Erstes Buch.

Erstes Kapitel

Für ein Weltreich zur Hauptstadt kann sich – und darüber herrscht bei allen gebildeten Männern, die sich durch den Augenschein überzeugen konnten, nur eine Stimme – nur eine einzige Stadt auf Erden eignen: und das ist Konstantinopel, denn keine eignet sich auch in nur annähernd gleicher Weise hierzu wie diese durch Pracht und Reichtum, sichere Lage und weltgeschichtliche wie lokale Bedeutung gleich ausgezeichnete Stadt Konstantins des Großen. Aber diesem machtvollen Kaiser sollte die Erfahrung nicht erspart bleiben, daß das griechische Volk, wenn es auch noch immer das gebildetste der Welt war, doch den Zenith überschritten hatte, und daß er die genialen Männer nicht mehr unter ihm fand, um Werke neu schaffen zu lassen, die gleich jenen ihrer herrlichen Ahnen die Bewunderung der ganzen Welt gefunden hatten, sondern daß er sich, um seine neue Hauptstadt zu schmücken, darauf beschränken mußte, alte berühmte Städte ihrer Zier zu entkleiden. Herrschsucht einer- und Knechtssinn anderseits hatten sich in die Menschheit eingenistet und jenen edlen Geist vernichtet, der das freie Griechenland, das republikanische Rom erfüllte, und nur matte Erinnerungen, zu keiner Nacheiferung anspornend, waren von der einstigen Geistesherrlichkeit verblieben.

Aber in einer, und zwar höchst wichtigen Hinsicht hatte Konstantinopel eine Wandlung zum Besseren zu verzeichnen: die Welt hatte sich frei gemacht von dem Drucke heidnischen Aberglaubens und war christlich geworden! Daß mit dem besseren Glauben der Mensch auch besseren Herzens wurde und daß er seine Leidenschaften zähmen lernte, steht außer Zweifel; aber nicht alle, die den neuen Glauben annahmen, taten es in Demut und Bußfertigkeit, sondern legten die Schrift aus nach ihrem vermessenen Sinne, zur Mehrung ihres weltlichen Vorteils, und benutzten religiösen Charakter und geistlichen Stand bloß als Mittel, zu irdischer Macht und Größe zu gelangen. Daher kam es denn, daß jene gewaltigste aller Umwälzungen, wie sie die Welt im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung erlebte, wohl schnell zur Ernte ausreifte, die viele gute Samenkörner streute, aber doch nicht jene große, neue Aera brachte, die das Kind der mächtigen Lehren des Christentums hätte sein müssen. Konstantin hatte seine neue Stadt nicht mit neuem Glanze geschmückt, sondern hatte anderer Städte alten Glanz hierher verpflanzt, einem verschwenderischen Jünglinge vergleichbar, der einer alten Großmutter den Mädchenstaat stiehlt, um ihn einer eitlen Geliebten um den Hals zu hängen, der er doch gar nicht zu Gesicht steht. So zeigte das kaiserliche Konstantinopel bereits im Jahre seiner Gründung, 324 vor Christo, durch seine entlehnte Pracht die Merkmale jener Neigung zu schnellem Verfall, die der gesamten zivilisierten Welt der damaligen Zeit innewohnte; und es sollte auch nicht lange dauern, bis er hier zur vollendeten Tatsache wurde.

Im Jahre 1080 nach, Christo bestieg Alexius Komnenos den Thron des byzantinischen Reiches, oder vielmehr, er wurde zum Herrn über Konstantinopel und dessen Gebiet oder Weichbild erhoben. Freilich, wohl konnten die wilden Skythen und Hunnen, wenn sie über die Reichsgrenzen drangen, des Kaisers Schlummer in Konstantinopel nicht stören; aber weit über Konstantinopel hinaus durfte er sich nicht wagen, wenn er sich nicht in Gefahr begeben und darin umkommen wollte; und um sich in ihrer Andacht nicht durch das Kriegsgeschrei der barbarischen Völker stören zu lassen, hatte sich die Kaiserin Pulcheria weit ab vom Stadttor eine Kirche erbauen lassen, und aus demselben Grunde stand unfern von da auch der kaiserliche Palast.

