Zweiter Band

Erstes Kapitel

Der Bischof von Lüttich befand sich seiner Gesundheit wegen, wie er sagte, oder, was wahrscheinlicher war, um einen Ueberfall von seiten der zahlreichen und aufrührerischen Volksmenge der Stadt zu vermeiden, auf seinem anmutigen Schlosse Schönwald, etwa eine Meile von Lüttich.

Gerade als sie sich dem Schlosse näherten, sahen sie den Prätaten in einer langen Prozession aus der nahen Stadt zurückkehren, wo er ein feierliches Hochamt gehalten hatte. Er befand sich an der Spitze eines glänzenden Zugs von Geistlichen, Beamten und Kriegern. Als aber unsere Reisenden näher kamen, fanden sie, daß rings um das Schloß her Sicherheitsmaßregeln getroffen waren, die dem Pompe und der Macht sehr widersprachen, von deren Entfaltung sie soeben Zeugen gewesen waren. Starke Wachen bischöflicher Soldaten waren rings um die Wohnung und in ihrer nächsten Umgebung aufgestellt, und das kriegerische Ansehen dieses geistlichen Hofes verkündigte, daß der ehrwürdige Prälat Gefahren fürchtete, die es notwendig machten, sich mit allen kriegerischen Verteidigungsmaßregeln zu umgeben. Die Gräfinnen von Croye wurden, nachdem sie von Quentin angemeldet worden, ehrerbietig in die große Halle geführt, wo der Bischof an der Spitze seines kleinen Hofes ihnen entgegentrat und sie aufs herzlichste empfing.

Ludwig von Bourbon war in der Tat ein edelmütiger, gutherziger Fürst, dessen Leben sich freilich nicht immer innerhalb der Grenzen seiner geistlichen Würden gehalten, der aber nichtsdestoweniger den offenen und ehrenwerten Charakter des Hauses Bourbon, von welchem er abstammte, jederzeit behauptet hatte.

Er war beliebt unter den benachbarten Fürsten als ein edler geistlicher Herr, freisinnig und prachtliebend. Doch regierte er mit einer bequemen Sorglosigkeit, welche seine wohlhabenden und aufrührerischen Untertanen in ihren rebellischen Anschlägen mehr anspornte als zügelte. Der Bischof war mit dem Herzog von Burgund intim befreundet, so daß letzterer in dem Bistume desselben beinahe ebenso unumschränkt waltete; der Herzog pflegte zu sagen, er betrachte Lüttich als sein Eigentum und den Bischof als seinen Bruder (wofür er auch wirklich gelten konnte, weil der Herzog des Bischofs Schwester auch in erster Ehe zur Gemahlin gehabt hatte) und daß, wer Ludwig von Bourbon etwas zuleide tue, es mit Karl von Burgund zu tun habe.

Der Prälat versicherte, wie schon bemerkt, die Gräfinnen von Croye seines ganzen Einflusses am Hofe zu Burgund. Er versprach ihnen auch allen Schutz, der in seiner Macht stehen würde; allein ein Seufzer, der diese Zusicherung begleitete, schien zu gestehen, daß seine Macht weit unbedeutender sei, als er füglich mit Worten eingestehen dürfe.

Getrennt von der Gräfin Isabelle, deren Blicke so viele Tage sein Leitstern gewesen waren, fühlte Quentin eine seltsame Leere und Beklommenheit des Herzens, die er in allen seinen bisherigen Lebensverhältnissen noch nie empfunden hatte; und sein stolzes Herz empörte sich bei dem Gedanken, daß man ihn gleich einem gewöhnlichen Postillon oder einem Geleitsmann, der sich nun seiner Obliegenheit entledigt habe, verabschiedete; der Gram hierüber entlockte seinen Augen insgeheim eine Träne über die Trümmer von Luftschlössern, die seine Einbildungskraft ihm während dieser so interessanten Reife vor sein geistiges Auge gezaubert hatte. Er machte einen männlichen, obwohl anfangs vergeblichen Versuch, diese Niedergeschlagenheit des Geistes zu überwinden; und unter der Last von Empfindungen, die er nicht unterdrücken konnte, setzte er sich nieder in eine der Fenstervertiefungen der großen, gotischen Halle von Schönwald und sann hier über das harte Schicksal nach, das ihm weder Rang noch Reichtum genug verliehen hatte, um seine kühne Bewerbung durchzuführen. Da wurde er durch einen leichten Schlag auf die Schulter in seinem Sinnen unterbrochen, und als er sich umsah, sah er den Zigeuner hinter sich stehen.

Hayraddin, nie ein willkommener Anblick für ihn, hatte sich ihm seit seiner letzten Verräterei vollends verhaßt gemacht, und Quentin fragte ihn deshalb in ernstem Tone, »wie er dazu komme, einen Christen von Stand und Ehre zu berühren?« – »Bloß deshalb,« erwiderte der Zigeuner, »weil ich wissen wollte, ob der christliche Edelmann sein Gefühl ebenso verloren habe, wie seine Augen und Ohren. Ich stehe nun schon fünf Minuten hier und spreche zu Euch, und Ihr habt immer auf das Blatt gelben Pergaments hingestarrt, als hätte es die Zauberkraft, Euch in eine Bildsäule zu verwandeln, und schon halb seine Wirkung vollendet.« – »Nun, was begehrst Du? sprich und geh Deiner Wege!« – »Ich begehre, was alle Leute begehren, obgleich wenige damit zufrieden sind,« sagte Hayraddin; »ich begehre meinen Lohn, meine zehn Goldkronen, dafür, daß ich die Damen hierher geleitet habe.« – »Mit welcher Stirn willst Du noch einen Lohn verlangen, außer dem, daß ich Deines unwürdigen Lebens geschont habe?« fragte Quentin entrüstet; »Du weißt, daß es Deine Absicht war, sie auf dem Wege zu verraten.« – »Aber ich habe sie doch nicht verraten,« sagte Hayraddin; »hätt ich's getan, so wollt ich weder Euch noch sie um den Lohn angegangen haben, sondern den, dem ich dadurch, daß wir auf dem rechten Ufer gereist wären, einen Dienst geleistet hätte. Diejenigen, denen ich gedient habe, müssen auch bezahlen.« – »So fahre denn Dein Lohn samt Dir dahin, Verräter!« sagte Quentin, indem er das Geld hinzählte; denn er hatte als Haushofmeister eine Summe zur Bestreitung solcher Ausgaben erhalten. »Geh nun zum Eber der Ardennen oder zum Teufel; nur komm mir nimmer unter die Augen, damit ich Dich nicht vor Deiner Zeit zu ihm befördere.«

»Zum Eber der Ardennen!« wiederholte der Zigeuner mit einem stärkeren Ausdruck von Erstaunen, als sich gewöhnlich in seinen Zügen auszudrücken pflegte; »so war es also keine leere Vermutung, kein allgemeiner Verdacht, der Euch darauf bestehen ließ, Euern Weg zu verändern? Wäre es möglich – gibt es in andern Ländern zuverlässigere Wahrsagerkünste als die unserer wandernden Stämme? Der Weidenbaum, unter dem wir sprachen, konnte doch nichts weiter erzählen. Doch nein, nein, nein! welch ein Dummkopf ich doch war! – Ich hab's! Der Weidenbaum an dem Bache bei dem Kloster dort, ich sah wohl, Ihr blicktet nach ihm hin, als wir vorüberzogen, eine halbe Meile von jenem wilden Bienenstock – der konnte freilich nicht hören, aber jemand verbergen, der Ohren hatte! Ich werde mich hinfort auf offenem Felde mit andern treffen – kein Distelbusch soll in der Nähe sein, unter dem ein schottischer Lauscher sich verbergen könnte. – Ha, ha! der Schotte hat den Zigeuner mit seiner eigenen Waffe geschlagen. Aber wißt denn, Durward, dadurch, daß Ihr meine Pläne vereitelt habt, habt Ihr Euer eigen Glück zerstört. – Ja! das Glück, das Euch aus den Linien Eurer Hand weissagte, wäre ohne Euern Eigensinn nicht überschwenglich gewesen.«

»Heiliger Andreas!« versetzte Quentin, »Deine Unverschämtheit bringt mich wider meinen Willen zum Lachen. Wie oder worin hätte Dein schändlicher Verrat, wäre er gelungen, mir genützt? Ich hörte in der Tat, daß Du die Sicherheit meines Lebens zur Bedingung machtest – eine Bedingung, die Deine saubern Verbündeten gewiß schnell vergessen hätten, wär es einmal zu Schlägen gekommen – und wozu mir Dein Verrat der Damen genützt hätte, als mich gewissem Tod oder gewisser Gefangenschaft zu überliefern, das ist etwas, was wohl kein menschlicher Verstand erraten möchte.« – »So denkt nicht weiter daran,« sagte Hayraddin, »denn ich bin willens, Euch durch meine Dankbarkeit zu überraschen. Hättet Ihr mir meinen Lohn vorenthalten, so hätt ich geglaubt, wir seien quitt, und ich hätt Euch Euch selbst überlassen. – So aber bleib ich Euer Schuldner wegen jener Geschichte an den Ufern des Cher.« – »Mich dünkt, ich habe Euch durch Flüche und Schimpfreden bereits bezahlt gemacht,« versetzte Quentin. – »Harte oder freundliche Worte,« sagte der Zigeuner, »das ist gleichviel; sie sind nur Wind, der nichts in der Wagschale wiegt. Hättet Ihr mich geschlagen, statt nur zu drohen, ja dann – –«

»Nun, es könnte leicht dahin kommen, daß ich mich auf solche Art bezahlt mache, wenn Du mich noch ferner reizest.« – »Das wollt ich Euch denn doch nicht raten,« sagte der Zigeuner; »denn solche Behandlung von zu raschen Händen könnte die Schuld übersteigen und die Wagschale so zu Eurem Nachteile neigen, daß ich es nicht leicht vergessen und vergeben möchte. Und nun lebt wohl, aber nicht auf lange Zeit – ich gehe, um mich bei den Gräfinnen von Croye zu verabschieden.« – »Du?« fragte Quentin erstaunt. – »Du meinst, bei den Gräfinnen vorgelassen zu werden, gar hier noch, wo sie wie aus Klausnerinnen unter dem Schutze der Schwester des Bischofs, einer edlen Kanonissin, leben? Es ist nicht möglich.«

»Gleichviel wartet Marthon bereits auf mich,« versetzte der Zigeuner mit höhnischem Lächeln, »um mich zu ihnen zu führen, und ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich Euch etwas schnell verlasse.« Er wandte sich um, als ob er gehen wollte, kam aber augenblicklich zurück und sagte in einem ernsten, nachdrücklichen Tone: »Ich kenne Eure Hoffnungen – sie sind kühn, aber nicht eitel, wenn ich Euch helfe. – Ich kenne Eure Besorgnisse – sie sollen Euch klug, nicht schüchtern machen. Jedes Weib kann gewonnen werden. Der Grafentitel ist ein bloßer Beiname, der sich vor Quentin ebensogut setzen läßt, als der des Herzogs vor Karl, oder der des Königs vor Ludwig.« Ehe Durward antworten konnte, hatte der Zigeuner die Halle verlassen. Quentin folgte ihm augenblicklich, aber besser als der Schotte bekannt mit den Gängen des Hauses, hatte Hayraddin schon einen Vorsprung gewonnen, und Quentin verlor ihn aus dem Gesichte, als er eine kleine Treppe hinabeilte. Immer noch folgte ihm Durward, ohne sich selbst sagen zu können, warum er es tat. Die Treppe führte an eine Tür, die auf eine Gartenallee hinausging, wo er den Zigeuner abermals einen krummen Gang hinuntereilen sah.

Auf zwei Seiten war der Garten von den Gebäuden des Schlosses umgeben, eines alten, schwerfälligen Bauwerks, nach Art der Schlösser zum Teil mit Zinnen versehen, zum Teil einem geistlichen Gebäude gleichend, dessen andere beiden Seiten durch eine hohe, zur Verteidigung eingerichtete Mauer gebildet wurden. Hayraddin durchkreuzte die Baumgänge des Gartens, die nach einer andern Seite des Gebäudes hinliefen, wo sich hinter einem großen, massiven, mit Efeu überwachsenen Schwibbogen eine Hintertür öffnete. Hier blickte er nochmals zurück und winkte seinem Verfolger ein triumphierendes Lebewohl zu, der in der Tat sehen mußte, wie das Pförtchen von Marthon geöffnet und der schändliche Zigeuner in die Gemächer der Gräfinnen von Croye eingelassen wurde. Quentin biß sich vor Unwillen in die Lippe und machte sich bittere Vorwürfe, daß er die Gräfinnen nicht von der ganzen Schändlichkeit Hayraddins und dessen Anschlägen gegen ihre Sicherheit in Kenntnis gesetzt hatte. Die Anmaßung, mit der der Zigeuner versprochen hatte, seine Bewerbung zu begünstigen, erhöhte noch seinen Aerger und Unwillen, und es war ihm, als ob die Hand der Gräfin Isabelle entehrt würde, wenn sie durch solch eine Verwendung gewonnen werden sollte. »Allein es ist lauter Trug,« sprach er bei sich – »eine seiner elenden Gauklerkünste! Er hat sich gewiß unter irgend einem falschen Vorwand und in böslicher Absicht Zutritt bei den Damen verschafft. Es ist gut, daß ich auf diese Weise erfuhr, wo sie wohnen. Ich will mir durch Marthon Zutritt bei den Damen auszuwirken suchen, wäre es auch nur, sie zu warnen, daß sie vor diesem Zigeuner auf ihrer Hut sein sollten. Es ist hart, wenn ich mich solcher Künste und Umwege bedienen muß, indes ein solcher Mensch öffentlich und ohne Bedenken Zugang erhält. Sie sollen finden, daß, obgleich ich aus ihrer Gesellschaft verbannt bin, Isabellens Sicherheit doch noch immer der Hauptgegenstand meiner Wachsamkeit ist.« Indes der jugendliche Liebhaber sich mit diesen Gedanken beschäftigte, trat ein bejahrter Hofbeamter des Bischofs durch dasselbe Tor, durch das er in den Garten gekommen war, auf ihn zu und machte ihm mit der größten Höflichkeit bemerklich, daß der Garten nicht öffentlich, sondern zum besonderen Gebrauch des Bischofs und seiner Gäste vom höchsten Range bestimmt sei. Quentin mußte sich diese Weisung zweimal wiederholen lassen, ehe er den eigentlichen Sinn derselben verstand; dann fuhr er wie aus einem Traum auf, verbeugte sich und eilte aus dem Garten. Der Hofbeamte folgte ihm und überhäufte ihn mit Entschuldigungen, daß er seine Pflicht hätte erfüllen müssen; ja so sehr war es ihm darum zu tun, den Eindruck der Kränkung, die er Quentin zugefügt zu haben glaubte, zu verwischen, daß er sich erbot, ihm Gesellschaft zu leisten. Aber Quentin, ärgerlich über diese Höflichkeit, befreite sich von ihm durch die Ausflucht, er wünsche die nahe Stadt in Augenschein zu nehmen, und eilte so schnell hinweg, das; dem Zeremonienmeister bald alle Lust verging, ihn weiter als bis an die Zugbrücke zu geleiten. In wenigen Minuten war Quentin innerhalb der Tore Lüttichs, damals einer der reichsten Städte Flanderns, und somit der ganzen Welt, und in wenigen Minuten war Quentins Aufmerksamkeit durch die Mannigfaltigkeit von Gegenständen so in Anspruch genommen in den geräuschvollen Straßen von Lüttich, als wenn weder eine Gräfin Isabelle noch ein Zigeuner jemals für ihn auf der Welt gewesen wären. Am tiefsten bewunderte er die vielen Ströme und Kanäle, die, aus der Maas abgeleitet und mit ihr in Verbindung stehend, die Stadt in verschiedenen Richtungen durchschnitten und jedem Stadtviertel alle Bequemlichkeit zu Wasser gewährten. Ebenso ermangelte er nicht, in der altehrwürdigen St.-Lambertskirche eine Messe zu hören. Als er jedoch diese heilige Stätte verließ, fiel ihm auf, daß er von mehreren Gruppen wohlhabend aussehender Bürger aufmerksam betrachtet wurde, die sich in der Absicht versammelt zu haben schienen, ihn bei seinem Austritt aus der Kirche zur Rede zu stellen. Es erhob sich ein dumpfes Gemurmel, das sich schnell von einer Gruppe zur andern verbreitete; die Anzahl der Neugierigen vermehrte sich zusehends, und alles schien ihn mit Teilnahme und Neugierde, auch mit einem Grad gewisser Achtung zu betrachten. Endlich sah er sich in der Mitte einer großen Volksmenge, die ihm jedoch, sowie er vorwärts schritt, Platz machte, während diejenigen, die ihm folgten oder Schritt mit ihm hielten, alles zu vermeiden suchten, was den Schein wecken konnte, ihn zu drängen oder seine Bewegungen zu hindern. Seine Lage ward ihm jedoch zu peinlich, als daß er sie lange hätte ertragen können, ohne einen Versuch zu machen, sich aus dieser herauszufinden und Aufklärung über sie zu erhalten.

Quentin sah rings um sich her, und indem er seine Augen auf einem freundlichen, ehrsam aussehenden, wohlgenährten Bürger haften ließ, den er in seinem Samtmantel und seiner goldenen Kette für eine Obrigkeit halten mußte, fragte er ihn, ob denn an seiner äußern Erscheinung etwas sei, was die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen vermöchte? oder ob es Sitte der Lütticher sei, sich so um Fremde zu drängen, die der Zufall in ihre Stadt gefühlt habe? – »Keineswegs, guter Herr,« antwortete der Bürger, »die Lütticher treibt weder so müßige Neugier, daß eine solche Sitte bei ihnen aufkäme, noch liegt in Eurem Anzug und Aeußern etwas, das nicht dieser Stadt äußerst willkommen wäre.«

– »Das klingt recht artig, werter Herr,« fügte Quentin, »aber beim Kreuze des heiligen Andreas, ich weiß nicht, was Ihr damit meint?« – »Euer Schwur,« versetzte der Handelsmann von Lüttich, »sowie Euer Akzent überzeugen mich, daß wir uns in unserer Vermutung nicht betrogen haben.« – »Bei meinem Schutzheiligen St. Quentin!« sagte Durward, »ich verstehe Euch immer weniger.« – »Nun,« versetzte der Lütticher, indem er ihn bei diesen Worten sehr zuversichtlich, aber fein und verständig ansah. »Es kommt uns freilich nicht zu, werter Herr, zu wissen, was Ihr zu verhehlen für gut findet. Aber warum schwört Ihr bei St. Quentin, wenn Ihr mir damit nicht etwas zu verstehen geben wollt? – Wir wissen, daß der gute Graf von Saint-Paul, der jetzt in der Stadt dieses Namens liegt, unserer Sache wohl will.« – »So wahr ich lebe,« sprach Quentin. »Ihr täuscht Euch, – ich weiß nichts von Saint-Paul.« – »Nun, wir fragen Euch gar nicht aus,« versetzte der Bürger, »doch hört, ein Wort im Vertrauen – ich heiße Pavillon.« – »Und was geht mich das an, Herr Pavillon?« fragte Quentin. – »Nichts, gar nichts – ich meine nur, dies sollte Euch genug sein, um zu wissen, daß man mir trauen kann. – Hier ist auch mein Kollege Rouslaer.«

Rouslaer trat vor, ein wohlgenährter Würdenträger, dessen ziemlich runder Bauch wie ein Mauerbrecher das Gedränge vor ihm durchbrach. Mit geheimnisvollem Flüstern empfahl er seinem Nachbarn Vorsicht und sagte im Tone des Vorwurfs zu ihm: »Ihr vergesset, mein guter Kollege, daß der Platz hier zu öffentlich ist; der Herr wird so gütig sein, sich mit uns nach Eurem oder meinem Hause zu begeben, wo wir dann bei einem Glase Rheinwein mehr von unserm Freunde und Verbündeten hören wollen, dem wir mit unsern ehrlichen flamändischen Herzen aufrichtig zugetan sind.« – »Ich bringe Euch keine Nachrichten,« entgegnete Quentin mit Ungeduld; »ich trinke keinen Rheinwein und ersuche Euch bloß, als Männer von Gewicht und Ansehen, den müßigen Haufen zu zerstreuen und einem Fremden zu gestatten, daß er Eure Stadt so ruhig verlassen darf, wie er sie betreten hat.« – »Nun denn, mein Herr,« sagte Rouslaer; »wenn Ihr so sehr auf Eurem Inkognito besteht, und noch dazu gegen uns, die wir vertraute Männer sind, so laßt mich geradezu fragen, warum tragt Ihr denn das Abzeichen Eures Korps, wenn Ihr in Lüttich unbekannt bleiben wollt?« – »Welches Abzeichen, und welches Korps?« fragte Quentin, »Ihr seht doch wie ehrenwerte Männer und achtbare Bürger aus, und doch, bei meiner Seele, seid Ihr entweder Narren, oder wollt Ihr mich zu einem machen.«

– »Sapperment!« rief der andere Bürger, »dieser junge Mann brächte wahrhaftig den heiligen Lambert selbst zum Fluchen! Wer in aller Welt trägt denn Mützen mit dem St. Andreaskreuz und der Lilie, als die schottischen Bogenschützen von König Ludwigs Leibwache?« – »Und gesetzt auch, ich wäre ein Bogenschütze von der königlichen Leibwache, wie könnte es Euch wundern, wenn ich das Abzeichen meiner Kompagnie trüge?« fragte Quentin ungeduldig. – »Er hat's eingestanden!« riefen Rouslaer und Pavillon, indem sie sich mit allen Zeichen der Freude, mit emporgehobenen Armen und Händen und vor Freude strahlenden Gesichtern an die versammelten Bürger wandten. »Er hat's eingestanden, daß er ein Bogenschütze von der Leibwache Ludwigs ist – Ludwigs, des Beschützers der Freiheiten Lüttichs!«

Ein allgemeiner Freudenruf erhob sich jetzt aus der Menge, woraus man deutlich die Worte hören konnte: »Lange lebe Ludwig von Frankreich! Lange lebe die schottische Garde! Lange lebe der tapfere Bogenschütze! Unsere Freiheiten, unsere Privilegien, oder der Tod! Lange lebe der tapfere Eber der Ardennen! Nieder mit Karl von Burgund! und Verderben über Bourbon und sein Besitztum!«

Halb betäubt durch den Lärm, der, sobald er auf einer Seite aufhörte, auf der andern wieder begann, fallend und steigend gleich den Wellen der See, und vermehrt durch Tausende von Stimmen, die im Chor von entfernteren Straßen und Marktplätzen erschallten, hatte Quentin doch Zeit, sich über die Ursache des Tumults seine Vermutungen zu bilden und einen Entschluß über sein weiteres Benehmen zu fassen. Er hatte vergessen, daß nach seinem Strauße mit Orleans und Dunois einer seiner Kameraden auf Lord Crawfords Befehl ihm statt seines vom Schwerte des letzteren gespaltenen Helms eine der stahlgefütterten Mützen aufgesetzt hatte, die einen Teil der eigentümlichen, wohlbekannten Rüstung der schottischen Leibwache ausmachten. Daß jemand von diesem Korps, das immer unmittelbar Ludwigs Person umgab, in den Straßen einer Stadt erschien, deren bürgerliche Unruhen durch dieses Königs Agenten gesteigert wurden, galt in den Augen der Bürger Lüttichs sehr natürlich als ein Entschluß von seiten des Königs, sich ihrer Sache nun öffentlich anzunehmen; und die Erscheinung eines einzelnen Bogenschützen wurde sogleich für das Unterpfand unmittelbaren, tätigen Beistandes von seiten Ludwigs genommen, ja sogar als ein sicherer Beweis, daß seine Hülfstruppen bereits auf einer oder der andern Seite – wo, konnte man nicht angeben – in die Stadt einrückten. Quentin sah bald, daß es unmöglich sei, eine so allgemein verbreitete Ueberzeugung zu widerlegen, ja daß jeder Versuch, Leute, die hartnäckig bei derselben beharrten, aus ihrem Irrtum zu reißen, mit persönlicher Gefahr verbunden sein würde, was in dem gegebenen Falle von gar keinem Nutzen sein konnte. Er beschloß deswegen, sogleich Zeit zu gewinnen und sich dann, so gut er könnte, aus der Sache zu ziehen. Dieser Entschluß ward in ihm rege, während man ihn nach dem Stadthause geleitete, wo sich die angesehensten Bürger der Stadt eiligst versammelten, um die Nachrichten zu vernehmen, die er, wie man vermutete, überbracht habe, und ihn mit einem glänzenden Mahle zu bewirten. Trotz aller Widerrede, die man für Bescheidenheit nahm, ward er von allen Seiten von den Beweisen der Volksgunst umgeben, deren unschmackhafte Flut ihn jetzt umwogte. Seine beiden Freunde, welche Schöppen oder Stadtsyndizi waren, hatten ihn unter beide Arme gefaßt; vor ihm her ging Nikkel Block, der Obermeister der Fleischerinnung, den man eiligst von den Fleischbänken abgerufen hatte, und schwang sein todbringendes, noch von Blut und Hirn beflecktes Beil mit einem Mut und Anstand, den nur Branntwein einflößen konnte. Hinter ihm schritt einher die lange, hagere, knochige Gestalt des betrunkenen Patrioten, Klaus Hämmerlein, Vorstehers der Innung der Eisenarbeiter; ihm folgten wenigstens tausend ungewaschene Arbeiter dieser Klasse. Weber, Nagelschmiede, Seiler und Handwerker jeder Profession drängten sich aus den engen und finstern Gassen herbei, um sich an den Zug anzuschließen. Jeder Versuch, zu entrinnen, würde ein ebenso gefährliches als unmögliches Unternehmen gewesen sein. In dieser Verlegenheit wandte sich Quentin an Rouslaer, der ihn an einem Arme hielt, und an Pavillon, der sich des andern bemächtigt hatte, und die ihn so an der Spitze dieses Triumphzuges führten, dessen Hauptgegenstand er so unerwartet geworden war. Er eröffnete ihnen in Eile, daß er die Mütze der schottischen Leibwache gedankenlos aufgesetzt habe, da die Stahlhaube, die er auf der Reise zu tragen willens gewesen, zufälligerweise beschädigt worden sei; er bedauerte, daß dieser Umstand, und der Scharfblick, womit die Lütticher auf seinen Stand und den Zweck seiner Sendung geschlossen, die Sache aufgedeckt hätten, und gab zu verstehen, wenn er nach dem Stadthause geführt werde, so sehe er sich genötigt, den versammelten Notabeln gewisse Dinge mitzuteilen, die er eigentlich auf Befehl des Königs bloß den trefflichen Gevattern, Rouslaer und Pavillon von Lüttich, insgeheim hätte veröffentlichen sollen.

Dieser letzte Wink wirkte mit Zauberkraft auf die zwei Bürger, welche die vornehmsten Anführer der mißvergnügten Stadtbewohner waren und so, gleich allen Demagogen ihrer Art, die Leitung der Dinge soviel wie möglich in ihrer Hand zu behalten suchten. Sie wurden daher gleich darüber einig, daß Quentin vor der Hand die Stadt verlassen, nachts nach Lüttich zurückkehren und in Rouslaers Hause, das nahe an dem Stadttor gegen Schönwald lag, mit ihnen zusammenkommen sollte.

Quentin trug kein Bedenken, ihnen zu sagen, daß er gegenwärtig in dem bischöflichen Palaste wohne, unter dem Vorwande, Depeschen von dem französischen Hofe zu überbringen, obgleich seine eigentliche Sendung, wie sie richtig geschlossen hätten, an die Bürger von Lüttich ginge. Diese Art, auf Umwegen Verbindung zu unterhalten, sowie der Charakter und der Rang der Person, der das Geschäft anvertraut war, stimmten so sehr mit dem Charakter Ludwigs überein, daß man sich darüber keineswegs wunderte, noch die Wahrheit des Vorgebens bezweifelte.

