»Wie denn, meine manierliche Jungfer Margery,« sagte die unverbesserliche Gillian, »ist Euch das Herz so hoch gewachsen, weil Ihr unsre junge Lady vor fünfzehn Jahren auf dem Knie geschaukelt habt? – Laßt mich Euch sagen, die Katze findet schon ihren Weg zur Sahne, und wäre sie auch in dem Schoß einer Aebtissin aufgepflegt.«

»Nach Hause, Frau! Nach Hause!« rief ihr Mann aus, der alte Jäger, welcher jetzt dieser öffentlichen Ausstellung seines häßlichen Zankteufels müde war, »nach Hause, oder ich will Dir meine Hundepeitsche zu kosten geben – da ist der Beichtvater und Wilkin Flammock, sie wundern sich über Deine Unverschämtheit.«

»Wahrlich,« antwortete Gillian, »und sind nicht zwei Narren genug zum Verwundern, daß Ihr noch mit Eurer groben Hirnschale dazu kommt, um die Zahl drei voll zu machen?«

Ein allgemeines Gelächter entstand auf Kosten des Jägers, während desselben er kläglich seine Frau abführte, ohne sich darauf einzulassen, den Zungenkampf fortzusetzen, in welchen sie eine so entschiedene Uebermacht bewiesen hatte.

Dieser Zwist, so leicht ist der Wechsel im menschlichen Gemüte, besonders in der niedern Klasse, erweckte Ausbrüche der tollsten Lust unter Geschöpfen, welche soeben noch im Rachen der Gefahr, ja der gänzlichen Verzweiflung sich befanden.

Zehntes Kapitel

Während all dieses im Schloßhofe vorging, erhielt der junge Squire Damian Lacy Zutritt zu Eveline Berenger, wie er erbeten hatte. Sie empfing ihn in der großen Halle des Schlosses, sitzend unter dem Thronhimmel oder Baldachin, von Rosa und andern weiblichen Dienerinnen umgeben, von welchen jedoch die erstere allein das Recht hatte, sich eines Taburetts oder eines kleinen Stuhls in ihrer Gegenwart zu bedienen; so genau behaupteten die normannischen Jungfrauen vom Stande ihre Rechte auf hohen Rang und gewisse Observanzen dabei.

Der Jüngling ward von dem Beichtiger und Flammock eingeführt, da die geistliche Würde des einen und das Amt, welches ihr verstorbener Vater dem andern anvertraut hatte, sie berechtigte, bei dieser Gelegenheit gegenwärtig zu sein. Sehr natürlich errötete Eveline, als sie zwei Schritt vortrat, den schönen jugendlichen Abgesandten zu empfangen; und ansteckend schien ihre Beschämtheit, denn auch bei Damian geschah es nicht ohne Verwirrung, bah er nach Gebrauch ihre Hand küßte, welche sie als Zeichen des Willkommens ihm entgegenstreckte. Es war notwendig, daß Eveline zuerst sprach.

»Wir kommen Euch so weit entgegen, als unsere Grenzen es erlauben,« sagte sie, »mit unserm Dank den Boten zu begrüßen, welcher uns die Kunde von unserer Rettung bringt. Wir sprechen, wenn wir uns nicht irren, zu dem edlen Damian von Lacy?«

»Zu den demütigsten unter Euren Dienern,« antwortete Damian, nur mit Mühe den höfischen Ton annehmend, den sein Auftrag und jetziges Amt erforderte, »der sich Euch nahet im Auftrag seines edlen Oheims, Hugo de Lacy, Connetable von Chester.«

»Wird unser edler Befreier nicht in Person mit seiner Gegenwart den armen Ort beehren, den er gerettet hat?«

»Mein edler Verwandter,« antwortete Damian, »ist jetzt Gottes Söldner und ist jetzt durch ein Gelübde verpflichtet, nicht unter ein Dach zu kommen, bevor er sich zum heiligen Lande einschifft. Durch meine Stimme wünscht er Euch Glück zur Niederlage Eurer wilden Feinde, und sendet Euch diese Zeichen, daß die Gefährten und Freunde Eures edlen Vaters seinen beklagenswerten Tod nicht viele Stunden ungerächt gelassen.« Mit diesen Worten zog er die goldenen Armbänder und den Endorchawy oder die Kette von goldenen Ringen hervor, welche den Rang des Walliser Fürsten bezeichnet hatte, und legte sie vor Evelinen hin.

»So ist Gwenwyn gefallen?« sagte Eveline und ein natürlicher Schauder kämpfte mit ihr mit dem Gefühl der befriedigten Rache, als sie bemerkte, daß diese Trophäen mit Blut bespritzt waren – »der Mörder meines Vaters ist nicht mehr!«

»Meines Verwandten Lanze durchbohrte den Briten, als er bemüht war, sein fliehendes Volk zu sammeln. – Er starb gräßlich unter der Waffe, welche mehr als eines Armes Länge durch seinen Körper gedrungen war, und wandte noch seine letzte Kraft Zu einem wütenden, aber wirksamen Streich mit seiner Keule an.«

»Der Himmel ist gerecht,« sagte Eveline, »mögen die Sünden dem Manne des Bluts vergeben sein, da er gefallen ist durch einen so blutigen Tod, – Eine Frage möchte ich Euch vorlegen, edler Herr! – Meines Vaters Gebeine –-« Sie hielt inne, unfähig, fortzufahren.

»Die nächste Stunde wird sie Eurer Verfügung anheimstellen, sehr verehrte Lady,« sagte der Squire in dem Tone des innigen Mitgefühls, welchen der Kummer einer so jungen und schönen Waise unwiderstehlich in ihm hervorrief – »Vorbereitungen, wie sie die Zeit erlaubt, wurden eben, als ich das Heer verließ, gemacht, das was sterblich ist von dem edlen Berenger, von dem Felde hierher zu bringen, wo wir ihn fanden, mitten auf einem Monument von Erschlagenen, welches sein eigenes Schwert sich errichtet hatte. Meines Verwandten Gelübde erlaubt ihm nicht, durch Euer Fallgatter zu gehen, aber mit Eurer Erlaubnis werde ich, wenn Ihr es vergönnt, seine Stelle bei dieser ehrenvollen Bestattung vertreten, wie ich von ihm dazu den Auftrag erhielt,«

»Mein tapferer und edler Vater,« sagte Eveline und bemühte sich, ihre Tränen zurückzuhalten, »wird am besten durch den tapfern Squire betrauert werden.« Sie wollte fortfahren, aber die Stimme versagte ihr, und sie sah sich genötigt, sich plötzlich hinweg zu begeben, sowohl ihrem Schmerze freien Lauf zu gewähren, als auch für das Begräbnis soviel Feierlichkeiten anzuordnen, als die Umstände erlauben würden. Damian verbeugte sich vor der davonschreitenden Trauernden so demütig, als er es vor einer Gottheit getan haben würde; nun bestieg er sein Pferd und kehrte zu seines Oheims Heer, welches auf dem Schlachtfelde schnell ein Lager aufgeschlagen hatte.

Die Sonne stand nun schon hoch, und die ganze Gefahr zeigte ein Getümmel, gleich verschieden von der Einsamkeit des frühen Morgens und dem Geheul und der Wut des darauffolgenden Gefechtes. Die Nachricht von Hugo de Lacys Sieg hatte sich allenthalben mit der Schnelligkeit des Triumphes verbreitet und hatte viele von den Bewohnern der Gegend, die vor der Wut des Wolfes von Plinlimmon geflohen waren, bewogen, zu ihren verwüsteten Wohnungen zurückzukehren. Auch eine Menge von den liederlichen Herumtreibern, welche in einem Lande, das öfter Kriegeswechsel unterworfen wird, gewöhnlich im Ueberfluß vorhanden sind, hatten sich hier gesammelt, teils Beute zu machen, teils ihre rastlose Neugierde zu befriedigen. Die Juden und die Lombarden, welche Gefahr nicht achteten, wo etwas zu gewinnen war, konnte man sehen, wie sie Getränke und Waren unter den siegreichen Kriegern mit den blutgefleckten goldenen Zieraten vertauschten, die noch kurz zuvor erschlagene Briten getragen hatten. Andere machten die Mäkler zwischen den wälschen Gefangenen und denen, welche sie gefangen genommen hatten, und wo sie auf die Mittel und die Ehrlichkeit der ersten sich verlassen konnten, sagten sie gut für sie oder schossen ihnen die zu ihrer Auslösung nötigen Summen in barem Gelde vor; während ein noch größerer Teil dieser Klasse von Menschen, selbst Käufer solcher Gefangenen wurden, die sich nicht gleich imstande sahen, sich mit ihren Siegern abzufinden.

Damit ein so erworbenes Geld den Krieger nicht lange beschwerte und ihm den Mut zu ferneren Unternehmungen lähmte, waren die gewöhnlichen Mittel zur Verschwendung des im Kriege Erbeuteten auch zugleich zur Hand. Leichtfertige Dirnen, Gaukler, Taschenspieler, Minstrels, Volkssänger jeder Gattung, hatten den nächtlichen Zug begleitet, und auf den kriegerischen Ruf des weltberühmten de Lacy sich verlassend, waren sie ohne Furcht in einer kleinen Entfernung zurückgeblieben, bis die Schlacht gefochten und gewonnen war. Diese nahten sich jetzt in verschiedenen fröhlichen Gruppen, den Siegern Glück zu wünschen. Dicht an diesen Haufen, welche zum Tanze, zum Gesange, zur Erzählung auf dem noch immer blutigen Felde Anstalt machten, waren die Landleute zu der Absicht herbeigerufen, lange Gräben zu ziehen, um die Toten hineinzulegen. Aerzte sah man die Verwundeten verbinden – Mönche und Priester der Sterbenden Beichte hören – Soldaten die Körper der geehrteren Krieger unter den Erschlagenen davontragen – Landleute über ihre zerstampften Saaten und ihre ausgeplünderte Wohnung trauern – Witwen und Waisen unter den gemischten Leichnamen zweier Schlachten die Körper ihrer Männer und Väter suchen. – So mischte der Schmerz seine wildesten Töne mit denen des Jubels und Triumphes, und die Ebene von Garde Douloureuse lieferte ein wahres Bild von dem wechselvollen Labyrinth des menschlichen Lebens, wo Freude und Traurigkeit so wunderbar untereinander gemischt sind, und wo die Grenzen der Fröhlichkeit und des Vergnügens so oft die der Sorge und des Todes berühren.

Um die Mittagszeit schwieg mit einemmale alles dieses Geräusch, und die Aufmerksamkeit der Fröhlichen wie der Trauernden wurde durch den lauten und trauervollen Ton von sechs Trompeten festgehalten, welche, weitschallend, ihre durchbohrenden Tone in eine graue, melancholisch dahinsterbende Note vereinigend, allen verkündigten, die Leichenfeier des tapfern Raymond Berenger beginne nunmehr. Aus einem Zelte, welches eilig zur Aufnahme des Körpers errichtet worden war, schritten zwölf schwarze Mönche, die Bewohner eines benachbarten Klosters, paarweise hervor, angeführt von ihrem Abte, welcher ein großes Kreuz trug und die erhabenen Töne des katholischen misere me Domine! donnernd erschallen ließ. Dann erschien eine auserwählte Schar Bewaffneter, ihre Lanzen mit zur Erde gekehrter Spitze nach sich schleppend; ihnen folgte die Leiche des tapfern Berenger, gewickelt in sein eigenes ritterliches Banner, welches, aus der Hand der Wälschen wiedergewonnen, nun dem edlen Eigentümer statt des Leichentuches diente. Die tapfersten Ritter aus dem Haushalt des Connetable (denn gleich andern Großen vom Adel in dieser Periode hatte er diesen auf einen Fuß eingerichtet, der dem königlichen sich näherte) schritten als Leidtragende oder als Stützen der Leiche, welche auf Lanzen getragen wurde, einher; und der Connetable selbst, allein und in völliger Rüstung das Haupt ausgenommen, folgte als Hauptleidtragender. Eine auserwählte Schar von Schildknappen, Reisigen und Pagen edler Abkunft machte den Schluß der Prozession; während die Trommeln und Trompeten von Zeit zu Zeit den melancholischen Gesang der Mönche mit ebensolchen Trauerklängen wiederholten.

Der Freude Flug war gehemmt; aber auch die Sorge wandte sich für einen Augenblick von dem eigenen Schmerze ab, die letzten Ehrbezeigungen zu beschauen, die dem erwiesen würden, welcher während seines Lebens der Vater und Beschützer seiner Untergebenen war.

Die traurige Prozession zog sich langsam durch die Ebene, welche in wenigen Stunden der Schauplatz so ganz verschiedener Ereignisse war; nun hielt sie still vor dem äußern Tore der Barriere und lud durch einen langgedehnten feierlichen Trompetenstoß die Festung ein, die Ueberbleibsel ihres tapfern Verteidigers aufzunehmen. Die Aufforderung wurde von des Turmwächters Horn beantwortet – die Zugbrücke sank – das Fallgitter stieg – und Pater Aldrovand erschien in der Mitte des Einganges, angetan mit seinem priesterlichen Gewande, und wenige Schritt hinter ihm stand das verwaiste Fräulein, in solchen Trauerkleidern, als die kurze Zeit es zuließ, unterstützt von ihrer Dienerin Rosa, und umgeben von dem weiblichen Teil ihres Haushalts. Der Connetable von Chester machte Halt auf der Schwelle des äußern Tores, und auf das Kreuz von weißem Zeuge auf seiner linken Schulter zeigend, verneigte er sich tief und übergab seinem Neffen Damian den Auftrag, die Ueberbleibsel von Raymond Berenger zur Schloßkapelle zu begleiten. Die Krieger Hugo de Lacys, von welchen die meisten dasselbe Gelübde mit ihm getan hatten, hielten auch außerhalb des Burgtores und blieben unter den Waffen, während das Totengeläute der Schloßglocke das innere Fortschreiten des Zuges verkündigte.

Er wand sich durch die engen Eingänge, welche kunstgemäß angelegt waren, das Fortschreiten des Feindes, dem es gelungen sein sollte, das Außentor zu erstürmen, zu unterbrechen – und gelangte endlich in den großen Schloßhof, wo die meisten von den Bewohnern der Festung und die, welche unter den letzten Umständen ihre Zuflucht hierher genommen, sich aufgestellt hatten, um zum letzten Male ihren dahingeschiedenen Herrn zu sehen. Unter diese hatten sich auch viele von dem bunten Haufen draußen gemischt, welche Neugierde oder die Hoffnung einer Austeilung zum Schloßtor geführt hatte, und welche durch eine oder die andere Vorstellung von der Wache die Erlaubnis erhalten hatten, ins Innere hineinzugehen.

Die Leiche wurde vor der Tür der Kapelle, deren alter gotischer Giebel die eine Seite des Schloßhofes bildete, niedergesetzt, so lange gewisse Gebete von den Priestern hergesagt wurden, von denen man voraussetzte, daß die Menge umher mit geziemender Ehrerbietung einstimmte.

In diesem Zwischenraume geschah es, daß ein Mann, dessen Spitzbart, gestickter Gürtel und hoher grauer Filzhut ihm das Aussehen eines lombardischen Kaufmannes gaben, sich an Margery, die Amme Evelinens, wandte und ihr in einer fremden Aussprache zuflüsterte: »Ich bin ein reisender Kaufmann, gute Schwester, ich bin hierher gekommen, einen guten Handel zu machen – könnt Ihr mir nicht sagen, wo ich hier im Schlosse einen guten Kunden finde?«

»Ihr seid zu einer schlechten Zeit gekommen, Herr Fremder – Ihr könnt es ja selbst sehen, daß hier ein Ort zum Trauern und nicht zum Handeln ist.«

»Doch haben Trauerzeiten ihren eigenen Handel,« sagte der Fremde, sich noch näher an Margery andrängend und seine Stimme zu einem noch vertraulicheren Ton hinabstimmend: »ich habe schwarze Schleier aus persischer Seide – schwarze Korallen, womit eine Prinzessin einen verstorbenen Monarchen betrauern könnte – Trauerflor, wie er noch selten aus dem Morgenlande herkam – schwarzes Zeug aus Trauertapeten – alles, was Kummer, was Verehrung ausdrückte in Mode und Anzug – und ich weiß denen dankbar zu sein, die mir zu Kunden verhelfen, – Kommt, besinnt Euch, gute Dame – solche Dinge muß man ja haben. – Ich verkaufe gute Ware und so wohlfeil, wie ein andrer – und ein Mieder für Euch selbst oder, wenn's Euch lieber ist, ein Beutelchen mit fünf Florin soll der Lohn für Eure Gefälligkeit sein.«

»Ich bitte Euch, laßt mich zufrieden, Freund,« sagte Margery, »und wählt eine bessere Zeit, Eure Waren anzupreisen – Ihr überseht hier Ort und Zeit, und hört Ihr nicht auf. Euch aufzudringen, so muß ich mit denen reden, die Euch zeigen werden, wie es draußen vor dem Tore aussieht. Ich wundere mich, daß die Wächter an einem solchen Tage Hausierer einlassen. Sie würden noch an dem Sterbebette ihrer Mutter Handel treiben, glaube ich.« – Mit diesen Worten wandte sie sich verächtlich von ihm.

Während der Kaufmann so auf der einen Seite zornig abgewiesen war, fühlte er auf der andern, daß an seinem Rocke einmal über das andere Mal gezupft wurde, und als er auf dieses Zeichen sich umsah, ward er eine Frau gewahr, deren schwarzes Schleiertuch so künstlich geordnet war, einen Schein von feierlichem Ernst, leichtfertigen, lachenden Gesichtszügen zu geben, die in jüngern Jahren sehr einnehmend gewesen sein mußten, da sie noch, seitdem wenigstens vierzig Jahre über sie weggezogen sein mochten, noch manchen Reiz besaßen. Sie gab dem Kaufmanne einen Wink und berührte zugleich ihre Lippe mit dem Zeigefinger, ihm Stillschweigen und Geheimnis anzudeuten; dann schlüpfte sie aus dem großen Haufen, zog sich in einen kleinen Winkel zurück, den ein vorspringender Strebepfeiler der Kapelle bildete, gleichsam das Gedränge zu vermeiden, welches zu erwarten war, wenn die Bahre wieder aufgehoben wurde. Der Kaufmann verfehlte nicht, ihrem Beispiel zu folgen, und war bald an ihrer Seite, wo sie ihm nicht weiter Mühe machte, ihr sein Anliegen zu eröffnen, sondern die Unterredung selbst begann. »Ich habe gehört, was Ihr der Dame Margery gesagt habt – die manierliche Margery, wie ich sie nenne – wenigstens so viel gehört, daß ich das übrige erraten kann; denn ich habe ein Auge im Kopfe – dafür sage ich Euch gut.«

»Sogar ihrer zwei, meine schöne Frau, und so glänzend wie die Tautropfen eines Maimorgens.« »Ach! Ihr sagt das, weil ich geweint habe,« sagte die scharlachbestrumpfte Gillian, denn sie war die Redende. »Und ganz gewiß, ich habe auch gute Ursache dazu; denn unser Herr war immer ein sehr guter Herr, und er faßte mich zuweilen unter das Kinn und nannte mich die schelmische Gillian von Croydon – nicht, daß der gute Herr je unhöflich gewesen wäre, er warf mir wohl dabei ein paar Silberpfennige in die Hand – o, was habe ich für einen Freund verloren, und ich habe auch oft Aerger seinetwegen gehabt. Ich habe den alten Raoul sauer wie Essig gesehen, und zu keiner Stelle besser geschickt, als in den Hundestall auf den ganzen Tag; aber, wie ich es ihm auch sagte, es geziemte doch nicht, unsern Herrn und einen großen Baron anzufahren, bloß eines Griffs an das Kinn oder eines Kusses oder etwas dem Aehnlichen wegen.«

»Es ist kein Wunder, daß Ihr eines so freundlichen Herrn wegen traurig seid, Dame,« sagte der Kaufmann.

»Kein Wunder, in der Tat,« erwiderte die Dame mit einem Seufzer, »und dann, was soll nun aus uns werden? Es ist sehr wahrscheinlich, daß unsere junge Gebieterin zu ihrer Tante geht – oder sie heiratet einen von diesen Lacys, wovon sie so viel reden – oder auf jeden Fall, sie wird das Schloß verlassen. Dann ist es sehr wahrscheinlich, daß der alte Raoul und ich mit des Lords alten Pferden auf die Weide gehen können. – Der Herr weiß es, sie mögen meinetwegen den Raoul mit den alten Hunden aufhängen, denn er ist weder zum Laufen mehr, noch zum Greifen zu gebrauchen, kurz, er taugt nichts mehr auf der Erde, so viel ich weiß.«

»Eure junge Herrin ist die Lady da im Trauermantel,« sagte der Kaufmann, »welche soeben beinahe auf den Leichnam hingesunken war?«

»Wohl ist sie das, Herr! und sie hat Ursache genug, niederzusinken. Ich bin gewiß, sie kann lange suchen, um einen solchen Vater wiederzufinden.«

»Ich sehe, Ihr seid eine sehr verständige Frau, Gevatterin Gillian,« antwortete der Kaufmann. »Und jener junge Mann, der sie unterstützt, ist Ihr Bräutigam?«

»Es tut Ihr wohl nötig, daß einer sie unterstützt,« sagte Gillian, »und so auch mir, denn was kann der arme alte rostige Raoul tun?«

»Aber wie ist es mit der Hochzeit der jungen Lady?« sagte der Kaufmann. »Niemand weiß mehr davon, als daß solch ein Ding unterhandelt wurde zwischen unserm verstorbenen Herrn und dem großen Connetable von Chester, der gerade noch heute zur rechten Zeit ankam, die Walliser abzuhalten, daß sie nicht uns allen die Gurgeln abschnitten und, der Herr weiß, noch viel anderes Unheil anrichteten. – Aber von einer Heirat ist die Rede, das ist gewiß – und viele Leute meinten, es geht auf den glattbäckigen Knaben Damian, wie sie ihn nennen; denn obgleich der Connetable schon zum Bart gekommen ist, so ist doch schon zuviel graues darunter für ein Bräutigamskinn, – Ueberdies zieht er in den heiligen Krieg – der beste Platz für alle alternden Soldaten, ich wollte, er nähme den Raoul mit sich! – Aber was hat das alles mit dem zu schaffen, was Ihr vorhin über Eure Trauerwaren sagtet? – Es ist doch recht traurig, daß mein armer Herr dahingeschieden ist – doch, was ist zu tun? – Ei, nun, Ihr kennt das gute alte Wort:

Kleider brauchen wir,


Braten auch und Bier –


Trägt man uns gleich tot von hier.

Was nun Euren Handel anbetrifft, bin ich imstande, Euch ebenso mit einem guten Worte zu helfen wie die manierliche Margery, wenn Ihr was Artiges dafür bietet. Denn stehe ich auch nicht so bei der Lady in Gunsten, so kann ich den Haushofmeister mir doch um den Finger wickeln.«

»Nehmt dies als einen Teil Eures Gewinns, meine hübsche Frau Gillian,« sagte der Kaufmann, »und wenn meine Waren ankommen, werde ich Euch reichlicher bedenken, falls ich durch Eure Empfehlung gute Geschäfte mache, – Aber wie soll ich wieder in die Burg hineinkommen? Denn, da Ihr eine so verständige Frau seid, so wünschte ich sehr, Euch zu Rate zu ziehen, ehe ich mein Gepäck hineinschleppe,«

»Ei nun,« antwortete die gefällige Dame, »wenn unsere Englischen auf der Wache sind, so dürft Ihr nur nach Gillian fragen, da werden sie gleich einem einzelnen Mann das Pförtchen öffnen; denn wir Engländer stecken immer zusammen, wäre es auch nur den Normännern zum Trotz; – aber wenn ein Norman auf der Wache ist, so müßt Ihr nach dem alten Raoul fragen und vorschützen, Ihr hättet Hunde und Falken zu verkaufen, und ich bin Euch gut dafür, auf dem Wege bekommt Ihr mich auch zu sprechen. Ist die Schildwache ein Flamländer, so dürft Ihr bloß sagen, Ihr seid ein Kaufmann, und er läßt Euch, aus Vorliebe zum Handel, herein.« Der Kaufmann wiederholte die Versicherung seiner Dankbarkeit, schlich sich von ihrer Seite weg und mischte sich unter die Zuschauer; sie wünschte sich Glück, ihrer natürlichen Gesprächigkeit gefolgt zu sein und durch ihr Plaudern, das ihr sonst bei andrer Gelegenheit sehr teuer zu stehen gekommen war, einige Gulden gewonnen zu haben.