Alexius Komnenos war ein Herrscher, dessen Ansehen weniger auf der Macht beruhte, über die er selbst noch verfügte, als auf der, über die seine Vorfahren verfügt hatten. Die Gewalt, die er noch über die zerstückten Provinzen seines Reiches besah, glich derjenigen, die ein im Verenden liegendes Pferd noch über seine, den Krähen und Geiern schon zum Raube verfallenen Glieder ausüben kann. In verschiedenen Gebieten seines Reiches standen allerhand Feinde auf, von Westen her die Franken und von Osten her die Türken, von Norden her die Kumanen und Skythen und von Süden her die Sarazenen, und für alle wäre das byzantinische Reich ein gar leckerer Bissen gewesen; und bei der Schlaffheit, die den Römer der damaligen Zeit zum untauglichsten aller Krieger im Gegensatz zu all diesen Feinden machte, von denen jeder seine besondere Art der Kriegführung hatte, war für den Kaiser die einzige Rettung, diese verschiedenen, feindlichen Kräfte gegeneinander auszuspielen, die Skythen auf die Türken zu hetzen, oder sie beide als Keil wider die kühnen und tapferen Franken zu benutzen, die damals durch Peter den Einsiedler und die Kreuzzüge zu verdoppelter Wut entflammt wurden. Man darf es demnach Alexius Komnenos kaum als Schlechtigkeit anrechnen, wenn er lieber, statt zu den Waffen, zu List und Verstellung griff; dahingegen muß es ihm als sündige Schwäche angerechnet werden, daß er den Prunk über alle Maßen liebte und an seinem Hofe die unsinnigsten Zeremonien, wodurch er das griechische Kaisertum in eine Linie mit demjenigen des Reiches der Mitte setzte, einzuführen bestrebt war.

Aber insoweit müssen wir ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er durch die oft unsauberen Mittel, deren er sich bediente, sich dem Reiche nützlicher zu machen wußte, als es manchem stolzeren Fürsten unter den gleichen Umständen möglich gewesen wäre. Mit seinem fränkischen Gegner Bohemund von Antiochia, einem der berühmtesten Kämpen seines Zeitalters, sich einzulassen, wäre ihm wahrscheinlich übel bekommen; nichtsdestoweniger hat er bei mehr denn einem Anlasse sein Leben mutig in die Wagschale geworfen und hat es oft verstanden, eine Niederlage durch kluges Verhalten in einen Sieg umzugestalten, den Diplomaten gegen den Feldherrn, aber auch umgekehrt, auszuspielen; denn er war nicht minder ein tüchtiger Feldherr, dem nicht so leicht die Vorteile einer guten Stellung entgingen oder streitig zu machen waren, wenngleich er auch nicht selten durch Unbeständigkeit oder Verräterei der barbarischen Völker – die Griechen nannten bekanntlich »Barbaren« alle Nichtgriechen – in Schaden gesetzt wurde.

Alles in allem genommen, läßt sich von Alexius Komnenos sagen, daß er ein höchst humaner Regent gewesen wäre, hätten ihm die Verhältnisse, unter denen er lebte und regierte, nicht die Notwendigkeit auferlegt, sich zu einem gefürchteten Tyrannen zu machen, denn er war allen nur erdenklichen Komplotten, nicht bloß im Staate, sondern auch in der Familie, ausgesetzt; trotzdem muß ihm nachgerühmt werden, daß er noch bei weitem nicht der ärgste Kopfabschneider und Augenblender gewesen ist, der auf dem Throne des christlichen Byzanz gesessen hat.

Daß er von dem Aberglauben, der sein Zeitalter beherrschte, nicht frei gewesen ist, mag nebenher bemerkt werden. Damit im Zusammenhange steht, daß er ein schrecklicher Heuchler war, von dem seine Gemahlin Irene, die ihn Wohl am besten gekannt haben dürfte, gesagt hat: er habe noch im Tode sich als der Komödiant erwiesen, der er sein Lebtag gewesen sei. Er nahm auch alles, was mit der Kirche im Zusammenhange stand, energisch wahr, übte gegen solche, die ein Kirchendogma bezweifelten oder falsch deuteten, nicht die geringste Nachsicht und hatte den festen Glauben, daß es ihm ebenso Pflicht sei, die Religion wider Ketzer, wie das Reich gegen die zahllosen Barbarenhorden zu schützen, die von allen Seiten sich Eingang in dasselbe zu schaffen suchten.

Ein solches Mixtum compositum von Klugheit und Schwäche, von Schlechtigkeit und Würde, von klugem Maßhalten, und Mangel an persönlichem Mut war der Charakter jenes Alexius, der zu einer Zeit über das byzantinische Reich als Herrscher gesetzt worden war, wo Griechenlands Geschick und die Trümmer griechischer Kunst und griechischer Bildung in der Wagschale schwankten und von der Gewandtheit, mit welcher der Kaiser sich durch die verschiedenen Phasen seiner Regierung zu winden wußte, ihr Fortbestand abhängig war.

Diese wenigen Angaben sollen in die Zeit einführen, zu welcher die nachstehende Erzählung spielt.

