»So rasch?« fragte Bois-Guilbert.

»Ja,« versetzte der Präzeptor, »wenn der Richter das Urteil schon im voraus bestimmt hat, so geht der Prozeß schnell.«

Als Bois-Guilbert allein war, sprach er bei sich selber: »Rebekka, du kannst mir noch teuer zu stehen kommen. Aber noch einen Versuch zu deiner Rettung will ich anstellen, aber hüte dich, mir wieder mit Undank zu begegnen! Werde ich noch einmal zurückgewiesen, so soll meine Rache ebenso wild sein wie meine Liebe. Bois-Guilbert will nicht Leben und Ehre aufs Spiel setzen, um nur Verachtung und Vorwürfe zum Lohne zu erhalten.« –

Der Präzeptor hatte kaum die erforderlichen Weisungen erteilt, als Konrad Mont-Fitchet zu ihm kam und ihm meldete, daß nach dem Befehle des Großmeisters sofort der Jüdin der Prozeß gemacht werden sollte.

»Ein Wahn verblendet ihn,« sagte Malvoisin. »Wir haben viele jüdische Ärzte, die wunderbare Heilungen vollzogen haben, und man hat sie doch nicht für Zauberer gehalten. Sind denn hinreichende Gründe vorhanden, diese Rebekka als Hexe zu verdammen?«

»Die Gründe müssen verstärkt werden,« erwiderte Konrad. »Verstehst du mich?«

»Unter denen, die mit Bois-Guilbert hergekommen sind,« sagte Albert, »sind zwei Burschen, die ich gut kenne. Sie waren bei meinem Bruder in Dienst und kamen dann zu Front-de-Boeuf. Es ist möglich, daß sie etwas von den Zauberkünsten der Jüdin wissen.«

»Suche sie sogleich auf, und wenn sich ihr Gedächtnis durch ein paar Byzantiner auffrischen läßt, so laß es nicht daran fehlen.

»Um eine Zechine machen die Kerle ihre Mutter zu einer Hexe!«

Die gewaltige Schloßglocke hatte kaum die Mittagsstunde verkündet, da vernahm Rebekka auf der geheimen Treppe, die in ihr Gemach führte, Fußtritte. Sie hörte zu ihrer Erleichterung, daß es mehrere Männer sein müßten, denn nichts fürchtete sie so sehr, als wenn der stolze und wilde Templer allein zu ihr kam. Konrad und der Präzeptor traten herein, vier schwarz gekleidete Hellebardiere folgten ihnen. »Tochter eines verfluchten Stammes, folge uns!« sagte der Präzeptor.

»Wohin und wozu?« fragte Rebekka.

»Du hast nicht zu fragen, Mädchen, sondern zu gehorchen,« sagte Konrad. »Doch magst du wissen, daß du vor das Gericht des Großmeisters unseres heiligen Ordens kommst und Rechenschaft von deinen Sünden ablegen sollst.«

»Gelobt sei der Gott Abrahams!« rief Rebekka, die Hände faltend. »Ist auch mein Richter ein Feind meines Volkes, so klingt mir doch sein Name wie der eines Beschützers. Gern folge ich dir, nur laß mich rasch den Schleier über das Haupt breiten.« Mit feierlich gemessenen Schritten ging sie die Treppe hinab und durch einen langen Gang kamen sie in die Halle, in der der Großmeister zu Gericht sitzen wollte.

Am Ende dieses Raumes drängte sich eine Menge von Knappen und Neomen, die kaum Platz machten als Nebetta hindurchgeführt wurde. Wie sie durch das Gedränge zu ihrem Sitze schritt, ward ihr ein Blatt Papier in die Hand gedrückt. Sie nahm es an und hielt es fest, ohne nachzusehen, was es enthielt. Aber der Gedanke, in dieser Versammlung einen Freund zu haben, flößte ihr Mut ein, und sie hob den Kopf und sah sich um.

Der Gerichtshof, der über die unschuldige und Unglückliche Rebekka richten und urteilen sollte, saß auf dem erhöhten Teil der Halle, den man den Baldachin nannte, wie wir ihn bereits in Cedrics Hause geschildert haben. Auf einem erhöhten Sitz vor der Angeklagten saß der Großmeister des Ordens in weitem weißen Gewande, in der Hand den geheimnisvollen, mit den Sinnbildern des Ordens geschmückten Stab. Ihm zu Füßen stand ein Tisch, an dem zwei Schreiber saßen, die das Protokoll der Verhandlung zu führen hatten. Es waren Kaplane des Ordens, ihre schwarzen Kleider, ihre kahlen Köpfe und ihr steifes Wesen bildeten einen auffallenden Gegensatz zu dem kriegerischen Anstand der anwesenden Ritter. Vier Präzeptoren waren zur Stelle; sie saßen auf Plätzen, die ein wenig niedriger waren als der Sitz des Ordensmeisters. Die Sitze der Ritter waren wiederum niedriger als die der Präzeptoren und von diesen ebensoweit abgerückt, wie die der Präzeptoren vom Platze des Großmeisters. Hinter ihnen, aber noch immer auf dem erhabenen Teile des Raumes, standen die Knappen des Ordens in weniger vornehmen weißen Gewändern. Die ganze Versammlung machte einen sehr würdevollen Eindruck. Die Haltung der Ritter offenbarte neben dem militärischen Aussehen jene Feierlichkeit, die dem geistlichen Stande zukommt und die in Gegenwart des Großmeisters auf jeder Stirne thronte. Der niedriger gelegene Teil der Halle war voller Wachen und anderen Volkes, das die Schaulust hergetrieben hatte, um auf einen Blick einen Großmeister und eine jüdische Zauberin zu sehen. Größtenteils gehörten diese Leute in der oder jener Eigenschaft zum Orden und trugen daher schwarze Kleider, aber es waren auch Bauern der Umgegend da, denn es war Beaumanoirs Stolz, dieses Schauspiel so weit wie möglich vor der großen Öffentlichteit vollzogen zu sehen. Seine großen blauen Augen schienen sich zu erweitern, als er die Versammlung überschaute, und über dem Bewußtsein seiner Würde und über der Einbildung, daß er im Begriffe stehe, ein höchst verdienstvolles Werk zu tun, nahm sein Antlitz eine noch feierlichere Erhabenheit an, und mit einer tiefen weichen Stimme, deren Kraft im Alter noch nicht verloren hatte, stimmte er jenen Psalm an, den die Templer schon so oft gesungen hatten, ehe sie zum Kampfe mit irdischen Feinden gezogen waren. Hundert, im Chorgesang geübte Männerkehlen stimmten ein, und die langgehaltenen Töne schlugen an die gewölbte Decke der Halle und zogen zwischen den Pfeilern hin wie das donnernde und doch feierliche Rauschen eines gewaltigen Stromes.

Als der Sang verklungen war, ließ der Großmeister seinen Blick langsam umherschweifen und sah, daß einer der Plätze unter den Präzeptoren leer war. Es war der, den Brian de Bois-Guilbert sonst inne hatte. Jetzt stand der Ritter am äußersten Ende einer der Bänke, die für die einfachsten unter den Rittern bestimmt waren. Er hatte den ausgebreiteten Mantel vors Gesicht geschlagen, und mit der Spitze seiner Schwertscheide zog er langsam verworrene Linien auf den eichenen Boden der Halle. »Der Unglückliche!« sagte der Großmeister zu Mont-Fitchet, indem er einen Blick des Mitleids auf Bois-Guilbert warf. »Sieh nur, Konrad, wie ihn dieses unheilige Tun foltert, er kann uns nicht ansehen, auch sie nicht, und wer weiß, ob er nicht auf Anstiften des bösen Geistes diese kabbalistischen Zeichen auf der Diele zieht.«

Dann erhob der Großmeister die Stimme und hielt folgende Ansprache:

»Ehrwürdige tapfere Männer! Ritter, Präzeptoren und Mitglieder dieses heiligen Ordens! und auch ihr, wohlgeborene fromme Knappen, die ihr danach strebt, einst das heilige Kreuz zu tragen, und auch ihr, meine Brüder in Christo jeglichen Standes! – Wir haben diese Versammlung in unserer Machtvollkommenheit berufen, denn es ist uns mit diesem Stabe die Befugnis verliehen worden, alles was das Wohl und Wehe unseres Ordens angeht, selber zu prüfen und abzuwägen. Wenn der reißende Wolf in unsere Herde einbricht, dann ist es die Pflicht des guten Hirten, seine Genossen zusammenzurufen, daß sie mit Bogen und Schleuder dem Räuber nachstellen. Wir haben daher ein jüdisches Weib vor uns zitiert – Rebekka, die Tochter des Juden Isaak von York, ein Weib, das berüchtigt ist durch seine Zauberkünste, mit denen es bestrickt hat Blut und Hirn nicht eines gemeinen Mannes, sondern eines Ritters, nicht eines weltlichen Ritters, sondern eines Ritters des Tempels – nicht eines bloßen Mitgliedes des Ordens, sondern eines Präzeptors, eines unter den ersten an Rang und Ruhm. Unsern Bruder Brian de Bois-Guilbert kennen wir und alle, die uns jetzt hören, wohl als einen echten und eifrigen Streiter des Kreuzes, dessen Arm manche Tat der Tapferkeit im heiligen Lande ausgeführt hat. An Weisheit und Verstandesschärfe gilt unser Bruder unter den Seinen nicht weniger, als an Tapferkeit und Manneszucht, so daß in Osten und Westen Brian de Bois-Guilbert als der genannt worden ist, der zum Nachfolger in meinem Amte ernannt werden könnte, wenn es dem Himmel gefallen sollte, uns unseren irdischen Mühen zu entheben. Und nun wird uns hinterbracht, daß ein so verehrungswürdiger Mann plötzlich seinen Stand, sein Gelübde und seine Brüder und seine Zukunft vergißt und in einer Leidenschaft so völlig geblendet und bestrickt ist, daß er sich mit einem jüdischen Mädchen herumtreibt, sie mit Gefahr seines eigenen Leibes schützt und sie sogar in einem unserer Präzeptorien unterbringt! Wir können nichts anders glauben, als daß den edeln Ritter ein böser Dämon oder ein abscheulicher Zauberspruch soweit getrieben hat. Könnten wir anders denken, so würden wir uns nicht durch Tapferkeit, nicht durch Ruhm, nicht hohen Rang, noch irgend eine irdische Rücksicht in unserem Urteil beirren lassen, und die Strafe sollte ihn schwer treffen. Brian de Bois-Guilbert sollte aus unserer Verbindung ausgestoßen werden, und wäre er auch unsere rechte Hand und unser rechtes Auge.«

Er hielt inne. Ein leises Gemurmel ging durch die Versammlung. Dann fuhr der Großmeister fort:

»So strenge sollte die Strafe einen Tempelritter treffen, der in so wichtigen Punkten gegen die Ordensregel verstoßen hätte. Aber wenn der Satan durch mächtige Zauberkünste Gewalt über den Ritter erlangt hat, so kann ihn nur eine Strafe treffen, die ihn zugleich von seiner Verirrung heilt, weil er mehr unser Mitleid als unsere Bestrafung verdient. Unser ganzer Zorn in all seiner Schwere fällt dann auf die, die an seinem Abfall schuld ist. Wer also sein unseliges Beginnen mitangesehen hat, trete vor und lege Zeugnis ab. Wir werden dann die Beweise prüfen und zusehen, ob wir uns mit der Bestrafung dieses heidnischen Weibes begnügen können, oder ob wir blutenden Herzens das Verfahren gegen unsern Bruder fortsetzen müssen.«

Verschiedene Zeugen wurden vorgerufen, die darüber auszusagen hatten, unter wie großer Lebensgefahr Bois-Guilbert Rebekka aus dem brennenden Schlosse gerettet hatte. Sie erzählten mit der gewöhnlichen Menschen eigenen Übertreibung, so daß die immerhin großen Gefahren, denen sich der Ritter ausgesetzt hatte, ins Ungeheuerliche gesteigert wurden. Die Art und Weise, wie er die Jüdin verteidigt hatte, wurde dargestellt als die Grenzen nicht nur der Vorsicht, sondern der tollkühnen, fast wahnsinnigen Tapferkeit überschreitend, und die Verehrung, die er für alles gezeigt hätte, was sie gesagt hatte, obwohl sie oft harte und vorwurfsvolle Worte gebraucht hätte, wurde so übertrieben dargestellt, daß sie bei einem so stolzen Manne allerdings unnatürlich erscheinen mußte. Alsdann wurde der Präzeptor von Templestowe gerufen und berichtete, wie Brian und Rebekka in das Präzeptorium gekommen seien. Malvoisin gab in sehr vorsichtiger und besonnener Weise sein Zeugnis ab. Mit sichtlicher Reue gestand er seinen eigenen Fehltritt ein. »Aber was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe, das habe ich bereits unserm hochwürdigen Großmeister bekannt. Er weiß, daß meine Beweggründe nicht schlecht waren, wenn auch mein Verfahren wider die Regel verstieß. Ich unterwerfe mich freudig jeder Buße, die er mir aufzuerlegen für angebracht befinden wird.«

»Wohl gesprochen, Bruder Albert,« sagte Beaumanoir. »Deine Gründe waren gut, denn du hattest recht, daß du deinem irrenden Bruder den Weg zur Sünde verlegen wolltest, aber deine Maßregel war verfehlt. Der heilige Stifter unseres Ordens hat zur Morgenandacht dreizehn und zur Vesper neun Paternoster festgesetzt, verdopple diese Zahl! Der Templer darf nur dreimal in der Woche Fleisch genießen, enthalte du dich dessen ganz! Dies sechs Wochen lang innegehalten, und deine Buße ist getan!«

Mit einem heuchlerischen Blick tiefster Unterwürfigkeit zog sich der Präzeptor von Templestowe zurück. Dann sprach der Großmeister weiter:

»Wäre es nicht angebracht, meine Brüder, daß wir das Vorleben dieses Weibes näher untersuchten, damit wir erfahren, ob sie schon früher Zauberkünste getrieben hat?«

Hermann von Goodalricke war der vierte der anwesenden Präzeptoren, ein alter Krieger, dessen Gesicht von Narben bedeckt war. Er erfreute sich großen Ansehens und hoher Achtung unter seinen Brüdern und erhielt sogleich die Erlaubnis zu reden.

»Hochwürdiger Vater!« sagte er. »Ich möchte von unserem Bruder Brian de Bois-Guilbert hören, was er selber zu den seltsamen Bezichtigungen und über seinen Verkehr mit dieser jüdischen Dirne zu sagen hat.«

»Brian de Bois-Guilbert,« sagte der Großmeister, »du hörst die Frage, ich befehle dir, darauf zu antworten.«

Bois-Guilbert wandte sein Haupt nach dem Großmeister hin, er versuchte, seinen Hohn und seine Verachtung zu verbergen, da er wohl wußte, daß es ihm nichts nutzen würde, sie hier zu äußern.

»Brian de Bois-Guilbert,« erwiderte er, »verteidigt sich nicht gegen so alberne und rohe Beschuldigungen. Wenn seine Ehre angegriffen wird, so wird er sie verteidigen mit seinem Leibe und mit seinem Schwerts, mit dem er so oft für die Christenheit gekämpft hat.«

»Wir vergeben dir, Bruder Brian,« antwortete der Großmeister, »daß du dich deiner Kriegstaten vor uns rühmst. Auch dieses Eigenlob kommt von dem Bösen, der uns immer versucht, unser eigenes Verdienst zu erhöhen.«

In den stolzen dunkeln Augen Guilberts flammte ein Blick der Verachtung und des Zornes, doch gab er keine Antwort.

»Da nun die Frage unseres Bruders von Goodalricke,« fuhr Beaumanoir fort, »so unvollkommen beantwortet worden ist, so fahren wir in der Untersuchung fort und hoffen, mit Hilfe unseres Schutzpatrones, in das gottlose Geheimnis zu dringen. Wer sonst über Leben und Treiben dieser Jüdin etwas auszusagen hat, der trete vor.«

Nach diesen Worten wurde in dem untern Teile der Halle ein Geräusch laut, und als der Großmeister fragte, was vor sich gehe, erhielt er die Nachricht, daß ein Mann da sei, der bettlägerig gewesen sei und von der Jüdin soweit wieder geheilt worden sei, daß er sich an Krücken bewegen könne. Der arme Mann, ein Sachse von Geburt, wurde vor die Schranken gebracht. Nur widerwillig und nicht ohne Scheu erzählte der Mann, er sei vor zwei Jahren, als er gerade in York bei dem Juden Isaak als Tischler gearbeitet habe, von einem schmerzhaften Übel befallen worden, daß er sich nicht von der Stelle habe bewegen können, bis ihn Rebekka in Pflege genommen und bis ihn die von ihr verschriebenen Mittel, vor allem ein erquickender Balsam, soweit wieder hergestellt hätten, daß er wenigstens einigermaßen die Glieder gebrauchen könne. Sie habe ihm eine Büchse von der köstlichen Salbe gegeben und auch ein Stück Geld, damit er in das Haus seines Vaters nach Templestowe habe zurückkehren können.

»Und mit Verlaub Eurer Hochwürden,« sagte der Mann, »ich kann nicht glauben, daß mir das Mädchen – wenn es auch nur eine Jüdin ist – damit hat ein Leid zufügen wollen, ich habe ein Vaterunser dazu gesprochen, und ihr Mittel hat mir gar sehr gut getan.«

»Wie heißt du, Sklave?«

»Higg, der Sohn Snells.«

»So laß dir sagen, Higg, Sohn Snells,« sprach der Großmeister, »es ist besser, zu Bette liegen zu müssen, als von einer Ungläubigen eine Arznei anzunehmen, um wieder gehen zu können – besser, die Ungläubigen mit starker Hand ihrer Schätze zu berauben, als für sie zu arbeiten oder Geschenke von ihnen anzunehmen. – Geh hin und tu nach meinen Worten.«

»Mit Verlaub, Euer Hochwürden,« versetzte der Alte, »für mich kommt die gute Lehre freilich zu spät, ich bin ein Krüppel – aber meinen beiden Brüdern – sie arbeiten jetzt beim reichen Rabbi Nathan ben Samuel – will ich es sagen, daß sie besser daran täten, wie Euer Hochwürden sagen – wenn sie den Juden bestöhlen, als wenn sie ihm treu dienen.«

»Hinweg mit dir, elender Schwätzer!« sagte Beaumanoir, der freilich auf eine solche Nutzanwendung seiner Worte nicht gefaßt gewesen war. Der Großmeister befahl nun der Rebekka, sich zu entschleiern. Es war das erstemal, daß sie sprach. Sie versetzte im Ton der Würde und Sanftmut, es sei nicht Sitte unter den Töchtern ihres Volkes, sich in einer Versammlung von Fremden, in der man sich allein befände, ohne Schleier zu zeigen. Der sanfte Ton ihrer Stimme und die Bescheidenheit dieser Antwort erweckten in der Versammlung Mitleid und Sympathie. Aber Beaumanoir, der es sich zur Tugend anrechnete, jedes Gefühl der Menschlichkeit, das er dem Gebote seiner Pflicht zuwider glaubte, im Keime zu ersticken, erneuerte seinen Befehl, die Angeklagte des Schleiers zu entkleiden. Und als die Wachen vortraten, um den Befehl auszuführen, sprach Rebekka:

»Laßt mich in Eurer Gegenwart nicht so behandeln – diese rohen Menschen dürfen eine Jungfrau nicht berühren. Ich will Euch gehorchen. Seid Ihr doch gleich den Ältesten unseres Volkes, auf Euer Geheiß hin mag sich denn das Antlitz eines unglücklichen Mädchens zeigen.« Sie schlug den Schleier zurück und enthüllte ein Antlitz, in welchem Beschämung und Würde miteinander rangen. Ihre außerordentliche Schönheit rief ein Gemurmel unter den Zuschauern wach. Die jüngern Ritter sagten einander mit Blicken, daß Bois-Guilbert keiner besseren Entschuldigung bedürfe, als in der Macht dieser jungfräulichen Reize läge, und daß das Mädchen keine Zauberkünste anzuwenden brauche, um geliebt zu werden.