Das Schweigen des dumpfen Geläutes von der Schloßglocke zeigte jetzt an, daß der edle Raymond Berenger in der Gruft seiner Väter aufgenommen worden sei. Der Teil der Leichenbegleiter, welche vom Heere de Lacys mitgekommen war, begab sich nun nach der Schloßkapelle, wo man mit Mäßigkeit die Erfrischungen genoß, welche als ein Leichenmahl ihnen dargeboten wurden. Unmittelbar darauf verließen sie, an ihrer Spitze der junge Damian, das Schloß auf dieselbe langsame und melancholische Weise, wie sie hineingezogen waren. Die Mönche blieben im Schlosse, um wiederholte Seelenmessen für den Verstorbenen und für die Treuen, welche um ihn her gefallen waren, zu lesen. Die letztern waren während und nach der Schlacht mit den Wallisern so verstümmelt worden, daß es fast unmöglich war, ein Individuum von dem andern zu unterscheiden, sonst würde gewiß der Körper von Dennis Morolt, wie seine Treue es wohl verdiente, die Ehre eines besonderen Begräbnisses erhalten haben.

Elftes Kapitel

Die religiösen Gebräuche, welche auf das Begräbnis Raymond Berengers folgten, währten ununterbrochen sechs Tage lang. In dieser Zeit wurden Almosen an die Armen ausgeteilt, und auf Kosten Lady Evelinens denen, welche durch den letzten Einfall gelitten hatten, Vergütungen dargereicht. Leichenmahle, wie man sie nannte, wurden ebenfalls zur Ehre des Verstorbenen gehalten. Aber die Lady selbst und die meisten von ihrer Aufwartung beobachteten strenge Fasten und Büßungen, welches den Normännern eine weit anständigere Art, ihre Achtung gegen die Toten zu beweisen, schien, als die sächsische und flämische Gewohnheit, bei solchen Gelegenheiten zu bankettieren und zechen. Indessen ließ der Connetable de Lacy ein starkes Korps seiner Truppen unter den Mauern von Garde Douloureuse ein Lager beziehen, um die Burg gegen irgend einen neuen Einfall der Walliser zu decken, während er mit den übrigen seinen Sieg benützte und Schrecken unter die Britischen durch viele wohlausgeführte Streifzüge verbreitete, die fast mit ebenso großen Verwüstungen begleitet waren, als die ihrigen. Unter den Feinden kam nun noch zu der Niederlage und den Einfällen das Unglück der Zwietracht hinzu; denn zwei entfernte Verwandte von Gwenwyn stritten um den Thron, den er besessen, und hierdurch, wie es auch manche andere Veranlassung dazu gab, litten die Briten ebensosehr bei ihrer innern Uneinigkeit vom Schwerte der Normannen. Auch ein schlechterer Politiker und ein weniger berühmter Kriegsheld als der scharfsichtige und siegreiche de Lacy war, hätte unter solchen Umständen nicht ermangelt, einen vorteilhaften Frieden zu unterhandeln, welcher, indem er Powys eines Teils seiner Grenzen und einiger wichtigen Engpässe beraubte, wo der Connetable sich vorgenommen hatte, Kastelle anzulegen, auch Garde Douloureuse mehr als vorher gegen einen plötzlichen Angriff ihrer stolzen, unruhigen Nachbarn sicherte. De Lacys Sorge ging auch dahin, die Ansiedler, welche aus ihren Besitzungen entflohen waren, wieder einzurichten und die ganze Herrschaft, welche nun einer unbeschützten Frau anheim gefallen war, in einen so vollkommenen Verteidigungszustand zu setzen, als ihre Lage an einer feindlichen Grenze nur möglich machte.

Obwohl so sorgfältig bedacht in der Sache der Waise von Garde Douloureuse, mochte doch de Lacy während dieser Zeit nicht ihren kindlichen Kummer durch seine Dazwischenkunft stören. Noch ward sein Neffe freilich jeden Morgen sehr zeitig abgesandt, seines Oheims »devoirs,« so genannt in der hochtrabenden Sprache jener Zeit, zu Füßen zu legen und sie von den in ihren Geschäften unternommenen Schritten zu benachrichtigen. Zum schuldigen Lohn für die Dienste seines Oheims ward Damian stets bei Evelinen vorgelassen, und kehrte immer mit ihren eigenen Danksagungen und ihrer unbeschränkten Genehmigung alles dessen, was der Connetable zu ihrem Besten vorschlug, zu diesem zurück.

Aber als die Tage der strengen Trauer vorüber waren, berichtete der junge de Lacy von seiten seines Verwandten, daß, da seine Verträge mit den Wallisern abgeschlossen und alles in dem ganzen Gebiete so eingerichtet wäre, als die Umstände es erlaubten, der Connetable von Chester sich jetzt vorgenommen hatte, in seine eigene Landschaft zurückzukehren, um seine dringenden Vorbereitungen für das heilige Land wieder vorzunehmen, welche die Pflicht, ihre Feinde zu züchtigen, auf einige Tage unterbrochen hätte.

»Und will nicht der edle Connetable, bevor er von diesem Platze abzieht,« sagte Eveline mit einem Ausbruch der Dankbarkeit, welche die Sache gar wohl verdiente, »den persönlichen Dank derjenigen empfangen, die fast umgekommen wäre, als er so mutig ihr zu Hilfe sprang?«

»Gerade über diesen Punkt habe ich Auftrag, zu sprechen,« erwiderte Damian. »Aber mein edler Verwandter fühlte eine gewisse Schüchternheit, das auszusprechen, was er doch so sehnlich wünscht – nämlich die Erlaubnis, mit Euch selbst sich über gewisse Dinge von der höchsten Wichtigkeit zu unterhalten, die er einem dritten anzuvertrauen nicht passend findet.«

»Gewiß,« sagte das Mädchen errötend, »es kann nicht wider jungfräuliche Zucht sein, daß ich den edlen Connetable sehe, sobald es ihm Vergnügen macht.«

»Aber sein Gelübde,« erwiderte Damian, »verpflichtet meinen Verwandten, unter kein Dach zu treten, bis er nach Palästina unter Segel gegangen ist. Um mit ihm zusammenzukommen, müßt Ihr so gnädig sein, ihn in seinem Pavillon zu besuchen – eine Herablassung, die er als Ritter und normannischer Edler kaum von einem Fräulein so hohen Ranges begehren kann.«

»Und ist das alles?« sagte Eveline, die, in einem etwas entfernten Orte erzogen, nicht mit der Etikette bekannt war, die die Edelfräulein jener Zeit in Rücksicht auf das andere Geschlecht beobachteten. »Soll ich,« sagte sie, »meinen Dank nicht meinem Befreier zubringen dürfen, da er nicht herkommen kann, ihn entgegenzunehmen? Sagt dem edlen Hugo de Lacy, daß meine Dankbarkeit neben dem Segen des Himmels ihm und seinen braven Kriegsgefährten gebührt. Ich will zu seinem Zelt kommen wie zu einer Heiligenkapelle, ja, sollte ihm solche Huldigung gefallen, barfuß, und wäre der Weg bestreut mit Kieseln und Dornen.«

»Meinen Oheim wird Euer Entschluß ehren und freuen,« sagte Damian, »aber er wird darauf bedacht sein, Euch alle unnötige Bemühung zu ersparen. In dieser Absicht soll sogleich ein Pavillon vor Eurem Schloßtor errichtet werden, der, sofern Ihr ihn mit Eurer Gegenwart beehren wollt, als Ort für die erwünschte Zusammenkunft gelten wird.«

Eveline ging bereitwillig auf alles ein, was der Connetable als annehmbares Auskunftsmittel vorgeschlagen und durch Damian ausrichten ließ. Aber in der Einfachheit ihres Gemütes sah sie keinen Grund, warum sie nicht unter dem Schutze des letztern augenblicklich, und ohne weitere Umstände, die kleine, wohlbekannte Ebene überschreiten sollte, wo sie als Kind Schmetterlinge jagte und Feldblumen pflückte, und wo sie noch vor kurzem gewohnt war, ihren Zelter zu tummeln; denn das war ja der einzige, noch dazu so kleine Raum, der sie von dem Lager des Connetables trennte.

Der junge Abgesandte, mit dessen Gegenwart sie schon vertraut geworden, zog sich nun zurück, seinen Verwandten und Herrn über den Erfolg seiner Mission zu unterrichten. Eveline empfand jetzt zum erstenmale Kummer und Sorge über ihr eigenes Geschick, seit Gwenwyns Niederlage und Tod es ihr erlaubten, ihre Gedanken dem Gram über den Verlust ihres edlen Vaters zu weihen. Aber jetzt, da dieser Kummer, wenn auch nicht völlig beruhigt, so doch durch das lange Sinnieren in Einsamkeit abgestumpft war – jetzt, da sie vor dem Helden erscheinen sollte, von dessen Ruhm sie so oft gehört, von dessen kräftigem Schutze sie eben erst wieder Beweis erhalten hatte, jetzt wandte sich ihr Geist unvermerkt auf die Natur und die Folgen dieser wichtigen Zusammenkunft. Sie hatte allerdings schon Hugo de Lacy auf dem großen Turnier zu Chester gesehen, wo sein Mut und seine Geschicklichkeit in aller Munde waren, und hatte die ihrer Schönheit erwiesene Huldigung, als er ihr den Preis überreichte, mit allem Frohsinn jugendlicher Eitelkeit entgegengenommen; aber von seiner Person und seiner Gestalt war ihr kein bestimmtes Bild geblieben, als daß er ein Mann von mittlerer Größe sei, eine ganz besonders reiche Rüstung getragen habe und dem Gesicht nach – soviel sie davon unter dem Schatten seines aufgeklappten Visiers sehen konnte – von dem gleichen Alter wie ihr Vater zu sein schien. Dieser Mann nun, dessen sie sich flüchtig erinnerte, war also das erwählte Werkzeug, das ihre Schutzherrin gebraucht hatte, sie von der Sklaverei zu erlösen und den Verlust ihres Vaters zu rächen, und sie war durch ihr Gelübde verpflichtet, ihn als den Gebieter über ihr Schicksal zu betrachten, wenn er es seiner für wert erachtete, das zu werden. Umsonst strengte sie ihr Gedächtnis an, sich seine Züge so weit zu vergegenwärtigen, daß sie sich ein ungefähres Urteil darüber bilden konnte, wie er sich ihr gegenüber benehmen und verhalten würde.

Der vornehme Baron selbst schien ihrer Zusammenkunft einen hohen Grad von Wichtigkeit beizulegen, nach den feierlichen Vorbereitungen zu schließen, die er dazu treffen ließ. Eveline dachte nicht anders, als daß er in Zeit von fünf Minuten zu Pferde vor dem Schloßtor halten, oder, wenn es der Anstand durchaus bedänge, daß ihre Unterredung in einem Zelte stattfände, daß dann ein Zelt aus seinem Lager ans Tor gebracht werde, was doch in zehn Minuten geschehen sein könnte. Aber der Connetable schien mehr Form und Feierlichkeit bei ihrer Zusammenkunft für geboten zu halten, denn Damian de Lacy hatte das Schloß kaum eine halbe Stunde verlassen, so waren schon nicht weniger als zwanzig Soldaten und kunstverständige Leute, unter der Leitung eines Unterherolds, dessen Waffenrock mit den Emblemen des Hauses de Lacy geschmückt war, an der Arbeit, vor dem Tore von Garde Doulourense einen jener prächtigen Pavillons zu errichten, die bei Turnieren und andern öffentlichen Feierlichkeiten üblich waren. Er war von purpurseidner Farbe, die Umhänge mit Gold gestickt, die Stricke aus demselben reichen Stoffe. Der Eingang wurde von sechs Lanzen gebildet, deren Schaft mit Silber belegt und deren Spitzen aus demselben kostbaren Metall bestanden; diese waren paarweise in den Boden gepflanzt und kreuzten sich in der Spitze, so daß sie eine Art von Bogengang bildeten, bedeckt mit einer Draperie von seegrüner Seide, was einen prächtigen Kontrast zu dem Purpur und Gold bildete.

Das Innere des Zeltes stand, nach der Meinung aller, die es besichtigten, seinem Aeußern an Pracht nicht nach. Orientalische Teppiche und Tapeten, von Gent und Brügge, schmückten Estrich und Wände, während der obere Teil des Pavillons von himmelblauer Seide das Firmament darstellte und reich mit Sonne, Mond und Sternen aus gediegenem Silber verziert war. Dieser berühmte Pavillon war für den weitgepriesenen Wilhelm von Ypern gebaut worden, der sich große Reichtümer als Söldner-Hauptmann des Königs Stephan erwarb und von ihm zum Grafen von Albemarle erhoben wurde. Aber nach einem jener furchtbaren Gefechte, deren so viele in dem Bürgerkriege zwischen Stephan von Blois und der Kaiserin Maude oder Mathilde vorfielen, hatte das Kriegsglück ihn in die Hände de Lacys gebracht. Nie erfuhr man, daß der Connetable davon Gebrauch gemacht hatte, denn Hugo de Lacy, obgleich reich und mächtig, trat bei den meisten Gelegenheiten sehr einfach und ohne Prunk auf, daher denen, die ihn kannten, sein gegenwärtiges Benehmen um so auffallender erscheinen mußte. – Um die Mittagszeit kam er auf einem edlen Roß vor das Tor der Burg, begleitet von einer kleinen Anzahl Diener, Pagen und Stallmeister in ihren reichsten Livreen; er hielt vor dem Pavillon und gab nun seinem Neffen den Auftrag, der Lady von Garde Douloureuse zu berichten, daß der demütigste ihrer Diener vor dem Tore auf die Ehre ihrer Gegenwart harrte.

Bei manchen Zuschauern herrschte die Meinung, ein Teil der Pracht und des Glanzes, die den Pavillon und das Gefolge zierten, hätte sich besser auf die Person des Connetables selbst verwenden lassen, da seine Kleidung schlicht, wenn nicht gar schlecht, und seine Figur an sich durchaus nicht so stattlich war, daß sie es entbehren konnte, durch Kleidung und Schmuck gehoben zu werden. Diese Meinung nahm noch mehr zu, als er vom Pferde stieg, da bis dahin seine meisterhafte Behandlung des edlen Rosses seiner Person und Gestalt eine Würde gab, die er gleich verlor, sowie er aus dem Sattel stieg. Kaum erreichte der berühmte Connetable die mittlere Größe, und seinen Gliedern, so stark gebaut und gedrungen sie waren, fehlte es an Anmut und Leichtigkeit der Bewegung. Seine Beine waren ein wenig auswärts gekrümmt, was ihm als Reiter wohl einen Vorteil gewährte, zu Fuß aber nichts weniger als gut stand. Er hinkte, wiewohl nur schwach, als Folge eines schlecht ausgeheilten Beinbruchs beim Sturz eines Pferdes, und auch das war seiner äußern Erscheinung nicht von Vorteil. Wenn auch seine breiten Schultern, seine nervigen Arme und seine ausgedehnte Brust sattsam für die Stärke, die er oft bewiesen, Zeugnis ablegten, so hatte doch auch die Stärke etwas Plumpes und Ungefälliges. Sprache und Gebärde verkündeten einen Mann, der selten gewohnt war, sich mit seinesgleichen, noch seltner mit höher gestellten Personen zu unterhalten; er war kurz, schroff, hart. Nach dem Urteile der Leute, die sich in des Connetable beständigem Umgang befanden, paarten sich in seinem feurigen Auge und auf seiner breiten Stirn Würde und Milde: aber wer ihn zum erstenmale sah, urteilte weniger günstig und wollte eher einen grimmen, leidenschaftlichen Ausdruck dort entdecken, wiewohl sich nicht in Abrede stellen ließ, daß sein Gesicht im großen und ganzen einen kühnen, kriegerischen Zug verriet. Er war wirklich nicht älter als fünfundvierzig Jahre; aber Mühseligkeiten im Kriege und Wind und Wetter schienen noch zehn Jahre zugelegt zu haben. Bei weitem am einfachsten gekleidet im ganzen Zuge, trug er nun einen kurzen, normännischen Mantel über seinem engen Kleide von Gemsleder, das, wenn es auch die Rüstung fast überall bedeckte, doch mancherlei schadhafte Stellen aufwies. Ein brauner Hut, auf dem er ein Rosmarinreis als Abzeichen seines Gelübdes trug, war seine Kopfbedeckung. Sein gutes Schwert und ein Dolch hingen an seinem Gürtel aus Seekalbsfell.

An der Spitze eines glänzenden Gefolges, das auf seinen leisesten Wink lauschte, erwartete der Connetable von Chester die Ankunft der Lady Eveline von Berenger am Tore von Garde Douloureuse.

Trompeten von innen her kündigten ihr Nahen – die Brücke fiel – und geführt von Damian de Lacy in seiner glänzendsten Tracht, gefolgt von einem Zuge ihrer Frauen, ihren Vasallen und ihrem Hausgesinde, trat sie in all ihrer Liebenswürdigkeit aus dem massiven, antiken Portal ihrer väterlichen Behausung. Ohne allen Schmuck, in tiefe Trauer gekleidet, bildete sie einen strengen Gegensatz zu ihrem Führer, dessen kostbare Kleidung von Juwelen und Stickereien strahlte, dahingegen ihr Alter und ihre Schönheit in anderer Rücksicht eines zum lieblichsten Ebenbilde des andern machte. Dieser Umstand mochte es sein, der das frohe Beifalls-Gemurmel bei ihrer Erscheinung weckte, während die Rücksicht auf ihre tiefe Trauer laute Rufe hintanhielt.

In dem Augenblick, als Evelinens schöner Fuß den ersten Schritt aus den Palisaden, die die äußere Barriere des Schlosses bildeten, getan hatte, trat der Connetable de Lacy ihr entgegen, und sein rechtes Knie zur Erde beugend, erbat er sich Verzeihung für die Unhöflichkeit, die sein Gelübde ihm abgedrungen hätte, indem er es zugleich aussprach, wie tief er die Ehre fühle, deren sie ihn jetzt würdige.

Seine Stellung, wie die Rede, obwohl beide im Geiste der romantischen Galanterie jener Zeit, setzten Eveline in Verlegenheit, um so mehr, als diese Huldigung ihr in solcher Oeffentlichkeit widerfuhr. Sie bat den Connetable, aufzustehen und ihre Verwirrung nicht zu vermehren, da sie sich schon mehr als verlegen fühle, wie sie die schwere Schuld der Dankbarkeit abtragen solle, in der sie ihm gegenüber stehe. Der Connetable stand auf, nachdem er die ihm dargereichte Hand geküßt hatte, und ersuchte sie, in die ärmliche Hütte zu treten, die er zu ihrem Obdach bereitet habe, und ihm geneigtes Gehör zu gönnen. Ohne weitere Antwort, als eine Verbeugung, überließ ihm Eveline ihre Hand, und ihrem übrigen Gefolge gebietend, zurückzubleiben, winkte sie nur Rose Flammock, sie zu begleiten.

»Lady,« sagte der Connetable, »die Dinge, über die ich gezwungen bin, so eilig mit Euch zu sprechen, sind geheimster Natur.«

»Dieses Mädchen,« erwiderte Eveline, »ist meine Zofe und die Vertraute meiner verborgensten Gedanken. Ich ersuche Euch, ihre Gegenwart bei unserer Unterredung zu gestatten.«

»Anders wäre es besser,« entgegnete Hugo de Lacy mit einiger Verlegenheit, »doch Eurem Willen bin ich gehorsam.«

Er führte Eveline in das Gezelt und ersuchte sie, sich auf einen Polstersitz niederzulassen, der mit schwerer venetianischer Seide bedeckt war. Rose stellte sich hinter ihrer Gebieterin auf; alle Bewegungen des vollendeten Kriegs- und Staatsmannes, dessen Ruhm durch alle Lande ging, überwachend und sich seiner Verlegenheit freuend als eines Triumphs ihres Geschlechts, zumal sie eben nicht der Meinung war, daß sein gemsledernes Wams und seine viereckige Gestalt den Glanz des Auftritts erhöhen oder auch nur zu der fast engelhaften Schönheit Evelinens, seiner Partnerin, passen möchte.

»Lady,« sagte der Connetable nach einigem Zaudern, »ich möchte gern das, was ich noch zu sagen habe, in solche Form kleiden, wie sie die Frauen am liebsten haben und wie sie Eurer ausgezeichneten Schönheit noch besonders würdig ist; aber ich habe zu lange Zeit im Felde und im Staatsrate verlebt, um meine Meinung anders als einfach und geradezu auszudrücken.«

»Ich werde Euch um so leichter verstehen,« sagte Eveline zitternd, obwohl sie kaum wußte, weshalb.

»Mein Vortrag also wird schlichter Natur sein. Es ist etwas vorgefallen zwischen Eurem verehrten Vater und mir, das auf eine Vereinigung unserer Häuser abzielt.« Er hielt inne, als wünschte oder erwartete er, daß Eveline etwas sage; aber da sie schwieg, fuhr er fort: »Ich wünschte bei Gott, der Himmel hätte gewollt, daß Euer Vater, wie er diese Verhandlung begonnen, sie auch mit seiner gewohnten Klugheit hätte durchführen und vollenden können! Doch was ist dabei zu tun? Er ist den Weg gegangen, den wir alle einmal gehen müssen.«

»Eure Herrlichkeit hat den Tod Eures edlen Freundes edel gerächt.«

»Lady, ich habe nur meine Pflicht getan als Ritter, eine bedrängte Jungfrau zu verteidigen – als Lord der Marken, die Grenzen zu decken – als Freund, den Freund zu rächen. Doch zur Sache! – Unser altes edles Haus neigt sich zu Ende. Von meinem entfernten Verwandten Randal Lavy will ich nichts sprechen, in ihm ist nichts Gutes oder was Hoffnung erregen kann, auch sind wir schon viele Jahre nicht zusammengekommen. Mein Neffe Damian gibt die schönsten Hoffnungen, ein würdiger Zweig unsers alten Stammes zu sein – aber er ist kaum zwanzig Jahre alt und hat noch eine lange Laufbahn voll Abenteuer und Gefahren zurückzulegen, bevor er mit Ehren die Pflichten des Haus- und Ehestandes übernehmen kann. Auch ist seine Mutter eine geborene Engländerin, ein kleiner Riß vielleicht in seinem Wappenschilds doch wären nur noch zehn Jahre mehr unter den Ehren eines Ritters ihm verlaufen, so würde ich Namian de Lacy zu dem hohen Glücke vorgeschlagen haben, nach welchem ich jetzt strebe.«

»Ihr, Mylord, Ihr! Es ist unmöglich!« rief Eveline, bemühte sich aber zugleich, diesem Ausbruch ihrer Ueberraschung, den sie nicht unterdrücken konnte, alles, was sich wie Kränkung anhören könnte, zu nehmen.

»Ich wundere mich nicht,« sagte der Connetable gelassen, denn da das Eis nun einmal gebrochen war, kehrte er zu der natürlichen Festigkeit seines Charakters zurück, »daß Ihr über diesen gewagten Vorschlag Erstaunen äußert. Ich besitze vielleicht nicht die Gestalt, die der Frauen Auge gefällt, und habe, falls ich sie je kannte, jene Worte und Redensarten vergessen, die der Frauen Ohr gefallen; aber, edle Eveline, die Gemahlin Hugos de Lacy wird eine der Ersten unter den Frauen Britanniens sein.«

»Um so mehr wird es sich für diejenige, der eine so hohe Würde angeboten wird, schicken,« sagte Eveline, »es wohl zu überlegen, wie weit sie fähig ist, den Pflichten solch hohen Standes nachzukommen.«

»O, davor bangt mir nicht,« sagte de Lach, »ein Mädchen, das eine so treffliche Tochter war, kann sich in keiner andern Lebenslage anders bewähren.«

»Ich hege nicht das Vertrauen zu mir, Mylord,« entgegnete das Mädchen verlegen, »das Ihr so gütig in mir voraussetzt, drum muß ich mir – verzeiht mir – noch Zeit erbitten für andere Rücksichten als solche, die mich selbst betreffen.«

»Eurem Vater, edle Lady, lag solche Verbindung sehr am Herzen. Diese Schrift, von ihm selbst unterzeichnet, ist der Beweis dafür ...« Das Knie beugend, überreichte er ihr das Papier .. »Die Gemahlin de Lacys wird, wie es die Tochter von Raymond Berenger verdient, den Rang einer Prinzessin, seine Witwe das Leibgedinge einer Königin haben.«

»Spottet meiner nicht durch Eure Kniebeugung, Mylord, Während Ihr mir die väterlichen Beweise vorhaltet, die, verbunden mit andern Umständen –« sie hielt inne und seufzte tief – »meinem freien Willen vielleicht nur wenig Raum lassen.«

Kühn geworden durch diese Antwort, erhob sich de Lacy, der bisher in seiner Kniebeuge verharrt war, nahm seinen Sitz neben Eveline und fuhr fort, mit seiner Bitte in sie zu dringen – zwar nicht in der Sprache der Leidenschaft, sondern aus der eines offen sprechenden Mannes, der mit einem gewissen Eifer eine Sache durchsetzen will, von der sein Wohlergehen abhängt. Die Erscheinung des Wunderbildes, muß man sich denken, schwebte vor allem dem Geiste Evelinens vor, die, durch das feierliche Gelübde gebunden, das sie bei jener Gelegenheit getan, sich zu ausweichenden Antworten gezwungen sah, während sie, wenn ihre Wünsche allein in Betracht gekommen wären, lieber ein ehrliches Nein gesagt hätte.