Zweites Kapitel

Die Handlung beginnt in der Hauptstadt der östlichen Roma, von der im ersten Kapitel die Rede, und zwar in der Nähe des »goldenen Tores«, das in der starken, nach damaligen Begriffen uneinnehmbaren Mauer sich öffnet, mit der Konstantin der Große die Stadt umzingelte und die nach ihm Theodosius der Große erweiterte und verstärkte. Was ihm den stolzen Namen verschafft hat, war die Gestalt des Triumphbogens, in welcher es errichtet worden, die eherne Figur der Siegesgöttin, die sich auf ihm erhob, und der viele goldene Zierat, womit die Inschriften eingesetzt und umzogen waren. Die Inschriften rühmten den »ewigen Frieden«, den das Schwert des Theodosius der Welt und der Stadt durch seine ruhmvollen, wenn auch blutigen Heereszüge gebracht hatte, und neben ihnen verkündigten das auch die vier bis fünf Kriegsmaschinen, die neben der Siegesstatue das Tor krönten.

Die Zeit, in welcher der Leser mit uns vor dieses goldene Tor tritt, ist ein frischer, aber nicht kühler Abend, der zum Verweilen im Freien einlud wie zur Betrachtung des romantischen Bauwerkes und der zahlreichen anderen Merkwürdigkeiten, die hier Kunst und Natur Fremden und Einheimischen darboten. Ein Fremder, dem Aussehen nach ein Kriegsmann, verweilte auch jetzt vor dem Tore, im Anschauen versunken, und sein unruhiges, lebendiges Auge sprach deutlich von dem großen Eindruck, den dieser neue, ihm zweifellos ungewohnte Anblick auf ihn hervorbrachte. Seiner hellen Hautfarbe nach zu schließen, war er in weiter Ferne von der griechischen Hauptstadt daheim; er war von schöner Figur und von kräftigem Bau: Vorzüge, für die man in Konstantinopel ein scharfes Auge hatte, denn bei den öffentlichen Spielen im Zirkus war man hier gewöhnt, die schönsten Menschen der Erde auftreten zu sehen, und hatte Gelegenheit genug zum Studium des menschlichen Körperbaues.

Der Kriegsmann mochte zweiundzwanzig Jahre zählen. Was in seinem Gesicht hierzulande besonders auffiel, waren die tiefblauen Augen und das herrlich blonde Haar, das unter dem silberplattierten, mit einem züngelnden Drachen geschmückten Helme hervorquoll. Die Züge seines Gesichtes waren zart, aber nichts weniger als weichlich; die stolze Art, wie er die Wunder betrachtete, die sich vor seinen Blicken entfalteten, verkündete jenen regen Verstand, der zu durchdringen sucht, was ihm nicht auf den ersten Blick faßlich ist oder was er falsch aufgefaßt zu haben fürchtet. Gerade diese Art schien ihm bei den Leuten, die außer ihm vor dem Tore verweilten, Sympathieen zu erwecken; sie fühlten sich geneigt, ihm die Eigenschaft eines »Barbaren« nachzusehen, der aus irgend einem unbekannten, fernen Erdenwinkel den Fuß in die überzivilisierte Stadt gesetzt hatte oder setzen wollte, die sie ihre Heimat mit, wenn auch gerechtem, so doch in vieler Hinsicht übertriebenem Stolze nannten.

Die Tracht, in welcher der junge Kriegsmann sich ihnen zeigte, ließ durch die seltsame Mischung von Pracht und Weichlichkeit auf Stand und Herkunft schließen. Schon der phantastische Helm mit dem züngelnden Drachen kennzeichnete ihn als einen Sohn des hohen Nordens, desgleichen der knappe Harnisch, der die breite Brust weniger deckte als schmückte, das Bärenfell, das ihm zwischen den Schultern über den Mücken herabhing, und an der linken Seite das blanke, krumme Schwert in der güldenen und elfenbeinernen Scheide, die gleich dem Harnisch auch mehr Zierart als Waffe zu sein schien, denn für die starke Faust des Hünen war es um vieles zu leicht und zu klein. Ein prall an die Hüften schließendes Kleid reichte nur bis zu den Knieen; bis zu den Waden waren die Beine nackt, und von den Waden nieder schlangen sich die Sandalenriemen, gehalten von goldenen Münzen als Spangen, mit dem Bildnis des herrschenden Kaisers darauf. Aber eine Waffe, die sich besser schickte für solchen jungen Hünen, denn nur ein Hüne, und kein schwächerer vermochte sie zu führen, war die doppeltgeschliffene Streitaxt mit dem eisenbeschlagenen Stiele aus Eichenholz, die hell wie ein Spiegel blitzte und die er so leicht in der Faust trug, als hätte sie das Gewicht einer Feder.

Schon der Umstand, daß er Waffen führte, kennzeichnete ihn als Fremden; denn die Griechen trugen sie nicht zu Friedenszeiten, zum Unterschiede ihres Charakters als friedliche, zivilisierte Staatsbürger von mißachtetem Söldnervolk, und auch jetzt hörte man, wie sie einander scheu und verdrossen zuraunten, der junge Kriegsmann sei »auch einer von den Warägern«, unter welcher Bezeichnung die kaiserliche Leibwache zusammengefaßt wurde, die sich nur aus nordischen »Barbaren« rekrutierte.