Nun wurden die beiden Soldaten hervorgerufen, die Albert Malvoisin zu falschen Zeugen gedungen hatte. Beide waren zwar verstockte abgebrühte Bösewichter, aber der Anblick des schönen Mädchens schien sie doch zu verwirren. Ein vielsagender Blick des Präzeptors von Templestone warf sie wieder in ihre sklavische Verworfenheit zurück, und sie erzählten nun mit einer Bestimmtheit und Sicherheit, die selbst einen günstig gesonnenen Richter in seiner Meinung wankend hätten machen können, Dinge, die infolge ihres übertriebenen Charakters sehr ungünstig wirkten. Der eine sagte, Rebekka spräche oft mit sich selber in einer fremden Sprache, sie sänge Lieder, die einen wunderbar süßen Klang hätten und das Herz des Hörers bezauberten, ihre Kleider hätten einen seltsamen fremdartigen Schnitt, wie ihn eine Frau, die auf ihren guten Ruf hielte, nicht trüge, sie hätte Ringe mit kabbalistischen Zeichen, solche wären auch in ihren Schleier gestickt. In Torquilstone hätte sie einen Verwundeten gepflegt und über die Wunde einige Zeichen gemacht und geheimnisvolle Worte dazu gesprochen, sogleich habe sich aus der Wunde die Spitze eines Armbrustbolzens gelöst, und sie habe nicht mehr geblutet und sich geschlossen. Eine Viertelstunde später hätte der Sterbende schon wieder auf dem Walle sein können und dem Zeugen eine Steinschleuder lenken helfen. Der andere Soldat hatte den Auftritt zwischen Rebekka und Bois-Guilbert im Schlosse Torquilstone mitangesehen. Sie sei auf die Brustwehr hinausgetreten, um sich von dem Turme herabzustürzen, sie habe aber die Gestalt eines milchweißen Schwanes angenommen und sei dreimal um den Turm herumgeflogen. Dann habe sie sich wieder auf der Brustwehr niedergelassen und ihre weibliche Gestalt wieder angenommen. Weniger als die Hälfte dieser Beweise hätte ausgereicht, ein altes häßliches Weib – auch wenn es keine Jüdin gewesen wäre – zum Tode zu verdammen, aber auch für Rebekka, trotz all ihrer Jugend und Schönheit, waren die Schuldbeweise zu schwer.

Der Großmeister hatte die Abstimmung vorgenommen und fragte Rebekka, ob sie noch etwas gegen das Verdammungsurteil vorzubringen habe, das er jetzt fällen werde. Mit einer vor Bewegung bebenden Stimme erwiderte die reizende Jüdin:

»Euer Mitleid anzuflehen, wäre fruchtlos, auch halte ich es für erniedrigend. Auch der Hinweis, daß es wohl dem anerkannten Stifter unserer beiderseitigen Glaubensbekenntnisse nicht mißfallen kann, wenn ich Kranken und Verwundeten beistehe, auch solchen, die nicht meines Glaubens sind – auch dieser Hinweis würde mir nichts helfen. Desgleichen wäre es nutzlos, zu behaupten, das was die Männer wider mich vorgebracht haben – Gott möge ihnen verzeihen! – Dinge der Unmöglichkeit sind – und noch weniger würde es mir helfen zu erklären, daß das Eigentümliche an meiner Kleidung, meiner Sitte und Sprache Eigentümlichkeiten meines Volkes sind, fast hätte ich gesagt, meines Vaterlandes, doch ach! wir haben ja kein Vaterland! Auch auf Kosten meines Peinigers dort will ich mich nicht verteidigen. Zwischen mir und ihm möge Gott richten! Ich will nur alle gegen mich erhobenen Beschuldigungen auf ihn zurückwerfen, ja auf ihn! Brian de Bois-Guilbert! auf Euch selber berufe ich mich. Erklärt, ob diese Beschuldigungen nicht so unwahr, verleumderisch und ungeheuerlich wie verwerflich sind!«

Eine Pause trat ein. Aller Augen wandten sich auf Brian de Bois-Guilbert, der aber schwieg. »Sprecht,« fuhr sie fort, »sprecht, so Ihr ein Mann – so Ihr ein Christ seid! Ich beschwöre Euch bei dem Kleide, das Ihr tragt, bei dem Namen, den Ihr ererbt habt, bei der Ritterschaft, deren Ihr Euch rühmt, bei der Ehre Eurer Mutter, bei dem Grabe und den Gebeinen Euers Vaters beschwöre ich Euch, sagt, ist dies alles wahr?!«

»Mein Bruder, antworte ihr,« sagte der Großmeister, »sofern der Dämon, der in dir ist, dir die Kraft dazu läßt.«

In der Tat schien Bois-Guilbert durch widerstreitende Leidenschaften heftig erschüttert, sein Angesicht verzerrte sich, und mühsam, den Blick auf Rebekka geheftet, stammelte er die Worte: »Das Blatt – das Blatt!« Und Rebekka sah rasch auf ein Stück Pergament, das sie noch in der Hand hielt, und las darauf die in arabischer Sprache geschriebenen Worte: »Fordere einen Kämpfer!« Bei dem Gemurmel, das über Bois-Guilberts seltsame Antwort durch die Versammlung lief, fand sie Zeit, unbemerkt das Blatt zu lesen und es zu vernichten.

»Das Geständnis des unglücklichen Ritters, Rebekka,« sagte der Großmeister – »kann dir keinen Vorteil bringen. Wir sehen daran nur, daß ihn der Dämon völlig in der Gewalt hat. Hast du sonst noch etwas zu sagen?«

»So bleibt mir denn nach Euern strengen Gesetzen nur ein Mittel übrig, mir das Leben zu retten,« sprach Rebekka, »zwar war es ein elendes Leben, besonders in der letzten Zeit, aber rauben lassen will ich es mir nicht! Ich leugne alles, wessen Ihr mich beschuldigt habt, ich behaupte meine Unschuld und erkläre die Anklage für falsch! Ich suche Entscheidung durch ein Gottesurteil nach und werde durch einen Kämpfer meine Unschuld dartun.«

»Wer aber soll die Lanze für eine Zauberin erheben, Rebekka,« entgegnete der Großmeister, »wer soll Kämpfer für die Jüdin sein?«

»Gott wird mir einen Kämpfer erwecken,« sagte Rebekka. »Es ist unmöglich, daß in dem heitern, freien, hochsinnigen, gastfrohen England, wo so mancher sein Leben um Ehre wagt, nicht einer für die Gerechtigkeit in die Schranken treten sollte. Genug! Ich fordere ein Gottesgericht. Da liegt mein Pfand!«

Sie zog den gestickten Handschuh ab und warf ihn dem Großmeister hin mit einer Gebärde, in der Würde und Schlichtheit zugleich lagen, und die Versammlung brach in ein Gemurmel des Erstaunens und der Bewunderung aus.

Zweiunddreißigstes Kapitel

Selbst Lukas Beaumanoir war gerührt durch Rebekkas Tapferkeit. Er war von Natur weder grausam noch hart. Nur Leidenschaften kannte er nicht, und seine hohen, wenn auch auf Irrtum fußenden Begriffe von der Pflicht hatten sein Herz allmählich verhärtet. Dazu kam noch, daß er ein Leben der Askese geführt hatte und ihm die hohe Gewalt in die Hände gegeben war und er sich für verpflichtet hielt, Unglauben und Ketzerei auszurotten. Als er daher auf das schöne Mädchen blickte, das ganz allein und ohne Freunde sich so mutig und entschlossen verteidigte, wich die gewohnheitsmäßige Strenge aus seinen Zügen. Er bekreuzte sich zweimal, als traue er dieser weichen Anwandlung nicht recht, da er ja sonst sein Herz als stahlhart kannte.

»Mädchen,« sagte er dann, »wenn das Mitleid, das ich jetzt empfinde, dem Einfluß, den deine höllische Kunst über mein Herz gewonnen hat, zuzuschreiben ist, so ist deine Schuld sehr groß. Aber ich will es lieber den sanfteren Empfindungen der Natur zuschreiben und der Trauer, daß in einem so schönen Geschöpf soviel Verworfenheit steckt. Bereue, meine Tochter – bekenne deine Zauberei – wende dich ab von deinem falschen Glauben – umarme dieses heilige Zeichen, und es soll jetzt und hinfüro gut um dich stehen! In einer Schwesterngemeinde sollst du leben und büßen und beten, und du wirst es nie bereuen. Tust du das, so sollst du am Leben bleiben. Was hat das Gesetz Mosis an dir getan, daß du dafür sterben möchtest?«

»Es war das Gesetz meiner Väter! In Donner und Sturm, in Blitz und Gewölk ist es auf dem Berge Sinai gegeben worden. Doch vergebt, ich bin ein Mädchen und kann nicht für meine Religion streiten, aber ich kann für sie sterben, wenn es Gottes Wille ist. – Ich bitte Euch, gewährt mein Gesuch um einen Kämpfer!«

»Gebt mir den Handschuh,« erwiderte Beaumanoir. »Dies,« fuhr er fort, das zarte Gewebe und die feinen Finger betrachtend, »ist fürwahr ein leichtes gebrechliches Pfand für ein so tödliches Beginnen. Sieh, Rebekka, wie dieser Handschuh sich zu unsern schweren, eisernen verhält, so steht deine Sache gegen die des Tempels, denn es ist unser Orden, den du herausgefordert hast.«

»Werft meine Unschuld in die Schale,« versetzte sie, »und die Seide wird den Stahl aufwiegen.«

»Du beharrst also auf deiner Weigerung, deine Schuld zu gestehen, und hältst deine kühne Herausforderung aufrecht?«

»Ich halte sie aufrecht, edler Herr.«

»So sei es denn in Gottes Namen,« sagte der Großmeister, »und so mag denn Gott die Wahrheit ans Licht bringen!«

»Amen!« setzten die Präzeptoren hinzu, und dieses Wort lief durch die ganze Versammlung.

»Meine Brüder,« sprach der Ordensmeister, »Ihr seid vielleicht der Ansicht, wir hätten diesem Weibe das Gottesurteil abschlagen können. Aber wenn sie auch eine Jüdin und eine Ungläubige ist, so ist sie doch eine Fremde und ohne Schutz, und Gott verhüte, daß sie den Schutz unserer Gesetze umsonst anrufe. Wem, meine verehrten Brüder, sollen wir dieses Pfand nun ausliefern? Wen sollen wir zu unserm Kämpfer in diesem Gottesgerichte ernennen?«

»Brian de Bois-Guilbert, den die Sache vor allem angeht,« antwortete der Präzeptor von Goodalricke. »Er weiß überdies auch am besten, wie es mit der Wahrheit in diesem Falle steht.«

»Wenn aber unser Bruder Brian,« versetzte Beaumanoir, »unter dem Banne des Zaubers steht?«

»Gegen einen Streiter in einem Gottesgericht kann kein Zauber bestehen.«

»Du sprichst wahr, Bruder. Albert Malvoisin, gib dieses Pfand Bois-Guilbert! Bruder,« wandte er sich dann an diesen, »wir erteilen dir den Befehl, männlich deinen Kampf zu bestehen, ohne an dem guten Ausgang für die gute Sache zu zweifeln. Dir, Rebekka, tragen wir auf, von heute ab binnen drei Tagen einen Kämpfer zu stellen.«

»Das ist eine kurze Frist für eine Fremde, die nicht Euers Glaubens ist, einen Streiter zu finden, der für sie Ehre und Leben wagen soll,« entgegnete Rebekka.

»Wir können sie nicht verlängern. Der Kampf muß vor unsern Augen ausgefochten werden, und wichtige Geschäfte rufen uns am vierten Tage von hier fort.«

»So geschehe denn Gottes Wille,« sagte Rebekka. »Auf ihn setze ich mein Vertrauen, ist doch für ihn zur Rettung ein Augenblick gleich einem Jahrhundert.«

»Es wäre nur noch übrig,« sagte der Großmeister, »einen passenden Platz für den Kampf und – so Gott will – für die Vollstreckung des Urteils zu bestimmen. Wo ist der Präzeptor dieses Hauses?«

Albert Malvoisin hielt noch immer Rebekkas Handschuh zwischen den Fingern und sprach eindringlich, aber leise mit Bois-Guilbert.

»Wie?« fragte der Großmeister. »Will er das Pfand nicht annehmen?«

»Er will es annehmen – er hat es angenommen, hochwürdiger Vater,« antwortete Albert von Malvoisin, indem er rasch den Handschuh unter dem Mantel verbarg. – »Als Platz zum Kampfe werden sich die Schranken von St. Georg am besten eignen, sie gehören zum Päzeptorium, und wir halten darauf unsere kriegerischen Übungen ab.«

»Gut,« sagte der Großmeister. »In diesen Schranken, Rebekka, soll sich dein Kämpfer einfinden. Geschieht dies nicht oder fällt dein Kämpfer im Gottesurteil, so sollst du in den nämlichen Schranken den Tod einer Zauberin sterben, unserm Urteil gemäß. Dieser Spruch ist in die Ordensbücher einzutragen. Lest ihn laut vor, damit sich niemand entschuldigen könne, daß er nichts davon gewußt habe.«

Einer der Kaplane trug das Urteil in das Ordensbuch ein. Als er mit Schreiben fertig war, las der andere es vor, indem er es zugleich aus dem Normännisch-Französischen ins Englische übersetzte:

»Rebekka, eine Jüdin, Tochter des Isaak von York, ist der Zauberei, der Verführung und anderer böser Künste angeklagt, die sie gegen einen Ritter des heiligen Tempels ausgeübt haben soll. Sie leugnet ihre Schuld, erklärt das wider sie abgelegte Zeugnis für falsch, gottlos und unredlich und will dies durch ein Gottesgericht beweisen. Sie will einen Kämpfer stellen, der sie vertreten soll, auf ihre eigenen Kosten und Gefahr. Ihr Pfand wird dem Ritter vom heiligen Orden des heiligen Tempels Zions, Sir Brian de Bois- Guilbert übergeben, er soll diesen Kampf für seinen Orden und sich selber bestehen, denn er ist von der Angeklagten beleidigt und gepeinigt worden. Der dritte Tag von diesem ab ist durch unsern hochwürdigen Vater Lukas, Marquis von Beaumanoir, für diesen Kampf festgesetzt worden, und als Platz sollen die Schranken von St. Georg bei Templestowe dienen. Der Großmeister fordert die Angeklagte auf, sich durch ihren Kämpfer in diesen Schranken vertreten zu lassen, widrigenfalls sie als eine der Hexerei und Verführung überführte Person des Todes sterben soll. Der Großmeister bestimmt ferner, datz der Kampf in seiner Gegenwart abgehalten und dabei durchaus nach den ritterlichen Bestimmungen verfahren werden soll. Gott fördere die gerechte Sache!«

»Amen!« sprach der Großmeister, und die Menge sprach es nach.

Rebekka sagte nichts, sondern sah ein Weilchen mit gefalteten Händen zum Himmel, dann wandte sie sich um und fragte: »Ist wohl jemand hier, der aus Liebe zur guten Sache oder für reichen Lohn den Auftrag einer Unglücklichen ausrichten will?«

Alles schwieg, denn niemand wagte sich angesichts des Großmeisters die Teilnahme an der verleumdeten Gefangenen merken zu lassen. Endlich sprach Higg, der Sohn Snells: »Ich bin nur ein armer Krüppel, aber daß ich mich wieder ein wenig bewegen kann, das verdanke ich der barmherzigen Hilfe dieses Mädchens. Ich will deine Botschaft übernehmen, so gut es ein Krüppel kann.«

»Gott ist der Lenker aller Dinge,« sagte Rebekka. »Meine Botschaft zu überbringen, ist die Schnecke ebenso sicher wie der wildeste Falle. Geh zu Isaak von York – hier hast du genug, daß du dir ein Pferd beschaffen kannst – gib Isaak diesen Zettel. Mein Glaube steht fest, daß ich nicht eines solchen Todes sterben soll, sondern einen Kämpfer finden werde.«

Die Botschaft, die Higg an Isaak von York zu bringen hatte, lautete folgendermaßen:

»Mein Vater! Ich bin zum Tode verurteilt wegen eines Verbrechens der Zauberei. – Mein Vater, wenn ein tapferer Mann gefunden werden kann, der mit Schwert und Lanze gemäß der Sitte der Nazarener, am dritten Tage von heute ab in den Schranken von St. Georg bei Templestone für mich kämpfen will, so wird ihm vielleicht der Gott meiner Väter Kraft zur Verteidigung der hilflosen Unschuld verleihen. Wo nicht, so laß die Jungfrauen unseres Volkes um mich trauern, wie um eine Abgeschiedene, wie um eine Blume, die unter der Sichel gefallen ist. Schau dich um, ob du Hilfe für mich finden kannst. Ein Nazarener wäre vielleicht willens, für mich zu den Waffen zu greifen, Wilfried von Ivanhoe, der Sohn Cedrics des Sachsen, aber er wird jetzt noch nicht imstande sein, das Gewicht der Rüstung zu tragen. Demungeachtet sende ihm aber meine Botschaft, denn er hat großes Ansehen unter den Tapferen seines Volkes und findet vielleicht einen andern. Jedenfalls sage ihm, diesem Wilfried von Ivanhoe, daß Rebekka, ob sie nun am Leben bleibt oder stirbt, unschuldig ist an dem Verbrechen, dessen sie angeklagt ist. – So es Gottes Wille ist, daß dir, alter Mann, eine Tochter genommen werden soll, so bleibe nicht länger in diesem Lande des Blutvergießens und der Grausamkeit, sondern ziehe nach Cordova, wo dein Bruder in Sicherheit lebt.«

Am Abend nach ihrem Prozeß vernahm Rebekka an der Tür ihres Gemaches ein Klopfen.

»Herein!« rief sie, »wenn du ein Freund bist, und bist du ein Feind, so kann ich dir den Eintritt nicht verwehren.«

»Ich bin, ebensogut Freund wie Feind, je nach dem Ausfall dieser Unterredung,« erwiderte Brian de Bois-Guilbert.

Erschrocken über die Erscheinung dieses Mannes, dessen grenzenlose Leidenschaft sie als die Ursache all ihres Unglückes betrachtete, wich Rebekka behutsam und mit Bangen bis in die fernste Ecke des Zimmers zurück. »Du hast keine Ursache, Rebekka, mich zu fürchten.«

»Ich fürchte Euch nicht, Herr Ritter!« versetzte sie, wenn auch ihr fliegender Atem die Worte Lügen strafte. »Mein Glaube steht fest, und ich fürchte Euch nicht. Doch was führt Ihr im Schilde? Erklärt es mir kurz. Wenn Ihr nichts anderes wollt, als das Elend betrachten, das Ihr geschaffen habt, und Euch daran weiden, so sagt es, und dann überlaßt mich mir selber.«

»Du bist im Irrtum,« antwortete der Templer, »wenn du mir die Schuld an dieser Wendung gibst, die ich weder vorhersehen noch verhindern konnte. Hätten sich nicht dieser fanatische Dummkopf und der Narr Goodalricke darein gemischt, so wäre nicht ein Präzeptor, sondern ein gewöhnliches Mitglied des Ordens zum Kämpfer für dich erwählt worden. Dann wollte ich selber – denn darauf war mein Plan angelegt, als ich dir das Blatt in die Hände spielte – als dein Kämpfer in den Schranken erscheinen, verkleidet als fahrender Ritter, der mit Schwert und Lanze auf Abenteuer auszieht. Und dann hätte Beaumanoir meinetwegen zwei oder drei der hier anwesenden Ritter zu Kämpfern ernennen können – ich hätte sie alle aus dem Sattel geworfen. Dann, Rebekka, wäre deine Unschuld erwiesen gewesen, und deiner Dankbarkeit wollte ich es überlassen, den Sieger zu belohnen.«

»Das ist eitles Geprahle, Ihr brüstet Euch mit dem, was Ihr hättet tun wollen. So aber habt Ihr meinen Handschuh angenommen, und mein Kämpfer, wenn überhaupt ein so verlassenes Geschöpf wie ich einen findet, muß Eurer Lanze in den Schranken gegenübertreten. Und bei alledem wollt Ihr Euch noch in das Licht eines Freundes und Beschützers stellen?«

»Dein Freund und Beschützer will ich auch noch sein,« erwiderte der Templer ernst. »Doch höre wohl, welche Gefahr ich dabei auf mich nehme und wie gewiß mir Entehrung droht, und mach mir keinen Vorwurf, wenn ich meine Bedingungen stelle, bevor ich alles, was das Leben bis jetzt für mich teures hatte, für das Leben eines jüdischen Mädchens hinopfere. Wenn ich nicht in den Schranken erscheine, Rebekka, so verliere ich Ehre und Rang, so verliere ich, was für mich der Odem der Brust ist – die Achtung der Brüder und die Hoffnung, das hohe Amt zu bekleiden, das jetzt der bigotte Geck Lukas de Beaumanoir innehat. Dieses Schicksal ist mir sicher, wenn ich nicht in den Schranken wider dich auftrete. Wenn ich aber in den Schranken erscheine, so muß ich die Ehre meiner Waffen aufrecht erhalten, und ob du nun einen Kämpfer hast oder nicht, du mußt doch am Pfahle sterben oder am Scheiterhaufen, denn es lebt kein Ritter, der mit gleichem Vorteil oder gar mit Erfolg gegen mich gekämpft hatte – keiner außer Richard Löwenherz und seinem Günstling Ivanhoe. Der letztere ist wie du selber weißt, noch nicht imstande, die Rüstung zu tragen, und Richard ist in fremdem Lande gefangen. Wenn ich also in den Schranken erscheine, so stirbst du, selbst wenn sich irgend ein junger Hitzkopf finden sollte, der sich für dich zum Kampfe stellt.«

»Warum wiederholt Ihr das so oft?«

»Weil du dein Schicksal von jeder Seite betrachten sollst.«

»Gut, so wendet das Blatt um und laßt mich die Kehrseite sehen.«

»Wenn ich in den unglückseligen Schranken erscheine,« fuhr Bois de Guilbert fort, »so stirbst du eines langsamen grauenvollen Todes; erscheine ich nicht, so bin ich ein entehrter ausgestoßener Ritter, der Zauberei und der Gemeinschaft mit Ungläubigen schuldig. Mein ruhmvoller Name wird ein Spott und ein Schimpf. Verlustig gehe ich der Ehre, des Ranges und einer Macht, wie sie selbst Kaiser nicht erreichen. Meinen gewaltigen Ehrgeiz opfere ich, meine hochfliegenden Pläne vernichte ich, und dennoch, Rebekka,« und er warf sich Rebekka zu Füßen, »dennoch will ich diese Größe opfern, diesem Ruhm entsagen, diese Macht fahren lassen, selbst da ich sie schon halb erreicht habe, alles das, alles das aufgeben, sobald du sagst: ich nehme dich zu meinem Geliebten an. – Rebekka, höre mich! Um deinetwillen will ich dem Ruhm und dem Ehrgeiz entsagen, und wir wollen zusammen fliehen! Rebekka, England ist nicht die Welt – auch nicht Europa. Es gibt noch Länder, die weit genug für meinen Ehrgeiz sind. Wir wollen nach Palästina gehen, dort habe ich einen Freund, Konrad von Montserrat, er ist ebenso frei wie ich von den albernen Vorurteilen, die hier unsere freigeborene Vernunft in Fesseln legen. Dort schaffe ich mir neue Wege zur Größe.« – Mit großen Schritten ging er ungestüm hin und her. – »Europa soll den lauten Fußtritt dessen vernehmen, den es ausgestoßen hat. Du sollst eine Königin werden, Rebekka, auf dem Berge Karmel will ich den Thron errichten, den ich mir mit meiner Tapferkeit erobern will – und statt des lang ersehnten Stabes will ich ein Szepter ergreifen!«

»Ein Traum ist das!« versetzte Rebekka.– »Ein Trugbild der Nacht! – Gewänne es Wirklichkeit, es könnte mich nicht locken! – Nimmer würde ich die Macht, die Ihr errungen hättet, mit Euch teilen!«

»Nimmer, Rebekka?« rief der Templer. »Wohlan! Versagst du mir die Liebe, so bleibt der Ehrgeiz mein! Beiden will ich nicht entsagen!«

»So sei Gott mir gnädig, denn menschliche Hilfe scheint nicht zu erhoffen,« sprach die Jüdin.