»Ihr könnt,« sagte sie, »von mir nicht erwarten, Mylord, daß ich, kaum erst Waise, über eine Sache von so hoher Wichtigkeit so eilig einen Entschluß fassen soll. Euer edles Herz gebe mir Zeit, mich mit mir selbst zu beraten und meine Freunde zur Beratung zu ziehen.«

»Ach! schöne Eveline,« sagte der Baron, »zürnet über mein heftiges Drängen nicht! Ich kann es nicht lange aufschieben, zu einer fernen und gefahrvollen Unternehmung aufzubrechen; die kurze Zeit, die mir für meine Bewerbung um Eure Gunst übrig bleibt, muß eine Entschuldigung für meine Zudringlichkeit sein.«

»Und, edler Lacy, unter solchen Umständen wolltet Ihr Euch durch Familienbande fesseln?«

»Ich bin Gottes Kriegsmann,« sagte der Connetable, »und er, für dessen Sache ich in Palästina kämpfe, wird mein Weib in England beschützen.«

»Vernehmt denn meine gegenwärtige Antwort, Mylord,« sagte Eveline, von ihrem Sitz aufstehend, »morgen begebe ich mich in das Benediktinerinnenkloster zu Gloucester, wo meines verehrten Vaters Schwester als Aebtissin lebt. Ihrer Führung will ich mich in dieser Angelegenheit überlassen.«

»Ein schöner Entschluß, der Jungfrau geziemend,« antwortete de Lacy, seinerseits dem Anschein nach nicht unzufrieden damit, daß die Unterredung abgebrochen wurde, »und, wie ich glaube, keineswegs ungünstig den Wünschen Eures demütig bittenden Freiers, denn die edle Frau Aebtissin ist schon seit langer Zeit meine verehrte Freundin.« – Dann wandte er sich zu Rose, die im Begriff stand, ihrer Lady zu folgen ... »Mein hübsches Mädchen,« sprach er, ihr eine goldene Kette reichend, »gönne diesem Schmuck einen Platz an Deinem Halse, und mir vergönne Deinen guten Willen.«

»Mein guter Wille ist nicht verkäuflich, Mylord,« sagte Rose, das dargebotene Geschenk zurückweisend.

»Schöne Worte sind leicht erkauft,« sagte Rose, nach wie vor die Kette zurückweisend, »aber selten des Kaufgeldes wert.«

»Verachtet Ihr mein Geschenk, Jungfer?« sagte de Lach, »es hat den Nacken eines normannischen Grafen geschmückt.«

»So schenkt es lieber einer normannischen Gräfin, Mylord,« sagte das Mädchen, »ich bin ja bloß Rose Flammock, eines Webers schlichte Tochter. Ich halte es mit meinen guten Worten so, daß sie mit meinem guten Willen Hand in Hand gehen, und eine messingne Kette wird mir nicht minder gut stehen als eine aus geschlagenem Golde.«

»Still, Rose,« sagte ihre Gebieterin. »Du bist zu vorwitzig, solche Worte dem Lord Connetable zu bieten! Und Ihr, Mylord,« fuhr sie fort, »gestattet mir, mich zu entfernen, da Ihr jetzt meine Antwort auf Euren Antrag vernommen. Es tut mir leid, daß es sich um keine minder zarte Angelegenheit dabei handelt, denn ich hätte mich Euch gern dankbarer bewiesen.«

Der Connetable führte die Lady mit der gleichen Feierlichkeit zurück, wie sie empfangen worden war, und sie betrat wieder ihre Burg, trüben und sorgenvollen Gemüts über die Folgen, die diese wichtige Unterredung für sie zeitigen könnte. Tief hüllte sie sich in ihren langen Trauerschleier, um die Veränderung in ihrem Gesicht nicht sehen zu lassen, vermied es sogar, sich gegen Pater Aldrovand auszusprechen, und zog sich alsbald in die Einsamkeit ihres Gemaches zurück.

Zwölftes Kapitel

Dorthin folgte ihr Rose, ohne auf Weisung ihrer Herrin zu warten, um ihr beim Ablegen des langen Trauerschleiers, den sie draußen getragen, zu helfen; aber die Lady wies sie zurück und sagte: »Tu bist recht vorschnell mit Deinen Diensten, Mädchen; warte doch, bis man sie begehrt.«

»Ihr seid böse auf mich, Lady,« sagte Rose.

»Nicht ohne Ursache,« erwiderte Eveline .... »Du kennst meine schwierige Lage – weißt, was meine Pflicht fordert – und doch, statt mir solches Opfer zu erleichtern, erschwerst Du es mir.«

»Ach, wenn ich doch mehr Einfluß hätte, Euch auf einen gewissen Weg zu leiten,« sagte Rose; »Ihr solltet finden, daß es ein sanfter Weg ist – und ein ehrlicher und gerader überdies.«

»Wie meinst Du das, Mädchen!« fragte Eveline.

»Ich wollte,« antwortete Rose, »Ihr widerriefet die Aufmunterung – die Einwilligung, so möchte ich es fast nennen, die Ihr jenem stolzen Baron gegeben habt. Ihr steht zu hoch, um geliebt zu werden – er ist zu stolz, um Euch zu lieben, wie Ihr es verdient. Wenn Ihr ihn heiratet, so heiratet Ihr vergoldetes Elend, und es kann Euch ebensogut zur Schmach sein wie zur Unfreude.«

»Vergiß die Dienste nicht, Mädchen, die er uns erwiesen!«

»Seine Dienste?« wiederholte Rose, »Er wagte freilich sein Leben für uns, aber das tat auch jeder Soldat in seinem Heere. Und bin ich denn verpflichtet, jeden verschrumpften Gesellen unter ihnen zu heiraten, weil er sich schlug, sobald die Trompete schmetterte? Mich wundert nur, was eigentlich der Sinn von ihrem devoir ist, wie sie es nennen, wenn sie sich nicht schämen, auf den höchsten Lohn, den eine Frau gewähren kann, Anspruch zu machen, bloß weil sie ihrer Edelmannspflicht gegen ein bedrängtes Geschöpf genügten .... Edelmann sagte ich? – Der gröbste Bauer in Flandern würde kaum einen Dank erwarten.«

»Aber meines Vaters Wünsche?«

»Der würde sich ohne Zweifel nach der Neigung seiner Tochter richten! – Ich will meinem verewigten edlen Lord – Gott sei seiner Seele gnädig – nicht die Ungerechtigkeit antun, anzunehmen, daß er in dieser Sache hätte seinen Willen durchsetzen wollen, wenn er nicht mit Eurem freien Willen übereinstimmte.«

»Dann mein Gelübde! mein unseliges Gelübde, wie ich es beinahe genannt hätte,« sagte Eveline. »Verzeih mir der Himmel meine Undankbarkeit gegen meine Schutzheiligen!«

»Auch Euer Gelübde erschüttert mich nicht,« sagte Rose. »Ich kann es nun und nimmer glauben, daß unsere gnädige Gottesmutter als Buße für ihren Schutz von mir fordern könne, einen Mann zu heiraten, den ich nicht lieben kann ... Sie habe gelächelt, sagt Ihr – als Ihr zu ihr betetet? – Geht hin zu ihr, offenbart ihr, was Euch quält, und gebt acht, ob sie nicht wieder lächeln wird! Oder sucht Dispensation Eures Gelübdes, – sucht sie auf Kosten Eures halben Vermögens, – sucht sie auf Kosten Eures ganzen Eigentums. – Pilgert barfuß nach Rom – tut alles, alles – nur gebt nicht Eure Hand, wo Ihr nicht Euer Herz geben könnt.«

»Du redest Dich warm, Rose,« sagte Eveline, bei diesen Worten tief aufseufzend.

»Nicht ohne Grund, meine süße Lady! – Habe ich nicht einen Haushalt gesehen, in dem die Liebe fehlte? – in dem, bei allem Wert der Personen und allem guten Willen, der sie beseelte, trotz allem Ueberflusse, der dort herrschte, alles verbittert wurde durch ein Sehnen, das nicht allein unnütz, sondern gar strafbar war?«

»Aber, Rose, dennoch will mir scheinen, als ob Empfindung dafür, was wir uns und andern schuldig sind, wenn wir darauf achten, uns selbst bei jenen Empfindungen, die Du geschildert hast, leiten und trösten könne?«

»Es wird uns vor Sünde, nicht aber vor Kummer bewahren,« antwortete Rose; »und weshalb sollen wir uns mit offenen Augen in eine Lage stürzen, wo Pflicht mit Neigung kollidieren muß? Warum gegen Wind und Flut rudern, wenn Ihr Euch eben so leicht günstigen Windes bedienen könnt?«

»Weil die Reise meines Lebens den Weg nimmt, wo Wind und Strom mir entgegen sind,« antwortete Eveline, »es ist mein Schicksal, Rose.«

»Es ist nur dann Euer Schicksal, wenn Ihr es durch Wahl dazu macht,« entgegnete Rose. »O, hättet Ihr nur die bleichen Wangen, das eingesunkene Auge, die tiefe Niedergeschlagenheit meiner armen Mutter sehen können! – Aber ich habe schon zuviel gesagt!« –

»Also war es Deine Mutter, von deren unglücklichen Ehe Du sprachest?«

»Sie war es – ja, sie war es,« sagte Rose und brach in Tränen aus ... »Ich habe, um Euch von Kummer zu retten, Dinge offenbart, deren ich mich schäme. – Unglücklich war sie, obgleich durchaus ohne Schuld – so unglücklich, daß der Damm-Durchbruch und der Tod in der Flut ihr – allein die Erinnerung an mich ausgenommen – willkommener war, als die Nacht dem müden Arbeiter. Sie hatte ein Herz wie geschaffen für Liebe und Gegenliebe, und es ist nur eine Ehre für jenen stolzen Baron, wenn ich sage, er kommt meinem Vater gleich an Wert und Tugend. – Und doch war die Mutter tief unglücklich! – O meine süße Lady! Laßt Euch warnen und brecht diese unheildrohende Verbindung ab!«

Eveline erwiderte den liebevollen Druck, mit dem das liebevolle Mädchen, ihre Hand erfassend, den wohlgemeinten Rat verschärfen wollte, und setzte mit tiefem Seufzer leise hinzu: »Rose, es ist zu spät!«

»Niemals, niemals,« sagte Rose, sich scharf im Zimmer umherblickend; »wo ist das Schreibzeug? Laßt mich Pater Aldrovand holen und ihm Euren Willen kund tun – oder – halt! der fromme Vater hat selbst ein Auge auf den Glanz der Welt, die er verlassen zu haben wähnt – darum ist er kein verläßlicher Briefsteller! – Ich will selbst zum Lord Connetable gehen – mich kann sein Rang nicht blenden oder sein Reichtum bestechen, oder seine Macht einschüchtern. Ich will ihm sagen, daß er nicht ritterlich handelt, wenn er auf dem Vertrag mit Eurem Vater in solcher Stunde hilfloser Sorge besteht – daß er nicht fromm handelt, wenn er die Erfüllung seines Gelübdes aufschiebt, um zu heiraten oder zu verheiraten – daß er nicht edel handelt, wenn er sich einem Mädchen aufdrängt, dessen Herz nicht für ihn schlägt – daß er nicht weise handelt, wenn er sich eine Gattin wählt, um sie auf der Stelle wieder zu verlassen und entweder der Einsamkeit oder den Gefahren eines verderbten Hofes preiszugeben.«

»Zu solcher Botschaft, Rose, hast Du den Mut nicht,« sagte ihre Gebieterin mit Tränen im Auge, trauervoll lächelnd über den Eifer ihrer jugendlichen Dienerin.

»Nicht Mut dazu? und warum nicht? Stellt mich auf die Probe!« erwiderte das flämische Mädchen, gleichfalls lächelnd, »Ich bin weder ein Sarazene, noch ein Wälscher, seine Lanze und sein Schwert schrecken mich nicht ... ich habe nicht zu seiner Fahne geschworen – sein Kommando geht mich nichts an! Ich könnte, mit Eurer Erlaubnis, es ihm kühn ins Gesicht sagen, daß er ein selbstsüchtiger Mann sei, der unter schönen Vorwänden sein Streben nach Dingen verhehle, die nur seinen Stolz befriedigen sollen, und hohe Ansprüche auf Dienste gründe, die schon die allgemeine Menschlichkeit forderte ... Und weshalb dies alles? Fürwahr, der große de Lach braucht einen Erben für sein edles Haus, und sein schöner Neffe taugt nicht für ihn als Stellvertreter, weil seine Mutter von angelsächsischer Abkunft ist, der echte Erbe aber ein echter, rassereiner Normann sein muß. Und darum soll Lady Eveline Berenger in der Blüte ihrer Jugend an einen Mann verheiratet werden, der ihr Vater sein könnte, und der, nachdem er sie jahrelang schutzlos in der Heimat zurückgelassen, zurückkehren wird in einem Alter, daß man ihn für ihren Großvater halten wird.«

»Da er so sehr viel hält auf rassereines Blut,« sagte Eveline, »denkt er vielleicht in letzter Stunde noch an einen Umstand, der einem so kundigen Heraldiker nicht unbekannt sein kann: daß ich ja selbst von sächsischer Abkunft bin durch meines Vaters Mutter.«

»Oh!« erwiderte Rose, »den Flecken wird er der Erbin von Garde Douloureuse gern verzeihen.«

»Pfui, Rose,« antwortete ihre Gebieterin, »Du tust ihm unrecht, ihn der Habsucht zu beschuldigen.«

»Vielleicht,« sagte Rose, »aber unleugbar ist er ehrgeizig ... Und Habsucht, habe ich gehört, ist der Ehrsucht Stiefschwester, wenn auch Ehrgeiz sich dieser Verwandtschaft schämt.«

»Du sprichst zu keck, Jungfer,« sagte Eveline, »und obwohl ich Deine Liebe erkenne, muß ich doch Deine Art, sie zum Ausdruck zu bringen, schelten.«

»Ja! Redet Ihr in solchem Tone, dann habe ich ausgeredet,« sagte Rose; »zu Evelinen, die ich liebe und die mich liebt, kann ich frei sprechen, aber vor Lady von Garde Douloureuse, dem stolzen normannischen Fräulein, das Ihr gut vorzustellen wißt, wenn Ihr nur wollt, kann ich mich verneigen, wie meine Seele es gebeut, und darf sie nur so viel Wahrheit hören lassen, wie sie hören will.«

»Du bist ein wildes und doch liebes Mädchen,« sagte Eveline; »wer Dich kennt, würde nicht glauben, daß dieses sanfte kindliche Aeußere solche Feuerseele einschließt. Deine Mutter muß in der Tat jenes empfindsame, leidenschaftliche Wesen gewesen sein, wie Du sie schilderst: denn Dein Vater – ja ja! halte nur nicht schon Deine Waffen fertig, ihn zu verteidigen, ehe er angegriffen ist! – ich will nur sagen, daß sein gesunder Menschenverstand und sein biederer Sinn die besten Eigenschaften an ihm sind.«

»Und ich wünschte nur, Ihr wolltet diese Eigenschaften jetzt benützen, Lady,« sagte Rose.

»In schicklichen Dingen will ich es; aber er wäre gerade ein unpassender Ratgeber in der Sache, die wir vorhaben,« sagte Eveline.

»Ihr verkennt ihn,« antwortete Rose Flammock, »und schätzt ihn unter seinem Werte. Gesundes Urteil gleicht der geaichten Elle, die zwar gemeinhin bei allem groben Zeug angewandt wird, aber mit gleicher Genauigkeit das Maß von indischem Seidenzeug oder Goldbrokat angibt.«

»Gut, gut! die Sache drängt ja nicht auf den Augenblick. Verlaß mich nun, Rose, und schicke mir Gillian, die Kammerfrau, her. – Ich will ihr das Nötige über meine Garderobe sagen.«

»Diese Gillian ist in der letzten Zeit sehr in Gunst bei Euch gelangt,« sagte Rose; »es gab eine Zeit, da es anders war.«

»Mir ist Ihre Art so wenig sympathisch wie Dir,« erwiderte Eveline, »aber sie ist des alten Raouls Frau, stand in gewisser Halbgunst bei meinem Vater, der, wie wohl auch andere Männer, sich vielleicht durch eben jenes kecke Wesen gewinnen ließ, das die Bessern unsers Geschlechts als ungeziemend finden – und dann gibt es im Schlosse keine andere, die so geschickt ist, Kleider einzupacken, daß sie nicht Schaden nehmen.«

»Dieser letzte Grund allein,« sagte Rose lächelnd, »gibt ihr, wie ich gern gelten lasse, unwiderstehlichen Anspruch auf Gunst, und Dame Gillian soll Euch gleich aufwarten. Aber laßt Euch raten, Lady – laßt sie einpacken – sprecht aber mit ihr nicht von Dingen, die sie nichts angehen.«

Mit diesen Worten verließ Rose das Zimmer, und ihre junge Lady sah ihr still nach; dann sprach sie zu sich selbst: »Rose liebt mich recht, liebt mich von Herzen, aber sie neigt dazu, mehr Herrin als Zofe zu sein; auch ist sie eifersüchtig auf jede andere Person, die sich mir naht. – Es ist doch sonderbar, daß ich Damian de Lucy seit meiner Unterredung mit dem Connetable nicht gesehen habe. Er denkt sich am Ende wohl gar schon in den Fall hinein, in mir eine gestrenge Tante zu haben?«

Aber die Domestiken, die sich nun herbeidrängten, die Befehle für die auf den andern Tag festgesetzte Reise entgegenzunehmen, lenkten die Gedanken ihrer Gebieterin von ihrer eigentümlichen Lage ab, und da die Aussicht nichts Angenehmes bot, wies Eveline sie mit dem leicht beweglichen Geiste der Jugend bis auf weiteres von sich.

Ende des ersten Teiles.

Zweiter Teil

Dreizehntes Kapitel

Früh des andern Morgens verließ eine stattliche Gesellschaft, die aber durch die tiefe Trauer der Hauptpersonen einigermaßen trüb gefärbt war, die wohlverteidigte Burg von Garde Douloureuse, die vor kurzem der Schauplatz so merkwürdiger Ereignisse war.

Eben begann die Sonne den Tau aufzusaugen, der während der Nacht gefallen war, und den dünnen grauen Nebel zu zerstreuen, der noch um die Türme und Zinnen schwebte, als Wilkin Flammock, mit sechs Bogenschützen zur Seite zu Pferde und ebenso viel Lanzenknechten zu Fuß, durch das gotische Tor hervor, über die dröhnende Zugbrücke sprengte. Nach diesem Vortrabe kamen vier wohlberittene Diener vom Hausgesinde, und nach ihnen ebenso viele von den niedrigen Dienerinnen, alle in Trauer, Darauf ritt die junge Lady Eveline selbst vor, die den Mittelpunkt des kleinen Zuges einnahm, und ihre langen schwarzen Gewänder bildeten einen auffallenden Kontrast gegen die Farbe ihres milchweißen Zelters. Ihr zur Seite auf einem Spanier, einem Geschenk ihres Vaters, – der ihn, seiner Tochter eine Freude zu machen, zu hohem Preise gekauft hatte – saß Rose Flammock, mit all dem jugendlich-schüchternen Wesen, das ihr Benehmen auszeichnete, und all dem tiefen Gefühl und scharfen Urteil in ihrem Denken und Handeln. Frau Margery folgte mit dem Zuge, in welchem sich Pater Aldrovand befand, dessen Gesellschaft sie offen aussuchte, gab sie sich doch gern den Schein einer Frommen, und war doch ihr Ansehen in der Familie als Evelinens Amme groß genug, sie zu einer nicht unschicklichen Gesellschaft für den Kaplan zu machen, sofern ihre Gebieterin nicht für sich selbst ihre Aufwartung forderte. Dann folgte der alte Raoul, der Jäger, dessen Frau und ein paar andere Hausoffizianten Raymond Berengers. Der Haushofmeister mit seiner goldenen Kette, seinem samtnen Leibrock und weißen Stabe, führte den Nachtrab an, den ein kleinerer Trupp Armbrustschützen und vier Reisige beschlossen. Die Bedeckung und selbst der größte Teil des Gefolges waren nur Zur Ehrenbegleitung ihrer jungen Gebieterin auf eine kurze Strecke vom Schlosse bestimmt, bis sie mit dem Connetable von Chester zusammenträfen, der sich vorgenommen hatte, mit einem Gefolge von dreißig Lanzen Evelinen bis Gloucester, dem Orte ihrer Bestimmung, zu begleiten. Unter seinem Schutze war keine Gefahr zu fürchten, auch wenn nicht schon die harte Niederlage, die die Walliser kürzlich erlitten, an und für sich hingereicht hatte, jedem Versuch dieser feindlichen Bergbewohner, die Ruhe der Marken zu stören, auf lange Zeit vorzubeugen.

In Gemäßheit dieser Anordnung, die dem bewaffneten Teile von Evelinens Gefolge die Rückkehr zur Burg und zur Wiederherstellung der Ruhe im Gebiete derselben gestattete, hielt der Connetable bei der verhängnisvollen Brücke an der Spitze einer stattlichen Schar von auserwählten Reitern. Die beiden Züge machten, um sich gegenseitig zu begrüßen, Halt; da aber der Connetable bemerkte, daß Eveline ihren Schleier dichter zusammenzog, und sich hierbei des Verlustes erinnerte, den sie vor kurzem an dieser unglückseligen Stelle erlitten, bedünkte es ihm als richtiger, seinen Gruß auf eine bloße Verbeugung zu beschränken, die aber so tief ausfiel, daß die hohe Feder seines Helmes – denn er war in voller Rüstung – sich in die Mähne seines mutigen Rosses verirrte, Wilkin Flammock nahte jetzt der Lady mit der Frage, ob sie weitere Befehle für ihn hätte.

»Nein, guter Wilkin, außer mir, wie immer, treu und wachsam zu sein.«

»Die Eigenschaften eines guten Kettenhundes,« sagte Flammock, »roher Scharfblick und starke Hand statt eines Mauls voll starker Zähne: das ist alles, was ich noch dazu tun kann. – Ich werde mein Bestes versuchen. – Lebe wohl, mein Röschen! Du gehst unter Freunde – verlerne dort die Eigenschaften nicht, die Dich zu Hause als liebe Tochter erscheinen ließen. – Die Heiligen segnen Dich! – Lebe wohl!«

Der Haushofmeister folgte ihm zunächst, um Abschied zu nehmen; doch wäre er beinahe recht übel dabei gefahren, Raoul, von Natur störrisch und dabei von Reißen geplagt, war auf den Einfall gekommen, sich ein altes arabisches Pferd auszusuchen, einst zur Zucht gebraucht, jetzt mager und lahm, wie er selbst, aber boshaft wie der Satanas, Zwischen Roß und Reiter herrschte dauernd Zwiespalt, für dessen Verschärfung Raoul durch Flüche, Reißen am Gebiß und grimme Sporenstöße, Mahound aber – (dies war des Pferdes Name) – durch Bocken, Bäumen und allerhand andre Anstrengung, den Reiter abzusatteln, oder Hufschläge gegen jeden, der ihm in die Nähe kam, eifrig sorgte. Viele von der Dienerschaft meinten, daß Raoul sich das boshafte, querköpfige Tier immer, wenn er in Gesellschaft seines Ehegesponses reisen mußte, darum mitnahm, um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, daß es einmal diesem beschert sein möchte, mit seinen Hufen in Berührung zu kommen. Und nun, als der Haushofmeister seinem Klepper die Sporen gab, um seiner jungen Lady die Hand zu küssen und sich bei ihr zu beurlauben, kam es den Anwesenden so vor, als ob Raoul Zaum und Sporen absichtlich so anwandte, daß Mahound in dem Augenblicke wild ausschlug und sein Huf mit des Haushofmeisters Schenkel so zusammentraf, daß er ihn wie ein trocknes Rohr zersplittert hätte, wären sie ein paar Zoll näher aneinander gewesen. Aber auch so, wie es war, trug der Haushofmeister einen bedeutenden Schaden davon, und wer von den Anwesenden das Grinsen auf Raouls Essiggesichte bemerkte, hatte keinen Zweifel, daß Mahound mit seinem Hufe ein verdächtiges Nicken, Winken und Lächeln rächen sollte, das zwischen dem goldstrotzenden Offizianten und der kokettierenden Kammerfrau nach dem Ausritt vom Schlosse gewechselt worden war.

Dieser Umstand verkürzte die peinliche Abschiedszeremonie zwischen Lady Evelinen und ihren Untergebenen und nahm zugleich ihrer Zusammenkunft mit dem Connetable, die eigentlich nichts anders war, als eine Flucht unter seinem Schuh, den allzu förmlichen Charakter.