Die oströmischen Kaiser hatten seit vielen Jahren die Gewohnheit, sich eine solche Leibgarde zu halten, auf deren Stärke, Treue und Mut sie bauen durften, nicht bloß den zahlreichen äußeren, sondern auch den im geheimen wühlenden inneren Feinden gegenüber. Sie bezogen auch einen hohen Sold und standen bei den Griechen, die schon längst von Heldenhaftigkeit nichts mehr an sich hatten, in gefürchtetem Ansehen. Die Rüstung, die sie trugen, stand im Einklange mit derjenigen, die wir eben an dem kriegerischen Jünglinge beschrieben haben, und die sich als eine Nachäffung der von den Warägern in ihren heimischen Urwäldern getragenen auswies. In einer früheren Zeit des oströmischen Kaiserreiches hatte die Waräger-Leibgarde sich aus nordischen Seeräubern zusammengesetzt, die von ihrem unbezwinglichen Tatendurste in ihren Wikingerschiffen auf die unwegsamen Meere hinausgetrieben wurden und gegen alle Gefahr gefeit zu sein schienen. Später, als diese nordischen Völker sich von dem Seeräuberleben, das ihre Altvordern aus den Meerengen Helsingörs zu jenen von Sestos und Abydos führte, ab- und friedlicheren Berufen zuwandten, traten Angelsachsen an ihre Stelle, die sich in ihrem Herrentrotze dem normannischen Joche, unter das Wilhelm der Eroberer sie gezwungen, nicht beugen mochten, sondern lieber die heimische Scholle verließen. Ihre Sprache war mit derjenigen der Waräger verwandt, und obwohl sich ihr Volkstum nicht mit dem ihrigen völlig deckte, blieb ihnen doch in Ostrom der gleiche Name. Den Befehlshaber der Leibgarde zu ernennen, war ein Recht, das der Kaiser sich vorbehalten hatte; aber ihre Zugführer wählten, sie selbst aus ihrer Mitte; die Kreuzzüge, Pilgerfahrten und andere Anlässe brachten ihnen hin und wieder neuen Zuschub, und da ihnen ihre Privilegien nicht verkürzt, sondern eher gemehrt wurden, da sie nicht in die selbstherrlichen Gelüste der Prätorianer von Westrom verfielen, sondern ihren Kaisern die Treue hielten, vermochten sie sich in voller Kraft bis in die letzten Zeiten des griechischen Kaisertums zu halten.

Was wir hier über die Waräger gesagt haben, erklärt die Anwesenheit eines solchen vor dem goldenen Tore Konstantinopels an jenem frischen Herbstabend vollkommen, und wir können nunmehr in unsere eigentliche Erzählung treten... Daß er von den städtischen Bürgern mit Neugier betrachtet wurde, braucht nicht zu befremden, denn es bestand zwischen der kaiserlichen Leibgarde und dem Bürgertum wenig Verkehr; der Bürger fürchtete sie, wie gesagt, als kaiserliche Polizei und neidete ihnen den hohen Sold, der doch nur aus ihrem »Fleisch geschnitten« wurde; sie hielten sich demzufolge, sofern nicht ein kaiserlicher Befehl es anders anordnete, fast immer im Bereich ihrer Kasernements auf... »Ein Waräger,« sagte einer von den gaffenden Bürgern zu seinem Nachbar, »und im Dienst? Was mag er vorhaben?« – »Ja,« sagte der, »wie soll ich's sagen können? Vielleicht soll er ausspionieren, welche Meinung in der Stadt über den Kaiser herrscht?« – »All ihr Götter!« rief der erste wieder, »wie könnt Ihr solches meinen, Nachbar Seidenwirker? Ihr vergeßt dabei ganz, daß die Waräger eine andere Sprache reden wie wir! Das wäre mir ein netter Spion!« – »Aber es sollen Leute drunter sein, die in allen Zungen reden; da werdet Ihr wohl zugeben müssen, daß es auch welche drunter geben kann, die zu beobachten verstehen und die Gabe besitzen, Beobachtetes zu hinterbringen.« – »Mag sein! Aber wär's nicht gescheiter, wir schlenderten nach Hause, statt uns in Gefahr zu setzen, mit einem von der kaiserlichen Leibgarde in Konflikt zu kommen? Wer kann's voraussehen, wie solche Begegnungen ausgehen?«

Diese Worte fanden des andern Beifall, und so trotteten die beiden Bürger, untergefaßt, ihren in einem ferneren Viertel befindlichen Wohnungen zu. Die Sonne ging zu Rüste, und die Mauern und Bollwerke warfen längeren und dichteren Schatten. Der Waräger, sichtlich abgespannt durch die Bewegung in dem engen Kreise, der ihn seit Stunden in seinem Banne hielt, blickte unwirsch zur Sonne hin, die in voller Glut hinter einem Zypressenhaine unterging, und suchte sich dann auf einer Steinbank unter dem goldenen Tore ein Ruheplätzchen. Hier legte er seine Streitaxt dicht neben sich, schlug den Mantel um sich und sank nach kurzer Zeit in friedlichen Schlummer, so ungünstig Ort und Tracht auch hierzu waren. Sein Beistand blieb aber munter, so müde auch sein Leib war, und kein Jagdhund möchte einen leichteren Schlaf haben als unser Angelsachse vor Konstantinopels goldenem Tore.