»So ist es,« erwiderte der Ritter. »Du bist stolz, aber an mir hast du darin einen dir Ebenbürtigen gefunden. Wenn ich mit gefällter Lanze in die Schranken reite, dann hält mich keine menschliche Rücksicht mehr ab, meine ganze Kraft zu zeigen. Dann denke an dein Schicksal – an den gräßlichen Tod, wie ihn nur die ärgsten Verbrecher gestorben sind. Verzehrt von den Flammen auf dem brennenden Holzstoße – verstreut die Asche in alle Winde – kein Stücklein bleibt zurück von dem holden Bilde, das einst lebte und sich regte! – Rebekka! Diese Vorstellungen vermag kein Weib zu ertragen – du mußt meinen Vorschlag annehmen!«

»Bois-Guilbert,« antwortete die Jüdin, »Ihr kennt das Herz des Weibes nicht, oder Ihr habt nur solche kennen gelernt, die ihre besseren Empfindungen verloren haben. Ich sage Euch, stolzer Templer, in Euern wildesten Schlachten habt Ihr nicht mehr Mut gezeigt, als das Weib offenbart, wenn es um Pflicht oder Liebe leiden muß. Ich bin ein Weib, verwöhnt und verzärtelt, und scheue die Gefahr und bin empfindlich gegen jeden Schmerz – aber wenn wir beide in die Schranken treten, du, um zu kämpfen, ich, um zu leiden – so sagt es mir ein fester Glaube: mein Mut wird den deinen überflügeln! – Lebe wohl! Ich verliere keines weiteren Wortes an Euch, die Zeit, die auf Erden noch der Tochter Jakobs vergönnt ist, muß anders verbracht werden. Sie muß den Tröster suchen, der zwar sein Antlitz von ihrem Volke abgewendet hat, der aber doch noch immer denen Gehör schenkt, die aufrichtig und wahrhaftig zu ihm beten.«

»So scheiden wir denn,« sagte Bois-Guilbert. »Wollte Gott, wir hätten einander nie getroffen, oder du wärst christlichen Glaubens oder edler Herkunft.«

»Die Fürsten Judas sind nicht mehr; niedergetreten sind sie wie abgemähtes Gras und vermischt mit dem Staube des Weges. Aber,« rief Rebekka, »es gibt noch viele unter den Juden, die ihren hohen Ahnen keine Schande machen, und zu denen soll die Tochter Isaaks gezählt werden. Fahret wohl! Ich beneide Euch nicht um Euern blutigen Ruhm, noch um Eure barbarische Abkunft von den Heiden des Nordens, noch um Euern Glauben, der immer auf Euern Lippen ist, doch nie in Euern Handlungen und Euerm Herzen wohnt!«

»Beim Himmel! Mich hält ein Zauber fest!« sprach Bois-Guilbert. »Schönes Wesen, so jung, so liebreizend, so ohne Todesfurcht, und doch verurteilt, in Schmach und Marter zu sterben! Wer sollte nicht um dich weinen! Die Träne, seit zwanzig Jahren meinem Auge fremd, jetzt rinnt sie, indem ich dich ansehe! Allein es muß sein! Nichts kann dein Leben retten. Du und ich, wir sind beide Werkzeuge eines unerbittlichen, unwiderstehlichen Schicksals, das uns mit sich reißt, wie zwei vortreffliche Schiffe im Sturm gegeneinanderstoßen und so untergehen. Vergib mir und laß uns wenigstens als Freunde scheiden. Vergebens habe ich deinen Entschluß bestürmt, und auch der meine steht so fest, wie die diamantenen Tafeln des Geschickes.«

»So legen die Menschen die Folgen ihrer wilden Leidenschaften dem Schicksal zur Last,« erwiderte Rebekka. »Doch ich vergebe dir, Bois-Guilbert, bist du gleich schuld an meinem frühen Tode – ich vergebe dir so bereitwillig, wie je das Schlachtopfer dem Henker vergab. Edle Gedanken schweben über deinem Gemüt, aber deine Seele gleicht dem Garten eines trägen Gärtners, Unkraut ist hoch aufgewuchert, und keine echte Blüte kann sich mehr entfalten.«

»Ja, ich bin, wie du mich geschildert hast, stolz, ungezügelt und wild. Diese Geistesstärke habe ich mir inmitten einer Schar von blöden Toren und listigen Heuchlern bewahrt, und so habe ich mich über sie emporgeschwungen. Von Jugend auf war ich ein Kind der Schlacht – hoch fliegen meine Pläne, unbeugsam und starrsinnig verfolge ich sie – so muß ich auch bleiben – stolz, unerschütterlich, unbeugsam und nimmer wankend! – Das will ich der Welt beweisen. – Lebe wohl!«

Und er ging hinaus.

Dreiundreißigstes Kapitel

Als sich der schwarze Ritter von den großmütigen Geächteten verabschiedet hatte, ritt er geradewegs nach einem kleinen, nicht fernen Kloster, Sankt Botolph genannt, wohin Gurth und Wamba nach dem Fall von Torquilstone den verwundeten Ivanhoe gebracht hatten. Was in der Zwischenzeit Wilfried und sein Befreier begannen, braucht nicht berichtet zu werden, es genügt die kurze Bemerkung, daß nach langen ernsthaften Beratungen mehrere Boten in verschiedenen Richtungen das Kloster verließen und daß sich am Morgen nach seiner Ankunft der schwarze Ritter schon wieder anschickte, in Wambas Gesellschaft, der ihm als Begleiter dienen sollte, seine Reise anzutreten.

»Wir wollen nach Conningsburgh,« sagte er, »dort wollen wir uns treffen. Dein Vater Cedric feiert dort das Leichenbegängnis seines edeln Vetters Athelstane. Ich finde dort deine edle sächsische Anverwandtschaft beieinander, Wilfried, und will sie besser kennen lernen als bisher. Dort sollst du mich aufsuchen und dich dann mit deinem Vater versöhnen.« Mit diesen Worten nahm er herzlich Abschied von Ivanhoe, der ihm die Hand küßte und ihm lange nachschaute.

Kurz nach der Morgenandacht begehrte Ivanhoe den Prior des Klosters zu sprechen. Der alte Mann kam eilig herbei und fragte besorgt nach Wilfrieds Befinden. »Es geht besser,« antwortete Ivanhoe, »als ich selber gehofft habe. Der Balsam hat Wunder getan. Fast ist mir, als könnte ich schon meine Rüstung tragen, und um so besser, denn die Gedanken, die mir das Herz bewegen, machen mir eine längere Untätigkeit zur unerträglichen Qual.«

»Davor sei Gott,« erwiderte der Priester, »daß der Sohn Cedrics des Sachsen dieses Kloster eher verlasse, als bis seine Wunden geheilt sind.«

»Ich würde auch kein Verlangen danach tragen, Euer gastfreundliches Dach zu verlassen, wenn ich mich nicht stark genug dazu fühlte und wenn es mich nicht triebe...«

»Und was kann Euch zu so schneller Abreise treiben?« fragte der Prior.

»Habt Ihr nie, ehrwürdiger Vater,« entgegnete Ivanhoe, »eine Ahnung nahenden Ungemachs verspürt, für die Ihr keinen Grund finden konntet? Ist nie Euer Gemüt verdüstert worden, wie die sonnige Landschaft von einer Wolke, die mit einem Gewitter drohte? – Meint Ihr nicht, daß man auf solche Antriebe achten soll wie auf den Wink eines Schutzgeistes bei bevorstehenden Gefahren?«

»Das will ich nicht bestreiten,« versetzte der Priester, indem er sich bekreuzte, »solche Ahnungen kamen und kommen vom Himmel, aber dann haben sie einen offenkundig guten Zweck. Ihr jedoch seid verwundet. Was soll es für Zweck haben, daß Ihr den Fußstapfen dessen folgt, dem Ihr doch nicht helfen könntet?«

»Ich bin stark genug,« erwiderte Ivanhoe. »Ich bitte Euch, gebt mir ein Pferd, das leichter geht, als mein Streitroß.«

Der Prior erfüllte seine Bitte und bald darauf schwang sich Ivanhoe in den Sattel und folgte, begleitet von seinem Knappen Gurth, der Spur des schwarzen Ritters in den Wald hinein.

Unterdessen zog der schwarze Ritter mit dem Narren Wamba seine Straße durch das Dickicht des Forstes, zuweilen sangen sie ein Lied, zuweilen plauderten sie lustig miteinander. So waren sie ein gutes Stück fürbaß geritten, da drängte sich Wamba, der schon ein Weilchen in das Gebüsch zu beiden Seiten des Weges hineingespäht hatte, plötzlich dichter an den Ritter heran und fragte:

»Was würdet Ihr wohl tun, wenn uns 'n paar Kerle von Malvoisins Soldaten begegneten?«

»Wenn sie uns ein Hindernis in den Weg legten,« erwiderte der schwarze Ritter, »so wollte ich sie mit meiner Lanze an den Boden festnageln.«

»Und wenn es ihrer nu vier wären?«

»So täte ich dasselbe. Alle sollten sie daran glauben.«

»Und wenn sie ihrer nu sechs wären?« fuhr Wamba fort, »während wir bloß zwei sind. Würdet Ihr nicht in Locksleys Horn stoßen?«

»Ich sollte um Hilfe rufen?« rief der schwarze Ritter aus. »Nicht gegen ein ganzes Dutzend solchen Gesindels, das ein guter Ritter vor sich hertreiben kann wie der Wind die dürren Blätter.«

»Ei nu, so laßt mich doch mal das Horn näher betrachten,« sagte der Narr. »Es hat nen mächtigen Atem.«

Der Ritter nahm es ab und gab es seinem Gefährten, der es sich um den Hals hängte. »Tralala!« summte er. »Ich kann es so gut wie jeder andere.«

»Was soll das heißen, Schelm?« rief der Ritter. »Gib mir das Horn wieder.«

»Gemach, Herr Ritter,« antwortete Wamba. »Wenn Tapferkeit und Narrheit miteinanderreisen, so muß die Narrheit das Horn tragen, weil sie am besten blasen kann. Und da nu die Narrheit das Horn hat, so mag sich die Tapferkeit erheben und die Mähne schütteln, denn wenn ich mich nicht irre, so steckt da im Dickicht eine Bande, die uns auflauert.«

»Warum glaubst du das?« fragte der Ritter.

»Schon 'n paarmal habe ich eine Sturmhaube durch das Grün schimmern sehen. Wärens ehrliche Leute, so hielten sie sich auf geradem Wege.«

»Meiner Treu,« sagte der Ritter, »ich glaube, du hast recht.«

Im selben Augenblick flogen ihm aus dem verdächtigen Dickicht drei Pfeile gegen Haupt und Brust, von denen ihm einer gewiß ins Gehirn gedrungen wäre, hätte ihn nicht sein Visier aufgehalten. Die beiden anderen prallten an seinem Brustharnisch ab und an dem Schild, den er um den Nacken trug. Etwa ein halbes Dutzend Bewaffneter rannte ihm entgegen. Drei Lanzen trafen ihn und zersplitterten wie an einem Turm von Stahl. Selbst durch die Öffnung des Visiers sprühten die Augen des schwarzen Ritters Feuer. Mit unbeschreiblicher Majestät erhob er sich im Sattel und rief: »Was soll das heißen, Ihr Burschen?«

Die Männer antworteten ihm nicht, sie griffen ihn von allen Seiten an mit dem Rufe: »Stirb, Tyrann!«

»Ha! heiliger Georg! Ha! heiliger Eduard!« rief der schwarze Ritter und streckte mit jedem Ruf einen Mann zu Boden. »Haben wir hier Verräter?«

So tollkühn auch die Angreifer waren, sie wichen doch vor dem Arme zurück, der mit jedem Streiche den Tod gab, und schon schien es, als würde das Entsetzen, das von diesem einzigen ausging, den Sieg über alle diese Buben davontragen, da stürzte ein Ritter in blauer Rüstung, der sich bisher zurückgehalten hatte, mit der Lanze hervor und zielte nicht nach dem Ritter, sondern nach seinem Pferde, das edle Tier tödlich verwundend.

»Das war ein Schurkenstück!« rief der schwarze Ritter, als das Roß stürzte und seinen Reiter mit sich riß. An diesem Augenblick stieß Wamba laut ins Horn, denn der Überfall war bisher so blitzschnell verlaufen, daß er bis jetzt nicht Zeit dazu gefunden hatte.

Der unerwartete Schall jagte den Mördern einen solchen Schreck ein, daß sie noch einmal zurückwichen, indes Wamba trotz seiner unvollkommenen Bewaffnung ohne Zaudern dem Ritter auf die Beine half.

»Schämt Euch, ihr feigen Memmen!« rief der blaue Ritter aus. »Reißt Ihr schon vor dem leeren Schall eines Hornes aus, das ein Narr bläst?«

Von neuem fielen sie den Ritter an, dem nun nichts weiter übrig blieb, als sich mit dem Rücken an einen Baum zu lehnen und sich mit dem Schwerte zu verteidigen.

Der blaue Ritter wartete einen Augenblick ab, wo sein Gegner hart bedrängt war, und galoppierte heran, um ihn mit der Lanze an den Baum zu nageln. Aber Wamba vereitelte sein Vorhaben. Durch Gewandtheit ersetzte der Narr, was ihm an Kraft fehlte, und da die Bande es auf den schwarzen Ritter abgesehen hatte, so wurde der Narr fast gar nicht beachtet. Er hielt nun den drohenden Ansturm des blauen Ritters ab, indem er dessen Pferde mit seinem krummen Säbel die Knie zerschnitt. Roß und Reiter stürzten, dennoch war der Schwarze in der größten Bedrängnis, da ihm mehrere bis an die Zähne bewaffnete Kerle hart zusetzten und ihn die Kräfte zu verlassen drohten. Da streckte plötzlich ein Pfeil mit den Federn einer wilden Gans den furchtbarsten der Angreifer zu Boden. Gleichzeitig brach, von Locksley und dem lustigen Mönch geführt, eine Schar Yeomen aus dem Walde hervor, und binnen kurzem waren die Feinde vernichtet und lagen teils tot, teils verwundet am Boden. Der schwarze Ritter dankte seinen Helfern mit einer Hoheit, die sie in seinem Wesen bisher nicht gefunden hatten.

»Es liegt mir viel daran,« sagte er dann, zu wissen, wer meine unberufenen Feinde sind. »Wamba, öffne dem blauen Ritter das Visier. Er scheint der Anführer zu sein.«

Wamba tat, wie ihm geheißen, und der schwarze Ritter sah graue Locken und ein Antlitz, das er nicht unter solchen Umständen zu schauen erwartet hatte. »Waldemar Fitzurse!« rief er. »Was hat einen Mann Euern Ranges – was hat Euch, der Ihr Euch sonst so würdig betruget, zu einer so schändlichen Tat bewegen können? – Tretet beiseite, Ihr Herren, ich muß allein mit diesem Manne reden. – Nun, Waldemar Fitzurse, sprecht die Wahrheit! Wer hat Euch zu dieser verräterischen Tat abgesandt?«

»Euers Vaters Sohn,« antwortete Waldemar, »der damit Euern Ungehorsam gegen Euern Vater hat strafen wollen.«

Richards Augen glühten vor Zorn, aber seine bessere Natur gewann die Oberhand, er drückte die Hand gegen seine Stirn und sah einen Augenblick dem am Boden liegenden Baron ins Gesicht, darin Beschämung und Stolz miteinander rangen.

»Fleht Ihr nicht um Euer Leben, Waldemar?« fragte der König.

»Wer im Rachen des Löwen liegt, weiß, daß es umsonst ist,« antwortete Fitzurse.

»So nehmt es unerfleht,« sagte Richard. »Der Löwe nährt sich nicht von vorgeworfenen Kadavern. Nehmt Euer Leben, jedoch unter der Bedingung, daß Ihr in drei Tagen England verlaßt und Eure Schande in Euerm normännischen Schlosse verbergt, auch nie den Namen Johann von Anjou im Verein mit Eurer Freveltat nennt. Werdet Ihr nach der angegebenen Frist noch in England betroffen, so sterbt Ihr. Wenn Ihr das Geringste gegen die Ehre meines Hauses äußert, dann beim heiligen Georg! der Altar selber soll Euch keine Zuflucht gewähren! An den Zinnen Euers eigenen Schlosses laß ich Euch den Raben zum Fraße aufhängen! – Gebt dem Ritter da ein Pferd, Locksley, denn wie ich sehe, haben Eure Yeomen die ledig herumlaufenden Tiere eingefangen – und laßt ihn ungehindert von dannen reiten!«

»Wenn ich nicht Eurer Stimme gehorchen müßte,« erwiderte der Yeoman, »so würde ich dem Schurken einen Pfeil nachsenden, der ihm eine weite Reise ersparen sollte.«

»In deiner Brust schlägt ein englisches Herz,« sagte der schwarze Ritter, »und du hast recht, wenn du fühlst, daß du mir gehorchen mußt. – Ich bin Richard von England.«

Diese Worte waren mit einer Hoheit gesprochen, die dem hervorragenden Charakter des Löwenherzigen entsprach. Die Yeomen fielen vor ihm nieder, brachten ihm ihre Huldigung dar und baten um Vergebung ihrer kühnen Taten.