Gleich nach der Eröffnung langte der Zug vor der Tür von Pavillons Hause an, das zwar in einer der Hauptstraßen lag, von hinten aber durch einen Garten, sowie durch eine weitläufige Anlage von Lohgruben und andere Einrichtungen zur Zubereitung von Häuten (denn der patriotische Bürger war ein Gerber) mit der Maas zusammenhing. Es war natürlich, daß Pavillon dem vermeinten Abgesandten Ludwigs in seinem Hause einige Ehre erwies, und das Verweilen vor seinem Hause konnte vor der Menge nichts Auffallendes haben; sie brachte vielmehr Herrn Pavillon ein schallendes Lebehoch, als er seinen vornehmen Gast hineinnötigte. Quentin vertauschte sogleich seine auffallende Mütze mit der eines Gerbers und warf einen Mantel über seinen übrigen Anzug. Pavillon versah ihn dann mit einem Passe, mit dem er nach Gefallen bei Tag und Nacht zu den Stadttoren aus- und eingehen konnte, und übergab ihn der Fürsorge seiner Tochter, einer hübschen, lachenden Flamänderin; indes er selbst zu seinem Kollegen zurückeilte, um ihre Freunde auf dem Stadthause durch die besten Entschuldigungen, die sie für das Verschwinden des Gesandten Ludwigs aufbringen konnten, zu beschwichtigen.

Der ehrwürdige Bürger hatte sich nicht sobald entfernt, als sein rundes Trudchen unter manchem Erröten und mit manchem versteckten Lächeln, das zu den kirschroten Lippen, den freundlichen, blauen Augen und der reinen, durchsichtigen Haut recht gut stand, den schönen Fremdling durch die dunkeln Baumgänge in Herrn Pavillons Garten nach dem Wasser hinunterführte und ihn dort ein Boot besteigen ließ, das zwei handfeste Flamänder in ihren Pumphosen, ihren Pelzmützen und vielknöpfigen Wämsern so eilfertig in Bereitschaft gesetzt hatten, als es nur immer ihrer niederländischen Natur möglich war.

Da das hübsche Trudchen nichts als Flämisch sprach, wußte Quentin – unbeschadet seiner aufrichtigen Ergebenheit gegen die Gräfin von Croye – seinen Dank einzig nur durch einen Kuß auf die kirschroten Lippen auszudrücken, der mit der größten Artigkeit gegeben und mit der bescheidensten Dankbarkeit angenommen wurde; denn junge Herren mit einer Gestalt und einem Gesicht, wie unser schottischer Bogenschütze, kamen unter der Lütticher Bürgerschaft nicht alle Tage vor.

Indes das Boot auf den trägen Gewässern der Maas dahinruderte und bei den Festungswerken der Stadt vorüberfuhr, hatte Quentin Zeit, zu überlegen, welchen Bericht er bei seiner Rückkehr in den bischöflichen Palast zu Schönwald von seinem Abenteuer in Lüttich geben sollte; und da er ebensowenig jemand, der, wenngleich irrigerweise, ihm sein Vertrauen geschenkt hatte, verraten, noch auch dem gastfreien Bischof die aufrührerische Stimmung seiner Hauptstadt verbergen wollte, beschloß er, seinen Bericht so allgemein wie möglich zu halten, damit er den Bischof in den Stand setzen möchte, auf seiner Hut zu sein, ohne dadurch irgendjemand seiner Rache bloßzustellen. Er stieg eine Meile vom Schlosse ans Land und belohnte die Ruderer mit einem Gulden, und so kurz auch der Weg nach dem Schlosse war, den Quentin vor sich hatte, so hatte doch die Abendglocke bereits zum Essen geläutet; auch fand er überdies, daß er sich dem Schlosse von einer, dem Haupteingange gegenüberliegenden Seite genähert hatte, und daß, wenn er herumgehen wollte, seine Ankunft sich bedeutend verzögern müßte. Er richtete daher seinen Weg gerade nach der ihm zunächst gelegenen Seite, die, wie er vernahm, von einer befestigten Mauer, wahrscheinlich der des schon erwähnten kleinen Gartens, umgeben war. Sie war mit einem Pförtchen versehen, zu welchem er vermittelst eines daneben liegenden Schiffchens, wenn er jemand träfe, der ihn auf seinen Ruf über den Graben setzte, zu gelangen hoffte. Indem er sich näherte, trat jemand aus der Hintertür, sprang in das Boot, nahm seinen Weg zu einer entferntern Seite des Grabens und stieß mit einer langen Stange das Fahrzeug nach der Stelle zurück, wo er eingestiegen war. Als er näher kam, erkannte Quentin in ihm den Zigeuner, der, ihn vermeidend, was nicht schwer war, einen andern Weg nach Lüttich einschlug und ihm sogleich aus dem Gesichte war.

Dies war ein neuer Gegenstand des Nachdenkens für ihn. Hatte dieser heidnische Landstreicher die ganze Zeit bei den Gräfinnen von Croye zugebracht? und weswegen konnten sie ihm solange Gehör geschenkt haben? – Gequält von diesen Gedanken, entschloß sich Durward umsomehr, hierüber Aufklärung von ihnen zu verlangen, und nahm sich vor, ihnen mit einemmale die Verräterei Hayraddins aufzudecken.

Mit diesem Entschlusse trat Quentin zum Haupttor ein, wo er in der großen Halle den Hofhalt des Bischofs mit Einschluß seiner geistlichen Diener, der Hausbeamten und Fremden, die nicht zum hohen Adel gehörten, bereits an der Tafel fand. Am obern Ende des Tisches war jedoch neben dem Hauskaplane des Bischofs ein Platz freigelassen, der den Fremden mit dem alten Scherze: »Wer zu spät kommt, erhält die Knochen« bewillkommnete, zugleich aber Sorge trug, seinen Teller mit Leckerbissen zu beladen, die seinen gutmütigen Spaß würzen sollten.

Um sich von dem Verdachte schlechter Lebensart zu reinigen, beschrieb Quentin kurz den Auflauf, den seine schottische Mütze verursacht, und suchte seiner Erzählung dadurch eine scherzhafte Wendung zu geben, daß er sagte, mit Mühe habe er sich von dem Gewirr vermittelst eines wohlbeleibten Bürgers und dessen schöner Tochter losgemacht.

Allein die Gesellschaft nahm zu großen Anteil an der Erzählung, als daß der Scherz an seinem Orte gewesen wäre. Alle Bewegungen am Tische waren gehemmt, als Quentin zu erzählen begann, und als er geendet hatte, erfolgte eine feierliche Pause, die nur durch den Haushofmeister unterbrochen wurde: »Wollte Gott, wir hätten schon hundert Lanzen von Burgund!«

»Was sollte Euch denn gerade an ihnen soviel gelegen sein?« fragte Quentin, – »Ihr habt soviele Soldaten hier, denen das Kriegshandwerk Beruf ist, während Eure Gegner aus dem Pöbel einer meuterischen Stadt bestehen, der bei dem ersten Wehen des Banners von Bewaffneten die Flucht ergreifen wird.«

»Da kennt Ihr die Lütticher Bürger nicht,« versetzte der Kaplan, »von denen man wohl behaupten darf, daß sie die ungestümsten und unbändigsten Leute in ganz Europa sind. Möge nur Gott alles zum besten wenden! Allein ich fürchte, es wird einen blutigen Kampf setzen; ich wollte lieber, mein trefflicher, gütiger Herr hätte einen sicheren, wenn auch minder ehrenvollen Sitz; denn seine Bischofsmütze ist, statt mit Hermelin, mit Dornen gefüttert. Dies alles sage ich Euch, Herr Fremder, um Euch aufmerksam zu machen, daß Schönwald, wenn Eure Geschäfte Euch nicht drin festhalten, ein Ort ist, den jeder vernünftige Mann sobald als möglich verläßt. Ich glaube, Eure Damen sind derselben Meinung, denn sie haben einen der Reitknechte, die sie bisher begleiteten, mit Briefen an den Hof von Frankreich zurückgeschickt, ohne Zweifel, um melden zu lassen, daß sie die Absicht haben, einen sichreren Aufenthaltsort aufzusuchen.«

Zweites Kapitel

Nach aufgehobener Tafel führte der Kaplan den jungen Schotten, an dessen Gesellschaft er ein besonderes Interesse gefunden zu haben schien, in ein Nebengemach, dessen Fenster auf einer Seite in den Garten gingen. Als er sah, daß sein Begleiter verlangende Blicke dahin warf, schlug er ihm vor, hinunter zu gehen und die merkwürdigen Gewächse in Augenschein zu nehmen, mit denen der Bischof seine Blumenbeete bereichert hatte. Quentin entschuldigte sich, daß er wegen der ihm am Morgen widerfahrenen Unbill die Einladung ablehnen müßte. Der Kaplan lächelte und fügte: »es bestehe allerdings ein altes Verbot hinsichtlich des bischöflichen Gartens, allein,« setzte er lächelnd hinzu, »dies galt nur damals, als unser ehrwürdiger Vater ein fürstlicher, junger Prälat von nicht mehr denn dreißig Jahren war, und viele schöne Damen, um geistliche Tröstung zu suchen, auf das Schloß kamen; und da war es,« schloß er mit niedergeschlagenen Augen und einem halb einfältigen, halb klugen Lächeln, »allerdings notwendig, daß diese schönen Büßerinnen, die sich bei uns aufhielten, einen Raum hatten, wo sie Luft schnappen konnten, ohne von der Zudringlichkeit profaner Blicke belästigt zu werden; allein in spätern Jahren wurde dieses Verbot, wenngleich nicht förmlich zurückgenommen, doch ganz und gar nicht beachtet und spuckt nur noch in dem Gehirn des alten Zeremonienmeisters. Wenn es Euch gefällt, so gehen wir sogleich hinab und sehen, ob der Ort geheuer ist oder nicht.«

Nichts konnte Quentin angenehmer sein als die Aussicht, mit dem Gegenstande seiner Zärtlichkeit in Verbindung zu treten oder ihn wenigstens zu Gesicht zu bekommen, sei es nun von einem Turmfenster oder Balkon oder einem ähnlichen vorteilhaften Plätzchen aus, wie es in dem Gasthof zur Lilie bei Plessis oder in dem Dauphinsturme des Schlosses Plessis selbst der Fall war. Isabelle schien nun einmal bestimmt, allenthalben, wo sie sich aufhielt, die Dame vom Turme zu sein.

Der geistliche Herr entschuldigte sich jedoch, kaum daß sie im Garten waren, bei seinem neuen Freunde, daß ihn sein Dienst anderswohin rufe, gab ihm aber von neuem die Versicherung, daß er sich bis zum Abendessen ungestört in dem Garten ergehen könnte.

Man kann sich leicht vorstellen, daß Quentin den Garten recht aufmerksam musterte, und daß ihm ein Fenster in der Nähe der kleinen Haustür nicht entging, durch die seiner Meinung nach Hayraddin von Marthon in die Gemächer der Gräfinnen geführt worden war; allein nichts regte oder zeigte sich, was die Erzählung des Zigeuners zu widerlegen oder zu bestätigen schien, bis es endlich dunkel wurde. Quentin beschlich allmählich, er wußte selbst nicht warum, die Furcht, daß sein langes Verweilen im Garten Mißfallen oder Verdacht erregen möchte. Gerade als er beschlossen hatte, sich zu entfernen, und zum letztenmale unter den Fenstern, die eine so große Anziehungskraft für ihn hatten, umher ging, hörte er über sich ein leises, behutsames Gähnen, als ob seine Aufmerksamkeit, von andern unbemerkt, erregt werden solle. Wie er in freudiger Ueberraschung aufblickte, öffnete sich das Fenster und eine weibliche Hand ließ ein Billett herabfallen, das in einen Rosmarinstock am Fuße der Mauer fiel. Es aufraffen, in den Busen stecken und in einer Felsgrotte verschwinden, die in der Nähe lag, war das Werk eines Augenblicks. »Lest dies insgeheim,« begann das Briefchen, und der Inhalt war folgender: »Was Eure Augen zu kühn ausgesprochen haben, haben die meinigen vielleicht zu schnell verstanden, aber ungerechte Verfolgung macht ihre Opfer kühn, und besser ist's, mich der Dankbarkeit eines hinzugeben, als der Gegenstand der Nachstellung für viele zu sein. Das Glück thront auf einem Felsen, aber der Tapfere scheut sich nicht, ihn zu erklimmen; getraut Ihr Euch, etwas für ein weibliches Wesen, das in Gefahr ist, zu wagen, so kommt morgen früh zur Stunde der Frühmesse in diesen Garten und tragt auf Eurer Mütze eine blaue und weiße Feder; erwartet aber keine andere Mitteilung. Euer Stern hat Euch, sagt man, zur Größe bestimmt, und Euer Herz der Dankbarkeit geöffnet. – Lebt wohl, seid treu, pünktlich und entschlossen, und zweifelt nicht an Euerm Glücke.« In diesem Briefe lag ein Ring mit einem Tafeldiamant, in den das altertümliche Wappen des Hauses Croye geschnitten war.

Die erste Empfindung Quentins bei dieser Gelegenheit war ungemischtes Entzücken, ein Stolz und eine Wonne, die ihn zu den Sternen zu erheben schienen, ein Entschluß zu siegen oder zu sterben, der ihn alle die tausend Hindernisse verachten ließ, die sich zwischen ihn und das Ziel seiner Wünsche stellten. In diesem Zustande des Entzückens unfähig, eine, wenn auch nur augenblickliche Zerstreuung zu ertragen, die seine Gedanken von einem so beglückenden Gefühle abwenden konnte, zog sich Durward sogleich in das Innere des Schlosses zurück, schützte wie früher Kopfschmerzen vor, um nicht mit dem Hofstaate des Bischofs sich beim Abendessen einfinden zu müssen, zündete seine Lampe an und begab sich auf das ihm angewiesene Zimmer, um das kostbare Billett zu lesen und wieder zu lesen und den nicht minder köstlichen Ring tausendmal zu küssen.

Zur Stunde der Frühmette, ja eine Stunde früher schon, trotzdem er eine sehr unruhige Nacht gehabt, war er in dem Schloßgarten, wo sich jetzt niemand seinem Eingang oder Verweilen widersetzte, mit einem Federbusch von der bezeichneten Farbe auf der Mütze, so gut er ihn in der Eile verschaffen konnte. Zwei ganze Stunden ward von seiner Anwesenheit keine Kenntnis genommen; endlich hörte er einige Lautentöne, und sogleich öffnete sich das Fenster gerade über dem kleinen Pförtchen, durch das Hayraddin eingelassen worden, und Isabelle erschien in jungfräulicher Schönheit, halb schüchtern, errötete hoch bei der tiefen, bedeutungsvollen Verbeugung, mit der er ihren Gruß erwiderte – verschloß das Fenster wieder und verschwand.

Das helle Tageslicht ließ ihn nichts weiter entdecken. Die Echtheit des Billetts war nun erhoben – es fragte sich bloß, was darauf folgen sollte, und darüber hatte ihm die schöne Briefstellerin keinen Wink gegeben. Indessen drohte keine unmittelbare Gefahr; die Gräfin befand sich in einem festen Schlosse unter dem Schutze eines Fürsten, dessen weltliche Macht ebenso bedeutend wie sein geistliches Ansehen war.

Auch bot sich weder Veranlassung noch Gelegenheit für den unternehmenden Schildknappen, in die Angelegenheit selbst einzugreifen; es war hinreichend für ihn, wenn er sich bereit hielt, Befehle zu vollziehen, sobald ihm solche zukamen. Allein das Schicksal hatte beschlossen, ihn früher als er glaubte, in Tätigkeit zu setzen.

Es war die vierte Nacht nach seiner Ankunft in Schönwald, als Quentin Maßregeln getroffen hatte, am folgenden Morgen den Reitknecht, der ihn auf der Reise begleitete, an den Hof Ludwigs zurückzusenden, und zwar mit den Briefen von ihm an seinen Oheim und Lord Crawford, worin er den französischen Dienst aufsagte; denn der Verrat, dem er durch Hayraddins geheime Instruktionen ausgesetzt worden war, rechtfertigte diesen Schritt aus Gründen sowohl der Ehre als der Klugheit. Und nun legte er sich zu Bette, mit allen den rosenfarbenen Gedanken, die das Lager eines innig liebenden Jünglings umgaukeln, der seine Liebe aufrichtig erwidert glaubt.

Allein Quentins Träume, welche anfangs die Farbe der lieblichen Bilder hatten, unter denen er eingeschlafen war, begannen allmählich einen furchtbaren Charakter anzunehmen. Er wandelte nämlich mit Gräfin Isabelle das Gestade eines spiegelglatten Landsees entlang, dem ähnlich, der eine Haupteigentümlichkeit in der Landschaft seines heimatlichen Bergtales ausmachte, und sprach mit ihr von seiner Liebe, ohne an die vielen Hindernisse zu denken, die sich derselben entgegenstellten. Sie errötete und lächelte, indem sie ihm zuhörte, gerade wie er es nach dem Inhalte des Briefes erwarten konnte, der ihm Tag und Nacht am Herzen ruhte. Allein plötzlich ging die Szene vom Sommer in den Winter über, von der Ruhe und Stille zum Sturme; Winde und Wellen erhoben sich mit solchem Ungestüm, als ob die Geister des Wassers und der Luft um ihre Herrschaft stritten. Schwellende Gewässer schienen sie weder vorwärts noch rückwärts lassen zu wollen, der wachsende Sturm, der sie gegeneinander warf, ihr längeres Verweilen an diesem Orte unmöglich zu machen, und die stürmischen Gefühle, durch die anscheinend dringende Gefahr erregt, erweckten endlich den Träumer.

Er erwachte; allein obgleich das Traumgesicht verschwunden war und der Wirklichkeit Raum gegeben hatte, ertönte dennoch das Geräusch, welches wahrscheinlich den Traum veranlaßt hatte, noch immer an seinen Ohren fort. Quentins erste Bewegung war, sich im Bette aufzurichten und mit Verwunderung auf die Töne zu horchen, die einen furchtbaren Sturm verkündeten. Einen Augenblick darauf überzeugte er sich, daß der Aufruhr nicht von der Wut der Elemente, sondern der Menschen hervorgebracht wurde. Er sprang vom Bette auf und schaute zum Fenster seines Zimmers hinaus; allein es ging auf den Garten, und auf dieser Seite war alles ruhig. Da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich auf ein Pochen an der Tür seines Zimmer gerichtet. Als er nicht sogleich antwortete, wurde die Tür, die nicht besonders stark war, gesprengt, und herein trat ein Mann, den er an seiner besonderen Sprache sogleich als den Zigeuner Hayraddin Maugrabin erkannte. Eine Pistole, die er in der Hand hielt und mit einer Lunte berührte, brachte sogleich eine düsterrote Flamme hervor, an der er eine Lampe, die er aus dem Busen zog, anzündete.

»Das Horoskop Eurer Schicksale,« sprach er zu Durward mit Nachdruck, ohne ihn weiter zu begrüßen, »hängt jetzt von der Entscheidung eines Augenblicks ab.« – »Schurke!« sprach Quentin hierauf, »hier ist Verrat; und wo Verrat ist, mußt Du immer die Hand im Spiele haben.« – »Ihr seid toll,« antwortete Maugrabin; »ich habe nie jemand verraten, wenn es mir keinen Nutzen brachte; und warum sollt' ich Euch verraten, da für mich bei Eurer Rettung mehr als bei Eurem Untergange zu gewinnen ist? Gebt nur für einen Augenblick, wenn es Euch möglich ist, der Vernunft Gehör, ehe sie durch den Todesklang des Verderbens in Euer Ohr gerufen wird. Die Lütticher sind im Aufstande und Wilhelm von der Mark führt sie an; gäbe es auch Mittel zum Widerstande, ihre Zahl und ihre Wut würden sie besiegen! Allein es sind keine vorhanden. Wollt Ihr die Gräfin und Eure eigene Hoffnung retten, so folgt mir im Namen derjenigen, die Euch den Tafeldiamant mit den drei Leoparden darauf sandte!« – »Zeigt mir den Weg,« sagte Quentin eilig – »auf diesen Namen hin trotze ich jeglicher Gefahr.« – »Wie ich Euch leiten werde,« sagte der Zigeuner, »ist keine Gefahr dabei, wenn anders Ihr Eure Hand von einem Kampfe, der Euch nichts angeht, zurückhalten könnt, denn was geht es Euch im Grunde an, ob der Bischof, wie sie ihn heißen, seine Herde, oder die Herde den Schäfer schlachtet! Ha! ha! ha! – Folgt mir, aber mit Vorsicht und Geduld; bändigt Euren Mut, und überlaßt Euch meiner Klugheit – meine Schuld der Dankbarkeit ist dann bezahlt, und Ihr habt eine Gräfin zur Gemahlin – folgt mir.« – »Ich folge,« versetzte Quentin, sein Schwert ziehend; »aber in dem Augenblick, wo ich das geringste Zeichen von Verrat entdecke, liegen Dein Haupt und Dein Rumpf drei Ellen voneinander.«

Ohne weiter ein Wort zu wechseln, eilte der Zigeuner, da er sah, daß Quentin nun ganz bewaffnet und gerüstet war, die Treppen vor ihm hinab und wandte sich schnell durch verschiedene Seitengänge, bis sie endlich den kleinen Garten erreichten. Kaum ein Licht war auf dieser Seite zu sehen, kaum hörte man im Hause ein Geräusch, aber Quentin war nicht sobald ins Freie getreten, als das Getöse an der entgegengesetzten Seite des Schlosses zehnmal furchtbarer sich vernehmen ließ und er deutlich die verschiedenen Losungsworte: »Lüttich! der Eber! der Eber!« von den Stürmenden rufen hörte, indes der schwächere Ruf: »Die heilige Jungfrau für den Fürstbischof!« mit matter und sinkender Stimme von seiten derer erklang, die, obwohl überfallen und im Nachteil, zur Verteidigung auf die Mauern geeilt waren.

Ungeachtet des kriegerischen Charakters, den Quentin Durward besaß, war ihm doch der Ausgang des Gefechts gleichgültig, wenn er an das Schicksal der Gräfin Isabelle von Croye dachte, das, wie er allen Grund zu fürchten hatte, schrecklich sein mußte, wenn sie nicht aus der Gewalt dieses ausschweifenden und grausamen Freibeuters, der eben, wie es schien, im Begriff war, die Schloßtore zu sprengen, befreit wurde. Er versöhnte sich mit dem Gedanken an die Hilfe des Zigeuners und folgte ihm durch den Garten hin, in der Absicht, sich solange von ihm leiten zu lassen, bis er Spuren von Verrat entdeckte; dann aber wollte er ihm das Herz durchbohren oder den Kopf vom Leibe hauen. Hayraddin schien selbst einzusehen, daß seine Sicherheit an einem Haare hänge; denn er vergaß, sobald sie ins Freie kamen, aller seiner gewohnten Scherze und Schwänke und schien ein Gelübde getan zu haben, sich mit Bescheidenheit, Mut und Tüchtigkeit zu benehmen.

An der zu den Gemächern der Damen führenden Tür erschienen auf ein leises Zeichen Hayraddins zwei Frauen, in schwarze seidene Schleier gehüllt, wie sie schon damals, wie noch heute, von den niederländischen Frauen getragen wurden. Quentin bot einer von ihnen den Arm an, und sie faßte ihn mit so zitternder Heftigkeit und hing sich so fest daran, daß, wäre ihr Gewicht größer gewesen, ihre Flucht dadurch sehr hätte gehindert werden müssen. Der Zigeuner, der die andere führte, nahm den Weg gerade auf die Hinterpforte der Gartenmauer zu, bei der dicht das kleine Boot lag, worin Quentin ihn schon einmal hatte vom Schlosse abfahren sehen. Während sie übersetzten, schien das Geschrei der Stürmenden und der Sieger anzudeuten, daß sie im Begriff waren, das Schloß zu erstürmen, und so widrig drang dieser Ton in Quentins Ohren, daß er sich nicht enthalten konnte, laut zu beteuern: »Wäre nicht mein Blut unwiderruflich der Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflicht geweiht, ich wollte auf die Mauer zurückeilen, dem gastfreundlichen Bischof treulich Beistand leisten und einige dieser Schurken in die Hölle befördern, deren Mund so voll von Meuterei und Raublust ist.«

Die Dame, deren Arm in dem seinigen lag, schien ihm durch einen leisen Druck zu verstehen zu geben, daß sie nähere Ansprüche auf seine Ritterlichkeit habe als die Verteidigung von Schönwald; der Zigeuner aber rief laut genug, um verstanden zu werden: »Nun, das nenne ich doch einen echt christlichen Wahnsinn, zum Kampfe zurückkehren zu wollen, wenn Liebe und Glück uns zur Flucht auffordern. Fort! fort! so eilig, als Ihr könnt. – Es warten Pferde unserer dort in jenem Weidengebüsche.« – »Es sind aber nur zwei Pferde da,« sprach Quentin, der sie beim Mondlicht erblickte. – »Mehr konnte ich nicht auftreiben, ohne Verdacht zu erregen, und außerdem ist's auch genug,« versetzte der Zigeuner. »Ihr zwei müßt nach Tongres zu reiten, ehe der Weg unsicher wird. – Marthon bleibt bei den Weibern unserer Horde, deren alte Bekannte sie ist. Wisset, sie ist eine Tochter unseres Stammes und blieb nur unter Euch, um unsere Pläne, wenn es Gelegenheit gab, zu fördern.« – »Marthon!« rief die Gräfin mit einem Schrei aus, indem sie auf die Verschleierte hinblickte; »ist dies nicht meine Nichte?« – »Es ist nur Marthon,« versetzte der Zigeuner. »Verzeiht mir diesen kleinen Betrug; ich durfte dem Eber der Ardennen nicht beide Gräfinnen entreißen.« – »Schurke,« rief Quentin heftig – »aber ist es nicht – es soll nicht zu spät sein. Ich eile zurück, die Gräfin Hameline zu retten.« – »Hameline,« flüsterte die Dame im Tone der Bestürzung, »hängt an Deinem Arme, um Dir für ihre Rettung zu danken.« – »Ha! Was ist das?« rief Quentin, indem er sich von ihr losriß, und zwar mit weniger Artigkeit, als er sich sonst gegen eine Dame vom Stande erlaubt hätte, – so ist denn Gräfin Isabelle zurückgeblieben? – Lebt wohl – lebt wohl!«

Als er sich umwandte, um nach dem Schlosse zurückzueilen, hielt ihn Hayraddin zurück: »Aber so hört doch nur! – Ihr rennt da in Euern Tod. – Warum, beim Teufel, tragt Ihr denn die Farben der Alten? So will ich doch nie mehr blau und weißer Seide trauen! – Aber sie hat fast eine ebenso reiche Mitgift – hat Juwelen und Gold – und selbst Ansprüche auf die Grafschaft.« Während der Zigeuner also sprach und sich bemühte, Quentin zurückzuhalten, legte dieser endlich die Hand an seinen Dolch, um sich mit Gewalt von ihm loszumachen. »Nein, wenn es so gemeint ist,« versetzte Hayraddin, ihn loslassend, »so geht, und der Teufel, wenn es einen gibt, geleite Euch.« Der Schotte aber eilte, sobald er sich frei fühlte, mit Windesschnelle zum Schlosse zurück. Jetzt wandte sich Hayraddin zur Gräfin Hameline zurück, die vor Scham, Furcht und Aerger über ihre vereitelten Hoffnungen zu Boden gesunken war.

»Hier hat ein Mißverständnis obgewaltet,« sagte er; »auf, Gräfin, und kommt mit mir – ich will Euch, bevor der Morgen kommt, für einen weit galanteren Mann sorgen, als dieser unbärtige Laffe ist, und wenn Euch einer nicht genügt, so sollt Ihr deren zwanzig haben!«

Gräfin Hameline war ebenso heftig in ihren Leidenschaften, als eitel und schwach am Verstande. Wie manche andere, wußte sie sich bei den gewöhnlichen Vorfällen im Leben ganz gut zu helfen, aber in einem so bedenklichen Falle, wie der gegenwärtige war, war sie ganz unfähig, irgend etwas anderes zu tun, als Klagen auszustoßen, Hayraddin einen Dieb, einen elenden Sklaven, einen Betrüger und Mörder zu schelten.