Hatte er vorhin schon den Stadtbürgern, die sich vor dem Tore ergingen, Anlaß zu Aeußerungen gegeben, so jetzt erst recht! Ein kleiner, munterer Mann, den die Papierrolle unter dem Arm und der Beutel mit Bleistiften in der Hand als Zeichner verrieten, Lysimachus mit Namen, kam mit einem, dem Waräger nicht unähnlichen, nur derberen Gesellen, Stephanos dem Ringer, in der Palästra wohlbekannt und gern gesehen, aus der Stadt durch das Tor geschlendert. »Warte, Kamerad!« rief Lysimachus, »von diesem jugendlichen Herkules muß ich mir eine Skizze fertigen!« – »Herkules?« erwiderte Stephanos, »ich dächte, der wäre ein Grieche gewesen, aber kein Barbar!« – Lysimachus beeilte sich, den Verdruß, den er ohne böse Absicht bei dem Kameraden geweckt hatte, wieder gut zu machen, denn Stephanos, mit dem Beinamen Kastor, war sein Gönner und sorgte durch das Ansehen, in welchem er als Fechter stand, dafür, daß Lysimachus bekannt wurde und Kundschaft bekam. – »Stärke und Schönheit, mein teurer Stephanos,« sagte er, »sind nicht Vorzüge eines einzigen Volkes: ich lasse sie gern gelten, wo ich sie antreffe, sei es beim nordischen Barbaren oder beim Liebling eines erleuchteten Volkes, der körperliche Vollendetheit mit schönen Naturgaben verbindet, wie sie uns kein Werk eines Phidias oder Praxiteles schöner zeigt.« – »Nun, daß der Waräger sich sehen lassen kann,« erwiderte einlenkend der andere, »lasse ich ja gelten; trotzdem der arme Teufel wohl sein ganzes Leben noch keinen Tropfen Oel auf seiner Haut gespürt haben mag.« – »Oho! was liegt denn neben ihm auf seinem Bärenfelle, ist's ein Prügel?« – »Laß uns gehen, Kamerad!« rief der andere, als er den Schläfer näher ins Auge gefaßt hatte. »Kennst Du des Warägers grimme Waffe nicht? Nicht mit Schwert und Lanze kämpft er, wie sie im Brauch sind als Waffen wider Menschen von Fleisch und Blut, sondern mit Streitaxt und Keule, als gälte es, Glieder von Stein und Sehnen von Eiche zu zermalmen. Meine welke Petersilienkrone verwette ich, daß er hier liegt mit dem Auftrage, ein Subjekt zu verhaften, das sich bei dem Kaiser mißliebig gemacht hat, wozu sonst trüge er die schreckliche Waffe? Komm, komm, Lysimachus! lassen wir den Bären schlafen!«

Je länger und dichter die abendlichen Schatten wurden, desto spärlicher wurde die Zahl der vor dem Tore promenierenden Bürger. Zwei Weiber aus dem Volke kamen jetzt an der Bank vorbei, auf der der Waräger lag. »Maria, Du Heilige!« sagte eine von ihnen, »sollte man nicht meinen, er sei der Prinz aus Aegyptens hochzeitlicher Kammer, der in dem schonen Märchen des Morgenlandes von den Huldgöttinnen zum Tore von Damaskus geführt und dort in Schlummer gewiegt wird? Laß mich das arme Lämmchen wecken, dem der Nachtfrost sonst einen Schnupfen bringen möchte!« – »Schnupfen?« wiederholte die andere, die älter war und ein grämliches Gesicht hatte, »dem? so wenig wie das kalte Wasser des Cydnus dem wilden Schwane, wird diesem Lämmchen von Waräger der Nachtfrost schaden! Welche Frau, die auf sich hält, möchte solchem Barbaren ein Wort vergönnen? Kommt, kommt! ich will Euch einen Streich erzählen, den solcher Barbar von Waräger mir einst gespielt hat!« und sie zog die jüngere Begleiterin mit Gewalt hinter sich her, die ihren Worten wenig Gewicht beizulegen schien und sich noch ein paarmal nach dem schönen Schläfer umdrehte.

