Rose begriff, daß ihre Gebieterin in allzu aufgeregter Stimmung war, um sich über ihre Lage klar zu werden. Sie suchte allmählich ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. »Teuerste Gebieterin,« sagte sie, »wäre es Euch nicht gefällig, meinen Mantel umzunehmen?«

»Quäle mich nicht,« antwortete Eveline in einem etwas scharfen Tone.

»In der Tat, meine Gebieterin,« sagte Dame Gillian, sich mit Geräusch hervordrängend, als ob sie fürchtete, man wolle ihrem Amte als Garderobemeisterin Eintrag tun. »In der Tat, meine Gebieterin, Rose Flammock hat recht, weder Euer Mieder noch Euer Rock sitzen, wie sie sollten. Wenn also nur Rose ihr Pferd ein wenig aus dem Wege lenken will, so werde ich mit ein paar Nadeln Euern Anzug wieder in Ordnung bringen.«

»Was frage ich nach meinem Anzug?« erwiderte Eveline im selben Tone wie zuvor.

»So fragt nach Eurer Ehre, nach Eurem Rufe,« sagte Rose, dicht an ihre Gebieterin reitend und es ihr ins Ohr flüsternd. »Bedenkt, und zwar schnell, wohin der verwundete junge Mann gebracht werden soll.«

»Nach dem Schlosse,« antwortete Eveline ganz laut, als ob sie gleichsam die Ziererei des Geheimnisses verachte. »Führt uns zum Schlosse, und das auf dem kürzesten Wege!«

»Warum nicht lieber in sein Lager oder nach Malpas?« sagte Rose; »teuerste Gebieterin, glaubt mir, das wird das beste sein.«

»Warum nicht – warum nicht? – Warum ihn nicht lieber an der Landstraße liegen lassen, als willkommene Beute für das Messer eines Welschen oder den Zahn eines Wolfes? – Ein- Zwei-, dreimal ist er mein Retter gewesen. Wohin ich gehe, soll er gehen, und ich will nicht einen Augenblick früher in Sicherheit sein, als ich weiß, daß er es ist.«

Rose sah, daß sie keinen Eindruck auf ihre Gebieterin machte, und ihre eigene Ueberlegung sagte ihr, des Verwundeten Leben könne gefährdet werden, wenn der Transport unnötig in die Länge gezogen wurde. Ein Ausweg fiel ihr ein, dem vorzubeugen; doch war es notwendig, deshalb ihren Vater zu befragen. Sie gab ihrem Zelter die Reitgerte, und in einem Augenblick war ihr winziges, aber schönes Figürchen und ihr feuriger, kleiner Zelter an der Seite des riesigen Flamländers und seines großen schwarzen Rosses, und sie ritt sozusagen in deren breitem Schatten. »Mein teuerster Vater,« sagte Rose, »die Lady hat die Absicht, Sir Damian nach dem Schloß bringen zu lassen, wo er dann wahrscheinlich sehr lange wird verweilen müssen. – Was denkt Ihr davon? – Wird das gut sein?«

»Für den jungen Mann gewiß, Röschen;« antwortete der Flamländer, »er wird um so mehr der Gefahr des Fiebers entgehen.«

»Wohl wahr! Ist es aber auch verständig von meiner Gebieterin?« fuhr Rose fort.

»Verständig genug, wenn sie verständig verfährt. – Aber weshalb zweifelst Du an ihr, Röschen?«

»Ich weiß nicht,« sagte Rose, die selber gegen ihren Vater ungern ein Wörtchen von Furcht und Zweifel wollte fallen lassen, »aber wo es böse Zungen gibt, da gibt's auch Böses zu erzählen. Sir Damian und meine Gebieterin sind sehr jung. – Es wäre wohl viel besser, lieber Vater, so denke ich, Ihr bötet dem verwundeten Ritter Eures Daches Schutz an, statt daß er nach dem Schlosse gebracht werde.«

»Das werde ich nicht tun, Dirne,« antwortete der Flamländer etwas heftig. »Das werde ich nicht tun, wenn ich's vermeiden kann. Der Normann soll nicht über meine friedliche Schwelle kommen, der Engländer noch weniger, um sich über mein einfaches, sparsames Leben aufzuhalten und meinen Vorrat zu verzehren. Du kennst sie nicht, weil Du immer bei Deiner Lady und in ihrer Gunst bist. Aber ich kenne sie wohl, und das Beste, was ich noch von ihnen erlangen konnte, war ›fauler Flandersmann‹ und ›flämischer Tölpel‹ tituliert zu werden. – Ich danke allen Heiligen, daß sie seit des Welschen Gwenwyns Aufstand nicht mehr sagen können, ›flämische Memme‹.«

»Ich habe stets geglaubt, mein Vater,« erwiderte Rose, »Ihr wäret zu verständig, um auf diese niedrigen Verleumdungen zu achten. Gedenkt, wir gehören zum Banner dieser Lady, sie ist stets meine liebevolle Gebieterin gewesen, und ihr Vater war Euer guter Herr; selbst dem Connetable seid Ihr verpflichtet, denn er hat Euer Privilegium erweitert. Mit Geld kann man Schulden bezahlen, aber Freundlichkeit kann man nur mit Freundlichkeit vergelten. Und ich sage es Euch vorher, Ihr werdet nie mehr eine solche Gelegenheit haben, dem Hause der Berenger und de Lacy Gutes zu erweisen, als wenn Ihr die Türe Eures Hauses dem verwundeten Ritter öffnet.«

»Die Tür meines Hauses?« antwortete der Flamländer. »Weiß ich denn, wie lange ich dieses oder irgend ein Haus auf Erden mein eigen nennen kann? Ach! meine Tochter, wir zogen hierher, um der Wut der Elemente zu entfliehen, aber wer weiß, wie bald wir durch die Raserei der Menschen umkommen können.«

»Ihr sprecht sonderbar, mein Vater,« sagte Rose. »Es stimmt nicht mit Eurer sonst so sichern Einsicht überein, aus dem plötzlichen Ueberfall eines welschen Freibeuters ein so allgemeines Unglück zu weissagen.«

»Ich denke nicht an den einäugigen Räuber,« sagte Wilkin, »obgleich die wachsende Frechheit solcher Räuber wie Dawfyd kein gutes Zeichen für die Ruhe im Lande ist. Aber Du, die Du in jenen festen Mauern lebst, vernimmst nur wenig, was draußen vorgeht, und Euer Zustand ist daher sorgenloser. Du hättest auch diese Nachrichten nicht von mir erfahren, es sei denn, daß ich es für nötig gefunden, mich in ein anderes Land zu begeben.«

»Euch wegbegeben, mein teuerster Vater, von einem Lande, wo Eure Betriebsamkeit und Sparsamkeit Euch ein so ehrenvolles Auskommen verschafft haben?«

»Ja, und wo der Hunger von Bösewichtern, welche mir den Ertrag meiner Arbeit beneiden, mir leicht einen ehrlosen Tod bereiten kann. Es sind unter dem englischen Pöbel in mehr als einer Grafschaft Unruhen ausgebrochen, die Wut des Volkes richtet sich gerade gegen unsere Nation, als ob wir Juden oder Heiden wären und nicht bessere Christen und bessere Menschen als sie selbst. Zu York, Bristol und anderswo haben sie die Häuser der Flamländer gestürmt, ihr Gut geplündert, ihre Familien gemißhandelt, und selbst ermordet. Und warum? Wahrscheinlich nur deswegen, weil wir Künste und Gewerbe zu ihnen brachten, die sie vorher nicht kannten, und weil ein Wohlstand, den sie ohne uns nie in Britannien erblickt hätten, der Lohn für unsere Kunst und Mühe wurde. Röschen, dieser böse Geist verbreitet sich täglich mehr. Hier zwar sind wir sicherer als sonst irgendwo, weil wir eine ziemlich zahlreiche und starke Kolonie bilden. Aber ich traue unsern Nachbarn nicht, und wärest Du, Rose, nicht in Sicherheit gewesen, schon lange hätte ich dieses alles aufgegeben und Britannien verlassen.«

»Alles aufgegeben, und Britannien verlassen!« Wundersam klangen diese Worte in den Ohren seiner Tochter, die am besten wußte, wie es ihrem Vater mit seiner Betriebsamkeit geglückt war, und wie es seinem festen und ruhigen Charakter gar nicht ähnlich sah, sichere und gegenwärtige Vorteile aus Furcht vor entfernter oder möglicher Gefahr aufzugeben. Endlich erwiderte sie: »Droht diese Gefahr wirklich, mein Vater, so scheint es mir, Euer Haus und Eigentum kann keinen bessern Schutz finden, als die Gegenwart dieses edlen Ritters. Wo lebt der Mann, der irgend eine Gewalttat gegen das Haus wagen wollte, welches Damian de Lacy beherbergt?«

»Das weiß ich doch nicht!« sagte der Flamländer in demselben gesetzten, aber doch abweisenden Tone. »Möge der Himmel es mir vergeben, wenn es Sünde ist! aber ich sehe nichts wie Narrheit in diesen Kreuzzügen, die die Priester so erfolgreich gepredigt haben. – Da ist nun der Connetable fast drei Jahre schon abwesend, und wir erhielten keine sichere Nachricht, ob er lebt oder tot ist, ob er gesiegt hat oder eine Niederlage erlitt. Er zog aus, als ob er gesonnen sei, nicht eher abzuzäumen oder das Schwert einzustecken, bis das heilige Grab den Sarazenen entrissen wäre, und wir hören jetzt nichts davon, ob den Sarazenen auch nur ein Dorf genommen wurde. Während der Zeit wird das Volk zu Hause immer mißvergnügter – ihre Herren mit dem besten Teile ihres Geleites sind in Palästina, ob tot oder noch am Leben, ist schwer zu wissen – sie selbst werden unterdrückt und geschunden von Haushofmeistern und Stellvertretern, deren Joch nie so leicht ist und nie so leicht ertragen wird wie das des wirklichen Herrn. Die Bürgerlichen, die natürlich die Ritter und den Adel hassen, halten den Zeitpunkt für günstig, ihnen die Spitze zu bieten – ja, es gibt auch einige von edlem Blut, die sich nichts daraus machen, sie anzuführen, um ihren Teil an der Beute zu haben. Die Abenteuer in der Fremde und die Gewöhnung an ein liederliches Leben haben viele arm gemacht; und wer arm ist, wird für Geld den eigenen Vater morden. Ich hasse arme Leute, und ich wollte, der Teufel holte einen jeden, der sich nicht mit seiner Hände Arbeit ernähren kann!«

Der Flamländer beschloß mit diesem charakteristischen Fluch eine Rede, die seiner Tochter eine so furchtbare Schilderung vom Zustande Englands gab, wie sie in der Einsamkeit von Garde Douloureuse noch nie zu vernehmen Gelegenheit gehabt hatte. »Sicherlich,« sagte sie, »sind derartige Gewalttätigkeiten nicht von denen zu befürchten, die unter dem Banner de Lacys und Berengers stehen!«

»Berenger besteht nur noch dem Namen nach,« antwortete Wilkin Flammock, »und Damian, wiewohl ein wackerer junger Mann, steht an Charakter und Ansehen noch lange nicht so hoch wie sein Oheim. Auch beklagen sich seine Leute, daß sie unnütz geplagt werden, ein Schloß zu bewachen, das an sich uneinnehmbar ist und eine hinlängliche Besatzung hat. Sie führten hier ein tatenloses, unrühmliches Dasein und verlören alle Gelegenheit zu ehrenvollen Taten, wie sie es nennen, worunter sie aber nur Raufen und Plündern verstehen. Sie sagen, Damian, der Bartlose, war ein Mann, aber Damian mit dem Knebelbart ist nicht viel mehr als ein Weib, und die Jahre, die seine Oberlippe dunkel machten, haben zugleich seinen Mut gebleicht. – Und sie sagen noch mehr, aber es ist zu langweilig, davon zu reden.«

»Gut! aber doch laßt mich wissen, was sie sagen! Laßt's mich wissen, um des Himmels willen!« anwortete Rose, »wenn es, wie es der Fall sein muß, meine treue Gebieterin betrifft.«

»So ist es, Röschen,« antwortete Wilkin, »da gibt es viele unter den normannischen Kriegern, die erzählen sich's, so beim Weinkruge, daß Damian de Lucy ein Liebesverhältnis mit der Braut seines Oheims habe: ja, und daß sie miteinander verkehrten durch – Zauberkünste.«

»Durch Zauberkünste! Wahrhaftig, so muß es sein,« sagte Rose, verächtlich lächelnd, »denn durch irdische Mittel stehen sie in keiner Gemeinschaft, das kann ich bezeugen,«

»Demzufolge schreiben sie es der Zauberkunst zu,« sagte Wilkin Flammock, »daß de Lacy, sobald nur Mylady sich aus dem Schloßtor herausrührt, auch gleich mit seinen Leuten im Sattel ist, wiewohl sie es ganz genau wissen wollen, daß er weder durch einen Boten, noch durch einen Brief, noch auf sonst welchem gewöhnlichen Wege, Nachricht von ihrer Absicht erhalten hat. Auch waren sie jedesmal nur kurze Zeit in den Bergpässen herumgeritten, so hörten oder sahen sie auch schon, daß Lady Eveline außerhalb des Schlosses sei.«

»Das ist mir nicht entgangen,« erwiderte Rose, »und Mylady hat bisweilen ihr Mißvergnügen gezeigt, daß Damian so sorgfältig sich Kenntnis von allen ihren Bewegungen zu verschaffen wüßte und sie dann mit einer so zudringlichen Pünktlichkeit beobachtete und beschützte. Der heutige Tag jedoch hat es bewiesen,« fuhr sie fort, »daß seine Wachsamkeit sehr am Platze ist. Da sie aber selbst bei solchen Gelegenheiten nie zusammenkamen, sondern sich immer in einer solchen Entfernung hielten, daß jede Möglichkeit, sich zu sprechen, ausgeschlossen war, so hätte ich denken sollen, daß auf beide kein Verdacht fallen könnte.«

»Ach, Tochter Röschen,« erwiderte Wilkin, »man kann bisweilen auch die Vorsicht so weit treiben, daß eben dadurch Argwohn erregt wird. Warum, sagen die Reisigen, müssen sie denn immer so förmlich gegeneinander sein? Warum müssen sie sich immer so nahe sein und dürfen doch nie zusammenkommen? Wären sie sich gegenseitig nichts mehr als der Neffe und des Oheims Braut, so dürften sie öffentlich und frei miteinander umgehen; und sind sie anderseits heimliche Liebesleute, so ist doch anzunehmen, daß sie im geheimen zusammentreffen, obwohl sie dies sehr schlau zu verbergen wissen.«

»Jedes Wort, das Ihr sprecht, mein Vater, macht es unumgänglich notwendig, daß Ihr den verwundeten jungen Mann in Euer Haus aufnehmt. Mögen die Uebel, die Ihr fürchtet, noch so groß sein, so könnt Ihr Euch doch darauf verlassen, sie werden nicht dadurch vermehrt, daß Ihr ihm und einigen wenigen seiner treuen Begleiter Obdach gewährt.«

»Seinen Begleitern nicht!« sagte der Flamländer heftig, »Nicht einem von ihnen! Nur dem Pagen, der ihn bedient, und dem Arzt, der ihn behandelt.«

»So kann ich also Euer Dach wenigstens den dreien anbieten?« sagte Rose.

»Tu, was Du willst! Tu, was Du willst!« rief der sie so innig liebende Vater. »Bei meiner Treu, Röschen, es ist sehr gut, daß Du in allen Deinen Forderungen verständig und bescheiden bleibst, weil ich doch mal so närrisch bin, Dir alles gleich zuzugestehen. Das ist nun wieder einmal eine Deiner wunderlichen Regungen von Großmut und Ehre – mir gegenüber freilich stellst Du es als Klugheit und Rechtlichkeit hin. Ach, Rose, Rose, die, welche mehr noch als das Gute tun wollen, bringen zuweilen etwas hervor, was übler ist als das Böse. – Aber ich denke, ich werde diesmal mit der Furcht davonkommen, denn Deine Gebieterin, die, mit allem Respekt zu sagen, ein bißchen abenteuerlich veranlagt ist, wird schon eigensinnig auf das ritterliche Vorrecht bestehen, ihren Ritter in ihrem eigenen Gemach aufzunehmen und ihn in Person zu pflegen.«

Der Flamländer hatte recht prophezeit. Kaum hatte Rose Evelinen den Vorschlag getan, den verwundeten Damian bis zu seiner Wiederherstellung in ihres Vaters Hause zu lassen, als ihre Gebieterin kurz und entschieden das Anerbieten verwarf. »Er ist mein Erretter gewesen,« sagte sie, »und gibt es ein Wesen, vor welchem die Tore von Garde Douloureuse von selbst aufspringen müßten, so ist es Damian de Lacy. – Nein, Jungfer, wirf nicht auf mich einen so argwöhnischen, bekümmerten Blick. – Wer über Verstellung erhaben ist, Mädchen, verachtet den Argwohn, Gott ist's und Unsere Frau, denen ich Rechenschaft schuldig bin, und vor ihnen liegt mein Herz offen!«

Sie gelangten schweigend zu dem Burgtore, woselbst Lady Eveline Befehl erteilte, daß ihr Beschützer, wie sie mit Nachdruck Damian nannte, ihres Vaters Gemach bewohnen sollte; und mit der Klugheit eines reifern Alters gab sie die nötigen Anweisungen für die Aufnahme und Bequemlichkeit seiner Begleitung. Alles tat sie mit der größten Fassung und Geistesgegenwart, noch ehe sie ihre eigene, in Unordnung geratene Kleidung wechselte.

Noch ein Schritt blieb ihr zu tun übrig. Sie eilte zu der Kapelle der Jungfrau, und sich vor ihrer heimlichen Beschützerin niederwerfend, brachte sie ihr Dank für ihre zweite Befreiung dar und flehte um ihren Schuh und durch ihre Fürsprache um den Beistand des allmächtigen Gottes in all ihren Zweifeln, wie sie fernerhin sich verhalten sollte. »Du weißt«, sagte sie, »daß ich nicht in übermütigem Vertrauen auf meine eigenen Kräfte mich in Gefahr begeben habe. O mache mich stark, wo ich am schwächsten bin! Laß meine Dankbarkeit und mein Mitleid nicht einen Fallstrick für mich sein, und während ich dahin strebe, die Pflichten zu erfüllen, die mein dankbares Herz mir auferlegt, errette mich von den bösen Zungen der Menschen – und rette mich – o, rette mich von den hinterlistigen Nachstellungen meines eigenen Herzens!«

Mit andächtigem Eifer betete sie jetzt ihren Rosenkranz ab, dann begab sie sich in ihr Zimmer, rief ihre Frauen und ließ ihre Kleidung in Ordnung bringen.

Elftes Kapitel

In Gewändern von dunkler Farbe, wie in Trauer gekleidet, deren Schnitt mehr einer Matrone geziemte als ihrer Jugend, einfach bis zur Übertreibung, ohne allen Schmuck als ihren Rosenkranz, erfüllte nun Eveline die Pflicht einer Wärterin bei ihrem verwundeten Befreier, eine Pflicht, die die Sitte der Zeit nicht nur erlaubte, sondern gebieterisch erheischte. Rose und Dame Gillian waren ihr zur Seite; Maryorin, die sich in Krankenzimmern wie in ihrem Element befand, wurde in dem des jungen Ritters angestellt, um für alles, was sein Zustand erfordern könnte, Sorge zu tragen.

Eveline trat in das Zimmer mit einem leisen Schritt, um nicht den Kranken zu stören. Sie hielt an der Tür still und sah sich um. Es war einst ihres Vaters Zimmer, und sie hatte es seit seinem gewaltsamen Tode nicht betreten. Längs den Wänden hing ein Teil seiner Rüstungen und Waffen, mit Falkenhandschuhen, Jagdstangen und anderm Jagdgeräte. Diese Reliquien riefen wie leibhaftig die stattliche Gestalt des Sir Raymond vor ihre Seele. »Runzle nicht die Stirn, mein Vater,« ihre Lippen bildeten die Worte, aber die Stimme sprach sie nicht aus. »Runzle sie nicht! Eveline wird Deiner nie unwürdig sein!«

Pater Aldrovand und Amelot, Damians Page, saßen an seinem Bette und standen beim Eintritt Evelinens auf, und der Pater, der sich ein wenig mit der Heilkunde abgegeben, sagte zu Evelinen, der Ritter hätte ziemlich lange geschlafen und scheine eben jetzt zu erwachen.

Zu gleicher Zeit trat Amelot vor und bat schnell und leise, daß Ruhe im Zimmer herrschen möge und alle Zuschauer entfernt werden möchten. »Mein Herr,« sagte er, »pflegt zuweilen seit seiner Krankheit zu Gloucester etwas wild zu reden, wenn er vom Schlafe erwacht, und würde mit mir unzufrieden sein, erlaubte ich irgend jemand, alsdann in seiner Nähe zu bleiben.«

Demzufolge gebot Eveline den Frauen und dem Mönch, sich in das Vorzimmer zurückzuziehen, während sie in der Tür stehen blieb und ihren Namen von Damian nennen hörte, als er sich schmerzensvoll auf seinem Lager umwandte. »Ist sie in Sicherheit und unverletzt?« war seine erste Frage, und die Heftigkeit, in der er sie stellte, bewies, wie sehr ihm vor allem diese Sorge am Herzen lag. Als Amelot bejahend antwortete, seufzte er wie einer, dessen Brust von einer schweren Last befreit worden, und mit minder bewegter Stimme fragte er den Pagen, wo sie waren? – »Das Zimmer,« sagte er, »mit allem Geräte ist mir ganz fremd.«

»Mein teuerster Herr,« sagte Amelot, »Ihr seid jetzt zu schwach, um Fragen vorzulegen und Erklärungen zu empfangen.«

»Sei es, wo es sei,« sagte Damian, immer mehr zur Besinnung kommend. »Ich bin nicht an der Stelle, wohin mich meine Pflicht ruft. – Laßt meine Trompeten zu Pferde blasen – zu Pferde! – Und laß Ralph Genvil mein Banner tragen. – Zu Pferde! zu Pferde! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

Der verwundete Ritter machte einige Versuche, sich aufzurichten, wurde aber bei seiner Schwäche von Amelot mit geringer Mühe zurückgelegt. »Du hast recht,« sagte er und sank in liegende Stellung nieder. »Du hast recht, – ich bin zu schwach – doch warum soll mir auch die Kraft bleiben, wenn die Ehre verloren ist?«

Der unglückliche junge Mann bedeckte sein Gesicht mit den Händen und seufzte wie im Todeskampfe, doch schien der Schmerz mehr seine Seele als seinen Körper zu erschüttern. Eveline näherte sich seinem Bette mit schwankendem Schritte: sie fürchtete, sie wußte selbst nicht was, doch zeigte sie den innigsten Anteil an dem Schmerz des Leidenden. Damian blickte auf, wurde sie gewahr, und wiederum verhüllte er sein Angesicht mit seinen Händen.

»Wozu diese heftige Leidenschaft, Herr Ritter?« sagte Eveline mit einer anfangs schwachen, bebenden Stimme, die aber allmählich mehr Festigkeit und Sicherheit erhielt. »Kann es Euch, die Ihr zu den Pflichten der Ritterschaft geschworen habt, so großen Schmerz erregen, daß der Himmel Euch schon zweimal zum Werkzeug erwählte, Eveline Berenger zu retten?«

»O nein! nein!« rief er schnell aufeinander. »Da Ihr gerettet seid, ist alles gut – aber die Zeit drängt – ich muß sogleich aufbrechen – nirgends darf ich mich jetzt aufhalten – am allerwenigsten in diesem Schlosse – noch einmal, Amelot, laß die Leute aufsitzen!«

»Nein, mein guter Lord,« sagte das Fräulein. »Das kann nicht geschehen. Als Eure Schutzbefohlene kann ich meinen Beschützer nicht so plötzlich abreisen lassen – als Euer Arzt kann ich meinem Patienten nicht erlauben, sich selbst zu verderben. – Ihr könnt unmöglich ein Pferd besteigen.«

»Eine Trage – eine Bahre – einen Karren, den entehrten Ritter, den Verräter wegzuschleppen – alles noch zu gut für mich – ein Sarg wäre das beste von allem. Aber gib wohl acht, Amelot, daß er nur einer sei, wie für den geringsten Bauern, keine Sporen auf der Sargdecke – kein Schild mit dem alten Wappen der de Lacys, kein Helm mit dem ritterlichen Kamme darf den Leichenwagen dessen zieren, dessen Name entehrt ist.«

»Ist sein Verstand zerrüttet?« sagte Eveline und blickte mit Schrecken von dem Verwundeten auf seinen Diener hin, »oder steckt ein furchtbares Geheimnis hinter diesen abgebrochenen Worten? – Ist es so, so sprecht es aus, und kann es wieder gut gemacht werden durch Leben und Eigentum, so soll meinem Befreier nichts Uebles widerfahren.«

Mit niedergeschlagenem, traurigem Blick, sah Amelot sie an, schüttelte seinen Kopf und blickte dann auf seinen Herrn hin mit einer Miene, welche sagen wollte, daß er ihre Fragen in Damians Gegenwart nicht beantworten könnte. Lady Eveline bemerkte diesen Wink, schlich in das Vorzimmer und gab dem Amelot ein Zeichen, ihr zu folgen. Er gehorchte, nachdem er zuerst einen Blick auf seinen Herrn geworfen, der in derselben trostlosen Stellung verharrte, das Gesicht mit den Händen bedeckt, wie einer, der das Licht scheut und alles, was vom Licht beschienen wird.

Als Amelot im Vorzimmer war, gab Eveline ihren Dienern ein Zeichen, sich bis ans äußerste Ende zurückzuziehen, und befragte ihn nun heimlich, worauf die Worte der Sorge und Verzweiflung, die sein Herr gesprochen, zurückzuführen seien. »Du weißt,« sagte sie, »daß ich Deinem Herrn zu helfen verpflichtet bin, sowohl aus Dankbarkeit, weil er mich mit Gefahr seines Lebens gerettet hat – als auch weil er mein Verwandter ist. Sage mir daher, wie es um ihn steht, daß ich ihm helfe, wenn ich es vermag – das heißt,« setzte sie hinzu, und ihre Wange färbte eine dunkle Röte, »wenn es sich für mich schickt, die Ursache seines Kummers zu hören.«

Tief verneigte sich der Page; doch geriet er in so große Verlegenheit, als er zu sprechen begann, daß auch Eveline verwirrt und ratlos war. Demungeachtet drang sie in ihn, ohne Bedenken und Verzug zu sprechen, wenn nur das, was er zu sagen hätte, sich für sie schickte.

»Glaubt mir, edle Lady,« sagte Amelot, »augenblicklich würde ich Eure Befehle erfüllt haben, fürchtete ich nicht meines Herrn Zorn, daß ich ohne seine Erlaubnis von seinen Angelegenheiten rede. Da ich aber weiß, er ehrt Euch höher, als irgend einen Menschen auf der Welt, so will ich auf Euren Befehl, soviel sagen: wenn er von den Wunden geheilt und sein Leben gerettet wird, so würden doch seine Ehre und Würde in noch größere Gefahr geraten, sofern der Himmel nicht selbst Hilfe sendet.«

»Sprich weiter,« sagte Eveline, »und sei versichert, wenn Du Dich mir anvertraust, wirst Du Damian de Lacy keinen Nachteil bringen.«

»Ich glaube es wohl, Lady,« sagte der Page. »So wißt denn, wenn es Euch nicht bereits bekannt ist, daß die Bauern und der Pöbel, die im Westen die Waffen gegen den Adel ergriffen haben, behaupten, sie würden bei ihrer Empörung nicht allein von Randal de Lacy, sondern auch von meinem Herrn Sir Damian unterstützt.«

»Lügner sind es, die ihn eines so schändlichen Verrates gegen seinen eigenen Blutsfreund und seinen Landsherrn zu beschuldigen wagen,« sagte Eveline.