»Nennt mich einen Zigeuner,« erwiderte er, »und Ihr habt alles auf einmal gesagt.« – »Ungeheuer! Du sagtest, die Sterne hätten unsere Verbindung beschlossen, und Du bewogst mich, ihm zu schreiben – O Törin, die ich war!« rief die unglückliche Gräfin aus. – »Ja, sie hatten auch Eure Verbindung beschlossen,« sagte Hayraddin, »wenn beide Teile zufrieden gewesen wären. Glaubt Ihr denn, die himmlischen Konstellationen könnten jemand zum Heiraten zwingen wider seinen Willen? – Mich haben Eure verwünschten christlichen Galanterien, Eure einfältigen Bänder und Gunstbezeugungen, zu dem Irrtum verführt. – Der junge Mann zieht nun aber Kalbfleisch dem Kuhfleisch vor, das ist alles. Nun kommt und folget mir, und wißt, daß ich weder das Weinen noch das Ohnmächtigwerden leiden kann.« – »Ich gehe nicht von der Stelle,« entgegnete hartnäckig die Gräfin. – »Beim glänzenden Firmament, Ihr sollt doch mit mir fort!« rief Hayraddin aus; »ich schwöre Euch bei allem, woran Toren je geglaubt haben, Ihr habt es mit einem zu tun, der sich wenig daraus machen würde, Euch bis aufs Hemd auszuziehen, an einen Baum zu binden, und so Eurem Schicksale zu überlassen!« – »Nein,« sagte Marthon, dazwischen tretend, »ich leide das nicht! ich lasse sie nicht mißhandeln! Ich trage ein Messer so gut wie Ihr und weiß es zu brauchen – sie ist ein gutes Weib, wenn gleich eine Törin. Und Ihr, Madame, steht auf und folgt uns jetzt – hier hat ein Irrtum stattgefunden, aber es heißt schon was, Leib und Leben gerettet zu haben. In jenem Schlosse dort wird es wohl manchen geben, der alle Schätze der Welt darum bieten würde, wenn er da stände, wo wir jetzt sind.«

Als Marthon so sprach, erschallte ein Geschrei, indem sich der Siegesruf mit dem Geheul des Schreckens und der Verzweiflung mischte, vom Schlosse Schönwald her zu ihren Ohren.

»Hört Ihr's, Dame?« sprach Hayraddin, »dankt es dem Himmel, daß Ihr nicht Euern Diskant in jenes Konzert dort mischen müßt. Glaubt mir, ich werde ehrlich für Euch sorgen, die Sterne halten gewiß Wort, und Ihr findet einen guten Ehemann.«

So wie das Tier des Waldes, erschöpft durch Schrecken und Anstrengung, sich seinem Dränger überliefert, so überließ sich Gräfin Hameline der Leitung ihrer Führer und ließ sich geduldig bringen, wohin sie wollten; ja so groß war ihre Betäubung, daß das saubere Paar, das sie halb trug, halb führte, seine Unterhaltung fortsetzte, ohne daß die Gräfin ein Wort davon verstand.

»Ich hab's immer gedacht, daß Dein Plan töricht war,« sagte Marthon. »Hättest Du die jungen Leute zusammenbringen können, ja, da hätten wir auf ihre Dankbarkeit rechnen dürfen; wie ließ sich aber denken, daß ein so hübscher, junger Mann die alte Törin da heiraten würde?«

»Rizpa,« versetzte Hayraddin, »Du hast den Namen einer Christin geführt und in den Zelten dieses betörten Volkes gewohnt, bis Du selbst ihre Torheiten angenommen hast. Wie konnte ich mir träumen lassen, daß er sich an einigen Jahren mehr oder weniger stoßen würde, da die Vorteile der Heirat so in die Augen sprangen? Du weißt ja, daß es uns nicht so leicht geworden wäre, jenes schüchterne Jüngferchen zu einem so dreisten Schritte zu vermögen, als diese mannssüchtige Gräfin da, die jetzt wie ein Wollsack an unsern Armen hängt. Auch war ich dem Jungen wirklich gut und wollte ihm eine Gefälligkeit erweisen; ihn mit dieser Alten da verheiraten, hieß ihm zu seinem Glücke verhelfen; eine Verbindung mit Isabellen hätte den von der Mark, den Burgunder, sowie Frankreich, die alle bei der Verfügung über ihre Hand ein Wort mitsprechen wollten, uns auf den Hals gehetzt, und da dieses einfältigen Weibes Reichtum hauptsächlich in Geld und Juwelen besteht, so hätten wir auch unsern Anteil daran bekommen, allein die Bogenschnur ist gerissen, und der Pfeil hat nicht getroffen. Fort mit ihr! wir bringen sie zu Wilhelm dem Bärtigen; hat er sich nur erst in Völlerei übernommen, so wird er die alte Gräfin von der jungen nicht mehr zu unterscheiden wissen. Fort also, Rizpa, – faß' Dir ein Herz, das glänzende Gestirn Aldeboran waltet noch immer über dem Geschick der Kinder der Wüste.«

Drittes Kapitel

Die überraschte und bestürzte Besatzung des Schlosses Schönwald hatte geraume Zeit den Platz gegen die Angriffe der Stürmenden verteidigt; allein die unermeßlichen Haufen, die aus der Stadt Lüttich, gleich Bienen, zum Sturme heranströmten, teilten ihre Aufmerksamkeit und schwächten ihren Mut. Auch herrschte unter den Verteidigern selbst, wenn nicht Verräterei, doch wenigstens Mißvergnügen; denn einige riefen, man solle sich ergeben, andere suchten, ihre Posten verlassend, aus dem Schlosse zu entkommen. Viele stürzten sich von den Mauern in den Graben, und diejenigen, welche nicht ertranken, warfen ihre Feldzeichen weg und retteten sich dadurch, daß sie sich unter die Angreifenden mengten. Einige wenige, die der Person des Bischofs persönlich ergeben waren, versammelten sich um ihren Gebieter und fuhren fort, in dem großen befestigten Turme, wohin er sich geflüchtet hatte, sich zu verteidigen; andere, ungewiß, ob man ihnen Pardon geben würde, oder angetrieben von dem Mute der Verzweiflung, hielten sich in einzelnen Bollwerken und Türmen des weitläufigen Gebäudes. Allein die Angreifenden hatten sich in den Besitz der Höfe und der untern Teile des Gebäudes gesetzt, verfolgten die Besiegten und suchten nach Beute, während ein einzelner, als ob er den Tod suche, vor dem alle flohen, sich einen Weg mitten durch das Getümmel und die Zerstörung zu bahnen versuchte, gequält von Besorgnissen, die vor seiner Einbildungskraft noch schrecklicher erschienen, als die Szene um ihn her seinen Sinnen sein mußte.

Da er sich Schönwald auf der nämlichen Seite näherte, auf der er es verlassen hatte, traf der Jüngling auf mehrere Flüchtlinge, die dem Walde zueilten und ihm als einem Feinde auswichen, da er aus einer, der ihrigen entgegengesetzten Richtung daherkam. Als er sich nun noch mehr näherte, sah er Leute von der Gartenmauer in den Schloßgraben springen, und erblickte andere, die von den Zinnen durch die Angreifenden hinabgestürzt wurden. Sein Mut wurde auch nicht einen Augenblick erschüttert. Es war jetzt keine Zeit, sich nach dem Boote umzusehen, und wenn es auch möglich gewesen wäre, sich seiner zu bedienen, so wäre es vergeblich gewesen, der Hintertür zu dem Garten sich zu nähern, da sie immer von Flüchtlingen angefüllt war, die, sowie sie von innen herausgedrängt wurden, in den Schloßgraben stürzten, über den sie nicht entkommen konnten ... Da warf sich Quentin selbst in den Graben, in der Nähe des sogenannten kleinen Schloßtors, wo sich eine noch aufgezogene Zugbrücke befand. Nur mit Mühe vermochte er den nach ihm gerichteten Griffen der Sinkenden zu entgehen, und indem er nach der Zugbrücke schwamm, faßte er eine der herabhängenden Ketten, schwang sich mit der größten Anstrengung aus dem Wasser und erreichte so glücklich die Plattform, wo die Brücke befestigt war. Als er nun mit Händen und Knien sich bestrebte, festen Fuß zu gewinnen, kam ein Landsknecht mit blutigem Schwert in der Hand auf ihn zu und erhob seine Waffe zu einem Hiebe, der ihm wohl das Leben gekostet hätte. »Was soll das?« rief Quentin in einem gebieterischen Ton, »ist das die Art, einem Kameraden beizuspringen? – Reich mir die Hand.«

Schweigend und nicht ohne Zögern reichte ihm der Soldat die Hand und half ihm auf die Plattform. Der Schotte aber fuhr, ohne ihm Zeit zum Nachdenken zu lassen, in dem nämlichen Tone fort: »Nach dem westlichen Turme, wenn Ihr reich werden wollt! – Des Priesters Schätze liegen dort.«

»Nach dem westlichen Turme, nach dem westlichen Turme!« hallte es rund umher von Mund zu Mund, und alle, welche dies Geschrei vernahmen, schlugen gleich einer Herde wütender Wölfe die Richtung ein, die dem Orte entgegengesetzt war, den Quentin auf Tod und Leben zu verfolgen beschlossen hatte. Als wäre er nicht einer der Besiegten, sondern der Sieger, bahnte er sich einen Weg in den Garten, eilte mit schnellen Schritten und klopfendem Herzen hin und empfahl sich den himmlischen Mächten, die ihn in den zahllosen Gefahren seines Lebens beschützt hatten, mit dem kühnen Entschlusse, sein Ziel zu erreichen, oder sein Leben in dieser verzweifelten Unternehmung zu lassen. Ehe er indes das Ende des Gartens erreichte, drangen drei Männer mit eingelegten Lanzen auf ihn ein und riefen: »Lüttich, Lüttich!« – »Frankreich, Frankreich, Lüttichs Freund!« antwortete er, sich zur Wehr setzend. »Es lebe Frankreich!« riefen die Bürger von Lüttich und zogen weiter. Eben dieses Losungswort bewährte sich als ein Talisman, der die Waffen von vier bis fünf Kriegern Wilhelms von der Mark von ihm abwandte, die in dem Garten umherstreiften und ihn mit dem Rufe: »Der Eber!« anfielen.

Mit einem Worte, Quentin begann zu hoffen, daß er in der Eigenschaft eines Abgesandten Ludwigs, des geheimen Anstifters der Lütticher Empörungen und des verborgenen Beschützers Wilhelms von der Mark, vielleicht glücklich die Gefahren dieser Schreckensnacht überstehen würde. Als er an dem Türmchen ankam, schauderte er, da er fand, daß die kleine Seitentür, aus der Gräfin Hameline und Marthon kurz vorher zu ihm geeilt waren, jetzt durch mehr als einen toten Körper versperrt war. Zwei derselben zog er eiligst auf die Seite und war im Begriff, über den dritten hinwegzuschreiten, um in die Tür zu treten, als ihn der vermeintliche Tote an seinem Mantel faßte und bat, ihm aufzuhelfen. Quentin war schon im Begriff, wie er so zur Unzeit in seinen Fortschritten gehemmt wurde, unsanfte Mittel anzuwenden, um sich loszumachen, als der zu Boden Gefallene ihm zurief: »Ich ersticke hier in meiner eigenen Rüstung! Ich bin der Syndikus Pavillon von Lüttich! Seid Ihr auf unserer Seite, so will ich Euch reich machen – seid Ihr auf der andern, so will ich Euch beschützen; aber laßt mich nur nicht ersticken wie ein Schwein.« Mitten in dieser Szene des Blutvergießens und der Verwirrung hatte Quentin noch Geistesgegenwart genug, um zu bedenken, daß dieser Beamte wohl Mittel besitzen könnte, seinen Rückzug zu erleichtern. Er half ihm auf die Füße und fragte ihn, ob er verwundet wäre. – »Nein, ich bin nicht verwundet, wenigstens glaub ich's nicht, aber ich kann nicht zu Atem kommen,« antwortete der Bürger. – »So setzt Euch auf diesen Stein und erholt Euch,« sagte Quentin, »ich werde gleich wieder bei Euch sein.« – »Für wen seid Ihr?« fragte der Bürger, ihn immer noch zurückhaltend. – »Für Frankreich, für Frankreich!« antwortete Quentin, indem er sich loszumachen suchte. – »Wie, mein muntrer junger Bogenschütze?« sagte der würdige Syndikus. »Nun wenn ich in dieser furchtbaren Nacht das Glück hatte, einen Freund zu finden, so will ich ihn auch nicht verlassen, das versprech' ich Euch. Geht, wohin Ihr wollt, und ich folge Euch; kann ich nur einige von den wackern Burschen unserer Gilde zusammenbringen, so werde ich vielleicht imstande sein, Euch Gegendienste zu leisten; aber sie sind alle umher zerstreut wie die Erbsen. – O! es ist eine furchtbare Nacht.« Unterdessen schleppte er sich hinter Quentin her, der, die Wichtigkeit des Beistandes eines Mannes von solchem Einflusse erkennend, langsamer ging, um ihn zu stützen, obgleich er im Herzen das Hindernis verwünschte, das seine Schritte verzögerte.

Auf der obersten Treppe befand sich ein Vorgemach voll von erbrochenen Kisten und Truhen. Eine verglimmende Lampe, die auf dem Kamin stand, warf einen dürftigen Schein auf einen toten oder besinnungslosen Menschen, der quer über dem Herde lag. Wie ein Windhund von der Leine des Jägers, riß sich Quentin von Pavillon los, und zwar mit solch heftigem Ruck, daß er ihn beinahe über den Haufen geworfen hätte, rannte durch ein zweites und drittes Zimmer, von denen das letzte das Schlafzimmer der Gräfinnen von Croye gewesen zu sein schien, und rief, da keine lebende Seele darin zu sehen war, den Namen der Gräfin Isabelle, erst leise, dann lauter, und endlich mit dem Tone der Verzweiflung; aber keine Antwort erfolgte. Er rang die Hände, zerraufte sein Haar und stampfte verzweiflungsvoll auf den Boden. Endlich gewahrte er einen schwachen Lichtschimmer, der durch eine Spalte in der getäfelten Holzbekleidung des Schlafgemachs drang und hinter dem Tapetenumhang irgend einen Schlupfwinkel vermuten ließ. Quentin untersuchte genauer, und fand wirklich eine verborgene Tür, die jedoch jeder Anstrengung, sie zu öffnen, widerstand. Nicht achtend die vielleicht ihm drohende Gefahr, rannte er endlich mit der ganzen Kraft und dem ganzen Gewichte seines Körpers gegen die Tür und bahnte sich beinahe über Kopf und Hals den Weg in ein kleines Betzimmer, wo eine weibliche Gestalt in verzweiflungsvoller, bittender Stellung vor dem Heiligenbilde gelegen hatte und nun durch das nahende Getöse vor Schrecken zu Boden sank. Schnell hob er sie vom Boden auf, und Wonne über Wonne! sie war es, die er zu retten kam; es war Gräfin Isabelle. Er drückte sie an seine Brust, beschwor sie, zu erwachen, und hieß sie guten Mutes sein, da sie sich jetzt unter dem Schutze eines Mannes befinde, der Herz und einen Arm besitze, um sie gegen die ganze Herde zu verteidigen.

»Durward!« sprach sie, als sie endlich zur Besinnung kam, »seid Ihr es wirklich? – dann ist noch einige Hoffnung übrig. Ich glaubte schon, alle lebenden und verstorbenen Freunde hätten mich meinem Schicksal überlassen. – Verlaßt mich nicht wieder! – »Niemals, niemals!« sprach Durward; »was auch immer kommen möge – welche Gefahr sich auch nahe! Ich will aller Wohltaten verlustig werden, die mir jenes Bild des Gekreuzigten verkündigt, wenn ich Euer Schicksal nicht solange teile, bis es sich wieder zum Glücke gewendet hat.« – »Sehr pathetisch und rührend in der Tat!« rief eine rauhe, gebrochen keuchende Stimme hinter ihnen – »ein Liebeshandel, wie ich sehe; und meiner Seel', das arme Geschöpf tut mir so leid, als wenn es mein eignes Trudchen wäre.« – »Ihr müßt mehr tun, als uns bemitleiden,« versetzte Quentin, sich an ihn wendend; »Ihr müßt uns beistehen, uns beschützen, Herr Pavillon. Seid versichert, diese Dame wurde von Eurem Verbündeten, dem König von Frankreich, unter meinen besonderen Schutz gestellt; und wenn Ihr mir nicht helft, sie vor jeder Mißhandlung und Gewalttat sicher zu stellen, so wird Eure Stadt der Gunst Ludwigs von Balois verlustig werden. Vor allen Dingen muß sie aber vor den Händen Wilhelms von der Mark gesichert werden.« – »Das wird schwer sein,« versetzte Pavillon, »denn diese Schelme von Landsknechten sind wahre Teufel, um den Mädchen aufzuspüren; – aber ich will mein Bestes tun. Wir wollen in ein anderes Gemach gehen, dort will ich überlegen – die dahinführende Treppe ist schmal, und Ihr könnt die Tür mit einer Pike verteidigen, indes ich zum Fenster hinaussehe und einige von meinen wackern Jungen von der Lütticher Lohgerbergilde zusammenbringe, die ebenso treu sind, als die Messer, die sie in den Gürteln tragen. Aber vor allen Dingen macht mir diese Schnalle los; denn ich habe diesen Koller seit der Schlacht von Saint-Tron nicht mehr getragen, und ich bin seitdem gewiß an die sechzig Pfund schwerer geworden, wenn anders das holländische Maß und Gewicht nicht trügen.«

Als Herr Pavillon von der eisernen Hülle befreit war, in die er mehr aus Rücksicht auf Lüttichs Wohl, als weil er sie zu tragen wußte, sich hatte stecken lassen, fühlte er große Erleichterung. Später ergab es sich, daß er von seiner Kompagnie, als sie zum Angriff eilte, unwillkürlich mit fortgerissen, über die Mauern gehoben, dann aber, ohne nur ein Wort hervorbringen zu können, bald dahin, bald dorthin verschlagen worden war, wie es die Ebbe und die Flut des Sturmes mit sich brachte. So war er am Ende wie ein Stück Treibholz, das die See im Sturme an die Küste spült, vor dem Eingang zu den Gemächern der Gräfinnen von Croye zu Boden gestürzt, wo die Last seiner eigenen Rüstung, sowie das Gewicht zweier am Eingange erschlagenen Männer, die auf ihn fielen, ihn wahrscheinlich ziemlich lange festgehalten hätten, wenn er nicht von Durward erlöst worden wäre. Dieselbe Leidenschaftlichkeit, die Herrn Pavillon zu einem hitzköpfigen, alles Maß verkennenden Eiferer in der Politik machte, hatte aber auch die sehr gute Folge, daß er im Privatleben ein gutmütiger, wohlwollender Mann war, der, wenn auch zuweilen ein wenig mißleitet durch Eitelkeit, doch immer es redlich und gut mit jedermann meinte. Er forderte Quentin auf, für die artige arme Jungfrau doch ja recht Sorge zu tragen, und nach dieser unnötigen Ermahnung begann er aus dem Fenster zu rufen: »Lüttich, Lüttich! die wackern Kürschner- und Gerbergesellen herbei!« Ein paar von seinen unmittelbaren Begleitern erschienen sogleich auf diesen Ruf, und auf den Innungspfiff – gleich den andern Innungen hatte auch die der Gerber ihr eigenes Signal, bildete sich alsbald unter dem Fenster vor dem Ausgangspförtchen eine Wache. Jetzt schien eine gewisse Ruhe auf dem Schlosse eingetreten zu sein. Aller Widerstand hatte aufgehört, und die Anführer der verschiedenen Abteilungen ergriffen Maßregeln, einer allgemeinen Plünderung vorzubeugen. Die große Glocke wurde geläutet, um einen Kriegsrat zusammen zu berufen, und da ihre eiserne Zunge der Stadt Lüttich die siegreiche Einnahme Schönwalds verkündete, wurde darauf mit allen Glocken der Stadt geantwortet, deren starke Stimmen aus der Ferne »Heil den Siegern!« zu rufen schienen.

Es wäre natürlich gewesen, wenn Mynheer Pavillon seine feste Stellung verlassen hätte; allein entweder aus achtsamer Sorge für die, die er unter seinen Schutz genommen hatte, oder vielleicht um seiner eigenen Sicherheit willen, begnügte er sich damit, Boten über Boten an seinen Leutnant Peterkin Geislaer abzusenden, er solle sich sogleich bei ihm einfinden.

Peterkin kam endlich zu seinem großen Troste, eine stämmige, plumpe Gestalt, mit breitem Gesichte und dicken, schwarzen Brauen, die auf einen hartnäckigen Sinn schließen ließen. Der ganze Mann war, sozusagen, ein Ratgeber aus dem ff. Er trug ein büffelledernes Wams, einen breiten Gürtel und ein kurzes Schwert an seiner Seite, auch eine Hellebarde in der Hand.

»Peterkin! lieber Leutnant!« rief sein Befehlshaber, »dies war ein ruhmvoller Tag – eine ruhmvolle Nacht, sollt' ich sagen – ich hoffe, Ihr seid doch diesmal zufrieden?« – »Es hat mir recht wohlgefallen,« erwiderte der mannhafte Leutnant, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß Ihr Euern Sieg, wenn Ihr ihn so nennen wollt, in dieser Dachstube da oben feiern würdet, während man Eurer im Kriegsrate bedarf!« – »Bedarf man meiner wirklich dort?« fragte der Syndikus. – »Ei freilich bedarf man Eurer; Ihr sollt die Rechte Lüttichs dort vertreten, die mehr als je in Gefahr sind,« antwortete der Leutnant. – »Ei was, Peterkin!« antwortete sein Vorgesetzter, »Du bist immer so ein Brummbär.« – »Brummbär! nein, das bin ich nicht,« entgegnete Peterkin; »was andern Leuten gefällt, gefällt auch mir. Ich möchte nur nicht gern, daß wir den Storch, statt des Klotzes, zum Könige bekämen, wie in der Fabel steht, die uns der Pfarrer von St. Lambert aus Meister Aesops Buche vorgelesen hat.« – »Ich kann nicht erraten, was Du da meinst, Peterkin,« sagte der Syndikus. – »Nun denn, so will ich's Euch sagen, Meister Pavillon. Dieser Eber oder Bär scheint Schönwald zu seiner Höhle machen zu wollen, und wird wahrscheinlich ein ebenso schlimmer, wo nicht noch schlimmerer Nachbar für uns werden, als der alte Bischof war. Da hat er nun die ganze Herrschaft an sich gerissen und ist nur noch im Zweifel, ob er sich Fürst oder Bischof taufen lassen will, – und es ist eine Schande anzusehen, wie sie den alten Mann mißhandelt haben.« – »Das leide ich nicht, Peterkin,« erwiderte Pavillon aufbrausend, »die Bischofsmütze war mir zuwider, aber nicht das Haupt, das sie trug. Wir sind zehn gegen einen im Felde, Peterkin, und wollen solche Dinge nicht geschehen lassen.« – »Ja, zehn gegen einen im Felde, aber Mann gegen Mann auf dem Schlosse; zudem haben sich Nickel Block, der Schlächter, und der ganze Pöbel der Vorstädte zu Wilhelm von der Mark geschlagen, teils um in Saus und Braus zu leben (denn er hat alle Biertonnen und Weinfässer anzapfen lassen), teils aus altem Neide gegen uns, die wir Handwerker sind und unsere Vorrechte haben.« – »Peterkin,« sagte Pavillon, »wir wollen auf der Stelle nach der Stadt aufbrechen; ich bleibe nicht länger in Schönwald.« – »Aber die Brücken sind aufgezogen, Meister,« entgegnete Geislaer, »die Tore sind verschlossen und von den Landsknechten bewacht; und wenn wir versuchen wollten, uns mit Gewalt den Weg zu bahnen, so möchten diese Kerle, deren tägliches Geschäft der Krieg ist, uns ordentlich zu Schanden hauen.« – »Aber warum hat er denn die Tore schließen lassen?« fragte der bestürzte Bürger; »wie kann er ehrliche Leute gefangen halten?« – »Das kann ich Euch nicht sagen,« versetzte Peterkin, »man sagt sich, die Gräfinnen von Croye seien während der Erstürmung des Schlosses entschlüpft; das brachte zuerst den Mann mit dem Barte außer sich vor Aerger, und jetzt ist er durch das Trinken vollends ganz vom Verstande gekommen.«

Der Bürgermeister warf einen trostlosen Blick auf Quentin und schien nicht recht zu wissen, wozu er sich entschließen sollte. Durward, dem nicht ein Wort von der Unterredung entgangen war, die ihn in nicht geringe Bestürzung setzte, sah nichtsdestoweniger wohl ein, daß ihre einzige Hoffnung darauf beruhte, daß er selbst seine Geistesgegenwart nicht verlöre, und daß Pavillon bei gutem Mut erhalten werde. Er mischte sich daher kühn in die Unterhaltung, als hätte er ein Recht, bei der Beratung mitzustimmen – »Ich bemerke mit Bedauern, Herr Pavillon,« sagte er, »daß Ihr noch unschlüssig seid, was in dem vorliegenden Falle zu tun sei. Tretet hin vor Wilhelm von der Mark und verlangt von ihm, daß er Euch, nebst Eurem Leutnant, Eurem Knappen und Eurer Tochter gestatte, das Schloß zu verlassen. Er kann Euch hier unter keinem Vorwand gefangen halten.« – »Ich und mein Leutnant – das wäre ich und Peterkin, gut, aber wer ist mein Knappe?« – »Das bin ich für jetzt,« versetzte der unerschrockene Schotte. – »Ihr?« fragte der verlegene Bürger, – »aber Ihr seid ja der Abgesandte König Ludwigs von Frankreich.« – »Wohl wahr; aber meine Sendung geht an den Magistrat von Lüttich, und in Lüttich allein will ich mich ihrer entledigen. Wollte ich diese meine Eigenschaft vor Wilhelm von der Mark geltend machen, müßte ich da nicht mit ihm in Unterhandlung treten? Und höchstwahrscheinlich würde er mich dann zurückhalten. Ihr müßt mich also insgeheim als Euren Knappen aus dem Schlosse schaffen.« – »Gut, mein Knappe! – aber Ihr spracht da von meiner Tochter – meine Tochter ist hoffentlich gesund und wohl zu Hause in Lüttich, wo ich von ganzem Herzen und ganzer Seele wünsche, daß ihr Vater auch wäre.« – »Diese Dame hier,« sprach Durward, »wird Euch Vater nennen, solange wir an diesem Ort weilen.« – »Und mein ganzes Leben lang nachher!« sagte die Gräfin, indem sie sich dem Bürger zu Füßen warf und seine Knie umfaßte; »nie soll ein Tag vergehen, an dem ich Euch nicht Beweise der Liebe und Achtung geben und für Euch beten werde, wie eine Tochter für ihren Vater; nur verlaßt mich nicht in dieser schrecklichen Lage. – O! seid nicht hartherzig! Denkt, Eure Tochter knie so vor einem Fremden und flehe zu ihm um Schutz für Ehre und Leben! Daran denkt; und laßt mir den Schutz zuteil werden, den Ihr wünschet, daß sie erhalten möchte.«

»Wahrhaftig,« sagte der gutmütige Bürger, sehr gerührt durch diese pathetische Anrede – »mich dünkt, Peter, dies hübsche Mädchen hat etwas von unseres Trudchens sanftem Blicke; es kam mir gleich anfangs so vor; und der junge Bursche hier, der mit seinem Rate so flink bei der Hand ist, hat sehr viel von Trudchens Bräutigam. Ich wette einen Stüber, hier ist eine Liebschaft im Spiel, und es wäre Sünd' und Schande, wenn man solcher nicht allen Vorschub täte.« – »Freilich, das wäre Sünd' und Schande,« fiel Peter ein, ein Flamänder, der bei all seinem Eigendünkel äußerst gutherzig war und, während er dies sagte, sich mit dem Aermel seines Wamses die Augen wischte. – »So soll sie denn meine Tochter sein,« sagte Pavillon, »doch muß sie sich dicht in ihren schwarzseidenen Schleier hüllen, und wenn es nicht genug wackre Lohgerber gibt, sie als die Tochter ihres Syndikus zu schützen, so sind sie nicht wert, jemals wieder eine Haut zu verarbeiten. Aber hört einmal, man muß sich auch gefaßt machen, auf etwaige Fragen zu antworten, – was hat meine Tochter hier bei einem solchen Sturme zu tun?« – »Was hatte die Hälfte der Weiber von Lüttich hier zu tun, als sie uns bis zum Schlosse folgten?« fragte Peter. »Ist dies der einzige Ort, an den sie kommen, ohne gerufen zu werden? Euer Jungfer Trudchen ist nun etwas weiter gegangen als die übrigen – das ist alles.«