Hugo de Lacy, nachdem er sechs seiner Reisigen als Vortrab vorausgeschickt hatte, verweilte so lange, bis er den Haushofmeister auf einer Sänfte gebettet sah, und folgte dann mit seinen übrigen Begleitern in militärischer Ordnung, ungefähr dreihundert Fuß entfernt, Evelinen und ihrem Gefolge, ängstlich besorgt, nicht den Eindruck zu wecken, als ob er sich ihrer Gesellschaft aufdrängen wollte, so lange sie im Gebete lag, wozu der Ort ihres Zusammentreffens sie begreiflicherweise anregen mußte, vielmehr geduldig wartend, bis ihr jugendlicher Sinn sie zu einer Ablenkung der trüben Gedanken, mit denen sie der Ort erfüllte, bestimmen werde.

Demgemäß näherte sich der Connetable nicht eher den Frauen, als bis der vorgerückte Morgen zu der Anzeige drängte, daß in der Nachbarschaft ein freundlicher Platz sich befände, wo er Vorbereitungen zum Ausgehen und zu Erfrischungen getroffen hätte. Sobald Lady Eveline einwilligte, von dieser Artigkeit Gebrauch zu machen, erschien auch schon der Platz in der Nähe einer alten Eiche, die ihre gewaltigen Zweige weithin ausdehnte, den Wanderer an den Baum zu Mamre erinnernd, unter der sich himmlische Wesen von dem frommen Patriarchen bewirten ließen, Ueber zwei weithervorragende Aeste war wie ein Baldachin eine Decke von rosafarbenem Taffet gezogen, die Strahlen der schon hochstehenden Morgensonne abzuhalten. Seidne Kissen, abwechselnd mit andern, die mit Jagdtier-Pelzen bedeckt waren, lagen auf dem Boden als Sitze ausgebreitet. Auf langen Tafeln hatte man ein Mahl hergerichtet, zu dem ein normannischer Koch das Aeußerste seiner Kunst aufgeboten hatte. Eine Quelle, die unfern unter einem breiten, mit Moos bedecktem Steine hervorsprudelte, erfrischte das Ohr mit ihrem Geriesel, die Zunge mit ihrem flüssigen Kristall, während sie gleichzeitig als Zisterne diente, die verschiedenen Flaschen Gascogner und Hippokras, damals ein notwendiges Erfordernis zu jedem Morgenimbiß, kühl zu halten.

Als Eveline mit Rose, dem Beichtiger und – in schicklichem Abstande – der treuen Amme bei diesem schattigen Mahle saßen, dieweil die Blätter von leichtem Hauche säuselten, das Wasser im Hintergrunde sprudelte, die Vögel ringsumher zwitscherten und gedämpftes Plaudern und Lachen die Nähe ihrer Begleitung kündeten, konnte sie nicht umhin, dem Connetable einige verbindliche Worte über die glückliche Wahl dieses Ruheplatzes zu sagen.

»Ihr erweist mir zuviel Ehre,« erwiderte der Baron, »nicht ich, sondern mein Neffe hat den Platz ausgesucht; der Bursche hat eine Phantasie wie ein Minstrel. Dergleichen Dinge auszusinnen, fiele mir zu schwer.«

Rose blickte ihre Gebieterin an, als ob sie ihr in die innerste Seele dringen wollte' aber Eveline antwortete mit größter Unbefangenheit: »Und warum hat der edle Damian nicht auf uns gewartet, um dem Feste mit beizuwohnen, das er uns hergerichtet hat?«

»Er will lieber,« sagte der Baron, »mit ein paar leichten Reitern voraneilen. Denn wenn auch jetzt keine wälschen Buben in Bewegung sind, findet man doch die Grenzen selten frei von Räubern und losem Gesindel; für einen Trupp wie dem unsrigen ist freilich nichts zu fürchten, aber Ihr sollt auch durch die leiseste Spur von Gefahr nicht erschreckt werden.«

»Ich habe in der letzten Zeit freilich zu viel davon verspürt,« sagte Eveline und verfiel wieder in die melancholische Stimmung, von der sie die Neuheit der Szene auf einen Augenblick befreit hatte.

Unterdessen hatte der Connetable mit Hilfe seines Knappen Helm und Handschuhe abgelegt und saß im leichten Panzerhemd, das die Hände frei ließ, in der bei den Rittern unter dem Namen » matier« beliebten Samtmütze, die ihm bequemer saß als der schwere Helm, an der Tafel, Seine Unterhaltung, schlicht, gediegen und männlich, drehte sich um die Zustände im Lande, um die Maßregeln, die zur Verteidigung einer so unruhigen Grenze notwendig waren, und war für Evelinen, deren wärmster Wunsch es war, den Vasallen ihres Vaters wirksamen Schutz zu schaffen, von nicht geringem Interesse. Auch Lach seinerseits schien außerordentlich befriedigt; denn so jung auch Eveline noch war, so zeigte sie doch in Frage und Antwort hohen Verstand, scharfe Fassungskraft und gründliche Orientierung. Kurz, es bildete sich eine so freundliche Stimmung zwischen ihnen, daß der Connetable schließlich nicht anders meinte, als daß sein rechter Platz an Evelinens Seite sei, und wenngleich sie über seine Nachbarschaft eigentlich nicht erfreut war, sondern den jungen Neffen lieber gesehen hätte, doch auch nicht Willens, ihn abzuweisen. Er dagegen war wohl kein heißer Liebhaber, so sehr ihn auch die Schönheit und Liebenswürdigkeit der holden Waise fesselte, aber doch keineswegs unzufrieden damit, als Begleiter zu gelten, und ließ es sich durchaus nicht angelegen sein, die Gelegenheit, die ihm diese Reife bot, zur Weiterführung der Unterredung vom vorigen Tage zu benützen.

Um Mittag wurde wieder in einem kleinen Dorfe Halt gemacht, wo wiederum für alle Bequemlichkeit, namentlich für Evelinen, gesorgt war; aber zu ihrem erneuten Erstaunen blieb Damian auch hier unsichtbar. So interessant und belehrend auch die Unterhaltung des Connetable war, so darf es bei einem Mädchen in Evelinens Alter wohl kaum verwundern, wenn sie sich noch eine kleine Beigabe in der Person eines jüngeren, minder ernsthaften Begleiters wünschte. Und wenn Eveline sich an Damian Lacys bisher erwiesene Aufmerksamkeiten erinnerte, so mußte ihr freilich jetzt seine konsequente Abwesenheit recht auffallen. Doch konnte nur jemand, dem die vorhandene Gesellschaft nicht ganz behagte, vorübergehend auf den Gedanken kommen, daß sie sich nicht angenehm vermehren lassen solle. Sie lauschte geduldig der Schilderung, die ihr der Connetable vom Stammbaum eines edlen Ritters aus dem vornehmen Geschlecht der Herberte gab, auf deren Burg er das Nachtlager bestellt hatte – als einer vom Gefolge einen Botschafter der Lady von Baldringham meldete.

»Meines verehrten Vaters Tante,« sagte Eveline, indem sie sich erhob, zum Zeichen der Achtung vor Alter und Verwandtschaft, die die Sitten der damaligen Zeit forderten.

»Mir war es nicht bekannt,« sagte der Connetable, »daß mein edler Freund solche Verwandte hatte.«

»Sie ist die Schwester meiner Großmutter,« antwortete Eveline, »eine edle, sächsische Frau; aber ihr mißfiel die Verbindung mit einem normännischen Hause, und sie sah ihre Schwester nach der Hochzeit nie wieder.«

Sie brach ab, da der Bote, der ganz nach einem Haushofmeister eines vornehmen Herrn aussah, zu ihr herantrat und, ehrfurchtsvoll sein Knie beugend, einen Brief in ihre Hand legte, der vom Pater Aldrovand vorgelesen wurde und folgende Einladung, nicht in französischer, – damals der allgemeinen Schriftsprache unter Leute von Stande – sondern in der alten sächsischen Sprache, wenn auch mit manchen französischen Brocken durchsetzt, enthielt:

»Wenn die Großtochter Aalfreids von Baldringham noch so viel altsächsisches Blut in sich hat, um eine greise Verwandte gern bei sich zu sehen, die noch im Hause ihrer Altvordern wohnt und nach deren Sitten lebt, so wird sie hierdurch eingeladen, ihre Nachtruhe zu nehmen in der Wohnung – von Ermengarde von Baldringham.«

»Es wird Euch doch zweifelsohne gefällig sein, die angebotene Bewirtung abzuschlagen,« sagte der Connetable de Lach, »der edle Herbert erwartet uns und hat große Vorbereitungen gemacht.«

»Eure Gegenwart, Mylord,« sagte Eveline, »wird ihn über meine Abwesenheit mehr als zufrieden stellen. Es geziemt sich und schickt sich nicht anders, als daß ich meiner Tante entgegenkommen muß, da sie sich herabgelassen hat, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun.«

De Lachs Stirn umwölkte sich leicht, denn selten kam er in den Fall, daß etwas auch nur den Anschein eines Widerspruchs gegen seinen Willen hatte ... »Ich bitte zu überlegen, Lady Eveline,« sagte er, »daß Eurer Tante Haus wahrscheinlich ohne alle Verteidigung oder wenigstens recht unvollkommen bewacht ist. – Solltet Ihr wirklich nicht wünschen, daß ich meine schuldigen Dienste fortsetze?«

»Darüber, Mylord, kann nur meine Tante in ihrem eigenen Hause urteilen, und da sie, wie mich dünkt, es nicht für nötig erachtet hat, sich die Ehre von Eurer Herrlichkeit Gegenwart zu erbitten, so würde sich für mich nicht die Erlaubnis schicken, Euch mit meinem Schutze zu belästigen. – Ihr habt schon zu viel Plage meinetwegen gehabt.«

»Doch Eurer eigenen Sicherheit wegen, meine Dame!« sagte de Lach, der nicht gern sein Amt niederlegen wollte.

»Meiner Sicherheit, Mylord, kann in dem Hause meiner so nahen Verwandten keine Gefahr drohen. Die Maßregeln, die sie zu ihrer eigenen Sicherheit nimmt, werden zweifelsohne auch vollkommen hinreichend für die meinige sein.«

»Ich hoffe, daß sich das so finden möge,« sagte de Lach. »Ich will wenigstens zur Sicherheit eine Patrouille hinzutun, die während Eures Aufenthaltes daselbst rund um das Schloß herumgeht,« – Er hielt inne, um nach einer Weile, freilich mit einigem Stocken, seiner Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Eveline bei dem Besuch einer Verwandten, deren Vorurteile gegen den normannischen Stamm allgemein bekannt wären, es für geraten ansehen werde, einigermaßen gegen die dort herrschenden Ansichten auf ihrer Hut zu sein.

Eveline antwortete mit Würde, daß die Tochter eines Raymond Berenger wohl kaum auf Meinungen achten werde, die sich gegen Nation und Abkunft solch trefflichen Ritters ablehnend verhalten sollten, – Mit dieser Versicherung mußte der Connetable sich genügen, da es ihm nicht gelingen wollte, eine andre Zu erlangen, die ihm selbst und seiner Bitte günstiger gewesen wäre. Er dachte auch daran, daß die Burg Herberts nur knappe zwei Stunden von der Wohnung der Lady von Baldringham gelegen, und daß der Altersunterschied zwischen ihnen zu groß, wie daß es ihm an all jenen Vorzügen mangle, durch die sich ein weibliches Herz am leichtesten, wie man sagt, gewinnen läßt: diese Umstände ließen ihm selbst diese kurze Abwesenheit als eine Sache von höchster Bedenklichkeit erscheinen, so daß er den Nachmittag über fast immer schweigend an Evelinens Seite ritt, mehr darüber sinnend, was sich morgen zutragen würde, als daß er sich bemüht hätte, den Augenblick zu nützen. – In solch ungeselliger Weise wurde die Reise fortgesetzt, bis man den Punkt erreichte, wo man sich für diesen Abend trennen sollte.

Es war eine Anhöhe, von der rechter Hand die Burg Amelot Herberts mit ihren gotischen Zinnen und Türmen auf der Höhe eines Hügels in Sicht trat, zur Linken, dicht umschattet von Eichwäldern, die rauhe, einsame Wohnstätte der Lady von Baldringham, wo noch immer die Sitte der Angelsachsen herrschte und Verachtung und Haß alle Neuerungen traf, die seit der Schlacht von Hastings [Im Jahre 1066 wurde Wilhelm der Eroberer Herr über England. Mit ihm beginnt die normannische Dynastie und zogen normannische Sitten im Lande ein.] aufgekommen waren.

Nachdem der Connetable einem Teil seiner Leute Befehl gegeben, Evelinen bis zum Hause ihrer Tante das Geleit zu geben danach um das Haus herum, doch in solcher Entfernung, daß es der Familie weder anstößig werden, noch Unannehmlichkeiten verursachen können, auf Posten zu ziehen, drückte er auf Evelinens Hand einen respektvollen Abschiedskuß und zog sich dann mit Widerstreben zurück.

Eveline verfolgte den wenig betretenen Pfad, der zu der dürftigen Wohnung führte. Auf den üppigen Weiden rings herum graste kräftiges Vieh von vorzüglicher Rasse. Hin und wieder sah man Damwild, das alle Scheu verloren zu haben schien, durch die Waldlichtung kreuzen, oder in kleinen Rudeln unter einer großen Eiche stehen oder liegen. Das Wohlbehagen, das sonst solches Bild ländlicher Ruhe bei Vorübergehenden weckt, wandelte sich bei Evelinen bald in ernstere Empfindungen, als eine plötzliche Wegbiegung sie mit einemmal vor die Front des Herrenhauses führte, von dem sie, seit sie es von jenem Platz erblickte, wo sie sich von dem Connetable trennte, nichts weiter gesehen hatte, und das sie mit einer gewissen Besorgnis zu betrachten jetzt mehr als einen Grund hatte.

Das Haus, denn ein Schloß konnte man es nicht nennen, war nur zwei Stockwerke hoch, niedrig und massiv; Türen und Fenster zeigten den dicken Rundbogen, gewöhnlich »der sächsische« genannt – die Mauern überdeckten verschiedene Schlingpflanzen, die sich ungestört daran hinaufgerankt hatten, – selbst bis über die Schwelle, an der ein Büffelhorn an eherner Kette hing, wuchs Gras. Eine dicke Tür von Eichenholz schloß einen Torweg, der ganz wie das Portal eines verfallenen Grabgewölbes aussah. Keine Seele erschien, ihre Ankunft zu melden oder sie zu begrüßen.

»Wäre ich an Eurer Stelle, Mylady Eveline,« sagte die zudringliche Dame Gillian, »so lenkte ich noch um, denn dieses alte Loch scheint nicht dazu geschaffen, Christenleuten Obdach oder Nahrung zu geben.«

Eveline gebot ihrer unbescheidenen Dienerin Schweigen, obwohl sie selbst mit Rosen Blicke wechselte, die einige Zaghaftigkeit ausdrückten. Indessen winkte sie Raoul mit der Hand, in sein Horn am Tor zu stoßen ... »Ich habe gehört,« sagte sie, »meine Tante hinge den alten Sitten noch so an, daß es ihr zuwider sei, Dingen in ihrer Halle Aufnahme zu gewähren, die nicht aus den Zeiten Eduards des Bekenners [Der letzte angelsächsische König starb 1066 im Januar, falls nicht Harold, der bei Hastings am 14. Oktober gegen Wilhelm den Eroberer blieb, als der letzte angesehen werden soll.] herstammen.«

Raoul verwünschte indes das rohe Instrument, das all seine Kunst zu schanden machte und keine regelrechte Aufforderung, sondern nur ein zitterndes, mißtönendes Gelärm von sich gab, das die alten Mauern, so dick sie waren, zu erschüttern schien. Er wiederholte seine Aufforderung dreimal, ehe sich das Tor öffnete, Eine zahlreiche Dienerschaft beiderlei Geschlechts erschien in der engen und finstern Halle, an deren oberem Ende ein mächtiges Holzfeuer seine Glut zu einem altertümlichen Kamin hinaufsandte, dessen Front, so breit wie jetzt eine Küche, reich mit Stukkatur verziert war, oben mit einer langen Reihe von Nischen, aus deren jeder das Bild eines sächsischen Heiligen hervorgrinste, dessen barbarischer Name im römischen Kalender kaum zu finden sein dürfte.

Derselbe Bediente, der Evelinen die Einladung gebracht hatte, trat jetzt vor, ihr, wie sie wähnte, beim Absteigen vom Pferde behilflich zu sein; aber er kam nur, um es am Zügel zu nehmen und in die gepflasterte Halle, auf den »Dais«, wie die darin befindliche Rampe hieß, zu führen. An dessen äußerm Ende wurde ihr endlich gestattet, abzusteigen. Zwei betagte Matronen und vier junge Mädchen von guter Abkunft, durch Ermengard erzogen, erwarteten ehrerbietig die Ankunft ihrer Base. Eveline wollte nach ihrer Großtante fragen, aber die Matronen legten ehrfurchtsvoll ihren Finger auf den Mund, ihr dadurch Schweigen empfehlend: eine Gebärde, die, im Verein mit der Seltsamkeit ihres Empfanges, ihre Neugierde, die ehrwürdige Tante zu sehen, noch mehr erregte.

Sie wurde bald befriedigt; denn durch ein paar Flügeltüren, die sich nicht weit von der Erhöhung auftaten, auf der sie stand, wurde sie in ein weites, niedriges Gemach geführt, mit Tapeten behangen, an dessen oberstem Ende unter einer Art Baldachin die alte Lady von Baldringham saß. Achtzig Jahre hatten den Glanz ihrer Augen noch nicht verlöscht, ihre stattliche Größe noch um keinen Zoll gebeugt! ihr graues Haar hatte noch immer eine solche Fülle, daß es, zusammengenommen, für einen Kranz von Efeublättern einen recht stattlichen Knoten bildete. Ihr langes, dunkles Gewand fiel in weiten Falten zur Erde, und der gestickte Gürtel, der es um ihren Leib zusammenfaßte, war mit einer goldenen, mit kostbaren Steinen besetzten Schnalle befestigt. Ihre Gesichtszüge, die einst schön oder vielmehr majestätisch gewesen sein mochten, trugen noch jetzt, wenn auch verwelkt und mit Runzeln bedeckt, das Gepräge melancholischer Erhabenheit, die mit ihrer Kleidung und Haltung in vorzüglichem Einklange stand. Sie hielt einen Stab von Ebenholz in der Hand; zu ihren Füßen ruhte ein großer, betagter Wolfshund, der die Ohren spitzte und den Hals in die Höhe streckte, als der Schritt einer fremden Person, – ein Ton, der so selten in diesen Hallen gehört wurde – dem Stuhle sich nahte, in dem seine Herrin bewegungslos saß.

»Ruhig, Thryve,« sagte die ehrwürdige Frau, »und Du, Tochter des Hauses Baldringham, tritt näher und fürchte nicht seinen alten Diener!«

Der Hund sank, als sie sprach, in seine liegende Stellung zurück und, den roten Glanz seiner Augen ausgenommen, hätte er ein hieroglyphisches Emblem darstellen können, liegend zu den Füßen einer alten Priesterin des Wodan oder der Freya; so ganz entsprach die Erscheinung Ermengards mit ihrem Stabe und Kranze den Gestalten des Heidentums. Aber mit solchem Vergleich hätte man eine große Ungerechtigkeit gegen die ehrwürdige christliche Matrone verübt, die so manche Hufe Landes der heiligen Kirche zu Ehren Gottes und des heiligen Dunstan geschenkt hatte.

Der Empfang, den Ermengard Evelinen bereitete, war von derselben altertümlichen und feierlichen Art, wie ihr Wohnsitz und ihr Aeußeres. Sie erhob sich nicht gleich anfangs von ihrem Sitze, als das edle Fräulein sich ihr nahte, ja sie ließ sich nicht einmal zu dem Kusse herbei, den sie ihr reichen wollte, sondern legte ihre Hand auf Evelinens Arm, hielt sie zurück, als sie vortrat, und betrachtete ihr Gesicht ernst, ohne Schonung, mit peinlichster Aufmerksamkeit.

»Berwine,« sprach sie zu ihrem Liebling unter den beiden Dienerinnen, »unsere Nichte hat Haut und Augen von sächsischer Farbe, aber Augenbrauen und Haare sind von der andern, der fremden, – sei demungeachtet in meinem Hause willkommen, Mädchen,« fügte sie hinzu, sich an Evelinen wendend, »besonders, wenn Du es anhören kannst, daß Du kein so unbedingt vollkommenes Geschöpf bist, wie zweifelsohne Deine Schmeichler Dich glauben lehrten.« Mit diesen Worten stand sie endlich auf und drückte ihrer Nichte zum Gruß einen Kuß auf die Stirn. Doch ließ sie ihren Arm noch nicht los, sondern übertrug nun die Aufmerksamkeit, die sie auf ihre Gesichtszüge verwandt hatte, auf ihre Kleidung.

»Der heilige Dunstan schütze uns vor Eitelkeit,« sagte sie, »das also ist die neue Mode? und ehrsame Mädchen tragen solche Tunika wie diese hier? so offen, daß ihre ganze Gestalt zu erkennen? – Heilige Maria! beschütze uns! – Da sieht ja ein Mensch aus, als hätte er ganz und gar nichts auf dem Leibe! – Ach, und sieh nur, Berwine, diese Flitter um den Nacken, und den Nacken bloß bis zur Schulter – das sind die Moden, die die Fremden in das fröhliche England brachten! – Und diese Tasche, die mit dem Schurz eines Possenreißers auffallende Ähnlichkeit hat, wird, möchte ich wetten, in der Hauswirtschaft wohl nicht viel am Platze sein – und der Dolch da gemahnt an das Weib eines lustigen Spielmanns, das, in Manneskleider vermummt, um die Wette mit ihm reitet. Ziehst Du immer mit in den Krieg, Mädchen, daß Du solchen Stahl am Gürtel trägst?«

Eveline, durch diese verächtliche Aufzählung ihres Anzuges überrascht und gekränkt, antwortete auf die letzte Frage nicht ohne Empfindlichkeit: »Die Mode mag sich geändert haben, Madame; ich trage nur die Kleidung, die jetzt von allen meinen Alters- und Standesschwestern getragen wird. Und was den Dolch anbetrifft, so ist es noch nicht viele Tage her, daß ich ihn als letzte Zuflucht vor Schande betrachten mußte.«

»Das Mädchen redet wacker und kühn, Berwine,« sprach Dame Ermengard, »und trägt sich, wenn man diesen eitlen Trödelkram übersieht, wirklich noch recht anständig ... Dein Vater, hörte ich, fiel wie ein Ritter auf dem Blachfelde?«

»So war es,« antwortete Eveline, und ob dieser Erinnerung an ihren schweren Verlust traten ihr Tränen in die Augen.

»Ich habe ihn nie gesehen,« fuhr Dame Ermengard fort; »in seinem Herzen wohnte die alte normännische Verachtung unsers sächsischen Stammes, mit dem sie sich bloß vermählen, wenn sie Vorteil ziehen können, wie sich der Brombeerstrauch um die Ulme schlingt ... Nein, nein, sage nichts zu seiner Rechtfertigung,« fuhr sie fort, als sie merkte, daß Eveline sprechen wollte; »ich habe den normännischen Geist kennen gelernt, manches Jahr, früher, als Du geboren wurdest.«

In diesem Augenblick trat der Haushofmeister ins Zimmer und erbat sich, nach einer tiefen Kniebeuge, Verhaltungsmaßregeln betreffs der normannischen Krieger, die sich außerhalb des Hauses aufhielten.

»Normannische Krieger im Hause von Baldringham!« rief die alte Lady stolz; »wer führte sie hierher, und zu welcher Absicht?«

»Sie kommen, wie ich glaube,« sagte er, »als Wache und Schutz für diese gnädige junge Lady.«

»Wie, meine Tochter?« fragte Ermengard mit trübem Stimmklange, »getraust Du Dich nicht eine Nacht ohne Bedeckung im Schlosse Deiner Ahnen zuzubringen?«

»Behüte Gott,« sagte Eveline, »aber diese Leute gehören mir nicht an und stehen nicht unter meinem Befehl. Sie bilden einen Teil vom Gefolge des Connetable de Lacy, der sie aus Furcht vor Räubern zur Bewachung des Schlosses zurückließ.«

»Räuber,« sagte Ermengard, »haben dem Hause Baldringham nie geschadet, seit ein normannischer Räuber aus ihm den besten Schatz stahl, Deine Großmutter! – So bist Du also, armes Vögelchen, schon gefangen? – Ach! wie Du kläglich flatterst! – Doch das ist Dein Los; warum sollte ich mich darüber wundern oder es beklagen? Wo gab es jemals ein schönes Mädchen mit einem reichen Erbe, das nicht schon vor der Reife bestimmt ward, die Sklavin einer dieser kleinen Könige zu sein, die uns nichts als Eigentum vergönnen, was ihrer Leidenschaft gelüstet? – Ich kann Dir nicht helfen, Kind, denn ich bin nur ein armes, vernachlässigtes Weib, schwach durch Geschlecht und Alter. – Und welchem von diesen de Lacys bist Du bestimmt zum Hauspacktier?«

Solche Frage aus dem Munde einer Frau, deren Vorurteile solch entschiedenen Charakter hatten, war nicht geeignet, Evelinen zum Eingeständnis ihrer wirklichen Lage zu bestimmen, da es ihr klar war, daß diese sächsische Verwandte ihr weder gesunden Rat noch nützlichen Beistand gewähren würde. Sie erwiderte daher nur kurz, daß, da die de Lacys, wie die Normänner überhaupt, in Baldringham unwillkommen wären, sie den Befehlshaber der Patrouille ersuchen wolle, sich aus der Nachbarschaft des Schlosses zu entfernen.

