, kurz es waren ein Tohuwabohu, wie man es sich toller und verrückter gar nicht denken konnte.

Die Mönche blickten mit Angst und Bangen auf ihren Abt, und der Abt schien selbst in großer Verlegenheit. Er fühlte zwar keine Furcht, hingegen konnte er sich nicht verhehlen, daß es in hohem Grade gefährlich werden konnte, wenn er oder einer seiner Mönche Unwillen laut werden liehen. Er gab mit der Hand ein Zeichen, als wolle er Ruhe gebieten, das jedoch im ersten Augenblick nur mit wieherndem Gelächter beantwortet wurde. Aber als die gleiche Handbewegung zum andern Male Stille gebot, da leisteten die unwirschen Patrone ohne weiteres Gehorsam, denn sie erhofften sich von einer Zwiesprach zwischen dem wirklichen Abte und dem von ihnen ausstaffierten Konterfei das größte Gaudium. Deshalb begannen sie jetzt zu schreien:

»Munter, munter, ihr Patres! flott ins Geschirr, Bruder Mönch! flott ins Geschirr, Pfaff Eulenspiegel! Abt gegen Abt ist kein übler Fall, und Vernunft gegen Unvernunft ein feiner Strauß!«

»Silentium, Kumpane!« rief Eulenspiegel-Abt, »sollen zwei wohlgelahrte Kirchenpatres sich nicht zusammen ausquatschen können, ohne daß Ihr dazwischen quakt wie die Frösche? Silentium, sage ich. Gönnt dem weisen Pater und mir Zeit und Weile, uns zu beraten über Dinge, die unser beiderseitiges Verhältnis und Ansehn betreffen.«

»Meine lieben Kinder,« hub Pater Ambrosius an.

»Dito, meine lieben Kinder, und meine Glückspilze von Kindern!« sagte sein Konterfei, »es läuft so manches Kindlein unter der Sonne herum und kennt seinen eignen Vater nicht, und da ist's wohl schön und gut, wenn sie die Auswahl haben zwischen zweien!«

»Ist Dir noch sonst etwas geblieben außer Spott und Hohn und Eulenspiegelei?« fragte der Kirchen-Abt, »dann laß mich, um Deines eignen Seelenheiles willen ein paar Worte sprechen zu diesen irre geleiteten Menschen!«

»Ob mir andres geblieben außer meiner Eulenspiegelei?« wiederholte der Abt der Unvernunft. »Ei, ei, würdiger Bruder in Christo, mir ist alles geblieben was der Mensch braucht, um Mensch zu sein, mein Rind- und Schweinefleisch, mein Bier und Schnaps, und andrer Leckerbissen gar nicht zu erwähnen, Kollega! ... Na, quatsch Dich nur aus, wir wollen uns messen, wie es Brauch ist zwischen ein Paar ehrlichen Streithengsten ... gleiche Kappen, gleiche Waffen!«

Der Zorn der Frau Gräme war auf den Höhepunkt gestiegen. Sie trat zu dem Abt und sprach mit leiser Stimme, aber in festem, entschiedenem Tone:

»Wachet auf und erhebet Euch, frommer Vater! Das Schwert des heiligen Petrus ruhet in Deiner Hand. Zieht es und rächet das Erbe Sankt Petrus'! Schlagt sie in Ketten, mit denen auch im Himmel gefesselt bleibt, wen die Kirche auf Erden in Fesseln gelegt hat!«

»Ruhe, Schwester!« sprach der Abt, »ihre Torheit soll uns nicht der Fassung berauben! sei still und laß mich meines Amtes walten! es ist das erste und mag vielleicht das letztemal sein, daß ich mich hierzu berufen fühle.«

»Nicht doch, mein frommer Bruder in Christo,« sagte darauf Eulenspiegel-Abt, »richte Dich doch nach den Worten der alten Madam. Ist doch noch kein Kloster gediehen ohne Weiberhilfe!«

»Sei still, Du Tor!« erwiderte der Kirchen-Abt, »und Ihr, meine Brüder --«

»Nicht doch,« fiel ihm Eulenspiegel-Abt in die Rede, »keinen Quatsch mit dem Laienvolk, als bis Ihr Euch mit Eurem Bruder mit der Schellenkappe besprochen und beraten habt. Ich schwör es bei Meßbuch und Glocke und Kerze, daß keiner von meiner Sippe Euch anhören soll. Also wendet Euch an mich mit Eurer Rede, denn mich findet Ihr bereit zu hören und Antwort zu geben.«

Abermals versuchte der Kirchen-Abt, an die Empfindungen bessrer Art zu appellieren, die einst unter den Gliedern dieses geistlichen Distrikts verbreitet waren, aber der Abt der Unvernunft brauchte nur seinen Schellenstab zu schwingen, und das Schreien und Toben der Menge nahm wieder überhand, daß es den Zungen der stärksten aller Stentorstimmen widerstanden hätte.

»Und nun, Kumpane,« nahm der Abt der Unvernunft wieder das Wort, »haltet noch einmal die Mäuler, und laßt uns erproben, ob der Kampfhahn von Kennaqhueir kämpfen oder vom Kampfplatze fliehen wird.«

Wiederum trat eine Pause ein, die Pater Ambrosius wahrnahm, sich an den Gegner zu wenden, weil er keine andre Möglichkeit ersah, sich auf andre Weise Gehör zu schaffen.

»Armer Mann,« sagte er, »weißt Du keine bessre Anwendung für Deinen ungeschlachten Witz, als daß Du ihn nützest, diese verblendeten Menschen in den Abgrund der Finsternis zu führen?«

»Bruder in Christo,« versetzte mit Lachen der andre, »auf die Art kriegen wir die Karre nicht in Gang! Noch immer stehen wir einander nicht anders gegenüber, als daß Ihr aus einem Jux einen Sermon, und ich aus einem Sermon einen Jux mache.«

»Wollt Ihr denn wirklich dulden,« wandte der Kirchenabt sich wieder an die Menge, »daß ein von Gott abtrünniger Possenreißer Gottes Diener an heiliger Stätte verhöhne? So mancher von Euch hat unter meinen heiligen Vorgängern gelebt, vielleicht ihr alle! Unter meinen Vorgängern, die berufen waren zu herrschen dort, wo ich berufen sein soll zu leiden. und nennt Ihr weltliche Güter Euer eigen, so besitzt Ihr sie aus den Händen meiner Vorgänger; und standen Euch, sofern Ihr sie nicht verschmähtet, nicht jederzeit auch bessere Gaben zur Verfügung, wie die göttliche Gnade und die Vergebung der Sünden? Haben wir nicht, während Ihr fröhlich waret, gebetet für Euer Seelenheil? haben wir nicht für Euch gewacht, dieweil Ihr schliefet?«

»So haben wohl die Klostermuhmen immer gern gefaselt,« hub Eulenspiegel-Abt an, aber diesmal fand sein Spott nur mäßigen Beifall, und Pater Ambrosius nahm den Vorteil des Umschwungs in der Stimmung mit Eifer wahr.

»Geziemt es sich für Euch,« fuhr er fort, »ein Paar Greise mit Hohn zu überschütten, deren Vorgänger Euch und Euren Eltern und Ureltern immer nur Gutes erwiesen? die keinen andern Wunsch mehr hienieden haben, als in Ruhe und Frieden unter den Trümmern der Stätte zu sterben, die einst der Ruhm des Landes war? die täglich zu Gott ihrem Herrn bitten, sie früher abzurufen, als der letzte Funken verlöschen und dieses Land in Finsternis begraben wird? Wir haben die Schärfe des geistlichen Schwertes nicht gegen Euch gerichtet, als Ihr unsrer Ländereien uns beraubtet, als Ihr uns alles nahmt, was uns bisher den kargen leiblichen Unterhalt lieferte, den dieses Land uns spendete. Nein! bloß um das eine haben wir gebettelt, daß Ihr uns sterben lasset an der Stätte, da wir zu unserm Gott gebetet haben zeit unseres Lebens, daß Ihr uns auch weiter vergönnt, für Euer Seelenheil zu beten zu Gott und unsrer lieben Frau, auf daß uns und Euch die Sünde verziehen werde, die uns allen anhaftet! und dazu bitten wir heute noch, daß Ihr uns in unserm stillen Werke nicht stören möget durch solchen Mummenschanz und solches Possenspiel, das Gott nicht wohlgefällig, sondern ein Aergernis ist!«

Und so verschieden war diese Rede in ihrem Ton und ihrem Schlüsse von derjenigen, die die Menge hier zu vernehmen gerechnet hatte, daß sie eine Wirkung erzielte, die der Fortsetzung des possenreißerischen Treibens nicht günstig war. Die Tänzer mit den schwarzbemalten Gesichtern standen still, das Steckenpferd bockte nicht mehr. Pfeife und Trommel verstummten, und eine düstre Stille fing an, über das wilde Völkchen sich zu legen. Und der Kirchenabt stand mit zuversichtlicher Miene auf dem gleichen Plätze wie von Anbeginn und die frommen Brüder begannen wieder Mut zu fassen. Aber Eulenspiegel-Abt war nicht gewillt, seinen Plan so schnell fallen zu lassen.

»Ei, ei, Kumpane,« rief er lustig, »heißt das spielen, wie es sich gehört? habt Ihr mich darum, zum Abte der Unvernunft erwählt, weil Ihr vernünftiger Rede Gehör geben wollt? Bin ich darum durch Euer feierliches Kapitel im Martinschen Leihhause zum Abte der Unvernunft gekürt worden? Spielt das Spiel zu Ende, und helft mir jeden Wortvergessnen unsers Ordens mit Sang und Klang unters Wehr zu tauchen!«

Der Pöbel, wie immer wetterwenderisch, ließ ein lautes Hurra erschallen, und der ganze Hexensabbat hub von neuem an. Aber es wäre dem Abte Ambrosius ohne Zweifel noch einmal gelungen, durch seine Reden und Bitten den Sieg zu gewinnen, hätte nicht Frau Magdalena Gräme sich verleiten lassen, dem Unwillen Raum zu geben, der so lange in ihrer Brust schon tobte.

»Ihr Spötter! Ihr Gotteslästerer, Ihr Belialskinder!« eiferte sie.

»Ruhe, Schwester, ich befehle es Euch, ich bitt Euch darum,« sagte der Kirchenabt, »lasset mich meine Pflicht tun und, störet mich in der Ausübung meines Berufs nicht durch selbstwilligen Eingriff!«

Aber die Gräme fuhr fort zu eifern und zu wettern, bis der Abt der Unvernunft das Wort nahm und unter Lachen rief:

»Kumpane! auch nicht eine einzige verständliche Silbe hat die alte Dame über ihre Lippen gebracht: drum mag sie nach dem Gesetze unsers Ordens freigesprochen werden von jeglicher Schuld! Aber was sie gequatscht hat, war vernünftig gemeint, drum soll sie erklären, daß es Quatsch gewesen, wenn sie nicht Bekanntschaft machen will mit dem Wehr. So steht's in den Statuten unsers Ordens, und also wollen wir's halten! ... Darum, mein frommes Madamchen, ob Ihr nun Pilgerin seid oder Aebtissin, Küchen- oder andre Nonne, laß ab von Deinem Faschingsquatsch, oder nimm Dich vorm Wehr in acht! Wir brauchen in unserm Sprengel der Unvernunft weder geistliche noch weltliche Schimpfmäuler.«

Mit diesen Worten streckte er die Hand aus nach der Greisin, und seine Kumpane schrieen:

»Vor den Schöppenstuhl mit ihr! vor den Schöppenstuhl!«

Aber als sich Eulenspiegel-Abt anschickte, dem Begehr der Menge zu folgen, da ereignete sich plötzlich ein Vorfall, der ihn unfähig dazu machte. Roland Gräme, dem schon lange die Hand juckte, geriet außer sich über diese seiner bejahrten Verwandten angetane Schmach und stieß, indem er sich der angebornen Heftigkeit seines Temperaments überließ, dem Eulenspiegel-Abt den Dolch in den Bauch, daß der Dickwanst wie ein Klotz zu Boden niederschlug.

Zwölftes Kapitel

Der Pöbel, auf so grauenhafte Art in seiner Freude gestört, erhob ein furchtbares Rachegeschrei. Aber für den ersten Augenblick hielt ihn das flammende Auge und der Dolch in der Hand des Jünglings in Schranken, im Verein mit dem Bewußtsein, daß ihm jegliche Waffe fehlte. Der Abt aber, ob dieser Gewalttätigkeit tief entsetzt, hob die Hände zum Himmel und flehte um Vergebung ob des in den heiligen Mauern vergossenen Blutes. Bloß die Gräme war verzückt vor Freude über die Strafe, die ihr Tochtersohn diesem sündigen Spötter erteilt hatte, wenngleich sich langsam die Bange ob des Schicksals, das diesem Sproß ihres Geschlechts nun winkte, an sie heranschlich. Indessen hatte die Menge sich umsonst ereifert, die Gräme sich umsonst gefreut und umsonst gebangt, und der Kirchenabt sich umsonst bekümmert, denn der Eulenspiegel-Abt, den alle Welt auf den Tod verwundet wähnte, sprang plötzlich puppenlustig von der Erde auf und stimmte ein helles Gelächter an. Dann rief er:

»Ein Wunder, Kumpane, ein Wunder! so herrlich und groß, wie es die Kirche von Kennaqhueir noch nie erlebt hat, so lange sie steht ... Und nun befehle ich Euch, Kumpane, als Euer gewählter Abt, daß Ihr an niemand Hand legt! ... Wolf und Bär, vorgetreten! Ihr beide nehmt den naseweisen Musje unter Obhut, sorgt aber, daß ihm kein Leid geschehe! Und Ihr, ehrwürdiger Herr Kollega, werdet Euch mit Euren Brüdern in Eure Zellen zurückziehen, denn unsre Zwiesprach ist zu Ende, wie all solche Dispute, bei denen jeder auf dem bestehen bleibt, was er sich in seinen Dickkopf gesetzt hat. Ich rechne drauf, daß Ihr Euch fügen werdet, denn sollte es zu einem Kampfe kommen, so müßtet Ihr doch unbedingt den kürzeren ziehen. Drum geht, und wir, Herr Kollega, wir werden auch nicht länger hier verweilen. Umsoweniger,« setzte er in weit natürlicherem und freundlicherm Tone als bisher hinzu, »als es unsre Absicht ja überhaupt nicht war, Euch Böses zu tun. Vergeßt nicht: Hunde, die viel bellen, beißen wenig, und es ist immer das klügste, die Partie aufzugeben, so lange man noch gute Karten kriegt. Drum geht, sage ich Euch nochmals. Laßt die Leute ruhig austoben. Mit der Zeit bekommen sie den Spuk von selber satt. Ueberlaßt es dem Abte der Unvernunft, sie wieder zur Vernunft zu bringen!«

Auch die Brüder drangen in den Abt, dem Strome zu weichen.

»Nun, so geschehe es nach Eurem Willen!« sagte endlich Abt Ambrosius. »Begebt Euch in Eure Zellen, und Euch, Magdalena Gräme, bei dem Gehorsam, den Ihr mir schuldig seid und bei der Rücksicht, die Ihr auf Euren Enkel zu nehmen habt, befehle ich, mit uns zu gehen ohne jedes weitere Wort! Euch aber, böser Mann, frage ich, was habt Ihr mit dem Jünglinge vor? Ihr wißt,« setzte er in strengerm Tone hinzu, »daß er die Livree des Hauses von Avenel trägt. Und wer den Zorn des Himmels nicht scheut, der möge zum wenigsten den Unwillen der Menschen nicht außer acht lassen!«

»Um seinetwillen laßt Euch kein graues Haar wachsen, Herr Abt,« erwiderte Eulenspiegel, »wer der Musje ist und was der Musje ist, das wissen wir recht gut.«

»Gewährt meiner Fürsprache Gehör,« sprach der Abt in bittendem Tone, »und tut ihm nichts zu leide! es war jugendlicher Uebereifer, der ihn zu der Tat spornte.«

»Ich sage Euch ja, macht Euch um seinetwillen keine Sorge,« wiederholte Eulenspiegel, »aber entfernt Euch mit Eurem Gefolge, sonst kann ich mich nicht verbürgen, daß Eurer zelotischen Madam der Sprung ins Wehr erspart bleibt ... Und was die Nachträgerei anbetrifft, so laßt Euch sagen, daß in meinem Herzen dafür kein Raum ist. Dazu ist mein Bauch zu fein mit Häcksel und Wachstuch ausgestopft ... das hat den Dolch des jungen Brausekopfs verhindert, seine Wirkung zu tun.«

Durch diese Worte einigermaßen beruhigt, zog sich der Kirchen-Abt an der Spitze seiner Mönche zurück, während der Eulenspiegel-Abt sich an die Lärmer wandte, die trotz ihrer tollen Laune sich so lange ruhig verhielten, bis der letzte Mönch durch die Seitentür verschwunden war, die zu ihrem Wohnhause führte. Soviel hatte die Rede des Abtes doch bei ihnen gefruchtet. Und selbst nachher noch bedurfte es mehrfacher Anregung von seiten Eulenspiegels, um den Geist des Aufruhrs noch einmal wachzurufen, nachdem er in solcher Weise gedämpft worden war.

Da aber trat in der Gestalt eines Ritters in voller Rüstung und in Begleitung von drei bis vier Bewaffneten eine neue Erscheinung auf die Bühne dieser wunderlichen Handlung. Mit strenger Stimme befahl er auf der Stelle die Einstellung des ungebührlichen Mummenschanzes.

Das Visier des Ritters war aufgeschlagen, aber auch ohnedem hätte jeder sofort an dem Helmzierate des Palmenzweigs erkennen müssen, daß er in dem Ritter den Schloßherrn von Avenel, Sir Halbert Glendinning, vor sich habe. Auf seinem Heimritt war er zufällig grade zurzeit des Tumults durch das Dorf Kennaqhueir gekommen und hatte sich, vielleicht um das Schicksal des eignen Bruders besorgt, sofort nach der Kirche begeben.

»Was soll das heißen, Leute?« rief er empört, »seid Ihr Christen und Untertanen eines christlichen Königs und verwüstet Kirche und Chor wie gemeine Heiden?«

Alle standen stumm da, wenn sich auch manche gar nicht zurechtlegen konnten, wie es einem protestantischen Ritter beikommen könne, sich einer katholischen Kirche auf solche Weise anzunehmen.

Endlich übernahm es der Drache, für seine Gefährten eine Rechtfertigung zu versuchen, und er brummte, »es sei doch bloß geschehen, um den Götzendienst der Päpste aus dem Lande zu fegen.«

»Was setzt Ihr Euch da für Unsinn in den Kopf?« fuhr der Ritter den Drachen an. »Daß solcher Mummenschanz weit Schlimmeres in sich birgt als diese steinernen Mauern, das leuchtet Euch wohl nicht ein? Solch zügelloses Treiben ist eitel Torheit und Frevel. Drum tut ihm Einhalt und zerstreut Euch in Ruhe!«

»Nu, da hätten wir ebenso gut römisch bleiben können,« brummte der Drache, »wenns nach wie vor verboten sein soll, sich einen Jux in seiner freien Zeit zu machen.«

»Ist das ein Zeitvertreib für einen anständigen Kerl, auf dem Boden herumzukriechen wie ein Ungetüm von Kohlraupe?« fragte der Ritter, »mach, daß Du aus Deinem Gehäuse herauskommst, oder ich will Dich traktieren, wie man's mit solchem Gewürm macht, zu dem Du Dich selbst erniedrigst.«

»Gewürm?« wiederholte knurrend der Drache, »von Eurer Eigenschaft als Ritter abgesehen, ist meine Herkunft wohl nicht schlechter als die Eurige.«

Der Ritter versetzte dem Drachen statt aller Antwort ein paar Püffe mit dem Lanzenschafte, daß bloß die Rippen seines Drachenschweifs ihn vor dem Bruche der Rippen seines Leibes schützten. Eiligst kroch nun der Mann aus seinem Drachenleibe heraus und entpuppte sich dem Ritter als sein alter Kamerad Daniel von Howlethirst, der so manches Abenteuer mit ihm erlebt hatte, ehe das Schicksal ihn so hoch über den Stand seiner Geburt emporheben sollte. Der Bauer glotzte den Ritter knurrig an, wie wenn ihm heftige Vorwürfe über solche Grobheit auf den Lippen schwebten. Glendinnings Gutmütigkeit brach schnell wieder hervor und es tat ihm selbst leid, daß er den Mann so derb geschlagen hatte.

»Hätt ich Dich gekannt, Daniel, wär's Dir nicht so ergangen,« sagte er zu dem Bauern, »aber ich hab Dich wahrlich nicht in solch alberner Tracht vermutet. Ein toller Schlingel warst Du ja immer, das muß ich sagen. Aber komm mit hinauf aufs Schloß, und wir wollen mal probieren, wie meine Falken fliegen.«

»Und zeigt Ihr ihm nicht Falken, die wie Raketen steigen,« mischte der Abt der Unvernunft sich ein, »dann müßten meine Knochen Euren Lanzenschaft ganz ebenso fühlen wie vorhin seine.« »Was?« rief der Ritter, »Du Halunke bist auch dabei?«

Eulenspiegel-Abt hatte im Nu die falsche Lötkolben-Nase abgerissen und den Bauch von sich abgestreift und die Schellenkappe vom Kopfe genommen, und stand nun da als Falkner Adam Woodcock.

»Kerl, Du hast Dich erfrecht, solchen Tanz aufzuspielen, und obendrein in dem Hause, das meinem Bruder als Wohnstatt dient?« herrschte der Ritter ihn an.

»Grade wegen des Tanzes, Euer Gnaden, hab ich's mir herausgenommen,« erwiderte der Falkner, »denn ich hatte gehört, daß man in der Gegend vorhabe, einen Abt der Unvernunft zu wählen, und da hab ich mir gesagt, daß es bloß zu Dummheiten kommen könne, wie sie mir recht sein würden, wenn sich's einrichten ließe, daß die Wahl auf mich träfe. Das ist eingetroffen, und so hab ich Eurem Bruder wohl zu einem bißchen Verdruß verhelfen müssen, aber hab ihn vielleicht dadurch vor schwererem Leid bewahrt.«

»Du bist ein geriebener Patron, Woodcock, das weiß ich schon eine Weile, und mehr als die Anhänglichkeit an mich und mein Haus ist's die Lust an Lärm und Narretei, die Dich hierher geführt hat. Aber sorge drum, führe Deine Kumpane sonst wohin, nur hier im Gotteshause habt Ihr nichts zu suchen. Da hast Du ein paar Kronen für die Zeche. Beschließt den Tag so toll, wie Ihr ihn begonnen habt, aber richtet keinen Schaden weiter an, sondern vergeßt nicht, daß Ihr morgen wieder in Eurem Berufe arbeiten sollt. Drum tut's Euch nicht gut, daß Ihr Euch heute betragt wie Raubgesindel!«

Dem Befehle seines Dienstherrn gehorsam, rief der Falkner seine Leute zusammen und raunte ihnen zu:

»Fort, fort von hier! und zur Frau Martin hin, der Brauersfrau! Dort wollen wir Kehraus machen. Zieht ab mit Drommel und Dudelsack, aber fein manierlich und still, bis Ihr über den Kirchhof seid, dann könnt Ihr Euch zeigen wieder als die Bestien, die Ihr hier wart ... aber, was zum Teufel, hat bloß den Ritter über uns gebracht, daß er uns stören mußte in unserm Spiele! Merkt Euch bloß eins, Kumpane, den böse zu machen, ist keinem zu raten, denn seine Lanze ist keine Flaumfeder. Unser Daniel wird's schon gemerkt haben.«

»Na, wenn mir ein andrer das angetan hätt,« rief Daniel, »und nicht mein alter Kamerad, dann hätt ich ihm meines Vaters Hirschfänger um die Ohren gehauen!«

»Still, Kamerad, still!« versetzte Adam Woodcock, »in diesem Tone kein Wort weiter! kommt's nicht als gar zu grobes Wetter über einen, dann muß man sich halt ducken.«

»Mir paßt's aber nicht, mich zu ducken,« brummte Daniel, als Woodcock ihn aus der Kirche hinausziehen wollte, und stemmte sich mit Händen und Beinen dagegen. Da traf der scharfe, durchdringende Blick des Ritters die beiden Kämpfenden, und er rief:

»Heda, Falkner Woodcock, noch ein Wort!« und er zeigte auf den zwischen seinen beiden Wächtern, dem Wolf und dem Bären, befindlichen Pagen, »hast Du den Pagen meiner Frau in dieser Livree hierher gebracht, Schurke, damit er an Eurem hirnverbrannten Unfug mit teilnehme? ... Dann hättet Ihr doch wenigstens soviel Anstand wahren sollen, mein Haus nicht zu kompromittieren, und ihn auch in so eine Hanswurstjacke stecken können, wie Ihr sie tragt ... Bringt mir den jungen Menschen her, Ihr Bursche!«

Adam Woodcock war ein zu ehrlicher Gesell, um an Roland Gräme eine Schuld haften zu lassen, die ihn nicht traf, und er sagte:

»Euer Gnaden, ich schwöre Euch, der Knabe ist nicht hierher gekommen auf meine Weisung oder durch meine Vermittlung, am wenigsten in solcher Absicht.«

»Aber um die eigne Lust an Spektakel solcher Art zu befriedigen,« sagte der Ritter, »wird er sich wohl hergefunden haben, das kann ich mir denken.« Dann wandte er sich zu Roland. »Hierher, junger Springinsfeld, und gebt mir Bescheid, ob Eure Herrin Euch erlaubt hat, Euch soweit vom Schlosse zu entfernen und meine Livree durch Teilnahme an solchem Mummenschanz zu schänden!«

»Sir Halbert Glendinning,« versetzte Roland Gräme mit Entschiedenheit, »Eure Gemahlin hat mir vielmehr befohlen, über meine Zeit hinfort nach eignem Ermessen zu verfügen. Mir war das Schauspiel hier im höchsten Grade zuwider, das hab ich dem Eulenspiegel-Abt zu kosten gegeben, und Eure Livree trage ich bloß so lange, bis ich Sachen mir schaffen kann, an denen solches Zeichen der Knechtschaft nicht haftet!«

»Wie soll ich das verstehen, junger Mensch?« sagte Sir Halbert Glendinning, »rede deutlich! Rätsel zu raten ist nicht meine Sache ... Daß meine Gemahlin einen Narren an Dir gefressen hatte, weiß ich. Was hast Du Dir zu schulden kommen lassen, daß sie Dir den Laufpaß gegeben hat?«

»Ich muß sagen, nichts, was der Rede wert gewesen wäre, das muß ich sagen an des Knaben Stelle,« nahm Adam Woodcock das Wort, »eine Rauferei mit mir, die man der gnädigen Herrin hinterbracht hat, aber indem man aus der Laus einen Elefanten machte! Bis auf den Umstand, daß ich seinen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch gefüttert hab, hat alles Unrecht, das bekenn ich offen und ehrlich, bei dem ganzen Trödel, der dem Knaben den Dienst gekostet hat, auf meiner Seite gelegen.«

Nun erzählte der ehrliche Falkner den Hergang des Vorfalls, der Roland bei seiner Herrin in Ungnade gestürzt hatte, aber auf eine für den Pagen so günstige Weise, daß Sir Halbert den Beweggrund wohl oder übel fühlen mußte.