»Unvergleichlich gesprochen,« sagte Quentin, »seid nur dreist, Herr Pavillon, und folgt dem Rate dieses wackern Herrn, dann werdet Ihr, ohne daß es Euch viel Mühe macht, die schönste Tat tun, die seit Karls des Großen Zeit geschehen ist. – Hier, teure Dame, hüllt Euch dicht in diesen Schleier« – (es lag allerhand weiblicher Putz zerstreut im Zimmer umher) »habt nur Vertrauen, und in wenigen Minuten seid Ihr geborgen und in Sicherheit. Also vorwärts, edler Mann,« setzte er, an Pavillon sich wendend, hinzu. »Halt! – Halt einen Augenblick,« sagte Pavillon, »es ahnt mir nichts Gutes. Dieser Wilhelm von der Mark ist ein Wüterich, ein wahrer Eber, seiner Natur, sowie seinem Namen nach; wenn nun diese junge Dame eine von den Gräfinnen von Croye wäre? – und er sie entdeckte, und in Wut geriete?« – »Und wenn ich auch wirklich eine von diesen unglücklichen Frauen wäre,« unterbrach ihn Isabelle, indem sie sich abermals ihm zu Füßen werfen wollte, »könntet Ihr mich deswegen in diesem Augenblicke der Verzweiflung von Euch stoßen? O! daß ich wirklich Eure Tochter wäre oder die des ärmsten Bürgers!« – »Wir sind nicht so arm, junge Dame; wir zahlen, wie wir gehen,« versetzte der Bürger. – »Verzeiht mir, edler Herr,« fiel das unglückliche Mädchen von neuem ein. – »Weder edel, noch Herr,« versetzte der Syndikus; »ich bin ein schlichter Bürger von Lüttich, der seine Wechsel in klingenden Gulden zahlt. Aber das tut nichts zur Sache; wenn Ihr auch wirklich eine Gräfin wäret, so will ich Euch dennoch beschützen.« – »Ihr seid zu ihrem Schutze verpflichtet, und wäre sie eine Herzogin!« sagte Peter, »denn Ihr habt einmal Euer Wort gegeben.« – »Recht, Peter, ganz recht! es ist ja unser altes niederländisches Sprichwort: ein Mann, ein Wort, und nun laßt uns ans Werk gehen. Wir müssen von diesem Wilhelm von der Mark Abschied nehmen, und doch ahnt mir nichts Gutes, wenn ich an ihn denke.«

»Wäre es nicht besser, da Ihr doch einmal Leute beisammen habt, gerade auf das Tor loszugehen und die Wache zu überfallen?« fragte Quentin; allein Pavillon und sein Ratgeber erklärten sich sogleich beide gegen solchen tollkühnen Angriff auf die Soldaten, ihre Bundesgenossen. Man beschloß also, sich kühn in den großen Saal des Schlosses zu begeben, wo, wie sie vernahmen, der wilde Eber der Ardennen sein Festmahl hielt, und um freien Ausgang für den Syndikus von Lüttich und dessen Begleiter zu bitten: ein Verlangen, das, wie es schien, zu billig war, um verweigert zu werden. Der gute Bürgermeister seufzte indessen noch immer tief auf, wenn er seine Gefährten ansah, und sprach zu seinem treuen Peter: »Sieh nur, was es heißt, ein zu kühnes und gefühlloses Herz zu haben! Ach, Peterkin, was haben Mut und Menschlichkeit mich nicht schon gekostet! Wie teuer werden mich meine Tugenden noch zu stehen kommen, ehe der Himmel uns aus diesem verdammten Schlosse Schönwald erlöst!«

Als sie über den mit Sterbenden und Toten bedeckten Hof gingen, flüsterte Quentin der Gräfin, während er sie durch diese Schreckensszene geleitete, Mut und Fassung zu und bat sie, zu bedenken, daß ihre Rettung einzig nur von ihrer Festigkeit und Geistesgegenwart abhänge. – »Nicht von der meinigen,« entgegnete sie, »von der Eurigen allein. – O! entgehe ich nur dieser furchtbaren Nacht, nie werd' ich den vergessen, der mich rettete. Doch um eine Gunst flehe ich noch zu Euch, sie mir zu gewähren!« – »Was könntet Ihr verlangen, das ich verweigern möchte?« flüsterte Quentin ihr zu. – »Stoßt mir den Dolch ins Herz,« sprach sie, »ehe Ihr mich in den Händen dieses Ungeheuers als Gefangene laßt.«

Quentins einzige Antwort war ein Druck der Hand der jungen Gräfin, von dessen Erwiderung sie nur der Schrecken zurückzuhalten schien. An ihren jungen Beschützer sich lehnend, trat sie in die furchtbare Halle. Voran gingen Pavillon und sein Leutnant, und ihnen folgten ein Dutzend Leute aus der Kürschnergilde, die den Syndikus als Ehrenwache begleiteten.

Als sie sich der Halle näherten, schien das lautgellende Geschrei und das wilde Gelächter, das ihnen entgegenschallte, mehr ein Festmahl schwelgender Höllengeister, die irgend einen Triumph über das Menschengeschlecht feiern, als eine Versammlung menschlicher Wesen zu verkündigen, denen ein kühnes Unternehmen gelungen ist. Eine krampfhafte Stimmung des Gemüts, die nur die Verzweiflung geben konnte, hielt den erkünstelten Mut der Gräfin Isabelle aufrecht. Unerschütterliche Herzhaftigkeit, die mit der Größe der Gefahr wächst, beseelte Durward, indes Pavillon und sein Leutnant aus der Not eine Tugend machten und wie Bären standen, die, an einen Pfahl gebunden, notwendig die Gefahren der Jagd bestehen müssen.

Viertes Kapitel

Kaum ließ sich eine ungewöhnlichere und schrecklichere Veränderung denken, als diejenige war, welche in der Schloßhalle von Schönwald stattgefunden, seitdem Ouentin dort am Mittagsmahle teilgenommen hatte. Das Ganze stellte in der Tat in den grellsten Zügen das Elend des Krieges dar, besonders wie er von diesen unbarmherzigsten aller Werkzeuge, den Söldlingen eines barbarischen Zeitalters, geführt wurde – Menschen, die durch Gewohnheit und Gewerbe mit allem dem, was dies Gewerbe Grausames und Blutiges hat, vertraut geworden waren, während ihnen ebensowohl Vaterlandsliebe als der romantische Geist des Rittertums abgingen.

Statt des ordentlichen, anständigen, etwas förmlichen Mahles, zu welchem sich bürgerliche und geistliche Beamte noch wenige Stunden vorher in dem nämlichen Gemache eingefunden hatten, wo bei allem Ueberfluß an Speise und Wein doch Anstand herrschte, wenn auch ein erkünstelter, bot sich jetzt eine Szene wilder, tobender Völlerei dar, die selbst der böse Feind, hätte er Ordner des Festes sein wollen, nicht satanischer hätte schaffen können.

Am obern Ende der Tafel saß im bischöflichen Thronsessel, der eiligst von dem großen Ratszimmer hierher gebracht worden war, der gefürchtete Eber der Ardennen, der diesen schrecklichen Namen nur allzusehr verdiente. Er hatte den Helm abgenommen, trug aber seine schwere, glänzende Rüstung, die er nur selten ablegte. Ueber seinen Schultern hing ein dicker Ueberwurf, aus der Haut eines ungeheuern wilden Ebers verfertigt, dessen Hauer und Klauen von gediegenem Silber waren. Die Haut des Kopfes war so zugerichtet, daß sie, wenn der Mann in voller Rüstung war, über seinen Helm, oder auch als Kapuze über sein bloßes Haupt gezogen werden könnte. Der obere Teil seines Gesichts strafte beinahe den Charakter dieses Haudegens Lügen; denn obgleich sein Haar, wenn es unbedeckt war, den rauhen, wilden Borsten der Kapuze glich, die er darüber gezogen hatte, so lag doch in seiner offenen, hohen, männlichen Stirn, den breiten, fleischigen Wangen, großen, glänzenden Augen, samt der Adlernase, etwas Tapferes und Großartiges; allein der Ausdruck dieser einnehmenden Züge ward gänzlich verwischt durch die Gewöhnung an Gewalttat und Grausamkeit, die, verbunden mit Schwelgerei und Unmäßigkeit, seinen Zügen einen Charakter gaben, der mit der rauhen Tapferkeit des Mannes in gänzlichem Widerspruche stand. Aus angeborenem Hange zur Völlerei waren die Muskeln seiner Wangen, insbesondere die Umgebungen der Augen geschwellt. Seine Augen selbst waren getrübt, und das Weiße derselben gerötet, so daß das Ganze dem Gesichte alle die scheußliche Aehnlichkeit mit dem Ungeheuer gab, dem der furchtbare Baron zu gleichen so sehr sich bemühte. Allein aus seltsamem Widerspruchsgeiste suchte Wilhelm von der Mark, indem er in anderer Rücksicht sich das Ansehen eines Ebers zu geben suchte, doch durch einen langen, dicken Bart das zu verbergen, was ihm ursprünglich jene Benennung zugezogen hatte. Dies war nämlich die ungewöhnliche Dicke des hervorstehenden Mundes und der oberen Kinnbacken; verbunden mit den gewaltigen hervorstehenden Seitenzähnen hatten sie ihm jene Aehnlichkeit mit der Tiergattung gegeben, die, nebst dem Vergnügen, das Wilhelm von der Mark darin fand, im Ardennenwalde zu jagen, ihm den Namen des Ebers der Ardennen zugezogen hatte. Der breite, krause und ungekämmte Bart vermochte jedoch weder den schrecklichen Ausdruck des Gesichts zu verbergen, noch seiner tierischen Roheit einige Würde zu verleihen.

Die Soldaten und Offiziere saßen rund um die Tafel her, untermischt mit Lüttichern, von denen einige aus der Hefe des Volks waren; unter ihnen Nickel Block, der Schlächter, der dicht an der Seite Wilhelms von der Mark saß und sich durch seine aufgestreiften Aermel und seine mit Blut gefärbten Arme, sowie auch durch ein vor ihm liegendes blutiges, großes Messer kennzeichnete. Die Soldaten hatten meistens gleich ihrem Anführer sehr lange, krause Bärte. Ihre Haare waren aufwärts gekämmt, so daß dadurch die natürliche Wildheit ihres Aeußeren noch mehr erhöht wurde; die Reden, die sie führten, die Lieder, die sie sangen, waren so unzüchtig und lästerlich, daß Quentin Gott dankte, daß sie bei dem gewaltigen Lärmen von seiner Begleiterin nicht gehört und verstanden werden konnten.

Als der Syndikus Pavillon bei dieser wilden Gesellschaft angemeldet wurde, versuchte er kraft seines Ansehens und seines Einflusses einen Ausdruck von Wichtigkeit und Gleichmut anzunehmen. Aber es wollte ihm nicht recht gelingen, ihn zu finden. Ungeachtet der Ermahnungen Peters, der ihm nicht ohne merkliche Bestürzung ins Ohr flüsterte: »Mut gefaßt, Meister, oder wir sind alle verloren!« behauptete der Syndikus jedoch seine Würde, so gut er konnte und gratulierte der Gesellschaft zu dem großen Siege, den sie vereint gewonnen hätten. – »Ja,« antwortete Wilhelm von der Mark spöttisch, »wir haben endlich das Wild zum Schuß gebracht; aber, Herr Bürgermeister, Ihr erscheint ja hier wie der Kriegsgott mit der Schönheit zur Seite. Wer ist diese Holde? Hinweg mit dem Schleier! – Kein Weib soll diese Nacht ihre Schönheit ihr Eigentum nennen!« – »Es ist meine Tochter, edler Feldherr!« antwortete Pavillon, »und ich bitte, ihr zu erlauben, daß sie verschleiert bleibt. Sie hat deshalb ein Gelübde getan zu den heiligen drei Königen.« – »Ich will sie dessen sogleich entbinden,« versetzte Wilhelm von der Mark; »denn ich will mich mit dem Streiche eines Schlächterbeils zum Bischof von Lüttich machen; und ich sollte doch glauben, ein lebender Bischof wiegt drei tote Könige auf.«

Ein Schauder ergriff die Gäste, denn die Lütticher Bürgerschaft und sogar einige der rohen Soldaten verehrten wenigstens die Könige von Köln, wie sie gewöhnlich genannt wurden, wenn sie auch sonst vor gar nichts Furcht hatten. – »Nun, ich habe auch nicht die Absicht, einen Hochverrat an den verstorbenen Majestäten zu begehen,« sprach Wilhelm, »ich will bloß Bischof werden. Ein Fürst, der zugleich weltlich und geistlich ist, der Macht hat, zu binden und zu lösen, paßt doch am besten für eine Bande von Bösewichten, wie Ihr seid; denn kein anderer würde Euch die Absolution erteilen. – Aber kommt hierher, edler Herr Bürgermeister, setzt Euch an meine Seite, Ihr sollt sehen, wie ich für meine eigene Beförderung Platz machen werde. Man führe unsern Vorgänger auf dem heiligen Stuhle hierher.« Ein Aufruhr entstand in der Halle, als Pavillon, den angebotenen Ehrenplatz ablehnend, sich fast an das untere Ende der Tafel setzte. Seine Begleiter schlossen sich dicht hinter ihn an, nicht unähnlich einer Herde von Schafen, die sich zuweilen hinter einen alten Leithammel drängt, dem sie seines Amts und seines Ansehens halber mehr Mut als sich selbst zutraut. Nahe dabei saß ein hübscher Jüngling, ein natürlicher Sohn, wie man sagte, des wilden von der Mark, gegen den er zuweilen eine große Zuneigung und selbst Zärtlichkeit blicken ließ. Die Mutter des Jungen, eine schöne Beischläferin, war von dem wilden Häuptlinge in einem Anfall von Trunkenheit oder Eifersucht durch einen Schlag, den er ihr versetzte, umgebracht worden; und eine Zuneigung zu der überlebenden Waise mochte zum Teil in den Gewissensbissen ihren Grund haben, die der Wüterich von Zeit zu Zeit über diese Untat fühlte. Quentin, der diesen Charakterzug des Häuptlings von dem alten Priester erfahren hatte, stellte sich, so nahe er konnte, hinter diesen Jüngling, entschlossen, ihn auf die eine oder die andere Weise zu seiner Geißel oder zu seinem Beschützer zu machen, wenn alle anderen Rettungsmittel fehlschlagen sollten.

Während alle in gespannter Erwartung dastanden, flüsterte einer von Pavillons Begleitern Peter zu: »Nannte nicht unser Herr das Mädchen seine Tochter? Das kann doch unmöglich unser Trudchen sein. Dies schmucke Mädchen ist gewiß zwei Zoll größer, und dort guckt auch eine schwarze Locke unter ihrem Schleier hervor. Bei St. Michael auf dem Marktplatze! Ebensogut könnte man eine schwarze Ochsenhaut für eine weiße Kuhhaut nehmen.« – »Still! still!« sprach Peter mit einiger Geistesgegenwart – »wenn nun unserm Meister die Lust ankäme, ein Stück Hochwildbret aus des Bischofs Park hier zu stehlen, ohne daß die gute Frau zu Hause etwas davon erführe, ziemte es dann Dir oder mir, den Spion bei ihm zu machen?« – »Bei Leibe nicht, Bruder,« antwortete der andere, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß er in seinen Jahren noch ein solcher Wilddieb werden würde. Sapperment! Wie furchtsam das schöne Ding da ist! Sieh mal, wie sie sich hinter den Sessel dort verkriecht, im Rücken der Leute, um den Blicken der Märker zu entgehen. – Aber halt, halt! was wollen sie denn mit dem alten Bischof machen?«

Als er so sprach, ward der Bischof von Lüttich, Ludwig von Bourbon, von den rohen Soldaten in den Saal seines eigenen Palastes geschleppt, in einem Zustande, der deutlich die schlimme Behandlung verriet, die der Unglückliche bereits erfahren hatte. Zu gutem Glücke, wie Quentin glauben mußte, stand die Gräfin Isabelle an einem Platze, wo sie weder hören noch sehen konnte, was vorging, denn sonst hätte sie sich in ihrer Entrüstung über solchen Frevel sicher verraten, und um dies zu verhindern, stellte Durward sich absichtlich so vor sie hin, daß sie weder selbst die Vorgänge beobachten, noch von den Anwesenden leicht bemerkt werden konnte.

Der Auftritt, der sich nun abspielte, war kurz und schrecklich. Als der unglückliche Prälat vor den Stuhl des wilden Häuptlings gebracht wurde, legte er, obgleich er sich in seinem früheren Leben nur durch Sanftmut und Freundlichkeit ausgezeichnet hatte, in diesem entscheidenden Augenblicke ein Bewußtsein seiner Würde und edeln Abstammung an den Tag, das des vornehmen Geschlechts, aus dem er entsprossen, vollkommen würdig war. Sein Blick verriet Fassung und Unerschrockenheit; seine Bewegungen waren, als die rohen Hände, die ihn hergeschleppt hatten, von ihm abließen, edel und zugleich voll Ergebung; und sein Benehmen hielt die Mitte zwischen der Haltung eines Lehnsfürsten und eines Märtyrers. Selbst auf Wilhelm von der Mark machte die feste Haltung seines Gefangenen, sowie die Erinnerung an frühere Wohltaten, die er von ihm empfangen hatte, einen solchen Eindruck, daß er unentschlossen die Augen niederschlug; erst nachdem er einen großen Becher Weins geleert hatte, nahm er seine hochfahrende Frechheit in Blick und Benehmen wieder an. – »Ludwig von Bourbon,« sagte der Wüterich, indem er tief Atem holte, die Fäuste ballte, die Zähne zusammenbiß und auf jede Weise seine natürliche Wildheit aufzuregen und zu behaupten suchte, – »ich suchte Eure Freundschaft, – Ihr habt die meinige verworfen. Was würdet Ihr wohl jetzt darum geben, daß es anders gewesen wäre? – Nickel, halte Dich bereit!«

Der Schlächter stand auf, ergriff seine Waffe, schlich sich hinter Wilhelms Sessel und stand nun, das Beil mit seinen nackten, nervigen Armen erhebend, da. – »Schau diesen Mann an, Ludwig von Bourbon!« sprach von der Mark wieder. »Was bietest Du mir, um dieser gefahrvollen Stunde zu entgehen?« – Der Bischof warf einen schwermütigen, aber festen Blick auf den gräßlichen Helfershelfer, der bereit schien, den Willen des Tyrannen zu vollstrecken, und sprach dann mit unerschrockenem Mute: »Höre mich, Wilhelm von der Mark, und alle ihr guten Leute, wenn deren da sind, die diesen Namen verdienen, hört die einzigen Bedingungen, die ich diesem Bösewicht anbieten kann! – Wilhelm von der Mark, Du hast eine kaiserliche Stadt zum Aufruhr verleitet, hast den Palast eines Fürsten des heiligen römischen Reiches erstürmt, hast sein Volk erschlagen, seine Besitztümer geplündert, seine Person mißhandelt; – dafür bist Du dem Bann des Reiches verfallen und hast verdient, geächtet und für land- und rechtlos erklärt zu werden. Aber Du hast noch mehr getan als alles dies. Höhere als menschliche Gesetze hast Du gebrochen, mehr als menschliche Rache hast Du verdient. Eingebrochen bist Du in das Heiligtum des Herrn, hast frevelhaft die Hand an einen Vater der Kirche gelegt, hast das Haus Gottes mit Blut und Raub befleckt, wie ein kirchenräuberischer Frevler gehandelt.« – »Bist Du zu Ende?« fragte von der Mark, voll Wut ihn unterbrechend und mit den Füßen stampfend. – »Nein,« antwortete der Prälat, »denn ich habe die Bedingungen noch nicht gesagt, die Du von mir zu hören verlangtest.« – »Nun, so fahre fort,« sagte Wilhelm von der Mark, »und mach, daß Deine Bedingungen mir besser gefallen als Deine Einleitung, sonst wehe Deinem grauen Haupte!« und damit warf er sich in den Sessel zurück, biß die Zähne übereinander, bis der Schaum von seinen Lippen, wie von den Hauern des wilden Tieres floß, dessen Namen und Haut er trug. – »Dies sind Deine Verbrechen,« fing der Bischof mit ruhiger Entschlossenheit wieder an: »nun höre die Bedingungen, die ich als gnädiger Fürst und christlicher Prälat, der alle persönliche Beleidigung und Mißhandlung beiseite setzt und vergibt, Dir anzubieten mich herablasse: Wirf seinen Kommandostab von Dir, entsage seinem Oberbefehl, gib Deine Gefangenen frei, erstatte Deinen Raub, verteile, was Du von Gütern besitzest, zum Besten derer, die Du zu Waisen und Witwen gemacht hast, tue Buße in Sack und Asche, nimm den Pilgerstab in die Hand und wallfahre nach Rom, und wir selbst wollen für Dich bei dem kaiserlichen Kammergericht zu Regensburg für Dein Leben, und bei dem heiligen Vater, dem Papst, für Deine arme Seele Fürsprache einlegen.«

Während Ludwig von Bourbon diese Bedingungen in einem so festen, entschiedenen Tone vortrug, als ob er noch auf seinem bischöflichen Throne säße, der Wüterich aber gebunden ihm zu Füßen läge, erhob sich dieser langsam auf seinem Stuhle; das Erstaunen, das ihn anfangs ergriffen hatte, ging allmählich in Wut über, und als der Bischof zu reden aufgehört hatte, warf er dem Schlächter Nickel Block einen Blick zu und erhob seinen Finger, ohne ein Wort zu sprechen. Der Bösewicht schlug zu, als ob er sein gewöhnliches Geschäft im Schlachthause verrichtete, und der ermordete Bischof sank, ohne einen Laut von sich zu geben, an dem Fuße seines eigenen bischöflichen Stuhls nieder. Die Lütticher, auf einen so schrecklichen Ausgang nicht vorbereitet, sprangen insgesamt mit einem Schrei der Verwünschung und des Abscheus auf, in dem sich Drohungen von Rache mischten.

Wilhelm von der Mark aber erhob seine furchtbare, den Tumult übertönende Stimme, schüttelte seine geballte Faust und seinen ausgestreckten Arm und rief: »Wie, ihr Schweine von Lüttich, die ihr euch wälzt im Schlamme der Maas, ihr wagt es, euch mit dem wilden Eber der Ardennen zu messen? Auf denn, Eberbrut!« (ein Ausdruck, womit er selbst und andere seine Soldaten zu nennen pflegte) »laßt diese flamändischen Schweine eure Hauer sehen!«

Auf diesen Befehl sprangen alle seine Begleiter auf, und da sie mit ihren bisherigen Bundesgenossen vermischt gesessen hatten und auf solche Ueberraschung wohlvorbereitet waren, faßte jeder im Augenblick seinen nächsten Nachbar beim Kragen, während seine Rechte einen breiten Dolch schwang, der im Lampenschein und Mondlicht schimmerte. Jeder Arm war gehoben, aber keiner stieß zu; denn die Schlachtopfer waren zu sehr überrascht, um Widerstand zu leisten, und vermutlich war von der Marks Absicht bloß, seinen städtischen Verbündeten Schrecken einzujagen.

Allein Quentin Durward, über seine Jahre schnell entschlossen, und überdies in diesem Augenblicke durch den Anblick dessen, was hier vorgekommen war, aufs höchste aufgeregt, gab der Szene eine neue Wendung. Nachahmend, was die Leute von der Marks taten, sprang er auf den jugendlichen Sohn ihres Anführers los, überwältigte ihn mit leichter Mühe, hielt ihm den Dolch an die Kehle und rief: »Ist das Euer Spiel? nun so spiele ich ebenfalls mit.« – »Halt! halt!« rief von der Mark aus, »es ist ja nur Scherz! – Glaubt Ihr denn, ich wollte meinen guten Freunden und Verbündeten, den Bürgern von Lüttich, etwas zuleide tun? – Soldaten, laßt los; setzt euch! Schafft dieses Aas hinweg,« (dabei gab er dem Leichnam des Bischofs einen Tritt mit dem Fuße), »das solchen Streit unter Freunden veranlaßt hat, und laßt uns alle Unfreundlichkeit in einem neuen Gelage ersäufen.« Alle ließen los, und die Bürger und Soldaten sahen einander an, als ob sie nicht recht wüßten, ob sie Freunde oder Feinde wären. Quentin Durward benützte diesen Augenblick.

»Hört mich, Wilhelm von der Mark,« sprach er, »und ihr, Bürger und Einwohner von Lüttich! – und Ihr, junger Herr, verhaltet Euch ruhig,« (der junge Eberssohn hatte einen Versuch gemacht, seinen Händen zu entschlüpfen)! »Euch soll kein Leid geschehen, wofern nicht wieder einer von diesen gefährlichen Scherzen aufgetischt wird.« – »Wer bist Du, ins Teufels Namen?« fragte von der Mark erstaunt, »der Du hierher kommst, uns Bedingungen vorzuschreiben, und von uns in unserem eigenen Wildlager Geißeln nimmst?« – »Ich bin ein Diener König Ludwigs von Frankreich,« sprach Quentin mit Kühnheit, »ein Bogenschütze aus seiner schottischen Leibwache, wie Ihr aus meiner Sprache und meiner Kleidung ersehen könnt. Ich bin hier, um Euer Verfahren zu beobachten und darüber zu berichten, und sehe mit Verwunderung, daß es eher Heiden als Christen, eher Tollhäuslern als Menschen, die ihrer Vernunft mächtig sind, gleicht. Die Heere Karls von Burgund werden sogleich gegen Euch in Bewegung sein, und wenn Ihr Frankreichs Beistand wünscht, so müßt Ihr Euch anders benehmen. – Euch aber, ihr Männer von Lüttich, rate ich, sogleich in eure Stadt zurückzukehren, und wollte jemand eurem Abzug ein Hindernis in den Weg legen, so erkläre ich diejenigen, die dieses tun, für Feinde meines Herrn, des allerchristlichsten Königs von Frankreich.« – »Frankreich und Lüttich! Frankreich und Lüttich!« riefen Pavillons Begleiter und mehrere andere Bürger, deren Mut bei Quentins kühner Sprache zu wachsen begann. »Frankreich und Lüttich! lange lebe der tapfere Bogenschütze! wir wollen leben und sterben mit ihm!«

Die Augen Wilhelms von der Mark funkelten. Er griff nach seinem Dolch, um ihn dem kühnen Sprecher ins Herz zu stoßen; als er aber seine Blicke umherwarf, las er in denen seiner Soldaten etwas, was er selbst zu achten genötigt war. Manche von ihnen waren Franzosen, und alle wußten, daß Wilhelm aus diesem Reiche insgeheim an Geld und Leuten Unterstützung erhielt; ja einige von ihnen waren über den soeben verübten Mord aufs äußerste entsetzt. Der Name Karl von Burgund, von dem man erwarten konnte, daß er die Taten dieser Nacht aufs blutigste rächen würde, und die große Unklugheit von der Marks, zu gleicher Zeit mit den Lüttichern Händel anzufangen und den Monarchen von Frankreich herauszufordern, machten einen höchst niederschlagenden Eindruck auf ihre Gemüter, so wenig sie auch im Augenblicke des Gebrauchs ihrer Verstandskräfte mächtig waren. Kurz, von der Mark sah, daß er auch von seiner eigenen Bande bei weiterer Gewalttätigkeit nicht unterstützt werden würde; er mäßigte sich daher und erklärte, daß er nicht im geringsten Schlimmes gegen seine guten Freunde, die Lütticher, im Schilde führe, und daß es allen frei stehe, Schönwald nach Belieben zu verlassen, obgleich er gehofft hätte, sie würden zu Ehren ihres Sieges wenigstens eine Nacht mit ihm verschmausen. Mit mehr als gewöhnlicher Ruhe setzte er hinzu: er sei bereit, entweder am nächsten Tage, oder sobald sie es wünschten, wegen der Teilung der Beute und der zu ergreifenden Verteidigungsmaßregeln sich mit ihnen zu verständigen; indessen hoffe er, der schottische Herr werde sein Fest dadurch ehren, daß er die Nacht über noch in Schönwald bleibe.