Als die Sonne untergegangen und mit ihr ziemlich gleichzeitig auch die Dämmerung verschwunden war – denn Konstantinopel erfreut sich bereits nicht mehr jenes Vorzuges eines langsameren Ueberganges vom Tageslicht zum Nachtdunkel, den die gemäßigten Zonen besitzen – schlossen die Stadtwächter die beiden Flügel des Tores und ließen nur eine kleine Pforte offen für solche, die sich außerhalb verspätet hatten. Der auf der Steinbank im Schlafe liegende Waräger konnte natürlich von den Wächtern, die zu dem aus dem Griechenvolke rekrutierten Stadtheere gehörten, nicht ungesehen bleiben. »Bei Kastor und Pollux!« rief der Zenturio – denn die Griechen schwuren noch immer bei den alten Göttern, obwohl dieselben schon längst ins alte Eisen gewandert waren – »an diesem Tore ist kein Gold mehr zu gewinnen! Hol der Teufel seinen Namen! Aber Esel wären wir, wollten wir das Silber nicht nehmen, das uns in den Weg läuft!«

– »Um so mehr, edler Harpax,« pflichtete einer der Soldaten bei, dessen geschorener Kopf und Haarbüschel den Muselmann verrieten, »als wir schon seit Monaten weder Gold noch Silber gesehen haben, weder aus der kaiserlichen Schatulle noch aus sonst welchem Beutel.« – »Gelt! ich will Eure Beutel füllen,« erwiderte Harpax, »und wären sie noch so leer. Hierher an die Pforte, Leute! Vergeßt nicht, daß wir der kaiserlichen Stadt zu Wächtern gesetzt sind, und haltet fest an der löblichen Gepflogenheit, der Stadtwache nichts zu verraten, was uns zu Nutzen und Vorteil ist oder werden kann, wie auch, das Gemeinwohl zu fördern und zu unterstützen ohne Hinterhältigkeit und Verrat!« – »Wozu die vielen Worte?« sagte der muselmännische Wächter, »ich dächte, wir hätten oft genug Farbe bekannt bei wichtigeren Anlässen! Wie war's, als der Juwelier zum Tore hereinzog? Wir hatten damals auch vom goldenen oder silbernen Zeitalter nicht viel zu verspüren, und käm' uns jetzt etwa ein Diamant ...« – »Pst!« machte Harpax, »ich danke es dem Zeus, daß er uns alle Religionen hierher gebracht hat, denn auf diese Weise dürfen wir doch hoffen, die einzig wahre darunter zu besitzen. Du brauchst mir, Ismael, wahrhaftig nicht zu beweisen, daß Du die Fähigkeit besäßest, neue Geheimnisse zu hüten, weil Du die Schwachheit besitzest, alte, auszuplaudern! Da, lug mal durch den Spalt nach der Steinbank und sag' mir, was Dein Auge erblickt im Schatten der Haupthalle!« – »Einen schlafenden Kerl,« versetzte Ismael, »und wenn mich das Mondlicht nicht trügt, so ist's einer von den Inselhunden, die des Kaisers Leibwache bilden!« – »Ist Dein Schlaukopf im stande,« fragte Harpax, »aus diesem Zufalle Vorteil für unsere Beutel zu schaffen?« – »Je nun, die heidnischen Hunde haben besseren Sold als wir Muhammedaner und Nazarener, ich denke mir, der Hund wird sich am Wein zu viel getan haben, so daß er die Stunde zur Heimkehr verschwitzt hat. Lassen wir ihn nicht, so setzt's einen schlimmen Denkzettel; will er aber passieren, so muß er bluten, tüchtig bluten!« – »Wenigstens,« riefen in gedämpftem Tone die andern Soldaten. – »Und weiter reicht Dein Witz nicht, Bursche?« fragte Harpax spöttisch; »ich aber meine, soll uns das fremde Biest entgehen, so muß es uns wenigstens sein Fell lassen. Seht ihr, wie Helm und Harnisch im Mondschein glitzern? Das ist die Silbergrube, die wir schürfen müssen, um unsere Beutel wieder einmal zu füllen,« – »Und wenn's ruchbar würde? Wenn's dem Kaiser zu Ohren käme?« sagte Sebastes von Mitylene, ein junger Grieche, der noch Neuling in der Stadtwache war; »wär's da nicht vorbei mit dem Profit?« – »Grünhorn!« rief Harpax, »und hätte der Kaiser Augen wie Argus, so könnte er nichts erfahren! Wir sind unser zwölf, deren Aussage pflichtgemäß übereinstimmen muß. Dort liegt ein Barbar auf einem Pfühl, den sich keiner sucht, der nicht tief in den Krug geguckt hat; was gilt solches Kerls Aussage, wenn er wirklich dazu kommen sollte, sie abzugeben? Hoffentlich fehlt's uns nicht an Courage« – hier sah er einen nach dem andern seines Kommandos an – »ihm abzustreiten, was er vorbringt? Wem wird man dann glauben, uns Stadtwächtern oder dem besoffenen Waräger?« – »Mir ist aber,« bemerkte Sebastes darauf, »als hätte ich in Mitylene allerhand von der Konstantinopeler Stadtwache gehört, was nicht dazu beitrüge, ihrem Eide mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen als einem Barbareneide?« – »Und wär's auch an dem,« versetzte der Zenturio, »so gäb's doch einen andern Weg noch, uns den Rücken zu decken.« – Der Grieche, um den Sinn der Worte zu erkennen, blickte Harpax fest und düster an, indem er mit der Hand nach seinem Dolche griff, und der Zenturio nickte ihm Beifall. – »Ich bin wohl noch Grünhorn,« sagte er, »hab' aber fünf Jahre als See- und drei als Straßenräuber hinter mir; aber noch kein Mal sah ich bei einem Manne Bedenken vor dem einzig wahren Mittel, das in solchem Falle seiner würdig ist.«