»Wohl weiß ich, daß sie lügen,« sagte Amelot, »aber das hindert nicht, daß ihre falschen Behauptungen bei denen Glauben finden, die ihn nicht genau kennen. Mehr als ein Ausreißer von den Unsrigen hat sich zu diesem zusammengelaufenen Gesindel gesellt, und das macht das böse Gerücht noch wahrscheinlicher. Und dann sagen sie, – sagen sie – daß – mit einem Wort – daß mein Herr danach strebe, die Ländereien seines Oheims, welche er für ihn verwaltet, an sich zu reißen, und daß, wenn der alte Connetable – ich bitte um Verzeihung, Mylady! – von Palästina heimkehren sollte, es ihm schwer werden dürfte, sein Eigentum zurückzuerhalten.«

»Diese elenden, niederträchtigen Menschen urteilen über andere nach ihren eigenen niedrigen Gesinnungen und glauben, daß solchen Versuchungen, denen sie selber nicht würden widerstehen können, auch edlere Naturen erliegen müßten. Aber sind denn wirklich die Empörer so vermessen und so mächtig? Wir haben von ihren Gewalttaten gehört, aber doch nur, als ob es ein kleiner Volksauflauf wäre?«

»In der vergangenen Nacht erhielten wir die Nachricht, daß sie sich in großer Menge zusammengezogen und Wild Wenlock mit seinen Reisigen in einem ungefähr zehn englische Meilen von hier entfernten Dorfe eingeschlossen und belagert hätten. Er sandte zu meinem Herrn und bat ihn als seinen Verwandten und Waffenbruder um Hilfe. Wir saßen heute früh auf, zu seinem Beistand zu ziehen – als« –

Er schwieg und schien nicht gern fortfahren zu wollen, Eveline nahm das Wort auf: »Als Ihr von der Gefahr hörtet, in der ich mich befand?« sagte sie. – »Ich wünschte, Ihr hättet lieber meinen Tod vernommen.«

»Gewiß, edle Lady,« sagte der Page mit einem Blicke auf den Boden, »nur eine so dringende Ursache konnte meinen Herrn bewegen, seine Truppen halten zu lassen und ihre Mehrzahl gegen die welschen Bergbewohner zu führen, da die Lage seines umzingelten Landsmannes und die ausdrücklichen Befehle des königlichen Statthalters ihm doch vorschrieben, gegen die Aufrührer zu ziehen.«

»Ich wußte es,« fügte sie, »ich wußte es, daß ich geboren ward zu seinem Verderben; aber mir scheint, das ist noch schlimmer, als wovon ich träumte. Ich fürchtete nur seinen Tod zu verursachen, nicht den Verlust seiner Ehre. – Um Gottes willen, Amelot, tu, was Du kannst, und das ohne Zeitverlust! – Auf der Stelle wirf dich aufs Pferd, und zu Deinen eigenen Leuten nimm so viel von den meinigen, wie Du zusammenbringen kannst! – Geh! sprenge fort, mein tapferer Jüngling, – zeige Deines Herrn Banner – zeige ihnen, daß seine Macht und sein Herz mit ihnen ist, wenn auch seine Person abwesend sein muß. – Eile – eile – kostbar ist die Zeit!«

»Aber die Sicherheit des Schlosses? – aber Eure eigene Sicherheit?« sagte der Page, »Gott weiß, wie gerne ich alles tun möchte, seine Ehre zu retten. Ich kenne meines Herrn Sinn. Sollte Euch durch meine Entfernung von Garde Douloureuse irgend ein Leides widerfahren, und hätte ich ihm auch dadurch Land, Leben und Ehre gerettet, ich möchte wohl eher seinen Dolch als Dank und Lohn dafür kosten.«

»Nichtsdestoweniger, teurer Amelot, mache Dich auf!« sagte sie, »sammle, was Du zusammenbringen kannst, und mache, daß Du davon kommst!«

»Ihr spornt ein williges Roß,« sagte der Knappe, – und war schon auf dem Sprunge, »auch sehe ich in meines Herrn Lage nichts Besseres zu tun, als seine Banner wenigstens gegen diese Feinde zu tragen.«

»Zu den Waffen denn!« rief Eveline mit Feuer, »zu den Waffen! und gewinne Dir die Sporen! Bringe mir die Gewißheit, daß Deines Herrn Ehre gerettet ist, und ich selbst will die Sporen Dir anschnallen. – Hier – nimm diesen geweihten Rosenkranz – befestige ihn an Deinem Helm – und möge der Gedanke an die heilige Jungfrau von Garde Douloureuse, die nie die Ihr Geweihten verließ, Dich stärken in der Stunde des Gefechts!«

Sie hatte kaum geendet, als schon Amelot davon geflogen war, und so viel Pferde zusammenbrachte, als er konnte, von seines Herrn Leuten sowohl, als von dem Burg gehörigen Gesinde. So hielten bald vierzig Mann zu Pferde im Schloßhofe. –

Aber obwohl bis dahin der Page willigen Gehorsam gefunden, als die Kriegsmänner hörten, daß sie zu einem gefährlichen Zuge aufbrechen sollten, wenngleich unter keinem andern Führer, als einem jungen Menschen von fünfzehn Jahren, so weigerten sie sich doch entschieden, das Schloß zu verlassen. Die alten Krieger de Lacys behaupteten, Damian selbst wäre noch zu jung, sie zu befehligen, und habe kein Recht, seine Gewalt nun gar einem Knaben zu übertragen; Berengers Leute sagten, ihre Gebieterin möchte zufrieden sein, daß sie am Morgen gerettet worden, statt nun noch die Besatzung des Schlosses zu vermindern und die Gefahr dadurch zu erhöhen. »Die Zeiten,« sagten sie, »sind stürmisch, und das klügste ist, ein steinernes Dach überm Kopf zu haben.« Je mehr die Krieger einander ihre Gedanken und Befürchtungen mitteilten, desto stärker wurde ihre Abneigung gegen das Unternehmen. Als nun Amelot, der inzwischen, nach Pagenart, sich darum kümmerte, daß sein Pferd gesattelt und vorgeführt würde, wieder in den Schloßhof zurückkehrte, sah er die Leute in wirren Gruppen stehen, einige zu Pferde, andere zu Fuß, alle in lautem Gespräch und in größter Unordnung, Ralph Genvil, ein Veteran, dessen Gesicht mit mancher Schramme gezeichnet war, stand abseits von den übrigen und hielt seines Pferdes Zaum in der einen Hand und in der andern den Fahnenschaft, um den das Banner de Lacys noch unentfaltet gewickelt war.

»Was heißt das, Genvil?« fragte der Page ärgerlich, »warum besteigt Ihr nicht das Pferd und laßt das Banner wehen? – Und was veranlaßt diese Verwirrung?«

»Fürwahr, Herr Page,« sagte Genvil, ganz gelassen, »ich bin nicht in meinem Sattel, weil ich einige Achtung vor diesem alten seidenen Lumpen habe, den ich mit Ehren getragen, und ich möchte ihn nicht gerne irgendwohin tragen, wohin die Männer ihm nicht folgen wollen.«

»Heut wird nicht marschiert – heut wird nicht angegriffen – heut wird das Banner nicht entfaltet!« schrieen die Krieger, um der Rede des Fahnenträgers Nachdruck zu geben. »Wie, ihr Memmen, ist das Meuterei?« sagte Amelot und legte die Hand auf das Schwert.

»Droht mir nicht, Herr Page!« sagte Genvil, »und fackelt mir nicht mit Eurem Schwerte vorm Gesicht herum. Ich sage Dir, Amelot, sollte mein Schwert mit dem Deinigen zusammenkommen, nie sollte ein Dreschflegel mehr Spreu um sich geworfen haben, als ich Splitter aus Deinem eben flügge gewordenen, vergoldeten Bratspieß machen wollte. Seht her, hier sind Graubärte, die nicht Lust haben, sich nach der Laune eines Knaben ins Weite führen zu lassen. Was mich anbetrifft, mir ist's einerlei, ob der eine oder andere Knabe das Kommando hat. Aber ich bin für jetzt de Lacys Mann, und ich bin mir nicht klar, ob de Lacy es uns danken wird, wenn wir Wild Wenlock zu Hilfe ziehen. Warum führte er uns nicht diesen Morgen dahin? Statt dessen ließ er uns in die Berge marschieren.«

»Ihr wißt ja sehr gut, weshalb das geschah,« antwortete der Page.

»Ja, wohl wissen wir's, oder wenn wir's nicht wissen, so können wir es erraten,« antwortete der Fahnenträger mit wieherndem Lachen, in das mehrere seiner Gefährten einstimmten. »Ich will diese Verleumdung in Deinen falschen Hals stopfen, daß Du daran erwürgst!« sagte der Page, zog sein Schwert und warf sich blindlings auf den Bannermann, ohne auf den gewaltigen Unterschied ihrer Kräfte Rücksicht zu nehmen.

Genvil begnügte sich damit, seinen Angriff durch eine, wie es schien, ganz leichte Bewegung seines Riesenarmes zu parieren, wodurch er den Pagen zur Seite schob, indem er gleichzeitig einen Hieb mit dem Fahnenschaft auffing.

Ein neues, lautes Gelächter erfolgte, und Amelot, der alle seine Anstrengungen vereitelt sah, warf sein Schwert von sich, und indem ihm aus Stolz und Aerger die Tränen in die Augen traten, eilte er zur Lady Eveline zurück, ihr seinen Mißerfolg zu berichten. – »Verloren ist alles,« sagte er – »die feigen Schufte sind aufsässig und wollen nicht ausrücken, und der Tadel ihrer Feigheit und Zaghaftigkeit wird auf meinen teuern Herrn fallen.«

»Nie soll das geschehen,« sagte Eveline, »und sollte ich mein Leben aufopfern, es zu verhindern. – Folge mir, Amelot!«

Sie warf eine scharlachrote Schärpe um ihre dunkle Kleidung und eilte in den Hof. Gillian folgte ihr unter lebhaften Gebärden des Erstaunens und Mitleids; Rose folgte gleichfalls, sorgfältig alle Aeußerungen der Gefühle unterdrückend, die ihr Herz bewegten.

Eveline trat in den Schloßhof mit dem flammenden Auge und der glühenden Stirne, die ihre Vorfahren in Gefahr und Not zu zeigen pflegten, wenn ihre Seele gewaffnet war, dem Sturme die Spitze zu bieten. In diesem Augenblick schien sie größer als gewöhnlich, und mit klarer und fester Stimme, die dennoch die Zartheit des weiblichen Tons nicht verlor, redete sie die Meuterer also an: »Was ist das, Ihr Herren?« sagte sie – und indem sie sprach, zogen sich die breitschultrigen Gestalten der Krieger enger zusammen, als ob ein jeder für seine Person dem Vorwurf entgehen wollte. Sie glichen einer Gruppe plumper Wasservögel, wenn diese sich dicht aneinander schließen, dem Stoß des leichten, schönen Lerchenhabichts zu entgehen, die Ueberlegenheit seiner Natur und Zucht über ihre ungeschickte körperliche Kraft fürchtend. – »Was ist denn das?« fragte sie noch einmal, »denkt Ihr, es ist Zeit, Meuterei zu treiben, weil Euer Gebieter abwesend ist und sein Neffe und Stellvertreter auf dem Krankenbette liegt? – Haltet Ihr so Euren Eid? – Wollt Ihr so Eures Anführers Gewogenheit erlangen? – Schande über Euch, feige Hunde, die da zagen und den Rücken wenden, so wie sie den Jäger aus dem Gesicht verlieren!«

Eine Pause folgte. – Die Krieger blickten einander, dann Eveline an, als schämten sie sich ihrer Meuterei, ohne daß es ihr Trotz zuließ, zur gewohnten Manneszucht zurückzukehren.

»Ich sehe, was es ist, meine braven Freunde! – Euch mangelt ein Anführer – doch darauf sollt Ihr nicht lange warten. – Ich selbst will Euch anführen, und wenn ich gleich nur ein Weib bin, kein Mann unter Euch darf einen Schimpf befürchten, wo eine Berenger befehligt. – Rüstet meinen Zelter mit einem Stahlsattel aus,« rief sie, »und das im Augenblick!« – Sie hob des Pagen leichten Helm auf und warf ihn über ihr Haar, sie ergriff sein weggeworfenes Schwert und trat vor. – »Hier gelobe ich Euch meine ganze Kraft und meine Führung. Dieser Biedermann,« sie zeigte auf Genvil, »soll meinen Mangel an Kriegskenntnis ersetzen. Er sieht wie ein Mann aus, der schon manche Schlacht gesehen hat und wohl die junge Anführerin in ihrer Pflicht unterweisen kann.«

»Gewiß,« sagte der alte Krieger, wider Willen zum Lächeln gezwungen und doch zugleich den Kopf schüttelnd, »viele Schlachten habe ich gesehen, aber nie focht ich unter einem solchen Befehlshaber.«

»Demungeachtet,« sagte Eveline, als sie sah, wie aller Augen sich auf Genvil wandten, »werdet Ihr nicht – könnt Ihr nicht– wollt Ihr Euch nicht weigern, mir zu folgen. Ihr dürft's auch nicht als Soldat, denn meine schwache Stimme gibt Euch nur Eures eigenen Hauptmanns Befehle wieder. – Ihr könnt es auch nicht als Mann, denn eine Frau, eine verlorene, hart bedrängte Frau fleht Euch um Hilfe an – Ihr dürft's auch nicht als Engländer, denn Euer Vaterland verlangt Euer Schwert, und Eure Kameraden sind in Gefahr. – Laßt also das Banner wehen, und nun vorwärts!«

»Bei meiner Seele, ich möchte es gerne tun, schöne Lady!« antwortete Genvil und tat, als wickle er schon das Banner auf, »auch Amelot könnte uns schon genug anführen, wenn er sich von mir unterweisen ließe; aber ich weiß nicht, ob Ihr uns da auf den rechten Weg schickt.«

»Gewiß! Gewiß!« rief Eveline zuversichtlich, »der rechte Weg ist der, der Euch zur Befreiung Wenlocks und der Seinigen führt, die von den rebellischen Bauern belagert werden.« »Das ist mir nicht ganz klar,« sagte Genvil, noch immer zögernd, »unser Anführer hier, Sir Damian de Lacy, beschützt das Volk, einige sagen, er begünstigt sie sogar. Auch weiß ich, daß er einmal mit Wild Wenlock in Streit geriet über eine kleine Beleidigung, die jener der Frau des Müllers von Twinford zufügte. Wir werden schön wegkommen, wenn unser feuriger junger Anführer wieder auf den Beinen ist und erfährt, daß wir gegen die Partei kämpften, die er in Schutz nahm.«

»Seid überzeugt,« sagte das besorgte Fräulein, »je mehr er den Bürgerstand gegen Unterdrückung beschützt, desto mehr würde er gegen ihn auftreten, wenn die Bürger wieder andere unterdrücken wollten. – Steig auf und reite – rette Wenlock und seine Mannen – jeder Augenblick entscheidet über Tod und Leben! – Ich will mit meinem Leben und Lande mich verbürgen, daß, was Ihr hier tut, de Lacy als guten Dienst aufnehmen wird. – Auf denn, folgt mir!«

»Niemand kann sicherlich Sir Damians Absichten besser kennen als Ihr, schönes Fräulein,« antwortete Genvil. »Ja, auch hierin könnt Ihr ihn umstimmen, wie Ihr Lust habt. – So will ich denn mit den Leuten aufbrechen und dem Wenlock helfen, wenn es noch Zeit ist, wie ich's wohl hoffe; denn er ist ein wilder Eber, und wenn er sich wehrt, wird es die Bauern Blut genug kosten, ehe sie ins Horn blasen. – Aber bleibt Ihr in der Burg, schöne Lady! und verlaßt Euch auf Amelot und mich. – Komm, Herr Page, übernimm das Kommando, da es sein muß; wiewohl es, meiner Treu! schade ist, den Helm von dem schönen Kopf und das Schwert aus der schönen Hand zu nehmen. Beim heiligen Georg! Die Waffen da zu erblicken, gibt dem Soldatenhandwerk ein wahres Ansehen.«

Die Lady übergab demnach dem Amelot die Waffen und ermahnte ihn mit wenigen Worten, die zugefügte Beleidigung zu vergessen und männlich seine Pflicht zu tun. Indessen rollte Genvil langsam seine Fahne auf, dann warf er sie aus, und ohne den Fuß in den Steigbügel zu setzen, half er sich nur ein wenig mit der Lanze und schwang sich in den Sattel, so schwer bewaffnet er war. »Wenn es Euer Jugendlichkeit gefällig ist,« sagte er zu Amelot, und während der Page den Haufen in Reih und Glied stellte, flüsterte er seinem nächsten Kameraden zu: »Ich meine, weit herrlicher wär's, wenn uns statt dieses Burschen im alten Kittel das hübsche Weib im gestickten Gewand anführte – es geht nichts über einen verbrämten Weiberrock. – Sieh einmal, Stephen Pontoys – ich kann es jetzt dem Damian vergeben, daß er seinen Oheim und seinen eigenen guten Ruf über dieser Dirne vergißt; denn bei meiner Treu, das ist so eine, in die ich bis auf den Tod vernarrt sein könnte, versteht sich, so par amours. – Mögen die Weiber zum Kuckuck fahren! – Sie beherrschen uns, Stephan, bei jeder Gelegenheit und in jedem Alter. Sind sie jung, dann locken sie uns mit freundlichen Blicken und gezuckerten Worten und süßen Küssen und Liebespfändern; sind sie in mittleren Jahren, so machen sie uns willfährig durch Geschenke und Artigkeiten, roten Wein und rotes Gold; und wenn sie alt sind, so besorgen wir ihnen nur zu gern alle Aufträge, um nur ihre alten ledernen Gesichter loszuwerden. – Wohl hätte der alte de Lacy zu Hause bleiben sollen, seinen Falken zu bewachen. Aber uns, Stephan, kann das alles gleich sein, und wir können heute vielleicht Beute machen, denn diese Bauern haben mehr wie ein Schloß geplündert.«

»Ja, ja,« erwiderte Pontoys, »der Bauer geht auf Beute, damit der Soldat sie ihm abnimmt, ein recht kräftiges Sprichwort. Aber, ich bitte Dich, kannst Du mir nicht sagen, warum der Herr Page uns noch nicht abführt?«

»Pah!« antwortete Genvil, »der Stoß, den ich ihm gab, hat sein Gehirn ausgeleert – oder vielleicht hat er noch nicht alle seine Tränen hinabgeschluckt – denn sonst ist es ein vorschnelles Hähnchen für seine Jahre, wo es gilt, Ehre zu gewinnen. – Sieh! jetzt setzen sie sich in Bewegung. – Es ist doch ein sonderbares Ding, Stephen, dieses edle Blut; ein Kind, das ich eben zurechtgesetzt habe wie einen Schulknaben, muß nun uns Graubärte hinführen, wo es uns den Kopf kosten kann, und das auf Befehl einer muntern Lady.«

»Ich wette, Sir Damian ist Geheimschreiber bei meiner feinen Lady,« antwortete Stephen Pontoys, »so wie der Springinsfeld Amelot es bei Sir Damian ist; und so müssen wir armen Leute gehorchen und den Mund halten.«

»Aber dabei die Augen aufmachen, Stephen Pontoys, vergiß das nicht.«

Jetzt war man außerhalb der Tore des Schlosses und hatte den Weg nach dem Dorfe eingeschlagen, in welchem, nach der am Morgen erhaltenen Nachricht, Wenlock von einer überwiegenden Zahl der Rebellen belagert wurde. Amelot ritt an der Spitze der Schar, noch immer verdrossen über die in Gegenwart der Krieger empfangene Beleidigung und in Gedanken verloren, von wem er sich in seiner Unkenntnis sollte raten und helfen lassen. Früher hatte der Fahnenträger dies getan, und nun schämte er sich, eine Versöhnung mit ihm zu suchen. Aber Genvil, wiewohl stets ein Murrkopf, war nicht von Natur tückisch. Er ritt zu dem Pagen heran, machte ihm eine Verbeugung und fragte ihn mit allem Respekt, ob es nicht gut getan wäre, wenn einige ihrer am besten berittenen Leute vorauszögen, um auszukundschaften, wie es mit Wenlock stünde und ob es noch Zeit wäre, ihm Beistand zu leisten.

»Mich dünkt, Fahnenträger,« erwiderte Amelot, »Ihr solltet die Führung des Zuges übernehmen, da Ihr genau wißt, was zu tun ist. Ihr mögt um so besser zum Befehlen taugen, weil Ihr – doch will ich Euch keinen Vorwurf machen.«

»Weil ich so schlecht zu gehorchen weiß,« erwiderte Genvil, »das wollt Ihr sagen. Und meiner Treu, ich leugne es nicht, etwas Wahres steckt darin. Aber wir wollen eines närrischen Wortes oder einer übereilten Handlung wegen keine dummen Streiche machen. – Komm, laß Frieden unter uns sein!«

»Von ganzem Herzen!« erwiderte Amelot, »ich will sogleich einige Leute vorausschicken, wie Du mir geraten hast.«

»Nimm den alten Stephen Pontoys mit zwei von den Chester Speeren dazu. – Er ist so schlau wie ein alter Fuchs, und weder Hoffnung noch Furcht bringt ihn um eines Haares Breite weiter, als sein Scharfsinn gut heißt.«

Amelot befolgte den Wink, und auf seinen Befehl sprengten Pontoys und zwei Lanzen voraus, den Weg zu untersuchen und die Lage derer auszukundschaften, zu deren Hilfe sie heranrückten. »Jetzt, da wir auf dem alten Fuße stehen, Herr Page,« sagte der Fahnenträger, »sage mir, wenn Du es kannst, liebt nicht jene schöne Lady unsern artigen Ritter ›par amours'‹

»Das ist eine schändliche Verleumdung!« rief Amemlot voll Unwillen. »Seinem Oheim ist sie verlobt, und ich bin überzeugt, sie würde eher sterben, als einen solchen Gedanken hegen, und so auch mein Herr. Ich habe schon früher diesen ketzerischen Glauben bei Dir wahrgenommen, Genvil, und ich bat Dich, ihn zu verdammen. Du weißt ja auch, es kann nicht sein, denn Du weißt, daß sie fast gar nicht zusammenkommen.«

»Wie sollte ich das wissen?« sagte Genvil, »und wie solltest Du es wissen? – Bewache sie auch noch so streng – viel Wasser schleicht durch die Mühle, das Müller Hob nicht gewahr wird. – Sie schreiben sich, das kannst Du nicht leugnen.« »Ich leugne es,« sagte Amelot, »so wie ich alles leugne, was ihre Ehre antastet!« – »Doch wie in des Himmels Namen erlangt er eine so genaue Kenntnis von allem, was sie beginnt? Erst heute morgen haben wir ein Beispiel dafür erlebt.«

»Wie soll ich das erklären?« antwortete der Page. »Es gibt doch gewiß solche Wesen, die wir Heilige und gute Engel nennen, und lebt eines auf Erden, das ihres Schutzes würdig ist, so ist es Eveline Berenger.«

»Wohl gesagt, Herr Geheimnisbewahrer,« erwiderte Genvil lachend, »aber das geht bei einem alten Reitersmann nicht durch. Heilige und Engel! Wahrhaftig! Ein sehr heiliges Treiben!«

Der Page wollte seine Verteidigung fortsetzen, als Stephan Plontoys mit seinen Begleitern zurückkehrte. »Wenlock wehrt sich tapfer,« rief er aus, »obgleich ihn diese Bauern grausam in den Klauen haben! Die großen Armbrüste tun gute Dienste, und ich zweifle nicht, er wird sich halten können, wenn es Euch nur gefällig ist, etwas scharf zuzureiten. Sie haben die Barrieren gestürmt und hatten eben von neuem angegriffen, wurden aber wieder zurückgetrieben.«

Die Schar ritt nun rascher weiter, und so erreichte man bald den Gipfel einer kleinen Anhöhe, an deren Fuß das Dorf lag, wo Wenlock sich verteidigen mußte. Die Luft hallte von Geschrei und dem Jubel der Aufrührer wider, die so zahlreich wie Bienen, mit dem verbissenen Mute, der dem Engländer eigentümlich ist, die Palisaden umschwärmten und sich bemühten, sie niederzureißen oder hinüberzuklettern, trotz des heftigen Hagels von Pfeilen und Steinen, durch den sie fast ebenso große Verluste erlitten wie durch die Schwerter und Streitäxte dort, wo es zum Handgemenge kam.

»Wir kommen zur Zeit! wir kommen zur Zeit!« rief Amelot, ließ die Zügel fallen und schlug fröhlich in die Hände. – »Schwinge Dein Banner in die Luft, Genvil – laß es recht sichtbar wehen vor Wenlock und seinen Leuten. Kameraden! Halt! laßt Eure Rosse einen Augenblick verschnaufen. – Höre doch einmal, Genvil, wenn wir auf jenem breiten Fußweg uns auf die Wiese hinabzögen, wo dort das Vieh ist.«

»Bravo! mein junger Falke!« antwortete Genvil, dessen Liebe zur Schlacht angesichts der Spieße und beim Schall der Trompete aufflammte. »Das gibt uns ein freies Feld zum Angriff auf jene Buben.«

»Was für eine dicke, schwarze Wolke die Schufte machen!« sagte Amelot, »aber wir wollen das Tageslicht hineinbringen mit unsern Lanzen. – Sieh, Genvil, die Belagerten ziehen eine Flagge auf, um uns zu zeigen, daß sie uns gesehen haben.«

»Für uns ein Zeichen!« rief Genvil aus. – »Beim Himmel, es ist die weiße Flagge – das Zeichen der Uebergabe.

»Uebergabe! Das werden sie sich doch nicht einfallen lassen, da wir zur Hilfe kommen,« erwiderte Amelot, als zwei oder drei Trauertöne aus den Trompeten der Belagerten mit einem donnernden, lärmenden Jubelruf der Belagerten zusammenklangen und kein Zweifel mehr möglich war.

»Wenlocks Fahne sinkt,« sagte Genvil, »und die Bauern dringen von allen Seiten in die Verschanzungen ein. Feigheit oder Verräterei ist das. Was ist nun zu tun?« – »Auf sie anrücken!« sagte Amelot, »den Platz wiedernehmen und die Gefangenen befreien.

»Anrücken? Wirklich?« antwortete der Fahnenträger, »nach meinem Rat gehen wir nicht um eines Pferdes Länge weiter. Soviel Nagel in unserm Küraß sind, soviel Bogenschüsse bekommen wir, ehe wir noch den Hügel hinabgeritten sind. Und nachher den Platz stürmen – es wäre wahrer Unsinn!«

»So komm doch ein wenig weiter mit mir vor,« sagte der Page, »wir finden vielleicht einen Weg auf, wo wir ungesehen hinabkommen können.«

Demzufolge ritten sie ein klein wenig vorwärts, um den vordern Abhang des Hügels zu untersuchen, indem der Page noch immer an die Möglichkeit glaubte, mitten im Tumult hinunterzukommen, als Genvil ungeduldig antwortete: »Unbemerkt! – Ihr seid schon bemerkt worden – dort kommt ein Geselle, so schnell sein Pferd nur traben kann, auf uns zu.«

Indem er noch so sprach, hatte sie der Reiter schon erreicht. Er war ein kleiner, untersetzter, dicker Bauer, in ganz gemeiner Jacke und Hose von Fries, eine blaue Mütze auf dem Kopfe, die er tief über die buschigen roten Haare gezogen hatte. Seine Hände waren voll Blut, und an seinem Sattelbogen hing ein leinener Sack, gleichfalls mit Blut befleckt. »Ihr gehört zu Damian de Lacys Haufen, nicht wahr?« sagte der rohe Bote, und als sie die Frage bejahten, fuhr er mit derselben plumpen Höflichkeit fort, »Hob, der Müller von Twinford, empfiehlt sich dem Damian de Lacy, und da er dessen Absicht kennt, die Unordnung im Gemeinwesen zu verbessern, so schickt er ihm hier Zoll von der Grütze, die er gemahlen hat,« und hiermit nahm er aus dem Sacke ein menschliches Haupt – und hielt es dem Amelot hin. »Es ist Wenlocks Haupt,« sagte Genvil, – »wie seine Augen starren!«

»Sie werden nicht mehr nach Weibern starren,« sagte der Bauer. »Ich habe ihm das Gelüst versalzen.« – »Du?« rief Amelot entsetzt.