»Steht auf, meine Freunde,« sprach Richard in gnädigem Tone, »was Ihr in Forst und Flur Böses getan haben mögt, Ihr habt es wieder gut gemacht durch die treuen Dienste, die Ihr meinen bedrängten Untertanen vor den Mauern von Torquilstone geleistet habt, und durch die Hilfe, die Ihr heute Euerm Monarchen gebracht habt. Steht auf, meine Untertanen, und seid in Zukunft brave Leute. Und Ihr, Locksley ...«

»Nennt mich nicht mehr Locksley, sondern lernt mich, mein Fürst, bei meinem wahren Namen kennen, den, wie ich fürchte, das Gerücht nur zu weit verbreitet hat. Ich bin Robin Hood vom Sherwoodswalde.«

»König der Geächteten und Fürst guter Gesellen,« sprach der König. »Wer sollte einen Namen nicht kennen, der selbst bis nach Palästina gedrungen ist? Doch sei getrost, guter Robin, was auch in den unruhigen Zeiten, die unsere Abwesenheit hervorgerufen hat, verübt worden sein mag, keine Tat soll dir von mir zu Ungunsten ausgelegt werden.«

»Das Sprichwort bewahrheitet sich,« mischte sich Wamba ins Gespräch, wenn auch ein wenig schüchterner als sonst. »Wenn die Katz weg ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch rum.«

»Ei, Wamba,« sagte Richard, »bist du auch noch da? Lange habe ich deine Stimme nicht gehört, schon glaubte ich, du hättest Reißaus genommen.«

»Ich und Reißaus nehmen?« erwiderte der Narr. »Da liegt die Trophäe meines Schwertes, das gute Pferd, dem ich gern wieder auf die Beine hölfe, wenn ich statt seiner seinen Herrn hinlegen könnte. Freilich, im Anfang wich ich zurück, weil ein Narrenwams einen Lanzenstich nicht so gut abhält wie ein Harnisch von Stahl. Aber wenn ich auch nicht viel gefochten hab, so hab ich doch desto besser geblasen.«

»Und zu gutem Zwecke, wackerer Wamba!« sagte der König. »Dein guter Dienst soll dir nicht vergessen werden.«

»Confiteor, confiteor!« rief eine Stimme dicht beim König. »Mein Latein reicht nicht weiter, ich bekenne meinen Hochverrat und bitte um Verzeihung, ehe ich zum Tode geführt werde.«

Richard sah sich um und erblickte den lustigen Mönch, der ihm zu Füßen lag und seinen Rosenkranz betete, während sein Streitknüttel, der im Gefecht nicht müßig gewesen war, neben ihm am Boden lag. Sein Gesicht hatte den Ausdruck tiefster Zerknirschung angenommen, aber in diesen Schein demütigster Reue mischte sich ein Zug von Spott, der nur zu deutlich verriet, daß seine Furcht und seine Reue erheuchelt waren.

»Warum so trostlos, toller Priester?« fragte Richard. »Fürchtest du, dein Diöcesar könnte erfahren, wie treu du dem heiligen Dunstan und der heiligen Jungfrau dienst? Richard von England verrät keine Geheimnisse, die über der Flasche ausgeplaudert wurden.«

»Das ist es nicht, mein gnädiger Monarch,« versetzte der Eremit, der in den Sagen von Robin Hood unter dem Namen des Bruders Tuck bekannt ist. »Nicht den Krummstab fürchte ich, sondern das Zepter, weil meine verwegene Hand das Ohr des Gesalbten des Herrn berührt hat.«

»Hahaha!« lachte Richard. »Daher weht der Wind. – den Puff hätte ich vergessen, wenngleich mir das Ohr einen ganzen Tag danach gesaust hat. Aber wenn der Schlag gut gegeben wurde, so wurde er auch gut erwidert, oder wenn du glaubst, daß ich dir etwas noch schuldig bin, so kannst du noch einen Faustschlag bekommen.«

»Nein, nein!« rief Bruder Tuck. – »Ich habe ihn mit Wucher zurückerhalten. Möchte Eure Majestät alle Schuldner so gut bezahlen.«

»Könnte ich es mit Faustschlägen,« sagte Richard, »so sollten sie nicht über eine leere Schatzkammer klagen. Doch sprich, mein ehrlicher Mönch, wäre es nicht viel besser, für die Kirche und für dich selber, ich erlaubte dir, die Kutte auszuziehen und in meine Garde als Yeoman einzutreten?«

»Mein König,« versetzte der Mönch, »ich danke Euch untertänigst, aber Ihr würdet meine Entschuldigung gelten lassen, wenn Ihr wüßtet, wie sehr mir das Laster der Faulheit in den Gliedern steckt. Der heilige Dunstan – sei er uns gnädig – steht ruhig in seiner Zelle, wenn ich auch zuweilen über der Pürsch auf einen feisten Rehbock ganz vergesse, ihm seine Abendandacht darzubringen. Manchmal komme ich über Nacht auch gar nicht nach Hause, und Sankt Dunstan zieht nie ein schiefes Gesicht darüber, er ist ein so ruhiger und friedlicher Herr, wie nur je einer aus Holz geschnitzt wurde. Wäre ich nun aber als Yeoman bei meinem König, so wäre zwar die Ehre groß, sehr groß, aber wenn ich einmal abseits ginge, um eine Witwe zu trösten oder um ein Wild zu schießen, so hieß es gleich: wo steckt der Hund von einem Priester? wo treibt sich der verwünschte Tuck herum? – Mein guter König, ich bitte Euch, laßt mich, wo Ihr mich gefunden habt, oder so Ihr Eure Mildtätigkeit bis auf mich erstrecken wollt, so seht mich an als den armen Mönch von Copmanhurst, der eine kleine Gabe mit Dank annehmen wird.«

»Ich verstehe dich,« antwortete der König. »Es soll dem heiligen Mönch verstattet sein, in jeder Jagdzeit drei Böcke zu schießen, und wenn dir dies,« setzte er hinzu, »nicht eine Entschuldigung gibt, ihrer dreißig zu schießen, so bin ich kein christlicher Ritter und König.«

»Euer Majestät mag versichert sein,« erwiderte der Mönch, »mit der Gunst des heiligen Dunstan will ich schon Mittel und Wege finden, Eure gütige Gabe zu vervielfachen.«

»Daran zweifle ich nicht, guter Bruder,« versetzte der König. »Und da Wildbret eine trockene Speise ist, so soll dir unser Kellermeister jährlich ein Faß Malvoisir, eine Butte Sekt und drei Oxhoft vom besten Biere senden – wenn damit dein Durst noch nicht gestillt ist, so muht du an unsern Hof kommen und dich mit unserem Mundschenk bekannt machen.«

»Und was bekommt der heilige Dunstan?«

»Eine Kappe, eine Stola und ein Altartuch. Doch wir dürfen unsern Scherz nicht zu weit treiben, sonst möchte Gott uns dafür strafen, daß wir mehr an unsere Narrheiten gedacht haben, statt ihm zu dienen und ihm Ehre anzutun.«

Der Mönch verneigte sich tief und zog sich zurück.

Gleichzeitig erschienen zwei neue Ankömmlinge auf dem Schauplatz.

Vierunddreißigstes Kapitel

Die neuen Ankömmlinge waren Wilfried von Ivanhoe auf dem Klepper des Priors von Botolph und Gurth, der ihm auf des Ritters eignem Streitrosse folgte. Ivanhoes Erstaunen war ohne Grenzen, als er seinen Herrn mit Blut bespritzt und sechs oder sieben blutige Leichname auf dem kleinen Grasplatze liegen sah, wo das Gefecht stattgefunden hatte; nicht weniger wunderte er sich darüber, daß den König viele Waldgesellen umgaben, die Geächtete zu sein schienen, und darum ein gefährliches Gefolge für einen Fürsten waren. Er wußte nicht, ob er den König als den irrenden schwarzen Ritter anreden sollte, oder nicht. Richard bemerkte seine Verlegenheit.

»Fürchte nichts, Wilfried,« sprach er, »wenn du Richard Plantagenet als solchen anredest; du findest ihn in der Gesellschaft treuer englischer Herzen, obgleich sie hier warmes englisches Blut vergossen haben.«

»Herr Wilfried von Ivanhoe,« sprach der tapfere Hauptmann, »meine Versicherungen können der unsers Königs nicht mehr Gewicht geben, indessen kann ich wohl mit dem Stolz der Menschen, die viel gelitten haben, sagen, daß er keine treueren Untertanen hat, wie die, so jetzt um ihn stehen.«

»Ich zweifle nicht daran, tapfrer Mann,« erwiderte Wilfried, »weil du darunter bist. Doch was bedeuten diese Spuren von Tod und Gefahr, die Erschlagenen und die blutige Rüstung meines Königs?«

»Das war Verrat, Ivanhoe,« sprach Richard: »doch, Dank sei den braven Männern, er hat seinen Lohn gefunden. Aber jetzt fällt mir ein, daß du selbst ein Verräter bist, ein sehr ungehorsamer Verräter,« fuhr er lächelnd fort; »denn lautete nicht Unser ausdrücklicher Befehl, daß du in St. Botolphs Abtei bleiben solltest, bis deine Wunde völlig geheilt?«

»Sie ist geheilt,« sagte Ivanhoe; »und nur noch unbedeutend, wie der Stich einer Haarnadel. Aber, mein edler Fürst, warum ängstigt Ihr die Herzen Eurer treuen Untertanen, indem Ihr Euer Leben auf einsamen Reisen und wilden Abenteuern aussetzt, als hätte es nicht mehr Wert, als das eines irrenden Ritters, der auf Erden nichts hat, wie Lanze und Schwert?«

»Richard Plantagenet,« antwortete der König, »begehrt nicht mehr Ruhm, als ihm seine gute Lanze und sein Schwert verschaffen können, und ist stolzer auf ein Abenteuer, das er mit seinem guten Arm und seinem guten Schwert bestanden hat, als auf ein Heer von Hunderttausenden, das er zur Schlacht führt.«

»Aber Euer Königreich, Herr,« sprach Ivanhoe, »dem Bürgerkrieg und Auflösung drohen, Eure Untertanen, die jedem Unglück preisgegeben sind, wenn sie ihren König in solchen Gefahren verlieren, in die Ihr Euch täglich zu Euerm Vergnügen stürzt, und denen Ihr eben mit Not entkommen seid.«

»Mein Königreich und meine Untertanen?« antwortete Richard ungeduldig. »Ich sage dir, Herr Wilfried, die besten unter ihnen üben ärgere Torheiten aus, als ich; – zum Beispiel hier mein treuer Diener Wilfried von Ivanhoe, der meinen bestimmten Befehlen nicht gehorcht, und doch seinem Könige eine Predigt hält, weil er nicht nach seiner Meinung handelt. Welcher von uns beiden hat die meiste Ursache, dem andern Vorwürfe zu machen? Doch vergib mir, mein treuer Wilfried. Die Zeit, die ich in der Verborgenheit zubringen muß, ist, wie ich dir schon zu Sankt Botolph sagte, notwendig, um meinen Freunden und treuen Edelleuten Zeit zur Sammlung ihrer Kräfte zu lassen, damit er, wenn Richards Rückkehr angekündigt wird, an der Spitze einer Macht steht, die den Feinden Schrecken einflößen und jede Verräterei unterdrücken kann, ohne das Schwert zu ziehen. Estoteville und Bohun werden nicht stark genug sein, um in vierundzwanzig Stunden nach York vorzurücken. Ich muß von Salisbury im Süden, von Beauchamp, von Warwickshire und von Multon und Percy im Norden Nachricht haben. Der Kanzler muß sich Londons bemächtigen. – Meine plötzliche Erscheinung würde mich Gefahren aussetzen, denen meine Lanze und mein Schwert nicht gewachsen wären, obgleich ich durch den Bogen des braven Robin unterstützt bin, sowie durch Bruder Tucks Streitaxt und das Horn des weisen Wamba.«

Wilfried verbeugte sich unterwürfig, wohl wissend, daß es vergebens wäre, mit dem wilden ritterlichen Geiste zu streiten, der seinen Herrn oft zu Gefahren fortriß, die er leicht vermeiden konnte, oder besser gesagt, die er unverzeihlicherweise aufsuchte.

Wilfried seufzte und schwieg, während König Richard, zufrieden, seinen Ratgeber zum Schweigen gebracht zu haben, obgleich er im Herzen fühlte, daß jener recht hatte, eine Unterhaltung mit Robin Hood anknüpfte. »König der Geächteten,« fragte er, »hast du deinem Bruder König keine Erfrischung anzubieten? denn diese toten Schelme haben mir Arbeit und Appetit gemacht.«

»Wahrhaftig!« rief Robin, »ich verschmähe es. Eure Majestät zu täuschen, unser Vorrat enthält hauptsächlich –« er stockte und wurde verlegen. »Wildbret? wie ich glaube,« fiel Richard fröhlich ein; »nun, eine bessere Speise für den Hunger gibt es nicht, und wenn ein König nicht zuhause bleiben und selbst sein Wild schießen will, so darf er auch nichts sagen, wenn er es von fremder Hand erlegt findet.«

»Wenn Eure Majestät noch einmal einen von Robin Hoods Sammelplätzen mit Dero Gegenwart beehren wollen, so soll es an Wildbret nicht fehlen, auch ein Trunk Bier und ein Becher voll gutem Wein wird zu Befehl stehen.«

Der Geächtete zeigte nun dem heitern König den Weg, und Richard war über dieses unerwartete Zusammentreffen mit Robin Hood und seinen Waldgesellen glücklicher als in seiner Königsrolle, wenn er sich als der erste unter einem vornehmen Kreis von Edlen und Pairs befunden hätte. Stets neue Gesellschaft und Abenteuer waren die Würze des Lebens für den löwenherzigen Richard, und sein größtes Glück war, Gefahren zu begegnen und zu überwinden. In Löwenherz war die glänzende, aber nutzlose Tätigkeit eines romantischen Ritters verwirklicht und der persönliche Ruhm, den er durch seine eignen Waffentaten erwarb, war seiner überspannten Einbildungskraft teurer, als der, den er sich durch eine weise Regierung erworben hätte. Er glich einem glänzenden Meteor, das schnell am Himmel hinzieht und ein unnützes und furchtbares Licht verbreitet, das plötzlich durch die tiefste Dunkelheit verschlungen wird. Seine Rittertaten gaben den Minnesängern und Harfenspielern Stoff zu Romanzen, verschafften aber seinem Lande keine bleibenden Vorteile, bei denen die Geschichte gern verweilt und sie der Nachwelt als Beispiel erzählt. In seiner gegenwärtigen Gesellschaft erschien Richard im besten Licht. Er war heiter, guter Laune und liebte die Mannheit, wo er sie fand. Unter einem großen Eichbaum wurde eilig das ländliche Mahl für den König von England bereitet: Männer, die von der Regierung geächtet waren, bildeten jetzt seinen Hofstaat und seine Leibwache. Als die Flasche herumging, verloren die rauhen Gesellen allmählich ihre Furcht vor der Gegenwart des Königs: Sang und Scherze wurden gewechselt, frühere Taten erzählt, und während sie sich ihrer glücklichen Gesetzlosigkeit rühmten, verloren sie zuletzt ganz und gar das Bewußtsein, daß sie in Gegenwart des natürlichen Schirmvogts der Gesetze redeten. Der lustige König, der seine Würde nicht mehr achtete als die Gesellschaft, lachte, trank und scherzte. Der verständige Robin Hood dagegen wünschte, daß das Mahl beendigt werde, ehe sich etwas zutragen könnte, was es stören würde, um so mehr, da er gewahrte, daß Ivanhoes Stirn von Sorgen bewölkt war. »Die Gegenwart unsers tapfern Königs macht uns viel Ehre,« sagte er beiseite zum Baron, »aber ich wollte doch, daß er sparsamer mit der Zeit umginge, die wegen der Verhältnisse des Königsreichs so kostbar ist.«

»Das ist gut und weise gesprochen, braver Robin Hood,« sagte der Ritter; »wisse überdem, daß die, die mit dem König scherzen, doch immer mit den Mähnen des Löwen spielen, der, sobald er gereizt wird, Klauen und Zähne zeigt.«

»Ihr habt die wahre Ursache meiner Besorgnis berührt,« sagte der Geächtete; »meine Leute sind roh von Natur und durch ihr Gewerbe, der König ist ebenso jähzornig als gutmütig, wie bald kann sich eine Ursache zum Streit finden, und wie hitzig könnte dieser werden? – Es ist darum Zeit, daß das Mahl aufgehoben wird.«

»Ihr müßt das einleiten, braver Yeoman,« sagte Ivanhoe; »denn jeder Wink, den ich ihm gebe, scheint das Mahl zu verlängern.«

»Muß ich denn schon so schnell die Gunst und Verzeihung meines Monarchen in Anspruch nehmen?« sagte Robin Hood und schwieg einen Augenblick; »aber beim heiligen Christoph! ich muß es tun. Ich wäre seiner Gnade unwürdig, wenn ich für sein Bestes nichts wagen wollte. Scathlock, geh hinter jenes Gebüsch und blase eine normannische Weise auf deinem Horn; tue es sogleich, bei Gefahr deines Lebens.«

Scathlock gehorchte seinem Hauptmann und in weniger als fünf Minuten wurden die Schmausenden durch den Schall eines Hornes auf die Beine gebracht.

»Das ist Malvoisins Horn,« sprach der Müller aufspringend und seinen Bogen ergreifend. Wamba hielt mitten in einem Scherz inne und ergriff Schild und Schwert. Der Mönch ließ die Flasche fallen und nahm seinen Kampfknüppel zur Hand. Alle andern ergriffen ihre Waffen. Männer, deren Leben der Zufall bestimmt, vertauschen schnell den Schmaus mit der Schlacht, und dieser Wechsel war für Richard eine Erhöhung seines Vergnügens; er rief nach seinem Helm und den abgelegten schweren Teilen seiner Rüstung, und während Gurth sie ihm anlegte, befahl er bei seiner höchsten Ungnade, daß sich Wilfried fern vom Kampfe halte, der, wie er glaubte, stattfinden sollte.

»Du hast hundertmal für mich gefochten, Wilfried, und ich habe zugesehen. Heute sollst du zusehen, wie Richard für seinen Freund und Untertan fechten wird.«

Unterdessen hatte Robin mehrere seiner Anhänger in verschiedenen Richtungen ausgesandt, als sollten sie den Feind suchen, und als er sah, daß die Gesellschaft aufgebrochen war, näherte er sich dem Könige, der vollständig gewappnet war, und sich auf ein Knie vor ihm niederlassend, bat er um Verzeihung.

»Weshalb, guter Yeoman?« sprach Richard etwas ungeduldig. »Haben wir dir nicht schon volle Vergebung für alle deine Verletzungen des Gesetzes zugestanden, glaubst du, daß unser Wort eine Feder ist, die vor- und rückwärts geblasen werden kann? Du hast seitdem noch keine Zeit gehabt, neues Unrecht zu begehen.«

»Ich habe es dennoch getan,« antwortete der Yeoman, »wenn es nämlich unrecht ist, den Fürsten zu seinem eigenen Vorteil zu betrügen. Das Horn, das Ihr gehört habt, war nicht Malvoisins Horn, sondern wurde auf meinen Befehl geblasen, um das Mahl aufzuheben, denn es konnten Stunden verloren gehen, die zu kostbar sind, um verscherzt zu werden.« Er stand von seinen Knien auf, faltete die Arme über seiner Brust, und in einer mehr ehrfurchtsvollen als unterwürfigen Haltung erwartete er die Antwort des Königs, wie einer, der wohl weiß, daß er kühn war, aber gerechten Grund dazu hatte. Richard errötete vor Zorn, doch dies war nur eine Aufwallung, und sein Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte sie sogleich.