Der junge Schotte dankte und sagte: er habe sich nach Pavillon zu richten, an den er, seiner Weisung gemäß, sich hauptsächlich anschließen müsse; unfehlbar aber werde er diesen bei der Rückkehr in das Hauptquartier des tapferen Wilhelm von der Mark begleiten. – »Wenn Ihr Euch nach mir zu richten habt,« versetzte Pavillon hastig, »so werdet Ihr Schönwald wahrscheinlich ohne Verzug verlassen, und wenn Ihr nur in meiner Gesellschaft wieder nach Schönwald kommen wollt, so werdet Ihr es sobald nicht mehr sehen.« Den letzten Teil seiner Rede sprach der ehrliche Bürger still vor sich hin, aus Furcht vor den Folgen, wenn er seine Gesinnungen laut werden ließe, die er jedoch nicht ganz zu unterdrücken imstande war.

»Schließt euch dicht an mich an, meine wackern Kürschnergesellen,« sagte er zu seiner Leibgarde, »damit wir so schnell wie möglich aus dieser Diebeshöhle entkommen.«

Die meisten Lütticher der besseren Klasse schienen gleicher Meinung mit ihrem Syndikus zu sein und hatten sich nicht so sehr über die Einnahme von Schönwald gefreut, als sie über die Aussicht frohlockten, dasselbe wieder mit heiler Haut zu verlassen. Sie zogen aus dem Schloß, ohne daß man ihnen irgend ein Hindernis in den Weg legte, und Quentin war herzlich froh, als er diese furchtbaren Mauern hinter sich hatte. Jetzt fragte er die junge Gräfin zum erstenmal, seitdem sie diese schreckliche Halle betreten hatten, wie sie sich befinde. – »Recht wohl,« antwortete sie in fieberischer Hast. »Verliert keine Zeit mit Fragen! Laßt uns fliehen, laßt uns fliehen!« Während sie sprach, versuchte sie ihre Schritte zu beschleunigen; aber es gelang ihr so wenig, daß sie vor Erschöpfung zu Boden gesunken wäre, hätte nicht Durward sie gehalten. Mit der Zärtlichkeit einer Mutter, die ihr Kind einer Gefahr entreißt, nahm der junge Schotte die kostbare Bürde auf seine Arme, und indes sie seinen Nacken mit einem der ihrigen umschlang, keinem andern Gedanken Raum gebend, als dem Verlangen nach Rettung – da sagte er sich, daß er um keinen Preis die im Laufe dieser Nacht bestandenen Gefahren missen möchte, da sie ein solches Ende nahmen.

Der ehrliche Bürgermeister wurde seinerseits von seinem treuen Ratgeber Peterkin und einem seiner Gesellen unterstützt und vorwärts gezogen; und so gelangten sie in atemloser Hast an das Ufer des Flusses, indem sie manchem Haufen von Bürgern begegneten, die begierig waren, den Ausgang der Belagerung zu erfahren, und ob das Gerücht begründet sei, daß die Sieger unter sich selbst uneinig geworden seien. Sie suchten ihnen, so gut sie konnten, auszuweichen, und den Bemühungen Peters und anderer Begleiter gelang es endlich, ein Boot für die Gesellschaft aufzutreiben, das sie zum Garten des Bürgermeisters trug. Als sie dort landeten, verwandelte sich der mißvergnügte, verdüsterte Demagoge von Bürgermeister im Nu in einen wackern, gütigen, freundlichen und gastfreien Wirt um. Er rief laut nach seinem Trudchen, die auch sogleich erschien; denn Furcht und Angst ließen nur wenige während dieser verhängnisvollen Nacht in Lüttichs Mauern eines ruhigen Schlafes genießen. Trudchen erhielt den Auftrag, für die schöne, halb ohnmächtige Fremde aufs beste Sorge zu tragen, und entledigte sich der jungen Dame gegenüber aller Pflichten edler Gastfreundschaft mit dem Eifer und der Liebe einer Schwester.

Fünftes Kapitel

Trotz der Mischung von Freude und Furcht, von Zweifel und Angst, und andern sein Gemüt bewegenden Leidenschaften, waren doch die erschöpfenden Anstrengungen des verflossenen Tages mächtig genug, den jungen Schotten in einen tiefen Schlaf zu versenken, aus dem er erst am andern Morgen erwachte, als sein würdiger Wirt in sein Schlafgemach trat.

Mit besorgten Blicken setzte sich derselbe neben seinen Gast auf das Bett und begann nun eine lange und verworrene Rede über die Pflichten des ehelichen Lebens, besonders aber über das Uebergewicht und den Vorrang, welchen verheiratete Männer überall behaupten müßten, wenn sie verschiedener Meinung mit ihren Weibern wären. Quentin hörte ihm mit einiger Aengstlichkeit zu. Er wußte, daß Ehemänner gleich andern kriegführenden Mächten zuweilen geneigt sind, mehr zur Verheimlichung einer Niederlage, als zur Feier eines Sieges ein Te Deum zu singen, und eilte daher, der Sache näher auf den Grund zu kommen, indem er äußerte, er wolle nicht annehmen, daß ihre Ankunft der guten Hausfrau irgend eine Unbequemlichkeit verursacht habe.

»Unbequemlichkeit? – Nein,« antwortete der Bürgermeister, – »keine Hausfrau kann von einer Ueberraschung so wenig getroffen werden wie eine Madame Mabel. Sie freut sich nur, Freunde bei sich zu sehen, hält immer ein hübsches Zimmer und ein gutes Mahl für sie bereit. An Tisch und Betten fehlt's, Gott sei Dank, nicht; keine Frau in der Welt ist so gastfrei – schade nur, daß sie manchmal ihre besonderen Launen hat.« – »Unser Aufenthalt hier ist ihr unangenehm, nicht wahr?« sagte der Schotte, sprang aus dem Bette und begann sich umzukleiden. »Wäre ich nur sicher, daß Gräfin Isabelle nach den Schrecken der vorigen Nacht reisen könnte, so wollten wir Euch gewiß keinen Augenblick länger beschwerlich fallen.« – »Nun,« sagte Pavillon, »gerade dasselbe hat die junge Dame selbst zur Mutter Mabel gesagt, und Ihr hättet nur sehen sollen, welche Röte ihr Gesicht überflog, als sie das sagte; ein Milchmädchen, das seine fünf Meilen gegen den Nordwind zu Markte gegangen ist, sieht wie eine Lilie dagegen aus. Ich wundere mich nicht, wenn Mutter Mabel, die arme, gute Seele, ein bißchen eifersüchtig ist.« – »Hat denn Fräulein Isabelle schon ihr Gemach verlassen?« fragte der Jüngling, indem er seinen Anzug noch eiliger zu vollenden suchte. – »Ja,« erwiderte Pavillon, »und sie erwartet Eure Ankunft mit vieler Ungeduld, um sich über die Weiterreise klar zu werden, da Ihr nun einmal entschlossen dazu seid, weiter zu reisen. Indessen werdet Ihr hoffentlich zuvor ein Frühstück einnehmen.« – »Aber warum sagtet Ihr mir das nicht früher?« fragte Durward ungeduldig. – »Gemach,« sagte der Syndikus, »ich habe es Euch nur zu früh gesagt, glaub' ich, da es Euch in solche Eile versetzt. Jetzt hätte ich aber noch andere Dinge für Euer Ohr, wenn ich wüßte, daß Ihr Geduld genug hättet, mir zuzuhören.« – »Sprecht, werter Herr, sobald und schnell, als Ihr nur könnt, – ich höre aufmerksam zu.« – »Wohlan denn,« fing der Bürgermeister wieder an, »ich habe Euch nur ein Wort zu sagen, und das ist, daß Trudchen, die sich so ungern von jener Dame trennt, als ob sie ihre Schwester wäre, darauf besteht, daß Ihr irgend eine Verkleidung wählt; denn es geht die Sage in der Stadt, die Gräfinnen von Croye durchzögen das Land in Pilgerkleidern, von einem schottischen Bogenschützen aus der französischen Leibwache begleitet. Man sagt sich ferner, daß eine von ihnen in der vergangenen Nacht von einem Zigeuner nach Schönwald gebracht worden sei, nachdem wir es verlassen hätten, und der Zigeuner habe Wilhelm von der Mark versichert, Ihr wäret mit keinem Auftrag weder an ihn, noch an das Volk von Lüttich versehen; Ihr hättet die junge Gräfin entführt und reistet jetzt als Liebhaber mit ihr. Alle diese Neuigkeiten sind heute morgen von Schönwald gekommen und uns und den andern Ratsherren mitgeteilt worden, die nun nicht wissen, was sie tun sollen; denn obgleich nach unserer Meinung Wilhelm von der Mark mit dem Bischof sowohl, als mit uns selbst ein wenig zu hart umgegangen ist, so glaubt man doch allgemein, daß er im Grunde ein gutes Herz hat, das heißt, wenn er nicht betrunken ist, und daß er allein in der Welt der Mann dazu ist, uns gegen den Herzog von Burgund anzuführen; – und in der Tat, so wie die Sachen stehen, ist es zum Teil auch meine Ansicht, daß wir es nicht mit ihm verderben dürfen; denn wir sind schon zu weit gegangen, um zurück zu können.«

»Eurer Tochter Rat ist gut,« sagte Quentin Durward, indem er sich aller Vorwürfe oder Ermahnungen enthielt, die, wie er wohl sah, ganz fruchtlos sein würden, um einen Entschluß zu erschüttern, den die würdige Magistratsperson sowohl aus Nachgiebigkeit gegen seine Partei, als auch in Übereinstimmung mit dem Willen seiner Frau gefaßt zu haben schien. – »Eure Tochter hat recht – wir müssen fort, verkleidet, und zwar augenblicklich. Wir werden hoffentlich auf die nötige Verschwiegenheit von Eurer Seite und auf gehörige Mittel zur Flucht uns verlassen dürfen?« – »Vollkommen, vollkommen,« sprach der ehrliche Bürger, der, mit der Würde seines eigenen Benehmens nicht sehr zufrieden, mit Freuden irgend eine Aussicht ergriff, dasselbe wieder gut zu machen. »Ich kann es nicht vergessen, daß ich Euch in der letzten Nacht mein Leben zu verdanken hatte, da Ihr den verdammten Stahlharnisch aufschnalltet und mir aus der andern Patsche halfet, die noch ärger war; denn jener Eber und seine Brut sehen ja mehr wie Teufel, als wie Menschen aus. Darum will ich so treu bei Euch halten wie die Klinge bei dem Hefte, wie unsere Schwertfeger – die besten von der Welt – zu sagen pflegen. So kommt nun, da Ihr fertig seid, und folget mir. Ihr sollt sehen, wie groß mein Vertrauen zu Euch ist.«

Der Syndikus führte ihn aus seiner Schlafkammer auf sein Kontor, wo er seine Geldgeschäfte zu machen pflegte. Nachdem er die Tür verschlossen und sich vorsichtig umgesehen hatte, öffnete er einen verborgenen Verschlag hinter dem Tapetenbehang, in dem mehrere eiserne Kisten standen. Er schloß eine derselben auf, die voller Goldstücke war, und sagte zu Quentin, er solle daraus nehmen, soviel er für sich und seine Gefährtin nötig zu haben glaube. Da das Geld, das Quentin bei seiner Abreise von Plessis erhalten hatte, beinahe ausgegeben war, bedachte er sich nicht lange, die Summe von zweihundert Gulden anzunehmen, worüber Herr Pavillon sehr froh war; denn dieser betrachtete das Anlehen, das er auf solche Weise seinem jungen Freunde aufzwang, als einen Ersatz für den Bruch der Gastfreundschaft, zu dem ihn mehrere Rücksichten gewissermaßen genötigt hatten.

Nachdem der reiche Flamänder seine Schatzkammer wieder sorgfältig verschlossen hatte, führte er seinen Gast in das Wohnzimmer, wo er die Gräfin im vollen Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, obgleich etwas blaß, und in dem Anzuge eines flamändischen Mädchens vom Mittelstande fand. Niemand war zugegen als Trudchen, die eifrig damit beschäftigt war, den Anzug der Gräfin zu ordnen und sie zu unterrichten, wie sie sich zu benehmen habe.

Isabelle reichte ihm ihre Hand, und als er sie ehrerbietig küßte, sagte sie: »Herr Quentin, wir müssen unsere Freunde verlassen, wenn ich nicht einen Teil des Elends, das mich seit meines Vaters Tod verfolgt hat, auch über sie bringen will; Ihr müßt Eure Kleider wechseln und mich begleiten, wenn anders nicht auch Ihr müde seid, Euch eines so unglücklichen Wesens anzunehmen.« – »Ich? – ich sollte müde sein, Euch zu begleiten? – Bis ans Ende der Welt begleit' ich Euch! aber Ihr, Ihr selbst, werdet Ihr dem Unternehmen, das Ihr vorhabt, gewachsen sein? – Könnt Ihr nach den Schrecknissen der vergangenen Nacht – –« »Ruft sie mir nicht ins Gedächtnis zurück,« fiel die Gräfin ein, »sie schweben mir noch vor, wie die Bilder eines verworrenen, schrecklichen Traums! – Ist der gute Bischof entkommen?« – »Er ist hoffentlich in Freiheit,« versetzte Quentin, indem er Pavillon, der im Begriff zu sein schien, in die Einzelheiten des schrecklichen Vorganges einzugehen, zu schweigen winkte. – »Wird es uns möglich sein, zu ihm zu gelangen? Hat er irgend eine Macht beisammen?« fragte die Gräfin. – »Für ihn gibt's keine Hoffnung, als im Himmel,« sagte der Schotte, »aber wohin Ihr auch zu gehen wünscht, ich stehe Euch als ein entschlossener Führer und Beschützer zur Seite.« – »Wir wollen es überlegen,« sagte Isabelle; und nach einer augenblicklichen Pause setzte sie hinzu: »Hätte ich zu wählen, ich ginge am liebsten in ein Kloster, aber auch dies, fürchte ich, würde mir gegen meine Verfolger nur einen schwachen Schutz gewähren.« – »Hm! hm!« sagte der Syndikus, »ich könnte Euch in dem ganzen Bezirk von Lüttich nicht wohl ein Kloster empfehlen, weil der Eber der Ardennen, wenngleich im allgemeinen ein tapferer Anführer, ein treuer Bundesgenosse und ein Mann, der unserer Stadt wohlwill, dessenungeachtet rauhe Sitten und nur wenig Achtung vor Mönchs- und vor Nonnenklöstern und dergleichen hat. Man sagt, es zögen eine Menge Nonnen, das heißt, solche Frauenzimmer, die Nonnen waren, mit seiner Kompagnie.« – »Macht Euch schnell fertig, Herr Durward,« unterbrach ihn Isabelle, »denn Eurer Treue muß ich mich nun ganz vertrauen.«

Sobald ihre Gäste fort waren, ergriff auch Mutter Mabel die Gelegenheit, ihrem Trudchen eine lange Predigt über die Torheiten des Romanlesens zu halten, wodurch die Dämchen am Hofe so kühn und unternehmend würden, daß sie, anstatt daheim die ehrbaren Künste einer Hausfrau zu lernen, lieber als irrende Jüngferchen durch die Welt ritten, ohne einen andern Begleiter, als einen müßigen Schildknappen, einen ausschweifenden Pagen oder einen tollkühnen Bogenschützen aus fremden Landen, zum größten Nachteil ihrer Gesundheit, ihres Vermögens und ihres guten Rufes. Alles dies hörte Gertrud stillschweigend an, ohne das mindeste darauf zu erwidern; doch läßt sich, wenn man ihren Charakter erwägt, bezweifeln, ob sie daraus den praktischen Nutzen zog, den sich ihre Mutter davon versprach.

Mittlerweile hatte Quentin in der Tracht eines flamändischen Bauern mit der ähnlich verkleideten Gräfin das östliche Stadttor erreicht, nachdem sie durch mehrere Haufen Volks geritten waren, die glücklicherweise mit den politischen Ereignissen und den Tagesneuigkeiten zu sehr beschäftigt waren, als daß sie einem Paare, das in seinem Aeußern so wenig Auffallendes hatte, ihre Aufmerksamkeit geschenkt hätten. So kamen sie auch, vermöge einer durch Pavillon besorgten, aber im Namen seines Kollegen Rouslaer ausgewirkten Erlaubnis bei den Wachen vorüber, und nahmen da von Peter Geislaer einen kurzen, aber freundlichen Abschied. Gleich darauf gesellte sich ein kräftiger junger Mann zu ihnen, der einen hübschen Grauschimmel ritt und sich sogleich als Hans Glover, Trudchens Liebhaber, zu erkennen gab. Es war ein schmucker Bursche, mit einem gutmütigen flamändischen Gesichte, aus welchem nicht großer Verstand, wohl aber Frohsinn und Gutherzigkeit sprachen. Nachdem er die Gräfin ehrerbietig begrüßt hatte, fragte er in flamändischer Sprache, welchen Weg sie geführt zu werden wünsche?

»Zur nächsten Stadt an der Grenze von Brabant.« – »Ihr habt Euch also über Ziel und Zweck Eurer Reise entschieden?« fragte Quentin, indem er zu Isabellen hinritt, in französischer Sprache, die ihr Wegweiser nicht verstand. – »Allerdings,« erwiderte die junge Dame, »in der Lage, in welcher ich mich befinde, würde es mir nachteilig sein, wenn ich meine Reise verlängerte, und sollte auch das Ende derselben strenge Gefangenschaft sein.« – »Gefangenschaft?« fragte Quentin. – »Ja, mein Freund, Gefangenschaft; aber ich will Sorge tragen, daß Ihr sie nicht teilen müßt.« – »Sprecht nicht von mir, denkt nicht an mich,« rief Quentin; »weiß ich nur Euch gerettet, so ist an mir wenig gelegen.« – »Sprecht nicht so laut,« sagte Gräfin Isabelle; »Ihr möchtet unsern Führer in Verlegenheit bringen. Ihr seht, er ist bereits etwas vorausgeritten.« – In der Tat hatte der gutmütige Flamänder sie der lästigen Gegenwart eines Dritten überhoben, sobald Quentin sich der Dame näherte.

»Ja,« fuhr sie fort, als sie sich unbeobachtet sah, »Euch, meinem Beschützer – denn warum sollte ich mich schämen, Euch so zu nennen, da der Himmel Euch dazu gemacht hat – muß ich sagen, daß mein Entschluß gefaßt ist, nach meinem Vaterlande zurückzukehren und mich der Gnade des Herzogs von Burgund anheimzugeben. Es war ein schlimmer, wenn auch vielleicht gut gemeinter Rat, der mich verleitete, mich seines Schutzes zu begeben.« – »Ihr seid also entschlossen, die Braut des Grafen von Campobasso zu werden?«

»Nein! Durward, nein!« sagte die Gräfin Isabelle, indem sie sich in ihrem Sattel aufrichtete, »zu einem so verhaßten Schritte vermag alle Macht Burgunds nicht eine Tochter des Hauses Croye zu erniedrigen. Burgund kann meine Lande und Lehen in Besitz nehmen und mich in ein Kloster sperren, aber das ist das schlimmste, was ich zu erwarten habe, und Schlimmeres noch wollte ich erdulden, als meine Hand an Campobasso geben.« – »Das schlimmste!« rief Quentin aus, »und was kann es Schlimmeres geben als Plünderung und Gefangenschaft? O, bedenkt, solange Ihr noch Gottes freie Luft um Euch fühlt und einen Mann zur Seite habt, der sein Leben daran setzen wird, Euch nach England, nach Deutschland, selbst nach Schottland zu geleiten, wo Ihr überall großmütige Beschützer finden werdet; – o, solange dies der Fall ist, entschließt Euch nicht zu voreilig, auf die Mittel Eurer Freiheit, der schönsten Himmelsgabe, zu verzichten!« – Nach einer kurzen Pause erwiderte sie mit schwermütigem Lächeln: »Nur dem Manne ist Freiheit beschieden, das Weib muß sich immer einen Beschützer suchen, da die Natur sie einmal unfähig gemacht hat, sich selbst zu verteidigen. Und wo finde ich einen? – in dem Wollüstling Eduard von England oder in dem trunkliebenden Wenzeslaus von Deutschland? – in Schottland? – ach, Durward, wäre ich Eure Schwester, und könntet Ihr mir einen Zufluchtsort in einem jener Gebirgstäler versprechen, die Ihr so gern beschreibt; könntet Ihr mir den Schutz einer ehrsamen, geachteten Matrone des Landes, eines Edeln, dessen Herz so treu wie sein Schwert wäre, zusichern, ja dann wäre eine Aussicht vorhanden, für die es sich lohnte, sich der Gefahr eines bösen Leumundes auszusetzen.«

Es lag in dem bebenden Tone, womit Gräfin Isabelle dies sprach, eine Zärtlichkeit, die Quentin mit Freude erfüllte und ihm zugleich das Herz zerschnitt. Er zögerte einen Augenblick, ehe er eine Antwort gab, indem er bei sich bedachte, ob es wohl möglich sei, ihm in Schottland einen Zufluchtsort zu verschaffen; allein die traurige Wahrheit, daß es unedel und grausam sein würde, wenn er ihr ein Ziel zeigte, wo er auch nicht entfernt die Mittel hätte, ihr einen ruhigen Aufenthaltsort zu sichern, drang sich ihm ebenso bald in all ihrer Stärke auf. – »Fräulein,« sagte er endlich, »ich würde gegen Ehre und Rittereid handeln, wenn ich Euch sagen wollte, ich besäße in Schottland Macht genug, Euch einen andern Schutz zu gewähren, als den meines Armes, ich weiß kaum, ob mein Blut noch in den Adern eines andern außer mir in meinem Heimatlande fließt.«

»Ach!« rief die Gräfin, »so gibt es keinen Winkel auf der Erde, der frei von Unterdrückung wäre?« – »Es ist eine traurige Wahrheit, die ich nicht zu bestreiten wage,« versetzte der Schotte, »daß unsere feindlichen Clans dieselbe Rolle in Schottland spielen, wie von der Mark und seine Räuber in diesem Lande.« – »Nichts mehr von Schottland dann,« sagte Isabelle, »ich erwähnte es ja auch nur im Scherze, um zu sehen, ob Ihr mir wirklich das zerrüttetste Land Europas als Ruheort anempfehlen würdet. Ich freue mich, daß ich mich auf Euch verlassen kann, auch da, wo die Vorliebe für Euer Heimatland mit im Spiele ist; so will ich denn an keinen andern Schutz denken, als an den des Herzogs von Burgund.« – »Aber warum wollt Ihr Euch nicht lieber in Eure eignen Lande und auf Euer festes Schloß begeben, wie es zu Tours Eure Absicht war?« fragte Quentin; »warum versammelt Ihr nicht die Vasallen Eures Vaters um Euch und schließt nicht lieber einen Vertrag mit Burgund, anstatt Euch sogleich ihm zu ergeben?« – »Ach!« versetzte die Gräfin, »dieser Plan, den der hinterlistige Ludwig an die Hand gab, und der, wie alle, die er je ersonnen hat, nur auf seinen Vorteil berechnet war, ist unausführbar geworden, seitdem er durch den doppelten Verräter Zamet Hayraddin an Burgund verraten worden ist. Mein Verwandter wurde ins Gefängnis gesetzt und eine Besatzung in meine Schlösser gelegt; ein Versuch von meiner Seite hieße meine Vasallen der Rache Herzog Karls preisgeben. Nein, ich will mich meinem Lehnsherrn als getreue Vasallin in allen Dingen unterwerfen, die meine persönliche Wahlfreiheit unangetastet lassen, und das umsomehr, da ich glaube, daß meine Verwandte, die Gräfin Hameline, die meine Flucht zuerst anriet und betrieb, bereits diesen weisen und ehrenvollen Schritt getan hat.« – »Eure Verwandte?« wiederholte Quentin, an Dinge denkend, von denen die junge Gräfin nichts wußte und die durch die Ereignisse, die ihn näher angingen, aus seinem Gedächtnisse verdrängt worden waren. – »Ja, meine Muhme, die Gräfin Hameline von Croye,« versetzte Gräfin Isabelle, »wißt Ihr etwas von ihr? Ich hoffe, sie befindet sich unter dem Schutze des burgundischen Banners. Ihr schweigt – wißt Ihr etwas von ihr?«

Die letzte Frage wurde mit so ängstlicher Besorgnis gestellt, daß Quentin ihr wohl oder übel berichten mußte, was ihm von den Schicksalen der Gräfin bekannt war: auf ihre Flucht von Lüttich die Entdeckung, als er mit ihr den Wald erreicht hatte, daß sich Gräfin Isabelle nicht bei ihr befinde; wie er ins Schloß zurückgekehrt sei und unter welchen Umständen er sie gefunden habe. Doch verschwieg er die unverkennbare Absicht, womit Gräfin Hameline das Schloß Schönwald verlassen habe, sowie auch das Gerücht, daß sie in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei. Sie ritt lange still neben ihm her, dann sagte sie kalt und verdrossen: »So habt Ihr meine unglückliche Muhme in einem öden Walde verlassen, wenn nicht der Willkür eines schändlichen Zigeuners und eines verräterischen Dienstboten preisgegeben? Arme Muhme! und Du sprachst immer nur Gutes von diesem Jüngling und seiner Treue!«

»Hätte ich nicht so gehandelt, Fräulein,« entgegnete Quentin, mit Recht beleidigt, daß man seine Ritterlichkeit so falsch deuten konnte, »was wäre dann das Schicksal derjenigen gewesen, zu deren Dienst ich weit mehr verpflichtet war? Hätte ich Gräfin Hameline v. Croye nicht der Fürsorge und Obhut derjenigen überlassen, welche sie sich selbst zu ihren Leitern und Ratgebern erwählte, so würde Gräfin Isabelle wahrscheinlich die Braut Wilhelms von der Mark, des wilden Ebers der Ardennen, sein.« – »Ihr habt recht,« versetzte Isabelle in ihrem gewöhnlichen Tone; »und ich habe mich schwarzen Undanks gegen Euch schuldig gemacht. Aber ach! meine unglückliche Muhme! und die elende Marthon, die ihr volles Vertrauen besaß, und es so wenig verdiente! wie wird ihr es gehen? was wird ihr Schicksal sein?«

Um Isabellens Gedanken von diesem traurigen Gegenstande abzulenken, erzählte ihr Quentin offen die ganze Verräterei Maugrabins, die er in dem Nachtquartier bei Namur entdeckt hatte und die auf sein Abkommen zwischen dem Könige und Wilhelm von der Mark schließen ließ. Isabelle schauderte vor Schrecken; bald aber erholte sie sich und sagte: »Ich bin beschämt und habe mich an den Heiligen versündigt, daß ich nur einen Augenblick an ihrem Schutze zweifeln und glauben konnte, ein so grausamer, unaussprechlich niederträchtiger und schändlicher Plan könnte gelingen, solange noch das Auge des Himmels erbarmungsvoll auf das menschliche Elend herniederschaut. Nun sehe ich deutlich ein, warum diese heuchlerische Marthon den Samen kleiner Mißverständnisse zwischen meiner armen Muhme und mir zu nähren suchte; warum sie immer diejenige von uns beiden, die gerade anwesend war, mit Schmeicheleien überhäufte und alles vorbrachte, was sie gegen die andere einnehmen konnte. Nie hätte ich mir aber träumen lassen, daß sie soweit gehen könnte, meine sonst so liebevolle Muhme zu bereden, mich allein in Schönwald zurückzulassen, als sie selbst zu entkommen suchte.« – »Sagte Euch denn Eure Muhme Hameline nichts von ihrer beabsichtigten Flucht?« fragte Quentin. – »Nein,« erwiderte die Gräfin, »sie spielte bloß auf eine Mitteilung an, die Marthon mir machen würde. Meiner armen Muhme war durch die geheimnisvollen Reden des elenden Hahraddin, mit dem sie an diesem Tage eine lange und geheime Unterredung gehabt hatte, der Kopf dergestalt verdreht, daß – kurz – daß ich in dieser Stimmung nicht weiter in sie dringen mochte, mir eine nähere Erklärung zu geben. Aber es war grausam von ihr, daß sie mich zurückließ.« – »Ich muß Gräfin Hameline gegen solche Lieblosigkeit in Schutz nehmen,« entgegnete Quentin; »denn die Unruhe des Augenblicks und die Dunkelheit der Nacht waren so groß, daß ich glaubte, Gräfin Hameline war ebenso sicher davon überzeugt, daß ihre Nichte sie begleite, als ich zu derselben Zeit, getäuscht durch Marthons Anzug und Benehmen, voraussetzte, daß ich mich in Gesellschaft beider Damen von Croye befände; – und besonders derjenigen,« setzte er mit leiser, aber entschiedener Stimme hinzu, »ohne welche alle Schätze der Welt mich nicht vermocht hätten, Schönwald zu verlassen.«

Isabelle senkte den Kopf und schien die Worte des jungen Schotten kaum zu hören. Allein sie wandte ihr Auge wieder ihm zu, als er von der Politik Ludwigs zu sprechen begann; und es wurde ihnen durch gegenseitige Mitteilung nicht schwer, herauszubringen, daß die Zigeunerbrüder nebst der mitschuldigen Marthon die Werkzeuge jenes hinterlistigen Fürsten gewesen waren, wenngleich Zamet, der ältere Bruder, mit der seinem Stamme eigenen Treulosigkeit versucht hatte, eine doppelte Rolle zu spielen, und dafür denn auch gehörig bestraft worden war. Unterdessen setzten die Reisenden ihren Weg mehrere Stunden fort und hielten nur an, um ihre Pferde in einem abgelegenen Dorfe oder Weiher füttern zu lassen, wohin sie von Hans Glover geführt wurden, der sich in jeder Hinsicht als ein Mann von Verstand und Bescheidenheit erwies. Die künstliche Scheidewand, die die beiden Liebenden (denn so dürfen wir sie jetzt nennen) voneinander trennte, schien durch die besonderen Umstände, in denen sie sich befanden, gänzlich beseitigt zu sein; denn wenn auch die Gräfin sich eines höheren Ranges rühmen konnte und durch ihre Geburt auf ein ungleich größeres Vermögen Anspruch hatte als der Jüngling, dessen Einkommen bloß auf seinem Schwerte beruhte, so war sie doch im gegenwärtigen Augenblicke ebenso arm als er, und verdankte Sicherheit, Ehre und Leben einzig nur seiner Geistesgegenwart, Tapferkeit und Ergebenheit. Sie sprachen nicht von Liebe, aber an Liebe nicht zu denken, war auf beiden Seiten unmöglich, und so standen sie in einem Verhältnisse zueinander, wo Empfindungen mehr angedeutet als ausgesprochen werden, und wo die Freiheit, die solches Verhältnis gestattet, und die Ungewißheit, wovon es begleitet ist, oft die entzückendsten Stunden menschlichen Daseins herbeiführen; ebenso oft folgen ihnen auch Stunden, die durch getäuschte Erwartungen, Unbeständigkeit und alle Qualen verstörter Hoffnungen und unerwiderter Zuneigung getrübt werden.