»Ein guter Kerl bist Du doch, Woodcock,« sagte er.

»Wie einer nur irgend mal einen Falken auf der Faust getragen hat,« versetzte Woodcock, »aber von der Seite genommen, ist's Junker Roland nicht minder. Nur da er von Abstammungswegen ein halber Edelmann ist, wallt bei ihm leicht das Blut ...«

»Gut, gut,« entgegnete Sir Halbert, »ich sehe, meine Gemahlin hat sich, scheint's, übereilt, zum wenigsten war das Vergehen wohl nicht schwer genug, einen Jungen, den man sieben Jahre bei sich hatte, Knall und Fall zu verabschieden, der Junker mag, wie ich mir denke, durch losen Mund die Sache schlimmer gemacht haben -- indessen trifft sich der Vorfall gut mit dem, was ich vorhabe ... Bring diese Sippschaft von hier weg, Woodcock; Ihr aber, Roland Gräme, geht mit mir.«

Schweigend folgte der Page dem Ritter, der sich nach der Abtswohnung begab. In das erste Zimmer, das Sir Halbert offen fand, eintretend, befahl er einem aus seinem Gefolge, ihn bei seinem Bruder Eduard zu melden. Während er, auf den Bruder wartend, im Zimmer auf und ab schritt, richtete er an Roland Gräme das Wort:

»Es wird Dir wohl nicht entgangen sein, mein Sohn, daß ich Dich durch besondre Aufmerksamkeit nicht grad auszuzeichnen liebte. Ich sehe, Dir schießt schon wieder das Blut zu Kopfe, aber verhalte Dich nur ruhig, bis ich fertig bin. Wenn ich mich so verhalten habe, geschah es nicht, weil ich nichts Lobenswertes an Dir bemerkt hätte, sondern weil ich etwas an Dir wahrnahm, was durch Lob sich noch gesteigert, noch verschlimmert hätte. Deine Gebieterin, der in ihrem Hauswesen vollständig freie Hand gehört, hat Dich vor der übrigen Hausgenossenschaft ausgezeichnet, hat Dich mehr behandelt als Verwandten denn als Diener, und wenn Du Dich durch diesen Unterschied auch verleiten ließest zu Mutwillen, vielleicht auch Eitelkeit, so wäre es ungerecht, nicht gelten lassen zu wollen, daß Du Dir gewisse Fertigkeiten angeeignet und in Deinen Sitten gebessert hast. Zudem wäre es nicht in Ordnung, nachdem man Dich so weit erzogen, Dich dem Mangel und dem Leben auf der Landstraße zu überantworten, bloß weil Du jenen Mangel an Zucht zeigst, der eben eine Folge Deiner in Weiberhand gelegenen Erziehung sein mußte. Aus diesem Grunde und weil es die Rücksicht auf das Ansehen meines Hauses so fordert, habe ich beschlossen, Dich so lange in meinem Gefolge zu behalten, bis sich für Dich eine Unterkunft in Ehren finden läßt. Ich erwarte, daß Du dem langen Aufenthalt in meinem Hause, wie der Erziehung durch meine Frau dann keine Unehre machen wirst.«

Roland erwiderte in ehrerbietigem Tone, indessen nicht ohne Selbstgefühl:

»Undank gegen den Schutz, den mir der Schloßherr von Avenel hat angedeihen lassen, liegt meinem Heizen ganz gewiß fern, und ich höre zum ersten Male zu meiner hohen Freude, daß ich seiner Aufmerksamkeit nicht, wie ich befürchtete, gänzlich unwert gewesen bin. Es ist wahrlich nichts weiter von nöten als mir zu sagen, wie ich die Schuld der Dankbarkeit gegen meine einstige Wohltäterin abzutragen vermag. An mir soll es nicht fehlen, und ich werde gern an die Lösung solcher Aufgabe das Leben setzen.« Aber er stockte.

»Das sind bloß Phrasen und Worte, junger Mensch,« erwiderte Sir Halbert, »und man dreht sie gern, um sie statt wirklicher Leistungen zu brauchen. Ich weiß nicht, wie sich für Dich Gelegenheit dazu finden sollte, Dein Leben zum Wohle und Heile der Schloßherrin von Avenel einzusetzen. Ich kann nur sagen, daß es ihr lieb sein wird zu hören, Du habest eine Laufbahn gewählt, durch die für Deine leibliche Sicherheit und für Dein Seelenheil gesorgt ist. Was hindert Dich, solchen Vorschlag von mir anzunehmen?«

»Einzig und allein eine noch am Leben befindliche Verwandte von mir,« entgegnete Roland, »die einzige, die ich kenne oder doch wenigstens gesehen habe, und die sich, seitdem ich vom Schlosse entlassen worden, meiner angenommen hat. Mit ihr muß ich, ehe ich Ja zu Eurem Vorschlage sage, Rücksprache nehmen. Das erfordert höfliche Rücksicht.«

»Wo befindet sich diese Verwandte?« fragte Glendinning.

»Hier in diesem Hause,« erwiderte Roland.

»Dann geh und suche sie auf,« beschied der Ritter den Pagen. »Es ist nicht mehr als billig, daß Du sie um ihren Willen angehst. Aber schlimmer denn töricht mochte es von ihr sein, wollte sie Dir ihre Einwilligung weigern.«

Roland ging, und der Abt trat ein.

Die beiden Männer begrüßten einander wie Brüder, die einander in Liebe zugetan sind, einander aber selten sehen. Ihre Lebensverhältnisse legten ihnen gewissermaßen die Bedingung auf, statt brüderlichen Verkehr zu pflegen, einander zu meiden, denn sie standen in zwei einander so feindlichen Lagern, daß jedes andre Verhalten sie in Zwist mit den Parteien hätte führen müssen, deren Interessen sie vertraten oder eigentlich führten. Nach herzlicher Umarmung und nach ein paar Worten des Willkommens von Seiten des Abtes gab Sir Halbert seiner Freude Ausdruck, daß er grade zur rechten Zeit gekommen sei, dem Eulenspiegel die Wege zu weisen.

»Nichtsdestoweniger, Eduard, muß ich sagen, wenn ich auf Dein Gewand blicke,« sagte der Ritter, »es weile noch immer in diesen Mauern ein Abt der Unvernunft.«

»Weshalb solche Reden über mein Gewand?« versetzte der Abt, »es ist das Rüstzeug meines Standes, wie Panzer und Wehrgehenk das Rüstzeug des Deinigen.«

»Es zeugt bloß, meines Dafürhaltens, von einem recht bescheidenen Maße von Klugheit, die Rüstung anzulegen, wenn wir nicht im Stande sind zu fechten. Das ist doch eitle Verwegenheit, den Feind herauszufordern.«

»Das kann niemand, behaupten, Bruder, ehe die Schlacht entschieden ist,« versetzte der Abt, »und wäre es selbst, wie Du sagtest, so möchte, meine ich, ein tapfrer Mann doch lieber fallen mit der Waffe in der Hand, als Waffe und Rüstzeug unter schimpflichen Bedingungen dem Gegner ausliefern. Indessen wollen wir uns nicht entzweien über einen Punkt, in welchem wir zu einer Uebereinstimmnng der Ansicht nie gelangen werden, sondern verweile lieber und nimm, wenn auch Ketzer in meinem Auge, an dem Feste meiner Weihe teil. Du brauchst nicht zu befürchten, daß kirchlicher Pomp Dein Auge hierbei kränken werde. Die Zeiten unsers alten Freundes Bonifazius sind vorbei. Der Abt des heiligen Marienklosters gebietet nicht mehr über Forste und Waldungen, Weiden und Felder, ihm gehören weder Schaf- noch Rinderherden, weder Wild noch Geflügel. Seine Weizenkammern sind leer, und in seinen Kellern lagert weder Bier noch Wein. Aber willst Du das wenige mit Deinem Bruder teilen, dann wollen wir es freudigen Herzens zusammen verzehren, dann will ich mit meinen wenigen Brüdern, denen der Aufenthalt an dieser heiligen Stätte gestattet wird, freudigen Herzens Dir danken für den Schutz, den Du uns gegen die gottlosen Spötter zuteil werden ließest.«

»Es tut mir leid, Bruder, daß ich Dir hierin nicht nach Wunsche dienen kann. Es möchte uns beide in bösen Leumund setzen, sollte es verlautbaren, daß sich protestantische Gäste beim Feste Deiner Weihe befunden hätten. Und soll mir irgend welche Möglichkeit bleiben, als Beschützer für Dich einzutreten, falls Notwendigkeit dazu sich ergibt, muß ich mich frei halten von dem Argwohn, als sei ich ein Freund Eurer Zeremonien und Bräuche. Den kühnen Mann zu schützen, der es dem Gesetz, dem Parlamentsverbot zuwider, wagte, das Amt eines Klosterabts von Sankt-Marien zu übernehmen und anzutreten, wird alles Ansehen erforderlich machen, das ich unter meinen Freunden besitze und noch erlangen kann.«

»Beunruhige Dich ob dieser Sache nicht, Bruder,« erwiderte hierauf der Abt, »wüßte ich, Du verteidigtest die Kirche um der Kirche willen, dann wollt ich mein Herzblut zum Opfer bringen; da Du aber ihr Widersacher bist, möcht ich nicht wünschen, Du machtest Dir irgend welche Ungelegenheit oder Gefahr, bloß um meiner Person willen. Doch wer kommt da? wer nimmt sich heraus, uns die wenigen Minuten zu verkümmern, die ein mißgünstiges Geschick uns zu brüderlichen Worten läßt?«

Die Tür ging auf, und die Gräme trat herein.

»Wer ist dies Weib, und was ist ihr Begehr?« fragte der Ritter rauh.

»Daß Ihr mich nicht kennt, hat nicht viel auf sich,« sagte die Matrone. »Ich komme auf Euer eignes Geheiß, um aus freien Stücken darein zu willigen, daß der junge Mensch mit Namen Roland Gräme den Dienst bei Euch wieder aufnimmt. Hiermit ist der Zweck, der mich in Eure Nähe führte, erfüllt. Ich mag Euch nicht durch meine Gegenwart belästigen. Friede sei mit Euch!«

Sie wollte sich zur Tür wenden, wurde aber durch eine weitere Frage Sir Halberts aufgehalten.

»Wer seid Ihr? ... Was seid Ihr? ... Und warum wartet Ihr nicht, mir Rede und Antwort zu stehen?«

»Als ich der Welt noch angehörte, war ich eine Dame von nicht unbekanntem Namen,« antwortete die Gräme. »Jetzt bin ich Magdalene, eine arme Pilgerin, um der Kirche willen.«

»So? Katholikin seid Ihr? Ich dächte, von meiner Frau gehört zu haben, Roland sei aus protestantischer Familie.«

»Sein Vater war ein Ketzer,« versetzte die Matrone, »oder vielmehr einer von jenem Schlage, der sich weder um Christ noch Antichrist kümmert. Schien doch auch ich mich, denn die Sünde der Zeit schafft Kinder der Sünde, in Eure unheiligen Bräuche zu finden, aber mir ist Vergebung der Sünde geworden.«

»Du siehst, Bruder,« sagte der Ritter, indem er sich mit bedeutsamem Lächeln dem Abt zuwandte, »daß wir ohne Grund Euch Katholiken der Doppelsinnigkeit im Herzen nicht beschuldigen.«

»Und doch tut Ihr uns unrecht, Bruder,« erwiderte der Abt, »denn diese Greisin ist nicht bei vollem Verstande. Und schuld daran seid Ihr, wie ich notgedrungen hinzusetzen muß, mit Euren raubgierigen Baronen und Eurer ständig sich mehrenden Geistlichkeit.«

»Hierüber mit Dir zu disputieren, Bruder, muß ich ablehnen,« versetzte Sir Halbert, »es gibt der Ungerechtigkeit und Unbilden so viel in der schlimmen Zeit, in der wir beide leben, daß für jede der beiden Kirchen wahrlich genug bleibt, wenn sie sich schwesterlich drein teilen.«

Mit diesen Worten bog er sich zum Fenster hinaus und stieß in sein Horn.

»Warum läßt Du Dein Horn erschallen, Bruder?« fragte der Abt, »wir sind doch erst wenige Minuten beisammen.«

»Und selbst diese wenigen Minuten werden der Ungereimtheiten mehr als wir wünschen unter die Leute bringen. Ich will nicht, daß Euer Enkel, gute Frau, mit mir nach dem Schloß zurückkehre. Es möchte bloß zu neuem Zwist zwischen ihm und dem Hausgesinde führen, wenigstens doch zu Neckereien, die sein Stolz nicht vertragen kann. Ich wünsche jedoch, ihm bloß Gutes und Liebes zu erweisen. Drum möcht ich Euch bitten, gute Frau, ihm zu sagen, er solle sich bereit halten, sofort aufzusitzen, weil er sich mit einem aus meinem Gefolge auf den Weg nach Edinburg machen soll. Ich brauche einen Botschafter, der dorthin berichtet, was sich inzwischen hier zugetragen hat.« Er hielt den Blick fest auf die Greisin gerichtet, die aber seinem scharfen Blicke mit Gleichgültigkeit begegnete. »Euch ist's nicht unlieb?« setzte er nach einer Weile hinzu.

»Ich sehe freilich Roland lieber als Spielball von Launen einer fremden Welt denn als Spielball einer Schloßdienerschaft, am wenigsten der von Avenel,« erwiderte die Gräme.

»Macht Euch keine Sorge, gute Frau,« sagte der Ritter in besänftigendem Tone, »er soll keiner von beiden Spielball werden.«

»Mag sein, mag sein,«, versetzte die Gräme, »aber ich will seinem eignen Verhalten doch mehr zutrauen als Eurem Schutze.«

Mit diesen Worten schritt sie aus dem Zimmer. Der Ritter blickte ihr nach. Als sie die Tür hinter sich eingeklinkt hatte, wandte er sich herzlich zu seinem Bruder, sprach die freundlichsten Wünsche für sein Wohlergehen aus und bat ihn um Erlaubnis, sich zu verabschieden. Doch als er sich der Tür zuwandte, sagte der Abt:

»Bruder, gehen wir nicht so auseinander! Da kommt eine kleine Erfrischung, geh nicht von hinnen aus einem Hause, das ich, so lange nicht Gewalt mich daraus vertreibt, das meinige nennen muß, ohne den Bissen Brot genossen zu haben, den jeder bei uns findet, und keiner uns abschlägt.«

Der Laienbruder, der den Pförtner abgab, trat ein mit einem Laib Brot und einem Kruge Wein.

»Ich hab sie im Keller noch vorgefunden,« sagte er unterwürfig, »aber ich hab die fernsten Winkel absuchen müssen.«

Der Ritter goß einen kleinen Becher voll und forderte den Bruder auf, ihm Bescheid zu tun, indem er sagte, es sei ja Bacharacher von bestem Gewächs und hohem Alter.

»Er stammt aus dem Winkel, der im Keller als die Abtsecke bekannt ist, und Abt Ingelram, der ihn so getauft hat, war aus Würzburg zu uns gekommen. Dort wächst wohl dieser Tropfen.«

»Wenn auch nicht in Würzburg selbst, sondern mehr am Rhein, statt am Main, aber die Domherren von Würzburg sind weit und breit bekannt um der herrlichen Weine willen, die ihre Keller bergen. Drum bitte ich meinen Bruder, Bescheid zu tun und Euch nicht minder ein Glas davon zu vergönnen.«

Der alte hagre Pförtner warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf den Abt, der die beiden Worte Do veniam [Ich gebe die Erlaubnis] sprach. Mit zitternder Hand griff der Greis nach dem Glase, das einen Tropfen enthielt, der so lange schon nicht mehr seine Lippen genetzt hatte, und schlürfte mit wonnigem Behagen den edlen Saft. Dann setzte er das Glas mit schwermütigem Lächeln, aus welchem deutlich die Bange sprach, daß es wohl wieder gar lange dauern werde, bis ihm ein solcher Genuß vergönnt sei, auf den Tisch nieder. Die beiden Brüder lächelten. Als nun aber der Ritter den Abt aufforderte, den Becher zu nehmen und ihm Bescheid zu tun, da schüttelte der Abt den Kopf und sagte:

»Heute ist für den Abt des heiligen Marienklosters kein Tag zu leckrer Speise und wonnigem Trunke. In Wasser aus dem Bronnen unsrer lieben Frau trinke ich Dir Bescheid, Bruder,« sagte er, indem er den Becher mit diesem reinen Naß füllte, »und wünsche Dir Glück und Gesundheit, vornehmlich aber die Erkenntnis der Verirrungen Deines Geistes!«

»Und Dir, mein lieber Eduard,« versetzte Glendinning, »wünsche ich den freien Nießbrauch der eignen Vernunft und die Erkenntnis, daß das Leben dem Menschen wichtigere Aufgaben stellt, als solche mit hohlem Namen, zu deren Ausübung Du Dich in einem Augenblicke der Uebereiltheit hast bestimmen und verleiten lassen.«

Die Brüder schieden voneinander. Tiefe Wehmut war in ihr Herz gezogen, und doch fühlte jeder zugleich eine gewisse Erleichterung im Vertrauen auf die Ansicht, die er vertrat, daß er den andern nicht mehr sah, so hoch er ihn achtete.

Bald darauf erklang Trompetenschall, und der Abt bestieg den Turm, von dessen zertrümmerten Zinnen er dem Reiterzuge nachblickte, wie er die Anhöhe zur Zugbrücke hinan sich bewegte.

Da trat die Gräme zu ihm.

»Du kommst, Schwester,« sagte der Abt, »einen Abschiedsblick auf Deinen Enkel zu werfen. Dort zieht er hin, unter dem Schutze des besten Ritters von Schottland, abgesehen allerdings von seiner ketzerischen Glaubensrichtung.«

»Du kannst mir Zeuge sein dafür, daß es weder auf Wunsch von mir noch meinem Enkel geschehen ist, daß der Ritter von Avenel, wie Du ihn nennst, Roland, Gräme wieder in seine Dienerschaft aufnahm. Der Himmel, der die Klugen mit Blindheit schlägt und die Gottlosen in ihrer List zum Verderben bringt, hat ihn dahin gebracht, wo ich ihn zum Heile der Kirche am liebsten zu sehen wünschte.«

»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, Schwester,« sagte der Abt.

»Hochwürdiger Vater,« antwortete Magdalena, »hörtet Ihr nie, daß es Geister gibt, die Schloßmauern sprengen, wenn sie erst einmal den Weg ins Schloßinnere fanden? Und Roland Gräme hat ihn zweimal ins Schloß Avenel hinein gefunden, ohne alles Zutun von eigner Seite; zweimal haben ihn diejenigen, so jetzt den Namen Avenel führen, an sich gezogen, erst die Schloßherrin, dann der Schloßherr. Mögen sie beide des Ausgangs gewärtig sein!«

Mit diesen Worten verließ sie den Turm, und der Abt, nachdem er einen Augenblick noch über die Worte der Greisin nachgesonnen, deren Inhalt er dem verworrenen Zustande ihres Gemüts beimaß, folgte ihr die Wendeltreppe hinunter, um den Antritt seines schweren Amtes, statt mit Bankettieren und Pokulieren, mit Kasteien und Fasten und Beten zu feiern.

Dreizehntes Kapitel

Seelenvergnügt trabte jetzt Roland Gräme im Gefolge des Ritters von Glendinning einher, war er doch frei von der verdrießlichen Sorge, mit Spott und Hohn auf dem Schlosse begrüßt zu werden, und durfte er doch hoffen, daß in der Zeit seines Aufenthaltes in Edinburg sich so viel ereignen, soviel ändern werde, daß, wenn er die Schritte hinweglenkte, dies geschehen würde in andrer Rolle, am Ende als Ritter, der Taten vollbracht hätte, die die Augen der Welt auf ihn lenkten! Die Brust geschwellt von Stolz, ein Roß unter dem Leibe zu fühlen, statt wie in den Tagen seit seinem Abschiede vom Schlosse auf Schusters Rappen zu reiten, erregt durch die seltsame Lebhaftigkeit seines Geistes, die durch die letzten Ereignisse so reiche Nahrung gefunden, ließ er seine Stimme hell und munter erschallen und gab auf alle Reden, die an ihn gerichtet wurden, so kecke und muntre Antwort und drückte seinem Rosse die Sporen so derb und flott in die Weichen, daß der Ritter mehr denn einmal mit zufriedner Miene den Blick auf ihm ruhen ließ.

Nicht lange währte es, so gelangte der Reiterzug an den Hohlweg, der zur Brücke hin führte, die noch immer unter der Obhut des alten Brückenvogts Peter stand, der inzwischen freilich nicht jünger geworden war, aber auch an knurrigem Wesen nichts eingebüßt hatte.

Hier ließ der Ritter halten und winkte den Falkner und Roland heran.

»Woodcock,« sagte er, »Du weißt, wohin Du den Jüngling geleiten sollst. Und Dir, Jüngling, gebe ich auf, mit Überlegung und Pünktlichkeit die Weisungen zu erfüllen, die Dir erteilt werden. Beuge Deinen eiteln, trotzigen Sinn! sei brav, wahrhaft und treu! es ist in Deinem Wesen etwas gelegen, das wohl im stande ist, Dich über Deinen gegenwärtigen Stand hinauszuheben. Und nimmer soll es Dir, allerdings nur in der Voraussetzung, daß Du bestrebt bleibst, zu erfüllen, was ich Dir als Deine Pflichten genannt habe, fehlen an dem Schutze des Schloßherrn von Avenel.«

Nach diesen Worten wandte der Ritter sich zur Linken, der Hügelkette zu, in deren Kranze Schloß und See Avenel lagen, während Woodcock und Roland mit dem Knappen, den ihnen der Ritter mitgegeben, sich zur Brücke hin wandten und den alten Vogt aufforderten, ihnen Durchgang zu gewähren. Das geschah jedoch erst, als ihm der Brückengroschen gereicht worden war, worauf sich die drei Reiter gen Norden wandten. Woodcock, bekannt in diesem Landstrich, schlug vor, ein Stück von der Landstraße abzuschneiden dadurch, daß sie den Weg quer durch das schmale Felsental von Glendearg nähmen, das durch die im eisten Teile der Handschrift des Benediktiners erzählten wilden Abenteuer den Lesern des Romanes »Das Kloster« noch bekannt sein dürfte. Auch Roland kannte diese Abenteuer und erklärte sich gern einverstanden mit Woodcocks Vorschlage.

Vergnügt allerhand lustige Lieder trällernd, deren er über einen reichen Schatz in seinem Gedächtnis barg, ritt der Falkner an Rolands Seite, bis sie zu einer Hütte tief unten im Tale gelangten, wo sie, unbekümmert um Abenteuer und Geister, sich für die Nacht ein leidliches Quartier zurechtmachten.

Am Tage darauf setzten sie ihre Reise nach Edinburg fort, das sie am Spätnachmittag in Sicht bekamen.