»Der König von Sherwood,« sprach er, »mißgönnt dem König von England seinen Wein und sein Wildbret. Doch du hast wohl getan, kühner Robin! – Aber wenn du mich einmal in dem heitern London besuchst, so sei überzeugt, daß ich kein so knickriger Wirt sein werde. Demungeachtet hast du recht, guter Bursche. – Laß uns darum zu Pferde steigen und forteilen. Wilfried ist diese ganze Zeit über ungeduldig gewesen. Sag' mir, kühner Robin, hattest du nie einen Freund in deiner Gesellschaft, der, nicht zufrieden, dein Ratgeber zu sein, auch durchaus deine Handlungen lenken will und eine erbärmliche Miene macht, wenn du selbständig handelst?«

»Solch einer,« sagte Robin, ist mein Leutnant, der kleine Johann, der eben an Schottlands Küsten mit einer Expedition beschäftigt ist, und ich will Euer Majestät gestehen, daß mich sein kühner Rat oft unwillig macht. Wenn ich es aber überlege, so kann ich nicht lange mit ihm zürnen, der für seine Zudringlichkeiten keinen andern Grund haben kann, als den Wunsch für mein Wohl.«

»Du hast recht, guter Yeoman,« antwortete Richard; »und hätte ich Ivanhoe an der einen Seite, um ernsten Rat mit düstrer Stirne zu erteilen, und dich an der andern, um mich zu meinem Besten zu zwingen, so würde ich ebenso wenig Freiheit haben, als irgend ein König im Christen- oder Heidentum. Doch kommt, meine Herren, laßt uns fröhlich nach Conningsburgh eilen und nicht mehr daran denken.«

Robin Hood versicherte, daß er eine Abteilung seiner Leute auf dem Wege, den sie nehmen wollten, vorangeschickt habe, die jeden Hinterhalt entdecken würden, und daß er nicht an der Sicherheit der Wege zweifle; wo nicht, so könnten die Ritter die Gefahr zeitig genug entdecken, um einen Trupp Bogenschützen zu rufen, mit denen er selbst ihnen auf demselben Wege folgen wollte. Diese weisen Vorsichtsmaßregeln für Richards Sicherheit rührten diesen, und verscheuchten den leichten Groll über den Betrug, den ihm der Hauptmann der Geächteten gespielt hatte. Er reichte Robin Hood noch einmal seine Hand, versicherte ihn gegenwärtiger Verzeihung und zukünftiger Gunst; auch daß es sein fester Entschluß sei, die tyrannische Ausübung des Forstrechts und anderer harter Gesetze zu beschränken, weil dadurch die englischen Yeomen in einen Zustand der Empörung versetzt würden. Die Anordnung des Geächteten erwies sich als richtig, und der König, von Ivanhoe, Gurth und Wamba begleitet, kam auf dem Schlosse Conningsburgh ohne allen Unfall an, als die Sonne noch am Horizont stand.

Fünfunddreißigstes Kapitel

Es gibt wenige so schöne und reizvolle Landschaften wie die Umgebung dieses alten Sachsenschlosses. Der liebliche Fluß schlängelt sich durch amphitheatralisch aufgebaute Äcker und Waldungen. Auf einem Berge, der sich bis zu dem Flusse herabzieht, und mit Wällen und Gräben wohl verteidigt ist, erhebt sich das alte Gebäude, das, wie schon sein Name besagt, vor der Eroberung ein Residenzschloß der Könige von England war. Die Außenwerke sind vermutlich durch die Normannen aufgebaut worden, aber das Innere trägt die Spuren hohen Alters. Ein Winkel des inneren Hofes liegt auf dem Berge selber und bildet einen Kreis von etwa fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Mauer ist außerordentlich dick und durch sechs wuchtige Strebepfeiler verstärkt, die aus dem Kreise herausspringen und sich an den Turm lehnen, wie um ihn zu stützen. Diese massiven Säulen waren an der Spitze ausgehöhlt und endeten in einer Art Türmchen, die mit dem Inneren des Hauptgebäudes in Zusammenhang standen. Das große umfangreiche Gebäude mit seinen wunderlichen Nebengebäuden gewährte einen höchst malerischen Anblick.

Als Löwenherz und sein Gefolge sich diesem rauhen, doch erhabenen Bau näherten, war er noch nicht wie jetzt mit Befestigungen umgeben. Die Kunst des sächsischen Baumeisters hatte nur das Hauptgebäude in Verteidigungszustand gesetzt, und mit einer rohen Schutzwehr von Pallisaden war seiner Kunst schon genug getan. Eine große schwarze Fahne, die vom Turme herabwehte, verkündete, daß das Leichenbegängnis des letzten Besitzers gefeiert wurde. Über dem Tore wehte eine zweite Fahne, auf der ein weißes Roß dargestellt war. Um das Schloß herum war alles in geschäftiger Bewegung, denn solche Leichenfeiern waren verschwenderische Gastfeste, zu denen jeder, der irgendwie mit dem Verstorbenen bekannt gewesen war, erscheinen konnte, auch jeder, der gerade vorüberreiste, er mochte sein, wer er wollte, durfte sich als gern gesehener Gast betrachten. Bei dem Reichtum und dem Ansehen des verstorbenen Athelstane führte diese Gepflogenheit eine unzählige Menge herbei.

Die Menschenmenge stieg den Hügel, auf dem das Schloß lag, auf und nieder. Als der König mit seinen Begleitern durch das offene Tor, an dem jetzt keine Wache stand, hereinritt, wurde ihm der Grund klar, weshalb in diesen Raum eine so zahllose Menge strömte. Köche standen hier, die riesige Ochsen und fette Schafe brieten. Dort wurden große Fässer voll Bier angezapft, und jeder, der trinken wollte, erhielt einen Becher voll. Der halbnackte sächsische Sklave, der ein halbes Jahr lang gedurstet hatte, vergaß sein Elend in einem Tage der Schwelgerei und Trunkenheit. Der wohlhabende Bürger und Zunftgenosse verzehrte seinen Bissen mit Verstand und kritisierte das Malz oder den Brauer, wenn er trank. Bettler aller Art standen zu Dutzenden herum, auch umherziehende Soldaten, die, wie sie behaupteten, aus Palästina kamen. Hausierer kramten ihre Waren aus, reisende Mechaniker hielten um Beschäftigung an, wandelnde Pilger murmelten Gebete, und Minnesänger entlockten ihren Harfen, Fibeln und Zithern unharmonische Töne. Der eine pries Athelstane in einer rührseligen Leichenrede, der andere rühmte in einem Gedicht über die sächsische Genealogie die rauhen und unverfälschten Sitten seiner Ahnen. Auch Narren und Gaukler waren da. Die Begriffe der Sachsen zeigten sich bei derlei Anlässen in ebenso naturgemäßer, wie roher Form. Wer eine durstige Betrübnis hatte, für den war gesorgt, daß er trinken konnte. Wer eine hungrige Betrübnis hatte, für den war Speise da. Wer in seiner Betrübnis beklommenen Herzens und trostlosen Geistes war, für den war Zeitvertreib und Lustbarkeit da. Die Anwesenden verschmähten diese verschiedenen Trostmittel auch nie, nur dann und wann erinnerten sie sich der Ursache, die sie zusammengeführt hatte, und dann seufzten die Männer im Chor, und die Frauen, deren auch viele da waren, riefen mit lauter Stimme: »O weh!«

So sah es im Schlosse Conningsburgh aus, als Richard mit seinem Gefolge hineinritt. Der Seneschall oder Haushofmeister, der nicht weiter auf die ab- und zuströmende Menge der niedern Gäste achtete, als nötig war, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, war sofort aufmerksam auf den König und Ivanhoe, von denen ihm der letztere bekannt war. Die Ankunft zweier Ritter – denn als solche gab ihr Anzug sie kund – war überdies ein seltenes Ereignis bei einem sächsischen Leichenbegängnis und konnte nur als eine Ehre angesehen werden, die dem Verstorbenen und seiner Familie erwiesen wurde. In seinem schwarzen Kleide mit dem weißen Amtsstabe in der Hand, machte die wichtige Person des Haushofmeisters ihnen durch die buntscheckige Menge der Gäste Platz, und so kamen Richard und Ivanhoe zum Eingange des Turmes. Gurth und Wamba fanden Bekannte im Schloßhofe und blieben dort, um sich nicht weiter vorzudrängen, ehe sie nicht hereingerufen würden.

Der Eingang in den großen Turm des Schlosses von Conningsburgh ist sehr eigentümlich und ein treffliches Muster der rohen Einfachheit der Zeit, in der er erbaut worden ist. Eine Reihe von Stufen, die schmal sind und fast abschüssig in ihrer Steilheit, führt zu einer niedrigen Tür, von der aus eine kleine Treppe in die Dicke der Mauer hinein und zu einem dritten Stockwerk des Schlosses führte. Die beiden unteren Stockwerke enthielten Kerker und Gewölbe, die nur durch eine Leiter in Verbindung standen, Luft und Licht erhielten. Zu den oberen Gemächern des Turmes, der im ganzen aus vier Stockwerken bestand, gelangte man auf Stufen, die durch die äußeren Bogen der Mauer gelegt waren. Durch diesen beschwerlichen und komplizierten Eingang gelangte der gute König Richard, begleitet von seinem treuen Ivanhoe, in die runde Halle, die das ganze dritte Stockwerk ausmachte. Ivanhoe verbarg sein Gesicht in seinem Mantel, weil er sich nicht eher seinem Vater zu erkennen geben wollte, als bis ihm der König ein Zeichen dazu geben würde. In diesem Räume saßen um einen großen eichenen Tisch herum etwa zwölf sächsische Familienherren aus der Umgegend. Sie waren sämtlich alt, wenigstens schon bejahrt. Die niedergeschlagenen, traurigen Blicke dieser ehrwürdigen Männer, ihr Schweigen und ihre betrübte Haltung bildeten einen auffallenden Gegensatz zu der lärmenden Lustigkeit, die im Schloßhof herrschte. In dieser Stimmung, und in ihren grauen Bärten und langen Locken und ihren altertümlichen Gewändern und weiten schwarzen Mänteln – eine Tracht, die so recht zu dem schlichten, fast rohen Zimmer paßten, in dem sie saßen – hatten sie ganz das Aussehen von alten Wodansanbetern, die aus dem Totenschlaf zum Leben erwacht zu sein schienen, um über den Verfall des Nationalruhmes nachzudenken.

Obgleich eines Ranges mit seinen Landsleuten, schien doch in allgemeiner Übereinstimmung Cedric als das Haupt der Versammlung zu handeln. Als Richard eintrat, in dem Cedric nur den tapferen Ritter vom Fesselschloß erblickte, stand er würdevoll auf und hieß ihn mit dem üblichen Gruß: Heil dir! willkommen. Der König, der mit den Gebräuchen seiner englischen Untertanen vertraut war, erwiderte den Gruß mit dem üblichen Gegengruß: Ich trink auf Euer Heil! und nahm den Becher an, den ihm der Mundschenk überreichte. Die gleiche Höflichkeit wurde Ivanhoe erwiesen, der schweigend seinem Vater Bescheid tat und an Stelle der gebräuchlichen Antwort nur mit dem Kopfe nickte, aus Furcht, an der Stimme erkannt zu werden.

Als die Feierlichkeit der Begrüßung vorüber war, erhob sich Cedric, reichte dem König die Hand und geleitete ihn in eine enge, ganz kunstlose Kapelle, die in einem der äußeren Mauerbogen hineingehöhlt war. Da der Raum nur ein sehr schmales Luftloch hatte, so hätte hier völlige Finsternis geherrscht, wenn nicht zwei Fackeln ein rotes, trübes Licht verbreitet hätten, bei dessen Schein man die niedrige Wölbung, die nackten Steinwände und den roh aus Stein gehauenen Altar mit dem steinernen Kruzifix erblickte. Vor diesem Altar stand eine Bahre und an jeder Seite dieses Totenlagers knieten drei Priester, die mit allen Gebärden äußerer Frömmigkeit ihre Rosenkränze abschnurrten und ihre Gebete lallten. Für diesen Leichendienst hatte Athelstanes Mutter ein hohes Seelenlösegeld an das Kloster des heiligen Edmund bezahlt. Das hatten die Brüder nun auch redlich verdienen wollen, und alle bis auf den lahmen Sakristan waren nach Conningsburgh gekommen; während nun sechs von ihnen unausgesetzt den geistlichen Dienst bei dem Toten versahen, ließen sichs die anderen bei den Erfrischungen und Vergnügungen im Schloßhofe wohl sein. Richard und Ivanhoe folgten Cedric in das Gemach des Todes. Während der Sachse mit feierlicher Würde auf die frühzeitige Bahre Athelstanes hindeutete, folgten sie seinem Beispiele, bekreuzten sich fromm und murmelten ein kurzes Gebet für das Wohl der entflohenen Seele.

Nach dieser Handlung der Pietät forderte sie Cedric abermals auf, ihm zu folgen. Leise trat er in einen steinernen Gang und öffnete, nachdem er ein paar Stufen hinuntergestiegen war, behutsam die Tür zu einer großen Bethalle, die an die Kapelle stieß. Sie maß etwa acht Fuß im Quadrat und war wie die Kapelle unmittelbar in das Mauerwerk hineingeschlagen. Das Luftloch, das ihr Helle zuführte, ging nach außen in die Breite und ließ einen Strahl der untergehenden Sonne herein, der auf eine weibliche Gestalt von majestätischem Wuchse mit leuchtenden Spuren erhabener Schönheit im Angesicht fiel. Ihre langen Trauerkleider und ihr Kranz von schwarzen Zypressen ließen ihre weiße Haut noch weißer und ihre schönen blonden Flechten, die lang herniederwallten und von der Zeit weder verdünnt, noch mit Silber vermischt worden waren, nur noch schöner und herrlicher erscheinen. Zn ihren Zügen lag der Ausdruck tiefsten Kummers, gepaart mit stiller Ergebung. Auf dem steinernen Tische vor ihr stand ein Kruzifix von Elfenbein, daneben lag ein Meßbuch, das reich bemalte Seiten und einen mit silbernen Spangen und Schlössern versehenen Einband hatte. Als Cedric ein Weilchen geschwiegen hatte, um Richard und Ivanhoe Zeit zu lassen, die Frau des Hauses zu betrachten, wandte er sich an die hoheitsvolle Erscheinung und sprach:

»Edle Editha, hier sind würdige Freunde, die an Euerm Kummer teilnehmen wollen. Dieser hier insonderheit ist der edle Ritter, der so wacker gefochten hat, um den zu befreien, den wir jetzt beweinen.«

»Seiner Tapferkeit gebührt mein Dank,« erwiderte die Dame, »obgleich es der Wille des Himmels war, daß er sich vergeblich bemüht hat. Auch danke ich ihm und seinem Gefährten für die Aufmerksamkeit, daß sie hierher gekommen sind, und die Witwe Adelings und Mutter Athelstanes im tiefsten Schmerz besuchen. Euch, teurer Vetter, überlasse ich es, dafür zu sorgen, daß es den Gästen an nichts fehlen möge, was diese in Trauer versunkenen Mauern zur Zeit gewähren können.« Die Fremden verneigten sich tief vor der trauernden Mutter und entfernten sich mit ihrem gastfreundlichen Führer.

Eine andere Wendeltreppe führte sie in ein Gemach von der Art dessen, das sie zuerst betreten hatten. Es lag gerade ein Stockwerk über diesem. Ein feierlicher melancholischer Gesang von mehreren Stimmen drang daraus hervor. Sie traten ein und sahen etwa zwanzig Frauen und Mädchen hoher sächsischer Familien. Vier Jungfrauen, deren Chor Rowena leitete, sangen einen Hymnus für die Seele des Verstorbenen. Die anderen Frauen und Mädchen waren unterdes beschäftigt, das weite seidene Leichentuch mit Stickereien im Geschmacke der damaligen Zeit zu verzieren. Es war bestimmt, die Bahre Athelstanes zu bedecken. Auch Kränze wanden sie aus Blumen, die in vollen Körben vor ihnen standen. Das Betragen der Frauen war ernst und sie ließen sich durch das Erscheinen der fremden Ritter nicht stören. Rowena allein begrüßte ihren Befreier mit anmutsvoller Höflichkeit. Ihr Wesen war ernst, doch nicht merklich betrübt, und wohl mochte die Ungewißheit über Ivanhoes Schicksal der tiefere Grund ihres Ernstes als der Tod ihres Verwandten sein.

Cedric, der bei solchen Anlässen, wie wir schon gesehen haben, keinen besonderen Scharfsinn zeigte, hielt ihre Betrübnis für größer als die der anderen Jungfrauen und flüsterte den Gästen die Erklärung zu: »Sie war die Braut des edeln Athelstane.« Und nachdem Cedric so die Fremden durch alle Gemächer geführt hatte, in denen die Leichenfeier des edeln Athelstane vor sich ging, brachte er sie in einen kleinen Raum, der, wie er ihnen sagte, für ehrenwerte Gäste bestimmt war, die nicht unmittelbar zur Verwandtschaft des Verstorbenen gehörten und vielleicht nicht gern bei den Trauernden selber weilen wollten. Dann wollte er sich von ihnen verabschieden, aber der schwarze Ritter ergriff ihn bei der Hand.

»Ich bitte Euch, edler Than,« sagte er, »seid eingedenk des Versprechens, das Ihr mir beim Auseinandergehen gabt, mir eine Bitte um der Dienste willen zu gewähren, die ich Euch zu leisten das Glück hatte.«

»Im voraus ist sie gewährt, edler Ritter,« sagte Cedric, »aber in dieser Zeit der Trauer –«

»Das habe ich wohl bedacht,« sagte der König, »aber ich habe es nicht für unpassend gehalten, einige Vorurteile mit dem edeln Athelstane ins Grab zu legen. – Bis jetzt kennt Ihr mich nur als den schwarzen Ritter vom Fesselschloß. – Wißt, ich bin Richard Plantagenet.«

»Richard von Anjou!« rief Cedric in höchstem Erstaunen, einen Schritt zurücktretend.

»Nein, edler Cedric, Richard von England, dessen innigstes Interesse, dessen höchster Wunsch es ist, Englands Söhne vereint zu sehen. Aber wie nun, würdiger Than, beugt Ihr nicht Euer Knie vor Euerm Fürsten?«

»Noch nie habe ich es vor normännischem Blute gebeugt,« erwiderte Cedric.

»So schiebt Eure Huldigung auf, bis ich bewiesen habe, daß mir das Recht zusteht, sowohl Engländer wie Normannen zu beschützen. Und nun eine Bitte an dich! Ich verlange von dir auf dein Manneswort, daß du dem guten Ritter von Ivanhoe verzeihst. – Diese Versöhnung geht mich selber an, das wirst du zugeben, denn sie betrifft das Glück meines Freundes und beseitigt zugleich die Zwietracht unter meinem treuen Volke.«

»So ist dies dort Wilfried?« fragte Cedric, auf seinen Sohn zeigend.

»Mein Vater! Mein Vater!« rief Ivanhoe. »Verzeiht mir!«

»Dir ist verziehen, mein Sohn!« sagte Cedric und hob ihn auf. »Der Sohn Herewards weiß sein Wort zu halten, selbst wenn er es einem Normannen gegeben hat. Aber komm mir nur in der Tracht und den Waffen unserer englischen Ahnen vor Augen. Nichts von kurzen Röcken, luftigen Mützen und phantastischen Federbüschen in meinem einfachen Hause – Du willst reden,« setzte er ernst hinzu, »und ich ahne, worum du bitten willst. Aber Rowena muß zwei Jahre wie um einen angetrauten Gemahl trauern. Es kann nicht die Rede sein von einer neuen Verbindung, ehe sich noch das Grab über dem, der durch seine Abkunft ihrer Hand am meisten würdig war, geschlossen hat. Athelstanes Geist selber würde aus seinen blutigen Grabtüchern auferstehen und uns von einer solchen Entweihung seines Andenkens zurückhalten.«

Fast schien es in der Tat, als hätten Cedrics Worte ein Gespenst erweckt, denn kaum hatte er gesprochen, da ging die Türe jäh auf, und herein in seinen Totenkleidern kam Athelstane, blaß, abgezehrt, wie ein aus dem Grabe auferstandener Leichnam.