Harpax, drückte dem Soldaten, seine Denkart billigend, die Hand und fragte, jedoch mit bebender Stimme: »Aber wie mit ihm fertig werden?« – »So oder so,« versetzte der Grieche; »dort liegen Bogen und Pfeile; versteht sich kein anderer drauf, so ...« – »Pfeil und Bogen sind unsere Waffen gewöhnlich nicht,« antwortete Harpax. – »Um so schlimmer für die Tore der Stadt und die, die dahinter wohnen,« rief der Grieche mit einem Lachen, das deutlich wie Hohn klang: »nun, ich schieße wie ein Skythe; nickt, und ein Pfeil soll ihm durch den Schädel, ein zweiter durch das Herz fahren!« – »Bravo, mein Grünhorn,« rief der Zenturio, die Stimme dämpfend, um den Waräger nicht zu wecken; »das war so bei den griechischen Räubern des Altertums, Skyron, Diomed, Prokrustes, und wie sie sonst geheißen haben mögen, die hochedlen Herren, deren Enkel und Jünger das griechische Inselland wohl so lange unsicher machen werden, bis Herkules und Theseus wieder auf Erden auftauchen werden; aber, mein tapferer Skythe! ich denke, wir machen's anders! Es könnte ja passieren, daß Du ihn, statt zu töten, bloß verwundest!«

Mit dem gleich spöttischen Lachen, wie vorhin, meinte Sebastes, daß dies bei ihm nicht der Fall zu sein pflege, und der Zenturio, den der Spott arg verdroß, und der bei sich denken mochte, es könne gar leicht geschehen, daß ihm der kecke Bursche über den Kopf wüchse, und daß die Stadtwache zwei Zenturionen bekäme statt eines, reckte sich zu seiner vollen Höhe und rief: »Bist Du solcher Räuber gewesen, wie Du sagst, Mitylenier, so wirst Du wohl auch den Sikarier spielen können! Dort liegt Dein Ziel, betrunken oder im Schlafe: wir wissen's nicht. Aber ich denke mir, ob so, ob so, fertig wirst Du mit ihm ja werden!« – »Es wird aber nicht auf halbpart gehen, wenn ich ihn im Schlafe oder Suffe niedersteche!« meinte der Grieche; »möchtet Ihr's nicht lieber selbst besorgen?« – Der Zenturio, aber zeigte nach der Treppe, die von den Zinnen des Torbogens, hinunter nach der Halle führte, und rief: »Tu, was Dir befohlen worden!«

Der Grieche verschwand auf der Treppe und tauchte alsbald, schleichend wie eine Katze, unten im Hofe auf. In seiner Hand blinkte der Dolch, nach hinten gehalten, um ihn dem Waräger zu verbergen. Im andern Augenblick beugte er sich über den Schlafenden, diejenige Stelle zwischen Harnisch und Körper zu ermitteln, wo der Dolch am sichersten träfe, da sprang der Waräger mit einem Satze in die Höhe, dem Griechen mit der Faust einen so wuchtigen Schlag versetzend, daß ihm kaum Kraft genug blieb, die Kameraden auf der Toreszinne um Beistand zu rufen. Im andern Augenblicke lag der Grieche unter dem schweren Fuße des Warägers, der die Streitaxt hob, ihm den Todesstreich zu versetzen.

Die Stadtwächter machten Miene, ihrem Kameraden zu Hilfe zu eilen; aber der Zenturio rief: »Halt! Jedermann an seinen Posten! Dort kommt ein Hauptmann der Warägerwache, ich glaube, der Befehlshaber in Person! Wir wissen von nichts, versteht ihr? falls der Barbar den Griechen erschlagen hat, was ich vermute, denn der arme Kerl lebt nicht mehr – lebt er aber noch, so härtet eure Gesichter zu Kiesel! Wir sind unser zwölf und wissen nur, daß er hinuntergehen wollte, den Menschen zu wecken und zum Passieren des Tores aufzufordern.«

Unten war inzwischen die hohe Gestalt eines schwerbewaffneten Kriegers mit funkelndem Helmschmuck aus dem Mondschein in den Schatten getreten. In jener fränkischen Sprache, deren die Waräger sich untereinander bedienten, rief der Offizier: »Ei, ei, Hereward! hast wohl eine Eule gefangen?« – »Ja, beim Sankt-Georg!« erwiderte der Soldat; »bei uns daheim möchte man ihn einen Habicht heißen.« – »Wer ist's?« fragte der Offizier. – »Vielleicht sagt er's Euch, wenn ich ihm die Kehle lupfe!« – »So gib ihn frei!« rief der Offizier.