»Das also ist die Hauptstadt, von der ich so viel schon gehört habe?« rief Roland aus, als er auf den Kamm einer der Höhen gelangt war, die den Blick ins Tal bislang verschlossen hatten, »das da drüben ist wirklich Edinburg?«

»Allerdings,« sagte der Falkner, »dort steht das alte Rauchnest, von dem Ihr den Qualm und Dunst auf zwanzig Meilen weit lagern seht. Dort Pulsiert das Herz Schottlands, und jeder seiner Schläge wird von Solways Bord bis zu Duncans Hafenspitze gefühlt. Dort liegt das alte Schloß, und dort das Schloß von Craigmillar, das meiner Lebtage immer ein lustiger Winkel gewesen ist.«

»Hat dort nicht die Königin Hof gehalten?« fragte der Page.

»Gewiß, gewiß,« erwiderte der Falkner, »damals war sie Königin, aber jetzt dürft Ihr sie so nicht mehr nennen -- na, die Leute mögen reden, was sie wollen, es wird sich manches Herz in Schottland um Maria Stuart grämen, sie war doch das lieblichste Geschöpf, das ich je im Leben mit meinen Augen erschaute, und keine Dame im ganzen Lande hätte solche Freude an einem steigenden Falken! Ich weiß es noch wie heute, als in Roslinmuor die große Wettbalz abgehalten wurde zwischen Bothwell -- für sie ein garstiger Anblick -- und dem Baron von Roslin, dem es in solchem Sport keiner gleichtat in Schottland und England. O, ich seh sie noch, wie sie auf ihrem weißen Zelter saß, der über den Heideboden hin sauste, als tät's ihm leid, die roten Blümchen mit seinen Hufen zu zertreten. O, ich höre noch ihre silberhelle Stimme mit dem so berückenden Klange, die so süß schmettern konnte wie die Kehle der Weindrossel! O, ich seh sie noch alle vor mir, die stolzen Adelinge, wie sie buhlten um einen einzigen Blick von ihr, und wie sie jubelten, wenn sie ein Wort zu ihnen sprach, wie sie Leib und Leben wagten im tollsten Ritte, um ein Lob von ihr zu ernten oder an einem Blicke aus diesen herrlichsten aller, Königinnen-Augen sich zu laben ... Ach, und da, wo sie jetzt weilt, da wird sie nicht viel zu sehen bekommen von Falken und Falkenbeize, von Rittern und Ritterturnieren... Ja ja, Pracht und Herrlichkeit, sie rauschen vorüber so flink wie der Schlag eines Falkenfittichs.«

»Und wo hält man die arme Königin in Haft?« fragte Roland.

»Wo man sie in Haft hält?« wiederholte der Falkner die Frage des Jünglings. »Je nun, in irgend einem Schlosse hoch oben im Norden ... wo, kann ich nicht sagen, und sich drum zu kümmern, möcht auch nicht der Mühe verlohnen, denn ändern könnte man doch nichts dran! Hätt sie ihr Regiment besser geführt, so lange sie es noch in der Hand hielt, dann stünde es besser um sie! Wie es heißt, hat sie um des Buben willen, des kleinen Prinzen, Verzicht auf die Krone leisten müssen. Um seinetwillen soll man sie ihr nicht mehr gelassen haben. Unser Herr ist bei der Affäre so stark beteiligt gewesen, wie kein einziger seiner Nachbarn, und sollte die Königin je wieder zu ihrem Eigentume gelangen, so dürfte Schloß Avenel dafür leicht in Rauch aufgehen, der Schloßherr müßte denn seinen Vorteil auf andre Weise zu wahren wissen.«

»In einem Schlosse im Norden, sagt Ihr, wird die Königin in Haft gehalten?« fragte der Page.

»Ja, so wenigstens heißt's, jenseits des großen Flusses, der dort herabkommt, der aber kein Fluß, sondern ein Arm der See ist, bitter wie Salz.«

»Und unter all ihren Untertanen,« fragte der Page weiter, »ist nicht einer, der die Hand aufheben will zu ihrer Rettung?«

»Das ist eine kitzlige Frage, Junker,« erwiderte der Falkner, »und wenn Ihr solche Frage stellt, dann muß ich Euch leider sagen, daß Ihr riskiert, selbst in ein solches Schloß gesperrt zu werden, sofern man es nicht gar etwa vorziehen dürfte, Euch einen Kopf kürzer zu machen, um keine weitere Schererei mit Euch zu haben. Die Hand aufheben, sagt Ihr? I du meine Güte! jetzt hat Murrays Schiff das volle Fahrwasser und segelt so flott, daß es dem Teufel nicht beikommen dürfte, es mit ihm aufzunehmen ... Nein, nein! sie ist nun mal dort und muß dort bleiben, bis ihr der Himmel Erlösung schickt oder bis ihr Sohn alles in seine Gewalt bekommt. Aber daß Murray sie frei geben sollte, daran ist gar nicht zu denken, denn da kennt er sie viel zu gut. Und dann noch eins, Herr Roland, unsre Bestimmung lautet nach Holyrood, dort wird's weder an Neuigkeiten noch an Höflingen mangeln, die damit aufwarten werden ... aber, Herr Roland, laßt Euch von mir raten! streut Eure Saat, wie der Schotte sagt, im stillen! hört auf jedermanns Meinung, behaltet die Eure aber für Euch! Und wenn Ihr mal was hört, das Euch nicht in den Kram paßt, dann springt nicht gleich auf, als wolltet Ihr Euch fürs Gegenteil gleich selbst ins Zeug legen. Nehmt Euch unsern Haushofmeister Wingate auf Schloß Avenel zum Muster! der versteht's, wie man sich durchschlängeln muß, ohne es wo zu verderben, und dabei doch lustig sein Pfeifchen zu schneiden! Laßt meinen Rat gelten, Herr Roland, denn Ihr kommt unter eine Gattung von Menschen, die einen Blick haben so scharf wie ein Falke, und fahrt nicht gleich mit der Hand nach dem Dolche bei jedem schiefen Worte, das Euch zu Ohren gelangt, denn Ihr werdet auf so flinke und scharfe Degen treffen, daß der Eurige Mühe haben möchte, standzuhalten. Und für solche Aderlässe ohne Ort und Kalender dank ich schön, und ich glaube, Ihr bedankt Euch auch besser dafür!«

»Nun, Ihr sollt sehen, daß ich mich zusammennehmen will, Woodcock, und ruhig und behutsam bleiben,« versetzte Gräme; »aber was ist das für ein herrliches Gebäude, das hier in Schutt und Asche liegt? in so dichter Nähe bei der Stadt? Ist hier am Ende auch mal »Abt der Unvernunft« gespielt worden, und hat das Gaukelspiel hier mit der Zerstörung der Kirche geendet?«

»Da seid Ihr schon wieder im Schusse wie ein wilder Falke, der um Köder und Pfeife sich den Geier was schert! Danach solltet Ihr so leise fragen, wie ich Euch jetzt Antwort gebe.«

»Nun, wie's scheint, komm ich noch um den Gebrauch meiner Sprache, wenn ich lange hier bleibe!« versetzte Gräme .. »nun, so sagt doch, was das für Trümmer sind?«

»Die Feldkirche ist's!« belehrte mit leisem Flüstern der Falkner den Pagen und legte bedeutsam den Finger an die Lippen, »fragt nicht weiter danach, denn hier ist jemand gar übel mitgespielt worden, und einem andern jemand hat man die Schuld dann in die Schuhe geschoben, und damit hat eine Komödie begonnen, deren Ausgang wir vielleicht noch erleben ... Armer Heinrich Darnley! ein Esel will ich heißen, wenn er sich nicht großartig aufs Beizen verstanden hat, aber man hat ihn selber auffliegen lassen in einer stillen, mondhellen Nacht.«

Die Erinnerung an diese grausige Katastrophe war zu neu, und der Page wandte entsetzt die Augen von dieser Stätte. Die wider die Königin erhobnen Beschuldigungen traten mit solcher Lebendigkeit vor sein geistiges Auge, daß das Mitleid, das sich bei ihm für sie geregt hatte, zu schwinden anfing. Mit unheimlichen Empfindungen durchwanderte er den Schauplatz jener furchtbaren Ereignisse, deren bloßes Gerücht die entferntesten Einöden Schottlands erschüttert hatte gleich dem Widerhall fernen Donners, der durch ein Gebirge rollt.

Dann fiel ihm Katharina Seyton ein, und er fragte sich, ob es ihm wohl beschert sein werde, die Maid, deren Bekanntschaft er auf so seltsame Weise gemacht hatte, in dieser Stadt, die ihr ja gleichfalls jetzt zum Aufenthalte diente, wiederzutreffen. Und mit dieser Frage war seine Phantasie noch beschäftigt, als er sich schon in der Stadt befand und jenes frohe Staunen alle andern Empfindungen verstummen machte, das den Bewohner einsamer Landstriche erfüllt, wenn er sich zum ersten Male in den Straßen einer volkreichen Stadt, in dem Gewühle von tausenden sieht.

Die Hauptstraße von Edinburg war damals, wie auch heute noch eine der geräumigsten Straßen von ganz Europa. Die imposante Höhe der Gebäude, das bunte Durcheinander von gotischen Giebeln, Altanen und Zinnen, von Balkonen und Erkern, die den Gesichtskreis nach allen Seiten hin einengten, die gewaltige Lange der Straße, die, schnurgerade Linie, die sie bildete, hatte wohl bewandertere Augen in Verwunderung gesetzt als diejenigen Roland Grämes. Innerhalb der Wälle wimmelte es von geschäftig hin und her eilenden Menschen wie in einem Bienenkorbe. Alles, hatte sich zur Stadt gedrängt, dem Regenten Murray aufzuwarten, was mit Politik irgend zu tun hatte oder sich von der Beteiligung an den politischen Fragen, die das Land beherrschten, irgend welchen Vorteil versprach. Eine unendliche Reihe von Verkaufsbuden waren zu beiden Seiten der Straße aufgeschlagen worden, und wenn die darin zum Verkauf gestellten Waren auch nicht zu den reichsten der Welt gehörten, so meinte doch Roland, in den Ballen flandrischer Tücher und in den Stößen von Teppichen und in den Schwertern und Dolchen und Rüstungsstücken alle Reichtümer der Erde zu sehen. Bei jedem Schritt, den er machte, fand er soviel zu sehen und zu staunen, daß es Woodcock dem Falkner unendlich schwer wurde, ihn in dieser Zauberwelt vom Flecke zu bringen. Auch die Unmenge von Menschen setzte ihn in Staunen. Da kam eine feingeputzte Dame in Schleier und seidnem Ueberwurf getrippelt, der ein Kammerdiener vorauf schritt um ihr Bahn durch die Menge zu brechen, während ein Page ihr die Schleppe trug und eine Zofe, mit Bibel oder Gesangbuch unter dem Arme, ihr zur Seite schritt. Dort stand eine Bürgergruppe in weiten Pluderhosen, Wämsern mit hohen Kragen und kurzen flämischen Mänteln.«

Dann kam ein Geistlicher im schwarzen Genfer Mantel mit steifer Halskrause, der mit Würde sondergleichen dem Gespräch einiger Leute lauschte, die sich in seiner Begleitung befanden und einen religiösen Disput führten. Am häufigsten aber sah er Herren in neuester Pariser Modetracht, mit zierlichen Manschetten an den Händen, die aus dem aufgeschlitzten Wams hervorguckten, und mit Schwertern an der Seite, -- dahinter, je nach dem Rang und Vermögensstand, eine Schar stämmiger Leibdiener, die, in der Regel mit Schwert und Spieß bewaffnet, ganz wie ein kriegerisches Gefolge in strengem Takte einherschritten. Zwei solcher Scharen stießen zufällig auf der Straße aufeinander, etwa in der Mitte derselben, und keiner wollte der andern ausweichen, sondern beide marschierten direkt aufeinander los. Die beiden Häupter, einander an Rang jedenfalls ebenbürtig und durch politischen Hader aufeinander erbittert, blieben, als sie den Fuß nicht weiter setzen konnten, ohne einander anzurennen, einen Moment lang stehen, maßen einander mit Blicken, und dann flogen die Schwerter aus den Scheiden. Ihre Mannen folgten diesem Beispiel der Herren, und im Nu blitzten an zwanzig Klingen in den Sonnenstrahlen, und klirrend rasselten die Schilde aneinander, und hüben und drüben ertönte das Schlachtgeschrei: »Hie Leslie!« und »Hie Seyton!«

Hatte der Falkner schon immer seine liebe Not gehabt, den Pagen vom Flecke zu bringen, so war es ihm hier gradezu unmöglich, seiner Stimme bei ihm Geltung zu verschaffen. Der Page hielt sein Roß an, klatschte, in die Hände und lärmte und schrie, lauter als alle bei der Schlägerei, beteiligten Mannen. Sein Lärm zog andre Edelleute herbei, die sich bald für die eine, bald für die andre Partei entschieden. Nun wurde die Schlägerei allgemein, und wenn auch im Grunde genommen mehr mit den Schwertern und Schilden gerasselt als zugehauen wurde, so ging es doch ohne mancherlei Beulen auf beiden Seiten nicht ab. Als nun in der Kampfeswut einige gar statt des Schwertes zu der gefährlichern Waffe des Stoßdegens griffen, da lagen schließlich auf der Seite, wo der Ruf: »Hie Seyton!« erklungen war, zwei Mannen am Boden, und die Seytons begannen zu weichen, denn sie standen den andern an Zahl erheblich nach.

Da war es aber im Nu aus mit Rolands Ruhe und Geduld.

»Woodcock,« rief er, »seid Ihr ein Mann, dann zieht vom Leder und helft den Seytons!«

Und ohne auf Antwort aus dem Munde des Falkners zu warten, sprang der feurige Jüngling vom Pferde und stürzte sich mit dem Rufe: »Ein Seyton! ein Seyton! Drauf und dran!« mitten hinein in den dichtesten Haufen und rannte einen von denen, die dem Lord am heißesten zu Leibe gingen, mit einem Dolchstoße nieder. Dieser unvermutete Zuwachs lieh der schwächern Partei Mut, sie begann den Kampf von frischem, als mit einem Male vier Magistratspersonen, kenntlich an den samtenen, Mänteln und güldnen Ketten, mit einer Wache von Hellebardieren und Bürgern, auf dem Kampfplatze erschienen. In solchem Dienste wohlerfahren, drangen Hellebardiere und Bürger frisch und munter vor und zwangen die Streitenden, von einander zu lassen. Augenblicklich stoben die Raufbolde auseinander, die einen hierhin, die andern dorthin, und beide Parteien ließen ihre Verwundeten, die sich nicht vom Platze bewegen konnten, im Stiche. Der Falkner, außer sich über diesen Unbedacht seines jungen Gefährten, raufte sich erst den Bart, dann ritt er mit dem Pferde, das er am Zügel faßte, zu Roland heran und rief ihm zu:

»Ei, ei, Herr Roland, Herr Springinsfeld, Herr Tausendsasa, wollt Ihr wohl aufsitzen und Euch auf und davon machen? Oder wollt Ihr warten, bis man Euch greift und ins Loch steckt und zwingt, Rede und Antwort zu stehen für solch edles Tagwerk?«

Dem Pagen ward es zum Glück im Nu bewußt, welch alberne Rolle er bei der ganzen Sache gespielt habe und noch spiele; er folgte der Aufforderung seines Begleiters und saß im Nu auf seinem Pferde, um hinter der Partei der Seytons herzugaloppieren und glücklich im Verein mit ihnen der Häscherschar zu entrinnen. Wenn er auch einen der Magistratsbeamten dabei schier über den Haufen rannte und von wüstem Lärm und Geschrei verfolgt wurde, so waren doch solche Auftritte in Edinburg damals so an der Tagesordnung, daß die Polizei, sofern nicht eine Person von Rang und Bedeutung das Leben dabei eingebüßt hatte, am liebsten sich ruhig verhielt und alles auf sich beruhen ließ. Auch in diesem Falle hatte man sich, trotzdem der Regent, ein Mann von großer Willenskraft und Charakterfestigkeit, es durchgesetzt hatte, daß die Stadt eine ständige Scharwache auf den Beinen hielt, dabei bewenden lassen, die beiden Parteien auseinander zu bringen, und von aller Verfolgung abgesehen, zum großen Glück für Roland, der jetzt mit dem Falkner die Canongate entlang ritt, und zwar, um keine Aufmerksamkeit wachzurufen, in langsamem Tempo. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als Roland seinem Begleiter, der sich eben anschickte, ihm eine derbe Standrede zu halten, die Zügel seines Rosses zuwarf und vom Pferde sprang, um in einen der vielen schmalen Durchgänge hinein zu stürmen, die nach der Hauptstraße führten, wie es Adam Woodcock vorkam, einer zierlichen jungen Dame hinterher, die kurz vor ihm in demselben Durchgange verschwunden war.

»Heiliger Barnabas! heilige Magdalena!« rief er einmal übers andre, »solche Geschichten könnten einen wirklich zum Fluchen bringen! was kann dem jungen Menschen bloß in die Glieder, gefahren sein? und was soll ich in dieser Zeit hier anfangen? Wenn sie den Menschen erwischen, so schneiden sie ihm womöglich die Gurgel ab, so wahr ich am Fuße des Rosenhügels geboren bin. Könnt ich bloß jemand auftreiben, mir das Pferd zu halten, daß ich dem Junker hinterher könnte! aber die Leute sind ja hier flink wie der Teufel. Oder wenn ich wenigstens einen von unsern Leuten erwischen könnte, oder von den Leuten des Regenten! Aber einem wildfremden Menschen kann ich doch die Pferde nicht, anvertrauen; und vom Platze weichen, wenn der Junge am Ende in die Patsche gerät, das geht doch erst recht nicht an!«

Wir müssen aber den Falkner, obschon in so schwerer Not, verlassen, um uns nach dem Jüngling umzusehen, der schon wiederum die Ursache hierzu geworden war.

Roland Gräme hatte in, der Canongate, wie gesagt, eine weibliche Gestalt gesehen, deren Zierlichkeit und lebhaftes Wesen ihn an Katharina Seyton erinnerte. Er hatte sie mit seinen Blicken schon eine kurze Weile verfolgt, als es der Gestalt beigekommen war, vor einem der gewölbten Durchgänge an einer Stelle, wo ein kunstreiches Wappenschild sich spreizte, den seidnen Ueberwurf, in den sie gehüllt war, zu lüften. Vielleicht trieb auch sie die Neugierde, zu erfahren, wer der Reiter sei, der sie schon ein Weilchen mit den Blicken verfolgte, Roland aber hatte genug gesehen, um sich zu sagen, daß er sich in seiner Vermutung nicht getäuscht habe, daß es dieselben himmelblauen Augen, die schönen Locken, die fröhlichen Mienen seien, die ihm den Aufenthalt in jenem Kloster, wohin ihn die Großmutter mitgenommen, so unvergeßlich machten.

Nach einem alten Sprichwort geht Weiberwitz über allen Witz, aber in diesem Falle mochte er Katharina doch im Stiche lassen, denn sie wußte sich keinen andern Rat, als so geschwind das Weite zu suchen, wie ihre kleinen Füße sie irgend tragen wollten. Aber die Beine eines achtzehnjährigen Jünglings sind in der Regel auch noch nicht vom Zipperlein geplagt, und so geschah es denn, daß Katharina, als sie quer über einen gepflasterten Hof floh, der mit großen Zypressen in weiten Kübeln, mit Eichenbäumen und andern immergrünen Gewächsen angefüllt war, und eine hohe Tür in der Mitte zu gewinnen trachtete, von Roland ereilt und gestellt wurde. Aber sie riß sich los und huschte wie ein gejagtes Reh durch die Tür, und in das Gebäude hinein und über verschiedene Gänge hin, um in einer Halle zu verschwinden, deren Tür sie hinter sich ins Schloß fallen ließ. Roland, nicht gewillt, die heißersehnte Beute fahren zu lassen, war wie ein Sturmwind hinter ihr her, unbedacht, was sich alles für schlimme Folgen hieraus für ihn ergeben konnten, als er mit einem Male dumpfes Stimmengewirr vernahm, das ihn einigermaßen zur Vernunft brachte. Aber er stand nun vor der Tür, ratlos, wohin er sich wenden, ob er stehen bleiben oder zurückgehen solle, da tat sich eine Seitentür auf und Katharina kam auf ihn zugerannt mit ganz derselben Eile, wie sie bisher vor ihm geflohen war.

»Welcher Unstern hat Euch bloß hierher geführt?« flüsterte sie. »Flieht, flieht! oder Ihr seid des Todes! .. oder besser, bleibt! sie kommen ... Flucht ist unmöglich ... sagt, Ihr seiet gekommen, um nach Lord Seyton Euch zu erkundigen.«

Im Nu war sie hinweg und durch die Tür verschwunden, aus der sie zum zweitenmal gekommen war. In demselben Augenblick flogen ein paar Flügeltüren am obern Ende der Galerie auf, und ein halbes Dutzend Männer, bewaffnet mit Schwertern, die sie in der Faust schwangen, in reicher Tracht, stürzten herein.

»Wer ist's, der uns dermaßen höhnt, daß er sogar in unsre Wohnung uns verfolgt?« rief der eine.

»Haut ihn, in Stücke!« schrie ein andrer, »büßen soll er für den Frevel und für die Gewalttätigkeiten dieses Tages! Es ist ein Anhänger der Roten.

»Nein, bei der heiligen Jungfrau!« rief ein dritter, »es ist einer vom Gefolge des Erzfeindes, des geadelten Bauers Halbert Glendinning, der sich den Namen Avenel anmaßt ... einst einer, der ein Kirchenlehen erhielt und der jetzt die Kirche plündert!«

»So ist's,« schrie, ein vierter, »ich erkenn ihn an dem Palmenzweige, der ja das Abzeichen der Glendinnings ist. Vertretet ihm die Tür, denn für solche Frechheit soll der Kerl büßen!«

Zwei der jungen Herren traten, indem sie die Degen zogen, vor die Tür, durch die Roland in die Halle getreten war, wie um sein Entrinnen zu verhindern. Die andern traten auf Gräme zu, der eben noch Ueberlegung genug fand, um sich zu sagen, daß jeder Versuch zu Widerstand ebenso fruchtlos wie unbedacht wäre. Von verschiedenen Stimmen wurde er nun aufgefordert, zu sagen, wer er sei, woher er komme, was er wolle, wer ihn hierher schicke. Da trat, noch ehe er Zeit zu irgend welcher Antwort hatte finden können, ein Mann in die Halle von hoher Gestalt, und vor ihm wichen die jungen Männer, die Roland so heftig bestürmt hatten, scheu und ehrfurchtsvoll zurück.

Das dunkle Haar des Mannes wies Spuren von grauen Fäden auf, aber in seinen Augen und aus seinen stolzen Zügen strahlte noch das ungeschwächte Feuer der Jugend. Der Oberteil seine Leibes war, bis auf das Hemd aus holländischem Linnen, unbekleidet, und dessen weite bauschige Falten waren mit Blut bespritzt.

Aber ein scharlachroter Mantel, mit reichem Pelzaufschlag, den er über die Schulter geworfen hatte, und eine Mütze aus scharlachrotem Samt, auf der einen Seite aufgekippt und mittels einer güldnen Kette gehalten, die sich dreimal um sich herumlegte, und ein güldnes Medaillon mit dem Geschlechtswappen, wie es damals Brauch war, in buntfarbiger Gravur, verrieten auf den ersten Blick, daß der Mann zu dem vornehmsten Adel Schottlands und Edinburgs gehörte.

»Wen habt Ihr da, Söhne und Vettern,« fragte er streng, »den Ihr so unwirsch bedrängt? .. Wißt Ihr nicht, daß mein gastliches Dach jedem eine freundliche Stätte sichert, der sich darunter begibt, sei es in friedlicher Absicht, sei es zu offner, männlicher Fehde?«

»Hier hat sich aber ein Schurke eingeschlichen, Mylord,« antwortete einer der Jünglinge, »in der verräterischen Absicht, uns auszuspähen.«

»Das stell ich in Abrede,« versetzte Roland Gräme keck, »denn ich bin bloß hierher gekommen, um mich nach Mylord zu erkundigen.«

»Eine billige Ausflucht,« riefen die Ankläger, »aus dem Munde eines Glendinning.«

»Tut Einhalt, junge Freunde,« sprach Lord Seyton, »denn dieser Adeling selbst war es, laßt mich den Jüngling ins Auge fassen! Bei der lieben Jungfrau, es ist der nämliche, der sich vor wenigen Minuten so kühn mir an die Seite stellte als mehrere meiner eignen Schurken, besorgt um die Sicherheit ihres Leibes, es an Tapferkeit in bedenklichem Maße fehlen ließen. Laßt ab von ihm, denn er verdient mehr ein freundliches und ehrenvolles Willkommen Eurerseits als solche rauhe Behandlung.«

Die Jünglinge traten gehorsam zurück, und der Lord nahm Roland Gräme bei der Hand und zog ihn an seine Seite. Dann dankte er ihm für den tapfern Beistand, den er ihm mit so schnellem Entschlusse geleistet hatte, und setzte hinzu, »der Grund seiner Herkunft sei wohl nur der, sich zu erkundigen, wie es um die Verwundung stehe, die er sich bei diesem Strauße geholt habe?«

Roland verbeugte sich tief zum Zeichen der Zustimmung.