Sechsunddreißigstes Kapitel

Beim Anblick dieser Erscheinung befiel die Anwesenden Staunen und Entsetzen. Cedric wankte bis an die Wand zurück, lehnte sich dort an, und starrte wie jemand, der nicht mehr imstande ist, sich aufrecht zu halten, mit stierem Auge und aufgerissenem Munde die Gestalt seines Freundes an. Ivanhoe bekreuzte sich und murmelte bald sächsische, bald normannische Gebete, wie sie ihm gerade einfielen, und Richard ließ bald ein Benedicte hören, bald fluchte er: Mort de ma vie! Inzwischen hörte man unten ein Geschrei: »Nehmt die verräterischen Mönche fest! – Werft sie in den Kerker! – Stürzt sie von den höchsten Zinnen herunter!«

Endlich redete Cedric die Erscheinung seines abgeschiedenen Freundes an: »Im Namen Gottes! So du ein Sterblicher bist, rede! So du aber ein Geist bist, sprich, warum erscheinst du hier und was können wir tun, damit deine Seele Ruhe findet? – Ob du lebst oder tot bist, edler Athelstane, sprich mit Cedric!«

»Das will ich auch,« antwortete das Gespenst in ganz ruhigem Tone, »sobald ich nur Atem geschöpft habe und Ihr mir Zeit laßt. Ob ich lebe, fragst du. Ich lebe, soweit noch Leben sein kann in einem, der drei Tage lang, die endlos waren wie Jahrhunderte, von Brot und Wasser gelebt hat. Ja! von Wasser und Brot, Vater Cedric! Beim Himmel und allen Heiligen! Eine bessere Kost ist volle drei Tage lang nicht über meine Zunge gekommen, und nur der Fügung Gottes danke ichs, daß ich jetzt hier bin und Euch das erzählen kann!«

»Wie, edler Athelstane,« sprach der schwarze Ritter, »ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen, wie Euch der stolze Templer nach dem Fall von Torquilstone niederstreckte, und wie ich selber glaubte und wie auch Wamba erzählte, war Euch der Schädel bis an die Zähne gespalten.«

»Da wart Ihr im Irrtum, Herr Ritter,« versetzte Athelstane, »und Wamba hat gelogen. – Meine Zähne sind in trefflicher Ordnung, das soll meine Abendmahlzeit verspüren! – Ich bin dem Templer deswegen keinen Dank schuldig, denn sein Schwert drehte sich in seiner Hand, und infolgedessen traf er mich mit der flachen Klinge. Hätte ich die Sturmhaube aufgehabt, so hätte ich mich den Teufel drum geschert und ihm wieder eins versetzt, daß ihm der Rückzug erspart gewesen wäre. Aber da ich den Helm nicht hatte, so fiel ich zwar betäubt, doch unversehrt zu Boden. Von beiden Seiten stürzten Tote und Verwundete auf mich, und so kam ich nicht wieder zur Besinnung. Als ich endlich das Bewußtsein wieder erlangte, ward ich inne, daß ich vor dem Altar der Kirche zum heiligen Edmund in einem Sarge, zum Glück in einem offenen, lag. Ich mußte ein paarmal niesen, dann stöhnte ich, und dann ermunterte ich mich und wollte herausklettern, aber da kamen der Sakristan und der Abt, die bei dem Geräusch stutzig geworden waren, herzugelaufen. Sie schienen sehr erstaunt und durchaus nicht erbaut darüber zu sein, daß sie einen Mann, den sie doch gar zu gern beerbt hätten, wieder am Leben sahen. Ich verlangte Wein und sie gaben mir den auch, aber es muß wohl ein Schlaftrunk gewesen sein, denn ich versank in einen noch festeren Schlaf als zuvor und wachte erst nach mehreren Stunden wieder auf. Jetzt waren mir die Arme und die Beine so fest eingewickelt, daß mich die Gelenke noch schmerzen. Ich lag in einem finstern Loche, einer Art von Totengruft, wie ich aus der Moderluft schloß, die um mich her war. Seltsame Betrachtungen, was sich wohl mit mir zugetragen haben mochte, erwachten in mir, da ging die Tür mit Krachen auf, und zwei schurkische Mönche kamen herein. Sie wollten mir weismachen, ich sei im Fegfeuer, aber die keuchende kurzatmige Stimme des Vater Abtes war mir nur zu wohl bekannt. Heiliger Jeremias, wie anders aber war jetzt sein Ton, als wenn er mich noch um ein Stück Braten bat! Himmel und Hölle! Und dieser Hund hat sich von Weihnachten bis Neujahr hier bei mir dick und fett gefressen!«

»Faßt Euch, edler Athelstane,« sagte der König. »Verschnauft Euch und nehmt Euch Zeit zu Eurer Erzählung. Es läßt sich ihr wahrhaftig besser lauschen als einem Roman.«

»Beim Kreuz von Bromeholm, mir war anders zu Mute dabei – ein Gerstenbrot und ein Glas Wasser – das gaben mir die filzigen Schurken, die mein Vater und ich selber reich gemacht haben, als sie noch weiter keine Einkünfte hatten, als die Häppchen Schinken und die Metzen Korn, die sie armen Sklaven und Leibeigenen für ihre Gebete abnahmen. So eine undankbare Schlangenbrut! So ein Otterngezücht! Brot und Wasser einem, der es so gut mit ihnen gemeint hat! – Aber ich will sie aus ihrem Neste ausschwefeln, und sollte ich auch deshalb exkommuniziert werden!«

»Um unserer lieben Frau willen, wie bist du dieser Gefahr entronnen, edler Athelstane?« fragte Cedric, seinen Freund bei der Hand ergreifend. »Beschlich Mitleid ihre Herzen?«

»Ob Mitleid ihre Herzen beschlich?« versetzte Athelstane. »Schmelzen Felsen am Sonnenlicht? Ich wäre noch dort, wenn nicht ein Geräusch entstanden wäre, das, wie ich nun inne wurde, von dem Zuge herrührte, der zu meinem Leichenbegängnis kam. Da war denn der Schwarm mit einem Male ausgeflogen, und sie wußten doch recht gut, daß ich lebendig begraben war. Ich hörte, wie sie ihre Totenpsalmen brummten, und ich dachte bei mir, da singen nun die Hunde für meine Seele und hungern meinen Leib dabei aus. Sie waren also weg, und ich wartete lange, daß sie mir etwas zu essen bringen sollten. Kein Wunder, der gichtische Sakristan war viel zu sehr in seine eigne Fresserei vertieft, als daß er daran hätte denken können, daß ich auch was zu essen bekommen müßte. Endlich kam er wankenden Schrittes hereingetaumelt und stank gewaltig nach Wein und Gewürzen. Bei der guten Kost war sein Herz aufgetaut, er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Wein. Ich aß und trank und fühlte mich neu gestärkt, und zum Glück war der Sakristan so besoffen, daß er die Tür nicht richtig zuschloß, so daß sie nur angelehnt war. Da ich gegessen und getrunken hatte und Licht durch die Türspalte hereinfiel, wurde mein Erfindungsgeist wach. Der Ring, an den meine Ketten geschlossen waren, war vom Rost fast ganz zerfressen, das hatte freilich der schurkische Abt und ich selber auch nicht vermutet. Selbst das Eisen hatte den Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen können.«

»Verschnauft Euch, edler Athelstane,« sagte Richard. »Nehmt etwas zu Euch, ehe Ihr in Eurer entsetzlichen Geschichte fortfahrt.«

»Etwas zu mir nehmen?« versetzte Athelstane. »Das hab ich heute schon fünfmal getan, aber ich glaube, ein Stück von diesem saftigen Schinken verträgt sich ganz gut mit meiner Erzählung, und ich bitte Euch, edle Herren, tut mir mit einem Becher Weins Bescheid.

Die Gäste, noch immer starr vor Erstaunen, tranken ihrem auferstandenen Wirt zu, der dann in seinem Bericht fortfuhr. Er hatte jetzt weit mehr Zuhörer als zu Anfang; denn Editha war dem lebendigen Toten gefolgt, und hinter ihr drangen Männer und Frauen herein, soviel nur in dem engen Gemach Platz finden konnten. Bis auf die Treppe hinaus standen sie dicht gedrängt.

»Als ich mich von dem Ring an der Kette befreit hatte,« fuhr Athelstane fort, »schleppte ich mich die Treppen hinauf, so gut es ging, da ich ja ausgehungert und mit Ketten belastet war, und nachdem ich lange umhergeirrt war, ging ich den Klängen eines lustigen Rundgesanges nach, und so kam ich in ein Gemach, wo der würdige Satristan eine Teufelsmesse, wenn ich so sagen darf, mit einem riesigen breitschultrigen Kapuzinermönch abhielt. Dieser Kerl sah eher aus wie ein Dieb als wie ein Diener Gottes. Ich stürzte auf sie los, meine Totengewänder und das Geklirr meiner Ketten gaben mir wohl eher das Aussehen einer Erscheinung von jener Welt als das eines Erdensohnes. Beide standen und glotzten mich an wie die Kühe das neue Tor, aber als ich den Sakristan mit der Faust zu Boden schmetterte, schlug der andere Kerl, sein Saufkumpan, mit einem gewaltigen Knüttel nach mir.«

»Das ist gewiß unser Bruder Tuck gewesen,« sagte Richard zu Ivanhoe.

»Meinetwegen mag es der Teufel gewesen sein,« sagte Athelstane. »Zum Glück hat er nicht getroffen, und als ich mit ihm handgemein werden wollte, nahm er Reißaus. Ich besann mich nicht lange und schloß mir die Ketten mit dem Schlüssel ab, den der Sakristan am Gürtel trug, und schon wollt ich ihm mit dem Schlüsselbund den Schädel einschlagen, da dachte ich aber an die Pastete und an die Flasche Wein, die er mir in den Kerker gebracht hatte, und so gab ich ihm denn nur ein paar tüchtige Püffe und ließ ihn liegen, und steckte mir etwas Gebacknes und die Lederflasche voll Wein ein, bei der sich die ehrwürdigen Herren gütlich getan hatten, und ging in die Ställe, wo ich meinen Zelter fand. Und so bin ich denn hierher gekommen, so schnell das Tier nur laufen konnte. Alles, was vom Weibe geboren war, riß vor mir aus, weil mich alles für ein Gespenst hielt, und dies um so mehr, als ich die Leichenkappe übers Gesicht gezogen hatte, um nicht erkannt zu werden. Und so kam ich denn her und entdeckte mich meiner Mutter, nahm rasch ein paar Bissen zu mir und bin dann zu Euch geeilt, mein edler Freund.«

»Und Ihr findet mich bereit, für unsre alten Pläne Ehre und Freiheit zurück zu erobern,« sagte Cedric. »Ich sage Euch, nie tagt wieder ein so günstiger Morgen für unser Befreiungswerk.«

»Laßt mich damit in Ruhe! Ich will nichts davon wissen, irgendwen zu befreien,« versetzte Athelstane. »Ich bin froh, daß ich selber befreit bin. Ich will lieber darüber nachdenken, wie ich den abscheulichen Abt bestrafe. Er soll an der höchsten Spitze des Schlosses von Conningsburgh hängen in Kutte und Stola, und wenn die Treppen zu eng sind für seinen feisten Kadaver, so laß ich ihn von außen hinaufleiern!«

»Aber, mein Sohn,« wandte Edith« ein, »bedenke sein heiliges Amt!«

»Bedenke meine drei Fastentage,« erwiderte Athelstane. »Alle sollen sie mir dafür bluten! Front-de-Boeuf hatte weit weniger verbrochen und wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Er hat wenigstens seinen Gefangenen einen ordentlichen Tisch gedeckt, nur zu viel Knoblauch war in der Suppe. Die Hunde sterben, und wären sie die besten Mönche auf Erden!«

»Schämt Euch, edler Athelstane,« sagte Cedric, »vergeßt die erbärmlichen Kreaturen und gedenkt der ruhmvollen Laufbahn, die sich vor Euch auftut. Sagt diesem normänischen Fürsten, Richard von Anjou, daß, so löwenherzig er auch ist, er doch den Thron Alfreds nicht ohne Widerspruch inne haben wird, solange noch ein männlicher Abkömmling des heiligen Bekenners lebt.«

»Wie?« rief Athelstane.«Ist dies der edle König Richard?«

»Es ist Richard Plantagenet,« versetzte Cedric, »aber er weilt als Gast aus freien Stücken hier, und so wirst du einsehen, daß er weder beleidigt, noch etwa gefangen genommen werden darf. Du wirst deine Schuldigkeit als Wirt tun.«

»Bei meiner Treu,« rief Athelstane, »und meine Schuldigkeit als Untertan auch, denn hiermit schwöre ich ihm Treue mit Herz und Hand!«

»Mein Sohn, denk an deine Rechte auf den Königsthron!« rief Editha.

»Denk an die Freiheit Englands, entarteter Fürst!« rief Cedric.

»Mutter und Freund!« sprach Athelstane. »Laßt eure Vorwürfe. Brot und Wasser und ein Kerker machen den Ehrgeiz gar trefflich kirre, und ich steige weiser aus dem Grabe heraus als ich hineinstieg. Seitdem diese Pläne auf den Beinen sind, habe ich keine Ruhe mehr – Reisen über Hals und Kopf – schlechte Verdauung – Schläge – Püffe – Gefangenschaft und Hunger – und auszuführen sind sie schon gar nicht, ohne daß dabei einige tausend unschuldige Menschen ums Leben kommen. Ich sage Euch, ich will König sein, aber in meinen eigenen Besitzungen, nirgends sonst, und meine erste Herrschertat soll sein, daß ich den Abt hängen lasse.«

»Aber mein Mündel Rowena?« fragte Cedric. »Ihr wollt doch nicht etwa von ihr lassen?«

»Vater Cedric,« versetzte Athelstane, »nehmt doch Vernunft an. Lady Rowena fragt den Kuckuck nach mir. Der kleine Finger von Vetter Wilfrieds Handschuh ist ihr lieber als an mir der ganze Kerl. Nun, erröte nicht, Muhme. Gib mir deine Hand! Nur als Freund bitte ich darum. Hier, Vetter Wilfried von Ivanhoe, zu deinen Gunsten entsage ich und schwöre ab – heda! beim heiligen Dunstan, unser Vetter Wilfried ist verschwunden, und wenn nicht meine Augen vom Fasten schwach geworden sind, so habe ich ihn doch eben noch hier gesehen.«

Alle schauten sich um, Ivanhoe war fort. – Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er nach kurzem Gespräch mit dem Mann in Gurths Begleitung das Schloß verlassen habe. Kaum hatte Athelstane Rowenas Hand losgelassen, so eilte die Lady in größter Bestürzung hinaus.

»Weiß der Geier!« rief Athelstane. »Ich hatte mir eigentlich eingebildet, einen Kuß zum Danke zu bekommen. Ich wende mich nun wieder zu Euch, edler König Richard...«

Aber König Richard war auch fort, und niemand wußte, wohin. Schließlich erfuhren sie, daß er in den Schloßhof geeilt sei und dort den Juden, der mit Ivanhoe gesprochen hätte, vor sich habe bringen lassen. Er habe kaum ein paar Worte mit ihm gewechselt, so sei er auf sein Pferd gestiegen, habe dem Juden befohlen, auch aufzusitzen, und sei in gestrecktem Galopp davongeritten.

»Nun, so wahr ich lebe!« rief Athelstane: »Zernebock hat in meiner Abwesenheit Besitz von meinem Schlosse genommen. Ich komme in meinen Totenkleidern zurück als ein aus dem Grabe Erstandener und jedermann, mit dem ich rede, verschwindet, sowie er meine Stimme hört. Doch was hilft es, davon zu reden? – Kommt, meine Freunde, die ihr noch da seid, folgt mir in das Speisezimmer, ehe noch jemand von uns verschwindet. Ich denke, es ist so reich besetzt, wie es das Leichenmahl eines alten sächsischen Edeln sein muß; wollten wir noch länger zögern, wer weiß, ob nicht der Teufel mit dem Abendessen davonfliegt?«

Siebenunddreißigstes Kapitel

Der Schauplatz unserer Erzählung ist nun wieder das Präzeptorium von Templestowe, zu der Stunde, als das blutige Würfelspiel um Tod und Leben für Rebekka anheben sollte. Es war ein großes Leben und Treiben, ganz als wären die Bewohner der Umgegend weit und breit zu einer Kirmeß oder einem ländlichen Feste hier versammelt. Die Augen einer großen Menge waren auf das Tor des Präzeptoriums gerichtet, um die Prozession zu schauen, und eine noch größere Menge hatte den schon zum Hause gehörigen Turnierplatz umringt. Dieser Platz war sehr sorgfältig zu militärischen und ritterlichen Übungen geebnet und bildete die obere Fläche eines sanften anmutigen Hügels, war mit einem Pfahlwerk umgeben und, da die Tempelritter gern zu ihren Übungen Zuschauer einluden, von Bänken und Galerien umschlossen. Für das anberaumte Schauspiel war am östlichen Ende der Schranken ein Platz für den Großmeister errichtet, um den herum Ehrenplätze für die Ordensritter angebracht waren. Darüber wehte die heilige Fahne mit dem Wahrspruch und Feldgeschrei der Templer: Beauséant.

Am entgegengesetzten Ende der Schranken war ein Pfahl errichtet, um den ein Stoß Reisig aufgehäuft war. Der Pfahl war tief in den Boden gerammt und in der Mitte war für das Opfer Platz gelassen. Das Reisig, dessen Flammen es verzehren sollten, war so geschichtet, daß ein Weg bis zum Pfahle offen lag. Die Ketten, mit denen die Unglückliche festgeschlossen werden sollte, hingen vom Holze herab. Neben dieser Stätte des Todes standen vier schwarze Sklaven, deren afrikanische Gesichtsfarbe Furcht einflößte, weil sie den Leuten zu jener Zeit noch nicht vertraut genug war, um sie als etwas alltägliches zu betrachten.

Das Volk erblickte in diesen Menschen Teufel, die im Begriffe waren, ihre höllischen Werke vorzuführen. Einer darunter, der der oberste zu sein schien, gab ihnen Weisungen, nach denen sie das Stroh und Brennholz ordneten und zurecht legten. Sie sahen auch nicht nach der Menge hin und schienen völlig gefühllos und teilnahmslos zu sein und nur bedacht darauf, ihren gräßlichen Dienst zu tun. Wenn sie miteinander flüsterten, öffneten sie die schwulstigen Lippen und fletschten ihre weißen Zähne, als freuten sie sich schon auf das bevorstehende Trauerspiel. Die Leute ringsum sahen daher in ihnen böse Geister, mit denen die Hexe einst im Bunde gestanden habe und die nun, da die Zeit der gottlosen Frau gekommen sei, die furchtbare Strafe an ihr vollziehen wollten. Die Glocke der Kirche zum heiligen Michael in Templestowe erklang und gab das Zeichen zum Beginn der feierlichen Handlung. Mit Grausen vernahm alles Volk das Geläut. Aller Augen wandten sich nach dem Präzeptorium, denn nun mußten der Großmeister, der Kämpfer und die Verbrecherin bald erscheinen.

Endlich wurde die Zugbrücke heruntergelassen, die Tore taten sich auf und ein Ritter, der die große Ordensstandarte trug, kam angeritten. Vor ihm her ritten sechs Trompeter, hinter ihm zu zweien und zweien die Präzeptoren, dann auf einem stolzen, aber äußerst einfach gezäumten Pferde der Großmeister. Hinter diesem kam Brian de Bois-Guilbert, vom Kopf bis zu den Füßen in glänzender Rüstung. Lanze, Schild und Schwert trugen die beiden Knappen, die ihm folgten. Sein Gesicht war zum Teil verdeckt durch eine lange Feder, die von seinem Barett herniederwallte, aber man sah darin das Spiel heftiger Leidenschaften und den Widerstreit von Stolz und Unentschlossenheit. Er war gespenstisch bleich, wie einer, der mehrere Nächte nicht geschlafen hat, doch lenkte er sein Roß mit der Grazie und Gewandtheit, die die beste Lanze im Orden der Templer auszeichneten.

Zu beiden Seiten des Kämpfers ritten Mont-Fitchet und Albert von Malvoisin. Hinter ihnen kamen andere Mitglieder des Ordens und ein langes Gefolge von Servienten und Knappen. Hinter diesen wiederum kam eine Wache zu Fuß, gleichfalls in schwarzer Tracht. In ihrer Mitte sah man die Gestalt der blassen Angeklagten, die langsamen, doch furchtlosen Schrittes ihrem Schicksal entgegen ging. An Stelle ihrer orientalischen Kleider trug sie ein grobes, weißes Gewand von einfachstem Schnitt, aber in ihrem Antlitz lag Ergebung und Mut, und dieser Ausdruck rührte selbst in dieser Tracht, in der sie jedes andern Schmuckes als ihrer langen schwarzen Flechten entbehrte, aller Augen zu Tränen.

Eine Schar von Leuten niederen Standes, die zum Präzeptorium gehörten, schritten hinter dem Opfer her. Alle gingen gemessenen Schrittes in Reih und Glied und hatten die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt. Dieser langsame Zug schritt den anmutigen Hügel hinan, auf dessem Gipfel der Turnierplatz lag, zog in die Schranken ein, schwenkte herum und machte Halt, als sich der Kreis gebildet hatte. Dann stiegen der Großmeister und seine Begleiter von ihren Pferden, die sofort von bereitstehenden Servienten hinausgeführt wurden.

Die unglückliche Rebekka wurde zu dem schwarzen Sitze an dem Pfahle geführt. Als sie den ersten Blick auf die grausige Stätte warf, wo ihr ein Tod drohte, der ebenso furchtbar für das Gemüt wie qualvoll für den Leib war, da sah man, daß sie erbebte, von Schauern geschüttelt wurde und die Augen schloß. Es schien, als spräche sie bei sich selber ein Gebet, denn ihre Lippen bewegten sich.

Aber gleich darauf sah sie festen Blickes nach dem Pfahle hin, wie um sich an den Anblick zu gewöhnen, und dann senkte sie wieder das Haupt.

Inzwischen hatte sich der Großmeister auf seinen Platz begeben, und als sich die Ritterschaft um ihn her auch dem Range und der Stellung gemäß geordnet hatte, meldete ein langer lauter Trompetenstoß, daß der Gerichtshof zur Stelle sei. Malvoisin ritt vor und legte den Handschuh der Jüdin, der das Pfand des Kampfes war, dem Großmeister zu Füßen.