Es war um zwei Uhr nachmittags, als die Reisenden durch ihren Führer, der mit bleichem Gesichte voll Entsetzen auf sie zueilte, mit der Nachricht aufgeschreckt wurden, daß sie von einer Abteilung von Wilhelm von der Marks schwarzen Reitern verfolgt würden. Diese Soldaten oder vielmehr Banditen waren in Niederdeutschlands Kreisen geworben und glichen in allen Stücken den Landsknechten. Um ihren Feinden desto größeren Schrecken einzujagen, ritten sie gewöhnlich auf schwarzen Streitrossen und trugen schwarze Waffen und Rüstungen.

Quentin blickte zurück und sah auf der langen ebenen Straße, auf welcher sie dahingeritten kamen, eine dichte Staubwolke sich nahen; ein Paar Reiter sprengten mit rasender Eile voran. »Teuerste Isabelle,« sagte Quentin, »ich habe keine Waffen als mein Schwert; kann ich aber nicht für Euch fechten, so will ich mit Euch entfliehen. Können wir nur das Gehölz, das vor uns liegt, erreichen, bevor sie uns nahe kommen, so finden wir leicht Mittel, ihnen zu entgehen!« – »So sei es, mein einzig mir gebliebener Freund,« sagte Isabelle, ihr Pferd in Galopp setzend; »und Du, braver Bursche,« setzte sie, an Hans Glover sich wendend, hinzu, »schlage einen andern Weg ein, damit Du nicht Gefahr und Unglück mit uns teilen mußt.« – Der ehrliche Flamänder antwortete kopfschüttelnd auf ihre großmütige Aufforderung: »Nein, nein! das geht nicht!« – Alle drei eilten nun so schnell, als es ihre ermüdeten Pferde vermochten, dem schützenden Walde zu, verfolgt von den schwarzen Reitern, die, als sie die Absicht der andern erkannten, um so schneller ritten. Ungeachtet der Ermüdung der Pferde hatten jedoch die Flüchtlinge, da sie unbewaffnet waren und folglich leichter ritten, einen beträchtlichen Vorsprung vor ihren Verfolgern, und waren nur noch eine Viertelmeile von dem Walde entfernt, als ein Trupp Bewaffneter unter dem Banner eines Ritters aus dem Walde hervorbrach und ihnen den Weg zur Flucht abzuschneiden schien. »Sie haben eine glänzende Rüstung,« sprach Isabelle; »es müssen Burgunder sein. Mögen sie aber sein, wer sie wollen, lieber ergeben wir uns ihnen als den schändlichen Bösewichtern, die uns verfolgen.« – Einen Augenblick nachher rief sie, nachdem sie das Banner näher betrachtet hatte, aus: »Ich erkenne das gespaltene Herz darauf! Es ist der Wappenschild des Grafen Crevecoeur, eines edeln Burgunders – ihm will ich mich ergeben.«

Quentin Durward seufzte; aber welche andere Wahl blieb übrig? Bald erreichten sie Crevecoeurs Fähnlein, und die Gräfin verlangte den Anführer zu sprechen, der seinen Trupp Halt machen ließ, um die schwarzen Reiter zu rekognoszieren. Als er sie zweifelnd und ungewiß anblickte, sprach sie: Edler Graf, Isabelle von Croye, die Tochter Eures alten Waffengefährten, des Grafen Reinhold von Croye, ergibt sich Euch und fordert von Eurer Tapferkeit Schutz für sich und die Ihrigen.« – »Den sollst Du haben, meine schöne Cousine, und wäre es gegen ein ganzes Heer – meinen Oberlehnsherrn von Burgund ausgenommen. Aber jetzt ist nicht Zeit, davon zu sprechen! Diese schmutzigen Teufelskinder haben Halt gemacht, als wollten sie es auf eine Probe mit mir ankommen lassen. – Beim heiligen Georg von Burgund, sie rücken wohl gar gegen Crevecoeurs Banner an! – Wie? sind die Kerle verrückt – Damian, meine Lanze – das Banner vor – legt Eure Speere ein, – Crevecoeur zur Befreiung!« Mit diesem Feldgeschrei sprengte er an der Spitze seiner Bewaffneten rasch vorwärts, den schwarzen Reitern entgegen.

Sechstes Kapitel

Das Scharmützel hatte kaum fünf Minuten gedauert, da waren die schwarzen Reiter von den burgundischen Mannen, die ihnen an Bewaffnung, Pferden und kriegerischem Geiste bei weitem überlegen waren, in die Flucht geschlagen worden. In noch kürzerer Zeit kam Graf Crevecoeur, sein blutiges Schwert, bevor er es in die Scheide steckte, an der Mähne seines Pferdes abwischend, nach dem Saume des Waldes zurück, wo Gräfin Isabelle zurückgeblieben war.

»Eine Schande ist's,« sprach der Graf, »daß sich die Waffen von Rittern und Adelingen mit dem Blute dieser rohen Schweine beflecken müssen.« Mit diesen Worten steckte er sein Schwert in die Scheide und setzte hinzu: »Ein ziemlich rauhes Willkommen in Eurer Heimat, mein schönste Cousine; aber irrende Prinzessinnen müssen schon auf solche Abenteuer gefaßt sein, und ich bin noch zur rechten Zeit gekommen, denn glaubt mir, die schwarzen Reiter haben vor einer Grafenkrone so wenig Respekt, wie vor der Haube eines Bauernmädchens; und Euer Gefolge scheint mir zu großem Widerstande nicht sonderlich geeignet?« – »Herr Graf,« sprach Fräulein Isabelle, »laßt mich ohne weitere Vorrede wissen, ob ich eine Gefangene bin, und wohin Ihr mich zu führen gedenkt.« – »Ihr wißt, einfältiges Kind,« antwortete der Graf, »wie ich diese Frage beantworten würde, wenn es auf mich ankäme. Allein Ihr habt samt Eurer törichten Muhme mit ihren Eheprojekten und Heiratsjägereien kürzlich einen so freien Gebrauch von Euern Flügeln gemacht, daß ich fürchte, Ihr müßt Euch schon gefallen lassen, sie eine kleine Weile lang in einem Käfige zu schwingen; was mich betrifft, so ist es meine traurige Pflicht, Euch an den Hof des Herzogs nach Peronne zu geleiten, denn ich vermute, daß Euch ein bißchen warme Fürsprache dort nichts schaden dürfte. Drum mag den Befehl über diese kleine Streife lieber mein Neffe Stephan übernehmen. Hoffentlich wird der junge Wildfang seine Pflicht mit Klugheit erfüllen.« – »Lieber Oheim,« versetzte Graf Stephan, »wenn Ihr an meiner Fähigkeit zweifelt, die Krieger anzuführen, so bleibt nur selbst bei ihnen, und ich will Diener und Beschützer der Gräfin Isabelle von Croye sein.« – »Ohne Zweifel, lieber Neffe,« antwortete der Oheim, »wäre das eine schöne Verbesserung meines Plans; aber ich denke, er gefällt mir doch am besten, wie ich ihn ursprünglich entworfen habe. Merke Dir daher fürs erste nur, daß es hier nicht Dein einziges Geschäft ist, jene schwarzen Säue zu hetzen und abzustechen, wozu Du soeben eine ganz besondere Vorliebe empfunden zu haben scheinst, sondern mir zuverlässige Nachricht von all dem zu bringen, was im Lütticher Lande vorgeht. Ein paar Dutzend Lanzen sollen mir folgen, die übrigen mit einem Banner unter Deinen Befehlen zurückbleiben.« – »Noch einen Augenblick, Vetter Crevecoeur,« sprach Gräfin Isabelle, »laßt mich, indem ich mich Euch selbst als Gefangene ergebe, wenigstens für die Sicherheit derjenigen sorgen, die sich meiner in meinem Unglück als Freunde angenommen haben. Erlaubt diesem guten Menschen, meinem treuen Führer, ungehindert nach seiner Vaterstadt Lüttich zurückzukehren.« – »Mein Neffe,« sagte Crevecoeur, indem er einen scharfen Blick auf Glovers breites Gesicht warf, »soll diesen guten Burschen, soweit er in das Lütticher Land vorrücken wird, mit sich nehmen und ihn dann gehen lassen, wohin er will.« – »Grüßet die gute Gertrud von mir,« sprach die Gräfin zu ihrem Wegweiser, und eine Perlenschnur unter ihrem Schleier hervorziehend, setzte sie hinzu: »Bitte sie, dies zum Andenken an ihre unglückliche Freundin zu tragen.« Der ehrliche Glover nahm die Perlenschnur und küßte mit linkischer Gebärde, aber mit aufrichtiger Gutmütigkeit die schöne Hand, die auf eine so zarte Weise seine eigenen Bemühungen und Gefahren zu belohnen wußte.

»Hm! Zeichen und Freundschaftspfänder!« sagte der Graf, »habt Ihr noch andere Anliegen, meine schöne Cousine? – Es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.« – »Ich wünsche bloß noch,« begann die Gräfin mit Anstrengung, »daß Ihr diesem – diesem jungen Manne da Euer Wohlwollen schenken möget.« – »Hm!« versetzte Crevecoeur, indem er denselben durchdringenden Blick auf Quentin, wie früher auf Glover, warf, jedoch, wie es schien, mit minder günstigem Erfolge, »ja das ist schon eine Klinge von anderem Stahl. Darf man wissen, meine schöne Cousine, was dieser – dieses junge Blut getan hat, um in Euch eine solche Fürbitterin zu finden?« – »Er hat mein Leben und meine Ehre gerettet,« sagte die Gräfin, vor Scham und Unwillen zugleich errötend. Auch Quentin errötete vor Zorn, allein er sah ein, daß er an sich halten müsse, wenn er die Sache nicht noch schlimmer machen wollte.

»Leben und Ehre? – Hm!« sagte Graf Crevecoeur wiederum, »mich dünkt, es wäre doch wohl besser gewesen, meine schöne Cousine, wenn Ihr Euch nicht in die Notwendigkeit solcher Verpflichtungen gegen den jungen Mann gesetzt hättet. – Doch laßt das gut sein! der junge Mensch kann in unserem Gefolge mitreiten, wenn es ihm sein Stand erlaubt, und ich will darauf sehen, daß ihm nichts zuleide getan wird, – nur will ich jetzt selbst die Pflicht übernehmen, der Beschützer Eures Lebens und Eurer Ehre zu sein, und werde vielleicht für ihn ein passenderes Geschäft finden, als – hm! den Leibknappen irrender Damen abzugeben.« – »Herr Graf,« sagte Durward, unfähig länger zu schweigen, »damit Ihr nicht etwa von einem Fremden auf eine geringschätzigere Weise sprecht, als Ihr in der Folge für schicklich halten möchtet, nehme ich mir die Freiheit, Euch zu sagen, daß ich Quentin Durward heiße und ein Bogenschütze von der schottischen Leibwache bin, in welche, wie Euch bekannt sein wird, nur Edelleute und Männer von Ehre aufgenommen werden.« – »Ich danke Euch für Eure Belehrung und küsse Euch die Hände, Herr Bogenschütze,« sagte Graf Crevecoeur, noch immer im Tone des Spottes. »Habt die Güte, mit mir an die Spitze des Haufens zu reiten.«

Als Quentin auf den Befehl des Grafen, der jetzt, wenn auch nicht das Recht, doch die Macht über ihn hatte, sich in Bewegung setzte, gewahrte er, daß Gräfin Isabelle ihm einen Blick voll besorgter, schüchterner Teilnahme zuwarf, der ihm fast Tränen in die Augen lockte. Er bedachte jedoch, daß er sich vor Crevecoeur als Mann betragen müsse, da dieser unter allen französischen und burgundischen Rittern vielleicht am wenigsten sich eignete, die Darlegung des Kummers treuer Liebe anders aufzunehmen, als mit Spott und Hohn. Er entschloß sich daher, nicht dessen Anrede abzuwarten, sondern das Gespräch in einem Tone zu eröffnen, der seine Ansprüche auf gute Behandlung und größere Achtung rechtfertigen möchte, als der Graf, der sich vielleicht beleidigt fand, daß ein Mann von so untergeordnetem Range in so hohem Grade das Vertrauen seiner vornehmen und reichen Muhme besaß, ihm beweisen zu wollen schien.

»Herr Graf von Crevecoeur,« sprach er in einem gemäßigten aber festen Tone, »darf ich Euch, ehe wir weiter zusammen reisen, fragen, ob ich frei bin, oder ob ich mich als Euren Gefangenen zu betrachten habe?« – »Eine verfängliche Frage,« erwiderte der Graf, »die ich Euch vorderhand nur durch eine andere beantworten kann. Was meint Ihr, sind Frankreich und Burgund miteinander im Frieden oder im Kriege?« – »Das,« erwiderte der Schotte, »solltet Ihr, Herr Graf, wohl besser wissen als ich, denn ich bin vom französischen Hofe schon seit einiger Zeit abwesend und habe deshalb keine Nachrichten mehr von dorther.« – »Da seht Ihr nun,« versetzte der Graf, »wie leicht es ist, Fragen vorzulegen, und wie schwer, sie zu beantworten. Ich selbst bin diese ganze Woche und noch länger um den Herzog von Peronne gewesen, kann mithin ebensowenig wie Ihr das Rätsel lösen, und doch, Herr Knappe, hängt von der Lösung desselben die Frage ab, ob Ihr ein Gefangener oder frei seid. Für jetzt muß ich Euch für das erstere halten, – nur wenn Ihr meiner Verwandten in der Tat und auf ehrenhafte Weise gedient habt, und Ihr aufrichtig auf die Fragen, die ich an Euch tun werde, antwortet, können Eure Angelegenheiten eine bessere Wendung nehmen.« – »Die Gräfin von Croye,« sagte Quentin, »kann es am besten beurteilen, ob ich ihr einige Dienste geleistet habe, und auf sie verweise ich in dieser Hinsicht. Ueber meine Antworten mögt Ihr selbst urteilen, wenn Ihr mich fragt.« – »Hm! hm! – stolz genug,« brummte Graf Crevecoeur, »ganz wie einer, der die Bandschleife einer Dame an seinem Hute trägt und nun meint, er müsse einen hohen Ton annehmen, um dem köstlichen Fetzen von Seide und Flittergold Ehre zu machen. – Nun, ich glaube, es wird Eurer Würde keinen Eintrag tun, wenn Ihr sagt, wie lange Ihr um Gräfin Isabelle von Croye gewesen seid.« – »Graf Crevecoeur,« versetzte Quentin Durward, »wenn ich auf Fragen antworte, die an mich in einem Tone, der an Beleidigung grenzt, gemacht werden, so geschieht dies bloß deswegen, damit nicht aus meinem Stillschweigen über jemand, dem wir beide Gerechtigkeit widerfahren zu lassen schuldig sind, nachteilige Schlüsse gezogen werden können. Ich habe Gräfin Isabelle begleitet, seit sie Frankreich verlassen hat, um sich nach Flandern zu begeben.« – »Ho! ho!« rief der Graf, »das heißt also, seitdem sie aus Plessis geflohen ist, – Ihr, ein Bogenschütze von der schottischen Leibwache, habt sie also auf ausdrücklichen Befehl des Königs begleitet?«

So wenig auch Quentin sich dem Könige von Frankreich verpflichtet fühlte, der bei dem beabsichtigten Ueberfalle der Gräfin Isabelle von seiten Wilhelms von der Mark wahrscheinlich darauf gerechnet hatte, daß der junge Schotte bei Verteidigung derselben umkommen würde, so hielt er sich doch befugt, das Vertrauen, das Ludwig, wenn auch vielleicht bloß dem Anschein nach, in ihn gesetzt hatte, zu täuschen, und erwiderte daher auf die Vermutung des Grafen Crevecoeur, es habe ihm genügt, zu dem, was er getan habe, von dem ihm vorgesetzten Offiziere Befehl erhalten zu haben, und weiteres Nachforschen sei nicht seine Sache. – »Das ist auch vollkommen hinreichend,« sagte der Graf, »denn wir wissen, daß der König seinen Offizieren nicht gestattet, die Bogenschützen seiner Leibwache als Paladine irrender Damen einher stolzieren zu lassen, ohne daß er irgend einen politischen Zweck damit verbindet. Es wird dem König Ludwig schwer fallen, hinfort noch so dreist zu behaupten, daß er von der Entweichung der Gräfinnen von Croye aus Frankreich nichts wisse, da sie durch einen Bogenschützen von seiner Leibwache begleitet wurden. Und wohin, Herr Bogenschütze, ging denn Euer Weg?« – »Nach Lüttich, Herr Graf,« antwortete der Schotte, »wo die Damen sich unter den Schutz des ehemaligen Bischofs begeben wollten.« – »Des ehemaligen Bischofs?« rief Graf Crevecoeur aus; »ist Ludwig von Bourbon tot? – Nicht ein Wort von seinem Uebelbefinden kam dem Herzog zu Ohren. – Woran starb er?« – »Er schläft in einem blutigen Grabe, Herr Graf, – das heißt, wenn anders seine Mörder seinen irdischen Ueberresten ein Grab vergönnt haben.« – »Seine Mörder!« rief Crevecoeur wieder; »heilige Mutter Gottes! – das ist nicht möglich, junger Mann.« – »Vor meinen Augen geschah die Tat und noch manches Schauderhafte außerdem.« – »Du sahst sie, eiltest aber nicht dem guten Prälaten zu Hilfe?« rief der Graf aus, »setztest nicht das ganze Schloß gegen die Mörder in Bewegung? Weißt Du nicht, daß solche Tat mit ansehen, ohne Widerstand zu leisten, strafbarer Frevel ist?« – »Ehe die Tat geschah, war schon das Schloß von dem blutdürstigen Wilhelm von der Mark mit Hilfe der empörten Lütticher erstürmt,« erwiderte Durward. – »Ich bin wie vom Donner gerührt,« sprach Crevecoeur; »Lüttich im Aufstand! Schönwald genommen! der Bischof ermordet! Unglücksbote! nie hat ein Mann soviele Hiobsposten gebracht! Sprich! wußtest Du um den Sturm, diesen Aufstand, diesen Mord? Du bist einer von Ludwigs vertrauten Bogenschützen, und er ist es, der diesen schmerzlichen Pfeil abgeschossen hat? Sprich, oder ich lasse Dich von wilden Pferden zerreißen!« – »Und würde ich so zerrissen, so würdet Ihr doch nichts aus mir bringen, was einem schottischen Edelmann zu sagen nicht geziemte. Ich weiß von diesen Schändlichkeiten nichts weiter als Ihr und war soweit entfernt, daran teilzunehmen, daß ich mich ihnen vielmehr aufs äußerste widersetzt hätte, hätten meine Mittel nur zum zwanzigsten Teile meinem Willen entsprochen. Aber was war zu tun? Einer gegen Hunderte? Meine einzige Sorge ging also dahin, Gräfin Isabelle zu retten, und dazu half mir mein Glück.« – »Ich glaube Dir, junger Mann,« sprach der Graf, »Du bist weder in dem Alter noch von der Art, daß man Dich zu solch einem blutigen Werke anstellen könnte, wenn Du auch geschickt genug sein magst, der Knappe von Damen zu sein. Aber ach! so mußte dieser wohlwollende edelmütige Prälat an seinem eigenen Herde gemordet werden, wo er so oft den Fremdling mit christlicher Milde und fürstlicher Güte bewirtete, – und das von einem Schurken! einem Ungeheuer! einer Ausgeburt von Blutdurst und Grausamkeit, auferzogen in derselben Halle, in der er seine Hände mit dem Blute seines Wohltäters besudelte! Aber ich müßte Karl von Burgund nicht kennen, ja an der Gerechtigkeit des Himmels verzweifeln, wenn die Rache nicht so grimmig, furchtbar und schnell sein sollte, wie diese Abscheulichkeit beispiellos ist. Wenn auch niemand anders den Mörder verfolgt,« – hier hielt er inne, griff nach seinem Schwert, ließ den Zaum fahren und schlug beide mit Panzerhandschuhen bedeckten Hände auf der Brust übereinander, so daß der Harnisch rasselte, hob sie dann zum Himmel auf, und sprach in feierlichem Tone: »Ich, ich, Philipp Crevecoeur von Cordès, gelobe zu Gott, dem heiligen Lambert und den drei Königen von Köln, daß ich an alle weltlichen Geschäfte nicht eher denken will, bis ich vollkommene Rache an den Mördern des edlen Ludwig von Bourbon genommen habe; möge ich sie finden im Walde oder auf dem Felde, auf Bergen oder in der Ebene, an dem Hofe des Königs oder im Gotteshaus; und darauf verpfände ich Land und Leute, Freund und Vasallen, Leben und Ehre! So wahr mir Gott helfe und der heilige Lambert von Lüttich und die drei Könige von Köln!« – Als Graf Crevecoeur dieses Gelübde abgelegt hatte, schien sein Gemüt einigermaßen von der Last des Kummers und Staunens erleichtert, womit er die Kunde jenes furchtbaren Trauerspiels in Schönwald angehört hatte. Plötzlich richtete er an Durward die Frage, gleich als ob er sich an etwas erinnerte, das seinem Gedächtnisse entfallen, was denn aus Hameline geworden sei und warum sie sich nicht bei ihrer Nichte befinde? – »Nicht,« setzte er verächtlich hinzu, »als ob ich ihre Abwesenheit für einen Verlust für die Gräfin Isabelle hielte; denn wenn sie auch ihre Muhme war und im ganzen es wohl mit ihr meinte, so kann es doch selbst am Hofe von Cocagne im Schlaraffenlande nie eine größere Törin gegeben haben; und ich bin überzeugt, daß ihre Nichte, die ich sonst immer als ein bescheidenes, ordentliches Mädchen gekannt habe, zu der abgeschmackten Torheit, aus Burgund nach Frankreich zu fliehen, nur durch diese abenteuerliche, unbesonnene, alte Heiratsstifterin und Heiratsjägerin verleitet worden ist!«

Mehr besorgt daher, ein Gegenstand des Spottes als des Zornes zu werden, beschränkte Durward, obgleich mit Mühe, seine Antwort auf einen unbestimmten Bericht, daß Gräfin Hameline noch vor dem Angriff auf das Schloß entflohen sei; ein unbestimmtes Gerücht sei ihm freilich zu Ohren gekommen, daß Gräfin Hameline wieder in die Hände Wilhelms von der Mark gefallen sei.

»Ich hoffe zum heiligen Lambert, daß er sie heiraten wird,« sagte Crevecoeur, »was er wahrscheinlich ihrer Geldsäcke wegen tun wird; und ebenso wahrscheinlich ist es, daß er ihr, sobald er die Säcke hat, oder spätestens wenn sie geleert sind, eins vor den Kopf geben wird.«

Am Abend erreichten sie die Stadt Charleroi an der Sambre, wo Graf Crevecoeur Gräfin Isabelle zu verlassen hatte, denn Schrecken und Anstrengung verboten ihr, weiter zu reisen. In einem Zustande großer Erschöpfung übergab er sie der Aebtissin des Zistercienserklosters in Charleroi, auf deren Klugheit und Herzensgüte er vertrauen konnte. Dann setzte er, nachdem er für sich und sein Gefolge frische Pferde besorgt hatte, seinen Weg nach Peronne fort und entschuldigte sich spöttisch bei Quentin Durward, daß er ihn von seiner schönen Gesellschaft trennen müsse, aber dabei hoffe, einem den Damen so ganz ergebenen Knappen werde ein nächtlicher Ritt bei Mondschein ganz angenehm sein. Quentin, ohnehin schon betrübt darüber, daß er sich von Isabelle trennen mußte, hätte diesen Spott gern mit einer zornigen Herausforderung beantwortet; allein überzeugt, daß der stolze Graf nur über seinen Aerger lachen und seine Herausforderung verachten würde, beschloß er eine Gelegenheit abzuwarten, wo er Rache an dem Manne nehmen könnte, der ihm, wenngleich aus ganz andern Gründen, beinahe ebenso verhaßt geworden war, wie der wilde Eber der Ardennen. Er ließ sich daher Crevecoeurs Vorschlag, den er nicht wohl ablehnen konnte, gefallen; und so setzten sie gemeinschaftlich den Weg von Charleroi nach Peronne fort.