»Oder kann ich Euch sonst meinen Dank bezeugen?« fragte der Lord.

Der Page erachtete es aber für am besten, wenn er bei der Entschuldigung für seine Anwesenheit im Hause des Lords bliebe, die dieser selber als wahrscheinlich erklärt hätte, und sagte, er habe bemerkt, daß der Lord blessiert worden sei; und das Verlangen zu erfahren, wie sich derselbe befinde, sei der einzige Grund für sein ungestümes Eindringen in das Haus des Lords.

»Die Blessur ist eine Lappalie,« erklärte der Lord, »ich hatte, grade mein Wams abgelegt, damit der Feldscher mir einen Verband anlege, als die voreiligen Burschen hier den Lärm anhoben und mich nötigten, den Feldscher in seiner Arbeit zu stören.«

Roland verneigte sich wieder und wollte sich, vergnügt, um den Verdacht der Spionage so bequem herumgekommen zu sein, anderseits um seinen Kameraden Adam Woodcock besorgt, den er so jäh im Stich gelassen, und der doch gar nicht wußte, wie er daran und wohin »sein junger Unband« hingeraten war, aus dem Gemache und dem Palaste entfernen, Lord Seyton machte ihm das jedoch nicht so leicht.

»Nicht so geschwind, mein junger Freund,« sagte er, »erst mach mich bekannt mit Deinem Stand und Namen. Lord Seyton hat es letzter Zeit öfter erlebt, daß Freund und Diener ihn im Stiche ließen, als daß ihm Beistand von fremder Seite wurde. Aber es können ja wieder andre Verhältnisse kommen, die ihn in die Möglichkeit setzen, solchen unvermuteten Freundschaftsdienst besser zu lohnen als zurzeit.«

»Mein Name, gnädiger Herr,« antwortete der Page, »ist Roland Gräme. Ich stehe als Page im Dienste Sir Halbert Glendinnings.«

»Hab ich es nicht gleich gesagt?« rief einer der Jünglinge, »mein Leben setz ich ein, daß dies ein Pfeil ist aus dem Köcher der Ketzer, eine Kriegslist, einen Späher in unser Vertrauen einzuschmuggeln. Die Halunken verstehen es, Kinder und Weiber zu Spionen und Sendboten abzurichten, wie kein andrer sonst.«

»Wenn die Worte auf mich gemünzt sein sollen, so treffen sie ein falsches Ziel. Es sollte kein Mann in Schottland mich zu solcher Schurkerei dingen!«

»Ich glaube Dir, mein Sohn,« erwiderte der Lord, »denn Deine Streiche wurden, zu kräftig geführt, daß sie auf Einverständnis mit denen hätten schließen lassen, denen sie galten. Indessen kann ich nicht ungesagt sein lassen, daß ich mich kaum der Hilfe von einem Diener Deines Herrn versehen hätte, und darum möchte ich wohl wissen, was Dich bestimmt hat, bei solchem Strauße eines Seyton Dich selbst in Gefahr zu setzen.«

»Mit Verlaub, gnädiger Herr,« erwiderte Roland, »aber mein Herr hätte wohl selbst nicht müßig dagestanden, um einen Ehrenmann unter einer Mehrzahl unterliegen zu sehen. So wenigstens lautet die Lehre für Ritter auf Schloß Avenel.«

»Der gute Samen ist auf gutes Land gefallen, junger Freund,« sagte Lord Seyton, »aber wenn Du in solch ehrloser Zeit Fehde üben willst in solch ehrenwerter Weise, dann wird Dein Leben, mein armer Junge, nicht lange währen.«

»War's ehrenvoll, kann's kurze Dauer haben,« versetzte Roland Gräme; »aber jetzt erlaubt mir mich zu verabschieden, gnädiger Herr, denn ich werde auf der Straße von einem Kameraden mit meinem Pferde erwartet.«

»Dann nehmt doch wenigstens das mit, mein junger Freund,« sagte Lord Seyton und löste von seiner Mütze die goldne Kette und das goldne Medaillon, um beides Roland zu reichen, »und tragt es zu meinem Gedenken!«

Roland Gräme war nicht wenig stolz auf solches Geschenk, das er eilends an seiner Mütze befestigte, wie er es schon bei vielen der jungen Edinburger Herren beobachtet hatte. Dann verbeugte er sich nochmals vor dem Lord und verließ schleunigst die Halle, eilte quer über den Hof und gelangte grade auf die Straße hinaus, als Adam Woodcock, in Sorge und auch ärgerlich über Rolands Ausbleiben, die beiden Rosse im Stiche lassen wollte, um sich nach seinem Verbleib umzusehen.

»Das ist doch wiederum ein Streich, wie Ihr ihn besser nicht gewagt hättet,« rief er Roland entgegen, als er ihn in dem Straßengewühl auftauchen sah, denn wenn auch seine Mienen deutlich erkennen ließen, daß er Angst ausgestanden hatte, so war er doch herzensfroh, daß der Jüngling sich wiedergefunden hatte, und er ließ sich von Verdruß nichts mehr merken.

»Laß die Fragen und Reden, Woodcock, und sieh her, in welch kurzer Zeit ich mir solch schwere goldne Kette verdienen konnte!« rief Roland mit strahlender Miene und sprang auf sein Roß.

»Na, verhüt's Gott, daß Ihr sie nicht auf unrechtem Wege gewonnen habt,« versetzte der Falkner, »denn wie Ihr anders hättet dazu kommen sollen, könnt ich mir freilich kaum sagen. Ich bin oft hier gewesen, und zuweilen ganze Monate, aber mir ist so etwas nie bisher zu teil geworden, das dürft Ihr mir freilich wohl glauben.«

»Na, und ich hab das hier nach kurzer Bekanntschaft mit der Residenz ergattert,« sagte lachend der Page, »aber stimmt Euer biedres Gemüt nur zur Ruhe, Medaillon und Kette sind weder geraubt noch gestohlen, sondern mir zu teil geworden durch freiwillige Spende.«

»Na, Du wirst wohl in keinem Wasser ersaufen und an keinem Strick aus Hanf ersticken!« meinte der Falkner: »als Page der Schloßherrin wirst Du weggejagt und kehrst als Knappe des Schloßherrn wieder, und dafür, daß Du einem Mädel in ein Schloß nachrennst, aus dem ein andrer mit einer Tracht Prügel gejagt worden wäre, wenn er nicht einen Dolchstoß zwischen die Rippen bekommen hätte, dafür erwischst Du ein Paar Pfund Gold! ... Das darf man sich schon gefallen lassen. Aber da sind wir vor der Abtei. Ich wünsche Dir bloß, mein lieber Junge, daß Dir Dein Glück treu bleiben möge, auch wenn Du den Fuß über dieses Steinpflaster setzest, denn dann, bei unsrer lieben Frau! könntest Du fragen, was ganz Schottland kostet?«

Sie hielten am Ausgang der Straße, da wo das hohe Portal altgotischen Stiles sich quer vor ihr erhebt, und ritten hindurch in den düstern Hof, der von einem wirren Haufen von Klosterbauten bedeckt war, von denen heute noch eine ganze Front steht, während andre dem unter Karl dem Ersten erbauten neuen Palaste haben weichen müssen.

Dort gab der Falkner die Rosse einem Lakeien mit dem wichtigtuerischen Befehle, ja gut für sie zu sorgen. Dann schritt er dem Knappen voraus in den Palast von Holyrood.

Vierzehntes Kapitel

Der Page Roland blieb am Eingange zum Hofe stehen und warf einen Blick voll des lebhaftesten Interesses über das Bild, das seinen Augen sich hier bot. Allerhand Gruppen von Leuten standen umher. Solche in glänzender Tracht, aber mit nachdenklichen Mienen, offenbar bedrückt, entweder durch öffentliche, oder durch persönliche Angelegenheiten -- greise Staatsmänner mit gebietenden Blicken, im pelzverbrämten Mantel und in Zobelschuhen, Kriegsmänner in Büffelwams und Stahlhaube, mit dichtem Schnauzbart und finstrer Stirn, die ihr langes Schwert klirrend hinter sich auf dem Pflaster herschleiften, dazwischen Dienstmannen, unterwürfig gegen den Herrn und Gebieter, keck, frech und schlagfertig gegen jeden, der im Range unter ihnen stand; dann armes Bittstellervolk mit verzagten Mienen und schüchternen Blicken, Beamte, erfüllt von der bescheidnen Würde, die ihnen anheimfiel, stolze Priester, auf den Fang einer fetten Pfründe, noch stolzere Barone, auf den Fang eines noch fettern Stückes Kirchenland erpicht, Räubervolk aus dem Landadel, das Pardon suchte für andern Leuten angetanen Schaden, und ausgeraubte Hörige und Bauern, die Ersatz forderten für erlittnen Schaden ... dort hielten Scharwächter Musterung ab über ihre Kommandos, hier wurden Boten abgeordert oder empfangen, vorm Tore wieherten und stampften Rosse, drinnen blitzten Waffen, klirrten Sporen, wehten Standarten und Federn. Kurz, es war ein Durcheinander von Farben und Pracht und Staat, daß für ein jugendliches Auge den Höhepunkt alles Schönen und Sehenswürdigen bildet, dem Auge des erfahrenen Mannes aber als ein Meer von Ungewißheit, Trug und Falsch- und Hohlheit, von Hoffnungen, die nie Wirklichkeit werden, von Verheißungen, die nie Erfüllung finden, erscheint.

Adam Woodcock war des Bildes bald überdrüssig, in dessen Anblick sein jugendlicher Gefährte noch immer versunken stand, und freute sich lebhaft, in einem stattlichen Diener des Hofgesindes unter tiefgrüner Mütze mit wallendem Federbusch ein bekanntes Gesicht zu erblicken.

Im andern Augenblick schon ertönte aus beider Leute Mund der Ruf: »Schockschwerenot! trügen mich nicht meine Augen? Seid Ihr's wirklich, alter Kamerad?« und dann setzte der eine der Frager den Namen Adam Woodcock, der andre den Namen Michael Wingthewind hinzu.

Und dann kam die Unterhaltung rasch in Fluß.

»Na, was macht denn die Windspielhatz?« fragte Woodcock.

»Damit wird's alle Jahre schwächer, wie mit den Kräften auch. Vier Beine tragen keinen Hund ewig, wir halten die Hatz zur Zucht, und auf diese Weise entgeht sie dem Ersäufen. -- Sonst wär sie schon lang um die Ecke. Doch was steht Ihr und gafft? Der gnädige Herr Regent hat schon wiederholt gefragt, ob Ihr schon da seiet?«

»So? Graf Murray hat sich erkundigt nach mir? der Reichsregent nach Adam Woodcock?« fragte der Falkner.

»Hm, diesen Morgen war Graf Morion bei ihm. Er kam in gar böser Stimmung. Wenn ihm was im Kopfe steckt, diesem Herrn, dann sieht er aus wie der leibhaftige Teufel. Ich war grade im Zimmer drin, weil ich Instruktion einholen mußte wegen einer Falkenhecke, die von Danoway geholt werden soll, da wetterte Graf Morton los, ob das ehrliches Spiel sei, für seinen Bruder sei ihm die Kommenthurei von Kennaqhueir in Aussicht gestellt worden mit der festen Zusage, daß eine königliche Domäne draus geschaffen werden solle zu seinen gunsten, und nun hätten die falschen Mönche die Frechheit gehabt, einen neuen Abt zu wählen, der nun seinem Bruder mit seines Rechten in den Weg treten würde. ... Zudem hat das Gesindel aus der Nachbarschaft alles, was in der Abtei noch niet- und nagelfest war, verbrannt und zerschlagen und ausgeplündert, so daß der Grafenbruder, wenn er die faulen Hunde von Pfaffen hinausgejagt hätte, nicht einmal wüßte, wohin er sein Haupt legen solle. Mein gnädiger Herr hat ihm freilich drauf gesagt, wenn daran was Wahres sei, dann hätte ihm Ritter Halbert Glendinning gewiß schon berichtet, vornehmlich wenn im Kloster ein Abt gewählt, oder die Abtei zerstört worden sein solle. Da hat denn der Graf gesagt, der neu gewählte Abt sei der Bruder von Glendinning, und er habe schon immer, wenn auch leeren Ohren, gepredigt, man dürfe sich auf diesen in den Adel erhobnen Bauerssohn nicht allzu viel verlassen. Das hat aber mein gnädiger Herr nicht aufkommen lassen, sondern hat Euern Herrn mächtig herausgebissen, an dessen Treue sei nicht zu zweifeln, und dafür stehe er ein, u. s. w., wenn aber, was Wahres dran sei, dann erwarte er von Glendinning die Kutte eines gehängten Mönches und den Kopf eines der aufrührerischen Bauern zu bekommen, und zwar als Opfer einer gestrengen und prompten Justiz! Da ist denn Graf Morton still geworden und hat das Feld geräumt, wenn auch, wie mir vorkam, in etwas bedrückter Stimmung. Aber seitdem hat mein gnädiger Herr schon ein paarmal gefragt, ob denn noch immer kein Bote von Glendinning da sei ... Und wenn ich Euch das erzählt habe, Woodcock, so ist's darum geschehen, weil ich dachte, Ihr könntet Eure Rede danach einrichten, wenn Euch mein gnädiger Herr ausfragt, denn ich vermute, wenn so was verlautete, wie Graf Morton hat verlauten lassen, dann möcht's mit der guten Laune und Wohlmeinenheit bei meinem Herrn vorbei sein!«

Ob mancher Dinge in diesen Mitteilungen zog sich Woodcocks Gesicht gewaltig in die Länge, und er fragte beklommen:

»Was war's, was dieser grimmige Graf Morton von einem Bauerntropfe sagte?«

»Aber das war ja nicht der Graf Morton, sondern mein gnädiger Herr, der Regent selber!« erwiderte Michael Wingthewind; »der sagte, er rechne drauf, daß Euer Ritter, wenn sich Gesindel an der Abtei vergriffen hätte, ihm den Kopf des Rädelsführers überschicke.«

»Ach, von Zerstörung ist ja gar nicht die Rede gewesen,« erklärte Woodcock mit wachsender Beklommenheit, »höchstens sind bei dem bißchen Radau ein Paar bunte Scheiben eingeschlagen, und ein paar Heilige in ihren Gräbern gestört worden. Um die Abtei, in Brand zu stecken, ist ja gar nicht mal Zünddocht da gewesen, geschweige Lunte oder Feuerstahl. Darauf habe ich bei der Affäre von Anfang an gesehen.«

»Was sagt Ihr da, Woodcock?« rief sein Kamerad, »Ihr habt doch hoffentlich nicht die Hand dabei im Spiele gehabt? Da sollt's mir leid tun, Euch in Schrecken jagen zu müssen, zudem Ihr grade erst von der Reise kommt. Aber ich kann Euch bloß sagen, der Graf Morton hat von Halifax eine Jungfer mitgebracht, so was habt Ihr in Eurem Leben noch nicht gesehen! die umarmt Euch und behält Euren Kopf in den Armen, während Euer Leib in einen Trog zu ihren Füßen kollert.«

»Schwatzt nicht solches Zeug! ich bin doch zu alt, daß mir solche Vettel noch den Kopf verdrehen könnte! Lord Morton mag ja schmücken Dirnen gern nachlaufen. Aber was braucht er darum nach Halifax zu laufen, und wenn er sich dort ein Liebchen holt, was hat das mit meinem Kopfe zu schaffen?«

»Hm, eine ganze Menge!« meinte Michael Wingthewind, »die Herodias hats Kopfabsäbeln nicht schlechter verstanden als diese Mortonsche Jungfer aus Halifax! Das Beil fällt ganz von selbst herunter und erspart alle Henkersarbeit ...«

»Meiner Treu, eine hundsföttische Erfindung, vor der einen der Himmel bewahren möge!« sagte Woodcock.

Dem Pagen schien über dieser Unterhaltung der beiden alten Kameraden die Geduld auszugehen. Er unterbrach sie jetzt durch die Bemerkung, ob Woodcock nicht besser tun möchte, den Brief an den Regenten abzugeben, den ihm der Ritter zur Befolgung mitgegeben habe?

»Der Bursch hat recht,« meinte Wingthewind, »der gnädige Herr wird sicher begierig sein, ihn zu lesen. Es läßt sich doch annehmen, daß über die Vorgänge in Kennaqhueir drin berichtet wird.«

»Der Bursche ist klug genug, sich den Rücken frei zu halten,« sagte Woodcock, »und an anderm fehlt's ihm schließlich auch nicht. Ich dächte, Herr Roland, am Ende wär's das gescheiteste, Ihr überbrächtet dem Lordregenten selbst das ritterliche Schreiben. Ein junkerlicher Page findet wohl leichter freundliches Gehör bei solchem Herrn als ein ausgedienter Falkner.«

»Das mag wohl sein, Ihr, alter Schlaumeier von Yorkshirer Blut. Aber mir kam's doch anfangs so vor, als ob Ihr selber recht erpicht drauf seiet, dem Regenten vor die Augen zu treten? Und nun wollt Ihr den jungen Menschen ins Feuer schicken? Meint Ihr am Ende, die Mortonsche Jungfer schnitte lieber solchen schmucken Hals durch als Euren sonnverbrannten alten?«

»Dein Witz, mein Lieber, versteigt sich zu hoch, um zu treffen,« erwiderte mit beklommenem Lachen der Falkner, »aber der Jüngling läuft keine Gefahr. Darauf könnt Ihr rechnen! hat er doch mit dem Mummenschanz vor der Abtei nicht das mindeste zu tun gehabt, was ihm zum Schaden werden könnte. Aber eine feine Komödie war's, das muß ich Euch sagen. Bloß schade, daß wir nicht mehr dazu kamen, die feine Ballade abzusingen, die ich expreß dazu gedichtet und komponiert hatte. Aber basta! Bring den jungen Menschen vor zur Audienz, ich will hier bleiben und warten, mit dem Zügel in der Faust, wie die Geschichte ausgeht. Nimmt's, schlimme Wendung, dann denk ich, soll bald eine Meile zwischen dem Herrn Regenten und meiner Wenigkeit liegen.«

»Nun, dann kommt, mein junger Herr,« wandte sich Michael Wingthewind an den Pagen, »wenn's doch nicht anders sein soll, als daß Ihr vor dem schlauen Yorkshirer Bauern in den Sprenkel geht.«

Mit diesen Worten ging er Roland voraus, der ihm auf dem Fuße folgte. Durch eine Reihe von gewundnen Gängen gelangten sie zu einer breiten steinernen Wendeltreppe, die sie nach dem obern Stockwerk hinauf führte. Hier wendete sich der Führer seitwärts und stieß die Tür eines finstern, modrig riechenden Vorzimmers auf. So finster war es, daß der Page fast über eine niedrige Stufe gestolpert wäre, die seltsamerweise grade vor der Schwelle angebracht war.

»Vorsicht!« mahnte der Führer den Pagen, ängstlich sich umsehend, ob ihn auch niemand belausche -- -- »Vorsicht, junger Freund! denn wer auf den Dielen hier stolpert, erhebt sich nicht wieder. Schau her,« fuhr er fort, mit noch leiserer Stimme als bisher und zeigte auf ein paar dunkelrote Flecke auf dem Fußboden und verschiedene Spritzer an der Wand, auf die aus einer schmalen Klause ein Lichtstreif fiel, »schau her! und setz behutsam Deine Füße, Jüngling, denn hier sind vor Dir Männer gefallen!«

»Was bedeutet Eure Rede?« fragte der Page, den eine Gänsehaut überlief, ohne daß er sich sagen konnte, warum ... »Ist das Blut?«

»Ja doch, ja doch,« sagte der Diener, noch immer flüsternd, und zog den Pagen hinter sich her. »Blut ist es, aber jetzt ziemt es sich nicht, danach zu fragen oder danach zu schauen ... Blut, greulich und grausig vergossen, und greulich und grausig gerochen! ... es ist,« und seine Stimme sank zu noch tieferem Geflüster, »das Blut des Signor David.«

Roland klopfte das Herz, als er sich so unvermutet an der Stelle sah, wo Rizzio, der Sänger, ermordet worden war, ein Mord so furchtbar, daß die Kunde davon selbst in jener wilden, Zeit alle Gemüter, in Palast und Hütte, mit Grausen erfüllt hatte und auch bis nach Avenel gedrungen war. Aber sein Führer drängte ihn, als hätte er über ein gefährliches Thema bereits zuviel gesprochen. Er klopfte an eine niedrige Tür am Ende des Vorgemachs, ein Türsteher kam herbei und nahm Michaels Anmeldung entgegen, daß ein Page vom Ritter von Avenel da sei und Briefe zu überreichen habe.

»Der Staatsrat will grade auseinander gehen,« sagte der Türsteher, »aber gebt mir die Briefe, vielleicht entschließt sich Seine Gnaden, den Boten vorzulassen.«

»Mein Auftrag lautet, die Briefe an den Regenten selbst abzugeben,« erwiderte Roland.

Der Türsteher maß den Pagen vom Kopf bis zu den Füßen, gleich als ob ihn seine Keckheit in Staunen setzte. Dann fuhr er ihn an:

»So, so, mein Herrlein? für ein Kücken krähst Du ja schon ziemlich laut, obendrein für eins aus dem Bauernstall!« »Wäre Zeit und Ort angemessen,« sagte Roland, »dann wollt ich Dir zeigen, daß ich mehr als krähen kann. Aber tut was Eures Amtes ist, und laßt Euren Herrn wissen, daß ich seiner Befehle mich gewärtig halte.«

»Du bist ein Naseweis, mir von dem zu reden was meines Amtes sei,« erwiderte der diensttuende Türsteher, »aber es wird sich schon Zeit und Gelegenheit finden, Dir zu zeigen, was Deines Amtes ist. Vorläufig kannst Du ja hier auf Bescheid warten.«

Mit diesen Worten schlug er Roland die Tür vor der Nase zu, erschien aber sehr bald wieder mit der Weisung, die er in wesentlich höflicherm Tone ausrichtete. Seine Gnaden der Regent wolle die Botschaft des Ritters von Avenel entgegenzunehmen geruhen.

Demzufolge geleitete er Roland Gräme in ein Gemach, das ganz wie eine Kanzlei eingerichtet war. Der Regent, der an einem mit Akten bedeckten Tische saß, drehte sich langsam um, als die Tür aufging. Seine Züge zeigten den Ausdruck trüben Ernstes. Er war einfach gekleidet, in schwarzen Samt, nach niederländischer Mode; das einzige, was an ihm auffällig hätte sein können, war eine demantne Agraffe, die an der Seite des hohen Hutes steckte, den er auf hatte. An der Seite trug er einen Dolch, und auf einer langen eichnen Tafel, die in der Mitte des Gemaches stand, lag ein Schwert.

Huldvoll nahm er das Schreiben aus der Hand Rolands entgegen und winkte huldvoll mit der Hand, als Roland versuchte, den ihm aufgetragen Gruß des Ritters von Avenel auszurichten. Ja er zögerte einen Augenblick, ehe er den seidnen Faden löste, der das Schreiben zusammenhielt, um Roland, an dessen Zügen er offenbar Wohlgefallen fand, nach dem Namen zu fragen.

»Roland Gräme heiße ich,« antwortete der Page. »Gräme?« wiederholte der Regent, indem er den Namen wiederholte. »Etwa vom Geschlechte der Grahams von Lennox?« »Nein, gnädiger Herr,« erwiderte Roland, »meine Eltern haben in dem bestrittnen Lande gewohnt.«

Murray fragte nicht weiter, sondern las in dem Schreiben des Ritters weiter. Bald aber trat ein düstrer Ausdruck auf seine Stirn wie bei jemand, der von etwas Kunde erhält, die ihn zugleich verwundert und beunruhigt. Er überlas den Brief nochmals, dann lehnte er sich ein paar Augenblicke in dem Stuhle zurück. Als er nach einer Weile aufblickte, traf sein Blick den Türsteher, der sich vergeblich bemühte, einen unbefangnen Ausdruck zu zeigen. Der Regent hatte recht gut den spähenden Blick bemerkt, mit welchem der Diener jedem Zug auf dem Angesichte seines Herrn verfolgte.

»Hinaus, Hyndham,« rief in strengem Ton der Regent, »stell Deine Betrachtungen anderswo an als hier. Du bist mir schon lange zu pfiffig für Deinen Posten, für den ein Schwachkopf besser geeignet ist. So! diese Miene kleidet Dich schon besser, aber es ist Dir bloß nicht darum Ernst. Behalte diese dumme Miene, damit Du Dir Deinen Dienst erhältst ... Und nun hinaus, Patron!«

Zitternd verschwand der Türsteher, mit vermehrtem Grolle auf Roland blickend, weil dieser von dem Unwillen des Regenten gegen ihn unwillkürlich Zeuge gewesen war. Sobald der Regent mit Roland allein war, stellte er an diesen die Frage:

»Armstrong, sagtet Ihr, sei Euer Name?«

»Nein, Gräme,« erwiderte der Page, »Roland Gräme, dessen Eltern im bestrittnen Lande gewohnt haben unter dem Namen Heathergill.«

»Richtig, richtig. So sagtet Ihr ja vorhin. Habt Ihr Bekanntschaft in Edinburg?«

»Gnädiger Herr,« versetzte Roland, bemüht die Frage zu umgehen, statt, unmittelbar zu beantworten, denn sein Abenteuer mit Lord Seyton zu verschweigen, gab ihm ein guter Genius ein -- »ich bin kaum eine Stunde in Edinburg und zwar zum erstenmal in meinem Leben.«

»Was? und Ihr seid Page bei Sir Halbert Glendinning?« fragte der Regent.