»Ja, ich selbst,« erwiderte der Bauer, »ich bin Groß-Justitiarius der Gemeinden in Ermangelung eines Bessern.«

»Groß-Henker willst Du sagen,« erwiderte Genvil.

»Nennt es so, wie Ihr wollt,« erwiderte der Bauer, »wahrlich, es geziemt sich doch für Männer im Staate, ein gutes Beispiel zu geben. Ich heiße keinem Menschen was tun, was ich nicht auch bereit bin zu tun. Es ist ebenso leicht einen Menschen selbst aufzuhängen, als zu sagen, hängt ihn auf! Es soll keine Trennung der Aemter stattfinden in der neuen Welt, die jetzt glücklicherweise in Altengland erschaffen wird.«

»Elender!« rief Amelot, »trage dieses blutige Geschenk dem zurück, der Dich geschickt hat. Wärst Du nicht auf gutes Vertrauen gekommen, ich hätte Dich mit meiner Lanze an die Erde genagelt. – Aber seid versichert, Eure Grausamkeit soll furchtbar vergolten werden. – Komm, Genvil, laß uns zu unsern Leuten zurückkehren; unser Weilen kann hier zu nichts weiter dienen.«

Der Kerl, der einen ganz andern Empfang erwartet hatte, starrte ihnen einige Augenblicke nach, dann steckte er seine blutige Trophäe wieder in den Sack und ritt zurück zu denen, die ihn abgesandt hatten.

»Das kommt davon, wenn man sich in Liebeleien mischt,« sagte Genvil. »Da mußte sich Sir Damian mit Wenlock zanken, weil jener mit der Frau des Müllers was vorgehabt hat, und nun glauben die Bauern steif und fest, unser Herr sei auf ihrer Seite. Es wäre noch alles gut, wenn nicht andere dieselbe Meinung hätten. – Ich wollte, wir wären aus all der Verwirrung hinaus, die einen solchen Verdacht uns auf den Hals ladet – ja, und sollte ich mein bestes Pferd darum geben – ich kann es ohnedies leicht in dem harten Dienst verlieren, und ich wünschte, das wäre noch das Schlimmste, was es uns kosten kann.«

Mißmutig und ermüdet kehrten sie zur Burg von Garde Douloureuse zurück, und nicht ganz ohne Verlust, indem einige hin und wieder zerstreut zurückblieben, da die Pferde müde wurden, andere wieder diese Gelegenheit benutzten, zu den Banden der Aufrührer und Plünderer überzulaufen, die sich jetzt in verschiedenen Gegenden sammelten und durch solche liederlichen Ausreißer verstärkt wurden. Amelot fand bei seiner Rückkehr in das Schloß, daß der Zustand seines Herrn noch immer sehr bedenklich war, und daß Lady Eveline, obgleich schon sehr erschöpft, sich noch nicht zur Ruhe begeben hatte, sondern seine Rücklehr mit Ungeduld erwartete. Ihrem Befehl gemäß, wurde er sogleich zu ihr geführt, und mit schwerem Herzen berichtete er ihr den fruchtlosen Ausgang seines Unternehmens.

»So mögen die Heiligen sich unser erbarmen!« sagte Lady Eveline. »Es scheint, als sei ich mit einer Seuche oder Pest behaftet, die alle die befalle, die sich meine Wohlfahrt angelegen sein lassen. Von dem Augenblick an, wo sie das tun, werden selbst ihre Tugenden für sie Fallstricke, und was in jedem andern Falle ihnen Ehre erwerben würde, bringt den Freunden Eveline Berengers Verderben.«

»Fürchtet nichts, schöne Lady,« sagte Amelot. »Es gibt noch Männer genug in meines Herrn Lager, diese Störer der öffentlichen Ruhe zu unterdrücken. Ich will mich nur so lange verweilen, bis ich seine Befehle vernommen habe, und dann will ich morgen fort und eine hinreichende Macht zusammenziehen, um die Ruhe in diesem Teile des Landes wiederherzustellen.«

»Ach, Ihr kennt doch das Schlimmste noch nicht,« erwiderte Eveline. »Seit Ihr fortzogt, erhielten wir Kunde, daß alle Soldaten in Sir Damians Lager schon längst des untätigen Lebens überdrüssig wären, das sie in letzter Zeit hier führen mußten. Durch die Nachricht von der Verwundung, ja vom Tode ihres Anführers völlig mutlos gemacht, hätten sie nun samt und sonders sich aufgemacht und wären verschwunden. Doch sei guten Mutes, Amelot!« sagte sie, »dies Haus ist fest genug, einen noch schwereren Sturm auszuhalten, und wenn alle Menschen Euren Herrn in Wunden verlassen, so ist es um so mehr die Sache Eveline Berengers, ihren Befreier zu pflegen und zu beschützen.«

Zwölftes Kapitel

Die schlimmen Nachrichten, mit denen das letzte Kapitel schloß, mußten wohl oder übel Damian de Lacy überbracht werden, da sie ihn hauptsächlich angingen. Lady Eveline selbst übernahm es, sie ihm mitzuteilen, und was sie sagte, vermischte sie mit Tränen, und wiederum unterbrach sie diese Tränen um Worte der Hoffnung und des Trostes zu sprechen, an die sie freilich selbst kaum glauben mochte.

Der verwundete Ritter ließ die Augen unverwandt auf ihr ruhen und hörte die unselige Zeitung an, wie einer, den sie nur insoweit rührte, wie sie diejenige betraf, aus deren Munde er sie vernahm. Als sie geendet hatte, fuhr er fort, sie wie im Traume unverwandt anzusehen, so daß sie aufstand, um diesen Blicken zu entgehen, die sie in Verwirrung setzten. Da beeilte er sich, ihr zu antworten, um sie noch zurückzuhalten. »Was Ihr mir da gesagt habt, schöne Lady,« erwiderte er, »wäre aus jedem Munde hinreichend, mir das Herz zu brechen, denn es lehrt mich, daß die Macht und Ehre meines Hauses, die meinem Schutze so feierlich anvertraut wurden, infolge meines Unglücks verloren gegangen find. Aber wenn ich Euch sehe und Eure Stimme höre, so vergesse ich alles andere, nur das nicht, daß Ihr gerettet und hier in Ehre und Sicherheit seid. Eure Güte gewähre mir also die Bitte, mich von dem Schlosse, das Ihr bewohnt, irgend anderswohin bringen zu lassen. Ich bin in keiner Weise Eurer fernern Sorge würdig, da mir nicht länger die Schwerter anderer zu Gebote stehen und ich gegenwärtig durchaus unfähig bin, das meinige zu ziehen.«

»Und wenn Ihr großmütig genug seid, nur an mich bei Eurem Unglück zu denken, edler Ritter,« antwortete Eveline, »glaubt Ihr denn, daß ich vergessen könnte, weswegen und bei wessen Errettung ihr diese Wunden empfingt? –Nein, Damian, sprecht nicht davon, daß ich Euch soll fortschaffen lassen. – Solange noch ein Türmchen von Garde Douloureuse steht, solange sollt Ihr in diesem Türmchen Obdach und Schutz finden. Dies würde, ich bin davon überzeugt, auch der Wille Eures Oheims sein, wäre er hier.«

Es schien, als ob Damian einen plötzlichen Schmerz an seinen Wunden fühlte; denn die Worte wiederholend: »Mein Oheim!« kehrte er sich ganz um und wandte sein Gesicht von Evelinen ab; dann faßte er sich wieder und sprach: »Ach! wüßte mein Oheim, wie schlecht ich seinen Befehlen nachgekommen bin, er würde mich, statt mir den Schutz dieses Hauses zu gewähren, von den Zinnen hinabwerfen lassen!«

»Fürchtet seine Unzufriedenheit nicht,« sagte Eveline, wiederum im Begriff hinauszugehen, »bemüht Euch vielmehr, durch ruhige Fassung Eures Gemütes die Heilung Eurer Wunden zu fördern; dann zweifle ich nicht, werdet Ihr imstande sein, die Ordnung im Gebiet des Connetables wiederherzustellen, noch lange vor seiner Rückkehr.«

Sie errötete, als sie die letzten Worte aussprach, und verließ eilig das Zimmer. Als sie in ihre Kammer gelangt war, entließ sie ihre andern Dienerinnen und behielt nur Rose bei sich. »Was denkst Du von all dem, mein kluges Mädchen, meine Ermahnerin?« sagte sie.

»Ich wollte,« sagte Rose, »dieser junge Ritter hätte nie das Schloß betreten – aber, da er einmal hier ist, er verließe es jetzt gleich – oder er könnte mit Ehren für immer hier bleiben!«

»Was verstehst Du unter dem Hierbleiben für immer?« fragte Eveline scharf und schnell.

»Laßt mich diese Frage mit einer andern beantworten. – Wie lange ist jetzt der Connetable von Chester von England abwesend?«

»Drei Jahre auf den St. Klemenstag,« sagte Eveline. – »Was soll das hier?«

»Nun, nichts als –«

»Als was? – Ich will's, sprich aus!«

»In wenigen Wochen werdet Ihr das Recht haben, über Eure Hand zu verfügen.«

»Und denkst Du, Rose,« antwortete Eveline und erhob sich mit Würde, »daß es keine andern Bande gibt, als die, welche des Schreibers Feder aufsetzt? – Nur wenig wissen wir von des Connetables Schicksalen; doch wir wissen genug, um zu erraten, daß seine hochfliegenden Hoffnungen gescheitert und sein Schwert und sein Mut zu schwach gewesen sind, das Glück des Sultans Saladin zu ändern. Setze den Fall, er kehrte binnen kurzem zurück, aber, wie wir viele Kreuzfahrer zurückkommen sahen, arm und mit geschwächter Gesundheit – setze den Fall, er fände seine Güter verwüstet, seine Krieger durch die letzten Ereignisse zerstreut: wie würde es klingen, sollte er auch seine verlobte Braut als Gattin eines andern finden, als Frau seines Neffen, dem er am meisten vertraute? – Glaubst Du, ein solches Versprechen sei dem Pfande in der Hand eines Lombarden zu vergleichen, das auf Tag und Stunde eingelöst werden muß, oder es ist verfallen?«

»Ich kann nichts weiter sagen, Mylady,« erwiderte Rose, »als daß die, welche sich an den Buchstaben ihres Vertrags halten, in unserm Lande darüber hinaus nicht gebunden sind.«

»Das ist eine flämländische Sitte, Rose,« sagte ihre Gebieterin, »aber die Ehre eines Normanns begnügt sich nicht mit einer so engbegrenzten Pflichterfüllung. Wie? wolltest Du, daß meine Ehre, meine Neigung, meine Pflicht, alles, was für eine Frau Wert hat, von eben der Fortschreitung des Kalenders abhängen soll, auf die der Wucherer beständig sein Auge hat, um sich eines verfallenen Pfandes zu bemächtigen? – Bin ich nur eine Ware, daß ich dem einen gehören muß, wenn er vor Michaelis sein Anrecht geltend macht, – und dem andern, wenn jener zu spät hervortritt? – Nein, Rose! So legte ich mein Versprechen nicht aus, geheiligt, wie es war, durch die besondere Führung Unserer Frau von Garde Douloureuse.«

»Das Gefühl ist Euer wert, meine teuerste Lady,« antwortete ihre Dienerin. »Aber Ihr seid noch so jung – so von Gefahren umgeben – so der Verleumdung bloßgestellt – daß ich allein deshalb gern auf die Zeit hinblicke, wo Ihr einen gesetzlichen Gefährten und Beschirmer habt, weil ich das als das einzige Mittel ansehe, Euch aus Zweifeln und Gefahren zu befreien.« »Denke daran nicht, Rose!« antwortete Eveline. »Setze Deine Gebieterin nicht mit den vorsichtigen Damen in eine Klasse, die, während der erste Gatte noch lebt, wiewohl alt und krank, sich klüglich damit beschäftigen, eine Verbindung mit einem andern anzuzetteln.«

»Etwas wohl, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »doch nicht ganz so. – Erlaubt mir nur noch ein Wort! Da Ihr entschlossen seid, Euch Eurer Freiheit nicht zu bedienen, selbst wenn die Zeit Eurer Verpflichtung abgelaufen ist, warum gestattet Ihr, daß dieser junge Mann unsere Einsamkeit teilt? – Er ist gewiß gesund genug, um nach einem andern sichern Ort gebracht zu weiden. Laßt uns unsere frühere abgeschlossene Lebensweise wieder annehmen, bis uns die Vorsehung bessere oder wenigstens sichrere Aussichten gewährt.«

Eveline seufzte – blickte nieder – dann das Auge erhebend, öffnete sie noch einmal ihre Lippen, um ihre Bereitwilligkeit zu einem solchen vernünftigen Vorschlage zu erklären, als ein scharfer Trompetenton, der vom Tore her erklang, sie unterbrach, und Raoul, mit Angstschweiß auf der Stirn hereingehinkt kam, seiner Lady anzukünden, daß ein Ritter und ein Wappenherold in des Königs Farben, begleitet von einer starken Mannschaft, vor dem Schlosse hielten und Einlaß im Namen des Königs begehrten.

Eveline schwieg einen Augenblick, ehe sie folgendes erwiderte: »Auch nicht auf des Königs Befehl soll das Schloß meiner Vorfahren geöffnet werden, bevor wir genau wissen, wer es fordert, und zu welchem Zwecke. Wir wollen selbst zum Tore, um zu vernehmen, was mit dieser Aufforderung gemeint sei. – Meinen Schleier, Rose – und rufe meine Frauen. – Noch einmal erschallt die Trompete – ach! sie tönt wie ein Zeichen des Todes und des Verderbens!«

Die prophetische Furcht Evelinens war nicht falsch. Denn kaum hatte sie die Türe ihres Zimmers erreicht, als ihr der Page Amelot voll Schreckens entgegenstürzte. Das Knie vor Evelinen beugend, rief er: »Lady, edle Lady, rettet meinen teuern Herrn! – Ihr, Ihr allein, könnt ihn in dieser äußersten Not erretten!«

»Ich?« rief Eveline mit höchstem Erstaunen. »Muß ich ihn retten, und von welcher Gefahr? – Gott weiß, wie gerne!«

Hier brach sie kurz ab, als scheue sie sich, die Worte, welche auf ihren Lippen schwebten, auszusprechen.

»Guy Monthermer, Lady, hält vor dem Tore mit einem Herold und dem königlichen Banner. Der Erbfeind des Hauses de Lacy in dieser Begleitung kommt zu nichts Gutem hierher. – Ich kenne nicht den ganzen Umfang des Unheils, aber zum Unheil kommt er. – Mein Herr erschlug seinen Neffen auf dem Schlachtfelde von Malpas, und deshalb –« – Ihn unterbrach ein neuer Trompetenstoß, der gellend die Ungeduld der draußen Harrenden durch die Gewölbe der alten Feste widerhallen ließ.

Lady Eveline eilte zum Tore. Dort standen die Wachen und andere Leute, und sahen einander mit angstvollen Gesichtern an. Alle richteten die Blicke auf sie, als ob sie bei ihrer Gebieterin den Trost und Mut finden wollten, den sie einander nicht mitteilen konnten. Vor dem Tore hielt zu Roß und in voller Rüstung ein ältlicher stattlicher Ritter, dessen aufgezogenes Visier einen schon ergrauenden Bart zeigte. Neben ihm befand sich der Herold zu Pferde; das königliche Wappen war als Stickerei auf seinem Amtskleide, das ganze Gewicht der beleidigten Amtswürde lag auf dem Gesicht, das von einem dichten Bart und einem dreifachen Federbusch beschattet war. Etwa fünfzig Soldaten unter dem Panier von England begleiteten ihn.

Als Lady Eveline an der Barriere erschien, fragte der Ritter nach einer leichten Verbeugung, die mehr äußere Höflichkeit als Freundlichkeit verriet, ob er die Tochter Raymond Berengers vor sich sehe. »Und,« fuhr er fort, als er eine bejahende Antwort erhalten hatte, »vor der Burg dieses bewährten und begünstigten Dieners vom Hause Anjou müssen König Heinrichs Trompeten dreimal ertönen, ohne daß die Bevollmächtigten des Herrschers Einlaß erhalten?« »Meine Lage,« entgegnete Eveline, »muß meine Vorsicht entschuldigen. Ich bin ein einsames Mädchen und wohne in einer Grenzfestung. Ich kann niemand einlassen, ohne nach seiner Absicht zu fragen, und muß erst gewiß sein, daß ich den Betreffenden einlassen kann, ohne die Sicherheit des Platzes und meine eigene Ehre zu gefährden.«

»Da Ihr gar so ängstlich seid, Lady,« erwiderte Monthermer, »so vernehmt, daß bei dem gegenwärtig zerrütteten Zustand dieser Landschaft es Sr. Gnaden des Königs Wille ist, eine Truppenabteilung in Eure Festung zu legen, die dieses wichtige Schloß sowohl vor den rebellischen Bauern zu schützen vermag, als auch vor den Wallisern, die, wie zu erwarten ist, über die Grenzen einbrechen werden, da sie dies in unruhigen Zeiten stets getan haben. Oeffnet Euer Tor, Lady von Berenger, und laßt Seiner Hoheit Truppen ins Schloß hinein!«

»Herr Ritter,« entgegnete die Lady, »die Burg, wie jede andere Festung in England, gehört gesetzlich dem Könige; aber gesetzlich bin auch ich deren Inhaber und Verteidiger. So besagt es die Lehnspflicht, nach der meine Vorfahren diese Länder zum Besitz erhielten. Ich habe Leute genug, Garde Douloureuse zu meiner Zeit zu halten, wie mein Vater und mein Großvater vor ihm es zu ihrer Zeit verteidigten. Der König ist zu gnädig, mir Hilfe zu schicken; aber ich habe die Hilfe von Mietlingen nicht nötig. Auch halte ich es nicht für sicher, solche Leute in mein Schloß zu lassen, die in dieser gesetzlosen Zeit sich selbst leicht zu gunsten eines andern und nicht der gesetzlichen Gebieterin zu Herren der Burg machen könnten.«

»Lady,« erwiderte der alte Krieger, »der König kennt die Gründe sehr wohl, weshalb Ihr Euch ihm widersetzt. Es ist nicht die Furcht vor den königlichen Truppen, die Euch, eine Vasallin des Königs, zu so halsstarrigem Benehmen veranlaßt. Ich könnte auf Eure Weigerung hin sogleich vorgehen und Euch als eine Verräterin gegen die Krone ausrufen; doch der König erinnert sich der Verdienste Eures Vaters. So wißt denn, es ist uns nicht unbekannt, daß Damian de Lacy, der beschuldigt ist, den Aufstand angeregt und angeführt, seine Pflicht im Felde verlassen und einen edlen Streitgenossen dem Schwerte der unbarmherzigen Bauern preisgegeben zu haben, unter Eurem Dach Schutz gefunden hat, was Eurer Treue als Vasallin und Eurer Aufführung als edelgeborene Jungfrau wenig Ehre macht. Liefert ihn uns aus, so will ich diese Bewaffneten abführen und Euch, ob ich es gleich kaum verantworten kann, von der Besetzung des Schlosses freisprechen.«

»Guy de Monthermer,« antwortete Eveline, »wer einen Flecken auf meinen Namen wirft, spricht falsch und unwürdig; was Damian de Lacy anbetrifft, so wird er selbst seinen guten Namen zu verteidigen wissen. Nur das eine laßt mich sagen, daß solange er im Schlosse der Verlobten seines Verwandten weilt, diese ihn keinem ausliefert, am wenigsten seinem wohlbekannten Feinde. – Laßt das Fallgitter nieder, Leute, und daß es nicht aufgezogen werde, ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«

Als sie noch sprach, fiel das Fallgitter schwirrend und rasselnd auf den Boden, und Monthermer, beschämt und voll Ingrimms, mußte draußen bleiben. »Unwürdige Lady,« begann er mit Heftigkeit, dann aber an sich haltend, sagte er ruhig zu dem Herold: »Ihr seid Zeuge, daß sie den Verräter in das Schloß gelassen hat – Ihr seid Zeuge, daß, gesetzlich aufgefordert, Eveline Berenger sich weigert, ihn auszuliefern. Nun tut Eure Pflicht, Herr Herold, nach üblichem Gebrauch!«

Der Herold trat vor und verkündete in der bei solchen Gelegenheiten üblichen Form und Sprache, daß Eveline Berenger, nachdem sie dazu gesetzlich aufgefordert worden, sich geweigert habe, des Königs Truppen in ihre Burg einzulassen und den Leib eines falschen Verräters, genannt Damian de Lacy, auszuliefern, selbst der Strafe des Hochverrats verfallen sei, und mit ihr alle diejenigen, die ihr Hilfe oder Vorschub leisteten oder das Schloß Garde Douloureuse verteidigten. Wer also täte, sei des Treubruchs gegen Heinrich von Anjou schuldig. Sobald die Stimme des Herolds schwieg, bestätigten die Trompeten das Urteil, das er ausgesprochen hatte, durch ein langes, Unheil weissagendes Geschmetter, so daß die Raben und Eulen entsetzt aus ihren Nestern flatterten und mit ahnungsvollem Gekrächz antworteten.

Die Verteidiger des Schlosses sahen einander mit bleichen, niedergeschlagenen Gesichtern an, während Monthermer, hoch seine Lanze hebend, indem er sein Pferd vom Tore abwandte, rief: »Wenn ich nächstens mich Garde Douloureuse nähere, so geschieht es nicht bloß, um den Befehl meines Souveräns zu verkünden, sondern auch, ihn auszuführen.«

Während Eveline noch gedankenvoll dastand und, dem Rückzuge Monthermers und seiner Begleiter nachschauend, erwog, was in dieser dringenden Not zu tun sei, hörte sie einen Flamländer einen Engländer, der neben ihm stand, fragen, was eigentlich ein Verräter sei?

»Wenn einer die Treue, auf die man sich verläßt, bricht – so ist er ein Verräter.«

Diese Worte erinnerten Eveline an ihren prophetischen Traum, »Ach!« sagte sie, »die Rache des bösen Geistes ist der Vollendung nahe. Als Gattin – Witwe, und als Jungfrau! – Schon lange gehören mir diese Benennungen. – Verlobt! – Wehe mir! Es war der Schlußstein meines Unglücks. – Zur Verräterin bin ich jetzt erklärt, wiewohl ich, Gott sei Dank, von aller Schuld frei bin. – Nur eins ist übrig: daß ich verraten werde – und diese böse Prophezeiung wird bis auf den letzten Buchstaben erfüllt sein!«

Dreizehntes Kapitel

Mehr als drei Monate waren seit dem im letzten Kapitel erzählten Ereignis vergangen, doch war dies nur der Vorläufer von andern, noch wichtigern Begebenheiten gewesen, die sich im Verfolg unserer Erzählung entwickeln werden. Da wir aber nicht gesonnen sind, dem Leser einen genauen, ausführlichen Bericht von allen Umständen nach Folge und Datum zu geben, sondern nur eine Reihe von Gemälden, die die ergreifendsten Vorfälle dem Auge oder der Einbildungskraft derer, die daran teilnehmen, vorstellen sollen; so eröffnen wir jetzt eine neue Szene und bringen andere Schauspiele auf die Bühne.

Durch eine sehr verwüstete Gegend, mehr als zwölf Meilen von Garde Douloureuse entfernt, in der Hitze eines Sommernachmittags, wo die Sonne ihre sengenden Strahlen in das schweigende Tal und auf die schwarzen Trümmer der Hütten warf, die es einst schmückten, wanderten langsam zwei Reisende. An ihrer Kleidung, dem Stab, den breitkrempigen Hüten, die vorn mit einer Jakobsmuschel geziert waren, und vor allem an dem Kreuz von rotem Zeuge auf der Schulter erkannte man zwei Pilgrime, die ihr Gelübde erfüllt hatten und jetzt von dem verhängnisvollen Lande zurückgekehrt waren, aus dem in jenen Tagen so wenige von den Tausenden heimkamen, die es aus Liebe zu Abenteuern oder aus heißer Andacht besuchten.

Die Pilgrime waren schon seit dem Morgen durch einen Schauplatz von Verwüstung gezogen, der an Elend kaum den Stätten des Schreckens nachstand, die sie in den Schlachten des Kreuzzuges betreten hatten. Sie hatten Dörfer gesehen, die die ganze Wut des Krieges gelitten zu haben schienen. Die Häuser waren bis auf den Grund niedergebrannt, und oft stießen sie auf Leichname der unglücklichen Bewohner oder auf verstümmelte Gliedmaßen, die man am Galgen oder an Bäumen aufgehängt hatte. Kein lebendiges Wesen ließ sich sehen, außer jenen natürlichen Freibürgern, den wilden Tieren, die stillschweigend den wieder verwüsteten Landstrich einnahmen, aus dem die Zivilisation sie früher vertrieben hatte. Ihren Ohren bot sich ebensowenig Erfreuliches dar wie ihren Blicken. Die in Gedanken verlorenen Reisenden hörten das Gekrächze der Raben, die gleichsam zu beklagen schienen, daß hier schon die Schlachtbank abgeräumt sei, an der sie geschwelgt hatten; oder sie hörten dann und wann das klagende Geheul eines Hundes, der Haus und Herrn verloren hatte; aber kein Geräusch des Gewerbes oder der häuslichen Arbeit war zu vernehmen.

Die schwarzen Gestalten, die mit müden Schritten über diesen Schauplatz der Verheerung und des Elends dahinwanderten, schienen mit ihrer Umgebung durchaus im Einklang zu stehen. Sie sprachen nicht miteinander – nur hielt sich der eine, der kleinere von beiden, immer einen halben Schritt vor seinem Gefährten – sie bewegten sich langsam wie Priester, die von eines Sünders Sterbebette kommen, oder noch besser wie Gespenster, die längs der Kirchhofsmauer hingleiten.

Endlich erreichten sie einen Rasenhügel, auf dessen Gipfel eines von den Grabmälern alter britischer Häuptlinge stand, die aus unaufgerichteten Granitblöcken bestehen und so gestellt sind, daß sie einen Sarg von Steinen oder etwas Aehnliches bilden. Das Grabmal war schon früher von den siegreichen Sachsen zerstört worden, entweder aus Spott oder aus eitler Neugier, oder weil man glaubte, daß bisweilen Schätze an diesen Stellen niedergelegt wären. Der gewaltige platte Stein, der erst die Decke dieses Sarges gewesen, lag in zwei Stücke zerbrochen in einiger Entfernung vom Grabmal, und diese Trümmer, überwachsen mit Schlingkräutern und Gras, zeigten deutlich, daß der Deckel schon seit vielen Jahren geborsten war. Ein verknorpelter Eichbaum breitete noch seine Zweige über das offene, rauhe Mausoleum, als ob der Druiden Wahrzeichen und Sinnbild, zwar schon erschüttert und vom Sturme gebrochen, sich darum noch immer darüber neigte, um seinen Schutz den letzten Ueberbleibseln ihrer Verehrung zu gewähren.