»Nicht doch, meine Nichte!« rief die alte Lady. »Da wir der Nachbarschaft der Normänner nicht entgehen, auch nicht aus dem Bereich ihrer Abendglocke [Von Wilhelm dem Eroberer zum Zeichen dafür, daß Feuer und Licht auszulöschen sei, eingesetzt und an manchen Orten Englands um die Schlafenszeit bis vor 50 Jahren noch im Gebrauch.] kommen können, ist es gleichgültig, ob sie näher oder ferner unsern Mauern sind, sofern sie nur nicht hereinkommen. – Und, Bermine, laß Hundwolf diese Normänner in Getränken baden und mit Speisen vollstopfen – mit den besten Speisen und den stärksten Getränken! Es soll keiner von ihnen sagen, die alte sächsische Hexe sei wohl gastfreundlich, aber filzig ... Stecht ein frisches Faß Wein an, denn ihr vornehmer Magen, glaubt mir, verträgt kein Bier.«

Berwine, mit dem klingenden gewaltigen Schlüsselbund an der Seite, ging hinaus, das Nötige anzuordnen, und kam alsobald wieder. Inzwischen fuhr Ermengard fort, ihre Nichte noch schärfer auszufragen. – »Willst Du mir nicht sagen, oder kannst Du es nicht, bei welchem de Lacy Du Leibeigene werden sollst? – Bei dem eingebildeten Connetable, der, in eine undurchdringliche Rüstung geschnürt, auf schnellem und starkem Pferde so unverwundbar, wie er sich damit bläht, nach Herzenslust und in voller Sicherheit den nackten, unberittenen Wälschen niederzureiten und niederzustoßen? – Oder ist es sein Neffe, der bartlose Damian? – Oder sollen Deine Besitzungen hingehen, den Riß im Vermögen des andern Vetters zu flicken – des verlumpten Schwärmers, der aus Mangel an Mitteln unter den liederlichen Kreuzfahrern nichts mehr durchdringen kann?«

»Meine verehrte Tante,« entgegnete Eveline, über solche Reden begreiflicherweise unwillig, »bei keinem de Lacy und, ich versichere, bei keinem andern Sachsen oder Normann wird Eure Nichte Haussklavin sein. Vorm Tode meines verehrten Vaters ist zwischen ihm und dem Connetable eine Vereinbarung getroffen worden, die mich hindert, seine Aufmerksamkeiten rundweg abzuweisen; was aber das Ende davon sein wird, muß das Schicksal entscheiden.«

»Aber, Nichte, schon heute kann ich Dir sagen, wohin des Schicksals Wage sich neigen wird,« sagte Ermengard mit leiser, geheimnisvoller Stimme; »wer mit uns durch das Blut verbunden ist, besitzt gewissermaßen das Vorrecht, über die Gegenwart hinauszuschauen und schon in der Knospe die Dornen oder Blumen zu erkennen, die einst das Haupt umwinden sollen.«

»Was mich anbetrifft, edle Tante,« sagte Eveline, »so möchte ich solches Vorrecht ablehnen, selbst wenn es sich erlangen ließe, ohne die Gesetze der Kirche zu übertreten. Hätte ich vorhersehen können, was mir in diesen letzten unglücklichen Tagen begegnet ist, so wäre mir jeder frohe Augenblick in meinem Leben vergällt worden.«

»Dessenungeachtet, meine Tochter,« sagte Lady von Baldringham, »mußt Du wie jede andere Deines Stammes Dich in diesem Hause nach dem Gesetze richten, eine Nacht im Zimmer des roten Fingers zuzubringen. – Berwine, laß es zum Empfange meiner jungen Nichte bereiten!«

»Ich – ich habe wohl von diesem Zimmer gehört, gnädige Tante,« sagte Eveline ängstlich; »und wenn es Euch gefällig wäre, möchte ich eben jetzt nicht wünschen, dort die Nacht zu verbringen. Meine Gesundheit hat durch die Gefahren und Anstrengungen der letzten Tage sehr gelitten, und mit Eurem Verlaub will ich ein andermal dem Brauche gehorsamen, dem, wie ich höre, die Töchter aus dem Hause Baldringham sich unterwerfen müssen.«

»Und dem Ihr, trotz allem, Euch gern entziehen möchtet,« sprach die alte Lady, unwillig ihre Stirn runzelnd, »Hat nicht solcher Ungehorsam Eurem Hause bereits Leid in Menge bereitet?«–

»Verehrte, gnädige Frau!« sagte Berwine, die sich der Einmischung nicht länger enthalten konnte, trotzdem sie den harten Sinn ihrer Herrin sattsam kannte, »das Zimmer läßt sich kaum für Lady Eveline instand setzen; zudem sieht das edle Fräulein so blaß aus und hat doch eben erst so schwer gelitten, daß ich mit gütigem Verlaub den Rat geben möchte, die Ausführung dieser Absicht aufzuschieben.«

»Du bist eine Närrin, Berwine,« sprach die Lady bitterernst: »meinst Du, ich solle Zorn und Unheil über mein Haus bringen dadurch, daß ich dem Mädchen gestatte, mein Haus zu verlassen, ohne dem roten Finger die übliche Huldigung darzubringen? – Nur zu! – Mach das Zimmer fertig! – Es wird weniges zur Herrichtung genügen, sofern sie nicht zu viel an normannischen Bequemlichkeiten hängt. – Keine Gegenrede, Berwine, sondern tue, was ich befehle! – Und Ihr, Eveline, seid Ihr des kühnen Geistes Eurer Vorfahren so entwöhnt, daß Ihr Euch nicht getraut, ein paar Stündchen in einem alten Zimmer zuzubringen?«

»Ihr seid meine Wirtin, gnädige Frau,« versetzte Eveline, »und seid berechtigt, mir ein Zimmer anzuweisen, wie Ihr es schicklich für mich findet. – Mein Mut entspricht meiner Unschuld, wie meinem Stolz auf Blut und Geburt und ist in diesen letzten Tagen wohl zur Genüge auf die Probe gestellt worden. Doch da es Euch gefällt, und es in diesem Hause also Brauch ist, sollt Ihr mein Herz stark genug finden, allem zu trotzen, dem Ihr mich unterwerfen wollt.« Unmutig schwieg sie; denn sie konnte nicht anders, als empfindlich über solch unfreundliches und ungastliches Benehmen ihrer Tante sein. Und doch mußte sie, wenn sie über den Ursprung der Legende jenes Zimmers nachsann, sich eingestehen, daß die greise Lady von Baldringham allerdings hinlängliche Ursache zu ihrem Verlangen habe, das mit der Familientradition und dem Glauben jener Zeit, dem Eveline selbst anhing, in voller Übereinstimmung stand.

Vierzehntes Kapitel

Der Abend zu Baldringham wäre von unerträglicher Länge gewesen, wenn nicht eine drohende Gefahr die Zeit wesentlich abgekürzt hätte. Wenn auch Eveline wenig erbaut war von der Unterhaltung ihrer Tante mit Berwinen, die sich nur in langen Erörterungen über ihre Abkunft vom kriegerischen Horsa und Schilderungen der Großtaten sächsischer Kriegshelden, wie auch der Wundertaten sächsischer Mönche drehte, so war es ihr noch immer lieber, diesen Legenden ihr Ohr zu leihen, als sich im Geiste schon vorher mit ihrem Aufenthalt in jenem gefürchteten Zimmer, wo sie die Nacht zubringen sollte, zu quälen. Doch fehlte es keineswegs an lustiger Unterhaltung für den Abend, soweit sie das Haus von Baldringham darbieten konnte. Von einem ernsten alten sächsischen Mönche, dem Kaplan des Hauses, eingesegnet, wurde ein prächtiges Gastmahl, das ein Dutzend Hungrige hätte sättigen können, vor Ermengard und ihrer Nichte aufgetragen, an dem außer dem hochwürdigen Herrn auch Berwine und Rose Flammock teilnahmen. Eveline fühlte sich um so weniger geneigt, von dieser übertriebenen Gastfreiheit Gebrauch zu machen, als die Gerichte durchweg von jener groben, kräftigen Gattung waren, die die Sachsen bewunderten, die aber nicht zu ihrem Vorteil gegen die verfeinerte Kochkunst der Normannen abstachen, gleichwie der blinkende Becher leichten, blumigen, obendrein mit Wasser vermischten Gascogners nicht gegen das kräftige Bier, den würzigen Hippokras und andere starke Getränke, die nacheinander Hundwolf, der Haushofmeister, zu Ehren der Gäste von Baldringham auftischte, aufkommen konnte.

Ebensowenig wie das überreiche, derbe Gastmahl, war auch die Abendunterhaltung mit der greisen Tante nach Evelinens Geschmack. Als die Gestelle und Tische, auf denen die Gerichte aufgetragen gewesen, aus dem Zimmer geschafft waren, begannen die Diener unter Anleitung des Haushofmeisters große Wachskerzen anzuzünden, deren Zahl ebenso viele Zeitabschnitte anzeigten, und zwar wurden dieselben angekündigt durch eherne Kugeln, die von der Kerze hinunter an Fäden hingen, wobei man genau berechnet hatte, wieviel Zeit der zwischen ihnen befindliche Raum zum Brennen brauche; so daß, wenn die Flamme den Faden erreichte, die Kugeln, der Reihe nach in ein darunter gestelltes ehernes Becken fallend, gewissermaßen das Amt der viel später erfundenen Schlaguhren verrichteten. [Eine Erfindung Alfreds des Großen (seit 801), also echt angelsächsischen Ursprungs.] Bei dieser Beleuchtung begann die Abendunterhaltung.

Ermengards hoher, weiter Armstuhl wurde, alter Gewohnheit getreu, aus der Mitte des Zimmers auf die wärmste Seite eines breiten, mit Holzkohlen gefüllten Kamins gerückt, und ihr Gast erhielt ihr zur Rechten als Ehrenplatz seinen Sitz. Berwine stellte nun die weibliche Dienerschaft in gehörige Ordnung, und nachdem sie darauf gesehen, daß jede die ihr übertragene Arbeit vornahm, setzte sie sich selbst an die Spindel. In einem etwas entfernteren Kreise begannen die Männer, das Wirtschaftsgerät und die Werkzeuge auszubessern oder das Jagdgerät zu polieren, an ihrer Spitze Haushofmeister Hundwolf. Zur Aufheiterung der versammelten Familie sang ein alter Spielmann zu einer Harfe, die nur vier Saiten hatte, eine lange Legende religiösen Inhalts, die allem Anschein nach zu keinem Ende kommen konnte. Evelinen blieb der Gesang fast unverständlich durch die vom Dichter überreich gebrauchten Alliterationen, die für einen besonderen Schmuck der sächsischen Poesie gehalten wurden, aber nur auf Kosten der Musik gebraucht werden konnten. Dazu kam all die Dunkelheit, die durch Auslassungen, Abkürzungen und übertriebene Hyperbeln geschaffen wurde. Eveline war gut bekannt mit der sächsischen Sprache, lieh bald dem Sänger keine Aufmerksamkeit mehr, sondern dachte an die muntern Fabliaux und phantasiereichen Lais der normannischen Minstrels; dabei schweifte aber ihr Sinn mit banger Vorempfindung zu dem geheimnisvollen Zimmer hinüber, wo sie die Nacht zubringen sollte, und malte ihr die Erscheinung aus, die sie dort zu gewärtigen haben würde.

Endlich nahte die Stunde der Trennung. Kurz vor Mitternacht fiel die Kugel, den Zeitpunkt, den die hinuntergebrannte Wachskerze angab, kündend, mit Geklirr in das eherne Becken. Der alte Spielmann hielt in seinem Gesang inne, und die Dienerschaft war im Nu auf das Signal hin auf den Beinen, mit Fackeln oder Lampen die Gäste in die ihnen zuerteilten Schlafzimmer zu geleiten. Mehreren Kammerfrauen fiel es zu, Evelinen zu bedienen, von der sich die Tante feierlich verabschiedete, ihr die Stirn bekreuzend und küssend, mit den ihr ins Ohr geflüsterten Worten: »Sei mutig und werde glücklich!«

»Kann nicht meine Zofe Rose oder Raoul, meine Kammerfrau, die Nacht über bei mir mit im Zimmer bleiben?« fragte Eveline.

»Rose-Raoul!« wiederholte Ermengard verächtlich; »ist Dein Haushalt so zusammengesetzt? Die Holländer bilden für Britannien das Lähmungs-, die Normannen das Jähzorns-Ferment!«

»Und die armen Wälschen würden hinzusetzen,« sagte Rosa, deren Unwille die Achtung vor der alten Sächsin zu verscheuchen begann, »daß die Angelsachsen das Urübel seien und einer verheerenden Pestilenz gleichen.«

»Sehr keck, mein Kind, sehr keck,« sagte Lady Ermengard, unter ihren schwarzen Brauen hervor Blitze auf das flämische Mädchen schleudernd; »und doch liegt Witz in Deinen Worten! Sachsen, Dänen, Normannen sind, jagenden Wogen gleich, über unser Land dahin gerollt; die Kraft, es sich zu unterjochen, hatte jeder, den Verstand, es zu bewahren, keiner! – Wann wird das anders sein?«

»Wenn Sachse, Brite, Normann und Vlame,« antwortete Rosa, »lernen werden, sich mit gleichem Namen zu nennen und sich als gleiche Kinder des Landes zu fühlen, in welchem sie geboren wurden.«

»Ha!« rief die greise Lady, halb erstaunt, halb zufrieden; dann sich zu ihrer Verwandten wendend, sagte sie: »Du hast Wort und Witz an dem Mädchen; gib acht, daß sie es brauche, aber nicht mißbrauche.«

»Sie ist ebenso freundlich und treu, wie ehrlich und mit ihrem Witze fertig,« sagte Eveline. »Ich bitte Euch, teuerste Tante, vergönnt mir in dieser Nacht ihre Gesellschaft,«

»Es kann nicht sein, es wäre gefährlich für beide. Allein müßt Ihr Euer Geschick erfahren, wie alle Frauen unsres Geschlechts, Deine Großmutter ausgenommen. Und was ist die Folge davon gewesen, daß sie die Gesetze ihres Hauses vernachlässigt hat? Da! Ihre Enkelin steht vor mir, eine Waise, in der Blüte ihrer Jugend!«

»So will ich denn gehen,« sagte Eveline, ergeben in ihr Schicksal, doch tief aufseufzend; »nie soll man sagen, ich hätte, aus Scheu vor gegenwärtigem Schrecken, künftiges Weh veranlaßt.«

»Eure Dienerinnen,« sagte Lady Ermengard, »können im Vorzimmer bleiben, wo Ihr sie immer rufen könnt. Berwine wird Euch das Zimmer zeigen – ich kann nicht; denn wir, die wir einmal hineingegangen sind, kehren nie wieder dorthin zurück. – Lebe Wohl, mein Kind, und möge der Himmel Dich segnen!«

Mit einem größern Maße von Empfindung und Teilnahme, als sie bis jetzt gezeigt, küßte sie Evelinen noch einmal und winkte ihr, Berwinen zu folgen, die mit zwei Dienerinnen, die Fackeln trugen, ihrer wartete, sie in das gefürchtete Zimmer zu führen.

Die Fackeln warfen ihren Schein auf die rohen Wände und die dunklen, gewölbten Decken mehrerer gewundenen langen Gänge, dann auf die Stufen einer Wendeltreppe, die sie hinabstiegen und die durch viele Höcker und rauhe Stellen ihr hohes Alter verriet. Endlich traten sie in ein ziemlich hohes Gemach des Unterstocks, dem ein paar alte Tapeten, ein flackerndes Herdfeuer, das durch ein Gitterfenster sich stehlende Mondlicht und die Zweige einer um das Fenster herum gewachsenen Myrte kein unfreundliches Ansehen gaben.

»Dies,« sagte Berwine, »ist das Schlafgemach Eurer Dienerinnen.« – Dabei zeigte sie auf zwei Lagerstätten, die für Rosa und Frau Gillian bereit standen. – »Wir,« setzte sie hinzu, »gehen weiter.«

Sie nahm der einen der beiden Dienerinnen, die vor Furcht zurückzuschaudern schienen, – worin ihnen Frau Gillian schnell nachahmte, ohne eigentlich zu wissen warum – die Fackel ab; Rose Flammock aber folgte, ohne sich zu bedenken, ihrer Herrin, die von Berwinen durch eine schmale, mit eisernen Nägeln beschlagene Tür am äußersten Ende des Zimmers in ein zweites, aber kleineres Vorgemach geführt wurde, an dessen Ende eine ähnliche Tür sich befand. Auch hier war das Fenster mit Immergrün umrankt, und es wurde, gleich dem ersten, von mildem Mondlicht erhellt.

Hier blieb Berwine stehen und fragte, auf Rose deutend: »Warum folgt sie?«

»Um alle Gefahr mit meiner Herrin zu teilen, komme, was da wolle,« antwortete Rose mit ihrer charakteristischen Freimütigkeit in Wort und Entschluß. – »Sprecht, meine teuerste Lady,« und ergriff Evelinens Hand, »Ihr werdet doch Eure Rose nicht von Euch stoßen? Wenn ich auch nicht so hochsinnig bin wie eine von Eurem vielgerühmten Stamme, so bin ich doch nicht ohne Mut und Geistesgegenwart, so lange es sich um ehrlichen Dienst handelt. – Ihr zittert wie Espenlaub – geht nicht in das Zimmer – laßt Euch nicht durch all diese geheimnisvollen, prunkenden Vorbereitungen täuschen! Trotzet diesem veralteten und, ich sollte denken, halb heidnischen Aberglauben!«

»Lady Eveline muß gehen, Schätzchen,« antwortete Berwine ernsthaft, »und muß gehen ohne solch vorwitzige Ratgeberin oder Gesellschafterin, wie Ihr es zu sein scheint.«

»Muß gehen? muß?« wiederholte Rose; »ist das eine Rede, die sich gegen eine freie, edle Jungfrau geziemt? Süße Lady, gebt mir nur den kleinsten Wink, daß es Euch recht ist, und ich will's drauf ankommen lassen, ob Ihr »muß gehen« die Probe besteht. Aus dem Fenster will ich den normännischen Reitern zurufen und ihnen erzählen, daß wir in eine Höhle von Hexen geraten sind, statt in ein gastliches Haus.«

»Schweigt, Rasende,« sagte Berwine, und ihre Stimme bebte vor Aerger und Furcht, »Ihr wißt nicht, wer in dem nächsten Zimmer wohnt.«

»Ich will mir schon jemand rufen, der das ermitteln soll,« sagte Rose und flog zum Fenster, als Eveline sie beim Arm ergriff und zurückhielt.

»Ich danke Dir für Deine Liebe, mein Kind,« sagte sie, »aber sie kann mir hier nichts helfen, wer zu dieser Tür tritt, muß allein eintreten.«

»Dann will ich an Eurer Stelle hineingehen, teuerste Lady,« sagte Rosa, »Ihr seid blaß, seid kalt – Ihr sterbt vor Schrecken, wenn Ihrs weiter treibt! Es mag hier eine übernatürliche Kraft, wenn nicht ein Betrug im Spiele sein – mich sollen sie nicht betrügen – oder verlangt irgend ein finsterer Geist ein Opfer – besser dann Rose als ihre Gebieterin.«

»Laß das, laß das!« sagte Eveline und sprach sich selbst Mut zu. »Du machst, daß ich über mich selbst erröte. Das ist ein altes Gottesurteil, das die Frauen aus dem Hause Baldringham bis im dritten Gliede, und nur diese allein angeht. In meiner jetzigen Lage erwarte ich freilich nicht, mich ihm unterwerfen zu müssen; aber da die Stunde es fordert, will ich ihm so frei entgegentreten, wie jede andere meiner Vorfahren.«

So sprach sie und nahm die Fackel aus Berwinens Hand, und ihr und Rosen gute Nacht wünschend, machte sie sich sanft von der letztern los und trat in das geheimnisvolle Zimmer. Rose drängte sich ihr so weit nach, um zu sehen, daß es ein Zimmer von mäßiger Größe war, ähnlich dem, durch welches sie gegangen waren, gleichfalls durch den Mond erleuchtet, der durch ein Fenster, in gleicher Reihe mit denen der Vorzimmer gelegen, hereinschien. Mehr konnte sie nicht sehen, denn auf der Schwelle drehte Eveline sich um und schob sie mit einem Kusse sanft in das kleine Zimmer zurück und den Riegel vor die Tür.

Berwine forderte nun Rose auf, wenn ihr am Leben liege, sich in das erste Vorzimmer zurückzuziehen, wo die Betten bereit standen, und sich, wenn auch nicht dem Schlafe, so doch der Ruhe und dem Gebete zu überlassen; aber das treue flamländische Mädchen wies standhaft alle Vorstellungen zurück und widersetzte sich allen Befehlen.

»Sprecht mir nicht von Gefahr,« sagte sie. »Hier bleibe ich, damit ich wenigstens hören kann, wenn meine Gebieterin in Gefahr ist – und wehe über die, die ihr Leid zufügen wollen! – Merkt's Euch – zwanzig normännische Speere umgeben diese ungastliche Wohnung, bereit, jede Beleidigung zu rächen, die der Tochter Raymond Berengers zugefügt wird.«

»Spart Eure Drohungen für diejenigen auf, die sterblich sind,« flüsterte Berwine leise, aber eindringlich. »Der in jenem Zimmer dort haust, fürchtet sie nicht. – Lebe wohl! Bringst Du Gefahr über Dich, so komme sie über Dein Haupt!«

Sie ging davon und ließ Rose, seltsam ergriffen durch alles, was vorgegangen war, und von ihren letzten Worten mit Entsetzen erfüllt, zurück. »Diese Sachsen,« sagte das Mädchen zu sich selbst, »sind eigentlich nur halbbekehrte Christen und halten noch an vielen ihrer höllischen Gebräuche fest, besonders in der Anbetung der Elementargeister. Ihre Heiligen selbst sind ganz ungleich den Heiligen in jedem andern Lande, und ihre Blicke haben gleichsam etwas Wildes und Teuflisches an sich. – Es ist ängstlich hier, allein zu sein– und still wie der Tod ist alles hier in dem Zimmer, wohin meine Gebieterin so seltsamerart gezwungen wird. – Ob ich die Gillian herbeirufe? Doch nein, sie hat weder Sinn, noch Mut, noch Vernunft, mir bei solchem Anlasse beizustehen – besser allein, als mit einem falschen Freunde zur Seite! – Ich will sehen, ob die Normänner auf ihren Posten sind, denn auf sie muß ich mich im Fall der Not verlassen.«

Mit diesem Gedanken trat Rose an das Fenster des kleinen Zimmers, um sich von der Wachsamkeit der Posten zu überzeugen und über die Aufstellung der Wache zu unterrichten. Der Vollmond ermöglichte ihr, die Beschaffenheit der Gegend zu unterscheiden. Zuerst fand sie sich nicht wenig enttäuscht, als sie entdeckte, daß die Fensterreihe, statt dem Erdboden gleich zu sein, wie sie vermutet hatte, auf einen alten Graben hinaus führte, der sie von der drüber liegenden Ebene schied. Als Verteidigungsmittel mochte dieser Graben längst außer Gebrauch gesetzt sein; denn der Boden war ganz trocken und an vielen Stellen mit Gesträuch und Unterholz bedeckt, die sich an den Mauern des Schlosses emporrankten, und an denen man sich, wie es Rose vorkam, leicht bis zu den Fenstern heraufhelfen und in das Haus gelangen konnte. Von der jenseitigen Ebene war zunächst der Raum am Schlosse erhellt! das Mondlicht beschien den dichten Rasen, nur unterbrochen durch den langen Schatten der Türme und Bäume. Weiterhin schloß sich an diese Ebene waldiger Boden, wo ein paar riesenhafte Eichen längs dem Rande des breiten, finstern Waldes standen, gleich den einzelnen Kriegern, die vor der Front einer Schlachtlinie den Feind herausfordernd halten.