»Ich bin als Page der Schloßherrin erzogen worden,« erklärte der Jüngling, »und habe das erste Mal in meinem Leben den Fuß aus dem Schlüsse von Avenel gesetzt.«

»Page der Schloßherrin?« wiederholte wie in Gedanken der Regent. »Sonderbar, in solch wichtiger Angelegenheit den Pagen seiner Frau zu schicken! Morton wird sagen, es sei das Gegenstück zur Abtwahl des Bruders, und doch ist in gewisser Hinsicht dieser unerfahrene Jüngling der tauglichste Bote: Was ist Dir denn während Deiner Lehrzeit beigebracht worden, mein Sohn?«

»Ich hab die Jagd betrieben und auch die Beize,« versetzte Roland Gräme.

»Wohl die Kaninchenjagd und die Drosselbeize?« fragte der Regent lächelnd, »denn das sind ja die Belustigungen der Damen und ihrer Begleiter.«

Roland, errötete tief, und nicht ohne Schärfe erwiderte er:

»Wir haben Rotwild gejagt, wenn, es die Krone ansetzt, und Reiher gebeizt. Vielleicht sagt man bei Hofe dafür Kaninchen jagen und Amseln beizen? Indessen kann ich auch ein Schwert schwingen und eine Lanze einlegen, wie es bei uns an der Grenze heißt, bei Hofe aber sagt man da wohl, Wasserlilien und Heidebinsen?«

»Deine Worte haben metallnen Klang,« meinte der Regent, »der Wahrheit zuliebe sei der Stachel verziehen ... Es ist Dir also bekannt, was einem Kriegsmann für Pflichten obliegen?«

»Was sich ohne wirklichen Dienst im Feld?, also durch bloße Uebung erlernen läßt, ja,« versetzte Roland, »aber das Glück, ein Schlachtfeld zu sehen, ist mir noch nicht beschieden gewesen.« »Das Glück?« wiederholte der Regent, mit einigermaßen zweifelhaftem Lächeln, »junger Freund, Du darfst es mir aufs Wort glauben, Krieg ist das einzige Spiel, aus dem beide Teile mit Verlust hervorgehen.«

»Doch wohl nicht immer,« antwortete kühn der Page, »sofern das Gerücht nicht trügt.«

»Was willst Du damit sagen, Bursche?« fragte der Regent, der vielleicht in diesen Worten eine Anspielung auf sein eignes Glück im Kriege erblickte.

»Weil dem, welcher sich tapfer im Kriege hält,« antwortete Roland, ohne seinen Ton zu ändern, »Ruhm im Leben oder Ehre im Tode anheimfallen muß. Also ist Krieg doch ein Spiel, aus dem keiner mit Verlust hervorgehen kann.«

Der Regent schüttelte lächelnd das Haupt. Da ging die Tür auf, und Graf Morton trat herein.

»Verzeiht, lieber Graf, ich komme mit Hast, infolge wichtiger Nachricht und infolgedessen unangemeldet ... Die Sache ist, wie ich gesagt habe, Edward Glendinning ist zum Abte gewählt, und -- --«

»Still, Mylord, ich weiß es,« sagte der Regent; »aber ...«

»Vielleicht habt Ihr es früher gewußt als ich, Mylord Murray,« und Mortons finstre, rote Stirn verfinsterte und rötete sich noch tiefer, während er dieser Vermutung Worte lieh.

»Laßt mich mit Eurem Argwohn in Ruhe, Morton,« versetzte Murray, »und tretet meiner Ehre nicht zu nahe! ... ich habe genug von den Verleumdungen meiner Feinde zu leiden, werdet Ihr nicht Ursache, daß ich mich noch gegen ungerechten Argwohn von Freunden zu wehren habe... Wir sind nicht allein,« setze er hinzu, sich besinnend, »sonst könnte ich Euch mehr sagen.«

Er führte den Grafen in eine Nische, die einen günstigen Platz für geheime Zwiesprache bot. Zuerst sprachen sie leise, so daß Roland von ihren Worten nicht hören konnte. Als ihre Unterhaltung aber ernsthafter wurde, sprachen sie auch lauter und vergaßen zuletzt wohl überhaupt, daß der Page noch im Zimmer war, was um so begreiflicher war, als derselbe an einer Stelle stand, die ihre Augen nicht erreichten, und so konnte Roland, ohne daß er es besonders darauf anlegte, manches deutlich hören, andres durch Vermutungen ergänzen.

»Es ist alles im Gange,« sagte z. B. Murray, »und Lindesay ist wohl schon auf dem Wege. -- Länger besinnen darf sie sich nicht! Du siehst, ich handle nach Deinem Rat und verschließe mich milderen Erwägungen.«

»Nur in Ordnung, Mylord,« entgegnete Morton. »Gilt es, Macht zu erringen, so zeigt Ihr Euch nicht unschlüssig, sondern steuert energisch aufs Ziel; aber bewahrt Ihr auch das Errungne mit gleicher Energie? ... Wozu eigne Dienerschaft? Hat Eure Mutter nicht Dienerschaft genug zur Aufwartung für eine Person mehr? war es notwendig, diese überflüssige und zudem gefährliche Bedingung zu erfüllen?«

»Morton, schämt Euch! Ihr sprecht von einer Fürstin und meiner Schwester! sollte ich ihr standesgemäße Dienerschaft weigern?«

»Das ist der Flug aller Eurer Geschosse,« erwiderte Morton,, »sie schnellen kräftig vom Bogen und sind nicht ungeschickt gezielt, aber schädliche Zuneigung lähmt sie im Fluge und bringt den Pfeil aus der Richtung.«

»Morton, ich leide solchen Tadel nicht,« versetzte Murray mit Ungeduld, »was ich getan habe, das habe ich getan, und was ich noch tun muß, werde ich tun und will ich tun. Aber aus Stahl und Eisen wie Du bin ich nicht, und Erinnerungen vermag ich nicht zu bannen ... Genug jetzt! mein Entschluß ist gefaßt.«

»Ich bin fest überzeugt,« sagte Morton, »die Wahl dieser Dienerschaft wird auf ...«

Er, flüsterte nun Namen, die Roland nicht hören konnte. Murray antwortete gleichfalls flüsternd, aber gegen den Ausgang hin wurden die Stimmen wieder deutlicher, und so hörte Roland ganz deutlich:

»Und seiner halte ich mich versichert, auf Glendinnings Empfehlung hin ...«

»Die vielleicht ebenso vertrauenswürdig ist wie jüngst sein Verhalten bei der Abtwahl ... Ihr habt doch gehört, daß sein Bruder gewählt worden ist? Er scheint eben soviel brüderliche Zuneigung zu hegen wie Ihr!«

»Beim Himmel, Morton, für solche Spöttelei sollte ich Euch den Fehdehandschuh hinwerfen, indessen will ich sie Euch nachsehen, ist ja doch Euer Bruder auch dabei beteiligt. Aber, diese Wahl soll kassiert werden. So lange ich das Schwert des Reiches für meinen königlichen Neffen in meiner Hand halte, so lange soll mir weder ein Lord noch ein Ritter in Schottland mein Ansehen streitig machen. Das sage ich Euch, Graf Morton, und das mag sich gleich Euch jeder andre gesagt sein lassen. Beleidigungen meiner Freunde ertrage ich einzig und allein um deswillen, weil ich es mit Freunden nicht verderben mag und weil ich weiß, daß sie es wert sind, daß ihnen Torheiten nachgesehen werden.«

Morton murmelte etwas wie Entschuldigung, und der Regent murmelte hierauf ein paar Worte in milderem Tone, dann fuhr er fort:

»Außerdem habe ich neben Glendinnings Bürgschaft noch ein weiteres Unterpfand für seine Treue: die nächste Verwandte von ihm hat sich als Geisel für ihn selbst in meine Hand gegeben, damit ich mit ihr verfahre, wie seine Aufführung es verdient.«

»Das läßt sich wohl hören,« murmelte Morton, »und doch muß ich Euch in treuer Liebe und guter Absicht wiederholt bitten, auf der Hut zu sein. Unsre Feinde rühren sich wieder, erst heute morgen hat sich Georg Seyton mit etwa zwanzig seiner Leute mit den Leslies geschlagen, auf offner Straße ... bis vom Magistrat aus Hellebardierer anrückten und die Kampfhähne auseinandertrieben...«

»Ich weiß, Graf Morton, denn auf meinen Befehl ist die Scharwache ausgerückt,« erwiderte der Regent. »Sind Leute verwundet?«

»Lord Seyton selbst, vom schwarzen Leslie ... hol' der Teufel diesen Stoßdegen, daß er nicht gleich mitten durchfuhr! ... der schwarze Ralph hat eins über den Schädel bekommen von einem Pagen, den niemand kennt ... Fritz Seyton ist durch den Arm gestochen worden, und ein paar andre haben wohl noch leichten Aderlaß bekommen. Im übrigen ist von edlem Blute nichts bei der Rauferei geflossen, aber ein paar Kriegsknechten sind die Beine gebrochen und die Ohren heruntergeschlagen worden, die Kneipwirtsweiber haben die Halunken von der Straße aufgehoben und klagen nun wegen Mordes.«

Douglas, Ihr nehmt die Sache sehr leicht,« erwiderte der Regent, »solche Fehden auf offner Straße gereichten aber nicht einmal der Residenz des Großtürken zur Ehre, geschweige uns! Doch auch diesem Unfuge soll, wenn ich lebe, Abhilfe geschehen! es soll von mir in der Geschichte nicht heißen, ich hätte das Ansehen nicht zu wahren gewußt, das mir nach der Entthronung meiner Schwester anheimfiel. Nein, ich werde es wahren zum Heile des Gemeinwesens ...«

»Und zum Heil Eurer Freunde!« versetzte Morton, »daher hoffe ich unverzüglich auf einen Befehl von Euch, der die Wahl dieses Faulpelzes von Mönch, dieses Glendinning, zum Abt von Kennaqhueir für ungültig erklärt!«

»Euch soll sogleich Genüge getan werden!« erklärte der Regent, trat einen Schritt vor und wollte eben rufen: »Holla, Hyndman!« als sein Blick auf Roland Gräme fiel.

»Meiner Treu, Douglas,« rief er, zu seinem Freunde sich wendend, »hier haben drei Rat gehalten.«

»Aber nur zwei gehören dazu,« versetzte Morton, »der Junge muß beiseite geschafft werden.«

»Pfui doch, Morton! ein Waisenknabe!« verwies ihm der Regent solches Ansinnen. Dann rief er Roland zu sich. »Höre, mein Sohn, Du hast mir vorhin einiges genannt, was Du gelernt habest. Hast Du auch gelernt, die Wahrheit zu reden?«

»Jawohl, gnädiger Herr, sofern es zu meinem Frommen sei,« erwiderte kühn Roland Gräme.

»Zu Deinem Frommen sollst Du sie jetzt sagen,« sprach in strengem Tone der Regent, »Lüge wäre Dein Verderben. Was hast Du gehört oder verstanden von dem, was zwischen uns beiden gesprochen wurde?«

»Nur wenig, gnädiger Herr,« entgegnete Roland, »bloß soviel ist mir klar geworden, daß man die Treue des Ritters von Avenel in Zweifel zieht, unter dessen Dache ich erzogen worden bin.«

»Und was denkst und weißt Du darüber?« fragte der Regent weiter, einen durchdringenden Blick auf den Jüngling richtend.

»Das richtet sich nach dem Stande desjenigen, der die Ehre des Ritters antastet, dessen Brot ich so lange gegessen habe,« antwortete der Page. »Steht solcher Mensch unter mir, dann sage ich ihm, daß er ein Lügner sei und daß ich ihm mit meinem Stocke dienen werde, sofern er den Mund nicht hält. Ist er meinesgleichen, so halt ich den Lügner aufrecht und fordre ihn zum Zweikampf. Steht er über mir, dann . ..« er stockte in seiner Rede.

»Fahre getrost fort,« munterte ihn der Regent auf, »also: wenn solcher Mensch, sagst Du, über Dir steht, dann ...«

»Dann würde ich ihm sagen,« fuhr Gräme fort, »es sei nicht in Ordnung, über einen Abwesenden Uebles zu sprechen, und mein Herr sei Mannes genug, Rechenschaft über sein Tun und Lassen jedem zu geben, der sie mannhaft von Angesicht zu Angesicht von ihm fordert.«

»Mannhaft gesprochen, mein Sohn,« sagte der Regent, indem er dem Pagen die Hand auf die Schulter legte, »wie denkst Du darüber, Morton?«

»Ich denke,« versetzte der Graf, »daß sich zwischen seinem Denken und Tun eine große Verschiedenheit finden möchte, falls er einem gewissen alten Freunde an Verschlagenheit ebenso gleichkommt wie er ihm im Ausdruck des Auges und an Stirn und Nase ähnelt.«

»Und wem soll er Deiner Ansicht nach ähneln?« fragte der Regent.

»Dem redlichen und treuen Julian Avenel,« antwortete Morton.

»Aber der Jüngling stammt doch aus dem bestrittenen Lande,« sagte Murray.

»Das kann ja sein, aber Julian war ein Jäger, der gern in fremde Gehege strich und dem es auf einen Weg nicht ankam, wenn er ein schmuckes Wild auf dem Rohr hatte.«

»Pah!« rief der Regent, »das sind hohle Vermutungen ... Da, Hyndman, Du Naseweis, bring den jungen Menschen wieder zu seinem Kameraden! ... Du hältst Dich mit Deinem Begleiter zu sofortigem Aufbruch bereit,« sprach er zu Gräme. »Ich laß Dir Weisung zukommen.«

Dann winkte er ihm freundlich, sich zu entfernen, und die Unterredung hatte ein Ende.

Fünfzehntes Kapitel

Hyndman der Türsteher führte den Falkner und den Pagen nach einem Raume im Erdgeschoß und bedeutete sie, daß sie dort sich zu verhalten hätten, bis ihnen durch Seine Gnaden Bescheid zu weiterem Dienste zuginge. Speise und Trank fänden sie in der Küche, und ihr Nachtlager hätten sie, da alles im Schlosse besetzt sei, im Gasthofe zu Sankt-Michael zu nehmen, sich morgens aber hier wieder einzufinden.

Kaum war Hyndman verschwunden, so fragte der Falkner mit aller Hast gespannter Neugierde:

»Nun, Roland, die Neuigkeiten, die Neuigkeiten! komm, öffne Deinen Zeitungsbeutel! Was spricht der Regent? hat er sich nach Adam Woodcock erkundigt? ist alles niedergeschlagen, oder wird der Abt der Unvernunft noch dran zu glauben haben?«

»Alles steht nach dieser Seite hin gut,« antwortete der Page; »aber« -- und hier sah er verwundert auf seine Mütze -- »habt Ihr mir etwa Kette und Medaillon von der Mütze abgemacht?«

»Freilich, und grade noch zur rechten Zeit, als der sauertöpfische Patron von Türsteher sich eben erkundigen wollte, was Ihr da für pfäffischen Plunder an Euch trüget! denn sonst wäret Ihr doch Euer Medaillon los, denn man hätt's Euch Gewissens halber konfisziert! Aber wie steht's denn mit Euren weitern Neuigkeiten? laßt Ihr sie nun bald fliegen? was hat der Regent zu Euch gesagt?«

»Nichts was ich weiter sagen werde,« erwiderte Roland.

»Was der Tausend!« rief Adam, »wie klug und weise wir doch mit einem Male geworden sind! Herr Roland, Ihr habt's wirklich in kurzer Zeit recht weit gebracht! Nahe dran wart Ihr, Euch einen blutigen Schadet zu holen, und habt Euch eine goldene Kette geholt, dann einen Feind erworben, den Herrn Türsteher nämlich mit seinen Säbelbeinen, dann habt Ihr Audienz gehabt beim ersten Mann in ganz Schottland, und nun steht Ihr da mit so geheimnisvollem Schleier um die Stirn, als wärt Ihr am höfischen Himmel geflattert, schön, als Ihr aus Eurem Ei krocht.. Meiner Treu, Ihr seid, scheint's mir, mit einem Stück Eierschale auf dem Kopfe herumgelaufen wie die Schnepfen drüben in Avenel ... wollte Gott, wir wären wieder hinter ihnen her! ... aber setz Dich, Junge! Adam Woodcocks Sache ist's nie gewesen, sich in Heimlichkeiten einzudrängen: da, setz Dich, ich will was zu essen und trinken holen, mir hängt der Magen schon ganz windschief, ich weiß ja von früher her, wo man hier was Gescheites bekommt.«

Der Falkner ging und überließ Roland den seltsamen und verwickelten, zugleich auch höchlich beunruhigenden Betrachtungen, die die Vorgänge dieses Vormittags in seinem Gemüte geweckt hatten. Gestern noch ohne Zweck und Ziel auf der Landstraße, als Begleiter einer Greisin, mit deren Verstand es ihm selbst nicht ganz richtig zu sein schien, und jetzt, ohne daß er selbst wußte, wie und weshalb, und in welchem Maße, der Hüter eines Staatsgeheimnisses von solch wichtiger Natur, daß der Regent selbst ihm treues Verschweigen ans Herz gelegt hatte. Der Umstand, daß er selbst die Tragweite dieses Geheimnisses nicht vollständig begriff, in dessen Besitz er wider Willen gesetzt worden war, war mehr geeignet, die Situation für ihn interessant, als gleichgültig zu gestalten. Es war ihm zu Mute, wie jemand, der eine romantische Landschaft zum ersten Male in einen Nebelsack gehüllt erblickt, so daß die Berge und Abgründe, zufolge der schwanken Umrisse, in denen Felsen, Bäume und andre Dinge ringsumher dem Auge erscheinen, doppelte Höhe und Tiefe gewinnen, weil es an jedem Maßstabe für sie gebricht. Selten gewinnt aber beim Menschen, vorzüglich, wenn er kurz vorm Eintritt in das zweite Lebensjahrzehnt steht, die Phantasie dermaßen die Herrschaft über sein ganzes Wesen, daß ihm das Bewußtsein für irdische Nahrung abhanden kommt. So war es auch unserm Helden, wie wir ihn nachgerade wohl nennen dürfen, ganz lieb und recht, daß sein Freund Adam Woodcock mit einer tüchtigen Schüssel voll Rindfleisch und Gemüse wieder in der Stube erschien und hinter ihm drein ein Diener sichtbar wurde, der Salz und Brot und was sonst zu einer rechtschaffnen Mahlzeit gehört, herbeitrug. Der Falkner sagte freilich, für das armselige Dienervolk des Adels werde es mit jedem Tage schlechter und karger, es sei wirklich ein Stück Arbeit, etwas Bessers noch zu ergattern als Haut und Knochen, grobe Reden und Püffe seien weit leichter zu haben, und Bier gebe es überhaupt nicht mehr, sondern nur Malzwasser ... »aber, Kamerad,« setzte er bei, »es kommt nichts heraus dabei, Klagelieder über alte Zeiten anzustimmen, besser ist's schon, man sucht die Gegenwart zu nehmen, wie sie ist.«

Mit diesen Worten setzte sich der ehrliche Falkner neben den Junker, dessen Sorge um die Zukunft in der angenehmen Befriedigung einer durch Jugend und Entbehrung geschärften Eßlust schon eine Weile lang geschwunden war. Sie hielten auch wirklich auf königliche Kosten ein tüchtiges Mahl, so schlicht auch die Speisen waren, aus denen es bestand, und ungeachtet des über den Haustrunk des Palastes gefällten Tadels hatte er doch bereits viermal tüchtig an dem Kruge »gezulpt«, bevor es ihm wieder einfiel, daß er sich drüber »mokiert« hatte. Dann warf er sich in einen alten Armsessel, heftete auf seinen Gefährten einen Blick sorgenloser Lust und bedauerte es lebhaft, daß demselben noch immer nicht die Ballade bekannt sei, die er für den Aufzug des Narrenabtes komponiert habe. Und ohne auf eine Aufforderung zu warten, stimmte er munter und fidel an:

Der Papst in stolzer Heidenpracht


Hüllt uns in Narrenkappen.


Wenn Blinder Blindenführer macht,


Im Irrsal beide tappen;

Auf seinem Thron spricht keck er Hohn.


Dem, was Vernunft gebeut ...


Singt dudeldum und dudeldei


Im Grünen ungescheut.

Der Bischof brummt, wie Ihr ja wißt,


Und neckt sich mit der Dirne.


Der Sündenmönch frönt dem Gelüst


Mit frecher Muckerstirne.

Nicht lesen schier kann sein Brevier


Der Pfaff. O arge Zeit!


Singt dudeldum und dudeldei


Im Grünen ungescheut.

Roland fand an diesem Spottgedicht, wie sich bei seiner Denkart und Glaubensrichtung wohl denken läßt, kein sonderliches Behagen und griff nach seinem Mantel, um ihn über die Schulter zu werfen, und Adam Woodcock setzte deshalb in seinem Gesange aus. »Wo soll's denn schon wieder hin, unruhiger Knabe?« rief er, »Du hast doch ganz gewiß Quecksilber in Deinen Adern! hältst genau so wenig aus, wie ein Falke auf dem Handgelenk, wenn er die Haube nicht auf hat.«

»Je nun, Woodcock,« antwortete der Page, »ich will mal einen Gang durch die Stadt machen, wenn Du es durchaus wissen willst. Wenn man die ganze Nacht hier zwischen vier Steinmauern verbringen sollte, dann könnte man grad so gut eingekerkert sitzen im alten Schloß am See.«

»Aber allein laß ich Euch keinen Schritt tun,« sagte der Falkner, »bis der Regent Euch wohlbewalten aus meiner Hand empfing. Drum laßt uns, wenn's Euch paßt, nach Sankt-Michael in den Gasthof gehen. Dort werden wir Menschen genug sehen, aber durchs Fenster, wohlgemerkt! denn daß Ihr etwa noch mal hinauslauft, um Euch mit Seytons und Leslies herumzuschlagen, das geb ich auf keinen Fall zu.«

»Na, also auf nach Sankt-Michael!« stimmte der Page bei; und sie verließen den Palast, gaben der Wache am Tore Bescheid über Namen und Stand und Zweck ihrer Anwesenheit im Schlosse und wurden dann gegen Ausfolgung von Einlaßkarten für den kommenden Tag durch eine enge Pforte des Haupttors hinausgelassen. Bald hatten sie den Gasthof, der am Fuße des Calton-Hügels lag, erreicht, ein großes, unwirtliches Gebäude, das mehr einer Karawanserei des Morgenlandes glich als einem Gasthofe im Abendlande,

Der jeden Wunsch des Gastes zu erfüllen trachtet,


Der nicht auf Kreide bei der Zeche achtet.

Immerhin gab es für Roland, dessen Auge an solchen Anblick, wie ihn eine volle Gaststube des damaligen Schottland darbot, nicht gewöhnt war, des Aufregenden und Ergötzlichen grade genug zu sehen. Einheimische und Fremde trafen einander hier, begrüßten einander, spielten Karten und pokulierten zusammen, ohne daß sich einer um den andern kümmerte, und bildeten so einen schroffen Gegensatz zu der strengen Ordnung und einförmigen Ruhe, mit der sich alles in dem wohlgeordneten Haushalte des Ritters von Avenel vollzog. Neckerei, Wortwechsel und Zank gab es an allen Tischen, und doch schien der Lärm, der dadurch entstand, niemand zu stören, ja niemand zu kümmern als die Gruppe, zu der die im Disput befindlichen grade gehörten.

Der Falkner setzte sich, in eins der Erkerfenster, ließ sich kalten Kapaun und Rindszunge und Landwein bringen und sagte zu Roland:

»So, Kamerad! nun zugelangt, heut soll's noch ein paar lustige Stunden setzen! Begraben wir die Sorgen bis morgen!«

Aber Roland war noch zu satt von dem Abendessen im Schlosse und vergnügte sich durch die Beobachtung des draußen in dem großen Hofe herrschenden Lebens und Treibens. Die vielen, jetzt zur Hauptstadt strömenden Adelinge des Landes hatten alle Ställe mit ihren Pferden in Beschlag genommen, und es wimmelte draußen von kriegerischem Gefolge und von Dienerschaft in allen möglichen Trachten und Livreen. Das war ein Singen und Lärmen und Pfeifen und Schreien und Lachen, untermischt mit Waffen- und Sporengeklirr, mit Stampfen und Wiehern, daß Roland bald die Ohren weh taten. Aber er hörte nicht auf, zu sehen und zu staunen. Wiederholt hatte Woodcock ihn aufmerksam gemacht auf das und jenes, das ihm besonders verdiente, beobachtet zu werden, und worunter sich auch manche Dirne befunden hatte, die im buntfarbigen Mieder, in schmuckem Rock und Unterrock mit der Gelte zum Trog gelaufen war, um dem einen oder andern bevorzugten Knecht oder Diener bei der Abwartung seines Rosses zur Hand zu gehen. Aber kein einziges mal hatte Roland ihn einer Antwort gewürdigt.