»Dies ist also der Kist-vaen,« sagte der kleinere Pilger, »hier müssen wir die Nachrichten von unserm Kundschafter erwarten. Aber, Philipp Guarine, welche Erklärung der Verwüstungen, durch die wir gegangen sind, steht uns bevor?«

»Ein Einfall der welschen Wölfe, Mylord!« erwiderte Guarine, »und bei Unserer Frau, hier liegt ein armes, sächsisches Schaf, das sie zerrissen haben!«

Der Connetable, denn er war der Pilger, der voranging, drehte sich bei diesen Worten nach seinem Squire um und sah den Leichnam eines Mannes im Grase, wo er so versteckt lag, daß er vorbeigegangen war, ohne das zu bemerken, was sein weniger in Gedanken versunkener Diener entdeckte. Das lederne Wams des Erschlagenen zeigte, daß er ein englischer Bauer gewesen, der Körper lag auf dem Gesichte, und die Ursache seines Todes, der Pfeil, steckte noch in seinem Rücken.

Philipp Guarine zog mit der kalten Gleichgiltigkeit eines Mannes, der an einen solchen Anblick gewöhnt ist, so gelassen den Pfeil aus des Menschen Rücken, wie er ihn aus dem Körper eines Hirsches gezogen hätte. Mit ähnlichem Gleichmut gab der Connetable dem Waffenträger einen Wink, ihm den Pfeil zu geben – er betrachtete ihn genauer und sagte dann: »Du hast Dein altes Handwerk vergessen, Guarine, wenn Du das einen welschen Pfeil nennst. Glaube mir, er flog von einem normännischen Bogen. Aber wie er in den Leib eines englischen Bauers kommt, kann ich schlecht erraten.«

»Irgend ein entlaufener Leibeigener, will ich wetten – irgend ein falschherziger Köter, der sich an die welschen Rudel von Hunden angeschlossen hat,« antwortete der Schildknappe.

»Es könnte wohl sein,« sagte der Connetable, »aber ich schließe vielmehr auf einen Bürgerkrieg zwischen den Bauern und den Markherren selbst. Die Walliser zerstören die Dörfer und lassen nichts wie Blut und Asche zurück, aber hier scheint man auch Schlosser gestürmt und genommen zu haben. Möge Gott uns gute Nachrichten von Garde Douloureuse senden!«

»Amen! erwiderte der Squire, »aber wenn Renault Vidal sie bringt, so ist es das erste Mal, daß er ein Vogel von guter Vorbedeutung ist.«

»Philipp,« sagte der Connetable, »ich habe Dir schon oft gesagt, Du bist ein eifersüchtiger Narr. Wie oft hat Vidal seine Treue in zweifelhaften Umständen – seine Geschicklichkeit in schwierigen Lagen – seinen Mut in der Schlacht – seine Geduld im Leiden gezeigt.«

»Das kann alles sehr wahr sein, Mylord,« erwiderte Guarine. »Dennoch – doch, was nützt das Reden? – ich gestehe, er hat Euch zuweilen sehr gute Dienste geleistet; aber nur ungern möchte ich Euer Leben und Eure Ehre in Renault Vidals Macht gegeben wissen.«

»Im Namen aller Heiligen, Du grämlicher und argwöhnischer Narr, was hast Du denn zu seinem Nachteil anzuführen?«

»Nichts, Mylord,« erwiderte Guariue, »als Verdacht und Abscheu aus Instinkt. Ein Kind, das eine Schlange sieht, weiß nichts von ihren üblen Eigenschaften, es wird ihr aber doch nicht nachstellen und sie haschen wie einen Schmetterling. So ist meine Abneigung gegen Vidal – ich kann mir nicht helfen. Ich könnte dem Menschen seine boshaften, düstern Seitenblicke, wenn er sich von niemand beobachtet glaubt, vergeben; aber sein höhnisches Lachen vergebe ich ihm nie; – er gleicht der Bestie, von der wir in Judäa hörten und die, wie man erzählt, erst lacht, dann zerreißt und umbringt.«

»Philipp,« sagte de Lacy, »ich bin betrübt Deinetwegen – betrübt von ganzer Seele, daß eine so vorherrschende, grundlose Eifersucht im Gehirn eines so wackeren, alten Kriegers sitzt. Um von früheren Proben seiner Treue zu schweigen – hat er sie nicht hier bei unserm letzten Unglück vollauf bewiesen, als wir an der Küste von Wales Schiffbruch erlitten und man uns augenblicklich den Tod gegeben hätte, wenn die Cymries in mir den Connetable von Chester und in Dir seinen treuen Schildknappen, der seine Befehle so manchesmal an den Wallisern vollstreckt hat, erkannt hätten?

»Ich gestehe es,« sagte Philipp Guarine, »der Tod wäre gewiß unser Los gewesen, wäre nicht dieser Mann auf den Einfall gekommen, uns für Pilgrime auszugeben, und hätte er nicht unsern Dolmetscher gespielt. Indem er uns zu dieser Verkleidung verhalf, entzog er uns aber auch alle Möglichkeit, uns von irgend jemand über die Lage der Dinge berichten zu lassen, während doch Ew. Herrlichkeit alles genau hätte erfahren müssen; denn wahrlich, schlimm genug sieht hier alles aus.«

»Noch immer bist Du ein Tor, Guarine,« sagte der Connetable, »denn sieh, hätte Vidal es übel mit uns gemeint, so hätte er uns den Wallisern verraten oder es doch so einrichten können, daß wir durch die Kenntnis ihrer Gaunersprache, so viel Du und ich davon wissen, uns selbst verrieten.«

»Gut, Mylord,« sagte Guarine, »Ich kann wohl zum Schweigen gebracht werden, aber ich bin doch nicht zufrieden gestellt. Trotz all der schönen Worte, die er reden kann – trotz all der schönen Weisen, die er singen kann – wird Renault Vidal in meinen Augen immer ein finsterer, verdächtiger Mann sein, dessen Gesichtszüge immer bereit sind, sich in die Form zu legen, die am besten Vertrauen zu erwecken vermag, dessen Zunge es versteht, zu einer Zeit die schmeichelhaftesten, angenehmsten Worte auszusprechen, zu einer andern verschmitzte Einfalt oder plumpe Ehrlichkeit zu äußern; dessen Auge aber, wenn er sich unbemerkt glaubt, jedem angenommenen Gesichtsausdruck, jeder Versicherung der Rechtlichkeit, jedem Worte der Höflichkeit und Herzlichkeit Hohn spricht. – Doch ich will über die Sache nicht mehr sprechen. – Ich bin ein alter Bullenbeißer von der echten Gattung – ich liebe meinen Herrn, aber ich kann einige von denen nicht ausstehen, die er begünstigt. – Aber dort, wie es mir scheint, kommt Vidal, um uns, wie ich vermute, nach Gutdünken über unsere Lage zu berichten.«

Wirklich erblickte man einen Reiter, der in Eile sich dem Kist-vaen näherte. An seiner Kleidung, die ein wenig an morgenländische Mode erinnerte, verbunden mit dem gewöhnlichen phantastischen Anzuge der Männer von seiner Profession, erkannte der Connetable in dem rasch näherkommenden Manne den Minstrel.

Obgleich Hugo de Lacy seinem Diener nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen glaubte, als seine Dienste es verlangten, wenn er ihn gegen den Argwohn Guarines verteidigte; so hatte er doch im Grunde seines Herzens zuweilen diesen Argwohn selbst gehegt und war als gerechter und rechtlicher Mann oft über sich selbst unwillig, daß er auf das schwache Zeugnis von Blicken oder gelegentlichen Ausdrücken hin seine Treue in Zweifel ziehen konnte, die sich durch so viele Beweise von Eifer und Unbescholtenheit bewährt hatte.

Als Vidal vom Pferde gestiegen war und herankam, um sich vor seinem Gebieter zu verneigen, eilte dieser, ihn mit freundlichen Worten zu begrüßen, als sei er sich bewußt, daß er Guarines ungerechtes Urteil gewissermaßen, schon indem er es anhörte, geteilt habe. »Willkommen, mein ehrlicher Vidal,« sagte er, »Du bist der Rabe gewesen, der uns in den Bergen von Wales gespeist hat, sei nun die Taube, die uns gute Nachrichten von den Grenzen bringt. – Du schweigst? – Was bedeuten diese niedergesenkten Blicke – dieses verlegene Betragen – diese in die Augen gedrückte Mütze? – Um Gottes willen, Mann! sprich! – Fürchte Dich nicht vor mir. – Ich kann Schlimmeres ertragen, als Menschen erzählen können. – Du hast mich in Palästinas Kriegen gesehen, als meine braven Streitgenossen fielen, Mann für Mann rings um mich her, und ich fast allein übrig blieb – und erblaßte ich damals? – Du sahst mich, als des Schiffes Kiel an dem Felsen zerkrachte und die Wellen schäumend über das Verdeck schlugen – erblaßte ich damals? – Nein, und auch jetzt werde ich es nicht.« –

»Rühmt Euch nicht!« sagte der Minstrel und blickte scharf den Connetable an, als dieser die Haltung und Fassung eines edlen Mannes annahm, der dem Schicksal und seiner äußersten Bosheit Trotz bietet. – »Rühme Dich nicht und trau Dir nicht mehr zu, als Du zu tragen vermagst!

Eine minutenlange Pause folgte, während die Gruppe ein eigentümliches Bild abgab. Der Connetable, der den Minstrel nicht zu fragen wagte und sich doch schämte, Furcht vor der schlimmen Kunde zu verraten, die er hören sollte, trat dem Boten gegenüber, hoch aufgerichtet, die Arme übereinander geschlagen, die Stirn frei und voll Entschlossenheit, während der Minstrel, seiner gewöhnlichen Ruhe und Gleichgültigkeit durch die Macht des Augenblicks entrissen, einen scharfen Blick auf seinen Gebieter heftete, als wollte er beobachten, ob sein Mut echt oder nur erkünstelt sei.

Philipp Guarine dagegen, dem der Himmel zwar ein rauhes Aeußere gegeben, aber dabei Verstand und Beobachtungsgeist nicht versagt hatte, faßte seinerseits Vidal fest ins Auge, als suche er es aufzufinden, worin eigentlich der rege Anteil bestehe, der aus des Minstrels Augen sichtbar hervorleuchtete. Er war im Zweifel, ob es der eines treuen Dieners sei, den die schlechte Nachricht erschüttert hat, durch die er seinen Herrn unglücklich machen soll, oder eines Henkers, der sich mit dem Messer über sein Opfer beugt und nur zuzustoßen zögert, bis er die Stelle entdeckt hat, wo der Stoß am schmerzlichsten gefühlt werden möchte. Guarine, voreingenommen, wie er gegen den Minstrel war, traute ihm vielmehr das letztere zu, und es gelüstete ihn heftig, den Stab zu erheben und den Diener zu Boden zu strecken, der sich so an dem verlängerten Leiden ihres gemeinschaftlichen Meisters zu weiden schien. Endlich zeigte sich ein krankhaftes Zucken auf des Connetables Angesicht, und Guarine, der nun bemerkte, daß ein sardonisches Lächeln Vidals Lippen zu kräuseln begann, konnte nicht länger schweigen. »Vidal!« rief er, »Du bist ein –«

»Ein Ueberbringer böser Zeitungen,« sagte Vidal, ihn unterbrechend, »und daher der Mißdeutung jedes Narren ausgesetzt, der keinen Unterschied zwischen dem Urheber des Bösen und dem, welcher es ungern hinterbringt, zu machen weiß.«

»Wozu dieser Aufschub?« sagte der Connetable. »Kommt, Herr Minstrel, ich will Euch eine Qual ersparen. – Eveline hat mich verlassen und vergessen?«

Der Minstrel bejahte mit einer Verbeugung.

Hugo de Lacy ging einigemale vor dem steinernen Denkmal auf und nieder, indem er sich bemühte, der tiefen Erschütterung, die er empfand, Herr zu werden. »Ich vergebe ihr,« sagte er.– »Vergeben? sagte ich so? – Ach! ich habe nichts zu vergeben. – Sie hat sich nur des Rechts bedient, das ich in ihrer Hand ließ. – Ja – die Zeit unseres Verlöbnisses war abgelaufen. – Sie hat von meinen Verlusten gehört – von meinen Niederlagen – von der Zerstörung meiner Hoffnungen – von der Vernichtung meines Vermögens. Nun hat sie die erste Gelegenheit ergriffen, die ihr das strenge Recht zugestand, ihre Verpflichtung gegen den aufzuheben, der einen Bankerott an Glück und Ruhm erlitten hat. – Mehr als ein Mädchen würde so gehandelt haben – hätte vielleicht klüglicherweise so handeln müssen – aber dieses Mädchens Name hätte doch nicht Eveline Berenger lauten sollen.«

Er lehnte sich auf seines Knappen Arm und ließ einen Augenblick das Haupt an dessen Schulter ruhen, mit einer so tiefen Rührung, wie Guarine noch nie an ihm gewahr wurde, und die er mit linkischer Teilnahme dadurch zu beschwichtigen suchte, indem er ihn ermahnte, »guten Mutes zu sein – er hätte ja nur ein Weib verloren.«

»Ich sage das nicht aus Eigennutz, Philipp,« sagte der Connetable wieder mit seiner gewöhnlichen Selbstbeherrschung. »Ich bedaure weniger, daß sie mich verlassen, sondern, daß sie mich falsch beurteilt hat – daß ich von ihr behandelt wurde wie der unglückliche Schuldner vom Pfandleiher, der sich des Pfandes bemächtigt, sobald der Augenblick verflossen ist, bis zu welchem es eingelöst werden konnte. Denkt sie denn, daß ich meinerseits ein so strenger Gläubiger gewesen wäre? – Seit ich sie kenne, und als ich noch Reichtum und Ruhm besaß, hielt ich mich Ihrer kaum für würdig, und sollte ich nun darauf bestanden haben, daß sie mein vermindertes Glück, meine Erniedrigung teilen sollte? – Wie wenig hat sie mich jemals gekannt! Sonst hätte sie nie geglaubt, daß mich mein widriges Schicksal so selbstsüchtig gemacht habe! – Doch es ist so – sie ist dahin – möge sie glücklich sein! – den Gedanken, daß sie mir Kummer bereitet, will ich in meiner Seele unterdrücken; und ich will denken, sie hat das getan, was ich selbst oder ihr bester Freund mit Ehren ihr hätte raten müssen.«

So sprach er, und zum Erstaunen seiner Diener nahm sein Gesicht die gewöhnliche Festigkeit und Ruhe an.

»Ich wünsche Euch Glück!« flüsterte der Knappe dem Minstrel zu. »Eure bösen Neuigkeiten haben weniger tief verwundet, als Ihr es zweifelsohne für möglich gehalten habt.«

»Ach!« erwiderte der Minstrel, »ich habe noch andere und noch schlechtere zu bringen.«

Diese Antwort wurde in zweideutigem Tone gegeben, der ganz mit der Eigentümlichkeit seines Wesens übereinstimmte und aus dem Innersten eines heimtückischen Charakters hervorging.

»Eveline Berenger ist also verheiratet?« fragte der Connetable, »und laßt mich einmal eine gewagte Mutmaßung anstellen – sie gab die Familie nicht auf, wiewohl sie ein Mitglied davon verließ – sie ist noch immer eine de Lacy, ha!? – Tölpel, der Du bist, willst Du mich nicht verstehen? – Sie ist mit Damian de Lacy vermählt – mit meinem Neffen!«

Die Anstrengung, mit der der Connetable diese Vermutung hervorstieß, bildete einen krassen Gegensatz gegen das gezwungene Lächeln, das er seinem Gesicht dabei gleichsam abnötigte. Mit einem solchen Lächeln mag ein Mann, der eben Gift trinken will, eine Gesundheit ausbringen, indem er den verhängnisvollen Becher an seine Lippen setzt.

»Nein, Mylord, – nicht verheiratet,« antwortete der Minstrel, mit einer Betonung, die der Connetable nach seiner Weise auslegte.

»Nein, nein!« antwortete er schnell, »nicht verheiratet – vielleicht nur versprochen – verlobt. Und warum nicht? Die Zeit der älteren Verlobung war verflossen, – warum nicht eine neue eingehen?«

»Lady Eveline und Sir Damian sind nicht verlobt, soviel ich weiß,« antwortete der Diener.

Diese Antwort trieb de Lacys Geduld aufs äußerste.

»Hund, spielst Du mit mir?« rief er aus. »Elender Bänkelsänger! Du marterst mich. Sprich das Schlimmste mit einemmal aus, oder ich will Dich im Augenblick zum Minstrel an Satans Hof machen!«

Ruhig und gefaßt entgegnete der Minstrel: »Lady Eveline und Sir Damian sind weder verheiratet, noch verlobt, Mylord, Sie lieben sich und leben zusammen ›par amour‹

»Hund! und Sohn eines Hundes! Du lügst.« Und der aufs äußerste empörte Freiherr faßte dem Minstrel bei der Brust und schüttelte ihn mit allen seinen Kräften. Aber wie groß auch seine Stärke war, er vermochte Vidal, einen geübten Ringer, nicht aus der festen Stellung, die er eingenommen hatte, zu heben, so wenig wie sein Zorn ihn aus seiner Gelassenheit bringen konnte.

»Bekenne, Du hast gelogen!« sagte der Connetable, und ließ ihn los, nachdem er durch seine Heftigkeit ebensowenig erreicht, als wenn Menschenkraft sich an den Felssteinen der Druiden versucht hätte, die sich wohl schütteln, aber nicht aus ihrer Lage bringen lassen.

»Könnte ich durch eine Lüge mein Leben erkaufen, ja das Leben meiner ganzen Zunft,« sagte der Minstrel, »ich wollte keine sagen. Aber die Wahrheit selbst wird immer Lüge genannt, wenn sie unsere innersten Wünsche zunichte macht.«

»Hör ihn, Philipp Guarine, hör ihn,« rief der Connetable aus und wandte sich rasch zu seinem Squire. »Er erzählt mir von meinem Unglück, von der Schande meines Hauses – von der Verdorbenheit derer, die ich am meisten auf der Welt liebte – er erzählt mir davon mit ruhigem Blick, festem Auge und flinker Zunge. – Ist das, kann das natürlich sein? – Ist de Lacy so tief gesunken, daß seine Schande von einem gemeinen herumziehenden Minstrel erzählt wird, so ruhig, als ob es sich um das Thema einer armseligen Ballade handelte. – Vielleicht gedenkst Du eine daraus zu machen, he?« – schloß er, einen wütenden Blick auf den Minstrel schleudernd.

»Vielleicht würde ich es tun, Mylord,« sagte Vidal, »müßte ich nicht darin auch vom Mißgeschick Renault Vidals erzählen, und daß er einem Herrn diente, der weder die Geduld besaß, Beleidigungen und Unrecht zu ertragen, noch den Mut hatte, sich an dem Urheber seiner Schande zu rächen.«

»Du hast recht, Du hast recht, guter Bursche,« sagte der Connetable heftig. »Die Rache allein ist uns geblieben! – und doch, an wem?« Indem er so sprach, ging er kurz und heftig auf und nieder. Er schwieg – stand still – und rang seine Hände in großer Bewegung.

»Ich sagte es Dir wohl,« sagte der Minstrel zu Guarine, »meine Neuigkeiten würden doch eine empfindliche Stelle berühren. – Erinnerst Du Dich des Stiergefechtes, das wir in Spanien sahen. Tausend kleine Wurfspieße reizten und peinigten das edle Tier, ehe es den letzten tödlichen Stoß von der Lanze eines maurischen Kavaliers empfing.«

»Mensch oder Teufel, sei, was Du willst,« erwiderte Guarine, »der Du mit Wohlgefallen Dich an dem Schmerz eines andern weiden kannst, ich rate dir, nimm dich vor mir in acht! – Gib Dein kaltes Höhnen andern Ohren zu hören, denn wenn meine Zunge auch stumpf ist, so trage ich ein Schwert, das scharf genug ist.«

»Du hast mich unter Schwertern gesehen,« antwortete der Minstrel,« »und weißt, wie wenig sie einen Mann, wie ich bin, schrecken.« – Doch zog er sich, indem er so sprach, ein wenig von dem Knappen zurück. Dieser hatte ihn eigentlich nur in der Fülle des Herzens angeredet, die sich, wäre er allein gewesen, in einem Selbstgespräch Luft gemacht hätte, jetzt sich aber auf den nächsten Zuhörer ergoß, ohne daß der Sprecher sich vergegenwärtigte, welche Empfindungen seine Worte erregen konnten.

Wenige Minuten waren verstrichen, als der Connetable wieder die äußere Ruhe erlangt hatte, mit der er bis zu diesem letzten furchtbaren Streiche alle Schläge des Schicksals erduldet hatte. Er wandte sich gegen seine Begleiter und redete den Minstrel mit seiner gewöhnlichen Fassung an. »Du hast recht, guter Bursche,« sagte er, »mit dem, was Du mir da sagtest, und ich verzeihe Dir die Stichelei, die Deinen guten Rat begleitete. In Gottesnamen, sprich nun alles aus, Du sprichst zu einem Manne, der vorbereitet ist, die Leiden zu tragen, die Gott ihm sendet. Gewiß ist es, der beste Ritter wird in der Schlacht erkannt, der gute Christ aber in Tagen der Not und der Bedrängnis.«

Der Ton, in dem der Connetable sprach, schien von entsprechender Wirkung auf das Verhalten seiner Begleiter zu sein. Der Minstrel ließ den höhnenden, verwegenen Ton fallen, mit dem er bis dahin die Leidenschaft seines Herrn gereizt, und in einfacher und ehrerbietiger Sprache, die selbst dem Mitgefühl sich näherte, vollendete er nun seinen Bericht, In der Tat hatte er ein Unglück über das andere mitzuteilen. Die Weigerung der Lady Eveline Berenger, Monthermer mit seinen Leuten in die Burg zu lassen, hatte natürlich allen den Verleumdungen, die ihr und Damian bereitet waren, Glauben verschafft; auch gab es viele Leute, die es aus verschiedenen Ursachen für vorteilhaft fanden, diese Lästerungen auszubreiten und zu bekräftigen. Eine starke Macht war in die Landschaft ausgesandt worden, die aufrührerischen Bauern zu unterdrücken; und die Ritter und Edlen, die dazu befehligt waren, ermangelten nicht, an den unglücklichen Bürgerlichen aufs äußerste das adlige Blut zu rächen, das jene während ihres vorübergehenden Triumphs vergossen hatten.

Die Kampfgenossen des unglücklichen Wenlock stimmten in das allgemeine Gerede ein. Wegen ihrer so eiligen, feigen Uebergabe eines noch haltbaren Platzes von vielen getadelt, versuchten sie, sich selbst zu rechtfertigen, indem sie die feindliche Erscheinung der Reiterei Damians als den einzigen Grund ihrer zu frühzeitigen Unterwerfung angaben.

Diese Gerüchte, von solchen parteiischen Zeugen unterstützt, gingen weit und breit durchs Land, und vereint mit der unleugbaren Tatsache, daß Damian Zuflucht in dem starken Schlosse von Garde Douloureuse gesucht habe, das sich selbst den königlichen Waffen widersetzte, stachelten sie die zahlreichen Feinde des Hauses de Lacy auf und machten dessen Vasallen und Freunde völlig mutlos, indem diese sich vor die Wahl gestellt sahen, entweder ihrem Lehnseide untreu zu werden oder die noch heiligeren Pflichten gegen ihren Landesherrn zu verletzen.

In diesem entscheidenden Augenblick erhielten sie die Kunde, daß der weise, tätige Monarch, der damals das Szepter Englands in Händen hatte, an der Spitze einer großen Armee nach diesem Teil Englands vorrücke, in der Absicht, zugleich die Belagerung von Garde Douloureuse zu beschleunigen und die Unterdrückung des Bauernaufstandes zu vollenden, den Guy Monthermer bereits fast ganz niedergeworfen hatte.

In dieser dringenden Not, und als die Freunde und Untergebenen des Hauses Lacy kaum wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten, erschien plötzlich unter ihnen Randal, des Connetables Verwandter und nach Damian sein nächster Erbe, mit einem königlichen Auftrage, diejenigen von den Vasallen seines Hauses, welche sich nicht an der vermeintlichen Verräterei Damians beteiligt hätten, zu seinen Fahnen zu versammeln und sich an ihre Spitze zu stellen. In unruhigen Zeit vergißt man die Laster der Menschen, wenn sie Tätigkeit, Mut und Klugheit, die gerade dann so nötigen Tendenzen, zeigen; und das Auftreten Randals, dem diese Eigenschaften keineswegs fehlten, wurde als eine gute Vorbedeutung von den Anhängern seines Vetters aufgenommen. Schnell versammelten sie sich um ihn, übergaben nach dem königlichen Befehl alle festen Orte, die in ihrer Gewalt waren, und um sich ganz von jeder Teilnahme an den Verbrechen zu reinigen, die man Damian zuschrieb, fochten sie mutig unter Randals Oberbefehl gegen die zerstreuten Bauern, die noch immer das Feld behaupteten oder sich in den Bergschluchten versteckt hatten. Nach jedem Siege gingen sie so unbarmherzig vor, daß selbst Monthermers Truppen im Vergleich mit denen de Lacys menschlich erschienen. Endlich zog Randal mit dem Banner seines Hauses und fünfhundert rüstigen Kriegern vor Garde Douloureuse und vereinigte sich dort mit Heinrichs Lager.

Schon war die Burg hart bedrängt, und die wenigen Verteidiger, durch Wunden, Wachen und Hunger sehr geschwächt, mußten nun obendrein allen Mut verlieren, da sie nun gegen ihre Mauern auch noch das einzige Banner in ganz England wehen sahen, das allein ihnen vielleicht Hilfe hätte bringen können.

Die von hohem Geiste beseelten Ermahnungen Evelinens, die sich durch Unglück und Entbehrung nicht niederdrücken ließ, verloren allmählich ihre Wirkung auf die Verteidiger des Schlosses. In einem tumultuarischen Kriegsrate, zu dem sich nicht allein Offiziere niederen Ranges, sondern auch viele von den Gemeinen herzugedrängt hatten, da eine solche allgemeine Not alle Bande der Kriegszucht lockert und jedermann die Freiheit gibt, für sich selbst zu sprechen und zu handeln, wurden Vorschläge zur Kapitulation gemacht und besprochen. Mitten in diesen Beratungen erschien zu aller Erstaunen Damian de Lacy, der sein Krankenbett verlassen hatte. Bleich und schwach, mit dem schauderhaften Geisterblicke, der nach einer langen Krankheit zurückbleibt, lehnte er sich auf seinen Pagen Amelot. »Edle Herren und Krieger!« sagte er, »doch wie kann ich die einen oder die anderen so nennen? Edle Männer sind immer bereit, für das Wohl einer Frau zu sterben – Krieger verachten das Leben, wenn es die Ehre gilt.«

»Weg mit ihm! Weg mit ihm!« riefen einige Soldaten, ihn unterbrechend. »Er will wohl, daß wir, die wir unschuldig sind, den Tod der Verräter sterben und in der Rüstung an den Mauern aufgehängt werden, ehe er sich von seinem Schätzchen trennt.« »Schweig, unverschämter Sklave!« schrie Damian mit Donnerstimme, »oder mein letzter Schlag soll ein gemeines Ziel haben, indem er einen solchen Schurken wie Dich trifft. – Und Ihr,« fuhr er zu, den anderen fort. »Ihr, die Ihr von den Beschwerden Eures Berufes zurückschaudert, weil der Tod sie vielleicht einige Jahre früher endigen kann, wie es doch einmal geschehen muß, – Ihr, die Ihr Euch schrecken laßt, wie Kinder beim Anblicke eines Totenkopfes – glaubt nicht, daß Damian de Lacy auf Kosten dieses Euch so teuren Lebens sich retten wollte! Schließt Euren Handel mit König Heinrich ab! Uebergebt mich seiner Gerechtigkeit oder Strenge; oder wenn Euch das besser gefällt, schlagt mir das Haupt ab und werft es als Friedenszeichen über die Mauern dieses Schlosses; ich vertraue Gott, daß er zu seiner Zeit meine Ehre in helles Licht stellen werde. Mit einem Worte: überliefert mich, tot oder lebendig, oder öffnet die Tore, damit ich mich selbst übergebe. Nur, so wahr Ihr Menschen seid, da ich nichts Besseres von Euch sagen kann, tragt wenigstens Sorge für die Sicherheit Eurer Gebieterin, stellt die Bedingung, daß ihr kein Leides geschehen darf, und rettet Euch selbst von der Schande, als feige und meineidige Schurken in die Gruft zu fahren.«

»Mich dünkt, der junge Mann spricht gut und vernünftig,« sagte Wilkin Flamock. »Laßt uns also des Königs Gnade wiedergewinnen, indem wir ihn überliefern und dabei die besten Bedingungen für uns und unsere Gebieterin ausmachen, eh noch der letzte Bissen von unserm Vorrat verzehrt ist.«

»Ich würde schwerlich diese Maßregel vorgeschlagen haben,« sagte Pater Aldrovand, der vor kurzem vier Vorderzähne durch eine Steinschleuder verloren hatte; »da sie aber von dem, den es hauptsächlich angeht, so großmütig angeboten wird, so halte ich es mit den gelehrten Scholiasten: Volenti non fit injuria!