Siebentes Kapitel

Quentin hatte den ersten Teil dieses nächtlichen Rittes mit jenem bittern Seelenschmerz zu kämpfen, den Jünglinge empfinden, wenn sie, und wahrscheinlich, auf immer von der Geliebten scheiden müssen. Angespornt durch den Drang des Augenblicks und Crevecoeurs Ungeduld, durcheilten sie die fruchtbaren Ebenen des Hennegaus, geleitet vom Lichte des hellen herbstlichen Mondes, der mit seinen blassen Strahlen reiche und fette Weiden, Waldungen und Kornfelder beleuchtete, von denen die Landleute die Ernte heimbrachten. Als aber die kalte Mitternachtsstunde vorüber war, begannen trotz seines Liebeskummers die ungemeinen Anstrengungen, denen Quentin die beiden vorhergehenden Tage ausgesetzt war, eine Wirkung auf ihn zu äußern, die ihm bisher unbekannt an sich war. Seine Gedanken wurden nach und nach durch die Tätigkeit seiner Sinne, die durch die übermäßige Abspannung erschöpft waren, so wenig in Schranken gehalten, daß die Traumgesichter seiner Einbildungskraft alles, was ihm die geschwächten Organe des Gehörs und Gesichts aufdrangen, verschoben und verwandelten, und er bloß seines wachen Zustandes durch die Anstrengungen inne ward, die er im Gefühl des Gefährlichen seiner Lage gelegentlich machte, um zu verhindern, daß er nicht in einen tiefen, todähnlichen Schlaf versinke. Dann und wann rief ihn ein Bewußtsein der Gefahr, von oder mit seinem Pferde zu stürzen, zu neuer Anstrengung und Lebendigkeit zurück; aber es dauerte nicht lange, so wurden seine Augen wieder durch ineinanderfließende Schatten und Farbenmischungen aller Art verdunkelt, die vom Mond beleuchtete Landschaft schwamm vor seinen Blicken, und er war dermaßen erschöpft, daß Graf Crevecoeur zweien seiner Leute befehlen mußte, Durward zur Seite zu reiten, damit er nicht vom Pferde falle. Als sie endlich die Stadt Landrecy erreicht hatten, gestattete der Graf aus Mitleid mit dem Jüngling, der seit drei Nächten beinahe gar nicht geschlafen hatte, sich und seinem Gefolge einen Aufenthalt von vier Stunden Ruhe und Erholung. Tief und fest war Quentins Schlummer, bis er durch den Schall der Trompete und den Ruf der Furiere und Ouartiersmeister unterbrochen wurde: »Auf! auf! ihr Herren! auf den Weg, auf den Weg!«

So unwillkommen ihm auch anfangs diese Töne waren, so erwachte er doch als ein anderer Mensch an Kraft und Stärke. Vertrauen auf sich selbst und sein Schicksal kehrte mit seinen neugestärkten Lebensgeistern und der aufgehenden Sonne in sein Gemüt zurück. Er dachte nicht mehr an seine Liebe wie an einen eiteln, ausschweifenden Traum, sondern wie an ein hohes, belebendes Prinzip, ein Gefühl, das er in seinem Herzen nähren sollte, wenn er gleich nie hoffen konnte, bei all den Schwierigkeiten und Hindernissen, die ihm drohten, seine Herzensangelegenheit zu einem glücklichen Ziel zu führen. In dieser Stimmung fühlte sich Quentin eher in der Lage, die Scherze des Grafen Crevecoeur hinzunehmen, und wußte ihm so glücklich und mit vieler Ehrerbietung darauf zu antworten, daß der alte Krieger schließlich nicht umhin konnte, in ihm einen netten jungen Mann zu finden, aus dem sich schon noch etwas machen ließe, und ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab, daß er es auf sich nehmen wolle, ihm einen ehrenvollen Platz unter den Haustruppen des Herzogs von Burgund zu verschaffen und für sein weiteres Fortkommen zu sorgen.

Obgleich Quentin mit schuldigem Danke diese Gnade für jetzt ablehnte, bis er erst wüßte, inwiefern er sich über seinen bisherigen Gebieter, König Ludwig, zu beklagen habe, blieb er doch in gutem Einvernehmen mit Graf Crevecoeur, und so setzte die kleine Gesellschaft einmütiger als am vergangenen Tage ihren Weg fort, bis sie endlich zwei Meilen von der berühmten und festen Stadt Peronne hielt, in deren Nähe das Heer des Herzogs von Burgund ein Lager bezogen hatte. Ludwig XI. hingegen hatte eine bedeutende Macht bei St. Maxence zusammengezogen, in der Absicht, seinen übermächtigen Vasallen durch eine Schlacht zur Vernunft zu bringen.

Graf Crevecoeur nahte sich nebst seinem Gefolge und seinem Gefangenen gegen drei Uhr nachmittags der Festung, als sie in den angenehmen Schattengängen eines großen, nach Osten sich fast bis an die Festung erstreckenden Waldes zwei vornehmen Männern, wie sich aus ihrem zahlreichen Gefolge schließen ließ, begegneten, die eine in Friedenszeiten damals gewöhnliche Kleidung trugen und, nach den Falken, die sie auf den Händen hatten, wie nach der Anzahl der Wachtel- und Windhunde, die ihnen folgten, zu urteilen, sich auf der Jagd befanden. Als sie aber Crevecoeurs ansichtig wurden, ritten sie ihm sogleich entgegen. »Neuigkeiten, Neuigkeiten, Graf Crevecoeur!« riefen beide zusammen. »Bringt Ihr welche, oder wollt Ihr welche wissen? oder wollt Ihr einen ehrlichen Tausch darauf eingehen?« – »Gern wollte' ich mit euch tauschen, meine Herren,« sagte Crevecoeur, nachdem er höflich gegrüßt hatte, »wenn ich nur wüßte, ob eure Neuigkeiten die meinigen aufwiegen.«

Die beiden Jäger blickten einander lächelnd an, und der größere von ihnen, eine feine stattliche Gestalt, von bräunlicher Gesichtsfarbe, mit einem traurigen Ausdruck, wandte sich an seinen Gefährten und sagte: »Crevecoeur kommt aus dem Lande des Handels und hat alle Kunstbegriffe der Brabanter gelernt; es wird uns schwer werden, einen vorteilhaften Tausch mit ihm zu treffen.« – »Meine Herren,« sagte Crevecoeur, »vor dem Herzog muß ich allerdings zuerst meine Waren auskramen, da der Landesherr seinen Zoll erhebt, ehe der Markt beginnt. Aber sagt mir, sind eure Nachrichten trauriger oder fröhlicher Art?«

Der, an den er sich vorzüglich wandte, war ein kleiner munterer Mann mit lebendigem Auge, dessen Feuer aber durch einen gewissen Zug von Ernst und Nachdenken um den Mund und die Oberlippe gemildert wurde, so daß das Ganze seiner Gesichtsbildung einen Mann verkündigte, der mehr zum Rat als zur Tat geschaffen war, der alles schnell durchschaute und beurteilte, aber mit weiser Bedachtsamkeit seine Entschlüsse faßte und seine Meinung aussprach. Dies war der berühmte Herr von Argenton, mehr bekannt unter den Geschichtsschreibern unter dem ehrwürdigen Namen Philipp des Comines, der damals am Hofe Herzogs Karls des Kühnen sich aufhielt und einer seiner angesehensten Räte war. Er beantwortete Crevecoeurs Frage inbetreff der Beschaffenheit der Neuigkeiten, in deren Besitz er und sein Begleiter, der Freiherr v. Hymbercourt, waren, indem er sagte: »Sie gleichen den Farben des Regenbogens und wechseln in ihrem Schimmer, je nach dem Standpunkte, von dem aus man sie betrachtet; sie stehen zwischen der schwarzen Wolke und dem blauen Himmel; solch ein Regenbogen ist nie in Frankreich oder Flandern seit Noahs Arche gesehen worden.« – »Meine Neuigkeiten,« entgegnete Crevecoeur, »sind, wie ein Komet, düster und furchtbar an sich, und man mag sie als Vorläufer von noch größeren und noch schrecklicheren Nebeln ansehen, die da kommen sollen.« – »Wir müssen unsern Ballen öffnen,« sagte Argenton zu seinem Begleiter, »oder unser Markt wird uns durch Neuankommende verdorben, denn unsere Nachrichten sind eigentlich öffentliches Gut; mit einem Worte, hört und verwundert Euch, König Ludwig ist in Peronne.« – »Wie!« fragte der Graf voll Erstaunen, »hat sich der Herzog ohne eine Schlacht zurückgezogen, und bleibt Ihr hier in Friedenskleidern, während die Stadt von den Franzosen belagert wird? Denn ich kann nicht glauben, daß sie genommen ist.« – »O nein,« versetzte Hymbercourt, »Burgunds Fahnen sind keinen Fuß breit gewichen, und dennoch ist der König Ludwig hier.« – »Nun, so ist offenbar Eduard von England mit seinen Bogenschützen über die See gekommen,« meinte Crevecoeur, »und hat, wie sein Vorfahre, eine zweite Schlacht bei Poitièrs gewonnen.« – »Auch das nicht,« versetzte Argenton, – »kein französisches Banner hat sich sehen lassen, und kein Segel ist von England herübergekommen, wo sich Eduard viel zu sehr mit Londner Bürgersfrauen belustigt, als daß er daran denken sollte, die Rolle des schwarzen Prinzen zu spielen. So vernehmt denn die außerordentliche Neuigkeit! Als Ihr uns verließet, waren, wie Euch bekannt ist, die Unterhandlungen zwischen Frankreich und Burgund ohne allen Anschein einer Wiederaufnahme abgebrochen worden.« – »Ja; und wir träumten von nichts denn Krieg.« – »Was nun erfolgt ist, sieht einem Traume so ähnlich,« versetzte Argenton, »daß ich immer glaube, ich müsse erwachen und es so finden. Es ist kaum einen Tag her, daß sich der Herzog so entschieden gegen allen ferneren Aufschub erklärte, daß beschlossen ward, dem Könige eine förmliche Kriegserklärung zuzusenden und sogleich nach Frankreich zu marschieren; als der französische Herold, Montjoie, in unser Lager einritt. Wir glaubten nicht anders, als daß Ludwig uns mit einer Kriegserklärung zuvorkomme, und fingen schon an zu überlegen, wie der Herzog diejenigen seinen Zorn fühlen lassen würde, die ihm abgeraten hatten, den Krieg zuerst zu erklären. Aber wie groß war unsere Verwunderung, als der Herold uns meldete, daß Ludwig, König von Frankreich, kaum eine Stunde hinter ihm sei und in der Absicht komme, den Herzog mit einem kleinen Gefolge zu besuchen, um die obwaltenden Mißverständnisse in einer persönlichen Zusammenkunft auszugleichen.«

»Ich erstaune, meine Herren,« sagte Crevecoeur, »wieviel weniger, als Ihr vielleicht erwarten möchtet; denn als ich zum letztenmal in Plessis les Tours war, gab mir der in alles eingeweihte Kardinal Balue, aufgebracht gegen seinen Herrn und im Herzen den Burgundern zugetan, einen Wink, daß er Ludwigs schwache Seite benützen wolle, um ihn in eine Stellung gegen Burgund zu bringen, so daß der Herzog die Friedensbedingungen in seiner Hand haben solle. Allein ich hätte es doch nie gedacht, daß ein so alter Fuchs wie Ludwig sich verleiten lassen sollte, in eine solche Falle zu gehen. Was sagte denn der geheime Rat dazu?« – »Wie Ihr leicht denken könnt,« versetzte Hymbercourt, »wurde viel gesprochen von Treu und Glauben, die man halten müsse, und nur wenig von den Vorteilen, die dadurch erreicht werden könnten. Indessen war es klar, daß man größtenteils an das letztere dachte und sich bloß Mühe gab, einen Weg ausfindig zu machen, bei dem man den besten Schein beobachten könne.« – »Und Ihr gingt dem König entgegen?« fragte Graf Crevecoeur. »Es geschehen wirklich Wunder auf Erden! Wer war in seinem Gefolge?« – »Bloß ein paar Dutzend von seiner schottischen Leibwache,« antwortete Hymbercourt; »und ein paar Ritter und Edle seines Hofes, unter denen sein Sterndeuter Galeotti noch die glänzendste Rolle spielte.« – »Dieser Mensch,« versetzte Crevecoeur, »hält es mit dem Kardinal Balue; es sollte mich daher nicht wundern, wenn er auch Anteil daran hätte, daß der König diesen Schritt zweifelhafter Politik tut. Ist kein höherer Adel dabei?« – »Der Herzog von Orleans und Dunois,« erwiderte Argenton. – »Aber man sagte ja, sie wären im Gefängnis?« – »Sie saßen auch beide gefangen im Schlosse von Loches, jenem herrlichen Ruheplätzchen für den französischen Adel,« sagte Hymbercourt; »aber Ludwig hat sie freigelassen, um sie mit hierher zu nehmen, vielleicht weil er Orleans nicht gern zurücklassen wollte. Unter seinen andern Begleitern sind, glaub' ich, sein Gevatter, der Henkermarschall und sein Barbier Oliver, die bedeutendsten Personen. Das Ganze sieht so ärmlich aus, daß der König auf Ehre eher einem alten Wucherer gleicht, der, begleitet von einem Trupp Häscher, schlimme Ausstände eintreiben will.« – »Und wo ist er abgestiegen?« fragte Crevecoeur. – »Ja, das ist,« erwiderte Argenton, »noch das Wunderbarste von allem. Unser Herzog erbot sich, ein Stadttor und eine Schiffbrücke über die Somme mit seiner schottischen Wache besetzen zu lassen, Ludwig selbst aber das daranstoßende Haus, das einem reichen Bürger, Giles Orthen, gehört, zur Wohnung anzuweisen. Als indes der König sich dahin begeben wollte, bemerkte er die Paniere von de Lau und Pencil de Rivière, die er aus Frankreich verbannt hatte, und erschreckt, wie es schien, durch den Gedanken, Flüchtlingen und Unzufriedenen aus seinen eigenen Landen so nahe zu sein, verlangte er, im Schlosse von Peronne selbst einquartiert zu werden, und dort hat er nun jetzt seinen Aufenthalt.« – »Nun wahrhaftig!« rief Crevecoeur aus, »das heißt nicht allein sich in des Löwen Höhle wagen, sondern ihm noch den Kopf in den Rachen stecken. Freunde, edle Ritter, reitet dicht zu mir heran: und wenn ich nun Euch erzähle, was sich im Bistum Lüttich zugetragen hat, so werdet Ihr mit mir der Meinung sein, daß König Ludwig ebensogut eine Wallfahrt nach der Unterwelt hätte anstellen können, als diesen unzeitigen Besuch in Peronne zu machen.«

Die beiden Edelleute ritten dicht zu dem Grafen heran und hörten nun mit tiefster Verwunderung und Teilnahme seine Erzählung der Vorgänge in Lüttich und Schönwald an.

Achtes Kapitel

Karl von Burgund, der ungestümste, ungeduldigste, ja der unbesonnenste Fürst seiner Zeit, fühlte sich gleichwohl innerhalb des magischen Kreises gebannt, den die tiefste Ehrerbietung gegen Ludwig, als seinen Souverän und Oberlehnsherrn, um ihn zog, da dieser ihm, seinem Kronvasallen, die ausgezeichnete Ehre eines persönlichen Besuchs erwiesen hatte. Eingehüllt in seinen herzoglichen Mantel und begleitet von den vornehmsten Rittern und Beamten seines Hofes, war er in glänzendem Zuge Ludwig XI. entgegengeritten. Sein Gefolge strotzte von Gold und Silber; denn während der Reichtum des englischen Hofes durch die Kriege zwischen York und Lancaster erschöpft war und die Sparsamkeit des Beherrschers von Frankreich alle Ausgaben gar sehr beschränkte, war der Hof von Burgund damals der prachtvollste in ganz Europa. Ludwigs Gefolge war dagegen sehr klein und von verhältnismäßig ärmlichem Aussehen. Die Erscheinung des Königs selbst in seinem abgetragenen Kleide, mit dem simplen, von Heiligenbildern eingefaßten Hute, bildete einen umso auffallenderen Kontrast. Als nun der Herzog mit Krone und Staatsmantel sich von seinem prächtigen Streitrosse schwang und, auf ein Knie sich niederlassend, den Steigbügel halten wollte, indes Ludwig von seinem kleinen Zelter sprang, grenzte die Wirkung, die das Ganze hervorbrachte, fast ans Groteske.

Die gegenseitige Bewillkommnung der beiden Herrscher war, wie es sich von selbst versteht, ebenso voll von angenommenem Wohlwollen, als ihr alle Aufrichtigkeit abging. Die Gemütsart des Herzogs machte es diesem schwer, in Stimme, Rede und Benehmen den nötigen äußern Anstand zu beobachten, während bei dem Könige jede Art von Verstellung und Heuchelei so sehr in seiner Natur zu liegen schien, daß auch die, welche ihn am genauesten kannten, Schein und Wahrheit nicht unterscheiden konnten.

An der unsicheren Stimme, dem gezwungenen Benehmen und den abgebrochenen Gebärden des Herzogs mochte der König wohl gewahren, daß er ein bedenkliches Spiel spiele, und bereute es wahrscheinlich mehr als einmal, auf diesen Gedanken gekommen zu sein; allein die Reue kam zu spät, und alles, was ihm übrig blieb, war jene unnachahmliche Gewandtheit im Benehmen, die vielleicht nie jemand im höheren Grade besaß, als er. Sein Benehmen gegen den Herzog war von der Art, daß es der Ueberwallung eines wohlwollenden Herzens im Augenblicke aufrichtiger Versöhnung mit einem wertgehaltenen, aber von Prüfungen heimgesuchten Freunde glich, von dem er durch Umstände, die ebenso bald vergessen als hinweggeräumt worden, entfremdet worden war. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er nicht früher schon diesen entscheidenden Schritt getan und seinen guten, lieben Vetter durch einen solchen Beweis des Vertrauens, wie er ihm jetzt gebe, überzeugt habe, daß die Mißhelligkeiten, die zwischen ihnen stattgefunden, in seiner Erinnerung nichts wären im Vergleich mit der Liebe, die er, während seiner Verbannung aus Frankreich und mit der Ungnade seines königlichen Vaters belastet, von ihm und seinem Vater, dem »guten« Herzog Philipp, empfangen habe. Die Gesichtszüge des Herzogs von Burgund waren von Natur rauh und streng; und als er versuchte, zu lächeln, zum Beweise, daß er glaube, was der König erzähle, so war die Gebärde, die er machte, wahrhaft teuflisch zu nennen. »O, Du Erzheuchler,« sprach er bei sich selbst, »ich wollte, ich könnte Dir schicklicherweise zu Gemüte führen, wie Du alle die Wohltaten unseres Hauses vergolten hast!« – »Wenn aber auch,« fuhr der König fort, »die Bande der Blutsfreundschaft und der Dankbarkeit nicht hinreichend wären, uns aneinander zu knüpfen, lieber Vetter, so haben wir noch die der geistlichen Verwandtschaft; denn ich bin der Pate Eurer schönen Tochter Maria, die mir so teuer ist, als eins meiner eigenen Mädchen; und als die Heiligen – (gebenedeiet sei ihr Name!) – mir einen kleinen Sprößling schenkten, der innerhalb dreier Monate wieder verwelkte, da war es Euer fürstlicher Vater, der ihn zur Taufe hielt, und die Feierlichkeit mit größerer, stolzerer Pracht beging, als es in Paris selbst hätte geschehen können. Nie werde ich den tiefen, unauslöschlichen Eindruck vergessen, den die Großmut Herzog Philipps, sowie die Eurige, mein teuerster Vetter, auf das halbgebrochene Herz eines armen Verbannten machte.« – »Ew. Majestät,« entgegnete der Herzog, indem er sich zwang, etwas zu erwidern, »erkennt diese geringe Verbindlichkeit in Ausdrücken an, welche alles, was Burgund tun konnte, um sich für die Ehre erkenntlich zu zeigen, die Ihr seinem Beherrscher bewieset, weit übertreffen.« – »Ich entsinne mich wohl der Worte, die Ihr meint, guter Vetter,« sagte der König lächelnd, »ich denke, sie lauteten also: Daß ich zur Vergeltung der mir an diesem Tage erwiesenen Wohltaten, als ein armer Wandersmann, nichts anzubieten hätte, als mich selbst, mein Weib und mein Kind. Nun, ich denke, ich habe mein Pfand ziemlich gut eingelöst.« – »Ich will, was Ew. Majestät zu behaupten geruht, nicht in Abrede ziehen,« versetzte der Herzog, »aber –« – »Aber Ihr fragt,« unterbrach ihn der König, »wie denn meine Handlungen mit meinen Worten übereingestimmt, haben? – Offenbar so: Die Gebeine meines Kindes Joachim ruhen in burgundischer Erde – meine eigene Person habe ich heute morgen unbedingt in Eure Gewalt gegeben, – und was meine Gemahlin betrifft, so denke ich, lieber Vetter, Ihr werdet in Betracht der vielen indessen verflossenen Jahre nicht so streng darauf bestehen, daß ich auch in diesem Punkte mein Wort halten soll. Sie ist an Maria Verkündigung« (hier bekreuzte er sich und murmelte ein Gebet, »fünfzig Jahre alt, allein befindet sich nicht weiter von hier als Rheims, und wenn Ihr auf der buchstäblichen Erfüllung meines Wortes besteht, so soll auch sie Euch hier unverweilt ihre Aufwartung machen.« So ergrimmt auch der Herzog von Burgund darüber war, daß der König auf solch schamlose Weise einen Ton der Freundschaft und Vertraulichkeit gegen ihn annahm, so konnte er sich doch über diese sonderbare Aeußerung des Königs des Lachens nicht wehren, und sein Lachen war ebenso schneidend, als die abgebrochenen, leidenschaftlichen Laute, in denen er oft zu sprechen pflegte. Nachdem er länger und lauter gelacht, als es damals oder jetzt für Zeit und Ort schicklich erachtet werden mochte, antwortete er in demselben Tone, indem er geradezu die Ehre des Besuchs der Königin ablehnte und dagegen erklärte, daß er sich den der ältesten Tochter des Königs (sie war wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt) gern würde gefallen lassen.

»Ich bin erfreut, lieber Vetter,« sagte der König mit jenem zweideutigen Lächeln, das man sehr oft an ihm bemerkte, »daß Euer Wohlgefallen nicht meine jüngere Tochter Johanna sich ausersehen hat; denn in diesem Falle hättet Ihr mit meinem Vetter Orleans eine Lanze zu brechen gehabt, und wäre ein Unglück daraus entstanden, so müßt ich auf der einen oder andern Seite einen wohlwollenden Freund und geliebten Verwandten verlieren.« – »Nein! nein! mein königlicher Herr,« sprach Herzog Karl, »der Herzog von Orleans soll von meiner Seite keine Hindernisse auf dem Wege finden, den er par amour eingeschlagen hat. Wenn ich je eine Lanze mit Orleans brechen soll, so muß es in einer schöneren und geraderen Sache geschehen.«

Ludwig war weit entfernt, diese rohe Anspielung auf die Mißgestalt und Häßlichkeit der Prinzessin Johanna übel zu nehmen; es machte ihm im Gegenteil Vergnügen, daß der Herzog an solch derben Späßen Gefallen fand, in denen er selbst Meister war. Er bemühte sich, die Unterhaltung in einem solchen Tone zu führen, daß Karl, obgleich er sich unfähig fühlte, die Rolle eines versöhnten Freundes gegen einen Monarchen zu spielen, der ihm schon soviel Uebles zugefügt hatte, es nicht schwer fand, den herzlichen Wirt gegen einen witzigen Gast zu spielen. So wurde denn der Mangel wechselseitiger, aufrichtiger Zuneigung und Liebe durch den beiden sympatischen Ton eines vertraulichen Gesprächs zwischen zwei lustigen Zechbrüdern ersetzt. Glücklicherweise waren beide Fürsten imstande, während eines Banketts auf dem Stadthause zu Peronne den nämlichen Ton der Unterhaltung beizubehalten, wobei sie sich wie auf neutralem Boden begegneten. Indessen bemerkte Ludwig doch mit großer Unruhe, daß der Herzog mehrere jener vornehmen, französischen Edelleute, die seine eigene Strenge oder Ungerechtigkeit aus Frankreich vertrieben hatte, in ansehnlichen und wichtigen Aemtern um sich hatte; und es geschah bloß, um sich vor den möglichen Folgen ihres Unwillens und ihrer Rache zu sichern, daß er, wie schon bemerkt worden, sich ausbat, in dem Schlosse oder der Zitadelle von Peronne und nicht in der Stadt wohnen zu dürfen, worein der Herzog ohne Bedenken willigte.

Als aber der König behutsam die Frage stellte, ob die schottischen Bogenschützen seiner Leibwache während seines Aufenthalts in dem Schlosse zu Peronne, statt des Stadttores, wie der Herzog selbst, angeboten hatte, das Schloß bewachen könnten, versetzte Karl in seinem gewohnten ernsten Tone und auf die absprechende Weise, die noch beunruhigender wurde durch seine Gewohnheit, während des Sprechens entweder seinen Knebelbart zu streichen oder mit seinem Schwerte und Dolche zu spielen: »Heiliger Martin! nein, mein Lehnsherr, das geht nicht an, Ihr seid im Lager und in der Stadt Euers Vasallen – so nennen mich die Leute in Beziehung auf Ew. Majestät – mein Schloß, meine Stadt und meine Leute sind Euer; es ist also gleichgültig, ob sie oder Eure schottischen Bogenschützen das Stadttor oder die Verteidigungswerke des Schlosses bewachen.

– Nein, beim heiligen Georg! Peronne ist eine jungfräuliche Festung und soll ihren Ruf nicht durch eine Nachlässigkeit von meiner Seite verlieren. Man muß auf Jungfrauen ein wachsames Auge haben, mein königlicher Vetter, wenn sie anders ihren guten Ruf behalten sollen.« – »Ganz richtig, guter Vetter, darin bin ich völlig Eurer Meinung,« sagte der König, »da mich der gute Ruf der kleinen Stadt noch näher angeht als Euch – denn Peronne ist, wie Ihr wißt, lieber Vetter, eine der Städte an der Somme, die Eurem Vater, seligen Andenkens, für ein Darlehen verpfändet wurde, und kann mithin wieder eingelöst werden; und um offen mit Euch zu reden, lieber Vetter, ich komme wie ein ehrlicher Schuldner, geneigt, meine Verbindlichkeit jeder Art zu erfüllen, und habe zu dem Ende einige Maultiere mit Silber zur Einlösung mitgebracht – es wird wahrscheinlich hinreichend sein, Euren fürstlichen und königlichen Haushalt, mein guter Vetter, auf mehr denn drei Jahre zu unterhalten.« – »Nicht einen Pfennig nehm' ich davon an,« entgegnete der Herzog, seinen Knebelbart streichend, »der Tag der Einlösung ist verstrichen, mein königlicher Vetter; auch war es wohl nie ernstlich die Absicht, das dieses Recht ausgeübt werden sollte; denn diese Städte waren die einzige Entschädigung, die mein Vater dafür empfing, daß er sich in einer für Frankreich glücklichen Stunde gefallen ließ, die Ermordung meines Großvaters zu vergessen, statt mit England sich mit Eurem Vater zu verbinden. Heiliger Georg! Hatte er das nicht getan, so würde Ew. Majestät selbst, weit entfernt, Städte an der Somme zu besitzen, kaum noch die jenseits der Loire haben behaupten können. Nein, nein! – keinen Stein davon werde ich zurückgeben, und sollte mir auch jeder davon mit Gold aufgewogen werden.«

»Gut, lieber Vetter,« antwortete der König in demselben ruhigen und sanften Tone wie zuvor, und ohne durch die lauten, heftigen Aeußerungen des Herzogs beunruhigt zu werden; »ich sehe, Ihr seid ein so guter Freund von Frankreich, daß Ihr Euch nur ungern von etwas ihm angehörigen trennen mögt; allein wir werden eines Vermittlers in dieser Angelegenheit bedürfen, wenn wir sie im Staatsrate verhandeln wollen. Was sagt Ihr zu St. Paul?« – »Weder St. Paul noch St. Peter, noch irgend ein Heiliger in dem Kalender,« versetzte der Herzog von Burgund, »soll mich aus dem Besitz von Peronne herauspredigen.« – »Nein, Ihr versteht mich falsch,« sprach König Ludwig lächelnd; »ich meine Ludwig von Luxemburg, unsern treuen Connetable, den Grafen von St. Paul. Ach, heilige Maria von Embrun! wir bedürfen bloß seines Kopfes bei unserer Konferenz! Der ist der beste Kopf in Frankreich und würde zur Herstellung vollkommener Einigkeit zwischen uns sehr viel beitragen können.« – »Beim heiligen Georg von Burgund!« sagte der Herzog. »Ich wundere mich, Ew. Majestät so von einem Manne reden zu hören, der sich sowohl an Frankreich als Burgund falsch und treulos bewiesen, einem Manne, der stets bemüht war, unsere häufigen Mißhelligkeiten zur Flamme anzufachen und zwar in der Absicht, sich das Ansehen eines Vermittlers zu geben. Aber ich schwöre es bei dem Orden, den ich trage, daß seine Sümpfe ihn nicht länger schützen sollen.« – »Nicht so hitzig, Vetter,« sagte der König lächelnd und mit halblauter Stimme, »wenn ich den Kopf des Connetable wünschte, als ein Mittel, unsere unbedeutenden Zwistigkeiten auszugleichen, so erstreckte sich dieser Wunsch nicht auf seinen Leib; der könnte füglich in St. Quentin bleiben.« – »Ho! ho! jetzt verstehe ich Euch, mein königlicher Vetter,« sagte Karl mit demselben mißtönenden Lachen, das ihm einige von des Königs derben Späßen abgenötigt hatten. »Ich gestehe,« fügte er hinzu, indem er mit der Ferse auf den Boden stampfte, »in diesem Sinne möchte der Kopf des Connetable zu Peronne recht nützlich sein!«

Diese und andere Gespräche, in denen der König Winke über ernsthafte Angelegenheiten unter scherzhafte und unterhaltende Reden zu mischen wußte, folgten nicht ununterbrochen aufeinander, sondern sie wurden während des Banketts auf dem Stadthause und während einer Zusammenkunft in des Herzogs Zimmer geführt, sowie die Gelegenheit sie gerade zur Sprache brachte. So unbesonnen sich aber auch Ludwig in eine Lage versetzt hatte, die des Herzogs ungestüme Gemütsart und die zwischen beiden herrschende eingewurzelte Feindschaft bedenklich und gefahrvoll machte, so benahm sich vielleicht noch nie ein Steuermann an einer unbekannten Küste mit größerer Klugheit und Festigkeit. Mit der größten Gewandtheit und Bestimmtheit schien er die Tiefen und Untiefen in dem Charakter und der Gemütsart seines Nebenbuhlers zu sondieren, und er legte weder Zweifel noch Furcht an den Tag, wenn ihn seine Beobachtungen nur unter der Wasserfläche versunkene Felsen und gefährliche Klippen statt Ankergrund entdecken ließen.