»Na, Schockschwerenot! Roland, was seht Ihr denn bloß, daß Ihr gar kein Wort für mich übrig habt?«

Roland blieb nach wie vor stumm.

»Na, wißt Ihr, Herr Roland,« sagte der Falkner wieder, »bei mir zu Hause ist's nicht Mode, daß man jemand die Antwort weigert, der mit einem spricht.«

Aber auch jetzt kam keine Antwort aus dem Munde des Gefährten.

»In dem Burschen steckt wahrhaftig der Henker,« brummte der Falkner vor sich hin, »der muß sich die Augen verguckt und die Zunge lahm geschwatzt haben.«

Er goß den Krug Wein hinunter und rückte näher zu Roland heran, der wie eine Bildsäule dasaß und in den Hof hinaus stierte, trotzdem sich dort, wenigstens für die Augen des Falkners, nicht das geringste zeigte, was solches stieren Gaffens als wert hätte erscheinen können. Aber das Staunen des Pagen hatte seine guten Gründe, wenngleich sie nicht danach beschaffen waren, daß er sich zu seinem Kameraden darüber hätte aussprechen können.

»Der Bursche ist, weiß der Himmel, von Sinnen!« brummte Woodcock vor sich hin. Der Lärm im Hofe hatte verschiedene Leute von der Straße herbeigelockt, darunter auch einen Pagen, dessen Erscheinung, als er ins Hoftor trat, die Aufmerksamkeit Rolands sogleich auf sich gezogen hatte. Er war etwa von gleichem Alter mit ihm, eher junger als älter, und mochte, der Tracht und Haltung nach zu schließen, einem gleich vornehmen Hause angehören wie er, bloß war er zierlicher und schmächtiger von Gestalt. Er warf, kaum in den Hof getreten, einen Blick zu den obern Fenstern hinauf, und da erkannte Roland zu seinem höchsten Staunen unter der purpurnen Samtmütze mit der weißen Feder, die den Pagenkopf bedeckte, die seiner Erinnerung so tief eingeprägten Gesichtszüge mit den wohlgeformten Brauen unter den goldnen Ringellocken und der Purpurlippe, die in der Regel von halb unterdrücktem schelmischem Lächeln umspielt war, mit einem Worte, da erkannte Roland in dem schmücken Pagen die lustige Maid, die er zum erstenmal in dem Kloster, zum andern mal in dem Palaste des Lords Seyton gesehen hatte, Katharina Seyton! ja, Katharina Seyton in Pagentracht, und, dem Anschein nach, mit Geschick und Glück bemüht, ihn nachzuäffen.

»Beim heiligen Georg und was weiß ich noch allem!« sprach Roland bei sich, »sah man wohl je eine keckere Dirne? .. Indessen sieht's doch so aus, als ob sie ihrer Vermummung sich ein wenig schämte, denn jetzt hält sie schon wieder den Mantelzipfel vors Gesicht ... aber, mit welcher Keckheit drängt sie sich durch diesen Haufen von Mannsvolk .. Ich glaube gar, jetzt zieht sie dem Stallburschen in der Friesjacke mit der Reitgerte ein paar über!«

Ein Tölpel von Stallburschen in dicker Friesjacke hatte dem, wie es schien, in großer Eile befindlichen Pagen nicht Platz machen wollen und bekam jetzt seine Reitpeitsche zu kosten. Sie sauste ihm um die Ohren, und brummend trat der ungelenke Mensch beiseite! Während seine Kameraden sich darüber vor Lachen ausschütten wollten, trat eine Dirne, in rotem Mieder, die ihm geholfen hatte und seinem Mißgeschick dadurch die Krone aufsetzte, daß sie aus vollem Lachen mitlachte, zu dem Pagen heran und fragte, ob er vielleicht hier jemand suche.

»Richtig erraten, mein Kind, einen jungen Schößling mit Palmenzweig auf der Mütze, schwarzäugig und schwarzlockig, in grünem Wams und mit den Mienen eines Gecken vom Lande. Ich hab ihn schon überall in der Canon-Gate gesucht und kann ihn nicht finden.« »Na, nur gemütlich,« murmelte Roland verwundert in sich hinein, »das hört sich ja recht schmeichelhaft an!«

»Ich will dem schmucken jungen Herrn gern den Gefallen tun und Umschau nach dem jungen Buben vom Lande halten,« sagte die Magd zu dem Pagen.

»Seid so gut,« antwortete dieser; »bringt Ihr ihn mir her, sollt Ihr heut abend auch einen guten Groschen und am andern Sonntag, wenn Ihr ein reines Mieder anhabt, einen Schmatz bekommen.«

»Na, das nenn ich die Keckheit doch etwas weit getrieben, gegen mich wie gegen die Dirne,« brummte Roland in sich hinein.

»Den Groschen könnt Ihr behalten,« beschied die Dirne, »und den Schmatz schenk ich Euch!«

Im andern Augenblick war die Magd, die für Pagen einen schärfen Blick zu haben schien, in der Gaststube und sah sich um. Dann ging sie heraus, um gleich darauf mit dem Pagen hereinzutreten.

Die verkleidete Maid ließ ihren Blick keck über die in der Gaststube sitzende und stehende Gesellschaft von Mannsvolk schweifen; Roland wußte nicht, was er von ihr denken sollte, nahm sich aber vor, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern ihr lustig gegenüberzutreten und sie gleich merken zu lassen, daß er sie erkannt habe und um ihr Geheimnis Bescheid wisse, daß also ihr Schicksal in gewissem Sinne in seiner Hand liege, und daß er sie recht wohl nötigen könne, sich vor ihm zu »ducken« oder wenigstens doch so zu tun, als »krieche sie vor ihm zu Kreuze«.

In dieser Weise hatte sich Roland die weitere Entwicklung der Situation recht fein ausgedacht; aber als er die zu solchem Verhalten passende Miene grade aufsetzen wollte, trafen seine Blicke auf das kecke, unverwandt auf ihn gerichtete Augenpaar seines brüder- oder schwesterlichen Pagen, der in ihm sogleich mit seinem Falkenblick die Persönlichkeit erkannt hatte, auf deren Suche er begriffen war, und mit der unbefangensten Miene und dem unerschrockensten Wesen von der Welt hörte er sich plötzlich angesprochen:

»Ei, Herr Palmenzweig, Euch such' ich, weil ich mit Euch was zu sprechen habe.«

Es war dieselbe ruhige, zuversichtliche und kalte Stimme, wie er sie im Kloster aus ihrem Munde vernommen hatte, es waren dieselben Gesichtszüge, die ihm so scharf vor der Seele standen, die ihm, aus solch unmittelbarer Nähe gesehen, ganz unmöglich Zweifel wecken konnten, und doch stand er da perplex und außer stande, sich die Situation zurechtzulegen, und es war ihm, als wenn ihn Ungewißheit beschliche, ob er nicht doch am Ende das Opfer einer Augen- oder Sinnestäuschung sei; und aus der Klugheit, die er hatte entfalten wollen, aus der pfiffigen Miene, die sein Gesicht hatte zeigen sollen, war eine alberne Blödigkeit, aus dem spöttischen Lächeln, das auf seine Lippen hatte treten wollen, ein dummes Grinsen geworden, so daß er ganz aussah, wie jemand der lachen will, um seine Verlegenheit zu bemänteln.

»Na, ich denke doch, bei Dir zu Lande wird Schottisch gesprochen, Palmzweig?« fragte die wundersame Fee in der noch wundersamern Verkleidung, »ich sagte doch, ich hätte mir Dir zu reden!«

»Was habt Ihr junges Kampfkücken denn vor mit meinem Kameraden?« fragte Adam Woodcock, der sich anschickte, seinem Kameraden zu Hilfe zu kommen, obgleich er über den Grund von dessen Verwirrung auf durchaus falscher Fährte war.

»Mit Euch altem Hahne gar nichts,« erwiderte das jugendliche Stutzerlein, »geht Ihr in aller Ruhe und reicht Euren Falken Pillen zum Abführen! Ich seh es ja an Eurer Tasche und Eurem Handschuh, daß Ihr so was seid wie Falkenier?«

Das Stutzerlein lachte, und dieses Lachen rief ihm jenes andre, das er im, Kloster gehört hatte, so deutlich in die Erinnerung, daß er sich kaum, enthalten konnte auszurufen: »Katharina Seyton, so wahr Gott lebt« -- aber er unterdrückte noch rechtzeitig diesen Ausruf und sagte statt, seiner nur: »Mir kommt so vor, mein junger Herr, als seien wir einander nicht ganz fremd.«

»Dann müssen wir einander grade im Traume gesehen haben,« sagte der Page, »ich habe tagsüber aber so viel zu tun, daß es mir ganz unmöglich ist, mich um Träume zu kümmern.«

»Oder Euch derjenigen bei Tage nicht mehr zu entsinnen, die Ihr abends gesehen habt,« versetzte Roland.

Der Page sah ihn verwundert an, dann sagte er: »Ich verstehe von Euren Reden nicht mehr und nicht weniger als dort der Gaul. Soll in Eurer Rede ein Tort gegen mich liegen, so steh ich nicht an, Euch darüber zur Rede zu stellen, wie jeder andre junge Kavalier von Edinburg.«

»Daß ich mich mit Euch nicht in Händel einlassen werde, wißt Ihr recht gut,« erwiderte Roland, »wenn's Euch beliebt mit mir wie mit einem Fremden zu reden. Mir muß ja jeder Streit mit Euch fern liegen.«

»Dann laßt mich in Ruhe den Auftrag ausrichten, den ich für Euch habe« sagte der Page. »Aber, tretet ein wenig hier herüber, damit uns das alte Falkenleder nicht hört.«

Sie trat in einen Verschlag am Fenster, der Jüngling kehrte der Gesellschaft in der Gaststube den Rücken zu, nachdem er sich noch einmal mit scharfen Blicken rings umgesehen, dann zog er unter seinem Purpurmantel ein kurzes, aber fein ziseliertes Schwert hervor, dessen Griff und Scheide mit silbernem Zierat ausgelegt waren, und sprach zu Roland wie folgt:

»Ein Freund sendet Euch diese Waffe und schenkt sie Euch unter der Bedingung, daß Ihr sie nicht früher ziehen sollt, als bis es Euer angestammtes Oberhaupt Euch befiehlt. Weil man Euer heißes Blut kennt, und Eure Keckheit, Euch um ungelegte Eier zu bekümmern, soll dies Eure Strafe sein, erteilt von denjenigen, die Euch wohlwollend gesinnt sind und deren Hand bestimmt ist, in Euer Geschick einzugreifen. Dies ist mein Auftrag. Wollt Ihr nun ein ehrliches Wort austauschen gegen ein gutes Schwert und Euer Gelübde durch Handschlag und Handschuh verpfänden, dann laß ich Euch meinen Flamberg da, andernfalls bin ich gehalten, ihn denen wieder zurückzubringen, die ihn mir übergeben haben.«

»Ich darf nicht fragen, wer die Auftraggeber sind?« fragte, die herrliche Waffe bewundernd, Roland.

»Mein Auftrag ermächtigt mich nicht, auf solche Frage Bescheid zu tun,« sagte das Stutzerlein im Purpurmantel.

»Und auch, wenn mich Beleidigung trifft, soll ich nicht vom Leder ziehen dürfen?« fragte Roland wieder.

»Nicht dieses Schwert,« versetzte der Page, »aber dazu habt Ihr ja doch das eigne Schwert, das ich Euch doch nicht nehmen soll; und wozu habt Ihr denn Euren Dolch?«

»Unter dieser Bedingung, und da es von so lieber Hand kommt, nehme ich das Schwert,« erklärte Roland, »doch glaubt mir, sofern wir in irgend welcher Unternehmung von Wichtigkeit, wie ich ja doch anzunehmen veranlaßt worden bin, gemeinsam handeln, dann wird doch ein gewisser Grad von Vertrauen und Offenheit Eurerseits von nöten sein, um meinem Eifer das nötige Feuer zu geben. Für den Augenblick will ich nicht weiter in Euch dringen. Es genügt mir, wenn Ihr mich versteht.«

»Wenn ich Euch verstehe?« wiederholte der Page, jetzt seinerseits unverblümte Verwunderung zeigend, »nicht leben will ich, wenn dem so ist ... Ihr steht da und lächelt und schneidet Gesichter, als wenn Gott weiß welches Wunderding von Rank und Intrige zwischen uns sich abspielte, und dabei habe ich doch weder Euch noch habt Ihr mich gesehen!« »Was?« rief Roland Gräme, »Ihr wolltet in Abrede stellen, baß wir einander schon gesehen hätten?«

»Potztausend! vor jedem christlichen Potentaten will ich's beschwören!« rief der andre Page.

»Und wollt Ihr ferner leugnen, daß es uns eingeschärft worden ist, uns wechselseitig unsre Gesichtszüge einzuprägen?« rief Roland. »Gedenkt Ihr nicht der Damen Brigitte und Magdalene ...«

Hier unterbrach ihn der Page mit mitleidsvollem Achselzucken und sagte:

»Was schwatzt Ihr da von einer Brigitte und einer Magdalena? ... Na, das ist doch helle Verrücktheit oder Träumerei! ... Wißt Ihr was, mein Herr Palmenzweig? Mir scheint, Ihr seid nicht mehr recht bei Euch! oder Euer bißchen Griebs ist Aehren lesen gegangen! Trinkt einen guten Magenbitter, oder zieht über Euer krankes Hirn eine wollne Nachtmütze ... und damit Gott befohlen!«

Damit war der Page verschwunden.

Sechzehntes Kapitel

Am andern Morgen dämmerte es kaum, so wurde am Wirtshaus durch laute Schläge am Türklopfer Einlaß begehrt im Namen des Regenten. Gleich darauf stand Michael Wingthewind vor unsern Reisenden, die sich in den Betten befanden.

»Auf, auf!« rief er, »wenn Murray ruft, ist's aus mit Schlaf!«

Im Nu waren beide aus den Betten und auf den Beinen.

»Alter Freund,« sagte Michael zu Adam, »Ihr müßt sofort aufsitzen mit diesen Schriftstücken nach Kennaqhueir und Avenel! dies eine hier dem Abt, und jenes andre dem Ritter Avenel behändigen.«

»Das heißt also auf schottisch: die Mönche sollen die Abtei räumen,« rief Adam, die Schreiben in seine Jagdtasche steckend, »und mein Herr soll dafür sorgen, daß es prompt geschieht. Aber zwei Brüder aufeinander zu hetzen ist keine rühmliche Sache.«

»Kümmert Euch nicht um ungelegte Eier,« verwies ihn Michael, »sondern macht, daß Ihr in den Sattel kommt, denn werden die beiden Befehle nicht sofort vollstreckt, dann wird man vom Marienkloster bald bloß noch die Mauern und vom Schloß Avenel nicht viel mehr sehen. Ich hörte Murray in heftigem Disput mit Morton, und wir sind beide so gestellt miteinander, daß über Kleinigkeiten keine Differenzen erwachsen dürfen.«

»Ist noch vom Abte der Unvernunft die Rede gewesen, oder gilt das als beigelegt?«

»Das hat man als Jux nicht weiter beachtet, weil's keinen Schaden gestiftet hat. Aber laßt künftig die Finger von solchen Geschichten und denkt an die Mortonsche Jungfer.«

»Die soll mir den Hals nicht wegsäbeln,« meinte Woodcock und schlang sich das Tuch dreimal um den dicken, sonnverbrannten Hals, indem er dreimal hintereinander Roland zurief, sich schnell fertigzumachen.

»Laßt den Pagen in Ruh,« sagte Wingthewind, »der begibt sich nicht mit Euch zurück, für den hat der Regent einen andern Auftrag.«

»Alle Heilige! Herr Roland Gräme soll hier bleiben?« rief Woodcock, »und ich soll allein nach Avenel zurück? Aber das geht doch nicht! so ein junges Blut weiß sich doch nicht durch die Welt zu bringen! da gibt's doch der Fälle noch gar zuviel, wo er auf meiner Pfeife Lockruf hören muß!«

Roland schwebten schon Worte auf der Zunge, den Falkner auf eine Gelegenheit zu verweisen, bei der er selber besser gefahren wäre, wenn er auf andrer Rat geachtet hätte, aber er unterließ die Bemerkung, als er die echte Bekümmernis auf dem Gesichte des braven Alten über die Trennung wahrnahm. Indessen kam er ohne Neckerei doch nicht los, denn Michael nahm ihn jetzt beim Arme und fragte ihn:

»Aber sag doch bloß, Alter, was ist denn mit Deinen Augen? die sind ja geschwollen, als sollten sie aus den Höhlen treten!«

»Ach, laß meine Augen!« versetzte unwirsch Adam, »das kommt vom Schlafen auf den vermaledeiten Schloßpritschen! ich laß mir einen Holzapfel braten und setz eine Flasche Bier drauf, da wird die Geschwulst bald weg sein!«

»Recht so, Adam! ich werde Dir Deinen Gaul satteln lassen und für den Holzapfel sorgen. Aber spute Dich! Der Regent hat's eilig!« Während seiner Abwesenheit nahm Woodcock den Pagen, bei der Hand.

»Mein lieber Roland,« sagte die biedre Seele, »wer weiß, ob wir je wieder einen Falken zusammen steigen lassen. Mir tut's leid, daß wir scheiden müssen, als wenn Ihr mein eigner Sohn wärt, nehmt's mir nicht übel! Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich kann's nicht ändern, Ihr seid mir lieber als jeder andre Junge auf dem Schloß. Drum laßt Euch heut dreierlei noch sagen zum Abschied, Roland! Ihr sollt Euch nun allein bewegen in dieser unruhigen Welt, in der wir uns zurzeit befinden. Also merkt Euch folgendes: Zieht Euren Dolch nicht bei geringfügiger Veranlassung, denn nicht jedermanns Wams möchte so ausgepolstert sein, wie das des Unvernunftabtes; lauft nicht jeder hübschen Dirne nach wie der Sperber der Drossel! denn Ihr werdet nicht immer güldne Ketten dabei ergattern; und drittens: nehmt Euch vorm Kruge in acht! ein guter Trunk hat schon klügre Männer als Euch um die gesunden fünf Sinne gebracht. Und nun, lieber Junge, lebt wohl. Wir haben zu mehr jetzt keine Zeit ... Aber da habt Ihr noch Eure Kette und Euer Medaillon! fast hätt ich beides vergessen. Verwahrt die Dinge gut, denn sie sind massiv und können Euch in manchem Fall der Not zum Nutzen sein. Aber seid auch hübsch vorsichtig damit!«

Roland erwiderte den warmen Händedruck des braven Falkners, trug ihm auf, seiner Gebieterin zu sagen, daß es ihn noch jetzt schmerze, ihr weh getan zu haben, und daß er sich in der Welt so aufführen werde, daß es ihr zur Freude gereichen solle, wie es ja um des gütigen Schutzes willen, den sie ihm gewährt habe, für ihn Pflicht und Schuldigkeit sei.

Dann bestieg der Falkner seinen frischen, gut gefütterten Gaul und trabte von dannen. Jeder Hufschlag schien Roland Gräme zu treffen, denn er fühlte, wie innig auch er an dem braven Manne hing und wie seltsam es ihm zu Mute war, jetzt allein, bloß auf sich selbst angewiesen, in der Welt zu stehen. Aber Michael kam jetzt zurück und riß ihn aus seinem Sinnen durch den Zuruf, daß der Regent auf ihn warte. Er müsse sich außerordentlich sogar beeilen, denn es sei heut eine sehr eilige Staatsratssitzung anberaumt und der Regent habe ausdrücklich befohlen, den Pagen vorher ihm zuzuführen.

Michael führte Roland in ein kleines, mit Teppichen dicht belegtes Zimmer, wo Graf Murray im dunkelfarbigen Schlafrock, in Pantoffeln und Mütze auf einem Sessel saß. Aber auch bei dieser bequemen Morgentracht trug er den Degen an der Seite, halb aus persönlicher Vorsicht, halb den Vorstellungen seiner Freunde sich fügend. Auf die ehrfurchtsvolle Verbeugung des Pagen antwortete er durch ein Nicken. Dann ging er ein paarmal in dem Zimmer auf und nieder, den Blick scharf auf Roland gerichtet, wie wenn er im Innern seiner Seele lesen wolle. Endlich brach er das Schweigen durch die Frage:

»Julian Gräme lautet Euer Name -- nicht so?«

»Roland Gräme,« versetzte der Page, »nicht Julian, gnädigster Herr!«

»Ach richtig, mein Gedächtnis hat mich im Stich gelassen. Roland Gräme aus dem bestritten Lande, richtig! ... Nun, Roland! Dir sind die Obliegenheiten im Dienst einer Dame bekannt?«

»Ja, gnädigster Herr, denn ich bin auferzogen worden im Dienste der Dame von Avenel. Aber ich denke sie nie wieder zu üben, da mich der Ritter von Avenel ...«

»Schweigt, Bursche,« fuhr der Regent ihn an, »zu sprechen habe hier ich, und Ihr habt zu hören und zu gehorchen. Es ist notwendig, daß Ihr auf einige Zeit wieder in den Dienst einer Dame tretet, die an Rang in Schottland nicht ihresgleichen hat. Ist dieser Dienst vorüber, und ward er prompt erfüllt, dann soll Eurem Ehrgeiz, darauf gebe ich Euch mein gräflich Wort, eine Bahn sich eröffnen, die dem stolzesten Manne recht sein dürfte ...«

Als Roland inne wurde, daß der Regent eine Antwort zu erwarten schien, fragte er: »Darf ich wissen, wem ich meine Dienste widmen soll?«

»Das sollt Ihr später erfahren,« versetzte der Regent, dann fügte er mit sichtlichem Widerstreben hinzu: »Oder warum soll ich's Euch nicht gleich sagen? erfahren müßt Ihr's doch ... in den Dienst der erhabensten und doch unglücklichsten Frau von ganz Schottland sollt Ihr treten, in den Dienst Marias von Schottland ...«

»Ich in den Dienst der Königin, gnädiger Herr?« rief der Page, völlig außer stande, sein Staunen zu unterdrücken.

»Die einst Königin war!« sagte Murray mit seltsamer Mischung von Unmut und Verlegenheit im Tone seiner Stimme, »Ihr dürft nicht außer acht lassen, daß ich an ihrer Statt das Regiment in Schottland führe.«

»Werde ich Königlicher Hoheit am Orte ihrer Gefangenschaft zu dienen haben?« fragte der Page mit treuherziger Unbefangenheit, durch die er den Staatsmann halb und halb aus der Fassung brachte. »Sie ist nicht in Gefangenschaft, das verhüte Gott!« erwiderte der Regent verdrießlich, »bloß entfernt von Staats- und öffentlichen Geschäften, bis sich die Verhältnisse wieder so weit beruhigt haben, daß sie sich ihrer unbeschränkten Freiheit wieder erfreuen darf, ohne ihren königlichen Sinn den Ränken schlimmer Menschen ausgesetzt zu sehen. Da sie,« setzte er hinzu, »von Rechts wegen mit einer ihrer abgeschiednen Lage angemessnen Dienerschaft umgeben werden muß, auf deren Klugheit ich mich verlassen kann, ist, was den Pagendienst angeht, meine Wahl auf Euch gefallen. Ihr seid anstellig, in Euren Mienen lese ich, daß Ihr Verständnis für die Aufgabe habt. Hier in diesem Schriftstück sind die Obliegenheiten niedergelegt, die Ihr zu erfüllen habt. Aber was vor allem von Euch erwartet wird, ist Treue. Ihr sollt wachen, über jeden Versuch, über jede aufkeimende Neigung, mit irgend einem der im Westen des Landes sässigen Lords, mit Hamilton, Seyton, Fleming u. s. w., die sich zu Häuptern der uns feindlichen Partei aufgeworfen haben, Beziehungen oder Verkehr anzuknüpfen. Es wird Euch demnach zur Pflicht gemacht, über alles, was Euch in Eurem Dienste auffällt, meiner Mutter, bei der sich zurzeit meine Schwester als Gast aufhält, zu berichten, über jeden Verdacht, der Euch aufsteigt, meine Schwester könne sich mit der Absicht tragen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln, oder gar etwa mit Angehörigen fremder Staaten Verbindungen anzuknüpfen. Sollte aber sich irgend etwas von Bedeutung tatsächlich ereignen, so sollt Ihr ohne allen Verzug direkte Boten an mich absenden, und zur Bewerkstelligung all dessen, was in solchem Falle von nöten, nehmt hier diesen Ring, der Euch jedem ausweist als meinen Vollmachtträger. Und nun geh, mein Sohn!« verabschiedete ihn der Regent und legte wiederum die Hand auf Rolands Schulter, diene mir treu, und so wahr ich Graf Murray bin, Dir soll hoher Lohn werden!«

Roland verneigte sich und stand im Begriffe, sich zu entfernen, da gab ihm der Graf ein Zeichen, noch zu verweilen.