»Priester und Fläminger,« fügte der alte Bannersmann Ralph Genvil. »Ich sehe, wohin der Wind Euch treibt. Aber Ihr betrügt Euch selbst, wenn Ihr unsern jungen Gebieter Sir Damian zum Sündenbock für Euer leichtsinniges Fräulein machen wollt. – Nein, runzelt nicht die Stirn und tobt nicht, Sir Damian! Wißt Ihr keinen gescheitern Ausweg zu finden, so wissen wir es. – Krieger de Lacys, werft Euch auf die Pferde, zwei auf eines, wenn es nötig ist! – Wir wollen diesen hartnäckigen Knaben in die Mitte zwischen uns nehmen, und der schmucke Squire Amelot soll auch mit gefangen sein, wenn er uns durch seinen kindischen Widerstand aufhält. Dann laßt uns einen tüchtigen Ausfall machen; die, die sich durchhauen, fahren gut dabei, und die, welche fallen, nun, die sind auch versorgt.«

Jubelnd zollten die Reiter de Lacys diesem Vorschlag Beifall. Während die von der Partei Berengers mit lauten und scheltenden Worten noch darüber stritten, suchte Eveline, durch den Tumult herbeigerufen, sie zu besänftigen, doch vergebens; und Damians Vorwürfe oder Bitten waren bei seinen Streitgenossen ebenfalls fruchtlos. Beiden erteilte man die gleiche Antwort.

»Bekümmert Euch darum nicht! – Denkt Ihr, weil's Euch beliebt par amours, könnt Ihr Euer Leben und das unsrige nur so hinwerfen?« so rief Genvil de Lacy zu, und zwar sanfter, aber mit gleicher Halsstarrigkeit, weigerten sich die Geleitsmänner von Raymond Berenger, bei dieser Gelegenheit auf die Befehle oder Bitten seiner Tochter zu hören.

Wilkin Flamock hatte sich aus dem Tumult zurückgezogen, sobald er sah, welche Wendung die Sache genommen hatte. Er verließ die Burg durch eine Ausfallpforte, deren Schlüssel ihm anvertraut war, und kam unbemerkt und unbehelligt in das königliche Lager. Er begehrte den König zu sprechen. Dieser Wunsch wurde gewährt, und sehr bald stand Wilkin vor dem König Heinrich. Der Monarch befand sich in seinem königlichen Zelt, in Gesellschaft seiner beiden Söhne Richard und Johann, welche späterhin das Szepter Englands unter ganz anderen Verhältnissen führten.

»Was gibt es? – Wer bist Du?« war die königliche Frage.

»Ein ehrlicher Mann aus der Burg Garde Douloureuse.«

»Du magst ein ehrlicher Mann sein,« erwiderte der Souverän, »Du kommst aber aus einem Nest von Verrätern.«

»So wie sie da sind, will ich sie Eurer Königlichen Gnade überliefern; denn sie wissen nicht mehr aus noch ein. Sie verstehen sich nicht mehr zu verteidigen und wissen sich auch keinen Rat, wie sie kapitulieren sollen. Aber ich möchte gerne zuvorderst von Ew. Gnaden wissen, welche Bedingungen Ihr den Verteidigern jenes Schlosses zugestehen wollt?«

»Die, welche Könige den Verrätern zugestehen,« sagte Heinrich strenge. – »Scharfe Messer und starke Stricke.«

»Nein, gnädiger Herr, Ihr mußt milder sein, als worauf das ausgeht, wenn das Schloß durch meine Vermittlung übergeben weiden soll. Sonst werden Eure Stricke und Messer nur mit meinem armen Leichnam etwas zu schaffen haben, und von dem Innern von Garde Douloureuse werdet Ihr so entfernt bleiben wie jetzt.« Der König sah ihn scharf an, »Du kennst,« sagte er, »die Kriegsgesetze. – Hier, Oberprofoß, steht ein Verräter, und dort steht ein Baum.«

»Und hier steht eine Kehle,« sagte der hochherzige Flamländer und knöpfte den Kragen seines Wamses auf.

»Bei meiner Ehre,« sagte Prinz Richard, »ein kecker, treuer Bursche. Es wäre besser, man schickte solchen Kerlen was Ordentliches zu essen und schlüge sich dann vor der Burg wacker mit ihnen herum, statt sie auszuhungern, wie die bettelhaften Franzosen ihre Hunde hungern lassen.«

»Still, Richard!« sagte sein Vater, »Dein Witz ist zu grün und Dein Blut zu heiß, um hier mein Ratgeber zu sein. – Und Du, Bursche, schlage einige vernünftige Bedingungen vor, und wir wollen es nicht zu genau mit Dir nehmen.«

»Zuerst denn,« sagte der Flamländer, »dinge ich mir aus, vollen und freien Pardon an Leib, Leben und Gütern für mich, Wilkin Flamock, und meine Tochter Rose!«

»Ein echter Flamländer,« sagte Prinz John, »er sorgt für sich selbst im ersten Artikel.«

»Seine Forderung ist vernünftig,« sagte der König. – »Was zunächst?«

»Sicherheit für Ehre, Leben und Länder dem Fräulein Eveline Berenger.«

»Wie? Herr Schuft!« sagte der König erzürnt. »Ziemt es sich für Deinesgleichen, unserm Urteil oder unserer Gnade in Sachen der edlen normannischen Lady Vorschriften zu machen? – Beschränke Deine Fürsprache auf Leute Deiner Art; oder vielmehr gib uns das Schloß ohne längeren Aufschub, und sei versichert, daß dies das beste für die Verräter ist, jedenfalls weit besser, als ein wochenlanger Widerstand, der schließlich doch fruchtlos sein muß.«

Der Flamländer stand schweigend da; er hatte keine Lust, das Schloß, ohne ausdrücklich vereinbarte Bedingungen, zu übergeben, und war doch überzeugt, daß er bei der Lage, in welcher er die Besatzung von Garde Douloureuse verlassen hatte, Evelinen den besten Dienst leisten würde, wenn er die königlichen Truppen einließe.

»Mir gefällt Deine Treue, Bursche,« sagte der König, dessen scharfes Auge den Kampf in des Flamländers Brust bemerkte, »aber treibe Deine Hartnäckigkeit nicht zu weit. Haben wir nicht gesagt, wir wollen gnädig gegen jene Verbrecher verfahren, soweit unsere königliche Pflicht es erlaubt?« »Und, königlicher Vater,« sagte Prinz Johann, sich einmischend, »ich bitte Euch um die Gnade, laßt mich zuerst von Garde Douloureuse Besitz nehmen und zugleich die Strafe der verräterischen Lady bestimmen und vollziehen.«

»Auch ich bitte Euch, mein königlicher Vater, Johanns Gesuch zu genehmigen,« sagte sein Bruder Richard mit spöttischem Tone. »Bedenkt, königlicher Vater, es ist das erstemal, daß er den Wunsch äußert, sich den Barrieren der Burg zu nähern, obschon wir vierzigmal zum wenigsten Sturm liefen. – Ei ja doch! Da waren Armbrust und Steinschleuder tätig, und die werden jetzt wahrscheinlich ruhig sein.«

»Haltet Frieden, Richard!« sagte der König. »Eure Worte durchbohren mein Herz. – Johann, Deine Bitte sei Dir gewährt, was das Schloß anbetrifft; aber die unglückliche junge Lady wollen wir in unsere eigene Aufsicht nehmen. – Flamländer, wieviel Mann unternimmst Du, ins Schloß einzulassen?«

Ehe Flamock antworten konnte, näherte sich ein Squire dem Prinzen Richard und flüsterte ihm ins Ohr, doch so, daß es alle hören konnten: »Wir haben bemerkt, daß infolge einer inneren Zwistigkeit oder aus einer anderen unbekannten Ursache sich ein großer Teil der Wachen von der Burg entfernt hat, und daß ein plötzlicher Angriff vielleicht –«

»Hörst Du das, Johann?« rief Richard aus, »Leitern, Mann! – schaff Leitern herbei, und hin zur Mauer – O! wie ich mich freuen werde, dich auf der höchsten Staffel zu sehen, – Deine Kniee schlotternd – Deine Hände krampfhaft sich anklammernd, wie einer im Fieberschauer – nichts wie Luft um Dich, ein paar hölzerne Stäbe ausgenommen – der Graben unten – ein halbes Dutzend Piken an Deiner Kehle.«

»Ruhig, Richard, aus Scham, wenn nicht aus Barmherzigkeit!« sagte sein Vater in einem zornigen Tone, in welchen sich jedoch auch Gram mischte. – »Und Du, Johann, mache Dich fertig zum Angriff!«

»Sobald ich meine Rüstung angelegt habe,« antwortete der Prinz und ging mit bleichem Gesicht langsam hinaus.

Sein Bruder lachte, als er sich entfernte, und sagte darauf zu seinem Squire: »Es wäre kein schlechter Spaß, Alberick, wenn wir das Schloß erstürmten, ehe noch John sein seidenes Wams mit einem stählernen vertauscht.«

Mit diesen Worten eilte er schnell davon, und der König rief ihm mit väterlichem Schmerze nach: »Weg ist er! ach! er ist zu heiß, und sein Bruder zu kalt! doch ist sein Fehler der männlichere – Gloucester,« sagte er zu dem berühmten Grafen dieses Namens, »nehmt hinlängliche Mannschaft und folgt dem Prinzen Richard, ihn zu unterstützen. Vermag einer ihn zu zügeln, so kann es nur ein so berühmter Ritter sein wie Du. – Ach! ach! für welche Sünden verdiene ich den Schmerz, daß meine Söhne sich also befehden!«

»Tröstet Euch, mein Gebieter!« sagte der Kanzler, der ebenfalls gegenwärtig war.

»Sprecht nicht von Trost zu einem Vater, dessen Söhne in Zwiespalt miteinander stehen, und nur im Ungehorsam gegen ihn eins sind.«

So sprach Heinrich II., der weiseste oder, allgemein genommen, glücklichste Monarch, der je auf dem Throne von England saß. Doch war sein Leben ein schlagender Beweis dafür, wie Uneinigkeit in der Familie das glänzendste Los verdüstern kann, das der Himmel je einem Sterblichen vergönnte, und wie befriedigter Ehrgeiz, ausgedehnte Macht und der höchste Ruhm in Krieg und Frieden doch nicht die Wunden zu heilen vermögen, die häuslicher Kummer schlägt.

Der plötzliche und feurige Angriff Richards, der an der Spitze von ein paar Dutzend aufs Geratewohl zusammengerafften Soldaten die Mauern erstürmte, hatte den vollen Erfolg eines Ueberfalls. Nachdem sie die Mauern mit ihren Leitern erstiegen hatten, sprengten sie die Tore und ließen Gloucester hinein, der ihnen eiligst mit einem starken Heerhaufen gefolgt war. Die Garnison in diesem Zustande der Ueberraschung, Verwirrung und Uneinigkeit leistete nur geringen Widerstand; sie hätten über die Klinge springen müssen, und der Ort wäre geplündert worden, wenn nicht Heinrich selbst eingezogen wäre und durch seine persönliche Gegenwart den Ausschweifungen der zügellosen Soldaten Einhalt getan hätte.

Der König selbst beobachtete, wenn man den Charakter der Zeit und seine gereizte Stimmung berücksichtigt, eine lobenswerte Mäßigung. Er begnügte sich damit, die gemeinen Soldaten zu entwaffnen und zu entlassen, und gab ihnen noch eine kleine Summe als Wegzehrung, damit Entbehrung sie nicht verleite, sich zu Räuberbanden zusammenzurotten. Strenger wurden die Offiziere behandelt, die größtenteils in den Kerker geworfen wurden, um hier den Spruch des Gesetzes abzuwarten. Vor allem war strenge Haft das Los Damians de Lacy, auf welchen Heinrich, da er den mannigfaltigen Klagen gegen ihn Glauben beimaß, so sehr erzürnt war, daß er beschloß, ihn zum warnenden Beispiel für alle falschen Ritter und pflichtvergessenen Untertanen zu machen. Der Lady Eveline Berenger wies er ihr eigenes Zimmer zum Gefängnis an, worin sie ehrenvoll von Rose und Alice bedient, doch aber mit der größten Strenge bewacht wurde. Man erzählte sich allgemein, ihr Gebiet würde als ein der Krone verfallenes Eigentum erklärt und wenigstens teilweise dem Randal de Lacy verliehen werden, der während der Belagerung so gute Dienste geleistet hatte. Sie selbst, glaubte man, sollte in einem fernen französischen Nonnenkloster eingeschlossen werden, um in voller Muße ihre Torheit und Uebereilung zu bereuen.

Pater Aldrovand wurde zur Bestrafung seinem Kloster übergeben, da Heinrich sehr nachdrücklich erfahren hatte, wie unklug es sei, die Gerechtsame der Kirche zu beeinträchtigen, wiewohl der König, als er ihn zuerst in dem über seinen geistlichen Rock geschnallten rostigen Panzer erblickte, nur mit Mühe den Wunsch unterdrücken konnte, ihn über den Zinnen aufhängen zu lassen, damit er dort den Raben predige.

Mit Wilkin Flammock hatte Heinrich manche Unterredung, besonders über Handel und Gewerbe, worüber der Flamländer mit seinem gesunden Kopf, wiewohl mit etwas derber Sprache, dem verständigen Monarchen recht gute Aufschlüsse zu geben wußte. »Es soll Dir nicht vergessen werden,« sagte er, »daß Du uns ins Schloß einlassen wolltest, obwohl die tollkühne Tapferkeit meines Sohnes Richard Dir zuvorgekommen ist, die manchem armen Schurken das Leben gekostet hat. – Richard ist nicht der Mann, ein Schwert ohne Blutflecken in die Scheide zu stecken. Aber Du und Deine Landsleute sollen dort zu ihren Mühlen zurückkehren, mit voller Vergebung aller ihrer Vergehungen, nur daß Ihr Euch künftig nicht mehr mit solchen verräterischen Dingen befaßt.«

»Und unsere Privilegien und Dienstpflichten, mein Fürst?« sagte Flammock. »Ew. Majestät weiß wohl, wir sind Vasallen, dem Herrn dieser Burg gehörig, und müssen ihm in den Krieg folgen.«

»So soll es nicht länger sein,« sagte Heinrich. »Ich will hier eine Gemeinde von Flamländern bilden, und Du, Flammock, sollst ihr Bürgermeister sein, damit Du Dich, wenn wieder mal jemand Verrat sinnt, nicht wieder mit Deiner Lehnspflicht entschuldigen kannst.«

»Verrat!« sagte Flammock, der sehnlich wünschte, aber es kaum wagte, ein Wort zu Gunsten der Lady Eveline einzulegen, an der er trotz der natürlichen Kälte seines Charakters wirklich Anteil nahm. – »Ich wünsche, Ew. Gnaden wüßten nur ganz richtig und genau, wieviel Fäden zu diesem Gewebe zusammenkamen.«

»Still, Bursche! – Bekümmert Euch um Euren Webstuhl!« sagte Heinrich, »lassen wir uns herab, mit Dir über Dein Handwerk zu sprechen, so halte das nicht für eine Erlaubnis, Dich weiter in unsere Vertraulichkeit einzudrängen.«

So zurückgestoßen, entfernte sich der Flamländer schweigend, und das Geschick der unglücklichen Gefangenen blieb in des Königs Brust verschlossen. Er selbst nahm Wohnsitz in der Burg von Garde Douloureuse, weil dieser Ort sehr dazu geeignet war, um Streifzüge gegen die rebellischen Bauern zu unternehmen und jeden Funken, der etwa noch unter der Asche glomm, auszulöschen. Randal de Lacy war aber bei diesen Gelegenheiten so tätig, daß er täglich in des Königs Gnade zu steigen schien und mit beträchtlichen Geschenken aus den Besitzungen der Berenger und Lacy belohnt wurde, welche der König schon als verfallenes Eigentum zu behandeln schien. Viele Leute betrachteten die wachsende Gunst Randals als ein schlimmes Vorzeichen sowohl für des jungen de Lacy Leben als für das Geschick der unglücklichen Eveline.

Vierzehntes Kapitel

Der Schluß des letzten Kapitels enthält die Nachrichten, die der Minstrel seinem unglücklichen Herrn, Hugo de Lacy, überbrachte. Zwar berichtete er nicht mit der Umständlichkeit, wie wir erzählt haben; aber doch enthielt sein Bericht die entsetzlichen Tatsachen, daß seine verlobte Braut und sein geliebter Verwandter, dem er so sehr vertraut hatte, sich zu seiner Schande miteinander verbunden und die Fahne der Rebellion gegen ihren rechtmäßigen Souverän erhoben hätten. Das verwegene Unternehmen sei fehlgeschlagen und dadurch das Leben wenigstens des einen in die drohendste Gefahr und das Haus de Lacy, wenn nicht augenblicklich Hilfe gefunden würde, an den Abgrund des Verderbens gebracht.

Vidal beobachtete das Angesicht seines Herrn, indem er sprach, mit der scharfen Aufmerksamkeit, mit der der Wundarzt das Fortschreiten seines schneidenden Messers verfolgt. Kummer war in des Connetables Zügen – aber ohne den Ausdruck der Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die denselben gewöhnlich begleiten. – Zorn war es und Scham, aber beides von einem edlen Charakter, entstanden vielmehr durch den Treubruch und die Ehrlosigkeit seiner Braut und seines Neffen, als durch die Unannehmlichkeit und den Schaden, die er selbst durch ihr Verbrechen erlitt.

Der Minstrel war so sehr erstaunt über diese Veränderung seines Betragens gegen den unverhohlenen tödlichen Schmerz, den er beim Anfang seiner Erzählung bekundet hatte, daß er zwei Schritte zurücktrat und, den Connetable anstarrend, mit Bewunderung ausrief: »Wir haben viel in Palästina von Märtyrern gehört; aber dies übertrifft sie!«

»Wundre Dich nicht so sehr, guter Freund,« sagte der Connetable gelassen, »nur der erste Stoß der Lanze tut weh, nur der erste Schlag der Keule betäubt; die nachfolgenden fühlt man weniger.«

»Bedenkt Mylord,« sagte Vidal: – »alles ist verloren – Liebe, Gebiet, hohe Ehrenstellen, glänzender Name – vor kurzem ein Haupt unter Edlen – jetzt ein armer Pilgrim.«

»Willst du meines Elendes spotten?« sagte Hugo finster. »Freilich, hinter meinem Rücken geschieht das ja doch, warum sollte ich es also nicht ertragen, wenn es mir ins Gesicht gesagt wird? – Wisse denn, Minstrel, und setze es in ein Lied, wenn Du Lust hast, daß Hugo de Lacy, nachdem er alles verloren hat, was er nach Palästina mitnahm, und alles, was er zu Hause ließ, noch immer Herr über sich selbst geblieben ist: und Unglück kann ihn nicht mehr erschüttern als der Wind, der von der Eiche das Laub streift, nicht aber ihren Stamm von der Wurzel abreißen kann.«

»Nun, bei dem Grabe meines Vaters!« rief der Minstrel hingerissen, »dieses Mannes Edelmut überwiegt meinen Entschluß!« – Und schnell zu dem Connetable tretend, ließ er sich auf ein Knie nieder und ergriff seine Hand dreister, als er sich gegenüber einem Manne von de Lacys Rang eigentlich erlauben durfte.

»Hier,« sagte Vidal, »auf diese Hand, diese edle Hand, entsage ich –«

Aber ehe er noch ein anderes Wort aussprechen konnte, zog Hugo de Lacy, der vielleicht dieses Benehmen als Freiheit ansah, zu der sein Mißgeschick den andern ermutigte, die Hand zurück und befahl dem Minstrel mit einer finstern Stirn, aufzustehen und zu bedenken, daß in allem Unglück ein Hugo de Lacy doch noch keinen Mummenschanz mit sich treiben ließe.

Zurückgewiesen, stand Renault Vidal auf. »Ich hatte,« sagte er, »den Unterschied zwischen einem armorkanischen Geiger und einem hochgeborenen normannischen Baron vergessen. Ich dachte, daß gleiche Tiefe des Kummers, gleicher Rausch der Freude wenigstens für einen Augenblick die künstlichen Schranken wegnähmen, durch welche Menschen von Menschen getrennt sind. Aber auch so ist es gut, wie es ist. Lebt in den Grenzen Eures Ranges, wie ehedem in Eurem Gefangenenturm hinter Euren Gräben, Mylord, ungestört durch das Mitleid irgend eines so geringen Mannes wie ich, – auch ich habe meine Pflichten zu erfüllen.«

»Und nun nach Garde Douloureuse!« sagte der Baron, sich zu Philipp Guarine wendend. – »Gott weiß, wie sehr mit Recht es jetzt diesen Namen führt! – Hier wollen wir mit eigenen Augen und Ohren die Wahrheit dieser schmerzlichen Nachrichten erforschen. – Steig ab, Minstrel, und gib mir Deinen Klepper. – Ich wollte, Guarine, ich hätte auch einen für Dich, – Vidal, Deine Begleitung ist weniger nötig. Ich will meinen Feinden oder meinem Mißgeschicke ins Angesicht sehen, wie ein Mann. Dessen sei versichert, Geiger; und blicke nicht so düster, Mensch! – Ich werde keinen vergessen, der mir anhing!«

»Einer von ihnen wird mindestens Euer nicht vergessen, Mylord!« erwiderte der Minstrel mit seinem gewöhnlichen zweideutigen Blick und Ausdruck.

Aber eben als der Connetable im Begriff war, sein Pferd anzuspornen, erschienen zwei Personen auf dem Pfade, beide auf einem Pferde. Durch niedriges Gesträuch verdeckt, waren sie ziemlich nahe gekommen, ohne bemerkt zu werden. Es war ein Mann und eine Frau. Der Mann, der vorn auf dem Pferde saß, war ein solches Bild des Hungers, wie die Pilger kaum in all den verwüsteten Ländern erblickten, die sie durchzogen hatten. Sein Gesicht, von Natur spitz und dünn, verschwand beinahe hinter dem ungekämmten Bart und Haar, womit es überdeckt war; und nur das Schimmern einer langen Nase, die so scharf wie die Schneide eines Messers schien, und das Blinzeln der grauen Augen gab eine Andeutung von seinen Gesichtszügen. Seine Beine in den weiten, alten Stiefeln, die sie umgaben, erschienen wie der Stiel eines Besens, der in einem Wascheimer stecken geblieben ist. – Seine Arme waren ungefähr so dick wie eine Reitgerte – und die Teile seines Körpers, die nicht in die Lappen eines Jägerkleides gehüllt waren, schienen mehr einer Mumie, als einem Lebenden zu gehören.

Die Frau, welche hinter diesem Gespenste saß, zeigte ebenfalls einige Spuren von Verfall. Aber da sie von Natur eine stramme hübsche Frau war, so war der Hunger noch nicht imstande gewesen, sie zu einem wichen jammervollen Schauspiel zu machen wie das Gerippe, hinter dem sie saß. Dame Gillians Wange – denn es war des Lesers alte Bekanntschaft – hatte die Rosenfarbe der guten Pflege und die Glätte verloren, die Kunst und gemächliches Leben ihr noch zuletzt statt der zarteren Jugendblüte verliehen hatte. Ihre Augen waren eingesunken und hatten vieles von ihrem kecken und schelmischen Glanz eingebüßt. Aber sie war doch immer gewissermaßen sie selbst; und die Ueberbleibsel früherer Zierlichkeit, zugleich mit den enganliegenden, obgleich schmutzigen Strümpfen, zeigten noch immer einen Ueberrest von Koketterie.

Sobald sie der Pilger ansichtig wurde, stieß sie den Raoul mit der Reitgerte. »Versuche Dein neues Gewerbe, Mann! da Du ja zu einem andern nicht taugst – Hem! – zu den guten Leuten da! hin zu ihnen! – sprich sie um Barmherzigkeit an.«

»Bei Bettlern betteln?« murmelte Raoul, »das hieße mit Falken Sperlinge jagen, Frau!«

»Wenigstens bleibt unsere Hand in Bewegung,« sagte Gillian, und begann in einem weinerlichen Tone: »Gott sei Euch gnädig, liebe heilige Männer, die Ihr durch seine Gnade nach dem heiligen Lande wandern und, was noch mehr ist, auch wieder heimkehren durftet. Ich bitte Euch, spendet etwas von Euren Almosen meinem armen alten Mann, der eine elende Kreatur ist, wie Ihr seht, und einer, die das Unglück hat, seine Frau zu sein! – Der Himmel helfe mir!«

»Schweigt, Weib, und hört, was ich Euch sagen werde,« sagte der Connetable und legte seine Hand an den Zügel seines Pferdes. – »Ich habe jetzt dieses Pferd nötig und –« »Beim Jagdhorn des heiligen Hubert! Du kriegst es nicht ohne Püffe,« antwortete der alte Jäger. »Das ist mir eine schöne Welt, wo Pilger Pferdediebe werden.«

»Still doch, Bursche,« sagte der Connetable. »Ich sage Dir, ich habe jetzt den Dienst der Mähre nötig. Hier sind zwei goldene Byzantiner, wenn Du mir das Tier einen Tag zum Gebrauch überläßt. Sein ganzer Wert wäre wohl mit der Hälfte bezahlt, bekämst Du es auch nie wieder.«

»Aber der Klepper ist mein alter Bekannter, Ihr Herren!« sagte Raoul, »und wenn vielleicht –«

»Schweig mit Deinem Wenn und Vielleicht,« sagte die Dame, und gab dabei ihrem Manne einen so kräftigen Stoß, daß er bald aus dem Sattel gefallen wäre. »Hinunter vom Pferde! und danke Gott und diesem würdigen Manne für die Hilfe, die er uns in unserer Not verleiht. Was nützt uns der Klepper, wenn wir nichts haben, um Futter für ihn und für uns zu schaffen; selbst dann nicht, wenn wir Gras und Hafer mit ihm essen wollten, wie der König Ungenannt, von dem uns der gute Pater zur Nacht vorzulesen pflegte.«

»Halte ein mit Deinem Geschwätz, Frau,« sagte Raoul und wollte ihr aus dem Sattel helfen. Aber sie zog Guarines Beistand vor, der obwohl schon bei Jahren, doch immer den Vorteil einer rüstigen kriegerischen Gestalt hatte.

»Ich danke ergebenst für Eure Güte,« sagte sie, als der Squire sie nach einem Kusse auf die Erde setzte. – »Und ich bitte Euch, Herr, Ihr kommt aus dem heiligen Lande? Ist Euch da nicht eine Kunde von einem Connetable von Chester zu Ohren gekommen?«

De Lacy, der sich eben damit beschäftigte, das Reitkissen hinter dem Sattel wegzunehmen, hielt plötzlich in seinem Geschäft inne und sagte: »Ha! Frau! was wollt Ihr mit ihm?«

»Recht viel, guter Pilger, wenn ich ihn nur antreffen könnte, denn seine Länder und Würden sollen, wie es aussieht, an den falschen Dieb, seinen Verwandten vergeben werden.«

»Wie? an Damian, seinen Neffen?« rief der Connetable schnell und hastig aus.