Die sanfte Schönheit und Ruhe dieser lieblichen Szenerie, die Stille ringsumher und die ernsten Gedanken, die durch dies alles geweckt wurden, beschwichtigten die Besorgnisse einigermaßen, die die Ereignisse vom Abend eingeflößt hatten. »Bei alledem,« so überlegte sie, »warum sollte ich wohl für Lady Eveline so besorgt sein? Unter den stolzen Normannen und den mürrischen Sachsen ist kaum eine Familie von Bedeutung, die es nicht für notwendig erachtet, sich von den andern durch einen eigentümlichen Aberglauben zu unterscheiden, als ob sie es für eine Schande vom Himmel hielten, wie eine arme einfältige Flamländerin gleich mir einherzugehen. – Könnte ich nur eine normännische Schildwache gewahr werden, so wollte ich mich wegen der Sicherheit meiner Herrin beruhigen, – Ha dort! da wandert einer im Dunkeln, in seinen langen Weißen Mantel gehüllt, und der Mond versilbert die Spitze seiner Lanze. – Hier! Hei da! Herr Kavalier!«

Der Norman« drehte sich um und näherte sich auf ihren Ruf dem Graben, – »Was ist Euer Begehr, Jungfer?« fragte er.

»Im Zimmer nebenan weilt Eveline Berenger, die Ihr bewachen sollt. Haltet, bitte, diese Seite des Schlosses scharf im Auge!«

»Seht keinen Zweifel in uns, Lady,« antwortete der Kavalier, und sich in seinen langen militärischen Wachmantel, Chappe genannt, wickelnd, zog er sich zu einem großen Eichbaum in einiger Entfernung zurück und stand hier mit ineinandergeschlagenen Armen, auf seine Lanze gelehnt, einer Waffentrophäe ähnlicher als einem lebenden Krieger.

Durch das Bewußtsein, daß im Falle der Not Hilfe nahe zur Hand sei, kühn gemacht, zog sich Rose in ihr kleines Zimmer zurück, und nachdem sie sich durch Lauschen davon überzeugt hatte, daß alles in Evelinens Gemach ruhig sei, begann sie die nötigen Vorkehrungen zur eigenen Nachtruhe zu treffen. Zu diesem Zwecke begab sie sich in das äußere Vorzimmer, wo Dame Gillian von der Furcht vor der einschläfernden Wirkung eines kräftigen Schluckes von Lithe-alos, d. i. Ale von der besten und stärksten Sorte, dadurch erlöst worden war, daß sich ein so tiefer Schlaf auf ihre Lider gesenkt hatte, wie ihn dieses edle sächsische Getränk nur eben hervorbringen konnte.

Ueber solche Trägheit und Gleichgültigkeit ihrem Unwillen Luft machend, trug Rose von dem leeren, für sie bestimmten Lager die obere Decke in das innere Vorzimmer und machte sich daraus und aus den Binsen, mit denen der Estrich bestreut war, ein kümmerliches Lager zurecht, auf dem sie, halb liegend, die Nacht im Wachen über das Wohl ihrer Gebieterin zuzubringen gewillt war, bis die aufsteigende Morgenröte sie von der Sorge um Evelinens Sicherheit befreien würde.

Ihre Gedanken verweilten indessen bei der in Schatten gehüllten Welt jenseits des Grabes und bei der großen, vielleicht noch nicht entschiedenen Frage, ob die Trennung ihrer Bewohner von denen hienieden auch wirklich Gewißheit sei, oder ob sie nicht durch Gründe, in die wir nicht eindringen können, in einer Art von Schattengemeinschaft mit denen, die noch irdisch in Fleisch und Blut wandeln, fortleben. Das zu leugnen, hieß im Zeitalter der Kreuzzüge und Wunder die Schuld der Ketzerei auf sich laden; aber Rosens gesunder Verstand legte ihr wenigstens den Zweifel nahe, ob dergleichen übernatürlicher Verkehr auch wirklich häufig vorkäme; sie fand Trost in der Meinung, mit der sich freilich ihr unwillkürliches Aufschrecken, sobald sich nur ein Blättchen regte, nicht vertrug, daß Eveline sich keiner tatsächlichen Gefahr aussetze dadurch, daß sie sich dem althergebrachten Familien-Brauche unterwerfe.

In dem Verhältnis, wie diese Ueberzeugung ihr Gemüt stärkte, verlor ihr Vorsatz, zu wachen, an Stärke – ihre Gedanken schweiften auf Dinge, auf die sie nicht eigentlich gerichtet waren, ähnlich wie Schafe sich der Aufsicht ihres Hirten entziehen – ihre Augen führten ihr kein deutliches Bild mehr von der großen runden silbernen Scheibe vor, auf die sie doch unaufhörlich hinblickten. Zuletzt schlossen sie sich, und sitzend auf der um sie geschlagenen Decke, mit dem Rücken an die Zimmerwand lehnend, die weißen Arme über die Brust zusammengeschlagen, sank Rose Flammock in einen festen Schlaf, der aber urplötzlich durch einen scharfen, durchdringenden Schrei aus Evelinens Zimmer unterbrochen wurde. Aufspringen und zur Tür fliegen, war das Werk eines einzigen Augenblicks für das edle Mädchen, das keine Furcht kannte, wenn es sich um Liebe und Pflicht handelte. Die Tür aber war verschlossen und verriegelt, und ein anderer schwächerer Schrei oder vielmehr ein Stöhnen schien zu sagen, daß nur schnelle Hilfe noch nützen könne. Rose flog zum Fenster und rief oder schrie vielmehr dem normännischen Krieger zu, der, durch den Weißen Wachmantel kenntlich, noch immer unter dem alten Eichbaume stand.

Auf den Ruf »Hilfe! Hilfe! Lady Eveline wird ermordet!« bekam die scheinbare Bildsäule plötzlich Leben, eilte mit der Geschwindigkeit eines Wettrenners zum Grabenrande und war im Begriff, da in den Graben zu springen, wo Rose am offnen Fenster stand und ihn mit Worten und Gebärden zur äußersten Eile anspornte.

»Nicht hier! Nicht hier!« rief sie atemlos, als sie sah, daß er zu ihr wollte. – »Das Fenster zur Rechten – erklimmt es um Gotteswillen und öffnet die Zwischentür!«

Der Soldat schien sie zu verstehen. Ohne Zögern sprang er in den Graben und hielt sich an den Zweigen der Bäume, um nicht abzustürzen. Im einen Augenblick verschwand er in dem Gesträuch, im andern sah ihn Rose, wie er, sich an den Zweigen einer Eiche haltend, ihr schon zur Rechten war, in unmittelbarer Nähe von dem Fenster des unseligen Zimmers. Eine Furcht blieb noch: Das Fenster konnte gegen das Eindringen von außen her sicher sein; doch nein! es wich den Stößen des Normannen, und da Angeln und Klammern durch die Zeit verdorben waren, fiel es mit einem Gerassel ins Zimmer hinein, dem selbst der Dame Gillians Schlaf nicht zu widerstehen vermochte.

Schrei auf Schrei ausstoßend, wie Narren und Memmen zu tun pflegen, stürzte sie aus dem Vorzimmer in das Kabinett, eben als die Tür von Evelinens Zimmer aufging und der Krieger sich zeigte, in seinen Armen die halb entkleidete leblose Gestalt des normannischen Fräuleins. Ohne ein Wort zu sprechen, legte er sie in Rosens Arme, und mit derselben Schnelligkeit, mit der er hereingekommen war, schwang er sich aus dem noch offenstehenden Fenster, aus welchem Rose ihn herbeigerufen hatte.

Gillian, von Furcht und Schrecken halb verwirrt, häufte Ausrufungen auf Fragen, und Fragen mischte sie wieder mit Hilfsgeschrei, bis Rose sie ernstlich zurechtwies. Es gelang ihr, ihre zerstreuten Sinne wieder zu sammeln, und sie fand endlich Besonnenheit genug, eine brennende Lampe aus dem Zimmer herbeizuholen, aus dem sie eben getreten war, und alles zu tun, was irgend nützen könnte, der Ohnmächtigen das Bewußtsein wiederzugeben. Zuletzt gelang dies den vereinten Bemühungen beider Personen. Eveline schöpfte tief Atem und schlug die Augen auf, schloß sie jedoch auf der Stelle wieder, ließ ihr Haupt an Rosens Brust sinken und verfiel in ein krampfhaftes Frösteln, bis die treue Dienerin unter vielen Liebkosungen ihr nun Hände und Schläfen rieb und endlich ausrief: »Sie lebt! – Sie erholt sich – Gelobt sei Gott!«

Das: »Gelobt sei Gott!« hallte in feierlichem Tone von dem Fenster des Zimmers wieder. Rose wandte sich erschrocken dahin um und erblickte, starr vor Staunen, das bewaffnete Haupt des Kriegsmannes, der in so gelegenem Augenblick ihr zu Hilfe gekommen war und sich, auf seinen Arm gestützt, zu dem Fenster emporgeholfen hatte, um in das Innere des Kabinetts sehen zu können.

Rose eilte sogleich auf ihn zu: »Geht! – geht, guter Freund,« sagte sie, »der Lohn soll Euch zu anderer Zeit werden. – Geht! – Entfernt Euch! – Doch wartet! – Bleibt auf Eurem Posten, daß ich Euch rufen kann, falls es noch einmal not tut. – Und nun geht und seid treu und verschwiegen!«

Ohne ein Wort zu erwidern, gehorchte der Kriegsmann, und Rose sah ihn in den Graben wieder zurücksteigen. Darauf kehrte sie zu ihrer Gebieterin zurück, die in Gillians Armen lag, leise wimmernd und unverständliche Ausrufungen ausstoßend, was darauf schließen ließ, daß sie, durch irgend eine tief erschütternde Ursache veranlaßt, mit den heftigsten Empfindungen kämpfte.

Kaum hatte Dame Gillian ihre Kräfte wiedergefunden, als auch ihre Neugierde wieder rege wurde. – »Was bedeutet das alles?« fragte sie Rosen, »was ist zwischen Euch vorgegangen?« »Ich weiß es nicht,« erwiderte Rose.

»Wenn Ihr es nicht wißt,« sagte Gillian, »wer soll es denn wissen? – Soll ich die andern Frauen rufen und das Haus in Alarm setzen?«

»Bei Leibe nicht,« sagte Rose; »tun wir nichts, so lange nicht Mylady imstande ist, selbst Befehl zu geben – und so wahr mir der Himmel helfe, ich will alles daran setzen, die Geheimnisse jenes Zimmers zu erfahren! Unterstützt derweilen meine Gebieterin!«

Mit diesen Worten nahm sie die Lampe in die Hand, schlug ein Kreuz auf der Stirn, überschritt kühn die geheimnisvolle Schwelle und blickte, das Licht hochhaltend, in das Gemach.

Es war ein altes, gewölbtes Zimmer, von mäßigem Umfange. Im Winkel hing ein roh geschnitztes Bild der heiligen Jungfrau über einem sächsischen Wasserbecken von sonderbarer Arbeit. Auch zwei Sitze und ein mit grobem Teppich gedecktes Lager, auf dem Eveline geruht zu haben schien, befanden sich in dem Raume. Scherben von dem zerschmetterten Fenster lagen auf dem Boden; doch rührte diese Oeffnung vom gewaltsamen Eindringen des Soldaten her, und Rose sah keinen andern Eingang, durch den ein Fremder hätte ins Zimmer gelangen können, da die Tür verschlossen und verriegelt gewesen war.

Jetzt empfand Rose selbst den Einfluß jener Schrecken, denen sie bisher stand gehalten hatte; geschwind warf sie ihren Rock über den Kopf, wie wenn sie ihre Augen vor einem schrecklichen Anblick zu bewahren suchte, und rannte ins Kabinett zurück, aber erheblich unsicheren Schrittes, als wie sie es verlassen hatte, und bat Dame Gillian um ihren Beistand, Evelinen in das nächste Zimmer zu führen. Sobald dieses geschehen, schloß sie sorgsam die Zwischentüren ab, um gleichsam eine Scheidewand zwischen sich und jeder drohenden Gefahr zu ziehen.

Lady Eveline hatte sich soweit erholt, daß sie aufrecht sitzen konnte; sie versuchte zu reden, konnte aber kaum lallen: »Rose, ich habe sie gesehen – mein Urteil ist gefällt.«

Rosen kam auf der Stelle der Gedanke, daß es unvorsichtig wäre, Gillian hören zu lassen. was ihre Gebieterin in solchem bangen Augenblicke weiter sagen möchte; schnell ging sie deshalb auf ihren vorhin abgewiesenen Vorschlag ein und bat sie, noch zwei andere Mädchen von der Dienerschaft ihrer Herrin herbeizuholen.

»Und wo soll ich sie finden in einem Hause,« sagte Gillian »in welchem fremde Männer mitternächtlicher Weile umherlaufen, und Teufel oder was weiß ich, ihren Spuk treiben?«

»Findet sie, wo Ihr könnt,« versetzte Rose heftig, »aber macht, daß Ihr wegkommt!«

Gillian ging langsam hinaus, ein paar unverständliche Worte murmelnd. Kaum war sie verschwunden, so ließ Rose ihrer eigenen Liebe zu ihrer Gebieterin die Zügel schießen und bat sie in den zärtlichsten Ausdrücken, die Augen doch aufzuschlagen und ihr ein Wort zu vergönnen, ihrer Rose, die ja, wenn es sein müsse, jederzeit bereit sei, für ihre Gebieterin das Leben zu lassen.

»Morgen, morgen, Rose,« flüsterte Eveline, »– ich kann jetzt nicht sprechen,«

»Erleichtert nur Euer Gemüt durch ein einziges Wort – sagt, was Euch in Schrecken gesetzt hat – was für Gefahren Ihr fürchtet.«

»Ich habe sie gesehen,« antwortete Eveline, »ich habe die Bewohnerin jenes Zimmers gesehen! die Erscheinung, verhängnisvoll für meinen Stamm! Bestürme mich nicht weiter, denn morgen sollst Du alles erfahren!«

Als Gillian mit den beiden andern Dienerinnen eintrat, hieß Rose sie die Herrin in ein entfernteres Zimmer bringen und auf ein Bett legen. Rose entließ hierauf die Dienerinnen wieder und hielt bei Evelinen weiter Wacht. Eine Zeitlang blieb diese noch unruhig und aufgeregt; allmählich aber gewann die Ermüdung ihr Recht, und sie sank in tiefen Schlummer, aus dem sie nicht eher erwachte, als bis die Sonne schon hoch über den fernen Hügeln stand.

Fünfzehntes Kapitel

Als Eveline die Augen aufschlug, schien sie keine Erinnerung mehr an die Ereignisse der vorigen Nacht zu haben. Sie blickte sich in dem Zimmer um, das, für Domestiken bestimmt, gering und armselig möbliert war, und sagte mit Lächeln zu Rosen: »Unsre gute Tante macht sich mit ihrer alten sächsischen Gastfreiheit recht geringe Kosten, was wenigstens das Quartier anbetrifft. Ich hätte ihr gern das zu reichliche Mahl von gestern erlassen, wenn sie mir ein weicheres Bett gegeben hätte. Die Glieder tun mir so weh, als wäre ich auf einer Tenne mit Dreschflegeln geschlagen worden,«

»Ich freue mich, Euch bei so guter Laune zu sehen,« antwortete Rose, mit klugem Bedacht jeden Bezug auf die nächtlichen Ereignisse vermeidend.

Dame Gillian war nicht so bedenklich . . . »Euer Gnaden legten sich, wenn mich nicht alles irrt, zur Nacht auf einem bessern Bett nieder,« sagte sie, »und Rose Flammock, wie auch Ihr selbst, muß doch am besten wissen, warum Ihr es verließet.«

Vermöchten Blicke zu töten, so wäre Dame Gillian in der tödlichsten Gefahr gewesen durch den Blick, den Rose zur Strafe für diese unbedachtsame Mitteilung auf sie schoß, Ihre Rede übte auf der Stelle die befürchtete Wirkung; Lady Eveline schien zwar anfangs nur überrascht und verwirrt; als aber die Erinnerung an das grausige Erlebnis in ihrer Seele wieder deutlicher erwachte, faltete sie die Hände, blickte zur Erde nieder und brach in krampfhaftes Weinen aus.

Rose beschwor sie, sich zu beruhigen, und schlug ihr vor, den sächsischen Kaplan des Hauses herbeizurufen, damit er ihr einigen geistlichen Trost reiche, wenn ihr Gram irdische Hilfe verschmähe.

»Nein, rufe ihn nicht,« sagte Eveline, das Haupt erhebend und ihre Tränen trocknend. »Ich habe übergenug von sächsischer Freundlichkeit. Wie konnte ich so töricht sein, von solch hartem, fühllosem Weibe Mitleid mit meiner Jugend zu erwarten? Rücksicht auf das schwere Herzeleid, das mich betroffen? Rücksicht auf mein Waisentum? Ich will ihr nicht den elenden Triumph über das normannische Blut der Berenger gönnen, daß sie es mir ansieht, wie schwer ich unter ihrer unmenschlichen Züchtigung gelitten habe! Aber fürs erste, Rose,« rief sie, »antworte mir aufrichtig: war irgend ein Hausgenosse von Baldringham Zeuge meiner Not in dieser Nacht?«

Rose versicherte, daß sie nur von ihren eigenen Leuten, von ihr selbst, Gillian, Blanche und Ternotte bedient worden sei, und diese Versicherung schien sie zu beruhigen . . . »Hört mich an, Ihr beiden,« sagte sie, »und wenn Ihr mich liebt, und wenn Ihr mich fürchtet, dann leistet meinem Worte Folge. Laßt keine Silbe von dem, was heute nacht vorgefallen, über Eure Lippen kommen! Sagt's auch den andern Mädchen! Helft mir, Gillian, und auch Du, herzliebe Rose, diese häßliche Kleidung zu wechseln und mein aufgelöstes Haar zu ordnen! Es war eine elende Rache, die sie suchte, und alles nur meiner Abkunft wegen. Aber nicht die leiseste Spur von dem Herzeleid soll sie sehen, das sie mir verursacht hat.«

Bei diesen Worten funkelte ihr Auge zornig, und der Zorn schien die Tränen zu trocknen, die vorher dort standen, Rose sah diese Wandlung in ihrem Benehmen halb mit Freude, halb mit Bangen, sah sie doch ein, daß jetzt bei ihr Stimmungen vorherrschen mußten wie bei einem verwöhnten Kinde, das von seiner Umgebung bisher mit Schonung und Nachsicht behandelt worden und sich auf einmal grob und unwirsch angefaßt sieht.

»Gott weiß es,« sagte das treue Mädchen, »ich wollte lieber meine Hand in geschmolzenes Blei stecken als Tränen aus Euren Augen darauf fühlen. Und doch, meine süße Herrin, möchte ich Euch jetzt lieber traurig als zornig sehen! Diese alte Lady hat sich, allem Anschein nach, nur an einen alten abergläubischen Brauch ihrer Familie, die ja zum Teil auch die Eurige ist, gehalten: ihr Name steht in hoher Achtung um ihrer Lebensführung, wie ihrer Besitzungen willen; und da Ihr von den Normannen so hart bedrängt werdet, mit denen die Euch verwandte Priorin wohl einverstanden sein dürfte, so trug ich mich mit der Hoffnung, daß Ihr Schutz und Stütze bei der Lady von Baldringham finden möchtet.«

»Niemals, Rose, niemals,« entgegnete Eveline, »Ihr wißt es ja nicht, und könnt es auch nicht ahnen, was sie mich hat leiden lassen – wie sie mich bösem Zauberwerk, ja dem bösen Feinde preisgegeben hat! Du selbst sagtest es, und Deine Worte waren wahr, Kind! daß die Sachsen noch immer halbe Heiden seien und weder christlichen Sinn, noch Bildung, noch Menschlichkeit besäßen.«

»Ja, aber,« erwiderte Rose, »damals sagte ich es, um Euch vor Gefahr zu warnen – nun aber, da die Gefahr vorbei ist, urteile ich anders,«

»Sprich nicht zu ihren Gunsten, Rose,« rief Eveline zornig, »noch nie ist ein unschuldigeres Opfer mit solcher Lieblosigkeit zum Altar eines Dämons hingezerrt worden, wie meines Vaters Verwandte mich hinzerrte – mich, eine Waise – die ihres natürlichen, mächtigen Schutzes beraubt ist! Mir ist ihre Grausamkeit verhaßt – mir ist ihr Haus verhaßt – ich hasse den Gedanken an alles, was hier vorgefallen ist – an alles, Rose, Deine beispiellose Treue und Anhänglichkeit ausgenommen. – Geh, Rose! Befiehl unserm Gefolge, auf der Stelle zu satteln. – Ich will auf der Stelle von hinnen – nein! ich mag mich nicht putzen,« rief sie und wies den Beistand, den sie eben erst verlangt hatte, von sich – »ich will kein Gepränge weiter – will mich mit keinem Abschied mehr aufhalten!«

In dieser heftigen, erregten Weise ihrer Herrin erkannte Rose mit lebhafter Sorge eine andere Phase jener reizbaren, erregten Stimmung, die sich zuvor in Tränen und Ohnmächten kund getan hatte. Doch da sie zugleich merkte, daß Vorstellungen vergeblich sein mochten, erteilte sie dem Gefolge die nötigen Befehle zum Satteln und zur Herrichtung zur Abreise, in der Hoffnung, daß, wenn ihre Gebieterin erst von dem Schauplatze fern sein würde, wo ihr Gemüt solch starke Erschütterung erhalten, auch ihre Fassung sich nach und nach wieder einfinden werde.

Frau Gillian war demzufolge eben damit befaßt, das Gepäck zu ordnen, und die übrige Dienerschaft war bei den Vorbereitungen zur schleunigen Abreise, als unter Vorantritt ihres Haushofmeisters, der zugleich eine Art von Hofmarschall abgab, auf ihre Vertraute Berwine gestützt und gefolgt von einigen ihrer Hausbeamten, mit dem Ausdruck des Unmuts auf ihrer greisen, doch hohen Stirn, Lady Ermengard ins Zimmer trat.

Eveline war mit zitternden Händen und brennenden Wangen, und unter andern Zeichen innerer Erregung, selbst beim Packen mit tätig, als ihre Verwandte erschien; da zeigte sie plötzlich, zu Roses lebhaftem Erstaunen, die größte Selbstbeherrschung, unterdrückte jeden äußern Anschein von Verwirrung und trat ihrer Verwandten mit ruhigem, aber stolzem Wesen, gleich dem ihrigen, entgegen.

»Ich will Euch, Nichte, nur einen guten Morgen sagen,« sprach Ermengard, zwar mit hartem Tone, aber doch, durch Evelinens Verhalten gezwungen, mit größerer Rücksicht, als sie erst willens sein mochte; »ich sehe, daß es Euch beliebt hat, das Zimmer, das wir Euch nach alter Sitte unseres Hauses anwiesen, zu verlassen, um Euch in das Zimmer eines Dienstboten zu begeben.«

»Staunet Ihr darüber, Lady?« fragte Eveline ihrerseits, »oder seid Ihr unzufrieden, daß Ihr mich nicht als Leiche in jenem Zimmer wiederfindet, das Eure Gastfreiheit und liebevolle Rücksicht mir zuwiesen?«

»So ist Euer Schlummer gestört worden?« fragte Ermengard und blickte Evelinen scharf an.

»Da ich mich nicht beklage, Tante, kann die Unannehmlichkeit nicht übergroß gewesen sein. Was geschehen ist, ist vorbei, und Euch mit Worten darüber zu belästigen, ist nicht meine Absicht,«

»Die mit dem roten Finger,« erwiderte Ermengard triumphierend, »liebt kein fremdes Blut.« »Noch weniger Ursache hatte sie bei Lebzeiten, Sachsenblut zu lieben,« versetzte Eveline, »sofern nicht die Legende falsch berichtet oder, wie ich argwöhne, Euer Haus, statt von der Seele der Toten, die in seinen Mauern litt, von bösen Geistern, die ja die Abkömmlinge von Hengist und Horsa noch insgeheim verehren sollen, besucht wird.«

»Ihr beliebt zu scherzen, meine Tochter,« rief die alte Lady im hellen Zorn, »oder falls Eure Worte ernstlich gemeint sind, dann hat der Pfeil Eures Vorwurfs sein Ziel verfehlt. Ein Haus, gesegnet durch den heiligen Dunstan und den heiligen Bekenner, [Eduard der Bekenner, letzter angelsächsischer König, starb 1066 und wurde wegen seiner Frömmigkeit unter die Heiligen versetzt; den Namen Bekenner führte er, weil er ein großer Verehrer des Sakraments der Beichte war.] ist keine Wohnung für böse Geister.«

»Das Haus von Baldringham,« erwiderte Eveline, »ist keine Wohnung für Menschen, die solche Geister fürchten, und da ich in aller Demut mich zur Zahl derselben bekenne, will ich es eben jetzt der Obhut des heiligen Dunstan überlassen.«

»Doch nicht, bis Ihr das Frühstück eingenommen, will ich meinen,« sagte Lady von Baldringham; »solche Schmach werdet Ihr hoffentlich nicht meinen Jahren und unserer Verwandtschaft antun.«

»Verzeiht mir, Madame,« erwiderte Lady Eveline, »wer Eure Gastfreiheit erlitt, hat wenig Grund, sich nach dem Frühstück zu sehnen ... Rose, sind denn die trägen Burschen noch immer nicht unten im Hofe? Liegen sie gar noch im Bette, den Schlaf nachzuholen, aus dem sie durch mitternächtlichen Lärm aufgeschreckt wurden?«

Rose meldete gleich darauf, das Gefolge halte bereits im Hofe, worauf Eveline mit einer flüchtigen Verneigung an ihrer Verwandten vorbei aus dem Zimmer eilen wollte, Ermengard aber trat ihr mit grimmigen Blicken in den Weg, die auf ein wilderes Maß von Zorn schließen ließen, als sich mit dem dünnern Blut ihres hohen Alters vertragen mochte, ja sie erhob ihren Stab von Ebenholz, als wollte sie zu persönlicher Züchtigung greifen; aber sie änderte ihren Vorsatz und machte plötzlich Evelinen Platz, die nun, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ging; wahrend sie über die Treppe hinunterstieg, die zur Haustür führte, hörte sie die Stimme ihrer Tante hinter sich her, gleich der Stimme einer betagten und beleidigten Sibylle, die Dünkel und Vermessenheit, Ach und Wehe prophezeite.