»Ich habe großes Vertrauen in Dich gesetzt, mein Sohn, denn Du bist der einzige meines Gefolges, der auf meine eigne Empfehlung zu meiner Schwester gesandt wird. Ihre Kammerfrauen hat sie sämtlich sich selbst gewählt. Sie solches Vorrechts berauben zu wollen, wäre übertriebne Härte gewesen, wenn auch einige Mitglieder des Staatsrats hierfür stimmten ... Du bist jung und ein schmucker Gesell. Mach ihre Torheiten mit, aber achte darauf, daß hinter Torheiten sich nichts Ernsteres verbirgt, und werden Minen gelegt, dann lege Du Gegenminen! Im übrigen betrage Dich mit allem Anstand und aller Ehrerbietung gegen Deine Herrin, denn sie ist Fürstin, wenn auch vom Unglück beherrscht, und sie war Königin, Königin von Schottland! wenn sie es auch, leider! jetzt nicht mehr ist -- Und nun leb wohl! -- Doch halt, noch eins! Du reitest mit Lord Lindesay. Sieh Dich vor, ihm nicht zu nahe zu treten! er ist ein rauher Herr, der keinen Spaß versteht ... und Du, mein Sohn, sollst, wie ich vernommen, zuweilen vorlaut, man hat sogar gesagt, naseweis sein.« Diese letzten Worte sprach er mit freundlichem Lächeln. Dann fügte er noch hinzu: »Mir wäre es freilich lieber gewesen, der Staatsrat hätte einen Lord von bessrer Bildung mit solcher Botschaft beordert.«

»Und warum, Mylord?« fragte Graf Morton, der grade ins Zimmer trat, um diese Schlußworte noch zu hören. »Der Staatsrat hat entschieden, daß Lord Lindesay der beste sei für diese Aufgabe, denn es fehlt uns wahrlich nicht an Proben von Halsstarrigkeit dieser Dame, und eine Eiche, die der scharfen Axt von Stahl widersteht, muß durch rauhen Eisenkeil gespalten werden ... So? dies soll der Page sein? Nun, Mylord hat Euch wohl instruiert, junges Bürschchen, wie Ihr Euch zu verhalten habt. Indessen will ich Euch doch einen kleinen Wink noch beifügen. Ihr steht im Begriffe, Euch nach einem Douglas-Schlosse zu begeben. Vergeßt nicht, Knabe, daß noch in keinem Douglas-Schlosse Verrat gedieh! die erste Spur von Verdacht wäre der letzte Augenblick, Eures Lebens ... Mein Vetter William Douglas ist ein wilder Gesell. Wittert er Argwohn gegen Euch, dann tanzt Ihr, ehe die Sonne über seinem Zorne untergeht, auf den Schloßzinnen Schwebewalzer im Winde! ...« Dann wandte er sich an den Regenten: »Und einen Beichtvater soll die Dame auch erhalten?«

»Gelegentlich,« versetzte der Regent, »denn ihr den geistlichen Trost vorenthalten zu wollen, wäre doch mehr als grausam.«

»Mylord, immer wieder weichherzig?« fragte Graf Morton. »Solch falscher Priester ebnet ihren Klagen nicht bloß den Weg zu unsern Widersachern in Schottland, sondern auch zu den Gassen in Frankreich und zu den Glaubensgenossen in Rom und Madrid!«

»Seid ohne Sorge!« erwiderte der Regent, »es sollen Maßregeln getroffen werden, die jede Verräterei unmöglich machen.«

Hierauf wandte sich der Regent zu dem Pagen, wie wenn ihm einfiele, derselbe sei nun lange genug bei einer Unterredung, die ihn eigentlich nichts mehr anginge, anwesend gewesen, und befahl ihm, ohne Säumen aufzusitzen, da Lord Lindesay bereits fertig zum Ausritt sei. Roland verneigte sich und verließ das Zimmer.

Im Hofe hielt ein Kommando von etwa dreißig Berittenen unter einem Befehlshaber, dem man Zorn und Ungeduld deutlich genug ansah.

»Ist das der Maulaff von Page, auf den wir so lange haben warten müssen?« fuhr er Michael an, »Lord Ruthven wird nun vor uns im Schloß eintreffen.«

Michael bejahte die Frage, fügte aber bei, daß der Regent den Pagen nicht früher zu entlassen geruht habe. Lord Lindesay brummte einige unverständliche Worte, die sich anhörten wie, daß man sich mehr bieten lassen müsse, als auf eine Kuhhaut ginge; dann rief er einen Reiter heran, der noch grimmiger aussah als der Lord selbst, und rief ihm zu:

»Nimm den Musje unter Deine Obhut, Edward! Außer mit Dir soll er mit niemand reden!«

Dann wandte er sich an einen bejahrten Herrn von ehrwürdigem Aussehen, den er mit »Sir Robert« anredete und der der einzige in dem Trupp zu sein schien, der ihm an Rang gleichstand, mit der Bemerkung, es sei nun an der Zeit aufzubrechen. Während dieses Gesprächs der beiden Lords hatte Roland Zeit, sie sich anzusehen.

An Lord Lindesay von Byres, dem Führer des Zuges, waren die Jahre gewissermaßen spurlos vorübergegangen. Die stramme aufrechte Haltung und sein kräftiger Gliederbau ließen erkennen, daß er den Beschwerden des Krieges noch immer gewachsen sei. Ueber den großen, von düstrer Glut lodernden Augen hingen dichte Brauen, die ins Graue zu spielen anfingen. Eine Anzahl von Schrammen, Zeuginnen der Schlachten und Kämpfe, die er bestanden, mehrte noch den strengen, abstoßenden Ausdruck seiner Züge. Eine Stahlhaube mit vorspringendem Schirm, doch ohne Visier, überschattete den obern, ein graumelierter Bart, der von der Kinnkette gekreuzt wurde, bedeckte den untern Teil des grimmigen Gesichts. Er trug ein ledernes Wams, das einst mit Stickerei besetzt und mit Seide eingefaßt gewesen war, jetzt aber die Spuren von allerhand Strapazen deutlich an sich trug. Unter dem Wams saß ein Panzer, einst von poliertem Stahl und fein vergoldet, jetzt aber durch Rost stark entstellt. Ein Schwert von seltsamer Größe und altertümlicher Form, mit beiden Händen zu führen, hing an einem Wehrgehenk über beiden Schultern und reichte quer über den ganzen Mann hinweg, so daß der gewaltige Griff über die linke Schulter aufragte, die Spitze aber fast an die Ferse hinunterreichte. Dieses Ungetüm von Waffe, das damals aus dem Brauche zu kommen anfing, ließ sich nicht anders aus der Scheide ziehen als so, daß man den Griff über die linke Schulter hob, denn keines Menschen Arm war lang genug, es auf die gewöhnliche Weise zu bewerkstelligen. Das ganze Bild, das der Mann bot, war das eines rauhen, in seiner äußern Erscheinung den Menschenfeind aufs schärfste markierenden Kriegers, und der abgerissne, strenge Ton, den er gegen sein, Gefolge anschlug, verriet unbedingten Mangel an Bildung.

Der neben ihm reitende Mann zeigte den unmittelbaren Gegensatz zu dem rauhen Lord, sowohl in Gestalt und Gesicht wie in Haltung und Wesen. Sein spärliches zartes Haar war auch bereits ergraut, obgleich er nicht über die Mitte der Vierziger sein mochte. Der Klang seiner Stimme war sanft und schmeichlerisch, seine Gestalt schmächtig, hager und leicht gebeugt, das bleiche Gesicht hatte einen auffälligen Zug von Klugheit, eher noch Verschmitztheit, aber auch hoher Einsicht, sein Auge war lebhaft aber freundlich, und sein ganzes Benehmen mild und einnehmend. Er ritt einen Zelter, wie ihn Frauen und geistliche Herren zu reiten liebten, und trug ein Koller von schwarzem Samt, Mütze und Feder von der gleichen Farbe, letztere durch ein goldnes Medaillon gehalten, und -- mehr als Schmuck und Rangabzeichen als zum Gebrauch -- einen Staatsdegen, sonst keinerlei Waffen.

Der Zug war aus der Stadt heraus und in gleichmäßigem Tempo in der Richtung nach Westen zu unterwegs. Roland hätte gern über das Endziel ihres Rittes etwas vernommen, aber der Reiter, dem er zugewiesen worden war, zeigte ein so bärbeißiges Gesicht, daß es Roland für geratener hielt zu schweigen. Die gleiche Schweigsamkeit herrschte in dem ganzen Trupp, der eher einer Prozession von Mönchen als einem Kriegerzuge glich, und diese übertriebne Strenge setzte Roland nicht wenig in Staunen, denn selbst der Ritter von Avenel, der auf sehr strenge Mannszucht hielt, gestattete seinen Mannen auf dem Ritt zur Kurzweil den Austausch von Reden wie den Sang eines muntern Reiterliedes. Indessen kam ihm diese Ruhe insofern zu gute, als sie ihm Zeit schuf, die eigene Lage mit Sammlung zu überdenken und sich klar zu werden über die Aufgaben, die ihm die Zukunft, nach den Instruktionen des Ritters zu schließen, stellen mußte.

Es lag klar auf der Hand, daß es ihm durch seltsame Fügung der Umstände, deren Aenderung nicht in seiner Hand lag, beschieden worden war, zu den Parteien, die jetzt in Schottland um die Herrschaft rangen, in Beziehungen zu gelangen, die sich unmöglich zusammen vertragen konnten, wenngleich er weder als Anhänger der einen Partei noch der andern gelten konnte. Es wurde ihm jetzt nach und nach klar, daß ihm die gleiche Stellung, zu der ihn der Regent auserwählt hatte, auch von seiner Großmutter, der Frau Magdalena Gräme, bestimmt gewesen war, denn darüber mußte ihn manches Wort, das in der Unterhaltung zwischen Murray und Morton, deren unwillkürlicher Zuhörer er gewesen war, Aufklärung gegeben haben. Nicht minder klar war es ihm aber, daß ihn der Graf als erklärter Feind, die Großmutter als inbrünstige Anhängerin des katholischen Glaubens, der Graf als der anerkannte Führer einer neuen Regierungspartei, die Großmutter als strenge Verfechterin der alten Legitimität, für diese Aufgabe bei Maria von Schottland ersehen hatte. Es bedurfte nur eines sehr geringen Grades von Witz und Ueberlegung, sich darüber klar zu werden, daß dieser Widerstreit der an ihn gestellten Anforderungen ihn binnen kurzem in eine Situation bringen mußte, in der seine Ehre in schlimmster Gefahr schwebte, Schiffbruch zu leiden, und daß er sein Leben dabei nicht minder in die schwerste Bedrängnis setzte. Aber es lag nicht in Rolands Charakter, sich um Not früher zu sorgen, als sie wirklich da war, und sich mit Schwierigkeiten früher zu befassen, als sie sich tatsächlich zeigten ... »Sehen will ich sie, die unglückliche und schöne Maria Stuart,« sprach er bei sich, »von der ich schon so unendlich viel gehört habe, und dann wird es noch immer Zeit genug sein, sich darüber klar zu werden, ob ich mich zum Regenten oder zur Königin schlage. Kann doch weder die eine noch die andre Partei sagen, ich hätte mich durch Wort oder Spruch verpflichtet, denn sie haben mich beide wie einen blinden Hans an ihrem Gängelbande geführt, und keine hat mir bestimmt gesagt, was sie eigentlich von mir erwartet und will. Ein Glück für mich war's, daß der grimmige Douglas heut morgen ins Kabinett des Regenten schneite, sonst wäre ich ohne Verpfändung der Treue nicht von dem Herrn losgekommen.«

Unter solchen Gedanken kam Roland mit der Reiterschar des Lords Lindesay ohne weiter bemerkenswerte Abenteuer, als daß ihnen beim Uebersetzen über die Königinnenfurt ein Pferd lahm wurde -- zur damaligen Zeit ein sehr häufiger Unfall -- und daß von den Zinnen der alten Ritterburg Rosythe nördlich der Fähre, ohne daß zwischen dem Burgherrn und Lindesay Fehde bestanden hätte, eine alte Feldschlange auf sie gefeuert wurde, die aber keinerlei Schaden anrichten konnte ... bis zu dem malerisch schönen See, in dessen Mitte, auf einem Eilande, das alte Schloß Lochleven sich erhebt. Wie heute, so bestand auch damals die wellenumgürtete Burg aus keinem andern Gebäude als einem von einem großen Hofe umschlossenen Gefängnisturme, den zwei Ecktürme flankierten. Den Anblick trostloser Abgeschiedenheit frischten ein paar Gruppen von alten hohen Bäumen auf. Indessen konnte sich der Page, als er sich sagte, daß hier eine jugendliche Königin in Haft gehalten werde, eines tiefen Schmerzes nicht erwehren, und wenn er des eignen Loses gedachte, das ihn an solch öde Stätte führte, so war er von Freude darüber auch fern.

Die Reiterschar hatte jetzt das Seeufer erreicht, und einer aus dem ersten Zuge ritt vor, das Fähnlein Lord Lindesays zu entfalten, wahrend der Baron selbst in sein mächtiges Hifthorn stieß. Sogleich stieg als Antwort an der Turmspitze die Burgfahne auf, und ein paar Männer liefen an den See hinunter, das Boot loszumachen.

»Es wird geraume Zeit währen,« sagte Sir Robert zum Lord, »ehe sie mit dem Boote herüber sind. »Wär's nicht gut, die Zwischenzeit zu einem Ritt ins Städtchen zu benutzen und unsern Anzug ein wenig in Ordnung zu bringen? Wir können doch unmöglich so schmutzig vor ...«

»Haltet Ihr das, wie Ihr wollt!« versetzte Lindesay, »ich habe für solch eitlen Tand weder Zeit noch Lust. Sie hat manch sauern Ritt gekostet und braucht jetzt an meinem schäbigen Mantel und schmutzigem Wams nicht Anstoß zu nehmen. Es ist die Tracht, in die sie ganz Schottland versetzt hat.«

»Sprecht nicht so hart,« erwiderte Sir Robert, »denn tat sie unrecht, hat sie's schwer gebüßt! Ihr all die kleinen äußerlichen Huldigungen zu entziehen, auf die sie als Fürstin wie auch als Frau noch Anspruch hat, will mir nach solchem Verlust königlicher Gewalt als überflüssige Herzlosigkeit erscheinen.«

»Macht das, wie Ihr wollt, Sir Robert, sag ich Euch nochmals,« fuhr ihn Lord Lindesay grob an, »ich bin zu alt, um die Putzstube einer Dame noch als Geck zu zieren.«

»Putzstube, Mylord?« fragte Sir Robert mit einem Blick auf den alten Turm, »beliebt's Euch, die düstre Burg mit den vergitterten Fenster, das Staatsgefängnis einer in Haft genommenen Königin mit solch, lustigem Namen zu belegen?«

»Nennt's so oder anders,« versetzte grob der Lord, »wenn der Regent den alten Grobian von Lindesay zu dieser Visite bestimmt hat, statt einen der vielen Stutzer vom Hofe zu nehmen, so wird er wohl gewußt haben, warum, und wie mit dem irre geleiteten Weibe geredet werden muß. Ich habe mich zu dieser Kommission nicht gedrängt, sie ist mir aufgetragen worden, und wenn ich mich ihrer entledige, mag ich nicht mehr Umstände damit haben als eben notgedrungnerweise damit verknüpft sein müssen.«

Mit diesen Worten sprang der Lord vom Pferde und warf sich ins Gras, um auf das Boot zu warten, während seine Reiter im Sattel blieben. Sir Robert Melville war gleichfalls abgestiegen und ging mit verschränkten Armen am Gestade auf und ab, den Blick oft nach dem Turme hinüber lenkend, dessen unheimliches Düster ihm Betrübnis und Kummer zu machen schien. Die Fährleute näherten sich inzwischen dem Ufer. Kaum hatte der Lord das Boot mit einem Blicke gesehen, als er den Mann am Steuer anfuhr, weshalb er kein größeres gebracht habe, sein Gefolge mit überzusetzen.

»Mit Verlaub,« antwortete der Mann, »weil der Befehl der gnädigen Frau lautet, nicht mehr als vier Personen zur Burg hinüber zu rudern.«

»Deine gnädige Madam ist eine kluge Sibylle,« versetzte Lindesay, »daß sie in mir Verrat wittert. Aber hätt ich dergleichen im Sinne, was hinderte mich wohl, Dich und Deine Leute ins Wasser zu schmeißen und mit meinen Mannen das Boot zu füllen?«

Der Mann am Steuer wiederholte, daß er nach seinem Befehle handeln müsse, er wolle aber zurückrudern und eine Aenderung des Befehls zu erwirken suchen.

»Tut das, Mann,« sagte Sir Robert Melville, nachdem er sich umsonst bemüht hatte, den Lord zu einer Beschränkung seines Gefolges auf die kurze Zeit zu bestimmen ... »Wartet,« rief Lord Lindesay dem Fährmanne zu, »nehmt hier den Pagen mit hinüber, der für den Gast Eurer Gebieterin ausgesucht worden ist ... Abgesessen, Musje!« befahl Lord Lindesay dem Pagen, »fahr mit dem Boote hinüber!«

»Und was wird aus meinem Rosse?« fragte der Page, »für das ich doch meinem Herrn verantwortlich bin?«

»Der Sorge will ich Dich überheben,« brummte Lindesay ihn an, »in den nächsten zehn Jahren sollst Du nicht viel zu Pferde kommen.«

»Wenn ich das glauben müßte ...« hob Roland an, wurde aber von Sir Robert unterbrochen, der in beschwichtigendem Tone zu ihm sagte: »Füge Dich, junger Freund! Widerspruch kann hier nichts frommen, bloß Dich in Gefahr setzen.«

Roland Gräme fühlte, wie richtig es sei, sich den Vorstellungen Sir Melvilles zu fügen, ohne dem rauhen Baron auf seine Grobheit weitere Antwort zu geben, und stieg in das Fährboot. Die Ruder griffen ins Wasser, und bald war Robert an dem neuen Schauplatze seines Lebens.

Siebzehntes Kapitel

Am Hoftore stand die stattliche Lady Lochleven, die einstige Geliebte König Jakob des Fünften, dem sie den Grafen Murray, den derzeitigen Regenten von Schottland, geboren hatte. Da sie von edler Abkunft war und aus dem uralten Geschlechte der Mar stammte, wie auch von hervorragender Schönheit war, hatten sich nach dem Könige Jakob noch andre Freier für sie gefunden, und unter ihnen hatte sie Sir William Douglas von Lochleven den Vorzug gegeben. Aber weder der hohe Rang, den sie als Lady Lochleven einnahm, noch die Eigenschaft als Mutter einer Reihe von rechtmäßigen Kindern, noch die hervorragenden Talente, und die Macht und Würde ihres außerehelichen Sohnes, der jetzt das Staatsruder führte, waren im stande gewesen, sie in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben als makellos gelten zu lassen. Und sie selbst fand nie die volle Lebensfreude wieder, denn immer nagte an ihr die ihr von dem Könige Jakob angetane Ungerechtigkeit, sie nicht zur Königin zu erheben, denn in diesem Falle hätte sie jetzt in ihrem Sohne den rechtmäßigen Landesherrn über Schottland gesehen, und das Geschlecht der Mar hätte sich rühmen dürfen, unter seinen Töchtern eine Königin zu besitzen, statt in ihr jetzt eine jener Frauen sehen zu müssen, denen weibliche Schwäche anhaftet und die immer im Munde der Leute bleiben, auch wenn sie sich eines königlichen Liebhabers zu rühmen hatten. Dieser Kummer prägte sich auch in ihren Gesichtszügen aus, die aber trotzdem noch immer schön zu nennen waren. Vielleicht fand auch bei ihr ein altes Wort, dessen letzte Hälfte von »alten Betschwestern« spricht, bis zu einem gewissen Grade Anwendung, denn sie hatte in ihre Vorstellungen von religiösem Wandel grade jene schlimmsten Irrtümer aufgenommen, die die Segnungen christlichen Evangeliums auf diejenigen beschränken, die sich zu den strengsten Sittenlehren der Kirche bekennen. In allen Hinsichten war die unglückliche Königin Maria Stuart als der gezwungne Gast oder vielmehr als Gefangne des Schlosses Lochleven von dieser verbitterten Dame abhängig, der sie schon darum ein Dorn im Auge war, weil sie die legitime Tochter eben jenes Königs Jakob aus seiner Ehe mit Maria von Guise war, um derentwillen ihr Sohn hatte zurückstehen müssen, und weil sie katholischen Glaubens war, den sie tiefer als das Heidentum verabscheute.

Diese Frau, deren scharf geschnittene, aber wie schon bemerkt, noch immer schöne Gesichtszüge von einer schwarzen Samthaube überschattet wurden, fragte jetzt den im Boote heranrudernden Diener, wo Lord Lindesay und Sir Melville geblieben seien. Der Diener teilte ihr mit, was sich drüben zugetragen hatte, und die Lady erwiderte spöttisch:

»Solchen Narren muß man schmeicheln, nicht aber der Quere sein. Rudre wieder hinüber, Randal, und entschuldige Dich, so gut Du kannst; sage, Lord Ruthven sei schon im Schlosse und sehe Lord Lindesays Ankunft mit Ungeduld entgegen. Tummle Dich, Randal -- aber sprich, was bringst Du uns denn da für einen Springinsfeld mit herüber?«

»Mit Verlaub, meine Gnädige, es ist der Page für ...«

»Ach, richtig,« meinte Lady Lochleven, »der neue Günstling! gestern ist ja auch die kleine Zofe angelangt.. Durch diese Dame bekomme ich einen recht bunten Haushalt, hoffentlich findet man bald eine andre, die sich statt meiner solcher Mühe unterzieht. Fahr jetzt hinüber, Randal, und Ihr, Musje Springinsfeld, begebt Euch mit mir in den Garten!«

Langsamen, vornehmen Schritts ging sie voraus nach dem kleinen Garten, der von einer mit Statuen geschmückten Steinmauer umfriedigt war und in dessen Mitte eine Fontäne spielte. In dem engen Bereiche seiner regelmäßig angelegten Gänge lernte Maria Stuart sich in die Gefangnenrolle schicken, die ihr mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung hinfort bestimmt sein sollte. Zwei Dienerinnen begleiteten sie auf ihrem langsamen, eintönigen Spaziergange, aber mit dem ersten Blicke, den Roland auf die schöne, durch hohe Gaben des Geistes, herrliche Leibesschönheit und hohe Geburt ausgezeichnete Frau warf, fühlte Roland sich in Fesseln geschlagen. Gesicht und Gestalt dieser unglücklichsten aller Königstöchter haben sich der menschlichen Phantasie so tief eingeprägt, daß es selbst nach Verlauf drei voller Jahrhunderte überflüssig ist, eine Schilderung der selbst dem unwissendsten Leser bekannten Züge dieses merkwürdig schönen Antlitzes zu geben, das alle Begriffe von Hoheit, Liebreiz und Glanz in sich vereinigte und in Zweifel darüber ließ, ob in ihm die Herrscherin oder das vollendet schöne Weib glücklicher zum Ausdrucke trat. Wem träte dieses Antlitz, wenn er den Namen Maria Stuart hört, nicht vor die Seele, ganz wie ihm das Antlitz der Geliebten seiner Jugend vor die Seele tritt oder der Lieblingstochter seiner reiferen Jahre? Selbst jene, die allem oder manchem, was ihr von ihren Feinden zur Last gelegt wird, Glauben beimessen, können nicht anders als mit einem Seufzer an ein Antlitz denken, das auf alles andre schließen läßt, bloß nicht auf die schändlichen, ihr schon bei Lebzeiten beigemessenen Verbrechen, die in der Geschichte ihr Andenken verdüstern: an jenes Antlitz mit der hohen königlichen Stirn, den Brauen von solch regelmäßiger und gegen den Tadel der Schalheit durch die herrliche Wirkung der nußbraunen Augen so tief gesicherter Schönheit, mit der echt griechischen Nase, dem ebenmäßig, so überaus lieblich geformten Munde, daß von ihm nur Liebes und Lauteres zu erwarten stand, mit dem Grübchen im Kinn und den zart gerundeten Wangen: an jenes von so reichem Haar gekrönte Antlitz auf dem hohen Schwanenhalse, das eine solche Allgewalt übte, daß es nach so langer Zeit noch der Gegenstand nicht bloß kalter Bewunderung, sondern heißer romantischer Verehrung geblieben ist!?

Mit unvergleichlicher Anmut in Mienen, Gestalt und Wesen, aber in tiefer Trauer kam Maria Stuart der Dame entgegen, die ihrerseits Abneigung und Scheu unter ehrerbietiger Kälte zu verbergen suchte, hatte sie ja schon oft die geistige Überlegenheit der Königin durch versteckten, aber beißenden Spott erfahren. Die Verbeugung der Lady Lochleven erwiderte die Königin durch ein leichtes Nicken.