»Gott, wie Ihr mich erschreckt, Sir,« sagte Gillian und fuhr, zu Philipp Guarine sich wendend, fort, »Euer Freund ist ein heftiger Mann, wie es scheint.«

»Daran ist die Sonne schuld, unter der er so lange gelebt hat,« sagte der Squire. »Aber seht wohl zu, daß Ihr seine Fragen richtig beantwortet, und er wird Euch um so mehr belohnen.«

Gillian ging sogleich auf den Wink ein. »War es nicht Damian de Lacy, nach dem Ihr fragtet? – Ach! der arme junge Mann! Keine Würden, keine Länder gibt's für ihn – viel wahrscheinlicher ist's, daß er einen Platz am Galgen erhält, der arme Junge – und alles für nichts, so wahr ich ein ehrliches Weib bin. – Damian! – nein, nein, es ist nicht Damian, noch die Dame, keiner von beiden – sondern Randal de Lacy, der hat den Braten, der erhält des alten Mannes Länder und Einkünfte und Herrschaften.«

»Was?« sagte der Connetable, »ehe sie wissen, ob der alte Mann tot ist oder nicht? – Mich dünkt, das wäre beides gegen Gesetz und Vernunft.«

»Ja, aber Randal Lacy hat noch viel unglaublichere Dinge zustande gebracht. Seht nur er hat es dem König geschworen, er habe sichere Nachrichten vom Tode des Connetable. Ja, seid unbesorgt, er wird die Nachricht schon wahr machen, wenn ihm der Connetable einmal in die Hände fällt.«

»Wirklich?« sagte der Connetable. »Doch Ihr schmiedet da Lügen über einen Edelmann. Kommt, Frau, kommt, Ihr sagt das, weil Ihr Randal de Lacy nicht leiden könnt.«

»Ihn nicht leiden! Und was habe ich nur für Ursache, ihn zu leiden, frage ich? – Darum, weil er meine Einfalt verführt hat, ihm Eingang ins Schloß von Garde Douloureuse zu verschaffen – ein, zweimal, ja noch öfter – wenn er als Krämer verkleidet kam und ich ihm alle Geheimnisse der Familie erzählte, und wie der Knabe Damian und das Mädchen Eveline aus Liebe zueinander stürben, aber nicht den Mut hätten, ein Wort davon fallen zu lassen, aus Furcht vor dem Connetable, wiewohl er tausend Meilen entfernt war? – Ihr scheint Euch nicht wohl zu befinden, würdiger Herr. – Kann ich Ew. Hochwürden einen kleinen Schluck aus meiner Flasche anbieten; es ist ein Universalmittel gegen Herzzittern und Kopfkrämpfe?«

»Nein, nein!« rief de Lacy. »Es war nur der Schmerz einer alten Wunde. Aber Frau, ich kann's mir wohl denken, dieser Damian und Eveline, wie Ihr sie nennt, wurden mit der Zeit vertrautere Freunde?«

»Die – nein, die wahrhaftig nicht, die armen einfältigen Seelen. – Es fehlte ihnen an einem klugen Ratgeber, der zwischen sie trat und ihnen Anweisungen gab. Denn seht nur, Herr, wenn der alte Hugo tot ist, was wohl der Fall sein wird, So wäre es doch natürlicher, daß seine Braut und sein Neffe seine Besitzungen erbten, als eben jener Randal, der nur ein entfernter Verwandter und ein meineidiger Schuft obendrein ist. Könnt Ihr es Euch denken, ehrwürdiger Pilger, nach den Bergen von Gold, die er mir versprochen hat – als die Burg eingenommen war, und er sah, daß ich ihm nichts weiter nützen könnte, da nannte er mich eine alte Hexe und drohte mir mit dem Büttel und dem Tauchschemel. Ja, ehrwürdiger Herr, Büttel und Tauchschemel, das waren seine schönsten Worte, als er sah, daß ich niemand mehr hatte, der sich meiner annahm, als der alte Raoul, der sich seiner selbst nicht annehmen kann. Aber wenn der grimmige alte Hugo noch sein altes Gerippe aus Palästina zurückbringt und nur halb den Teufel in sich hat, wie früher, als er Narr genug war, davon zu gehen, heilige Maria! da will ich seinem Verwandten einen guten Dienst tun!«

Eine Pause erfolgte, nachdem sie gesprochen hatte.

»Du sagst,« rief endlich der Connetable aus, »daß Damian de Lacy und Eveline einander lieben, aber sich keiner Schuld bewußt sind, keiner Falschheit oder Undankbarkeit gegen mich – ich wollte sagen gegen ihren Verwandten in Palästina?«

»Lieben, Sir – in Wahrheit, so ist es – sie lieben einander,« sagte Gillian, »aber wie die Engel oder wie die Lämmer – oder wie die Narren, wenn Ihr wollt! Denn sie würden selbst nicht ein einzigesmal miteinander gesprochen haben, wäre es nicht durch einen Schelmenstreich eben des Randal de Lacy geschehen.«

»Wie,« fragte der Connetable, »durch einen Schelmenstreich Randals? Und was für einen Grund hatte er, beide zusammenzubringen?«

»Ei, ihre Zusammenkunft war ganz und gar nicht seine Absicht. Er hatte den Plan gehabt, Lady Eveline selbst zu entführen; denn er war ein wilder Wüstling, dieser Randal, und so kam er verkleidet als Falkenjäger – und schleppte meinen alten, stupiden Raoul und Lady Eveline und uns alle hinaus zu einer Reiherbeize. Aber er hatte eine Rotte welscher Habichte in Bereitschaft, auf uns zu stoßen; und hätte sich nicht Damian plötzlich aufgemacht, uns zu befreien, so läßt's sich nicht beschreiben, was aus uns geworden wäre; und da Damian bei dem Angriff schwer verwundet wurde, so mußte er wohl oder übel nach Garde Douloureuse gebracht werden; und wäre es nicht geschehen, um sein Leben zu retten, so ist es mein fester Glaube, Mylady hätte ihn nie ersucht, über die Zugbrücke zu kommen, selbst wenn er sich dazu angeboten hätte.«

»Weib!« sagte der Connetable, »besinne Dich, was Du sagst. Wenn Du selbst zuvor in dieser Sache Böses angestiftet hast, wie ich aus Deiner eigenen Erzählung entnehme, so denke nicht, es durch neue Lügen wieder gut zu machen, bloß aus Aerger, daß Dir der Lohn entgangen ist.«

»Pilger,« sagte Raoul, mit seiner klanglosen Stimme, »ich bin gewohnt, das Geschäft der Zeitungsträgerei meiner Frau Gillian zu überlassen, die mit jedem Zankmaul in der Christenheit um die Wette schwatzen kann. Aber Du sprichst wie einer, der großen Anteil an diesen Geschichten nimmt, und so will ich Dir ganz offen sagen, daß dieses Weib ihre eigene Schande offenbart, indem sie ihr Einverständnis mit Randal de Lacy gesteht. Aber was sie gesagt hat, ist wahr, wie das Evangelium! und wäre es mein letztes Wort, so wollte ich's sagen, daß Damian und Lady Eveline unschuldig an allem Verrat und aller Schandbarkeit sind, wie neugeborene Kinder. – Aber was hilft's, was unseresgleichen davon sagt, wir, die wir hinausgetrieben sind – und unsere Notdurft erbetteln müssen, nachdem wir in einem so guten Hause gelebt haben und in eines so guten Herrn Diensten standen? – Gottes Segen sei mit ihm!«

»Aber sagt mir,« fuhr der Connetable fort, »sind nicht andere alter Diener des Hauses zurückgeblieben, die alles das eben so gut aussagen können wie Ihr?«

»Hem!« antwortete der Jäger, »die Menschen sind nicht sehr willig zu plaudern, wenn Randal de Lacy seine Peitsche über ihren Kopf knallen läßt. – Viele sind erschlagen worden oder verhungert – einige abgeschafft – einige verschwunden. – Aber da ist der Weber Flammock und seine Tochter Rose, die eben so viel wie wir von dem Handel wissen.«

»Wie? Wilkin Flammock? der wackere Niederländer?« sagte der, Connetable, »er und seine etwas vorlaute, doch treue Tochter Rose? – Ich gebe mein Leben für ihre Wahrhaftigkeit! – Wo halten sie sich auf? – Was ist unter all diesen Vorgängen ihr Schicksal gewesen?«

»Und um Gottes willen, wer seid Ihr, der diese Fragen tut?« sagte Dame Gillian. »Mann, Mann – wir sind zu frei gewesen. Es ist etwas in diesem Blick und diesem Tone, dessen ich mich erinnern sollte!«

»Ja, seht mich noch schärfer an!« sagte der Connetable, und warf den Hut ab, der bisher sein Gesicht verdunkelt hatte. »Auf Eure Knie, auf Eure Knie, Raoul,« rief Gillian aus, und sank zugleich auf die ihrigen. – »Es ist der Connetable selbst, und er hat gehört, daß ich ihn den alten Hugo genannt habe!«

»Es ist wenigstens alles, was von dem Connetable übrig geblieben ist,« erwiderte de Lacy, »und gerne verzeiht der alte Hugo Eure Dreistigkeit, Eurer guten Nachrichten wegen. – Wo befinden sich Flammock und seine Tochter?«

»Rose ist bei Lady Eveline,« sagte Dame Gillian. »Ihre Herrlichkeit wählten sie statt meiner zur Kammerfrau, obwohl Rose nie imstande war, auch nur eine holländische Puppe anzuziehen.«

»Das treue Mädchen!« rief der Connetable, »und wo ist Flammock?«

»O, was den anbetrifft, der hat Verzeihung und Gnade gefunden,« sagte Raoul, »er ist mit seinen Webern in seinem eigenen Hause, nahe der Schlachtbrücke, wie man jetzt den Ort nennt, wo Eure Herrlichkeit die Walliser schlugen.«

»So will ich denn dahin!« sagte der Connetable, »und dann wollen wir sehen, was für einen Willkommen König Heinrich von Anjou für einen alten Diener hat. – Ihr beide müßt mich begleiten.«

»Mylord,« sagte Gillian mit Stottern, »Ihr wißt, arme Leute haben schlechten Dank davon, wenn sie sich in großer Herren Sachen mischen. Ich bin überzeugt, Ew. Herrlichkeit sind imstande, uns zu schützen, wenn wir die Wahrheit gesagt haben, und werden auch mir verzeihen, was ich getan habe, da es durchaus nicht in böser Absicht geschah.«

»Stille, Frau! und schämt Euch!« sagte Raoul. »Wollt Ihr an Euren eigenen alten sündigen Leichnam denken, wenn Ihr Eure süße junge Gebieterin von Schande und Unterdrückung retten sollt? – Und was Deine böse Zunge betrifft und Deine schlechten Streiche, so weiß Sr. Herrlichkeit, daß sie Dir angewachsen sind.«

»Stille, guter Bursch,« sagte der Connetable, »wir wollen nicht auf Deines Weibes Irrtümer zurücksehen, und Eure Treue soll belohnt werden. – Ihr aber, meine treuen Begleiter,« sagte er und wandte sich zu Guarine und Vidal, »wenn de Lacy wieder in seine Rechte eingesetzt ist, woran er nicht zweifelt, so soll sein erster Wunsch sein, Eure Treue zu belohnen.«

»Die meinige, so wie sie ist, war und wird ihre eigene Belohnung sein,« sagte Vidal. »Ich will von dem nicht Gunstbezeugungen im Glücke verlangen, der im Unglück mir seine Hand verweigerte. – Unsere Rechnung ist noch nicht abgeschlossen,«

»Geh nur, Du bist ein Narr! Aber Dein Gewerbe hat das Vorrecht, launenhaft zu sein,« sagte der Connetable, dessen von Sturm und Wetter mitgenommene, etwas harte Gesichtszüge fast schön werden konnten, wenn Dankbarkeit gegen den Himmel und Wohlwollen gegen die Menschen sie belebte. – »Wir wollen,« sagte er, »bei der Schlachtbrücke wieder zusammentreffen, eine Stunde vor Sonnenuntergang. – Ich muß bis dahin noch vieles verrichtet haben.«

»Die Zeit ist kurz,« sagte sein Knappe.

»Ich gewann eine Schlacht in kürzerer,« erwiderte der Connetable.

»Und in ebenso kurzer,« sagte der Minstrel, »fand mancher Mann, der sich des Lebens und des Sieges gewiß hielt, den Tod.«

»Ebenso soll mein gefährlicher Vetter Randal alle seine ehrgeizigen Plane vernichtet sehen,« antwortete der Connetable und ritt vorwärts, begleitet von Raoul und seiner Frau, die wieder ihren Klepper bestiegen hatten, während der Minstrel und der Squire Zu Fuß folgten.

Fünfzehntes Kapitel

Von ihrem Gebieter zurückgelassen, wanderten die beiden Diener Hugo de Lacys in mürrischem Stillschweigen weiter, wie Menschen, die sich nicht leiden können und einander mißtrauen, obgleich zu gemeinschaftlichen Dienst miteinander verbunden und daher von gleichen Hoffnungen und Befürchtungen erfüllt. Der Widerwille war in der Tat hauptsächlich auf Guarines Seite; denn dem Renault Vidal konnte nichts gleichgiltiger sein, als sein Gefährte, wenn er sich auch bewußt war, daß Philipp ihn nicht liebe und wahrscheinlich, soweit es in seiner Macht lag, einige Pläne, die ihm nahe am Herzen lagen, gern durchkreuzt hätte. Er kümmerte sich wenig um seinen Gefährten, sondern brummte so für sich, als wolle er sein Gedächtnis üben, einige Romanzen und Lieder her, wovon mehrere in einer Sprache verfaßt waren, die Guarine, der nur ein Ohr für sein Normännisches hatte, nicht verstand.

Auf diese verdrießliche Art waren sie fast zwei Stunden gewandert, als ihnen ein Reitknecht zu Pferde entgegenkam, der einen gesattelten Klepper am Zügel führte. »Pilger!« sagte der Mann, nachdem er sie aufmerksam betrachtet hatte, »wer von Euch heißt Philipp Guarine?«

»Ich, in Ermangelung eines bessern,« sagte der Squire.

»In diesem Falle empfiehlt sich Euch Euer Herr,« sagte der Reitknecht, »und schickt Euch dieses Zeichen, woran Ihr erkennen sollt, daß ich wirklich sein Bote bin,« damit zeigte er dem Squire einen Rosenkranz, welchen Guarine sogleich für den des Connetables erkannte.

»Ich erkenne das Zeichen,« sagte er, »sage mir meines Herrn Befehl.«

»Er gebot mir. Euch zu sagen, daß sein Unternehmen geglückt sei und er noch diesen Abend um Sonnenuntergang im Besitz seines Eigentums zu sein hofft. Er verlangt daher, Ihr sollt diesen Zelter besteigen und mit mir nach Garde Douloureuse kommen, weil Eure Gegenwart dort nötig ist.«

»Sehr wohl, und ich gehorche ihm,« sagte der Knappe, gar sehr über den Inhalt der Botschaft erfreut, und gar nicht unzufrieden, sich von seinem Reisegefährten trennen zu müssen.

»Und welchen Auftrag habt Ihr für mich?« fragte der Minstrel den Boten.

»Wenn Ihr, wie ich vermute, der Minstrel Renault Vidal seid, so sollt Ihr Euren Herrn bei der Schlachtbrücke erwarten, nach dem schon früher erteilten Befehl.«

»Ich werde dort mit ihm zusammentreffen, nach Pflicht und Schuldigkeit,« war Vidals Antwort. Aber er hatte es kaum ausgesagt, als schon die beiden Pferde ihm den Rücken zukehrten, davonsprengten und ihm bald aus dem Gesicht kamen.

Es war vier Uhr nachmittags. Schon sank die Sonne, doch blieben noch drei Stunden Zeit bis zur bestimmten Zusammenkunft, und die Brücke war jetzt nicht über vierhundert englische Meilen entfernt. Vidal begab sich daher, entweder um auszuruhen – oder seinen Gedanken nachzuhängen, von dem Wege in ein Gebüsch zur linken Hand, aus dem das Wasser eines Flüßchens hervorrieselte, das von einer Quelle zwischen den Bäumen gespeist wurde. Hier setzte sich der Reisende nieder, und scheinbar nicht wissend, was er tun sollte, beugte er sich über die kleine perlende Quelle länger als eine halbe Stunde, ohne die Stellung zu verändern, so daß er zur Zeit der Heiden wohl die Bildsäule eines Wassergottes hätte vorstellen können, der sich über sein Becken beugt und aufmerksam darauf achtet, daß ihm Wasser reichlich entströme. Endlich aber schien er aus diesem Zustande des tiefen Nachdenkens zu erwachen, richtete sich auf und nahm etwas grobe Nahrung aus seiner Pilgertasche, als ob er sich plötzlich erinnerte, daß Speise und Trank nötig seien, das Leben zu erhalten. Aber es lag ihm wahrscheinlich etwas auf dem Herzen, das ihm die Gurgel zuschnürte oder den Appetit nahm. Nach einem vergeblichen Versuch, einen Bissen herunterzuschlucken, warf er ihn mit Ekel von sich, und wandte sich lieber zu einer kleinen umflochtenen Flasche, die etwas Wein oder ein anderes geistiges Getränk enthielt. Aber auch diese schien ihm widerlich zu sein, denn er schleuderte beides, Tasche und Fläschchen, von sich, bückte sich zur Quelle tat einen tiefen Zug aus dem reinen Element, badete darin Hände und Gesicht, und dadurch scheinbar erfrischt, begab er sich wieder auf den Weg, sang im Gehen, aber in melancholischem Tone, wilde Bruchstücke aus einer alten Poesie in einer gleichfalls veralteten Sprache.

Auf diese trübe Weise seinen Weg fortsetzend, bekam er endlich die Schlachtbrücke zu Gesicht, neben der in stolzer, düsterer Kraft die berühmte Burg von Garde Douloureuse sich erhob. »Hier also,« sagte er, »hier also soll ich den stolzen de Lacy erwarten. Sei es so in Gottes Namen – er soll mich besser kennen lernen, ehe wir uns trennen!«

So sprach er, maß mit langen, entschlossenen Schritten die Brücke und bestieg eine Anhöhe, die in einiger Entfernung sich auf der andern Seite erhob. Er betrachtete eine Zeitlang das Schauspiel unter sich: der schöne Fluß, geschmückt mit den Farben des westlichen Himmels – die Bäume im herbstlich bunten Laube – und die finstern Mauern und Türme der Burg, von der zuweilen ein Schimmer herabblitzte, wie die Waffen einer Schildwache, vom Strahl der untergehenden Sonne getroffen.

Die Gesichtszüge des Minstrels, die bisher düster und unruhig gewesen waren, schienen durch die Ruhe seiner Umgebung besänftigt. Er warf sein Pilgergewand zurück, so daß die dunklen Falten desselben nur wie ein Mantel um ihn hingen, unter dem der Waffenrock des Minstrels sich zeigte. Er nahm die Laute von seiner Seite (eine kleine Art von Geige mit einem Rade), spielte erst eine und die andere welsche Weise und endlich ein Lied, von dem wir einige Bruchstücke, wörtlich aus der alten Sprache übersetzt, in der es gesungen wurde, mitteilen können.

»Ich fragte meine Harfe: Wer hat beschimpft deine Saiten?


Da sprach sie: Der Finger, der krumme, den ich verspottet im Ton.


Es krümmt sich die Klinge von Silber; die Klinge von Stahl aber dauert.


Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Der süße Geschmack von Met entflieht den Lippen;


Aber lange zernagt sie der Saft des Wermuts.


Das Lamm, man bringt's zur Schlachtbank; der Wolf schweift auf dem Gebirge.


Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Ich fragte das Eisen, das rot auf dem Ambos glühte:


Warum glühst du länger als der Feuerbrand?


Mich gebar der finstre Schacht, den Brand der grünende Wald!


Liebe schwindet dahin; aber Rache hält ans.

Ich fragte die grünende Eiche: Was gleichen deine Zweige dem Geweihe des Hirsches?


Und sie zeigt an der Wurzel den kleinen nagenden Wurm.


Der Bube, der Geißel gedenkend, eröffnet das Pförtchen des Schlosses zur Nachtzeit.


Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus.

Blitze zerstören Tempel, dringt gleich deren Spitze durch Wolken.


Stürme zerstören Flotten, deren Segel leicht auffangen den günstigen Wind.


Er in der Mitte des Ruhms fällt durch den kraftlosen Feind.


Liebe schwindet dahin; aber Rache hält aus«.

Noch mehr solcher wilden Bilder wurden hingeworfen, deren jedes, wiewohl wunderlich und entfernt, doch in Beziehung zu dem Thema stand, das wie ein Kehrreim am Schlusse jeder Stanze wiederholt ward. So glich diese Poesie einem Musikstücke, das nach wiederholten Abschweifungen durch Phantasie und Variationen immer von neuem zu der einfachen Melodie zurückkehrte, wovon jene nur die Verzierungen waren.

Während der Minstrel sang, waren seine Augen auf die Brücke und die nächste Umgebung geheftet; aber als er an dem Schlusse des Gesanges seine Augen gegen die entfernten Türme von Garde Douloureuse erhob, sah er, daß die Tore geöffnet waren und Wachen und Diener an den Barrieren aufgestellt wurden, als ob sogleich etwas vor sich gehen oder eine Person von Wichtigkeit erscheinen sollte. Als er zu gleicher Zeit die Augen umherwarf, so bemerkte er, daß die Landschaft, die erst so einsam war, als er sich auf dem grauen Steine niedergelassen hatte, von dem aus er sie überschaute, sich mit Gestalten füllte.

Wahrend seiner Träumereien hatten viele Leute allein und in Gruppen, Männer, Weiber, Kinder sich an beiden Seiten des Flusses versammelt und verweilten da, als ob sie irgend ein Schauspiel erwarteten. Auch gab es einen Aufstand bei den flamländischen Mühlen, die er, wiewohl in einiger Entfernung, ganz genau sehen konnte. Es schien sich hier ein Zug in Ordnung zu stellen, der auch bald mit Pfeifen und Handtrommeln und andern musikalischen Instrumenten sich in Bewegung setzte und wohlgeordnet sich dem Platze näherte, wo Vidal saß.

Aber was da auch vor sich gehen mochte, es schien alles einen friedlichen Charakter zu haben. Denn die graubärtigen alten Männer der Niederlassung in ihrer anständigen Bauernkleidung, folgten den ländlichen Musikanten, drei oder vier zusammengehend, auf ihre Stäbe gestützt, und die Bewegung des ganzen Zuges durch ihre abgemessene Gangart regelnd. Hinter diesen Vätern der Niederlassung ritt Wilkin Flammock auf seinem mächtigem Streitroß in vollkommener Rüstung, doch mit unbedecktem Haupte, wie ein Vasall, der sich zum Kriegsdienste für seinen Herrn angeschickt hat. Ihm folgten, und zwar in Schlachtordnung, die jungen Männer der kleinen Kolonie, dreißig an der Zahl, wohl bewaffnet und gut gekleidet, deren starke Gliedmaßen sowohl als ihre blanke glänzende Rüstung eine gewisse Festigkeit und Zucht andeuteten, obwohl ihnen der feurige Blick der französischen Krieger fehlte oder die Miene trotziger Herausforderung, die dem Engländer eigen ist. Sodann kamen die Mütter und Mädchen der Kolonie; dann folgten die Kinder; endlich als Nachtrab kamen die jungen Leute von vierzehn bis Zwanzig Jahren, bewaffnet mit leichten Lanzen, Bogen und ähnlichen, für ihr Alter schicklichen Waffen.

Dieser Zug umschritt den Fuß der Anhöhe, auf der der Minstrel saß, ging dann langsam und geordnet über die Brücke und stellte sich zu einem Spalier auf, als gelte es, eine Person von Wichtigkeit zu empfangen oder einer Feierlichkeit beizuwohnen, Flammock hielt an dem äußersten Ende des so gebildeten Durchganges und beschäftigte sich ruhig, aber eifrig mit allerlei Anordnungen und Vorbereitungen,

Indessen kamen aus den verschiedenen Gegenden Müßiggänger zusammen, wie es schien durch bloße Neugier herbeigerufen, und bildeten ein buntes Gedränge an dem nach dem Schlosse zu gelegenen Ende der Brücke. Zwei englische Bauern gingen ganz dicht an dem Stein, wo Vidal saß, vorüber. »Willst Du uns ein Lied singen, Minstrel,« sagte einer von ihnen, »hier ist ein Kopfstück für Dich!« und warf ihm eine kleine Silbermünze in den Hut.

»Ich habe ein Gelübde getan,« sagte der Minstrel, »und kann die fröhliche Kunst jetzt nicht ausüben.« »Oder Ihr seid zu stolz, englischen Bauern was vorzuspielen,« sagte der ältere Landmann, »denn Eure Aussprache klingt normannisch,«

»Behalte dennoch das Stück Geld,« sagte der Jüngere. »Mag der Pilger empfangen, was der Minstrel zu verdienen verschmäht.«

»Ich bitte Euch, guter Freund, verschont mich mit Eurer Gabe,« sagte Vidal, »ich bedarf ihrer nicht. Statt dessen habt die Güte, mir mitzuteilen, was hier eigentlich vor sich gehen soll.«

»Wie? Wißt Ihr nicht, daß wir unsern Connetable de Lacy wiederhaben, und daß er die flamländischen Weber jetzt mit all den schönen Dingen, die Heinrich von Anjou ihnen verliehen, feierlich belehnen wird? – Wäre Heinrich der Bekenner noch am Leben, um den niederländischen Schuften ihren Lohn zu erteilen, so wäre es ein Stückchen vom Galgen gewesen. Aber komm, Nachbar, sonst geht uns das Schauspiel verloren.« – Mit diesen Worten eilten sie den Hügel hinab.

Vidal richtete seine Augen auf die Tore des Schlosses. Fahnen wurden entfaltet und Reiterei aufgestellt. Obwohl Vidal das aus der Entfernung nur undeutlich erkennen konnte, so ersah er daraus doch, daß jemand von Bedeutung an der Spitze einer ansehnlichen kriegerischen Begleitung aufzubrechen im Begriff stand. Entfernte Trompetenstöße, die an sein Ohr schlugen, schienen dasselbe anzudeuten. Jetzt merkte er schon an dem Staube, der sich wie Säulen zwischen der Burg und der Brücke erhob, wie auch an dem näherkommenden Klang der Blasinstrumente, daß die Schar herangeritten kam.

Vidal seinerseits schien noch unentschlossen, ob er seinen jetzigen Platz, von wo aus er alles, obwohl etwas entfernt, überschauen konnte, innehalten, oder ob er sich in das Gedränge mischen sollte, das jetzt an jeder Seite der Brücke herrschte, ausgenommen da, wo der Durchgang durch die bewaffneten, in Reihe aufgestellten Flamländer offen gehalten wurde.

Ein Mönch eilte an Vidal vorüber, und auf dessen wiederholte Frage nach der Ursache dieser Zusammenkunft, antwortete er in einem murmelnden Tone unter seiner Kapuze hervor, es wäre der Connetable de Lacy, der nun die erste Handlung seiner wiedererlangten Würde ausüben und den Flamländern den königlichen Gnadenbrief über ihre Freiheiten übergeben werde.