»Stolz,« rief sie, »schreitet der Vernichtung vorher, und Hochmut kommt vor dem Falle. Die das Haus ihrer Altvordern verhöhnt, sollen nie des Alters hehre Silberlocken schmücken! Die einen Mann des Krieges und Blutes heiratet, soll weder in Frieden noch ohne Blut ihr Leben beschließen!«

Um diesen und weitern Verwünschungen zu entgehen, flog Eveline aus dem Hause, schwang sich eilig auf ihr Roß und sprengte, umgeben von ihrem Gefolge, das, ohne Grund und Ursache zu erraten, mit unter den Bann des Schreckens geriet, in den Wald hinein, sich auf den mit der Gegend wohlbekannten Raoul als Führer verlassend.

Tief erschüttert, daß sie das Haus einer so nahen Verwandten, statt mit ihrem Segen, mit ihrem Fluch beladen – verlassen mußte, galoppierte Eveline rastlos vorwärts, bis die hohen Eichen mit ihrem Geäst die unselige Behausung vor ihren Blicken verbargen.

Bald hörte man Pferdegalopp. Es war die Patrouille, die der Connetable zur Bedeckung des Hauses zurückgelassen und die von ihren verschiedenen Posten herbeieilte, Lady Eveline auf ihrem eiligen Ritte nach Gloucester zu begleiten. Der gewöhnliche Weg dorthin führte durch den großen Wald von Darne, damals noch fast ein Urwald zu nennen, den die Eisenhütten der spätern Jahre freilich stark gelichtet haben. Die Reiter schlossen sich an Evelinens Gefolge; ihre Rüstungen blinkten in der Morgensonne, ihre Trompeten schmetterten lustig, ihre Rosse bäumten sich unter lautem Gewieher; auf ihren Lanzen flatterten die langen Fähnlein, luftig kündend von dem kecken Mute, der ihre Träger beseelte. Dieser kriegerische Charakter ihrer normannischen Landsleute erweckte in Evelinens Brust ein gewisses Gefühl der Sicherheit und des Triumphes, das dazu beitrug, ihre düstern Gedanken zu verjagen und die fieberhafte Erschütterung ihrer Nerven zu mildern. Auch die höher steigende Sonne – der Gesang der Vögel im Laube – das Blöken der Herden auf den Weiden, der Anblick der mit ihren Kälbchen durch die Lichtungen streifenden Rehe: dies alles trug das seinige bei, den Schrecken über die nächtliche Erscheinung, die sie erschaut, zu zerstreuen und den heftigen Zorn zu beschwichtigen, der ihren Busen beim Wegritt von Baldringham bewegte. Sie ließ ihr Pferd nun langsamer laufen und widmete ihrem Reitkleid und Kopfputz, die infolge der eiligen Abreise gar manches zu wünschen ließen, einige notwendige Aufmerksamkeit. Rose sah, wie von ihrer Wange die fliegende Zornesröte wich und einer auf Ruhe deutenden Blässe das Feld räumte – wie ihr Auge nicht länger mehr unstet, sondern fest und sicher auf ihren kriegerischen Begleitern ruhte, und hielt ihr – was bei andern Gelegenheiten kaum der Fall gewesen wäre – die lauten Lobreden auf ihre Heimat und Landsleute zugute.

»Unter dem Schuh unsrer siegreichen Normänner,« sagte Eveline, »reisen wir sicher: sie beseelt der edle Zorn des reißenden Löwen, und bei aller Romantik, die sie umwebt, sind sie frei von Tücke und Niedertracht; sie kennen die Pflichten des Hauses nicht minder als die der Schlacht, und werden, selbst wenn sie als Krieger unterliegen sollten – was aber nur der Fall sein kann, wenn Plinlimmon von seiner Höhe gestürzt wird – immer durch Großmut und seine Sitte jedes andere Volk übertreffen.«

»Ich kann diese Vorzüge nicht in dem Maße fühlen, als wenn ich von ihrem Blute wäre,« sagte Rose; »immerhin freue ich mich ihrer Anwesenheit in diesen Wäldern, in denen man Gefahren von mancherlei Art begegnen soll. Ja, ich muß gestehen, daß mir das Herz um so leichter ist, als ich nicht die geringste Spur mehr von jenem alten Herrensitze gewahre, in welchem wir eine so schlimme Nacht zubrachten, daß die Erinnerung daran mir ewig verhaßt bleiben wird.«

Eveline sah sie scharf an ... »Sprich die Wahrheit, Rose! Du möchtest Dein bestes Mieder dafür opfern, wenn Dir volle Kenntnis meines grausigen Abenteuers würde?«

»Das hieße nur zugestehen, daß ich Weib bin,« antwortete Rose; »und selbst als Mann, möchte ich behaupten, dürfte ich kaum weniger Neugierde, das zu erfahren, besitzen.«

»Du rückst nicht andere Empfindungen, mein, Schicksal zu erfahren, in den Vordergrund,« sagte Eveline, »und doch, süße Rose, bin ich darum nicht weniger überzeugt, daß auch sie Dir nicht fehlen ... Glaube mir. Du sollst alles wissen, nur jetzt nicht, Kind, nur jetzt nicht!«

»Ganz wie es Euch beliebt,« sagte Rose, »aber ich sollte doch denken, daß, so lange Ihr ein so schweres Geheimnis allein mit Euch herumtragt, die Last schier unerträglich sein müsse. Auf mein Stillschweigen könnt Ihr Euch doch so verlassen, wie wenn Ihr vor einem Heiligenbilde stündet. Zudem wird man um so vertrauter mit Dingen, je öfter man darüber spricht; und was einem vertraut ist, verliert zuletzt seine Schrecken.«

»Du hast recht, meine kluge Rose, und wenn ich auf die stattliche Kriegerschar blicke, in deren Mitte mich, gleich einer Blüte auf dem Busch, mein wackrer Zelter trägt – wenn ich die balsamischen Lüfte atme, die uns umwehen, wenn ich die Blumen sehe, die um mich her sprießen, die Vöglein überall zwitschern höre und Dich an meiner Seite sehe – o Rose, dann sagt auch mir mein Herz, daß es jetzt die schicklichste Zeit ist. Dir anzuvertrauen, was Du so heiß zu wissen begehrst – und – ja, Rose! – Du sollst alles wissen! So sprich denn, Kind! Ist Dir bekannt, was die Sachsen hierzulande unter der Bezeichnung Bahrgeist verstehen?«

»Verzeiht mir, Lady,« antwortete Rose, »mein Vater wollte es nie dulden, daß ich solchen Erzählungen mein Ohr lieh. Er meinte immer, es seien böse Wesen genug zu sehen, daß man sie nicht erst noch in der Phantasie zu sehen brauchte. Vom Bahrgeist habe ich wohl aus Gillians und anderer Sachsen Munde gehört; aber mir schien in dem Worte immer so etwas Unklares von Grausigkeit zu liegen, daß ich nie nach einer Erklärung gefragt, auch nie eine bekommen habe.«

»So wisse, Kind,« sagte Eveline, »es ist ein Gespenst, gemeinhin das Bild eines Verstorbenen, der entweder um eines Unrechts willen, das ihm an einem bestimmten Orte bei Lebzeiten zugefügt worden oder wegen irgendwo verborgener Schätze oder aus irgend einem andern Grunde solcher Art, von Zeit zu Zeit sich eben da blicken läßt, an Menschen, die nach ihm dort wohnen, dauernd Anteil nimmt, bisweilen ihnen zum Segen, bisweilen auch ihnen zum Unsegen. Der Bahrgeist ist also manchmal ein guter Genius, manchmal ein rächender Teufel für alle die, mit denen er in Berührung tritt. Dem edlen Hause Baldringham ist es nun vom Schicksal bestimmt worden, den Heimsuchungen solches Wesens ausgesetzt zu sein.«

»Darf ich nach der Ursache solcher Heimsuchungen fragen, falls sie bekannt ist?« fragte Rose, eifrig bemüht, die Gesprächigkeit ihrer jungen Herrin, die vielleicht nicht lange andauern möchte, wahrzunehmen.

»Ich kenne die Sage nur obenhin,« sagte Eveline und fuhr, endlich ihrer Seelenangst Herrin geworden, mit Ruhe fort; »für gewöhnlich hört man sie so erzählen: Baldrick, ein sächsischer Held, der erste Herr über diesen Wohnsitz, verliebte sich in eine schöne Britin, die, wie es hieß, von den Druiden herstammte, deren die Walliser so oft erwähnen, und nicht unbekannt mit den Zauberkünsten gewesen sein soll, die hierzulande im Schwange waren zu der Zeit, da noch Menschenopfer dargebracht wurden. Nach etwa zweijähriger Ehe wurde Baldrick seiner Frau überdrüssig, so daß er den grausamen Entschluß, sie umzubringen faßte. Einige sagten, er habe an ihrer Treue gezweifelt, andre, die Kirche hätte darauf gedrungen, weil die Frau sich der Ketzerei verdächtig gemacht, noch andere, er habe sie aus dem Wege geschafft, um für eine reiche Frau Platz zu schaffen – aber in der Sache selbst stimmen alle überein. Er sandte zwei von seinen Leuten nach Baldringham, die unglückliche Wanda zu töten, und befahl ihnen, ihm zum Zeichen, daß sie seine Befehle vollzogen hätten, den Ring zu bringen, den sie am Hochzeitstage getragen. Unbarmherzig vollzogen sie ihren Auftrag und erdrosselten Wanda in jenem Gemache; da aber ihre Hand so geschwollen war, daß sie den Ring mit aller Gewalt nicht abziehen konnten, schnitten sie ihr den Finger ab. Aber lange schon vor der Rückkehr der grausamen Vollstrecker des blutigen Auftrags war der Schatten der Ermordeten ihrem Gemahl erschienen, reckte ihm die blutige Hand entgegen und kündete ihm auf so furchtbare Weise, wie schnell sein barbarischer Befehl erfüllt worden sei. Nachdem sie ihn in Krieg und Frieden, in Einsamkeit, am Hofe, im Lager gespenstisch verfolgt, bis er in Verzweiflung auf einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande starb, wurde der Bahrgeist, wie hinfort der Geist der ermordeten Wanda hieß, dem Hause Baldringham so furchtbar, daß erst die Hilfe des heiligen Dunstan hinreichte, seinen Heimsuchungen ein Ziel zu setzen. Ja, als endlich dem gepriesenen Heiligen seine Beschwörungen gelangen, legte er zur Strafe für Baldricks Verbrechen allen Frauen seines Hauses bis ins dritte und vierte Glied die harte, ewige Buße auf, einmal in ihrem Leben und vor dem einundzwanzigsten Jahre eine einsame Nacht in dem Zimmer der ermordeten Wanda zuzubringen und dort Gebete sowohl für ihre eigne als für die Ruhe der im Fegfeuer leidenden Seele ihres Mörders zu verrichten. In dieser schreckensvollen Stunde, glaubt man allgemein, erscheint der Geist der Ermordeten derjenigen Frau, die diese fromme Nachtwache hält, und gibt ihr ein Zeichen von ihrem künftigen, ob guten oder bösen Schicksal. Ist es günstig, so erscheint sie mit einem lächelnden Angesicht und bekreuzt sie mit der unblutigen Hand; trauriges Schicksal aber zeigt sie mit der Hand an, der der Ringfinger fehlt, mit strengen Blicken, wenn sie den Nachkommen ihres Mörders seine herzlose Grausamkeit fühlen lassen möchte. Bisweilen soll sie auch sprechen. All diese Umstände erfuhr ich schon vor langer Zeit aus dem Munde einer alten Sächsin, der Mutter unserer Hausmeierin, die im Dienste meiner Großmutter stand und das Haus Baldringham verließ, als jene mit meinem Großvater aus ihm entfloh.« »Hat eure Großmutter je diese Nachtwache verrichtet,« fragte Rose, »die – mit Vergunst des heiligen Dunstan! – den Menschen in allzunahe Berührung mit einem Wesen zweifelhafter Natur zu setzen scheint?«

»So dachte auch mein Großvater und erlaubte meiner Großmutter nie, nach der Heirat den Fuß nach Baldringham zu setzen. Daraus entstand die Zwietracht zwischen ihm und seinem Sohne einerseits, den Gliedern jenes Hauses anderseits. Mehrere Unglücksfälle und besonders den Verlust ihrer männlichen Erben, der sie zu dieser Zeit traf, schrieb man meiner Mutter zu, weil sie die übliche Wache beim Bahrgeist des Hauses nicht verrichtet hatte.«

»Aber wie konntet Ihr, teuerste Lady,« sagte Rose, »da Ihr wußtet, daß die Baldringhams unter sich an solch gräßlicher Sitte festhielten, auch nur daran denken, die Einladung der Lady Ermengard anzunehmen? Was konnte Euch hierzu bestimmen?«

»Kaum vermag ich hierauf zu antworten, Teils Entsetzen über meines Vaters unglückliches Geschick, von der Hand seines Todfeindes zu fallen, das ihm, wie ich aus seinem Munde hörte, von seiner Tante prophezeit worden – teils aber die unselige Hoffnung, daß man, wenn mich zu großer Schrecken befallen sollte, menschlich genug empfinden werde, mich nicht weiter in dem grausen Zimmer weilen zu lassen. Ihr habt gesehen, wie fest meine hartherzige Tante an dieser Gelegenheit hielt, und wie sie es mir unmöglich machte – trotzdem ich nicht bloß den Namen Berenger führe, sondern mich vom Geiste der Berengers erfüllt fühle, – aus dem Netze zu entrinnen, in das ich mich selbst verwickelt hatte.«

»Nie hätte Rücksicht auf Stand und Namen mich verpflichtet,« erwiderte Rose, »mich an einen Ort zu begeben, wo schon die Furcht allein, ganz abgesehen von dem Schrecknis einer wirklichen Erscheinung, meine Vermessenheit mit Wahnsinn hätte strafen können. – Aber, im Namen Gottes, was sahet Ihr in jener grausigen Nacht?«

»Ja, das eben ist die Frage,« sagte Eveline, die Hand an ihre Stirn legend, – »wie ich habe sehen können, was ich wirklich so deutlich sah, und doch noch Herr meiner Gedanken und meines Verstandes bleiben konnte! – Ich hatte die vorgeschriebene Andacht für den Mörder und sein Opfer verrichtet, mich auf mein Lager gesetzt und die Kleider abgelegt, die mir zu unbequem im Schlafe waren, – kurz, ich hatte den ersten Eindruck, den mir der Eintritt in das Zimmer machte, überwunden, und hoffte, unschuldigen Sinnes, wie ich war, die Nacht in sanftem Schlummer zu verbringen – sollte aber gräßlich enttäuscht werden. Ich kann nicht sagen, wie lange ich geschlafen hatte, als meine Brust durch eine Last von unheimlicher Schwere gedrückt wurde, die mir die Stimme zu rauben, den Schlag des Herzens zu hemmen und den Atem zu beklemmen schien; und als ich nun mühsam das Auge aufschlug, die Ursache dieses schrecklichen Alpdrucks zu erspähen, da stand die Gestalt der ermordeten Matrone an meinem Lager, in Ueberlebensgröße, gleich einem düstern Schatten, mit einem Gesicht, in welchem Züge von Würde und Schönheit mit dem stolzen Ausdruck der Rachlust sich vermengten. Sie hielt die Hand über mir, die das blutige Zeichen ihrer Ermordung trug und schien, das Kreuz über mich schlagend, dem Untergange mich zu weihen, während sie mit überirdischer Stimme die Worte hervorstieß:

Verwitwete Gattin, jungfräuliche Ehe,


Verlobet, verratend, verraten – Wehe! –

Das Phantom beugte sich über mich, während es also sprach, und senkte seinen blutigen Finger, wie um mein Gesicht zu berühren, als mir Entsetzen die Kraft wieder lieh, die es mir vorher genommen – ich schrie laut auf – das Fenster wurde eingeschlagen – die Scheiben klirrten – doch wozu soll ich Dir das erzählen, Rose, da Deine Augen, das Zucken Deiner Lippen mir deutlich sagen, daß Du mich für eine kindische Träumerin hältst?«

»Zürnet nicht, meine teure Lady,« sagte Rose, »ich glaube wirklich, daß die Hexe, die wir Nachtmahr nennen, Euch heimgesucht hat; aber sie wird von den Aerzten nicht für ein Phantom gehalten, das existiert, sondern für ein Gebilde unserer durch irgend ein leibliches Unwohlsein gestörten Phantasie.« »Du bist ein kluges Mädchen, Rose,« antwortete Eveline verdrießlich, »aber wenn ich Dir sage, daß mir mein guter Engel in menschlicher Gestalt zu Hilfe kam – daß infolge seines Erscheinens der böse Geist verschwand – und daß mein guter Engel mich auf den Armen aus dem Schreckenszimmer trug, dann, denke ich, mußt Du, als gute Christin mehr Glauben an meine Rede gewinnen.«

»Gewiß, gewiß – meine liebe, liebe Herrin! aber,« erwiderte Rose, »ich kann's darum erst recht nicht! Gerade der Umstand mit dem Schutzengel bestimmt mich, das Ganze für einen Traum anzusehen. – Eine normannische Schildwacht, die ich selbst von ihrem Posten rief, um über Euch zu wachen, war es, die zu Eurem Beistande in Euer Zimmer brach und Euch im leblosen Zustande auf seinen Armen hinaustrug.«

»Ein normännischer Soldat? Ha!« rief Eveline, blutrot werdend, »und wer war es, Mädchen, dem Du Auftrag zu geben wagtest, in mein Schlafzimmer einzubrechen?«

»Eure Augen blitzen vor Zorn, meine Dame, aber tun sie auch recht? – Drang nicht Euer Todesgeschrei mir zu Ohren? Und sollte ich in solchem Augenblick von Rücksichten mich im Banne halten lassen? – So wenig, als wenn das Haus in Flammen gestanden hätte!«

»Ich frage Dich noch einmal, Rose,« sagte ihre Gebieterin, noch immer ungehalten, wenn auch nicht mehr zornig, »wen Du zu mir ins Zimmer dringen hießest?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Lady,« antwortete Rose beklommen, »war er doch dicht in seinen Mantel gehüllt und war doch gar keine Zeit, ihm ins Gesicht zu sehen, selbst wenn es sich hätte ansehen lassen! Aber ich werde ihn bald entdecken und werde um so mehr bedacht sein, ihn zu finden, damit ihm die Belohnung zuteil werde, die ich ihm versprach – damit ich ihn warne, bescheiden zu schweigen.«

»Das tue,« sagte Eveline, »und wenn Du ihn unter denen findest, die uns begleiten, so will ich mich an Deine Meinung halten und glauben, daß an dem Weh, das ich in dieser Nacht erduldete, meine Phantasie den größten Anteil hatte.«

Rose gab ihrem Pferde einen leichten Hieb, und von ihrer Gebieterin begleitet, ritt sie zu Philipp Guarine, dem Squire des Connetable, der zurzeit das Kommando über die kleine Schar führte ... »Lieber Guarine,« sagte sie, »ich habe mit einem der heut nacht ausgestellten Posten von meinem Fenster aus gesprochen; er hat mir einen Dienst geleistet, für den ich ihm Belohnung versprach – wollt Ihr mir den Gefallen tun, Nachfrage unter Euren Reitern zu halten, damit ich meine Schuld entrichten kann?«

»O gewiß, mein schönes Kind,« antwortete der Squire, »bin ich doch auch ihm eine Erkenntlichkeit dafür schuldig, daß er sich auf Lanzenweite dem Fenster näherte, Zwiesprach zu halten und den ihm erteilten gemessenen Befehl zu übertreten!«

»Still! still! Ihr müßt's ihm mir zuliebe nachsehen!« rief Rose, »hätte ich doch beinah Euch selbst gerufen, wackerer Guarine, und es – ich stehe dafür – auch über Euch vermocht, unter mein Kammerfenster zu treten.«

Guarine lachte und zuckte die Achseln ... »Freilich ist's wahr,« sagte er, »wo Weiber im Spiel sind, ist Kriegszucht in Gefahr.«

Er hielt sogleich Nachfrage unter seiner Schar, kehrte aber mit der Beteuerung zurück, daß keiner derselben es wahr wissen sollte – obgleich er jeden einzelnen ins Verhör genommen – sich dem Schlosse Baldringham in der vergangenen Nacht auf Rufweite genähert zu haben.

»Da siehst Du!« sagte Eveline zu ihrer Dienerin mit bedeutsamen Blicken.

»Die armen Schelme fürchten sich vor ihres Hauptmanns Strenge,« antwortete Rose, »und trauen sich nicht mit der Wahrheit heraus! – Es wird schon einer zu mir kommen und insgeheim sich seinen Lohn abholen.«

»Ich wollte, dies Vorrecht gehörte mir selbst, Jungfer,« sagte Guarine, »aber meine Burschen sind so zaghaft nicht, wie Ihr denkt, sondern nur allzubereit, sich ihrer Streiche zu rühmen, wenn sie auch wenig Entschuldigung verdienen ... Zudem versprach ich ihnen Straflosigkeit! ... Habt Ihr sonst noch etwas zu befehlen?«

»Nichts, guter Guarine,« sagte Eveline, »nur die kleine Gabe hier zu Wein für Eure Mannschaft, damit sie die nächste Nacht lustiger zubringe als die vergangene ... So! nun ist er weg! und nun, Mädchen, sollst Du merken, daß das, was Du sahst, kein irdisches Wesen war!«

»Ich muß meinen eigenen Augen und Ohren glauben, Herrin,« erwiderte Rose.

»Das tue, erlaube aber mir das gleiche Recht,« sagte Eveline; »mein Retter – denn so muß ich ihn nennen – hatte die Züge eines Mannes, der nie in der Nachbarschaft von Baldringham gewesen oder hat sein können. Sage mir nur noch eins! Was denkst Du von der seltsamen Weissagung:

Verwitwete Gattin, jungfräuliche Ehe,


Verlobt, verratend, verraten, – Wehe!

Du Wirst sagen, es sei nichts als eine Ausgeburt meines Gehirns, – nimm es aber einen Augenblick für den Spruch eines echten Propheten, was würdest Du dann dazu sagen?« »Daß Ihr wohl verraten werden könntet, teuerste Lady, nie aber Verräterin sein könntet,« antwortete Rose lebhaft.

Eveline streckte ihrer Freundin die Hand entgegen, und Rosens Hand herzlich drückend, flüsterte sie ihr mit Wärme zu: »Ich danke Dir für Dein Urteil, das mein Herz bestätigt.«

Eine Staubwolke verkündigte jetzt die Annäherung des Connetable und seines Gefolges, vermehrt durch die Begleitung seines Freundes, Sir William Herbert, und einiger andern, von dessen Nachbarn und Verwandten, die sämtlich erschienen, der Waise von Garde Douloureuse, unter welchem Namen Eveline in den Gegenden, durch die sie reiste, bekannt war, ihre Huldigung darzubringen.«

Evelinen entging es nicht, daß de Lacy, als er sie begrüßte, mit Verdruß auf die Unordnung in ihrer Kleidung und ganzen Ausrüstung sah, die sich infolge ihrer eiligen Abreise von Baldringham notwendig gemacht hatte. Auch sie war durch einen Ausdruck in seinem Gesicht überrascht, der ihr zu sagen schien: »Mich als gewöhnlichen Menschen zu betrachten, den man ungestraft von oben herab behandeln darf, kann ich nicht gelten lassen.« – Zum erstenmale sah sie, daß des Connetables Gesicht, wenn es ihm auch an Anmut und Schönheit fehlte, heftige Leidenschaften recht wohl kraftvoll und lebendig auszudrücken vermochte, und daß, wer teil an seinem Range und Namen haben wolle, auch darauf rechnen müsse, auf allen persönlichen Willen zu verzichten und sich dem seinen als eigenmächtigen Herrn und Gebieter unbedingt unterzuordnen.