»Tapfrer Gebieter und hochwürdiger Vater,« sprach er, »hier steht der gute Ritter Brian de Bois-Guilbert, Präzeptor des Templerordens. Er hat das Pfand angenommen, das zu Füßen Eurer Hochwürden liegt, und sich damit verpflichtet, im Kampfe des heutigen Tages seine Schuldigkeit zu tun und zu beweisen, daß die Jüdin Rebekka das Todesurteil verdient, das das Kapitel des heiligen Ordens vom Tempel Zions über sie als über eine Hexe und Zauberin gefällt hat.«

»Hat er den Eid geleistet, daß dieser Kampf gerecht und ehrenvoll sei?« fragte der Großmeister.

»Herr und hochwürdiger Vater, unser Bruder hat in die Hände des guten Ritters Konrad von Mont-Fitchet beschworen, daß seine Anklage auf Wahrheit beruhe. Auf andere Weise kann er nicht schwören, da seine Gegnerin eine Heidin ist.«

Zu Malvoisins Freude wurde diese Erklärung angenommen, der schlaue Ritter hatte vorausgesehen, daß es schwer, ja unmöglich wäre, Bois-Guilbert zu einer solchen Eidesleistung vor versammelten Volke zu bewegen. Er hatte sich daher diese Entschuldigung ausgedacht, um diese Notwendigkeit zu umgehen. Der Großmeister hatte die Einwendung Malvoisins gelten lassen und ließ nun einen Herold vortreten, der in die Trompete blies und mit lauter Stimme rief: »Hört! Hört! Hier steht der gute Ritter Brian de Bois- Guilbert. Er ist bereit mit jedem freigeborenem Ritter den Kampf zu bestehen, der von der Jüdin als Kämpfer gestellt wird!«

»Es erscheint kein Kämpfer für die Angeklagte,« sagte der Großmeister. »Geh Herold, und frage sie, ob sie einen erwartet.«

Der Herold ging zu ihr hin und trotz dem Winke Malvoisins wandte auch Bois-Guilbert sein Roß herum und kam zugleich mit dem Herold bei Rebekka an.

Der Herold wandte sich mit folgenden Worten an Rebekka: »Mädchen, der hochwürdige Großmeister läßt dich fragen, ob du einen Kämpfer hast, der heute für dich streiten wird, oder ob du das über dich gefällte Urteil als gerecht anerkennst?«

»Antworte dem Großmeister,« erwiderte Rebekka, »daß ich meine Unschuld behaupte und mich nicht für zu Recht verurteilt bekenne. Sage ihm, daß ich Aufschub begehre, wie er gesetzlich statthaft ist, damit ich sehen kann, ob mir Gott in der höchsten Not Rettung schickt. Wenn dann auch diese letzte Frist verstreicht, ohne daß Hilfe kommt, so möge sein Wille geschehen.«

»Gott verhüte,« rief Lukas Beaumanoir, »daß uns Jude oder Heide der Ungerechtigkeit sollten zeihen können! Bis die Schatten von Westen nach Osten reichen, wollen wir warten, ob sich ein Streiter für dieses unglückliche Weib stellt. Ist der Tag soweit zur Rüste gegangen, so mag sie sich zum Tode bereiten.«

Der Herold überbrachte Rebekka diesen Bescheid des Ordensmeisters. Sie neigte in Demut das Haupt, faltete die Hände und blickte zum Himmel, von ihm eine Hilfe erhoffend, die fast von Menschen nicht mehr zu erwarten war. Während dieser furchtbaren Pause vernahm sie die Stimme Bois-Guilberts, es war nur ein Flüstern, aber doch erschrak sie darüber mehr als über die laute Anrede des Herolds. »Rebekka,« sagte der Templer, »hörst du mich?«

»Ich habe nichts mit Euch zu schaffen, grausamer, hartherziger Mensch.«

»Verstehst du, was ich sage? Denn mir selber klingt der Ton meiner Stimme furchtbar im Ohr. Kaum weiß ich, wo wir uns befinden und was wir hier sollen. – Diese Schranken? dieser Stuhl? dieser Haufen von Reisig? Ich weiß wohl, wozu sie da sind, und doch ist mir, als wäre das alles nicht wirklich, sondern nur ein entsetzliches Trugbild.«

»Mein Sinn und mein Gemüt sind sich des Ortes und der Zeit bewußt,« erwiderte Rebekka. »Ich weiß, dieser Holzstoß ist da, meinen Leib zu verzehren und mir einen schmerzhaften aber kurzen Übergang in eine bessere Welt zu bereiten.«

»Träume, Rebekka, Träume! Höre mich,« fuhr er feurig fort, »eine bessere Gelegenheit, dir das Leben und die Freiheit zu erhalten, als sich diese Schurken und der Schwachkopf dort denken, bietet sich dar. Steige hinter mir aufs Pferd, und in einer Stunde sind wir jeder Verfolgung entrückt. Eine neue Welt der Freude öffnet sich dir, mir eine neue Laufbahn des Ruhmes. Dann mögen sie ein Urteil fällen, dann mögen sie den Namen Bois-Guilbert aus ihrer Liste mönchischer Schufte streichen, jeden Fleck, den sie meinem Wappenschilde anhängen können, will ich mit Blut abwaschen!

»Versucher!« sprach Rebekka, »hebe dich hinweg von mir! Du sollst mich in dieser letzten Not nicht um eines Haares Breite nachgeben sehen. Feinde sind rings um mich her, dich aber halte ich für den schlimmsten und schrecklichsten. Im Namen Gottes, hebe dich weg von mir!«

Albert Malvoisin, ungeduldig und unruhig über die lange Dauer dieser Unterredung, kam heran, um sie zu unterbrechen.

»Hat das Mädchen ihre Schuld bekannt,« fragte er laut den Kämpfer, »oder besteht sie auf ihrem Leugnen?«

»Sie ist zum Tod entschlossen,« sagte Bois-Guilbert.

»Dann mußt du, edler Bruder, deinen Platz wieder einnehmen, um den Ausgang zu erwarten!« rief Malvoisin. »Die Schatten wechseln auf dem Sonnenzeiger. Komm, tapfrer Bois-Guilbert, komm, du Hoffnung unsers heiligen Ordens und bald sein Haupt.« Als er dies in einem besänftigten Tone sprach, legte er die Hand auf die Zügel des Ritters, als wolle er ihn nach seinem Platze zurückführen.

»Was willst du mit der Hand an meinem Zügel?« sagte Sir Brian zornig, und die Hand seines Gefährten zurückstoßend, ritt er nach dem obern Ende der Schranken.

»Es ist noch Wut in ihm,« sagte Malvoisin zu Mont-Fitchet, »wäre er nur gut geleitet, aber gleich dem griechischen Feuer verbrennt er alles, was ihm nahe kommt.«

Die Richter warteten zwei Stunden in den Schranken vergebens auf einen Kämpfer.

»Ich weiß wohl, warum keiner kommt,« sprach Bruder Tuck, »weil sie eine Jüdin ist; aber bei meinem Orden, es ist doch hart, daß ein so junges und schönes Geschöpf sterben soll, ohne daß ein Schlag darum geschieht. Hätte sie nur einen Tropfen Christenblut in sich, so sollte mein Kampfstock auf der Stahlhaube des stolzen Ritters tanzen.«

Nun wurde allgemein angenommen, daß sich für eine der Hexenkunst und Zauberei angeklagte Jüdin kein Kämpfer stellen werde, und schon flüsterten die Ritter untereinander, es sei an der Zeit, Rebekka ihres Pfandes für verlustig zu erklären. In diesem Augenblick sah man auf der Ebene vor den Schranken einen Ritter, der sein Roß zur Eile antrieb, und hundert Stimmen riefen zugleich: »Ein Kämpfer! Ein Kämpfer!«

Allen Vorurteilen und allem Aberglauben zum Trotz jubelte doch die Menge laut, als ein Kämpfer erschien. Aber ein zweiter Blick vernichtete die Hoffnungen, die sein Erscheinen noch gerade zur rechten Zeit erweckt hatte. Sein Pferd hatte mehrere Meilen im schnellsten Laufe zurückgelegt und schien vor Ermattung in die Knie zu sinken, und der Ritter selber, so kühn er sich in den Schranken zeigte, schien sich auch, ob aus körperlicher Schwachheit oder aus Erschöpfung, kaum noch im Sattel halten zu können.

Als ihn die Herolde aufforderten, Namen, Rang und Zweck seines Erscheinens zu nennen, erwiderte der fremde Ritter schnell und kühn: »Ich bin ein guter Ritter und bin hierher gekommen, um mit Lanze und Schwert für die gerechte Sache dieses Mädchens, der Rebekka, Tochter des Juden Isaak von York, zu streiten. Ich behaupte, das gegen sie gesprochene Urteil ist falsch und ohne Wahrheit, und Brian de Bois-Guilbert ist ein Mörder und Lügner, und das will ich auf diesem Platze mit meinem Leibe beweisen, mit Hilfe Gottes, unserer lieben Frau und des heiligen Georg!«

Malvoisin erwiderte: »Der Fremde muß erst beweisen, daß er ein guter Ritter und von guter Herkunft ist. Der Tempel schickt seine Streiter nicht gegen einen Namenlosen.«

»Mein Name,« sprach der Ritter und öffnete den Helm, »ist besser bekannt und mein Stammbaum reiner als der deine, Malvoisin. Ich bin Wilfried von Ivanhoe.«

Mit veränderter hohler Stimme rief Bois-Guilbert:

»Mit dir fechte ich nicht. Laß erst deine Wunde heilen, verschaffe dir ein besseres Pferd, dann vielleicht halte ich es meiner für würdig, dich für dein knabenhaftes Prahlen zu züchtigen.«

»Ha, stolzer Templer,« rief Ivanhoe aus, »hast du vergessen, daß du schon zweimal vor dieser Lanze in den Staub sankest? Denk an die Schranken von Acre – denk an den Waffengang von Ashby de la Zouche – denk an deine stolze Prahlerei in der Halle von Rotherwood, wo du deine goldene Kette gegen mein Reliquienkästchen verpfändet hast, wo du dich verpflichtet hast, mit Wilfried von Ivanhoe um deine verlorene Ehre zu kämpfen. Bei diesem Reliquienkästchen und der heiligen Reliquie, die es enthält, ich will dich, Templer, in jedem Hofe Europas, in jedem Präzeptorium deines Ordens eine Memme nennen, wenn du jetzt nicht mit mir kämpfst!«

Unentschlossen wandte Bois-Guilbert sein Haupt nach Rebekka hin, dann blickte er wild auf Ivanhoe und rief:

»Hund von einem Sachsen, nimm deine Lanze und bereite dich vor auf den Tod, den du dir selber gerüstet hast!«

»Erlaubt der Großmeister den Zweikampf?« fragte Wilfried.

»Wir schlagen deine Herausforderung nicht ab,« erwiderte Beaumanoir, »sofern dich das Mädchen als ihren Kämpfer annimmt. Nur wünschte ich, daß du in besserer Verfassung wärst. Ein Feind unseres Ordens bist du freilich immer gewesen, doch möchten wir dich ehrenvoll den Kampf bestehen sehen.«

»So wie ich bin, muß ich kämpfen,« versetzte Ivanhoe, »anders nicht. Es ist ein Gottesurteil – dem Schutze Gottes befehle ich mich.« Dann ritt er auf die Unglückliche zu. »Rebekka, nimmst du mich zu deinem Kämpfer an?«

»Ich tue es, ich tue es,« rief sie in einer tieferen Erregung, als die Todesfurcht in ihr hatte wachrufen können. »Ich nehme dich an als Kämpfer, den mir Gott gesandt hat. – Doch nein!« setzte sie dann hinzu. »Deine Wunde ist noch nicht geheilt. Kämpfe nicht mit diesem stolzen Manne! Warum solltest du sterben?«

Aber Ivanhoe war schon auf seinen Platz geritten und hatte die Lanze ergriffen. Bois-Guilbert hatte das Gleiche getan. Als er sein Visier schloß, war sein Gesicht, das zuvor eben noch aschfahl gewesen war, hochrot. Als der Herold die Kämpfer an ihren Plätzen sah, rief er dreimal laut: »Faites vos devoirs, preux chevaliers!«

Nach dem dritten Rufe zog er sich auf die Seite zurück und machte bekannt, daß niemand bei Todesstrafe durch Worte, Geschrei oder tätlichen Eingriff diesen Kampf stören dürfe. Dann nahm der Großmeister Rebekkas Handschuh, warf ihn in die Schranken und tat den verhängnisvollen Ruf: »Laisser aller!«

Die Trompeten schmetterten und in vollem Rosseslauf prallten die Ritter gegeneinander. Wie alle erwartet hatten, stürzte das müde Roß Ivanhoes und sein Reiter vor dem kräftigen Rosse und der festgeführten Lanze des Templers zu Boden. Aber obgleich Ivanhoes Lanze kaum den Schild Bois-Guilberts berührt zu haben schien, wankte der Templer doch zum Erstaunen aller Zuschauer im Sattel, verlor den Steigbügel und fiel in die Schranken. Ivanhoe machte sich rasch von seinem Pferde frei und zog sein Schwert, um seinen Nachteil wieder gut zu machen, aber sein Gegner stand nicht wieder auf. Wilfried setzte ihm den Fuß auf die Brust und hielt ihm die Spitze des Schwertes an die Kehle. Er stellte ihm die Wahl zu sterben oder sich für besiegt zu erklären. Bois-Guilbert antwortete nicht.

»Tötet ihn nicht, Herr Ritter,« rief der Großmeister, in die Schranken herabsteigend. »Tötet nicht Leib zugleich und Seele ohne Beichte und Absolution. Wir erkennen ihn für besiegt.«

Er befahl, dem Besiegten den Helm abzunehmen. Brians Augen waren geschlossen. Noch lange lag die dunkle Röte auf seinem Gesicht, und als sie ihn verwundert ansahen, schlug er die Augen auf, aber ihr Ausdruck war stier und leer – und mit einem Male verschwand die Röte, und Totenblässe überzog sein Gesicht. Die Lanze seines Feindes hatte ihn nicht beschädigt – er war als ein Opfer seiner eigenen unbezähmbaren Leidenschaften gestorben.

»Das ist fürwahr ein Gottesurteil!« rief der Großmeister und sah gen Himmel. »Fiat voluntas tua!«

Achtunddreißigstes Kapitel

Als kaum das erste Erstaunen vorüber war, erklangen Hufschläge und eine große Anzahl Reiter kam im Galopp hereingesprengt, daß der Boden unter dem Gestampf erbebte, der schwarze Ritter jagte in die Schranken, und ihm nach eine Schar von Bewaffneten und darunter einige Ritter in voller Rüstung.

»Ich komme zu spät,« sagte der schwarze Ritter, um sich blickend. »Ich hatte mir Bois-Guilbert für mich selber ausersehen. – Ivanhoe, war das recht von dir, ein solches Wagestück zu unternehmen, da du dich doch kaum im Sattel halten kannst?«

»Der Himmel hat diesen stolzen Mann zum Opfer auserkoren,« erwiderte Ivanhoe, »ihm sollte nicht die Ehre werden, von Eurer Hand zu fallen.«

»Friede sei mit ihm,« sprach Richard und sah ernst auf den Leichnam, »sofern er Frieden finden kann. Er war ein tapferer Ritter und ist ritterlich in seiner stählernen Rüstung gefallen. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Bohun, walte deines Amtes.«

Ein Ritter trat vor aus Richards Gefolge, legte Albert von Malvoisin die Hand auf die Schulter und sprach: »Ich verhafte Euch wegen Hochverrates.«

Bisher hatte der Großmeister in stummem Erstaunen über den Einbruch so vieler Ritter dagestanden. Jetzt rief er:

»Wer wagt es, einen Ritter des Tempels im Bezirk seines eigenen Präzeptoriums zu verhaften und in wessen Auftrag geschieht eine so kühne Beleidigung?«

»Ich vollziehe die Verhaftung,« versetzte der Ritter, »ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Connetable von England.«

»Und er verhaftet Malvoisin,« setzte der König hinzu, »auf Befehl Richard Plantagenets, der hier steht. Konrad Mont-Fitchet, es ist ein Glück für Euch, daß Ihr nicht als mein Untertan geboren seid, aber, Malvoisin, du stirbst mitsamt deinem Bruder Philipp, ehe noch die Welt eine Woche älter ist.« »Ich widersetze mich deinem Urteil,« sagte der Großmeister.

»Stolzer Templer,« antwortete Richard, »das ist unmöglich. Schaut auf und seht die königlich-englische Standarte statt dem Banner des Tempels von Euern Türmen wehen. Seid weise, Beaumanoir, und leistet keinen unnützen Widerstand. Eure Hand liegt im Rachen des Löwen. Löst Euer Kapitel auf und zieht mit Euerm Anhang zum nächsten Präzeptorium, sofern Ihr noch eines findet, das noch nicht hochverräterischer Umtriebe gegen den König von England bezichtigt worden ist. Sonst wenn Ihr wollt, mögt Ihr hier bleiben, unsere Gastfreundschaft genießen und Zeuge sein, wie wir Gerechtigkeit üben.«

»Ich sollte Gast sein in dem Hause, wo ich zu befehlen habe?« erwiderte der Großmeister. »Nimmermehr! – Ritter und Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet Euch vor, der Fahne Beauséant zu folgen!« Der Großmeister sprach mit einer Würde, die selbst den König aus der Fassung brachte und seinen Anhängern Furcht einflößte. Die Templer sammelten sich um ihr Oberhaupt, ihre finsteren Blicke sprachen feindselige Drohungen aus. Sie bildeten eine lange dunkle Linie von Speeren, aus der die weißen Mäntel der Ritter hervorschimmerten.

Die Menge, die ein lautes Geschrei der Mißbilligung ausgestoßen hatte, schwieg jetzt und schaute staunend auf die furchtbare, wohlgeschulte Schar von Kriegern und wich scheu zurück. Der Graf Esser galoppierte beim Anblick dieses Feindes vor und zurück, um seinen Anhang zu ordnen und zur Gegenwehr gegen eine so starke Macht aufzustellen. Richard allein, erfreut über die Gefahr, die seine Gegenwart herbeigeführt hatte, ritt an der Front der Templer langsam herunter und rief laut: »Wie, Sirs? Unter so vielen tapferen Rittern ist nicht einer, der eine Lanze mit Richard brechen will? Ritter des Tempels, Eure Damen müssen gar sehr an der Sonne verschossen sein, daß sie nicht mehr die Splitter einer Lanze wert sind.«

Der Großmeister ritt aus der Schar hervor. »Die Ritter des Tempels fechten nicht für so eitle weltliche Dinge, und mit Euch, Richard von England, soll kein Templer kämpfen. Der Papst und die Fürsten von Europa sollen unsern Streit richten und entscheiden, ob ein christlicher Fürst recht getan hat, so aufzutreten, wie Ihr hier getan habt. Wenn wir nicht angegriffen werden, so greifen auch wir niemand an. Eurer Ehre vertrauen wir die Waffenkammer und alles Hab und Gut des Ordens, das wir zurücklassen müssen, und auf Euer Gewissen laden wir alle Schmach und Beleidigung, die Ihr heute dem Christentum angetan habt.«

Und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeten schmetterten einen wilden morgenländischen Marsch, den sonst die Templer zum Angriff bliesen. Sie formierten eine Marschkolonne und ritten so langsam, wie nur die Pferde gehen wollten, um ihren Feinden zu zeigen, daß sie nur auf den Befehl ihres Großmeisters hin, nicht aus Furcht abritten.

Die Menge – wie sich ein furchtsamer Hund so lange das Bellen verhält, bis sich der Gegenstand seiner Furcht entfernt hat – ließ ein Hohngeschrei hören, als endlich die Templer den Platz verließen. Von dem Wirrwarr und dem Lärm, den der Abzug der Templer mit sich brachte, sah und hörte Rebekka nichts. Sie lag in den Armen ihres alten Vaters. Über dem schnellen Wechsel der Dinge hatte sie fast die Besinnung verloren. Aber ein Wort Isaaks brachte sie wieder zu sich.