»Er beeilt sich recht sehr, wie es scheint, seine Würde auszuüben,« sagte der Minstrel. »Wer nur soeben ein Schwert erhalten hat, ist ungeduldig, es zu ziehen,« erwiderte der Mönch, der noch mehr hinzusetzte, was aber der Minstrel nicht ganz verstand; denn Pater Aldrovand hatte die vier Vorderzähne noch nicht ersetzt, die er bei der Belagerung verloren. Vidal glaubte indessen zu verstehen, daß jener den Connetable hier sprechen und um dessen Fürsprache zu seinen Gunsten bitten wolle.

»Auch ich will ihn sprechen,« sagte Renault Vidal und erhob sich plötzlich von dem Steine, auf dem er saß.

»So folgt mir,« murmelte der Priester, »die Flamländer kennen mich und werden mich durchlassen.«

Aber Pater Aldrovand war in Ungnade, sein Einfluß war also nicht so mächtig, als er sich geschmeichelt hatte; er sowohl, als der Minstrel wurden in dem Gedränge hin und her gestoßen und voneinander getrennt.

Vidal wurde jedoch von den englischen Landleuten wiedererkannt, die kurz zuvor mit ihm gesprochen hatten. »Kannst Du einige Taschenspielerstückchen machen, Minstrel?« sagte der eine. »Du könntest hier eine reiche Ernte haben, denn unsere normannischen Herren lieben die Gaukler.«

»Ich kann nur eins,« sagte Vidal, »und das will Euch zeigen, wenn Ihr mir ein wenig Platz machen wollt.«

Sie traten ein wenig zurück und ließen ihm Zeit, seine Mütze abzuwerfen, Beine und Knie zu entblößen, indem er die ledernen Halbstiefel, die sie einhüllten, abzog und nur die Sandalen anbehielt. Dann wand er ein dunkles Tuch um die braune, sonnenverbrannte Stirn und sein Oberkleid abschleudernd, zeigte er seine fleischigen, muskulösen Arme, nackt bis zur Schulter.

Aber während sich die Leute um ihn her an diesen Vorbereitungen belustigten, entstand eine lautere Bewegung unter der Menge. Zugleich ertönten die Trompeten näher, beantwortet von allen Instrumenten der Flamländer, wie auch von Jubelrufen in normannischer und englischer Sprache: »Lange lebe der tapfere Connetable! Unsere Frau für den kühnen de Lacy!« – alles verkündigte, daß der Connetable ganz nahe sei.

Vidal bemühte sich energisch, sich dem Führer des Zuges zu nähern, dessen Helm mit den hohen Federn und dessen rechte Hand mit dem Kommandostab ihm allein sichtbar waren, weil ihn Offiziere und Bewaffnete dicht umdrängten. Endlich gelang es ihm soweit, daß er nur etwa zehn Fuß noch von dem Connetable entfernt war. Dieser befand sich jetzt in einem kleinen Kreise, den man nur mit Mühe frei hielt. Er kehrte dabei dem Minstrel den Rücken zu, und eben beugte er sich vom Pferde nieder, um den königlichen Gnadenbrief Wilkin Flammock zu überreichen, der sich auf ein Knie niedergelassen hatte, ihn um so ehrfurchtsvoller entgegenzunehmen. Die Haltung des Flamländers nötigte dabei den Connetable, sich so tief zu bücken, daß der Federbusch seines Helms sich fast mit der Mähne seines edlen Streitrosses zu vermischen schien.

Im selben Augenblick sprang Vidal mit außerordentlicher Gewandtheit über die Köpfe der Flamländer, die den Kreis schlossen, hinweg, und ehe ein Auge blinzeln konnte, faßte sein rechtes Knie Halt auf dem Hinterteil des Pferdes, seine linke Hand packte de Lacy beim Kragen, und sich wie der Tiger nach dem Sprunge an seine Beute klammernd, zog er einen kurzen scharfen Dolch und stieß ihn dem Connetable hinten in den Nacken, da wo das Rückgrat und Gehirn ineinander übergehen. Der Stoß wurde mit der größten Treffsicherheit und mit gewaltiger Kraft geführt. Der Unglückliche sank aus dem Sattel, ohne zu zucken oder zu stöhnen, wie der Stier im Amphitheater unter dem Stahl des Toreadors; in seinem Sattel aber saß sein Mörder, schwang den blutigen Dolch und trieb das Roß zur Flucht an.

Es war wirklich die Möglichkeit vorhanden, daß die Flucht gelingen konnte, so regungslos, wie vom Schlage getroffen, standen im ersten Augenblicke alle Umstehenden da, durch die Schnelligkeit und Kühnheit der Tat erstarrt; aber den stämmigen Vater Rosas verließ die Geistesgegenwart nicht. Er ergriff das Pferd beim Zügel, und mit Hilfe der andern, die nun durch sein Beispiel aus der Erstarrung gerissen wurden, nahm er den Reiter gefangen, band ihm die Arme und rief laut, er müsse vor König Heinrich geführt werden. Diese Worte, in Flammocks starker entschlossener Stimme, beschwichtigten das wilde Geschrei über Mord und Verrat, das aus tausend Kehlen erscholl und dadurch entstanden war, daß die verschiedenen Völkerschaften angehörenden und daher einander feindlich gesinnten Zuschauer sich gegenseitig den Vorwurf der Verrätern machten.

Alle diese Ströme vereinigten sich aber jetzt in einem Bett und wogten vorwärts gegen Garde Douloureuse, ausgenommen einige aus dem Gefolge des ermordeten Edelmannes, die zurückblieben, um den Leichnam ihres Herrn mit gebührender Feierlichkeit und Trauer von dem Orte, wohin er mit so großem Prunk und Triumph geritten war, wegzuschaffen. Als Flammock Garde Douloureuse erreichte, wurde er sogleich mit seinem Gefangenen und denen vorgelassen, die er auswählt hatte, um als Zeugen zur Ueberführung des Verbrechers zu dienen. Gleich anfangs wurde ihm auf sein Gesuch um Audienz geantwortet, der König hätte befohlen, daß jetzt niemand vor ihn gelassen werden sollte; aber die Nachricht von der Ermordung des Connetables war doch so überraschend, daß der Hauptmann von der Wache es wagte, Heinrichs Ruhe zu stören und ihm das Ereignis mitzuteilen. Er kehrte mit dem Befehl zurück, daß Flammock und sein Gefangener sogleich in das königliche Gemach treten sollten. Hier fanden sie Heinrich von mehreren Personen umgeben, die ehrfurchtsvoll hinter dem königlichen Stuhl in einem dunklen Teil des Gemachs standen.

Als Flammock hereintrat, bildeten seine breiten, starken Glieder einen auffallenden Gegensatz zu seinem vor Entsetzen über das eben Erlebte bleichen Wangen und zu seiner Befangenheit, sich in dem königlichen Audienzzimmer zu befinden. Neben ihm stand sein Gefangener, unerschrocken trotz seiner furchtbaren Lage. Das Blut, das aus der Wunde seines Opfers gespritzt war, zeigte sich auf seinen bloßen Gliedern und seinem engen Kleide, besonders aber auf seiner Stirn und dem darum gewundenen Tuche.

Heinrich warf einen strengen Blick auf ihn, den jener aber nicht nur ohne Furcht ertrug, sondern selbst mit einem finstern Blicke des Trotzes zu erwidern schien.

»Kennt hier keiner diesen Bösewicht?« fragte Heinrich und blickte umher.

Auf diese Frage antwortete niemand, bis Philipp Guarine aus der Gruppe, die sich hinter dem königlichen Stuhle befand, hervortrat und mit fast versagender Stimme antwortete: »Da Ihr es erlaubt, mein Fürst – sofern mich nicht sein sonderbarer Anzug irre macht – so würde ich sagen, er wäre ein Minstrel aus dem Haushalt meines Herrn, namens Renault Vidal.«

»Du bist im Irrtum, Normann!« erwiderte der Minstrel, »die Stelle als Diener und meine niedere Abkunft waren nur angenommen – ich bin Cadwallon, der Brite – Cadwallon, der erste Barde Gwenwyns von Powislaws und – sein Rächer.« –

Als er die letzten Worte aussprach, erblickte er einen Pilger, der allmählich aus dem Hintergrund hervortrat, wo das Gefolge sich befand, und jetzt vor ihm stehen blieb.

Des Welschen Augen quollen gespensterhaft hervor, als wollten sie aus ihren Höhlen brechen, indem er mit einem Tone des Erstaunens und Schreckens ausrief: »Erscheinen die Toten vor den Königen? – Oder wenn Du lebst, wen habe ich erschlagen? – Ich habe von dem Sprunge und Dolchstoß doch nicht geträumt? – dennoch steht mein Opfer vor mir! – Habe ich nicht den Connetable von Chester erschlagen?«

»Du hast wirklich den Connetable erschlagen,« antwortete der König. »Aber wisse, Waliser, es war Randal de Lacy, dem ich heute morgen diese Würde übertragen hatte, denn wir glaubten, daß unser vielgetreuer Hugo de Lacy auf seiner Rückkehr vom heiligen Lande umgekommen sei, weil die Nachricht einlief, daß das Schiff, auf dem er sich befand, gescheitert sei. Du hast Randals kurze Erhebung nur um einige Stunden verkürzt; denn die morgende Sonne hätte ihn schon wieder ohne Land und Würden gesehen.«

Der Gefangene ließ in Verzweiflung das Haupt auf die Brust sinken. »Ich glaube,« murmelte er, »er hätte so schnell seine Haut verändert und sei wieder in Glanz hervorgetreten. Mögen die Augen mir aus dem Kopfe fallen, die sich durch dergleichen Spielwerk, wie Federhut und lackierter Stab, betrügen ließen!«

»Ich werde Sorge tragen, Waliser, daß Deine Augen Dich nicht wieder betrügen!« sagte der König sehr ernst. »Ehe die Nacht eine Stunde älter ist, sollen sie für alles, was irdisch ist, geschlossen sein.« »Darf ich Ew. Gnaden um die Erlaubnis ersuchen,« sagte der Connetable, »dem unglücklichen Mann einige Fragen vorlegen zu dürfen.«

»Sobald ich ihn erst selbst werde gefragt haben,« sagte der König, »warum er seine Hände in das Blut eines edlen Normannen tauchte?«

»Weil er, dem ich meinen Stoß zugedacht hatte,« sagte der Brite, den feurigen Glanz seiner Augen von dem Könige auf de Lacy und zurück auf den König werfend, »das Blut des Abkömmlings von tausend Königen verspritzt hat, gegen den sein Blut und auch Deines, stolzer Graf Anjou, ebensowenig ist, wie eine Pfütze auf der Landstraße gegen eine silberne Quelle.«

Heinrichs Auge bedrohte den kühnen Sprecher, doch unterdrückte der König seinen Zorn, als er den bittenden Blick seines Lehnsmannes gewahrte. »Was wolltest Du ihn fragen?« sagte er. »Sei kurz, denn seine Zeit ist gemessen.« »Wenn Ihr es gestattet, mein Fürst, so wollte ich nur fragen, warum er es jahrelang aufgeschoben hat, das Leben dem zu nehmen, dem er nachstellte, da es doch oft in seinen Händen war – ja, da es ohne seinen scheinbar treuen Dienst hätte verloren gehen können?«

»Normann!« sagte Cadwallon, »ich will Dir antworten. Als ich zuerst in Deinen Dienst ging, war es meine Absicht, Dich schon in derselben Nacht zu erschlagen. Da steht der Mann,« und er zeigte auf Philipp Guarine, »dessen Wachsamkeit Dich damals gerettet hat.«

»In der Tat,« sagte de Lacy, »ich erinnere mich, daß ich manchmal etwas bemerkte, was mir nicht geheuer vorkam. Aber warum schobst Du Deinen Vorsatz auf, als nachher mein Leben oft in Deine Hand gegeben war?«

»Als der Mörder meines Souverains Gottes Söldner war,« antwortete Cadwallon, »und der Sache des Himmels in Palästina diente, war er vor meiner irdischen Rache sicher.«

»Eine wunderbare Enthaltsamkeit bei einem welschem Meuchelmörder!« sagte der König verächtlich.

»Ja,« antwortete Cadwallon, »eine Enthaltsamkeit, die christliche Fürsten dadurch ausüben, daß sie die Abwesenheit eines nach dem heiligen Lande gezogenen Nebenbuhlers benützten, sich seine Besitzungen anzueignen.«

»Nun! bei dem heiligen Kreuze!« sagte Heinrich, und wollte seinem Zorn Luft machen, denn die Beleidigung traf ihn besonders, [Weniger ihn, als seinen Großvater Heinrich I., welcher seinem ältern Bruder Robert erst das Anrecht an die Krone und hernach die Normandie raubte, während dieser sich auf einem Kreuzzuge befand.] aber plötzlich hielt er an sich und sagte mit der Miene der Verachtung: »Zum Galgen mit dem Buben!«

»Noch eine Frage,« sagte de Lacy, »Renault, oder wie Du heißt, auch auf meiner Rückreise hast Du mir Dienste geleistet, die sich mit Deinem festen Entschluß, mich zu töten, kaum vereinbaren lassen. – Du standest mir im Schiffbruch bei – Du führtest mich sicher durch Wales, wo schon mein bloßer Name meinen Tod herbeigeführt hätte – und dies alles, nachdem der Kreuzzug schon vollendet war?«

»Ich könnte Deine Zweifel lösen,« sagte der Barde, »nur möchte man glauben, ich spräche für mein Leben.«

»Darum stehe nicht an, fortzufahren,« sagte der König, »denn wollte auch der heilige Vater für Dich bitten, seine Bitte wäre vergeblich.« »Gut denn,« sagte der Barde, »so vernimm die Wahrheit. – Ich war zu stolz, weder den Meereswogen noch den Walisern einen Anteil an meinem Rachewerk einzuräumen. Wisse auch, obwohl es vielleicht eine Schwäche Cadwallons ist, indem ich mit Dir umging und mich an Dich gewöhnte, schwankte ich zwischen Abscheu und Bewunderung. Ich dachte noch immer an meine Rache, aber als an etwas, das ich wohl nie erfüllen würde. Sie erschien mir mehr wie ein Bild in den Wolken, als wie ein Gegenstand, dem ich einmal näher treten mußte. Und als ich Dich noch heute so fest entschlossen sah, Dein furchtbares Unglück wie ein Mann zu tragen, – so daß Ihr mir dem letzten Turme eines zerstörten Palastes zu gleichen schienet, der noch immer sein Haupt zum Himmel erhebt, indes die stolzen Mauern, die prächtigen Gemächer rings in Trümmern liegen: – da sagte ich im stillen zu mir selbst: Möge es mein eigener Tod sein – den Mann töte ich nicht! Da, eben da – es sind nur einige Stunden verflossen – hättest Du nur die Hand anzunehmen brauchen, die ich Dir bot, so hätte ich Dir gedient, wie ein Diener seinem Herrn. – Ihr wieset sie zurück mit Verachtung – und doch mußte ich mir erst in Erinnerung rufen, wie Ihr im Stolze des normannischen Uebermuts über das Feld hinsprengtet, wo Ihr meinen Herrn erschlugt, ehe in mir wieder der Entschluß fest stand, den Streich zu tun, der Euch zugedacht war und nun wenigstens einen von Eurem gewalttätigen Geschlecht erschlagen hat. – Jetzt will ich keine Fragen mehr beantworten. – Führt mich zum Beil oder zum Galgen! – dem Cadwallon ist es gleich – meine Seele wird bald bei meinen freien, edlen Vorfahren sein.«

»Mein Herr und König,« sagte de Lacy und beugte sein Knie vor Heinrich, »könnt Ihr dieses hören und einem alten Diener eine Bitte abschlagen? – Verschont diesen Menschen! – Löscht nicht ein solches Licht aus, weil es ausschweifend und wild ist.«

»Steh auf, steh auf, de Lacy, und schäme Dich Deiner Bitte!« sagte der König, »Deines Verwandten Blut – das Blut eines edlen Normanns haftet an Hand und Stirn des Welschen. So wahr ich ein gekrönter Fürst bin, er soll sterben, ehe es abgewischt ist. – Fort, zu seiner Hinrichtung, auf der Stelle!« – Cadwallon ward sogleich unter Wache abgeführt.

»Du bist wahnsinnig, de Lacy – Du bist wahnsinnig, mein alter, treuer Freund, so in mich zu dringen,« sagte der König und nötigte de Laey aufzustehen. »Siehst Du nicht, daß ich hierin für Dich Sorge trage. Dieser Randal hat sich durch Freigebigkeit und Versprechungen viele Freunde gemacht, die wohl nicht so leicht zur Vasallenpflicht gegen Dich zurückkehren würden, da Du ganz arm und bar an Macht und Reichtum heimkamst. Hätte er gelebt, wir hätten viele Mühe gehabt, ihn ganz der Macht zu berauben, die er erworben hatte. Wir danken es dem Waliser Mörder, der uns von ihm befreite, aber seine Anhänger würden über falsches Spiel schreien, bliebe der Mörder verschont. Wenn Blut für Blut geflossen ist, wird alles vergessen sein, und ihre Treue wird wiederum in ihrem rechten Bette ihrem rechtmäßigen Lehnsherren zuströmen.«

Hugo de Lacy erhob sich von seinen Knien und versuchte ehrerbietig, die politischen Gründe seines klugen Fürsten zu bekämpfen, die, wie er deutlich sah, weniger seinen Vorteil bezweckten, als vielmehr dazu dienen sollten, bei der Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Herrn nach Möglichkeit alle Unruhen zu vermeiden.

Heinrich hörte geduldig seine Gründe an und widerlegte sie mit Gelassenheit, bis die Totentrommel gerührt wurde und die Schloßglocke zu läuten begann. Da führte er de Lacy zum Fenster, auf das, denn es war schon finster, ein starkes, rotes Licht von draußen fiel. Eine Schar Bewaffneter, ein jeder eine brennende Fackel in der Hand, kehrte die Terrasse entlang von der Hinrichtung des wilden, doch hochgesinnten Briten zurück, und der Ausruf: »Lange lebe König Heinrich! so müßten alle Feinde der edlen Normannen sterben!« hallte in die Nacht.

Sechzehntes Kapitel

Man hatte allgemein geglaubt, Eveline Berenger sei nicht unter die Obhut der Aebtissin, ihrer Tante, sondern in strengeren Gewahrsam gebracht worden; aber das war ein Irrtum. Freilich, selbst diese Haft war streng genug; denn unverheiratete Tanten, ob Aebtissinnen oder nicht, sind eben nicht sehr duldsam gegen die Irrtümer, deren man Eveline anklagte; und das unschuldige Mädchen mußte ihr Brot in Scham und Bitterkeit essen. Mit jedem Tag wurde ihre Haft unerträglicher durch den Spott, den sie unter den verschiedensten Gestalten, bald als Mitleid, bald als Trost, bald als Ermahnung erdulden mußte, der aber, seiner Hülle entkleidet, offenbar nichts wie der Ausdruck des Zorns und der Beschimpfung war. Rosens Gesellschaft allein hielt sie aufrecht und auch diese wurde ihr endlich an demselben Morgen entrissen, als so viele wichtige Begebenheiten sich zu Garde Douloureuse ereigneten.

Die junge, unglückliche Lady befragte umsonst eine sauertöpfische Nonne, die an Rosens Stelle erschien, ihr beim Ankleiden zu helfen, warum man ihre Gesellschafterin und Freundin nicht bei ihr ließe. Ueber diesen Punkt behauptete die Nonne ein hartnäckiges Schweigen, warf aber dagegen manche Bemerkungen hin über die Wichtigkeit, die man der eitlen Ausschmückung eines gebrechlichen Kindes, vom Staube geboren, beilege, und über das harte Los, daß eine Braut des Himmels gezwungen sei, ihre Gedanken von ihren höheren Pflichten abzulenken und statt dessen Häkchen zu festigen und Schleier zierlich zu legen.

Die Aebtissin erzählte indes ihrer Nichte nach der Frühmette, daß ihre Dienerin nicht nur auf eine kurze Zeit von ihr entfernt sei, sondern wahrscheinlich in ein Kloster von der strengsten Regel eingeschlossen würde, da sie ihrer Gebieterin Beistand geleistet habe, Damian de Lacy in ihr Schlafzimmer im Schlosse von Baldringham einzulassen.

Ein Krieger von de Lacys Mannschaft, der bis dahin verschwiegen hatte, was er in jener Nacht gesehen, hatte jetzt zu Damians Unglück geglaubt, sich selbst durch Erzählung der Geschichte einen Vorteil zu verschaffen. Dieser neue Schlag, so unerwartet, so niederwerfend – diese neue Beschuldigung, die so schwer aufzuklären und unmöglich ganz zu widerlegen war, schien Evelinens und ihres Geliebten Schicksal zu besiegeln. Der Gedanke aber, in ihr Verderben ihre innige, treue, hochherzige Dienerin verwickelt zu haben, fehlte noch, sie in einen Zustand zu versetzen, der der Fühllosigkeit der Verzweiflung sich näherte. »Denkt von mir, was Ihr wollt,« sagte sie zu ihrer Tante, »ich will mich nicht länger selbst verteidigen – sagt, was Ihr wollt, ich will nicht mehr antworten – bringt mich, wohin Ihr wollt, ich will nicht länger widerstehen – Gott wird zu seiner Zeit, meinen guten Namen wiederherstellen – möge er meinen Verfolgern vergeben!«

Nach dieser Erklärung schlich Eveline an diesem traurigen Tage auf den leisesten Wink der Aebtissin oder der ihr zur Dienerin beigegebenen Nonne blaß, kalt und schweigend von der Kapelle zum Refektorium, vom Refektorium wieder zur Kapelle, und schien die verschiedenen Entbehrungen, Nutzungen, Ermahnungen und Vorwürfe, denen sie während dieses Tages in einem außerordentlichen Maße ausgesetzt war, nicht mehr zu empfinden, als die Bildsäule von Marmor die Unfreundlichkeit der rauhen Luft und die Regentropfen fühlt, die auf sie fallen und mit der Zeit sie verwüsten und verzehren müssen.

Die Aebtissin, die ihre Nichte liebte, wiewohl sich ihre Zuneigung auf eine sehr quälende Art zeigte, wurde endlich unruhig – nahm den Befehl zurück, Eveline in eine schlechtere Zelle zu setzen, ließ in ihrer eigenen Gegenwart sie zu Bette bringen (worein, wie in alles andere, die junge Lady widerstandslos willigte), und mit einer Art von wiederauflebender Zärtlichkeit küßte sie sie und gab ihr den Segen, als sie das Zimmer verließ. So geringfügig auch dieses Zeichen der Freundlichkeit war, so war es doch unerwartet, und gleich dem Stabe des Moses, öffnete es die verborgene Wasserquelle. Eveline weinte, eine Erleichterung, die ihr den Tag über noch nicht vergönnt gewesen war, – sie betete – und endlich schluchzte sie sich selbst wie ein Kind in Schlaf, nachdem ihr Gemüt dadurch einigermaßen beruhigt worden, daß sie diesen Wogen einer inneren Bewegung einen freien Durchbruch verschafft hatte.

Sie erwachte in der Nacht mehr als einmal, sich ineinandergemischte Träume zurückrufen von Zellen und Burgen, Leichenbegängnissen und Hochzeitsfeier, Wappenkronen, Folter und Galgen; aber gegen Morgen fiel sie in einen sanfteren Schlaf, als ihr bisher zuteil geworden, und auch die Träume wurden sanfter. Unsere Frau von Garde Douloureuse schien in ihren Träumen auf sie herabzulächeln und ihrer Geweihten Schutz zu verheißen. Der Schatten ihres Vaters zeigte sich auch, und mit der Kühnheit der Träumenden betrachtete sie des Vaters Bild mit Ehrerbietung, aber ohne Furcht. – Seine Lippen bewegten sich – sie hörte Worte – ihren Inhalt verstand sie nicht, nur daß sie von Hoffnung, Trost und nahender Glückseligkeit sprachen. Auch glitt leise hinein, die glänzenden blauen Augen auf sie gerichtet, gekleidet in eine Tunika von safrangelber Seide, mit einem himmelblauen Mantel nach altertümlichen Schnitt, eine weibliche Gestalt im höchsten Glanze der Schönheit. Es war, wie es ihr vorkam, die Britin Vanda; aber ihre Gesichtszüge hatten nicht mehr den zürnenden Ausdruck, ihr langes gelbes Haar flog nicht mehr aufgelöst um ihre Schultern, sondern war geheimnisvoll mit Eichenlaub und Misteln durchflochten. Vor allem aber ragte in reizvoller Stellung ihre rechte Hand unter dem Mantel hervor, und es war nicht mehr eine verstümmelte, sondern eine unbefleckte, schön geformte Hand, die die Evelinens drückte. Doch mitten unter diesen Zeichen der Gunst lief ein Schauer durch Evelinens Seele, als die Erscheinung zu wiederholen oder zu singen schien:

Als Gattin, Witwe, als Jungfrau – in Ehe,


Braut, Verräterin, selber verraten, Wehe!


Es ist geschehen, wie's hieß, daß es geschehe.


Gerächt ist also Bandas Wunde:


Nimm hier der Versöhnung Kunde.

Sie beugte sich nieder, als wollte sie Eveline küssen, die in diesem Augenblick aufschrak und erwachte. Und wirklich wurde ihre Hand sanft von einer anderen gedrückt, die so zart und weich war wie ihre eigene. Die blauen Augen und das schöne Haar eines lieblichen Gesichtes, mit verschleiertem Busen und aufgelösten Locken nahte sich in der Tat mit ihren Lippen denen der liebenswürdigen Schläferin im Augenblick des Erwachens; aber es war Rose, in deren Armen Eveline sich fühlte, die ihr Gesicht mit Tränen benetzte, indem sie mit der innigsten Liebe sie zugleich mit Küssen bedeckte.

»Was bedeutet das, Rose?« sagte Eveline. »Gott sei Dank Du bist mir wiedergegeben! Doch was bedeuten diese ausbrechenden Tränen?«

»Laßt mich weinen – laßt mich weinen,« sagte Rose. »Schon lange ist's, daß ich nicht vor Freuden weinte, und lange, hoffe ich, soll es währen, ehe ich wieder vor Kummer weine. – Nachrichten sind in aller Eile von Garde Douloureuse gekommen. – Amelot hat sie gebracht, er ist in Freiheit – sein Herr auch und in hoher Gunst bei Heinrich. – Hört noch mehr – aber laßt es mich nicht so schnell sagen, Ihr werdet blaß!«

»Nein, nein!« sagte Eveline. – »Fahre fort – fahre fort – ich denke, ich verstehe Dich – ich denke so.«

»Der Bösewicht Randal de Lacy, der an allen unseren Leiden schuld ist, wird Euch nicht mehr quälen. Er ist von einem ehrlichen Waliser erschlagen worden, und es tut mir leid, daß sie den Mann für den guten Dienst gehängt haben. Aber die Hauptsache ist, der wackere alte Connetable ist selbst von Palästina zurückgekehrt, ebenso achtungswert als sonst und etwas klüger, als er war; denn es heißt, er wolle seiner Verbindung mit Ew. Herrlichkeit entsagen.«

»Albernes Mädchen!« sagte Eveline, ebenso hoch errötend, als sie zuvor erblaßte. »Scherze nicht bei einer solchen Erzählung. – Aber wie? – Kann dies Wahrheit sein? – Ist Randal wirklich erschlagen? – Der Connetable wirklich zurückgekehrt?«

Nun folgten hastig ausgestoßene Fragen, ebenso hastig und verwirrt beantwortet und vermischt mit Ausbrüchen des Erstaunens, des Danks gegen den Himmel und Unsere Frau, bis das Uebermaß des Entzückens nachließ und in ruhigere Verwunderung überging.