So endete ein Tag, der für Ludwig wegen der unausgesetzten Anstrengung, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, die seine Lage erforderte, ebenso ermüdend gewesen sein mußte, wie für den Herzog, der sich genötigt sah, die heftigen Empfindungen zu unterdrücken, denen er gewöhnlich freien Lauf ließ. Der letztere hatte kaum nach einem förmlichen Abschied sich für diese Nacht von dem Könige beurlaubt und in sein eigenes Gemach zurückgezogen, als er seinen lange unterdrückten Leidenschaften gründlich Luft machte und, wie sein Hofnarr, le Glorieux, sagte, manche Flüche und manches schimpfliche Beiwort diese Nacht Leuten an den Kopf warf, für die sie nicht gemünzt waren. Diese Späße hatten indes die Wirkung, den Zorn des Herzogs zu besänftigen. Er lachte laut, warf dem Narren ein Goldstück hin, ließ sich ruhig entkleiden, leerte einen großen Becher gewürzten Weins, ging zu Bette und fiel in einen festen Schlaf.

Ludwig wurde durch die Kämmerlinge des Herzogs nach der von ihm selbst gewählten Wohnung im Schlosse Peronne geführt und am Eingänge derselben von einer starken Wache von Bogenschützen und andrer Bewaffneten empfangen. Als er vom Pferde stieg, um auf einer Zugbrücke über einen Graben von ungewöhnlicher Breite und Tiefe zu gehen, sah er die Schildwachen an und äußerte zu Argenton, der ihn mit andern burgundischen Edeln begleitete: »Sie tragen Andreaskreuze, aber nicht die meiner schottischen Bogenschützen.« – »Ihr werdet sie ebenso bereit finden, in Eurer Verteidigung das Leben zu lassen, Sire,« sagte Argenton, dessen feines Ohr in dem Tone der Rede des Königs den Ausdruck eines Gefühls entdeckte, den Ludwig gewiß nur ungern hatte merken lassen. »Sie tragen Andreaskreuze als Zubehör zu der Kette vom goldenen Vließe, dem Orden meines Herrn, des Herzogs von Burgund.« – »Nun, das weiß ich!« sagte Ludwig, auf die Ordenskette zeigend, die er selbst aus Artigkeit gegen seinen Wirt trug; »es ist eines von den teuren Banden der Brüderlichkeit, die zwischen mir und meinem geliebten Bruder bestehen. Wir sind nämlich Brüder im Rittertume, wie in geistlicher Verwandtschaft, Vettern durch Geburt, und Freunde durch jedes Band wohlwollender Gefühle und guter Nachbarschaft. Nicht weiter, als bis in den Vorhof, meine edeln Herren! Ich kann Eure Begleitung nicht weiter annehmen, Ihr habt mir Ehre genug erwiesen.« – »Wir sind vom Herzog beauftragt,« sagte Hymbercourt, »Ew. Majestät nach Eurer Wohnung zu begleiten. Wir hoffen, Ew. Majestät werde uns erlauben, unseres Gebieters Befehle zu vollziehen.« – »In dieser unwichtigen Angelegenheit,« entgegnete der König, »werdet Ihr, unbeschadet Eurer Untertanenpflicht, zugeben, daß mein Befehl den seinigen überwiegt. Ich fühle mich etwas unwohl, meine Herren. Große Freude hat ihre Beschwerden, wie großes Leiden. Morgen, hoff ich, eure Gesellschaft besser genießen zu können, insbesondere die Eurige, Herr Philipp von Argenton. Ihr seid, wie man mir sagte, der Annalist unserer Zeiten. Wir, die wir einen Namen in der Geschichte zu haben wünschen, müssen Euch also gute Worte geben; denn man sagt, Eure Feder habe mitunter eine scharfe Spitze. Gute Nacht denn, meine Herren und Ritter, euch allen samt und sonders!«

Die burgundischen Edelleute entfernten sich, erfreut über das leutselige Benehmen Ludwigs. Der König blieb nun allein mit einigen persönlichen Begleitern unter dem Bogengänge des Vorhofes zum Schlosse von Peronne und blickte empor zu dem ungeheuren Turme, der eine der Ecken des Gebäudes einnahm und zum Hauptverließe des Platzes diente. Dieses hohe, düstere und schwerfällige Gebäude hatte Mauern von furchtbarer Dicke, die Fenster waren klein und mit Eisengittern versehen, und die ungeheure plumpe Masse warf einen düstern starken Schatten über den ganzen Hofraum hin. »Da soll ich doch nicht wohnen?« sagte der König mit einem Schauder, der etwas Ahnungsvolles hatte. – »Nein!« erwiderte der grauköpfige Seneschall, der ihn mit entblößtem Haupte begleitete, »Gott behüte, Ew. Majestät Gemächer sind in den niedlichen Gebäuden dicht daneben hergerichtet. Es sind dieselben, wo König Johann zwei Nächte vor der Schlacht von Poitiers schlief.« – »Hm, das ist eben keine glückliche Vorbedeutung!« murmelte der König vor sich hin, »aber was hat es denn mit dem Turme für eine Bewandtnis, alter Freund? Warum bittet Ihr den Himmel, daß ich hier nicht wohnen möge?« – »Je nun, gnädiger Herr,« erwiderte der Seneschall, »ich weiß eigentlich nichts Böses von dem Turme zu sagen; nur versichern die Schildwachen, man sehe darin nachts Licht und höre ein sonderbares Geräusch. Der Grund davon ließe sich wohl erklären, denn er diente vor Zeiten zu einem Staatsgefängnisse, und es laufen allerlei Sagen umher, die darin vorgefallen sind.«

Ludwig mochte nicht weiter fragen, denn niemand hatte stärkere Ursache als er, die Geheimnisse eines Gefängnisses zu achten. An der Tür der zu seinem Gebrauche bestimmten Gemächer, die, wenngleich neuer als der Turm, immer noch alt und düster genug waren, stand ein kleiner Posten seiner eignen Leibwache, ihren alten treuen Befehlshaber an der Spitze.

»Crawford!« sprach der König, »wo hast Du denn heute verweilt? Sind die edlen Herren von Burgund so ungastlich, daß sie einen der wackersten und edelsten Ritter, die jemals einen Hof betraten, so sehr vernachlässigen konnten? Ich sah Euch ja nicht bei dem Bankett.«

»Ich vermied es absichtlich, mein Gebieter,« sagte Crawford. »Es gab eine Zeit, wo ich es wagen durfte, mit dem besten Manne von Burgund um die Wette zu zechen, aber jetzt steigen mir schon vier Pinten zu Kopfe, und ich glaube, Ew. Majestät Dienste erfordern es, daß ich meinen Leuten ein Beispiel gebe.« – »Du bist immer sehr vorsichtig,« sagte der König. »Hier hast Du jedoch nicht viel zu tun, da Du nur so wenige Leute zu befehligen hast, und dann sind wir doch hier, um zu feiern, nicht aber zu kämpfen.« – »Je weniger Leute ich zu befehligen habe,« entgegnete Crawford, »desto mehr hab' ich es nötig, die Burschen in gehöriger Ordnung zu erhalten, und ob dies alles am Ende auf Festlichkeiten oder auf ernsthaften Kampf hinauslaufen wird, das weiß Gott und Ew. Majestät besser als der alte Johann Crawford.« – »Ihr fürchtet doch nicht etwa Gefahr?« fragte der König hastig, aber leise. – »Das eben nicht,« antwortete Crawford, »aber ich wollte, ich tät's; denn gegen Gefahren, die man ahnt, kann man sich schützen. Die Parole für die Nacht, wenn Ew. Majestät geruhen wollen.« – »Burgund! zur Ehre unseres Wirtes und eines Trunks, dem Ihr nicht abhold seid, Crawford!« – »Ich habe weder gegen den Herzog noch gegen seinen Wein was einzuwenden,« sagte Crawford, »vorausgesetzt, daß beide echt und rein sind. Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht.« – »Gute Nacht, mein ehrlicher Schotte,« sagte der König und begab sich in seine Gemächer. An der Tür seines Schlafzimmers stand Balafré Schildwache. »Folgt mir,« sagte der König im Vorübergehen, und der Bogenschütze schritt gleich einer Maschine, die der Künstler in Bewegung setzt, hinter ihm in das Zimmer und harrte dort schweigend und bewegungslos der Befehle des Königs.

»Habt Ihr von dem irrenden Paladin, Eurem Neffen, etwas gehört?« fragte der König, »er ist uns verloren gegangen, seitdem er uns wie ein junger Ritter, der auf sein erstes Abenteuer auszieht, zwei Gefangene als die ersten Früchte seiner Ritterlichkeit heimgesandt hat.« – »Ich hörte etwas von der Sache, gnädigster Herr,« sprach Balafré, »und Ew. Majestät wird hoffentlich überzeugt sein, daß, wenn er unrecht gehandelt hat, meine Gebote und Beispiel auf keine Weise daran schuld sind; denn ich bin nie ein so kühner Esel gewesen, irgend ein Mitglied Eures erlauchten Hauses vom Pferde zu stechen; da kannte ich meine Verhältnisse besser – und –«

»Schweigt über diesen Punkt,« versetzte der König; »Euer Neffe hat in der Sache seine Schuldigkeit getan.« – »Das hat er von mir,« fuhr Balafré fort. »Quentin, sagte ich zu ihm, wie es auch kommen mag, bedenke, daß Du zu der schottischen Schützenwache gehörst, und tue Deine Schuldigkeit, es komme, wie es wolle.« – »Ich zweifle nicht, daß er an Euch einen trefflichen Lehrmeister gehabt haben wird,« sprach Ludwig; »aber jetzt beantwortet mir vor allen Dingen meine Frage. Habt Ihr kürzlich von Eurem Neffen etwas gehört? Tretet zurück, meine Herren,« fügte er, an seine Hofleute sich wendend, hinzu, »denn dies gehört nur für meine Ohren.« – »Allerdings, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten wollen,« erwiderte Balafré, »erst diesen Abend noch sprach ich den Reitknecht Charlot, den mein Neffe von Lüttich oder einem nahe dabei gelegenen Schlosse des Bischofs absandte, wohin er die Gräfinnen von Croye in Sicherheit gebracht hatte.«

»Nun, unsere liebe Frau sei dafür gepriesen!« rief der König aus; »bist Du aber auch Deiner Sache gewiß? Sind diese guten Nachrichten auch zuverlässig?« – »So sicher wie nur irgend etwas in der Welt!« sprach Balafré »der Bursche hat, denk' ich, von den Gräfinnen Briefe an Ew. Majestät.« – »Hol' mir sie eilig herbei,« sagte der König. »Gib Dein Gewehr einem von diesen Leuten da, Oliver, oder einem andern. Nun, unsere liebe Frau von Embrun sei gepriesen und der Schrein um ihren Hochaltar soll ganz von Silber werden!«

In dieser Anwandlung von Dankbarkeit und Frömmigkeit nahm Ludwig wie gewöhnlich den Hut ab, wählte aus den Bilderchen, womit dieser besetzt war, sein Lieblingsbild, die heilige Jungfrau, stellte es auf einen Tisch, kniete nieder und wiederholte ehrfurchtsvoll das soeben getane Gelübde.

Der Reitknecht, der erste Bote, den Durward von Schönwald abgesandt hatte, wurde nun mit den Briefen hereingeführt, die von den Damen von Croye an den König gerichtet waren. Sie dankten ihm darin in ziemlich kalten Ausdrücken für die Artigkeit, die er ihnen bewiesen hatte, und etwas wärmer für die Erlaubnis, in Sicherheit sein Gebiet wieder verlassen zu dürfen; – Ausdrücke, über die Ludwig herzlich lachte, statt darüber in Zorn zu geraten. Er fragte darauf Charlot mit sichtbarer Teilnahme, ob sie auf ihrer Reise nicht beunruhigt oder angegriffen worden seien. Charlot, ein einfältiger Mensch, und eben deswegen vom Könige hierzu ausersehen, gab einen sehr verwirrten Bericht über den Kampf, worin sein Gefährte, der Gaskogner, getötet worden war; weiter wußte er nichts. Ludwig fragte ihn nun genau und umständlich über den Weg, den die Reisegesellschaft nach Lüttich genommen, und schien sehr vielen Anteil zu nehmen, als er erfuhr, daß sie in der Nähe von Namur die gerade Straße nach Lüttich am rechten Ufer der Maas, statt auf dem linken, wie ihnen vorgeschrieben war, eingeschlagen hätten. Der König ließ sodann dem Boten ein kleines Geschenk geben und entließ ihn, indem er sich stellte, als habe seine ängstliche Besorgnis bloß die Sicherheit der Gräfinnen von Croye zum Gegenstände gehabt.

Ludwig atmete tief auf, wie jemand, dessen Brust von einer schweren Last befreit ist, murmelte mit frommer Miene inbrünstig Dankgebete, schlug die Augen gen Himmel und entwarf in Eile neue ehrsüchtige Pläne. Dann ließ er seinen Sterndeuter Martius Galeotti rufen, der mit seiner gewöhnlichen, würdevollen Miene, jedoch nicht ohne eine gewisse Aengstlichkeit auf seinem Gesichte, als habe er sich keines ganz guten Empfanges von seiten des Königs zu versehen, in das Gemach trat. Ludwig war indes sehr gnädig, ja benahm sich wärmer als je, nannte ihn seinen Freund und väterlichen Lehrer und schob ihm zu guter Letzt einen Ring von beträchtlichem Werte an den Finger. Galeotti, unkundig der Tatsachen, die ihn so schnell in Ludwigs Achtung gehoben hatten, verstand sein Gewerbe jedoch zu gut, als daß er diese Ungewißheit hätte merken lassen. Er nahm mit würdevoller Bescheidenheit die Lobsprüche Ludwigs an, die, wie er sagte, einzig nur dem Adel der Wissenschaft, die er ausübe, gebührten, einer Wissenschaft, die umso mehr Bewunderung verdiene, da sie durch ein so schwaches Werkzeug, wie er, solche Wunder wirke. Hierauf trennte sich der König von ihm, und beide waren diesmal sehr miteinander zufrieden.

Kaum war der Astrolog fort, als sich Ludwig in einen Sessel warf. Er schien sehr erschöpft und entlieh seine übrige Dienerschaft, Oliver ausgenommen, der mit dienstfertiger Geschäftigkeit und geräuschlosem Tritte umherschlich und ihm bei den Vorbereitungen zur Nachtruhe behilflich war. Der König war gegen seine Gewohnheit so still und untätig, daß seinem Diener diese ungewöhnliche Veränderung in seinem Benehmen höchst auffallend war. Die schlechtesten Menschen haben oft eine gute Seite; Banditen sind ihrem Hauptmann treu ergeben, und auch ein Beschützer und beförderter Günstling hat mitunter einen Funken wahrhafter Teilnahme für den Fürsten empfunden, dem er seine Größe verdankt. Oliver le Diable war indessen kein so vollkommener Satan, daß er nicht die Anwandlung von Dankbarkeit gegen seinen Herrn in dieser besonderen Lage gefühlt hätte, wo, wie es schien, sein Schicksal eine sehr bedeutende Wendung nahm, und seine Kraft derselben zu unterliegen schien. Nachdem er eine kurze Zeit bei dem Könige seine gewöhnlichen Dienste als Kammerdiener verrichtet hatte, fühlte er sich endlich versucht, mit der Freimütigkeit, die ihm die Nachsicht seines Gebieters unter ähnlichen Umständen gestattete, zu sagen: »Sapperment, Sire, Ihr tut ja, als ob Ihr eine Schlacht verloren hättet, und dennoch sah ich Euch nie ein Schlachtfeld so tapfer behaupten wie heute früh.« – »Ein Schlachtfeld?« rief Ludwig, aufblickend, mit seiner gewohnten beißenden Schärfe im Tone. »Freund Oliver, sage lieber, ich habe in einem Stiergefechte den Kampfplatz behauptet; denn ein blinderes, verstockteres, unlenksameres Tier als unsern Vetter von Burgund hat es wohl noch nie gegeben. Nun, sei es! ich bin ihm tüchtig zu Leibe gegangen Aber, Oliver, freue Dich mit mir, daß meine Pläne in Flandern nicht in Erfüllung gegangen sind, weder in Beziehung auf die zwei umherirrenden Prinzessinnen von Croye, noch auch in Lüttich – Du verstehst mich schon.« – »In Wahrheit, ich verstehe Euch nicht, Sire,« versetzte Oliver; »ich kann Ew. Majestät unmöglich zum Mißlingen Eurer Lieblingspläne Glück wünschen, wenn Ihr mir nicht einen Grund für die Veränderung Eurer Wünsche und Ansichten angebt.« – »Nun,« erwiderte der König, »im allgemeinen betrachtet, ist weder in diesen noch in jenen eine Veränderung vorgegangen; aber, mein Freund! heute habe ich den Herzog Karl näher kennen gelernt, als ich ihn bisher kannte. Als er noch Graf von Charleroi war, zur Zeit des alten Philipps, seines Vaters und meiner Verbannung, da tranken, jagten, schwärmten wir zusammen und hatten manches lustige Abenteuer; damals hatte ich ein entschiedenes Uebergewicht über ihn, wie es immer der stärkere Geist über den schwächeren behauptet, aber er hat sich seit der Zeit bedeutend geändert – ist ein sauertöpfischer, anmaßender, streitsüchtiger Mensch geworden, der den sichtlichen Hang hat, alles aufs äußerste zu treiben, wenn er das Spiel in den Händen zu haben glaubt. Ich mußte so behutsam jeden mißfälligen Gegenstand zu vermeiden suchen, als ob ich ein glühendes Eisen zu berühren hätte; ich ließ nur einen Wink über die Möglichkeit fallen, daß diese irrenden Gräfinnen von Croye, ehe sie Lüttich erreichten (denn dorthin gestand ich offen, wären sie nach meinem besten Wissen gegangen), in die Hände irgend eines wilden Schnapphahns auf der Grenze gefallen sein könnten, und man hätte glauben sollen, ich hätte eine Gotteslästerung ausgestoßen, so wild wurde er, und keinen Heller hätte ich für meinen Kopf hergeben mögen, wenn in diesem Augenblick die Kunde gekommen wäre, daß Deinem Freund Wilhelm mit dem Barte Dein sauberes Projektchen, seine Umstände durch eine Heirat zu verbessern, gelungen sei.«

»Nicht, mein Freund, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten will,« sagte Oliver, »weder der Freund noch der Plan sind mein.« – »Ganz richtig, Oliver,« antwortete der König, »Dein Plan ging freilich dahin, einen solchen Bräutigam hübsch ordentlich zu barbieren; auch fiel Deine Wahl auf keinen bessern, als auf Dich selbst. Indessen, Oliver, glücklich ist der zu preisen, der sie nicht bekommt! denn hängen, rädern, vierteilen – war noch das gelindeste, was unser guter Vater demjenigen zudachte, der die junge Gräfin, seine Vasallin, ohne seine herzogliche Einwilligung heiraten würde.« – »Und ohne Zweifel ist er ebenso eifersüchtig auf Unruhen, die in der guten Stadt Lüttich entstehen könnten?« fragte der Günstling. – »Allerdings, und noch mehr, als Du Dir vielleicht einbildest, Oliver; allem, seit ich mich entschlossen habe, hierher zu kommen, sind meine Boten in Lüttich gewesen, um für den Augenblick wenigstens jede Regung zur Empörung zu unterdrücken, und meine rastlosen unruhigen Freunde, Ruslaer und Pavillon, haben Befehl erhalten, bis die Zusammenkunft zwischen meinem Vetter und mir glücklich vorüber ist, sich mäuschenstill zu verhalten.« – »Nach Ew. Majestät Reden zu schließen,« sagte Oliver trocken, »wäre also das höchste, das sich von dieser Zusammenkunft hoffen ließe, daß Euer Zustand dadurch nicht verschlimmert würde? Das ist ja ungefähr wie beim Kranich, der seinen Kopf in des Fuchses Hals steckte und von Glück sagen durfte, daß er ihm vom Fuchse nicht abgebissen wurde; und doch schien Ew. Majestät soeben von dem weisen Philosophen ungemein verpflichtet, daß er Euch aufmunterte, ein hoffnungsvolles Spiel zu übernehmen.« – »Man muß an keinem Spiel verzweifeln,« versetzte der König mit scharfem Tone, »als bis es ganz verloren ist, und ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß dies bei mir der Fall sein werde. Im Gegenteil, wenn nichts eintritt, wodurch die Wut dieses rachsüchtigen Tollhäuslers angefacht wird, so bin ich meines Sieges gewiß, und in der Tat bin ich dem Einfall nicht wenig Dank schuldig, zum Führer der Gräfinnen von Croye einen jungen Mann zu wählen, dessen Horoskop mit dem meinigen insofern übereinstimmte, als er selbst durch Ungehorsam gegen meine Befehle, indem er einen Weg einschlug, auf dem er Wilhelms Hinterhalt entgehen mußte, mich von der Gefahr befreite.« – »Ew. Majestät,« sagte Oliver, »wird Agenten genug finden, die Euch unter diesen Bedingungen dienen mögen.« – »Ja, ja, Oliver,« sagte Ludwig ungeduldig, »zwar sah ich nicht das Mißlingen von Wilhelms Unternehmen voraus, wohl aber, daß die Sendung jenes schottischen Bogenschützen glücklich für mich enden würde. Doch warum spreche ich über die Geheimnisse mit Dir, Oliver? denn Du bist insofern noch ärger als der Teufel, Dein Namensbruder, als der doch glaubt und zittert; Du aber bist ein Ungläubiger sowohl in Hinsicht der Religion als der Wissenschaft, und wirst es auch bleiben, bis sich Dein Geschick, wie Dein Horoskop und Deine Gesichtszüge mich lehren, am Galgen erfülle.« – »Und wenn es wirklich so sein soll,« erwiderte Oliver im Tone der Ergebung, »so würde es deswegen geschehen, weil ich ein zu dankbarer Diener war, um die Befehle meines königlichen Gebieters unvollstreckt zu lassen.«

Ludwig brach in sein gewöhnliches, sardonisches Lachen aus: »Du hast Deine Lanze ritterlich mit mir gebrochen, Oliver; und bei unserer lieben Frau, Du warst befugt dazu, denn ich forderte Dich heraus. Aber ich bitte Dich, sage mir ernstlich, entdeckst Du in den Maßregeln dieser Leute gegen uns etwas, woraus man auf böse Absichten schließen könnte?« – »Mein Gebieter,« erwiderte Oliver, »Ew. Majestät sowie jener gelehrte Philosoph, lesen die Zukunft in den Sternen und in den Zeichen des Himmels. Ich meinerseits bin nur ein elender Erdenwurm und betrachte bloß die Dinge, die mit meinem Berufe in Verbindung stehen, aber mir deucht, ich bemerke, daß man es hier an jener emsigen und sorgfältigen Aufmerksamkeit für Ew. Majestät fehlen läßt, die man sonst einem willkommenen Gaste bezeugt, der von einem so erhabenen Range ist wie Ew. Majestät. Der Herzog schützte diesen Abend Müdigkeit vor, begleitete Ew. Majestät nicht weiter als bis auf die Straße und überließ es seinen Hofbeamten, Euch nach Eurer Wohnung zu bringen. Diese Zimmer sind in Eile und höchst oberflächlich hergerichtet; die Tapeten hängen schief und auf einer derselben stehen, wie Ihr bemerken könnt, die Figuren auf den Köpfen, indes die Wurzeln der Bäume nach oben wachsen.« – »Pah! bloßer Zufall,« sagte der König; »wann hast Du gesehen, daß ich mir aus solchen Kleinigkeiten je etwas gemacht hätte?« – »An und für sich,« sagte Oliver, »sind sie freilich nicht beachtenswert, aber sie deuten doch wenigstens den Grad von Achtung an, in welchem nach der Meinung der Hofbeamten Ew. Majestät bei dem Herzog steht. Glaubt mir, wär's sein aufrichtiger Wunsch gewesen, daß es Eurer Aufnahme in keiner Hinsicht an etwas fehlen solle, so würde dies Volk in Minuten getan haben, was sonst das Werk von Tagen ist, – und wann,« setzte er, auf das Waschbecken und die Gießkanne deutend, hinzu, »waren die Gerätschaften auf Ew. Majestät Nachttische von anderm Metall als von Silber?« –

»Nun, diese letzte Bemerkung, Oliver,« sagte der König mit erzwungenem Lächeln, »steht in zu genauer Verbindung mit Deiner eigenen besonderen Beschäftigung, als daß sie jemand bestreiten sollte. – Wahr ist es, als ich nur ein Flüchtling und Verbannter war, sah ich auf Befehl des nämlichen Herzogs kein anderes als goldenes Geschirr, weil er Silber für den Dauphin von Frankreich zu schlecht achtete, und jetzt scheint es, daß er Silber zu kostbar für den König von Frankreich hält. – Wir gehen zu Bett, Oliver! Unser Entschluß ist einmal gefaßt und ausgeführt, und es bleibt uns nichts mehr übrig, als das Spiel mannhaft durchzuspielen, in das wir uns eingelassen haben. Ich weiß, mein Vetter von Burgund schließt, wie andere wilde Stiere, die Augen, wenn er Anlauf nimmt; ich brauche nur gleich den Stierkämpfern, die wir zu Burgos sahen, diesen Augenblick zu erspähen, und sein Ungestüm muß ihn mir in die Hände liefern.«

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