»Laß uns gehen, meine Tochter,« sagte er, »mein wieder gefundener Schatz, wir wollen uns dem guten Jüngling zu Füßen werfen.«

»O nein! O nein!« sagte Rebekka, »ich könnte ihm jetzt mehr sagen als – – ich darf jetzt nicht mit ihm reden ... nein, Vater, laßt uns auf der Stelle diese Stätte des Bösen verlassen!«

»Aber meine Tochter, sollen wir ihm nicht Dank sagen, der sein Leben für nichts achtete, um dich aus der Gefangenschaft zu erlösen und dich – die Tochter eines Volkes, das ihm fremd ist – o, dieser Dienst muß seinen Dank finden.«

»Das soll er auch aufs höchste und aufs demütigste! Aber nicht jetzt, um deiner geliebten Rahel willen, Vater, gewähre mir die Bitte und laß uns jetzt fort. Du siehst, König Richard ist bei ihm und –«

»Du hast recht, meine gute und weise Rebekka, laß uns fort, laß uns fort! Wahrscheinlich braucht er Geld, er ist eben gekommen aus Palästina, und einen Vorwand, mir Geld abzunehmen, könnte er leicht darin finden, daß ich mit seinem Bruder Johann habe Geschäfte gemacht. Laß uns fort von hier!«

Die Jüdin, eben noch die Heldin des Tages, ging jetzt unbeachtet hinweg. Die Aufmerksamkeit der Menge war auf den schwarzen Ritter übergegangen, und der Ruf: »Lang lebe König Richard der Löwenherzige! Nieder mit den frechen anmaßenden Templern!« erfüllte rings die Luft.

»Obgleich all diese Lippen hier den Ruf der Treue tun,« sagte Ivanhoe zum Grafen Essex, »so hat der König doch wohl daran getan, daß er Euch, edler Graf, und eine so große Menge treuer Anhänger mitgebracht hat.«

Der Graf schüttelte lächelnd den Kopf. »Tapfrer Ivanhoe, Ihr kennt unseren Herrn so gut und meint doch, er sei von selber so weise und vorsichtig gewesen? Ich war unterwegs nach York, weil ich hörte, Prinz Johann zöge dort eine Partei zusammen, und da begegnete ich Richard, der wie ein echter fahrender Ritter hierher reiten wollte, um das Abenteuer zwischen der Jüdin und dem Templer allein mit seinem Arme zum Ende zu bringen. Fast wider seinen Willen Hab ich ihn hierher begleitet.«

»Wie steht es in York? Werden uns die Rebellen Widerstand leisten?«

»Nicht mehr als der Dezemberschnee der Julisonne. Sie sind auseinandergegangen und kein anderer Bote kam, uns diese Kunde zu überbringen als Prinz Johann selber.«

»Der elende freche Verräter!« rief Ivanhoe. »Hat ihn Richard ins Gefängnis werfen lassen?«

»Nein, er ist ihm begegnet, als ob sie sich nach einem Jagdausflug träfen. Er deutete auf sich und seine Bewaffneten und sagte: »Bruder, du siehst mich hier mit ein paar ergrimmten Gesellen, es wäre wohl besser, du gingst zu unserer Mutter, versichertest sie meiner Kindesliebe und bliebest dort, bis sich die Gemüter beruhigt haben.«

Aus den nun folgenden gerichtlichen Untersuchungen interessiert den Leser nur, daß Moritz de Bracy über die See entkam und unter Philipp von Frankreich Dienste nahm, daß Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, Präzeptor von Templestowe, hingerichtet wurden, obgleich Waldemar Fitzurse, der doch die Seele der Verschwörung gewesen war, mit Verbannung davonkam und Prinz Johann, für den die Verschwörung unternommen worden war, nicht einmal Vorwürfe von seinem gutmütigen Bruder erhielt.

Trotzdem bedauerte niemand das Schicksal der beiden Malvoisins, die ihren Tod wohl verdient hatten, durch manche Untat der Grausamkeit, Falschheit und Tyrannei.

Kurz nach diesen Geschehnissen wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards entboten, nach York, wohin der Monarch seine Residenz verlegt hatte, um diese Grafschaft, die der Ehrgeiz seines Bruders aufgewiegelt hatte, zu beruhigen. Cedric seufzte und schüttelte wiederholt den Kopf, aber er folgte dem Rufe. Richards Rückkehr hatte alle seine Hoffnungen auf die Wiederherstellung der sächsischen Dynastie zerstört. Wenn sich die Sachsen auch früher von einem Bürgerkrieg Erfolg hatten versprechen können, so war es doch klar, daß unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts unternommen werden konnte. Er war wegen seiner persönlichen guten Eigenschaften und seines kriegerischen Ruhmes bei dem Volke beliebt, obgleich seine Regierung oft zu sorglos und oberflächlich, bald zu despotisch, bald wieder zu nachsichtich und mild war. Wenn sich nun auch Cedric noch gegen die Erkenntnis sträubte, so mußte er doch einsehen, daß sein Plan, die Sachsen wieder zu vereinen, indem er Athelstane mit Rowena vermählte, jetzt nicht mehr auszuführen war, weil eben die beiden betreffenden Personen nicht damit einverstanden waren. Diese Wendung hatte er bei seinem Eifer für die Sache der Sachsen nicht vorausgesehen; und als endlich die beiderseitige Abneigung Athelstanes und Rowenas offen und deutlich zutage trat, da war es ihm unbegreiflich, daß sich zwei Sachsen aus königlichem Blute ihrer Verbindung widersetzen konnten aus rein persönlichen Gründen, während doch für das Wohl der Nation, für die Sache des Volkes eine solche Verbindung ein Segen gewesen wäre. Aber es war nichts daran zu ändern. Rowena ihrerseits hatte nie ein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Athelstane gemacht, nun äußerte aber auch Athelstane fest und bestimmt, daß er nie Ansprüche auf die Hand der Rowena erheben werde. Selbst die eingewurzelte Starrsinnigkeit Cedrics konnte gegen diese Hindernisse nichts ausrichten. Wenn er auf der Verbindung hätte bestehen wollen, so wäre ihm nichts andres übrig geblieben, als das widerstrebende Paar, an der einen Hand den Mann, an der anderen die Frau, zum Altar zu schleppen.

Trotzdem hatte er noch einen letzten energischen Versuch mit Athelstane machen wollen, und er fand diesen wiederauferstandenen Sproß des sächsischen Königshauses in einen heftigen Streit mit der Geistlichkeit verwickelt. Wie es schien, hatte nach seinen Drohungen, den Abt von St. Edmund umzubringen, teils infolge der trägen Gutmütigkeit seiner Natur, teils infolge der Bitten seiner Mutter, die es wie alle Damen der damaligen Zeit mit der Geistlichkeit hielt, seine Rachsucht sich daran ein Genüge sein lassen, daß der Abt und seine Mönche drei Tage bei magerer Kost in die Gefängnisse von Conningsburgh gesperrt wurden. Wegen dieser Grausamkeit drohte der Abt, ihn zu exkommunizieren, und er setzte eine große Liste von den Leiden und Beschwerden auf, an denen er und seine Getreuen in Magen und Eingeweiden seit der tyrannischen Einkerkerung krankten. Auf diesen Streit und die Mittel und Wege, die er eingeschlagen hatte, um sich die geistliche Verfolgung vom Halse zu schaffen, war nun Athelstanes Denken und Handeln, als Cedric zu ihm kam, so brennend konzentriert, daß er für nichts anderes Sinn hatte. Als er den Namen der Rowena nannte, bat Athelstane um die Erlaubnis, einen Becher voll Wein auf ihre Gesundheit und auf ihre baldige Vermählung mit ihrem Vetter Wilfried trinken zu dürfen. Allem Anschein nach war mit Athelstane in dieser Hinsicht nichts mehr anzufangen.

Nun blieben zwischen Cedric und den Liebenden nur noch zwei Hindernisse: sein Starrsinn und seine Abneigung gegen die normännische Dynastie. Seine Hartnäckigkeit ließ in der Liebe zu seinem Mündel endlich nach, auch der Stolz auf den Ruhm seines Sohnes tat das seine. Daß seinem Stamme die Ehre werden sollte, mit dem Stamme Alfreds verschmolzen zu werden, war ihm auch keineswegs gleichgültig, da der Sprößling Eduards des Bekenners seine höheren Ansprüche für immer hatte fallen lassen. Seiner Abneigung gegen die normännischen Könige wurde nun auch der feste Halt entzogen, da er die Unmöglichkeit einsah, die neue Dynastie aus England zu vertreiben. Außerdem erwies ihm Richard selber, dem Cedrics rauhe Gemütsart gefiel, persönliche Auszeichnung und wußte den edeln Sachsen so zu nehmen, daß er, ehe Cedric noch sieben Tage am Hofe des Königs verweilt hatte, die Einwilligung zu der Hochzeit seines Mündels Rowena mit seinem Sohne Ivanhoe von ihm erreicht hatte.

Die nunmehr von seinem Vater rückhaltlos gebilligte Vermählung unsers Helden fand in einem der erhabensten kirchlichen Gebäude, im Münster von York statt. Der König selber war anwesend, und die Art und Weise, wie er bei diesen und andern Anlässen die geknechteten und bisher verachteten Sachsen behandelte, ließ mit Sicherheit und zu ihrer allseitigen Genugtuung hoffen, daß sie ihre Rechte in vorteilhafterer Weise wieder erlangen würden, als sie von dem unsichern Würfelspiel eines blutigen Bürgerkrieges hätten erwarten können. Gurth begleitete in einer prächtigen Livree seinen Herrn, und der großherzige Wamba erhielt zur Feier des Tages eine neue Narrenkappe und schöne silberne Schellen. Sie, die Wilfrieds Gefahren und Unglück geteilt hatten, blieben auch, wie sie mit Recht erwartet hatten, im Glück an seiner Seite. Außer diesen Angehörigen und allen Dienern des Hausstandes und des Cedricschen Geweses waren alle hochgeborenen Normannen und die edelsten unter den Sachsen Gäste bei dem Hochzeitsfeste, die schöne Feier verherrlichend. Sie teilten den allgemeinen Jubel der niedern Stände, die in diesem Feste die Bürgschaft für künftigen Frieden und gutes Einvernehmen zwischen den beiden Stämmen erblickten, die sich dann ja auch so innig miteinander vermischt haben, daß ein Unterschied oder eine Scheidung nicht mehr zu entdecken ist. Cedric selber sah vor seinem Tode noch diese Verschmelzung fast vollendet. Indem die beiden Nationen untereinander heirateten und in geselligen Verkehr traten, ließen die Normannen von ihrem Stolze ab und die Sachsen legten ihre Roheit und manche ihrer ungeschlachten Gebräuche ab. Allein erst unter Eduard dem Dritten wurde die Mischsprache, die sich jetzt Englisch nennt, Hofsprache, und damit erst endete jedwede feindliche Unterscheidung zwischen Sachsen und Normannen.

Am zweiten Morgen nach dieser glücklichen Hochzeit brachte die Zofe Elgitha ihrer Herrin Rowena die Meldung, eine Frau wünsche sie unter vier Augen zu sprechen. Rowena war verwundert, zauderte und ließ sich schließlich durch ihre Neugier bestimmen, die Angemeldete hereinzulassen. Die Fremde trat ein – eine edle gebietende Gestalt. Der lange weiße Schleier lag nur wie ein Schatten auf der majestätischen Schönheit, ohne sie zu verhüllen. Sie zeigte ein ehrfurchtsvolles Benehmen, das aber frei war von jeder Beklommenheit oder dem Bestreben, um Gunst zu werben. Rowena war stets bereit gewesen, mit anzuhören, was das Herz ihrer Mitmenschen bewegte und bedrückte, und ihnen beizustehen. Sie erhob sich und wollte die reizende Fremde nach einem Sitze führen, als diese einen Blick auf Elgitha warf und abermals bat, mit der Lady allein zu sprechen. Kaum war Elgitha weg – die nicht ohne Widerstreben das Zimmer verließ – so kniete der schöne Gast vor Rowena nieder, neigte den Kopf zur Erde und versuchte trotz Rowenas Sträuben, den Saum ihres Kleides zu küssen.

»Was soll das?« fragte die erstaunte junge Frau. »Warum erweist Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?«

Rebekka stand auf und nahm ihre frühere hoheitsvolle Haltung wieder an. »Lady von Ivanhoe,« sagte sie, »ich wollte Euch damit nur in geziemender Weise den Dank abstatten, den ich Wilfried von Ivanhoe schuldig bin. Ich bin – verzeiht mir, daß ich Euch so kühn die Huldigung dargebracht habe, die in unserm Vaterlande Sitte ist – ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Templestowe sein Leben gegen so drohende Gefahr gewagt hat.«

»Jungfrau!« versetzte Lady Rowena. »Wilfried von Ivanhoe hat an diesem Tage nur in geringem Maße die unermüdliche Sorgfalt und Hingebung vergolten, mit der Ihr ihn gepflegt habt, als er verwundet und sein Leben in Gefahr war. – Redet – können wir Euch noch irgend einen Dienst erweisen?«

»Keinen,« versetzte Rebekka ruhig. »Nur mein dankbares Lebewohl richtet an ihn aus.«

»Verlaßt Ihr England?« fragte Rowena, die ihr Erstaunen über diesen unerwarteten Besuch kaum zu beherrschen vermochte.

»Ich verlasse England, ehe noch der Mond wechselt. Mein Vater hat einen Bruder, der bei Mohamed Boabdil, dem König von Granada, in hoher Gunst steht. Dorthin gehen wir und hoffen Schutz und Frieden zu genießen gegen die Abgaben, die die Moslemin von unserm Volke nehmen.«

»Und könnt Ihr das nicht auch in England?« fragte Rowena. »Mein Gemahl steht in Gunst beim König, der König selber ist gerecht und großmütig.«

»Lady,« erwiderte Rebekka, »daran zweifle ich nicht. Aber das Volk Englands ist ein wildes Geschlecht, das beständig im Zwist lebt mit seinen Nachbarn und mit sich selber und stets bereit ist, jedermann mit dem Schwerte zu durchbohren. Da ist für die Kinder meines Volkes keines Bleibens. Ephraim ist eine mutlose Taube, Isaschar ist ein bedrückter Sklave, er schreitet einher zwischen zwei Lasten. In einem Lande, das voll Blut und Krieg ist, das von feindseligen Nachbarn umgeben und im Innern durch vielfältigen Zwiespalt zerrüttet ist, darf Israel nicht hoffen, auf seiner Wanderschaft Rast zu finden.«

»Aber Ihr,« Jungfrau, erwiderte Rowena, »Ihr könnt hier nichts zu befürchten haben. Das Mädchen,« fuhr sie in überschwenglicher Begeisterung fort, »das Ivanhoes Krankenbett bewacht hat, hat in England nichts zu befürchten, wo Sachsen und Normannen miteinander wetteifern werden, wer ihr die meiste Ehre erzeigen kann.«

»Ihr sprecht gar schön, Lady,« sagte Rebekka, »und süß klingen Eure Worte, und noch edler ist Eure Absicht. Aber es kann nicht sein – zwischen uns ist eine Kluft – doch ehe ich gehe – gewährt mir eine Bitte. Der bräutliche Schleier hängt über Euerm Antlitz, hebt ihn auf und laßt mich das Gesicht sehen, das alle Welt rühmt.«

»Kaum ist es des Anschauens wert,« erwiderte Rowena, »aber indem ich von meinem Gast das gleiche erwarte, lüfte ich den Schleier.« Sie schlug ihn zurück, und teils unter dem Bewußtsein ihrer hohen Schönheit, teils aus Verschämtheit errötete sie so tief, daß Wange, Stirne, Nacken und Busen wie von Morgenröte übergossen schienen.

Auch Rebekka errötete, aber nur infolge einer augenblicklichen Gefühlsanwandlung, dann meisterten höhere Empfindungen die flüchtige Regung und die Röte wich aus ihren Zügen, wie der Purpur der Abendwolke verblaßt, wenn die Sonne im Horizont versinkt. »Lady,« sprach sie, »das Gesicht, das Ihr mir gezeigt habt, wird lange Zeit in meiner Erinnerung leben. Güte und Sanftmut thronen darin, und wenn ein leiser Zug von Stolz und weltlicher Eitelkeit mit einem so edeln und liebenswürdigen Ausdruck gepaart erscheint, wer möchte tadeln, daß das, was der Erde entstammt, die Farben seines Ursprungs trägt? Lange, lange werde ich Euers Angesichtes gedenken, und Gott sei gelobt, daß ich meinen edeln Befreier vermählt sehe mit...« Sie hielt inne, trocknete sich die Thränen, mit denen ihre Augen sich unwillkürlich füllten, und antwortete auf Rowenas besorgte Fragen: »Ich fühle mich wohl, Lady, recht wohl – aber mir schwillt das Herz, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Templestowe denke. Lebt wohl! Noch nicht den kleinsten Teil meiner Schuld habe ich hiermit abgetragen. Nehmt dieses Schmuckkästchen von mir an und erschreckt nicht über seinen Inhalt!«

Rowena öffnete das kleine mit Silber beschlagene Kästchen und fand darin ein Halsband und Ohrringe von Diamanten, die anscheinend von unermeßlichem Werte waren. »Das kann ich unmöglich annehmen,« sagte sie, den Schmuck zurückgebend. – »Die Gabe ist zu reich.«

»O, nehmt sie an, Lady,« bat Rebekka. »Ihr habt Macht, Ansehen, Rang und Einfluß, wir haben Reichtum, der die Quelle unserer Stärke wie unserer Schwäche ist. Wäre der Wert dieses Tandes auch zehnmal so groß, er könnte nicht so viel bewirken wie Euer leisester Wunsch. Für Euch hat meine Gabe geringen Wert, und für mich ist es ein noch geringeres, wenn ich mich davon trenne. Laßt mich nicht glauben, Ihr dächtet ebenso schlecht von meinem Volke, wie die große Masse des englischen Volkes. Meint Ihr, ich schätzte dieses gleißende Gestein höher als meine Freiheit, oder mein Vater schätzte es der Ehre seines einzigen Kindes gleich wert? Nehmt es, Lady, für mich hat es keinen Wert mehr. Ich werde nie wieder Juwelen tragen.«

»Seid Ihr denn unglücklich?« fragte Rowena, erschüttert durch den seltsamen Ton, in dem diese letzten Worte gesprochen wurden. »O, bleibt bei uns! der Rat heiliger Männer wird Euch von Euerm unglücklichen Glauben bekehren, und ich will Euch eine Schwester sein.«

»Nein, teure Lady,« antwortete Rebekka mit demselben melancholischen Wesen, »das kann nicht sein. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht zum Klima paßt, unter dem ich lebe. Unglücklich, Lady, werde ich mich nicht fühlen, denn Gott, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein.«

»Habt Ihr denn Klöster, wohin Ihr Euch zurückziehen könnt?«

»Nein, Lady, aber in unserm Volke hat es schon zu den Zeiten Abrahams Frauen gegeben, die ihr Denken und Trachten dem Himmel gewidmet haben und in Werken der Barmherzigkeit ihren Lebenszweck erblickten, die Kranken pflegten, die Hungrigen speisten und die Betrübten trösteten. Zu diesen soll Rebekka gezählt werden. Das sagt Euerm Herrn, wenn er nach dem Schicksal der Jüdin fragt, der er das Leben gerettet hat.« Bei diesen Worten erbebte sie unwillkürlich, und eine Innigkeit lag im Klange ihrer Stimme, die mehr verriet, als sie sich merken lassen wollte. Deshalb beeilte sie sich, von Rowena Abschied zu nehmen. »Lebt wohl!« sagte sie. »Der Gott, der Juden und Christen schuf, gieße seinen Segen reich über Euer Haupt aus! – Doch die Barke, die uns von hinnen tragen soll, wird schon unter Segel sein, noch ehe wir den Hafen erreicht haben.« Sie ging hinaus und ließ Rowena zurück in Erstaunen über diesen Besuch.

Die schöne Sächsin erzählte die seltsame Unterredung ihrem Gatten wieder, auf dessen Gemüt sie einen tiefen Eindruck zu machen schien. Lange und glücklich lebte er mit Rowena, denn die Bande innigster Liebe verknüpften sie, und durch die Erinnerung an die überwundenen Hindernisse, die sich ihnen entgegengetürmt hatten, wurden sie sich immer teurer. Wir wollen es indessen dahingestellt sein lassen, ob sich der Gedanke an Rebekka nicht öfter dem jungen Gatten aufdrängte, als die schöne Frau aus Alfreds Geschlecht hätte wünschen mögen.

Ivanhoe zeichnete sich im Dienste seines Königs aus und erhielt auch ferner noch manchen Beweis der Gunst Richards. Er wäre zu immer höherer Stellung gelangt, wenn nicht der Tod den heroischen Richard Löwenherz so frühzeitig abberufen hätte. Er starb den Heldentod vor dem Schlosse Chalüz bei Limoges.

Mit dem Leben des hochherzigen und romantischen Fürsten gingen alle Pläne unter, die seine Großmut und sein Ehrgeiz gefaßt hatte. Auf ihn ließen sich, mit geringer Abänderung, die Zeilen anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden gedichtet hat:

Sein Schicksal endete an fremdem Strand


Vor schwacher Feste und durch niedre Hand.


Einst machte jedes Herz sein Name höher schlagen,


Jetzt ist er nur ein Stoff, an Lehren reich und Sagen.

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