Indessen mußte auch Damian de Lacy Aufklärung erhalten, und die Art, wie er sie empfing, hatte etwas Merkwürdiges. Damian war seit einiger Zeit der Bewohner eines Aufenthalts, den man heutzutage einen Kerker nennen würde, in jenen älteren Zeiten jedoch nur als Haftzelle bezeichnete. Man kann uns vielleicht tadeln, daß wir anerkannte überwiesene Verbrecher mit menschlicherer Wohnung und Nahrung versehen, als sie selbst sich, wenn sie in Freiheit wären, durch fleißige Arbeit würden verdienen können, doch ist dies ein verzeihlicher Irrtum, verglichen mit dem unserer Vorfahren, die Anklage und Ueberführung als gleichbedeutend betrachteten, und den Angeklagten vor der Verurteilung auf eine Weise behandelten, die selbst schon nach einer Anerkennung der Schuld die schärfste Strafe gewesen wäre. Damian war demzufolge trotz seiner hohen Geburt und seinem ausgezeichneten Rang auf eben die Weise, wie man mit dem ruchlosen Verbrecher zu verfahren pflegte, eingekerkert worden. Mit schweren Ketten beladen, erhielt er nur die allergröbste Nahrung und mußte in einer einsamen Zelle, deren klägliches Gerät aus einer schlechten Bettstelle, einem zerbrochenen Tisch und einem Stuhl bestand, über sein Unglück nachsinnen. Ein Sarg – sein Wappen und sein Monogramm befanden sich auf demselben – stand in einem Winkel, ihn an sein nahendes Schicksal zu erinnern, und ein Kruzifix stand in einem andern, ihm anzudeuten, daß es noch eine andere Welt gäbe, jenseit derjenigen, welche sich bald für ihn verschließen würde. Kein Geräusch konnte in die eiserne Stille seines Gefängnisses eindringen – kein Laut, aus dem er sein Schicksal oder das seiner Freunde hätte erraten können. Angeklagt, im offenen Kriege gegen seinen König gefangen worden zu sein, war er dem Kriegsgesetz anheimgefallen, und konnte ohne förmliches Verhör hingerichtet werden; auch erwartete er kein anderes Ende seiner Gefangenschaft.

Diese melancholische Wohnung war nun fast einen Monat Damians Aufenthalt gewesen, als, so sonderbar es scheinen mag, seine Gesundheit, die so sehr unter seinen Wunden gelitten hatte, allmählich sich wiederherzustellen begann. Entweder war ihr die strenge Diät vorteilhaft, zu der er gezwungen war, oder aber die Gewißheit, wie traurig sie sein mag, ist mancher Natur zuträglicher, als der fiebrische Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht. Doch schien jetzt das Ende seiner Gefangenschaft nahe bevorzustehen; sein Wärter, ein grämlicher Sachse aus der niedrigsten Klasse, begann ihn, wortreicher, als er gewöhnlich war, zu ermahnen, daß er sich auf eine baldige Veränderung seines Zustandes gefaßt machen sollte, und der Ton, in dem er sprach, überzeugte den Gefangenen, daß keine Zeit zu verlieren sei. Er forderte einen Beichtvater, und der Gefangenenwärter, obwohl er ohne Antwort sich entfernte, schien durch sein Benehmen anzudeuten, daß dieses Verlangen wohl erfüllt werden würde.

Am nächsten Morgen zu einer ungewöhnlich frühen Stunde, ließ sich das Rasseln und Knarren von Ketten und Riegeln hören, und Damian wurde aus dem bisher ununterbrochenen Schlaf erweckt, den er seit ein paar Stunden genossen hatte. Seine Augen richteten sich auf die langsam sich öffnende Türe, als erwarte er den Scharfrichter und seine Gehilfen; aber der Kerkermeister führte einen kräftigen, gedrungenen Mann in Pilgerkleidung herein.

»Ist es ein Priester, den Ihr mir bringt, Wärter?« fragte der unglückliche Gefangene.

»Er kann die Frage am besten selbst beantworten,« sagte der mürrische Beamte und entfernte sich sogleich.

Der Pilger blieb gleich beim Eingang stehen, mit dem Rücken nach dem kleinen Fenster oder sogenannten Luftloch, durch das die Klause nur ein sehr unvollkommenes Licht empfing, und blickte scharf auf Damian hin, der auf dem Rande seines Bettes saß, und dessen bleiche Wangen und verworrene Haare in traurigem Einklang mit seinen schweren Ketten standen. Er erwiderte den Blick des Pilgers, aber das unvollkommene Licht ließ ihn nur soviel sehen, daß der Fremde ein kräftiger alter Mann sei, der die Jakobsmuschel an seinem Hute trug, zum Zeichen, daß er über das Meer gefahren war, und einen Palmenzweig in der Hand hatte, zum Zeichen, daß er das heilige Land besucht habe.

»Benedicite, ehrwürdiger Vater,« sagte der junge Mann. »Seid Ihr ein Priester, und kommt Ihr, mein Gewissen zu entlasten?«

»Ich bin kein Priester,« erwiderte der Pilger, »sondern einer, der Euch sehr trostlose Nachrichten bringt.«

»Ihr bringt sie einem, dem Trost schon lange etwas Fremdes ist, und an einem Orte, der ihn niemals kannte,« erwiderte Damian.

»Nm so freimütiger kann ich in meiner Mitteilung sein,« sagte der Pilger. »Wer sich in Betrübnis befindet, wird leichter böse Nachrichten ertragen, als der, den sie mitten in Zufriedenheit und Wohlsein überraschen.«

»Aber die Lage eines Elenden,« sagte Damian, »kann noch elender werden durch Ungewißheit. Ich bitte Euch, ehrwürdiger Herr, das Schlimmste mit einem Wort auszusprechen. – Kommt Ihr, das Todesurteil dieser armseligen Gestalt anzukündigen, so möge Gott der Seele gnädig sein, die so gewaltsam von ihr losgerissen wird.«

»Ich habe keinen solchen Auftrag,« sagte der Pilger. – »Ich komme aus dem heiligen Lande, und beklage es um so mehr, Euch hier zu finden, weil meine Botschaft für den freien und reichen Damian de Lucy bestimmt war.«

»Von meiner Freiheit,« sagte Damian; »laß diese Ketten, von meinem Reichtum dieses Gemach sprechen. – Doch melde Deine Neuigkeiten! – Sollte mein Oheim, denn ich fürchte, Deine Erzählung betrifft ihn, meines Arms und meines Vermögens bedürfen, so enthalten dieser Kerker und meine Erniedrigung mehr Qualen, als ich geglaubt hätte.«

»Euer Oheim, junger Mann,« sagte der Pilger, »ist ein Gefangener, ich wollte vielmehr sagen, ein Sklave des großen Sultans, in dessen Hände er in einer Schlacht fiel, wo er sich ungemein auszeichnete, obwohl es ihm nicht möglich war, die Niederlage der Christen abzuwenden. Er wurde gefangen genommen, als er den Rückzug deckte, doch erst, nachdem er, zu seinem Unglück, wie sichs nachher auswies, Hassan Ali, den Liebling des Sultans, erschlagen hatte. Der grausame Heide ließ den würdigen Ritter in noch schwerere Eisen schlagen, als Ihr ertragt, und gegen seinen Kerker ist dies ein Palast. Des Ungläubigen erster Entschluß war, den tapfern Connetable den furchtbarsten Tod, den seine Peiniger nur erfinden konnten, leiden zu lassen. Aber er erfuhr, daß es ein Mann von großem Reichtum und Einfluß sei' und so hat er ein Lösegeld von zehntausend goldenen Byzanthinern gefordert. Euer Oheim erwiderte ihm, daß eine solche Zahlung ihn gänzlich arm machen und ihn zwingen würde, alle seine Ländereien loszuschlagen, wobei ihm dann auch Zeit gewährt werden müßte, sie zu Gelde zu machen. Der Sultan versetzte, daß ihm wenig daran gelegen wäre, ob ein Hund, wie der Connetable, fett oder mager würde, und daß er dennoch auf den vollen Betrag des Lösegeldes bestehe. Doch so viel gab er nach, die Zahlung in drei Terminen annehmen zu wollen, unter der Bedingung, daß zugleich mit dem ersten Teil des Geldes der nächste Verwandte und Erbe de Lacys ihm als eine Geisel für die noch fällige Schuld überliefert würde. Unter dieser Bedingung willigte er ein, daß Euer Oheim in Freiheit gesetzt werden sollte, sobald Ihr in Palästina mit dem Gelde angelangt wäret.«

»Nun mag ich mich erst recht in der Tat unglücklich nennen,« sagte Damian, »daß ich meinem Oheim, der mir Waisenkind immer ein Vater gewesen, nicht Liebe und Treue zeigen kann.«

»Es wird das ohne Zweifel eine schwere Enttäuschung für den Connetable sein,« sagte der Pilger. »Da er sich ungemein sehnte, in dieses glückliche Land zurückzukehren, um seine Vermählung mit einem Fräulein von hoher Schönheit und großem Reichtum zu vollziehen.«

Damian schauderte zusammen, daß seine Fesseln klirrten, antwortete aber nichts.

»Wäre er nicht Euer Oheim,« fuhr der Pilgrim fort, »und als ein verständiger Mann sehr wohl bekannt, so sollte ich denken, hierin sei er nicht ganz klug zu Werke gegangen. Wie er auch vorher in England gewesen sein mag, zwei Sommer, im Kriege und in Palästina zugebracht, und ein dritter in der qualvollen Entbehrung eines heidnischen Gefängnisses, haben einen gar trübseligen Bräutigam aus ihm gemacht.«

»Ruhig, Pilgrim,« sagte de Lacy mit gebietendem Tone. »Es geziemt Dir nicht, einen edlen Ritter wie meinen Oheim zu beurteilen, noch geziemt es mir, daß ich auf Eure Bemerkungen höre.«

»Ich bitte um Verzeihung, junger Mann,« sagte der Pilger. »Ich hatte dabei nur Euer Bestes im Auge. Für Euch kann es doch wohl nicht von Vorteil sein, wenn Euer Oheim einen leiblichen Erben bekommt.«

»Schweige, niedriger Mensch!« sagte Damian. »Beim Himmel, ich denke schlechter von meiner Klause als zuvor, seit ihre Türen sich einem solchen Ratgeber öffneten, und schlechter von meinen Ketten, weil sie mich daran hindern, ihn zu züchtigen. – Mach', daß Du davon kommst, ich bitte Dich.«

»Nicht eher, als bis ich Eure Antwort für Euren Oheim habe,« antwortete der Pilger. »Mein Alter verachtet den Zorn Deiner Jugend, wie der Fels den Schaum, den der Bach gegen ihn spritzt.«

»So sagt meinem Oheim,« antwortete Damian. »Ich bin selbst ein Gefangener, sonst käme ich zu ihm geeilt. – Ich bin ein seines Vermögens beraubter Bettler, sonst wollte ich ihm alles bringen, was mein ist.«

»Solche tugendhaften Vorsätze sind leicht und keck ausgesprochen,« sagte der Pilger, »wenn der, der sie ausspricht, weiß, daß er nicht aufgefordert werden kann, die Prahlerei seiner Zunge wahrzumachen. Aber konnte ich Dir die Wiederherstellung Deines Reichtums und Deiner Freiheit verkünden, da will ich meinen, Du würdest es Dir noch einmal klüglich überlegen, ehe Du in der Tat das Opfer brächtest, daß Du in Deiner gegenwärtigen Lage so glattweg versprichst.«

»Verlasse mich, ich bitte Dich, alter Mann,« sagte Damian. »Deine Gedanken können die meinigen nicht fassen – geh und füge zu meinem Unglück nicht noch Schmähungen, die ich nicht zu rächen imstande bin.«

»Aber wie, wenn ich die Gewalt hätte. Dich wieder zum freien reichen Manne zu machen, würdest Du mir dann erlauben, Dich an Deine gegenwärtige Prahlerei zu erinnern? – Ist dem aber nicht so, so kannst Du auf meine Verschwiegenheit bauen, nie werde ich die verschiedenen Gesinnungen des gefangenen und freien Damian verraten.«

»Was meinst Du damit? oder hast Du überhaupt nur im Sinne, mich zu martern?« fragte der Jüngling.

»Nicht also,« antwortete der Pilger und zog aus seinem Busen eine Pergamentrolle hervor, an welcher ein großes Siegel befestigt war. – »Wisse, Dein Vetter Randal ist auf eine seltsame Weise erschlagen worden, und auf ebenso seltsame Art kam seine Verräterei gegen den Connetable und Dich ans Licht. Um Dich für Deine Leiden zu entschädigen, hat der König Dir hiermit die volle Verzeihung gewährt und Dich mit dem dritten Teil der weitläufigen Besitzungen belehnt, die durch Randals Tod der Krone anheimgefallen sind.«

»Und der König hat mir auch meine Freiheit zurückgegeben?« rief Damian aus.

»Von diesem Augenblicke an – auf der Stelle« – sagte der Pilger – »schaut auf dieses Pergament! – Betrachtet des Königs Handschrift und Siegel!«

»Ich muß einen bessern Beweis haben. – Hierher!« rief er aus und rasselte zugleich mit den Ketten. – »Hierher, Du Murrkopf, Du Wärter, Sohn eines sächsischen Wolfshundes!«

Der Pilger, an die Tür schlagend, unterstützte diese Bemühung, den Schließer herbeizurufen, der alsbald eintrat.

»Du, Kerkermeister!« rief Damian sehr ernst, »bin ich noch Dein Gefangener oder nicht?«

Der grämliche Kerkermeister befragte den Pilger mit einem Blick und antwortete dann dem Damian, daß er frei sei.

»Daß Dich der Henker hole, Sklave!« sagte Damian ungeduldig, »Warum umspannen diese Ketten noch die freien Glieder eines normannischen Edlen? Jeder Augenblick, den sie ihn noch fesseln, wiegt eine ganze Lebenszeit eines solchen dienstbaren Leibeigenen, wie Du bist, auf!«

»Sie sind bald abgenommen, Sir Damian,« sagte der Mann. »Ich bitte nur um Geduld. Erinnert Euch nur, daß noch vor zehn Minuten ihr wenig Ursache hattet, zu denken, diese Armbänder würden jemals zu anderm Zweck abgenommen werden, als um Euch zum Schafott zu führen.«

»Ruhig, verfluchter Hund!« sagte Damian, »und beeile Dich! – Und Du, der Du mir diese gute Kunde gebracht hast, ich vergebe Dir Dein voriges Betragen. Du dachtest ohne Zweifel, es sei gut getan, mir noch in den Banden Versprechungen abzulocken, die zu erfüllen mir die Ehre gebieten würde, sobald ich mich in Freiheit befände. Der Argwohn hatte allerdings etwas Beleidigendes, doch Deine Absicht war ja, meines Oheims Freiheit zu sichern.«

»Und ist es denn wirklich Euer Vorsatz,« sagte der Pilger, »Eure neugewonnene Freiheit zu einer Reise nach Syrien anzuwenden und Euer englisches Gefängnis gegen den Kerker des Sultans zu vertauschen?«

»Wenn Du selbst mein Führer sein willst, so sollst Du nicht sagen, daß ich nur einen Augenblick auf der Reise säumte.«

»Und das Lösegeld,« sagte der Pilger, »wie soll das herbeigeschafft werden?«

»Wie? Wie anders als von den Gütern, die dem Namen nach mir verliehen, nach Wahrheit und Recht meinem Oheim gehören und zuerst zu seinem Nutzen angewendet werden müssen.

Wenn ich mich nicht sehr irre, so wird mir jeder Jude oder Lombarde die nötige Summe auf diese Sicherheit hin vorschießen. Darum, Du Hund!« fuhr er, gegen den Gefangenwärter gewendet, fort, »schließ die Klammern etwas schneller um, fürchte nicht, daß Du mir Schmerzen machen konntest, nur zerbrich mir nicht die Glieder!«

Der Pilger sah eine kleine Weile zu, wie verwundert über Damians festen Entschluß. Dann rief er aus: »Ich kann des alten Mannes Geheimnis nicht langer bewahren – eine solche hochherzige Großmut soll nicht das Opfer werden. – Höre nur, braver Sir Damian, ich habe noch ein mächtiges Geheimnis Dir zu vertrauen, und da dieser sächsische Bauer kein Französisch versteht, so kann ich es Dir in seiner Gegenwart sagen. Wisse, Dein Oheim ist ebensosehr in seinem Charakter verändert, wie sein Körper schwach und gebrechlich geworden ist. Verdrießliches Wesen und Eifersucht haben Besitz von einem Herzen genommen, das einst männlich und großmütig war. Sein Leben geht nun auf die Neige, und es tut mir leid, es zu sagen, diese Neige ist verdorben und bitter.«

»Ist das Dein mächtiges Geheimnis?« sagte Damian, »daß Menschen alt werden, weiß ich, und wenn mit Schwäche des Körpers auch Schwache des Geistes oder Gemütes eintritt, so fordert ihr Zustand um so mehr die pflichttreue Aufmerksamkeit derer, die durch Bande des Bluts oder der Liebe den Kranken nahe stehen.«

»Aber des Connetable Herz ist voll Gift gegen Dich, weil ihm von England aus zu Ohren gekommen ist, daß zwischen Dir und seiner verlobten Braut Eveline Berenger ein Liebesverhältnis bestände. – Ha! habe ich jetzt den rechten Fleck getroffen?«

»Nicht im geringsten,« sagte Damian, alle Kraft aufbietend, mit der das Bewußtsein seiner Unschuld ihn zu beseelen vermochte. – »Der Bursch da berührte nur etwas unsanft mein Schienbein mit seinem Hammer. – Fahr fort! – Mein Oheim vernahm diesen Bericht und hielt ihn für wahr?«

»Er hielt ihn für wahr,« entgegnete der Pilger, »das kann ich wohl versichern, da er keinen seiner Gedanken vor mir verbarg. Aber er bat mich, sorgfältig Euch seinen Argwohn zu verhehlen. Sonst, sagte er, wird der junge Wolf sich schwerlich in die Falle wagen, um den Alten zu befreien. Ist er aber erst einmal hier in meinem Gefängnisse, fuhr Euer Oheim fort, dann mag er hier vermodern und umkommen, ehe ich einen Pfennig zur Befreiung des Liebhabers meiner Verlobten sende.«

»Das sollte mein Oheim im Ernst denken!« sagte Damian, höchst bestürzt. »Er konnte so verräterisch gesinnt sein, mich in der Gefangenschaft zu lassen, in die ich freiwillig ging, um ihn zu erlösen? – Pah! das kann nicht sein!«

»Schmeichelt Euch nicht mit falscher Hoffnung,« sagte der Pilger. »Geht Ihr nach Syrien, so geht Ihr zu ewiger Gefangenschaft, während Euer Oheim zum Besitz seines nur um ein weniges verminderten Reichtums zurückkehrt und Eveline Berenger heiratet!«

»Ha!« rief Damian aus, und einen Augenblick zu Boden sehend, fragte er den Pilger mit unterdrückter Stimme, was er ihm in dieser äußersten Not zu tun rate.

»Die Sache ist ganz einfach nach meiner geringen Meinung,« entgegnete der Pilger. »Niemand ist an seine Treue gegen diejenigen gebunden, die selbst keine gegen ihn zu beobachten gedenken. Kommt diesem Verrat Eures Oheims zuvor, laßt sein ohnehin noch kurzes und schwaches Dasein in jener verpesteten Klause vermodern, zu der er Eure jugendliche Kraft verdammen will. Die königliche Gnade hat Euch Ländereien genug zu einem ehrenvollen Auskommen angewiesen; und warum wollt ihr nicht damit die von Garde Douloureuse vereinigen? – Eveline Berenger, wenn ich nicht sehr irre, wird schwerlich Nein sagen. Ja, noch mehr, ich will meine Seele darauf verwetten, sie sagt Ja; denn ich bin genau von ihren Gesinnungen unterrichtet. Was ihre Verlobung anbetrifft, ein Wort von König Heinrich an seine Heiligkeit den Papst, die beide jetzt gerade voll Freude über ihre Versöhnung sind, wird von dem Pergament den Namen Hugo verwischen und Damian an seine Stelle setzen!«

»Ja, bei meinem Glauben!« sagte Damian, wobei er aufstand und seinen Fuß auf den Stuhl setzte, damit der Gefangenwärter desto leichter den letzten Ring, der ihn noch umgab, abstreifen konnte. »Ich habe von allen dergleichen Dingen gehört, – ich habe von Wesen gehört, – die mit scheinbarer Würde in Wort und äußerer Gebärde – mit gar seinen, künstlich den Schwächen der menschlichen Natur angemessenen Ratschlägen die Hütten verzweifelter Menschen heimsuchen und ihnen die lockendsten Versprechungen machen, den Pfad zur Seligkeit zu verlassen und ihre Nebenwege einzuschlagen. – Das sind des Satans teuerste Helfershelfer; auf solche Art ist der böse Feind selbst erschienen. – Im Namen Gottes, alter Mann, bist Du ein menschliches Wesen, so entferne Dich! – Ich will nicht Deine Worte, noch Deine Gegenwart! – Ich speie Deine Ratschläge an! – Und nimm Dich in acht!« setzte er in einer drohenden Bewegung hinzu, »gleich werde ich freie Hände haben!«

»Knabe,« erwiderte der Pilger und schlug verächtlich seine Arme in seinen Mantel, – »ich verachte Deine Drohungen – ich verlasse Dich nicht, bis wir einander besser kennen lernen.«

»Auch ich,« sagte Damian, »möchte wohl wissen, ob Du Mensch oder Teufel bist – und nun zur Probe!« – Während er sprach, fiel die letzte Schelle von seinen Füßen rasselnd auf den Boden, und zu gleicher Zeit sprang er auf den Pilger zu, faßte ihn um den Leib, und indem er dreimal verzweifelt versuchte, ihn in die Höhe zu heben und kopfüber auf die Erde zu schleudern, rief er aus: »Dies für die tückische Behandlung eines Edelmanns! Dies für den Zweifel an der Ehre eines Ritters! dies« – (mit dem äußersten Kraftaufwande) – »für die Beschimpfung einer Lady!«

Jede Anstrengung Damians schien kraftvoll genug, einen Baum zu entwurzeln, dennoch, obwohl er den alten Mann zum Wanken brachte, konnte er ihn doch nicht niederwerfen; und als Damian nach dem letzten stärksten Angriff noch keuchte, erwiderte dieser: »Und Du nimm dieses, da Du so grob umgehest mit Deines Vaters Bruder!«

Mit diesen Worten stürzte Damian, der beste jugendliche Ringer in Cheshire, nicht eben sanft auf den Boden des Kerkers. Langsam und erstaunend erhob er sich. Aber der Pilger hatte nun seinen Hut und das geistliche Gewand abgeworfen, und die Gesichtszüge, wiewohl sie Spuren des Alters und des Klimas trugen, waren die seines Oheims, des Connetables, der nun ruhig die Worte sprach: »Ich denke doch, Damian, Du bist stärker geworden und ich schwächer, seit meine Brust an die Deinige sich preßte in unsers Landes gern geübtem Spiele. Du hättest mich bei der letzten Wendung bald niedergestreckt, nur daß ich den alten Rückengriff der de Lacys noch ebensogut kenne wie Du. – Aber warum knien, Mensch!« Er hob ihn mit großer Freundlichkeit auf, küßte seine Wange und fuhr fort: »Denke nicht, mein teuerster Neffe, daß ich unter dieser Verkleidung Deine Treue auf die Probe stellen wollte, woran ich selbst nie zweifelte! Aber böse Jungen sind geschäftig gewesen, und das brachte mich doch auf diesen Versuch, dessen Erfolg, wie ich erwartete, so ehrenvoll für Dich gewesen ist. So wisse (denn diese Mauern haben zuweilen Ohren, auch im buchstäblichen Sinne) es gibt hier in nicht großer Entfernung Augen und Ohren, die alles gehört und gesehen haben. – Meiner Treu! ich wünschte, Deine letzte Umarmung wäre nicht so ernsthaft gemeint gewesen. – Meine Rippen fühlen noch den Druck Deiner Knöchel!«

»Teuerster, verehrter Oheim,« sagte Damian, »entschuldigt –«

»Hier ist nichts zu entschuldigen,« entgegnete sein Oheim, ihn unterbrechend, »Haben wir nicht schon manchesmal miteinander gerungen? – Doch noch eine Prüfung bleibt Dir zu bestehen. – Schleunigst begib Dich aus diesem Loche – lege Deinen besten Anzug an, mich in der Mittagsstunde zur Kirche zu begleiten, denn, Damian, Du mußt bei der Vermählung der Lady Eveline zugegen sein!«

Diese Aufforderung schlug mit einenmale den jungen Mann zu Boden. »Um des Himmels willen!« rief er aus, »darin entschuldigt mich, mein gütiger Oheim! Ich bin vor kurzem sehr schwer verwundet worden und bin noch sehr schwach.«

»Wie meine Knochen es bezeugen können,« sagte sein Oheim. »Wie, Mensch? Du hast die Stärke eines norwegischen Bären.«

»Leidenschaft,« entgegnete Damian, »mag mir für einen Augenblick Stärke gegeben haben; aber, teuerster Oheim, verlangt alles andre, nur nicht das. Ich sollte denken, wenn ich gefehlt habe, konnte irgend eine andere Strafe genügen.«

»Ich sage Dir,« erwiderte der Connetable, »Deine Gegenwart ist notwendig – unumgänglich notwendig. – Seltsame Gerüchte sind im Umlauf, die Deine Abwesenheit bei dieser Gelegenheit nur zu sehr bestätigen würden. Evelinens Ruf verlangt es.«

»Wenn dem so ist,« sagte Damian, »so wird keine Aufgabe für mich zu schwer sein. Aber ich hoffe, wenn die Zeremonie vorüber ist, werdet Ihr mir erlauben, das Kreuz zu nehmen, wenn Ihr es nicht vorzieht, daß ich mich den Truppen anschließe, die, wie ich höre, zur Eroberung von Irland bestimmt sind.«

»Nun, nun,« sagte der Connetable, »wenn Eveline Euch ihre Erlaubnis gibt, so will ich Euch die meinige nicht vorenthalten.«

»Oheim,« sagte Damian etwas unmutig, »Ihr kennt die Gefühle nicht, mit denen Ihr Euren Scherz treibt.«

»Nun,« sagte der Connetable, »ich zwinge Dich zu nichts. Doch wenn Du zur Kirche kommst und die Heirat Dir nicht recht ist, so magst Du, wenn Du willst, Einspruch tun – das Sakrament kann nicht ohne des Bräutigams Einwilligung vollzogen werden.«

»Ich verstehe Euch nicht, Oheim,« sagte Damian, »Ihr habt ja bereits eingewilligt.«

»Ja, Damian,« sagte er, »ich habe eingewilligt, meine Ansprüche zurückzunehmen und ihnen zu Deinen Gunsten zu entsagen. Denn wenn Eveline heute vermählt wird so – bist Du der Bräutigam. – Die Kirche hat ihre Bestätigung gegeben – der König seine Einwilligung – die Lady sagt nicht nein – und nur die Frage bleibt übrig, ob der Bräutigam Ja sagen will.«

Die Antwort läßt sich leicht erraten. Auch ist es nicht nötig, bei dem Glänze der Zeremonie zu verweilen, die, seine unverdiente Strenge gut zu machen, Heinrich mit seiner Gegenwart beehrte. Amelot und Rose wurden bald darauf verbunden, nachdem vorher der alte Flammock durch Verleihung eines Wappens zum Edelmanne erhoben worden war, damit das edle normännische Blut sich ohne Entweihung mit dem geringern Strome vermischen könnte, der der schönen Flamländerin Wangen rötete. In dem Benehmen des Connetables gegen seinen Neffen und dessen Braut zeigte sich nichts, was darauf hätte deuten können, daß ihm die großmütige Selbstverleugnung leid täte, die er zu Gunsten ihrer jugendlichen Liebe bewiesen hatte. Aber bald nachher übernahm er eine hohe Befehlshaberstelle bei den Truppen, die zum Angriff auf Irland bestimmt waren; und sein Name steht unter den ausgezeichnetsten in der Liste der ritterlichen Normannen verzeichnet, die zuerst die schöne Insel mit der englischen Krone vereinigten.

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