Die Wolke verzog sich jedoch bald von der Stirn des Connetables, und Eveline bekam Gelegenheit, in seiner Unterhaltung mit Herbert und den übrigen Rittern und Edlen, die sie auf ihrer Reise teils nur begrüßten, teils eine Strecke weit begleiteten, die Überlegenheit seines Geistes zu bewundern, wie auch die Aufmerksamkeit und Ergebenheit zu bemerken, mit der von Männern, die selbst von hohem Range waren und in ihrem Stolze niemand ein Uebergewicht eingeräumt hätten, das nicht auf tatsächliches Verdienst sich gründete, auf jedes Wort aus seinem Munde gelauscht wurde.

Frauen lassen sich in ihrem Urteil über einen Mann beeinflussen durch den Respekt, den er bei andern Männern genießt, und als Eveline die Reise zum Benediktinerkloster von Gloucester zurückgelegt hatte, konnte sie nicht anders, als voll Ehrerbietung des weitberühmten Kriegeshelden gedenken, dessen Geistesgaben ihn hoch über jeden, der sich ihr näherte, stellten. Als Gattin solches Mannes, dachte Eveline – und an Ehrgeiz mangelte es ihr nicht – müßte sich jede Frau, sofern sie nur auf gewisse Eigenschaften bei ihm verzichten wollte, die freilich im jugendlichen Alter die weibliche Phantasie am meisten fesseln, allzeit hochgeehrt und wertgehalten sehen und ein hohes Maß von Zufriedenheit, wenn auch nicht von romantischer Glückseligkeit, finden.

Sechzehntes Kapitel

Fast vier Monate verweilte Lady Eveline bei ihrer Tante, der Aebtissin des Benediktinerinnen-Klosters, unter deren Einfluß der Connetable seine Bewerbung gute Fortschritte machen sah, wie es wohl auch nicht anders der Fall gewesen wäre, wenn Raymond Berenger, Evelinens Vater, noch gelebt hätte. Freilich wohl läßt sich annehmen, daß, ohne den Glauben an jene Vision der heiligen Jungfrau und ohne das bei dieser Gelegenheit geleistete Gelübde, die bei einer so jugendlichen Person nur natürliche Abneigung gegen einen an Jahren ihr so ungleichen Mann ein schärferes Wort mitgesprochen hatte. In der Tat konnte sich auch Eveline, soviel Gerechtigkeit sie den Charaktereigenschaften und Fähigkeiten des Connetable widerfahren ließ, einer geheimen Scheu vor ihm nicht erwehren, und wenn sie seiner Bewerbung auch kein unbedingtes Nein entgegensetzte, empfand sie doch ein gewisses Gruseln bei dem Gedanken, daß ihm dieselbe schließlich doch noch glücken könnte.

Die vorbedeutenden Worte »verratend und verraten« traten ihr dann vor die Seele, und als nun ihre Tante – sobald die eigentliche Trauerzeit vorüber war – einen Termin für ihre Verlobung festsetzte, schaute sie ihm mit einem geheimen Grauen entgegen, von dem sie sich selbst keine Rechenschaft abzulegen wußte, aber auch nicht, wie von dem schrecklichen Traume zu Baldringham, dem Pater Aldrovand in der Beichte etwas offenbarte. Es beruhte nicht auf Widerwillen gegen den Connetable, noch weniger darauf, daß sie einem andern Bewerber den Vorzug vor ihm gegeben hätte, sondern vielmehr auf einer jener instinktmäßigen Regungen und Empfindungen, durch die uns die Natur vor naher Gefahr zu warnen scheint, obwohl sie uns weder über ihre Natur noch die Mittel, ihr zu begegnen, Aufklärung gibt. Diese Anfälle von Scheu und Bange waren zuweilen so stark, daß, wären sie durch Rosens Vorstellungen wie vordem unterstützt worden, Eveline vielleicht noch jetzt zu einem dem Connetable ungünstigen Entschluß gelangt wäre. Aber eifriger für ihrer Lady Ehre als Glück besorgt, wehrte Rose sich streng gegen jeden Versuch, sie in ihrem Vorhaben zu erschüttern, nachdem sie einmal zu de Lacys Bewerbung sich beifällig ausgesprochen hatte; und was sie auch dachte und vorher über diese Heirat gesagt hatte, so schien sie doch jetzt auf diese Verbindung wie auf ein Ereignis zu blicken, gegen dessen notwendigen Vollzug sich nichts mehr tun lasse und niemand mehr etwas tun dürfe.

De Lacy selbst, als er den hohen Wert des Preises, nach dem er strebte, kennen lernte, sah dieser Verbindung mit andern Empfindungen entgegen, als ihn Raymond Berengers Antrag gegenüber erfüllt hatten. Damals war es ihm nur ein Ehebund aus Interesse und Konvenienz, der einem stolzen, klugen Lehnsherrn als bestes Mittel zur Befestigung seiner Hausmacht und zur Fortpflanzung seines Geschlechts erschien. Selbst Evelinens strahlende Schönheit machte auf de Lacy nicht den Eindruck, wie auf den feurigen, leidenschaftlichen Geist der Ritter ihrer Zeit. Er war über das Alter hinweg, in welchem auch der weisere Mann sich durch die äußere Gestalt berücken läßt, und hätte nicht angestanden, der Wahrheit, daß er sich seine Braut, so schön sie sei, doch um einige Jahre älter, also zu seinem Wesen und seiner Denkweise passender, wünsche, die Ehre zu geben. Diese Anschauung änderte sich aber, als er beim wiederholten Beisammensein mit der ihm bestimmten Braut erkannte, wie fremd sie dem Leben sei und wie sehr sie sich sehnte, durch eine ihr überlegene Kraft geleitet zu werden; wie sie, obwohl begabt mit hohem Verstande, wie mit einem Gemüt, das allmählich seine natürliche Fröhlichkeit wiederfand, doch sanft und willig, dabei aber von festen Grundsätzen war, die dafür bürgten, daß sie den schlüpfrigen Pfad der Jugend, vornehmen Geburt und körperlichen Schönheit festen Schrittes und untadelhaft wandeln werde.

In dem Verhältnis, wie sich sein Herz für Evelinen in Flammen setzte, wurde ihm die für den Kreuzzug eingegangene Verpflichtung lästig. Die Aebtissin, Evelinens natürlicher Vormund, bestärkte ihn hierin. Obgleich Nonne und von hoher Gottesfurcht beseelt, hielt sie doch den heiligen Stand der Ehe in nicht minder hohen Ehren und stellte nicht in Abrede, daß er dem wichtigen Zweck, zu dem er eingegangen würde, nicht dienen könnte, wenn zwischen dem verehelichten Paare das ganze Festland Europas läge. Bei einer Andeutung des Connetables, daß ihn seine junge Gattin in das sittenlose Lager der Kreuzfahrer begleiten könne, bekreuzte sich die gute Dame mit Abscheu und verbat sich jedes weitere Wort nach dieser Richtung hin auf das nachdrücklichste.

Es war zudem für Könige, Fürsten und andere Personen von hohem Range nichts Ungewöhnliches, von dem Gelübde zur Befreiung Jerusalems entbunden zu werden, sofern man bei der Kirche in Rom nur gebührlich darum nachsuchte. Der Connetable befand sich in dem Vorteil, seines Souveräns Interesse dabei anführen zu können, war er unter dem Adel, dessen Tapferkeit und Klugheit König Heinrich hauptsächlich die Verteidigung der unruhigen Walliser Marken anvertraut hatte, doch keiner der Edelsten, und hatte er doch gewissermaßen ohne Erlaubnis desselben das Kreuz genommen.

Zwischen der Aebtissin und dem Connetable kam es daraufhin zu dem geheimen Abkommen, daß in Rom und beim Päpstlichen Legaten in England ein Aufschub für die Ableistung des Gelübdes auf wenigstens zwei Jahre nachgesucht werden sollte. Daß solche Gunst einem Manne von seinem Stande und Range abgeschlagen werden könnte, ließ sich nicht annehmen, zumal das Gesuch mit den freigebigsten Anerbietungen von Beihilfe zur Befreiung des heiligen Landes unterstützt wurde, wie unter anderm, daß er, wenn ihm die persönliche Teilnahme erlassen würde, hundert Lanzen auf seine Kosten stellen wolle, jede Lanze in Begleitung von zwei Knappen, drei Bogenschützen und einem Stalljungen: die doppelte Geleitschaft also, die er für seine Person in Anspruch genommen hätte; des Weiteren erbot er sich, die Summe von zweitausend Byzantinern zu den allgemeinen Kosten des Zuges beizusteuern und all die Schiffe, die er für seine Ausfahrt instand gesetzt hatte und die zu seiner Einschiffung bereit lagen, dem christlichen Heere zu überlassen.

Immerhin fürchtete der Connetable, daß seine Anerbietungen dem überaus strengen Kirchenfürsten Balduin nicht genügen möchten, der selbst den Kreuzzug gepredigt und den Connetable mit vielen anderen zu der heiligen Unternehmung gewonnen hatte, und nun zu seinem größten Verdruß sehen mußte, daß sein Werk in Gefahr geriete dadurch, daß ein so wichtiger Verbündeter sich von ihm abwendig machen wollte. Diesen Unmut soviel wie möglich zu besänftigen, erklärte sich der Connetable, falls ihm gewährt würde, in Britannien zu bleiben, noch dazu bereit, seinen Neffen Damian de Lucy als Führer seines Korps zu stellen, der schon Ruhm durch seine Rittertaten gewonnen hatte und, wenn dem Connetable Erben versagt blieben, als künftiges Haupt des alten Hauses zu gelten hätte. Freilich mußte er sich auch dann noch auf schwierige Verhandlungen mit dem stolzen und mächtigen Prälaten gefaßt machen, aber ebenfalls stolz und mächtig und von der Gunst seines Souveräns unterstützt, hoffte er auf einen günstigen Ausgang, zum mindesten auf keine Niederlage.

Die Notwendigkeit, diese Angelegenheit vor allem erst zu ordnen, wie auch das kürzlich erfolgte Abscheiden von Evelinens Vater brachten es mit sich, daß der Connetable sich von Turnieren und andern Festlichkeiten fernhielt. Ebenso untersagte die Klosterregel alle weltlichen Unterhaltungen wie Tanz und Musik. Obwohl nun der Connetable durch die prächtigsten Geschenke die Liebe zu seiner Braut zu beweisen suchte, nahm die ganze Sache nach Ansicht der vielerfahrenen Dame Gillian doch mehr das schwerfällige Tempo einer Beerdigungsfeier an, statt das flotte einer bevorstehenden Hochzeit.

Die Braut selbst hatte ähnliche Empfindungen, und wohl nicht ganz zufällig bloß geschah es, daß ihr Gedanken kamen, als könne alles einen fröhlichern Anstrich bekommen, wenn der junge Damian zur Stelle sei, dessen Alter zu dem ihrigen passe, dessen Temperament von dem seines ernsten Oheims so glücklich abstäche. Aber Damian kam nicht, und nach des Connetables Reden über ihn mußte sie glauben, daß die beiden nahverwandten Männer wenigstens auf gewisse Zeit Beschäftigung und Charakter vertauscht hätten. Der ältere de Lacy hielt zwar, wenn auch nur nominell, sein Gelübde weiter und wohnte in einem Pavillon vor den Toren von Gloucester; aber nur selten trug er jetzt seine Rüstung, und sein gemsledernes Kriegswams hatte köstlichem Damast und Seide weichen müssen; auch zeigte er in seinen vorgerückten Jahren größere Vorliebe für Prunk, als seine Altersgenossen selbst in der Jugend an ihm wahrgenommen hatten. Sein Neffe dagegen hielt sich fast immer an den Walliser Grenzen auf, die mannigfaltigen Wirren dort entweder gütlich oder mit bewaffneter Hand beizulegen, Eveline vernahm zu ihrer nicht geringen Verwunderung, daß sein Oheim ihn nur schwer dazu bestimmt hatte, bei ihrer Verlobung als Zeuge gewärtig zu sein.

Der Connetable bemerkte wiederholt nicht ohne Besorgnis, daß Damian sich selbst für seine Jahre zu wenig Ruhe gönne, zu wenig schlafe und sich viel zu sehr anstrenge – daß seine Gesundheit darunter leide– ja daß ein gelehrter jüdischer Arzt, über ihn zu Rate gezogen, die Meinung geäußert habe, dem jungen Ritter dürfte ein südlicheres Klima zuträglicher sein, die alten Kräfte wiederzugewinnen, als der neblige Norden.

Eveline vernahm diese Nachricht mit lebhaftem Bedauern, denn sie erinnerte sich Damians als des heilverkündenden Engels, der ihr die erste Nachricht von ihrer Errettung aus der Gewalt der Walliser brachte. Die Gelegenheit, bei der sie sich späterhin sahen, so traurig sie auch war, gewährte ihr doch in der Erinnerung Freude, denn der Jüngling hatte ein so vornehmes Benehmen, und hatte sie so warm zu trösten verstanden, daß sie ihn gern wiedergesehen hätte, um sich über die Natur seiner Krankheit selbst ein Urteil zu bilden, denn gleich andern Frauen jener Zeit war sie in der Heilkunst nicht ganz unerfahren und hatte vom Pater Aldrovand, der selbst kein unbedeutender Arzt war, aus Pflanzen und Kräutern die Heilkräfte für allerhand Krankheit zu gewinnen gelernt.

So vernahm sie mit recht großer Freude, in die sich wohl auch einige Verlegenheit mischte, daß sie bei einem so jungen Kranken ärztliche Ratgeberin sein solle, die Nachricht aus Fran Gillians Munde, daß sie Lord Connetables Verwandter zu sprechen verlange. Schnell nahm sie den Schleier um, den sie, um sich in die Gebräuche des Hauses zu fügen, zu tragen pflegte, und begab sich mit eiligen Schritten in das Sprechzimmer, befahl zwar ihrer Gillian, sie zu begleiten, fand aber diesmal keine willige Dienerin in dieser sonst so treuen Seele.

Als sie in das Zimmer trat, näherte sich ihr ein Mann, den sie vorher nie gesehen, ließ sich auf ein Knie nieder, und den Saum ihres Schleiers ergreifend, küßte er ihn mit dem Anschein tiefster Ehrfurcht. Erstaunt und beunruhigt trat sie zurück, obgleich der Fremde nichts an sich hatte, was Furcht rechtfertigen konnte. Er schien etwa dreißig Jahre alt zu sein, war groß, von edler, obwohl etwas verfallener Gestalt, und zeigte ein Gesicht, das die Spuren von Krankheit, wenn nicht Befriedigung frühzeitiger Leidenschaft trug. Sein Benehmen schien fast bis zum Uebermaße höflich. Evelinens Erstaunen entging ihm nicht: in stolzem Tone, doch mit innerer Bewegung sprach er: »Ich fürchte, mich geirrt zu haben, ist es mir doch, als ob mein Besuch als unwillkommene Zudringlichkeit angesehen werde.« »Steht auf, Sir,« antwortete Eveline, »und sagt mir Euren Namen und Euer Begehren. Man hatte mir einen Verwandten des Connetable von Ehester gemeldet.«

»Und Ihr habt das Jüngelchen, den Damian, erwartet?« erwiderte der Fremde. »Aber die Vermählung, deren Ruf durch ganz England ertönt, wird Euch mit andern Gliedern dieses Hauses in Beziehung setzen, und unter diesen mit dem Unglücklichen – Randal de Lacy. Vielleicht,« fuhr er fort, »hat die schöne Eveline Berenger diesen Namen von den Lippen seines glücklicheren Verwandten noch nicht vernommen – glücklicher in jeder Rücksicht, aber am glücklichsten ob der herrlichen Aussichten, die sich ihm jetzt eröffnen.«

Eine tiefe Verbeugung begleitete dies Kompliment, und Eveline stand da, fast außer sich vor Verlegenheit, was sie auf solche Höflichkeit erwidern sollte. Denn obgleich sie sich recht Wohl erinnerte, daß der Connetable eines Verwandten mit Namen Randal erwähnt hatte, als er von seiner Familie sprach, mit dem Bemerken, daß kein gutes Vernehmen unter ihnen herrschte, erwiderte sie jetzt doch seine Höflichkeit nur mit ein paar allgemeinen Dankworten für die Ehre seines Besuchs. In der Annahme aber, er werde sich nun entfernen, sollte sie sich doch getäuscht sehen, denn das war nicht seine Absicht.

»Die Kälte,« sagte er, »mit der mich Lady, Eveline empfängt, ist mir ein Zeichen dafür, daß, was mein Verwandter auch von mir gesagt hat – wenn er mich überhaupt einer Erwähnung gewürdigt hat, nicht günstig für mich gewesen ist. Dennoch stand mein Name einst im Felde und an den Höfen so hoch wie der des Connetable. Oder ist es etwas Schimpflicheres noch, wiewohl kaum etwas anderes als größerer Schimpf gilt denn Armut, die mich jetzt hindert, auf Ehrenstellen und Ruhm Anspruch zu machen? Sind's vielleicht die Tollheiten meiner Jugend? Nun, so zahlreich sie gewesen, so habe ich dafür gebüßt mit dem Verlust meines Vermögens und meiner äußern Ehre! Hierin hätte nur mein glücklicher Verwandter, wenn es ihm gefiele, mir beistehen können – ich meine nicht, mit seiner Börse oder seinem Ansehen; denn so arm ich bin, so möchte ich doch nicht von Almosen leben, die ich aus widerstrebender Hand eines mir entfremdeten Freundes herauswinken müßte! Nein, seine Hilfe soll ihn nichts kosten, und insofern könnte ich Wohl eine Gunst von ihm erwarten.«

»Darüber muß der Lord Connetable selbst urteilen,« sagte Eveline; »ich habe – bis jetzt wenigstens – kein Recht, mich in seine Familienangelegenheiten zu mischen, und wenn ich je ein solches Recht erlangen sollte, so wird es mir geziemen, mich seiner mit größter Vorsicht zu bedienen,«

»Das heißt klug geantwortet,« erwiderte Randal. »Aber was ich von Euch erbitte, ist weiter nichts als, daß es Euch bei Eurer Güte belieben möchte, meinem Vetter ein Gesuch vorzutragen, wozu ich meine rauhe Zunge nicht zwingen kann, es mit hinlänglicher Unterwürfigkeit auszusprechen. Die Wucherer, deren Forderungen in meinem Vermögen wie ein Krebs um sich gefressen haben, bedrohen mich jetzt mit dem Kerker: eine Drohung, die sie nicht einmal munkeln, viel weniger auszuführen versuchen dürfen, sähen sie mich nicht als einen Ausgestoßenen an, dem aller Schutz versagt ist, als einen Vagabunden, ohne Freund und Verwandten, statt eines Abkömmlings aus dem mächtigen Hause de Lacy.«

»Es sind das traurige Umstände,« erwiderte Eveline; »nur sehe ich nicht, wie ich Euch in dieser Not helfen kann.«

»Sehr leicht,« sagte Randal de Lacy. »Wie ich höre, ist der Tag Eurer Verlobung festgesetzt, und Ihr habt das Recht, die Zeugen zu dieser Festlichkeit, die alle Heiligen segnen mögen, zu wählen! Jedem andern außer mir ist An- oder Abwesenheit dabei eine bloße Sache der Zeremonie; für mich bedeutet es Leben oder Tod. In meiner Lage würde ein so auffallender Beweis von Nichtachtung oder Geringschätzung, wie es meine Ausschließung von dieser Familien-Zusammenkunft wäre, als das Zeichen meiner gänzlichen Verstoßung aus dem Hause der de Lacy erscheinen. Tausende von Bluthunden werden dann ohne Gnade und Schonung über mich herfallen, die, Memmen wie sie sind, auch nicht der geringste Beweis von Rücksicht meines mächtigen Vetters gegen mich zwingen möchte, es auch nur beim Bellen zu lassen. – Doch warum soll ich durch dergleichen Reden Euch Eure Zeit rauben? – Lebt wohl, meine Dame! – Seid glücklich, und denkt nicht darum strenger von mir, weil ich auf einige Minuten Eure angenehmen Gedanken durch die aufgedrungene Schilderung meines Unglücks unterbrochen habe.«

»Verweilt, Sir!« sagte Eveline, durch den Ton und die Weise des Bittstellers ergriffen, »Ihr sollt nicht sagen können, daß Ihr Evelinen Berenger Euer Leid geklagt habt, ohne all die Hilfe erlangt zu haben, die in ihrer Gewalt stand. Ich werde dem Connetable Euer Gesuch vortragen.« »Ihr müßt mehr tun, wenn Ihr wirklich mir beizustehen geneigt seid,« sagte Randal de Lacy, »Ihr müßt es zu Eurem eigenen Gesuch machen ... Ihr wißt nicht,« fuhr er fort mit festem, bedeutsamem Blicke, »wie schwer es ist, den Willen eines de Lacy zu ändern. – Ein Jährchen später werdet Ihr wahrscheinlich bessere Bekanntschaft mit der Unerschütterlichkeit unserer Entschließungen gemacht haben. Aber jetzt – was kann Euren Wünschen widerstehen, sobald Ihr sie auszusprechen geruht?«

»Euer Gesuch, Sir, soll nicht aus Mangel meiner Empfehlung durch gute Worte und gute Wünsche fehlschlagen,« entgegnete Eveline; »aber Ihr dürft nicht vergessen, daß Gelingen oder Fehlschlagen einzig vom Connetable abhängt.«

Randal de Lacy beurlaubte sich mit demselben Anschein tiefer Ehrerbietung, mit dem er eingetreten war; nur daß er, statt wie zuvor den Saum von Evelinens Gewand zu küssen, nun ihre Hand mit seinen Lippen berührte. Mit gemischten Empfindungen, in denen jedoch das Mitleid vorherrschte, sah sie ihn gehen, obwohl in seinen Klagen über des Connetables Unfreundlichkeit etwas Beleidigendes lag und das Geständnis seiner Torheiten mehr verwundeten Stolz als Reue auszudrücken schien.

Sobald Eveline den Connetable wiedersah, erzählte sie ihm von Randals Besuch und von seiner Bitte; sie gab dabei auf seine Miene genau acht und bemerkte, daß bei der ersten Erwähnung des Namens seines Vetters Zornesglut sein Gesicht überflog. Doch unterdrückte er den Zorn bald, richtete den Blick auf den Boden, horchte genau auf den umständlichen Bericht Evelinens von diesem Besuch und auf ihre Bitte, daß Randal einer von den zu ihrem Verlöbnis eingeladenen Gästen sein möchte.

Der Connetable schwieg einen Augenblick, als ob er überlegte, wie er diese Bitte abweisen sollte. Endlich antwortete er: »Ihr kennt den nicht, für den Ihr Euch verwendet, sonst würdet Ihr Eure Fürbitte unterlassen haben; ebensowenig ist Euch das volle Gewicht der Gunst selbst bekannt, aber mein verschmitzter Vetter weiß es sehr wohl, daß, wenn ich sie ihm gewähre, ich mich gleichsam noch einmal vor den Augen der Welt verpflichte – und das ist dann schon zum drittenmal, daß ich mich seiner Angelegenheiten annehme und sie so regle, daß er Mittel hat, sein gefallenes Ansehen wieder herzustellen und seine zahllosen Verirrungen wieder gut zu machen.« »Und warum nicht, Mylord?« sagte die großmütige Eveline. »Hat er sich nur durch Torheiten ins Unglück gebracht, so ist er ja jetzt in dem Alter, wo diese ihm nicht mehr Fallen legen werden. Wenn daher nur Herz und Hand gut sind, so kann er doch noch dem Hause de Lacy Ehre machen.«

Der Connetable schüttelte den Kopf und sagte: »Wohl besitzt er Herz und Hand, aber Gott mag wissen, ob zum Guten oder zum Bösen. Doch nie soll es heißen, daß Ihr, meine schöne Eveline, irgend etwas von Hugo de Lacy begehrt hättet, was er nicht auf das möglichste zu erfüllen gesucht hätte. Randal soll bei unseren fiançailles [Verlöbnis] zugegen sein. Zu seiner Gegenwart ist um so mehr Grund, da ich fast fürchte, wir werden die unsers werten Neffen Damian entbehren müssen, dessen Krankheit mehr zu- als abnimmt und, wie ich höre, mit sonderbaren Symptomen ungewohnter Geisteszerrüttungen und heftiger Anwandlungen, denen nie ein Jüngling weniger als er unterworfen war, verbunden sein soll.

Ende des ersten Bandes.

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