»Das Glück ist uns hold, wir genießen heute die Gesellschaft unsrer liebenswürdigen Wirtin zu ungewöhnlich früher Stunde. zu einer Zeit, die man uns sonst für unsre einsamen Spaziergänge vergönnte. Unsre liebe Wirtin weiß jedoch, daß ihr der Zutritt zu unsrer Person jederzeit frei steht, und daß sie nicht an die Förmlichkeit gebunden ist, unsre Erlaubnis für Besuche erst einzuholen.«

»Recht bedauerlich, daß Eure Gnaden mein Erscheinen als Zudringlichkeit auffassen,« erwiderte Lady Lochleven, »ich kam jedoch nur in der Absicht, Euch, die Ankunft eines jungen Menschen anzukündigen, der hinfort Euer Gefolge vermehren soll -- ein Fall, der doch in der Regel uns Frauen nicht so ganz gleichgültig ist.«

»O, ich bitte um Verzeihung, edle Frau! das Gefühl des Dankes gegen meine edlen, oder sage ich richtiger, gnädigen Herren drückt mich zu Boden.«

»Allerdings sind die Herren darauf bedacht gewesen, ihre Wohlmeinenheit Euer Gnaden zum Ausdruck zu bringen, wenn auch vielleicht, wie ich meine, zum Teil auf Kosten der Vorsicht, indessen hoffe ich, man werde, was sie getan, nicht mißdeuten.«

»Unmöglich, ganz unmöglich!« sprach die Königin, »die Güte, der Erbin einer Königskrone, der gesalbten Königin von Schottland zwei Kammerzofen und einen Pagen zur Bedienung zu vergönnen, ist etwas, was eine Maria Stuart vollauf zu würdigen weiß. Aber die Kosten, die durch solchen Zuwachs an Gefolge für den Haushalt unsrer gütigen Wirtin erwachsen, sind sicher Ursache für die Wolken, die ich auf Eurer Stirn sehe. Ach, lasset den Mut nicht sinken! die Krone Schottlands hat manch schönes Lehen, und Euer wohlgeneigter Sohn, mein lieber Bruder, wird sicher Euren Gemahl mit dem besten Krongute belehnen, ehe Maria den Fuß von diesem Schlosse setzt. Wie ginge es an, einer Lady Lochleven Lasten aufzuerlegen, wenn ihr die Mittel fehlen, sie zu tragen?«

»Das Haus Douglas von Lochleven hat sich allzeit seiner Pflichten gegen den Staat entledigt ohne Rücksicht auf Lohn, auch wenn der Auftrag mit Verdruß oder Gefahr verknüpft war,« erwiderte Lady Lochleven.

»Aber, liebe Lochleven,« scherzte die Königin, »Ihr nehmt die Sache zu gewissenhaft! nehmt doch lieber ein gutes Kronlehn an, wenn's Euch geboten wird! Wovon sollte die Königin von Schottland wohl leben, wenn nicht von ihren Krongütern, wenn sie Gast ist an solch fürstlichem Hofe? ... und wer sollte für eine Mutter besser sorgen können als ein so wohlgeneigter Sohn wie Murray? der Wohlwollen und Macht in solch wunderbarer Weise in seiner Hand vereint? ... Oder meintet Ihr, die Gefahr des Auftrags sei es, was Eure sanfte, gastfreundliche Stirn umwölkt? ... Freilich, freilich, ein Page ist ein so erheblicher Zuwachs zu meiner weiblichen Leibgarde, daß Lord Lindesay nur recht daran tut, ohne vielköpfiges Gefolge sich nicht in solch furchtbare Nähe zu wagen!«

Lady Lochleven stutzte. Ihr Blick verriet Erstaunen. Maria aber ging plötzlich von dem Tone erkünstelter Freundlichkeit in den des strengen Befehls über und sprach mit der vollen Hoheit ihres königlichen Ranges:

»Ja, Lady Lochleven, ich weiß, daß Ruthven sich bereits im Schlosse befindet, und daß Lindesay am andern Ufer der Ueberfahrt harrt, in Gemeinschaft mit Sir Robert Melville. In welcher Absicht kommen die Herren, und wie kommt es, daß ich nicht in geziemender Ordnung von ihrer Ankunft unterrichtet wurde?«

»Nach ihrer Absicht,« antwortete Lady Lochleven, »müssen Euer Gnaden diese Herren schon selbst befragen, und eine formelle Anordnung erübrigt sich wohl, da Eure Gnaden über so geschickte Spione in ihrer Umgebung verfügen.«

»Ach, arme Fleming,« sagte die Königin, sich an die ältere Dienerin wendend, »man wird Dich verhören, verdammen, hängen, weil Du das Pech hattest, über den Saal zu gehen, als Lady Lochleven mit ihrer kräftigen Stimme ihrem Lotsen Randal die Weisungen für die Ueberfahrt erteilte ... Mädchen, stopft Euch Watte in die Ohren, sofern Euch daran liegt sie zu behalten! Vergeßt nicht, im Schlosse Lochleven sind Ohren und Zunge Dinge, die man bloß zum Staate hat und nicht gebrauchen darf ... kann doch unsre liehe Frau Wirtin hören und schwatzen für uns alle! ... Gewiß, meine liebe Lochleven, Wir entheben Euch der Verpflichtung längern Verweilens. Entfernt Euch, bitte, und bereitet die Zusammenkunft mit Unsern meuterischen Lords vor! Das Vorzimmer Unsers Schlafgemachs mag Unser Audienzsaal sein, Ihr aber,« wandte sie sich jetzt an Roland, indem sie die bisherige Bitterkeit ihres Tones zu gutmütigem Scherz umstimmte, »Ihr Gesamtinbegriff Unsers männlichen Gefolges vom Oberhofmarschall bis zum Läufer hinunter, Ihr wollt mit Uns gehen, die Anstalten zu Unsrer Audienz zu treffen.«

Sie drehte sich um und ging langsam dem Schlosse zu. Roland folgte ihr, eine Wendeltreppe hinauf, zum zweiten Stockwerk, wo drei ineinander gehende Zimmer der in Gefangenschaft gehaltenen Fürstin als Wohnung angewiesen waren. Das vorderste Zimmer war ein kleiner Saal oder auch Vorgemach, der zu dem eigentlichen Wohngelaß führte, und an dieses stieß das Schlafgemach der Königin. In einem kleinen Nebenzimmer schliefen die beiden Kammerfräulein.

Roland blieb, wie es seinem Dienst sich schickte, in dem Vorgemach und harrte hier der für ihn bestimmten Befehle. Vom Gitterfenster aus sah er Lord Lindesay, Sir Melville und ihr Gefolge aus dem Boote steigen. Im Schloßtore sah er einen dritten Adeling den beiden andern entgegengehen. Dann hörte er, wie Lord Lindesay mit seiner rauhen Stimme sagte: »Mylord Ruthven, Ihr seid früher da als wir!«

In diesem Augenblick drang ans dem Wohngemach der Königin ein tiefes Stöhnen. Die beiden Kammerfräulein schrieen ängstlich auf und der Page eilte schnell zur Hilfe. Die Königin lag in einem Armsessel und rang nach Luft, die ältere Kammerdame hielt sie in den Armen, während die jüngere ihr das Gesicht abwechselnd mit Wasser und Tränen netzte.

»Lauft, Page, nach Hilfe! die Königin wird ohnmächtig,« rief die ältere Kammerdame.

Die Königin aber rief mit gebrochner Stimme: »Bleibt! ich befehle es. Ruft niemand zum Zeugen meiner Schwäche! ich fühle mich schon besser. Es wird gleich vorüber sein.« Sie richtete sich auch wirklich schnell in die Höhe, wenn auch mit der Anstrengung eines Menschen, der um sein Leben ringt, und wenn auch ihr Gesicht von der erlittenen Anstrengung zitterte. »Mädchen,« sprach sie nach einer Weile, »ich schäme mich meiner Schwäche; aber es ist verwunden, und ich bin wieder Maria Stuart. Der rauhe Ton des Mannes, der mir am widrigsten ist von all diesen puritanischen Flegeln, seine mir bekannte Frechheit, der Name, den er nannte, sowie die Absicht, die sie herführt, mögen mir Entschuldigung sein für eine momentane Schwäche, aber sie soll nicht wiederkehren! Diese Menschen sollen mich stark finden!«

Sie ließ die Haube, die ihr während des Anfalls von Krämpfen in Unordnung geraten war, zur Erde fallen, dann strich sie mit den Händen durch das braune Lockenlabyrinth, dann erhob sie sich von dem Sessel und richtete sich auf. Wie eine begeisterte Seherin des alten Griechenlands stand sie da in einer Stellung, in der sich Bekümmernis und Stolz, Lächeln und Tränen mischten.

»Wir sind kümmerlich ausgestattet, unsre meuterischen Untertanen zu empfangen, aber soweit es in unserm Vermögen liegt, wollen wir ihnen, wie es ihrer Königin geziemt, gegenüber treten. Folgt mir, liebe Mädchen, der gewöhnlichen Zierden meiner Würde hat mich Gewalttat, und der geringen, die mir eine gütige Natur verlieh, haben mich Kummer und Angst beraubt.«

Aber während sie so sprach, ließ sie wieder die zarten Finger in ihrem Lockenlabyrinthe wühlen, das ihren königlichen Nacken und schwellenden Busen umhüllte, wie wenn ihr in aller Bekümmernis des Herzens doch nicht das Bewußtsein der unerreichten Schönheit ihres Leibes gänzlich abhanden gekommen wäre. Roland Gräme, auf dessen jugendlichen, für alles Schöne begeisterten Sinn die würdevolle Schönheit, das erhabene Benehmen einer erlauchten Frau wie die Wunderkraft einer Zauberin wirkte, stand wie eingewurzelt auf der Schwelle, festgebannt durch Staunen und Mitgefühl, und erfüllt von dem Verlangen, sein Leben in so herrlichem Kampfe, wie der für Maria Stuart sein mußte, zu wagen. Sie war in Frankreich auferzogen, war im Besitz der erhabensten Schönheit, war Königin gewesen, Königin von Schottland, für die doch Menschenkenntnis so unentbehrlich war wie das Einatmen der Luft. Durch dies alles war Maria vor allen Frauen der Erde sicher am meisten geeignet, das Uebergewicht wahrzunehmen, und zu benützen, das ihre Reize wohl auf jeden ausübten, der in ihren Zauberbann geriet. Und sie warf auf Roland Gräme einen Blick, der ein Herz von Marmor hätte schmelzen können.

»Mein armes Kind,« sagte sie, mit einer teils aus Klugheit angenommenen, teils aufrichtigen Empfindung: »Du bist unter uns ein Fremder, aus der Nähe einer zärtlich besorgten Mutter, oder Schwester, oder Geliebten bist Du in dieses traurige Gefängnis übergeführt worden. Mich schmerzt Dein Los, denn Du bist das einzige männliche Wesen in meinem knappen Haushalte ... willst Du bereit sein, meinen Befehlen zu gehorchen?« fragte sie, ergriffen und ergreifend.

»Bis in den Tod, gnädigste Frau!« sagte Roland in festem Tone.

»Dann bewache die Tür dieses Zimmers,« sprach die Königin, »bis diese Männer wirklich Gewalt zu brauchen drohen, oder bis wir unsre Toilette so weit geordnet haben, daß es uns beliebt, ihnen entgegenzutreten.«

»Ich werde tun nach Eurem Geheiß, Majestät,« sprach Roland, denn jedes Bedenken, das er früher hegte, wie er sein Benehmen einzurichten habe, war durch den Eindruck des Augenblicks gänzlich aufgehoben.

»Ich meine,« sprach er bei sich, »Graf Murray müsse selbst einräumen, daß es jedes Pagen heilige Pflicht sei, seine Gebieterin gegen alles Eindringen in ihre Gemächer zu verteidigen.«

Darauf begab er sich in das kleine Vorgemach, verschloß und verriegelte die Tür und setzte sich dann nieder, der kommenden Dinge zu warten. Das brauchte er nicht lange. Denn bald rüttelte eine derbe Faust an der Tür, und als sie dem Druck widerstand, dröhnte der Ruf: »Aufgemacht da drinnen!«

»Auf wessen Geheiß soll ich die Tür zur Wohnung der Königin von Schottland öffnen?« fragte der Page.

Ein zweiter Versuch, die Tür gewaltsam zu öffnen, wurde unternommen, scheiterte aber wie der erste.

»Aufgemacht, befehle ich Euch, oder Ihr riskiert Euer Leben!« rief die dröhnende Stimme wieder. »Aufgemacht! Lord Lindesay ist da, mit der Lady Maria von Schottland zu reden.«

«Lord Lindesay muß als schottischer Edelmann die Erlaubnis seiner Königin abwarten!« erwiderte der Page.

Ein lebhafter Wortwechsel folgte nun draußen zwischen Lord Lindesay und, wie Roland deutlich unterschied, Sir Robert Melville, der sich bemühte, den Lord zu beschwichtigen.

»Nein, nein!« schrie dieser, »lieber spreng ich die Tür mit einer Petarde, als daß ich mich von solch ruchlosem Frauenzimmer aussperren oder von solch frechem Musje an der Tür abfertigen lasse.«

»Erlaubt mir wenigstens vorher, den Weg der Güte zu versuchen,« bemerkte mild Sir Robert Melville. »Gewalttat gegen ein Weib wäre doch ein ewiger Schandfleck für Euer Wappen. Oder wartet wenigstens, bis Lord Ruthven zur Stelle ist.«

»Ich will nicht länger warten,« schrie der Lord, »es ist die höchste Zeit, daß dies Geschäft zu Ende komme. Wir müssen uns auf den Rückweg machen, zum Staatsrat. Versucht Ihr Euren Weg zur Güte, wie Ihr Euch ausdrückt, während ich meinen Reitern befehle, die Petarde zur Stelle zu schaffen. Ich bin mit so feinem Pulver versorgt, daß ich die Feldkirche zum andernmal in die Luft sprengen könnte.«

»Um Gottes willen, haltet an Euch,« rief Sir Melville. Dann näherte er sich der Tür und sagte, zu den Personen gewandt, die er hinter der Tür vermutete: »Laßt die Königin wissen, daß ich, ihr treuer Diener Robert Melville, sie ersuchen lasse, um ihrer selbst willen und um dem Schlimmsten vorzubeugen, die Tür zu öffnen und Lord Lindesay einzulassen, der ihr eine Botschaft vom Staatsrat überbringt.«

»Ich werde Euren Auftrag ausrichten und den Entschluß der Königin Euch kundtun,« versetzte der Page.

Roland trat an die Tür des Schlafgemachs. Die ältere Kammerdame öffnete, und die Königin ließ ihm die Weisung melden, daß sie willens sei, Lord Lindesay und Sir Robert Melville einzulassen. Roland kehrte in das Vorzimmer zurück und öffnete die Tür, durch die Lord Lindesay mit der Miene eines Kriegers, der sich den Zugang zu einer belagerten Festung erstritten hat, eintrat, während Sir Melville ihm mit tiefbetrübter Miene folgte.

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür des innern Gemaches, und Maria erschien, mit der Miene der ihr eignen Huld und Majestät, auf der Schwelle, ohne daß es schien, als habe dieser Trotz, den Besuch bei ihr zu erzwingen, im geringsten einen widerwärtigen Eindruck in ihr hinterlassen. Sie war in eine Robe von schwarzem Samt gekleidet, eine schmale, vorn offne Halskrause zeigte ihr schön geformtes Kinn und ihren stolzen Nacken, während der Busen davon verhüllt wurde. Auf dem Kopfe hatte sie ein Spitzenhäubchen, und von den Schultern wallte ein weißer, durchsichtiger Schleier nieder, in großen weiten Falten, über das lange schwarze Gewand, so daß er, je nachdem es der Trägerin beliebte, über das Gesicht und den ganzen Leib gezogen werden konnte. Am Halse trug sie ein goldnes Kruzifix, und im Gürtel hing ihr Rosenkranz aus Ebenholz mit goldnen Perlen. Hinter ihr kamen ihre beiden Dienerinnen, die während der ganzen Unterredung, die nun folgte, hinter ihr stehen blieben. Selbst Lord Lindesay, obgleich der rauheste aller Edelleute damaliger Zeit, wurde ob dieses Anblicks von einer Empfindung wie Ehrfurcht beschlichen, der unbefangne, hoheitsvolle Blick einer Frau, die er entweder in maßloser Leidenschaft oder in nutzlosem, vergeblichem Gram zu finden erwartet hatte, oder von Kummer niedergedrückt ob der ihr entzognen Majestät und Herrschaft, überraschte und verwunderte ihn sichtlich.

»Wir haben Euch, besorgen Wir, warten lassen, Lord Lindesay,« begann, indem, sie sich in Erwiderung seiner Verbeugung huldvoll verneigte, die Königin, »aber eine Frau bringt immer erst, ehe sie Besuch empfängt, ein paar Minuten am Toilettentische zu. Ihr Männer, Mylord, seid an solche Förmlichkeiten nicht gebunden«

Lord Lindesay warf einen Blick auf seinen von der Reise beschmutzten Mantel, murmelte ein paar Worte von großer Eile und langem Ritte. Dann begrüßte die Königin, wie es schien, sehr freundlich sogar, Sir Robert Melville. Dann herrschte ein paar Augenblicke Totenstille, und Lord Lindesay blickte nach der Tür, als sähe er mit Ungeduld dem Eintritt seines Mitgesandten entgegen. Nur die Königin schien frei von aller Verlegenheit.

»Ihr habt ja einen recht verläßlichen, gewichtigen Reisekameraden mitgebracht, Lord Lindesay,« hub sie wieder an, mit einem ironischen Blick auf das breite Schwert, das ihm über die Schulter hing, weisend. »Hoffentlich habt Ihr nicht erwartet, hier einen Feind zu finden, gegen den es solch grimmiger Waffe bedurfte? Für einen Besuch bei Hofe, scheint mir, etwas auffällig, wenngleich ich als eine Stuart vor Schwertern keine Furcht empfinde.«

»Nicht zum ersten Male,« erwiderte Lord Lindesay, indem er die Waffe herumbrachte, so daß die Spitze auf den Boden kam und er mit einer Hand sich auf den kräftigen Griff stützte, »nicht zum ersten Male getraut sich dieses Schwert vor die Augen des Hauses Stuart.«

»Recht wohl möglich,« antwortete die Königin, »meinen Vorfahren mag es gedient haben, denn Eure Vorfahren, Mylord, waren Männer, die ihre Untertanenpflicht kannten.«

»Jawohl, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, »gedient hat es, aber in Aemtern und Dingen, die Könige nicht gern anerkennen oder gar lohnen. Wie die Hippe dem Baume dient, indem sie ihn verwundet bis aufs Mark und der überflüssigen Menge von Schößlingen und unfruchtbaren Ranken beraubt, die ihm die Nahrung entziehen.«

»Ihr sprecht in Rätseln, Mylord,« sagte Maria, »die Auflösung enthält, will ich hoffen, nichts als Beleidigung?«

»Urteilt selbst, gnädige Dame,« erwiderte Lindesay, »mit diesem guten Schwerte wurde Archibald Douglas, Graf von Angus, umgürtet an jenem denkwürdigen Tage, als er sich den Spitznamen »Vald der Rattenfänger« holte. Vor den Augen Eures Urgroßvaters Jakobs des Dritten hob er einen Schwarm von Günstlingen und Speichelleckern auf und ließ sie über der Brücke von Lauder zum warnenden Exempel für alles Luder, das sich dem schottischen Throne so gern naht, an Pfähle knüpfen. Mit derselben Waffe spaltete derselbe unentwegte Verfechter schottischer Ehre und schottischen Adels den Höfling Eures Großvaters Spens von Kilspindie bei Tafel den Rumpf, weil er sich erfrechte, in des Königs Gegenwart leichtfertig von ihm zu sprechen.«

»Mylord,« erwiderte errötend die Königin, »meine Nerven sind zu fest, daß sie durch solche gruselige Erzählungen erschüttert werden könnten. Indessen darf ich wohl fragen, wie solche Klinge aus dem Besitz der Douglas in den der Lindesay hat übergehen können? Ich hätte gedacht, sie müsse einem Geschlecht als heilig gelten, das sich in den Glauben gewiegt hat, alles was es wider das Königshaus tue, tue es zum Heile des Vaterlandes.«

»O, gnädigste Frau,« rief, ihr ängstlich ins Wort fallend, Sir Robert Melville, »stellt nicht diese Frage an Lord Lindesay! ... Und Ihr, Mylord, sofern Ihr Gefühl noch hegt für Scham und Schicklichkeit, so scheut Euch, Antwort drauf zu geben.«

»Es ist Zeit, daß solches Weib die Wahrheit höre,« rief grimmig Lord Lindesay.

»Und laßt Euch versichern, Mylord,« sprach Maria Stuart, keins Eurer Worte, möget Ihr sprechen, was Ihr wollt, wird die Frau, mit der Ihr sprecht, zum Zorne reizen. Es gibt Fälle, wo gerechte Verachtung stets gerechtem Zorne obsiegt.«

»Dann wißt,« versetzte Lindesay, »daß ich auf dem Plane von, Caxberry-Hill, als der falsche, ruchlose Verräter und Mörder Jakob, einst Graf von Bothwell, mit dem Spottnamen Herzog von Orkney, jedem der Adelinge, die gekommen waren, ihn zur Verantwortung zu ziehen, sich zum Zweikampf erbot, die Herausforderung annahm und von Graf Morton Douglas dafür mit diesem edlen Schwert beschenkt wurde, den Strauß zu bestehen. Ha, hätt er ein Körnchen mehr Mut und ein Korn weniger Feigheit besessen, so wahr mir der Himmel helfe, ich hätt seinen elenden Verräterleib mit diesem guten Stahl so zugerichtet, daß er Hunden und Raben ein leckeres Futter gewesen wäre.«

Als Maria den Namen Bothwell hörte, erlag der Mut der Königin beinahe, knüpfte sich doch an ihn eine ganze Reihe von Schuld und Scham und Unglück! ... Aber die großsprecherische Art Lindesays gab ihr Zeit zur Fassung, und mit einer Miene kalter Verachtung erwiderte sie:

»Einen Feind zu besiegen, der nicht in die Schranken tritt, ist leicht. Hätte aber Maria Stuart mit ihres Vaters Szepter auch sein Schwert geerbt, dann sollten die verwegensten ihrer Rebellen nicht Klage an diesem Tage führen, daß niemand da sei, es mit ihnen aufzunehmen. Eure Herrlichkeit wird mir es nachsehen, wenn ich dieses Gespräch abkürze. Von solchem blutigen Kampfe ist eine kurze Erwähnung schon lang genug, die Neugierde einer Dame zu stillen; und hat Lord Lindesay uns nichts Wichtigeres mitzuteilen als Dinge vom »Bald dem Rattenfänger«, die er wohl gern nachgemacht hätte, wenn Zeit und Umstände sich dazu schickten, dann wollen Wir uns in unser Kabinett zurückziehen, wo Ihr uns, liebe Fleming, Weiteres vorlesen mögt aus dem lustigen Büchlein Des rodomontades Espagnolles [Ueber spanische Großprahlereien].

»Entschuldigt, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, dessen Wangen jetzt auch Röte färbte, »ich kenne Euren schnellen Witz von früher her zu gut, daß ich nach einer Unterredung hätte geizen sollen, die Euch Gelegenheit geben konnte, seine Schärfe auf Kosten meiner Ehre zu zeigen. Lord Ruthven und meine Wenigkeit kommen in Begleitung Sir Robert Melvilles im Auftrage des Staatsrates, Euer Gnaden Anträge zu stellen, von denen die Sicherheit Eures Lebens und die Wohlfahrt des Staates abhängen wird.«

»Im Auftrag des Staatsrats?« fragte die Königin. »Auf wessen Vollmacht besteht und handelt er, während man mich, die ihn zu seiner Würde erhob, hier in Gefangenschaft hält? Aber es mag so sein! Was Schottlands Wohl erheischt, wird Maria Stuart recht kommen, gleichviel woher es komme -- und was ihr eignes Leben anbetrifft, so hat sie, auch wenn sie erst ein Alter von fünfundzwanzig Jahren erreichte, doch lange genug schon gelebt, um ihres Lebens überdrüssig zu sein ... Wo bleibt Euer Kollege, Mylord? ... und warum zögert er?«

»Er kommt, gnädigste Dame!« sagte Sir Robert Melville.

In diesem Augenblicke trat, mit einer Rolle in der Hand, Lord Ruthven ins Zimmer, und Leichenblässe bedeckte das Gesicht der Königin, als sie seinen Gruß erwiderte. Aber sie gewann ihre Fassung schnell, als hinter dem edlen Lord, dessen Erscheinung ihren Busen in solche Wallung zu setzen schien, Georg Douglas, jüngster Sohn des Ritters von Lochleven, der in Abwesenheit des Vaters und der Brüder auf dem Schlosse den Dienst eines Seneschalls versah, hinter ihm ins Zimmer trat.

Ende des ersten Bandes

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