Kaum hatte der Waräger den Fuß von dem Griechen gehoben, so war dieser auch auf den Beinen und flink wie ein Hase, hinter dem Hunde her sind, um den Torweg herum, und der Waräger wohl hinter ihm drein, aber außerstande, es dem Griechen im Rennen gleichzutun, da ihn die schwere Rüstung behinderte. »Beim Herkules!« rief der Offizier und wollte sich ausschütten vor Lachen, »Hektor und Achilles auf der Jagd um Ilions Mauern; »aber mein Pelide wird den Sohn des Priamus schwerlich bezwingen. Holla, Hereward! schone Deine Lungen! ich denke, Du wirst Deinen Atem heute abend noch brauchen.« – »Wär' nicht die Rüstung, die beschwert, ohne zu nützen,« versetzte der Waräger mürrisch, indem er außer Atem zu dem Offizier trat, »so hätte ich den Kerl beim ersten Rennen an der Gurgel gehabt.« – »Schon gut! schon gut!« sprach der Offizier, der wirklich der Kommandant der Warägergarde und dessen Pflicht es war, immer um die Person des Kaisers zu sein: »aber laß uns zusehen, wie wir uns den Weg durchs Tor sichern: denn hat Dir, wie ich vermute, einer von dieser Stadtwache an den Kragen gewollt, so werden uns seine Kameraden gutwillig wohl kaum passieren lassen.« – »Dann sollten wir solchem Mangel an Disziplin abzuhelfen von Euer Edlen kommandiert werden!« – »Still doch, Simpel von Barbar! Ha! hab' ich Dir nicht oft genug gesagt, daß ich durch Klugheit und Nachgiebigkeit an diesem kaiserlichen Hofe mehr erreiche als durch offene Gewalt? Komm und folge mir!« befahl er dem Waräger, nachdem er sich bereits ein Stück vom Tore hinweg begeben hatte, um längs der Mauer irgendwo anders einen Durchschlupf zu finden; »Du bist treuer und wackerer, als man es selbst bei euch Warägern zu finden gewohnt ist, und so will ich Dir einiges von der Politik erzählen, die mich und mein Verhalten leitet.« – »Meine Meinung,« erwiderte der Waräger, »geht dahin, daß man sich um einer Sache willen, die sich mit der Faust erledigen läßt, den Kopf nicht warm machen soll.« – »Aus solchem Stoffe besteht halt euer Schädel, ihr Waräger,« entgegnete der Kommandant; »immerhin laß Dir sagen, wie ich mir das Rätsel dieses nächtlichen Abenteuers erkläre.« – »Ich will bestrebt sein, zu verstehen, was Eure Weisheit mir zu erklären geruhen wollen,« antwortete der Waräger. – »Ich meine,« begann der Kommandant, »wir haben bereits zusammen in einer Schlacht gestanden?« – Der Waräger hustete – bekanntlich kein Zeichen eines Lobspruches – und im Verlauf des Gespräches ließ sich auch erkennen, daß auf seiten des Warägers die größere Stärke lag, was übrigens von dem ihm vorgesetzten Kommandanten auch nicht eben unwillig anerkannt wurde.

»Um also mit dem Thema Politik zu beginnen,« nahm der Kommandant das Wort, »so gilt als ihre eigentliche Basis – ich glaube, Du wirst das nicht bestreiten oder bekritteln wollen, mein junger Freund« – er lüftete hierbei den Helm, und der Soldat tat, wie wenn er es ebenso machte – »als ihre eigentliche Basis, sage ich, die kaiserliche Gunst: sie ist der Lebensbronnen des Kreises, worin wir atmen, die Sonne, die der Menschheit.« – »So etwas hat uns schon unser Tribun gesagt,« brummte der Waräger. – »Es ist Tribunenpflicht, euch zu instruieren,« entgegnete der Kommandant, »und hoffentlich versäumen es auch die Priester nicht, euch die Dienstpflicht gegen den Kaiser einzuschärfen.« – »Sie vergessen es nicht, obwohl wir selbst wissen, was wir zu tun und zu lassen haben.« – »Mir kommt's nicht bei, daran zu zweifeln; Du sollst nur begreifen lernen, Hereward, daß das Schicksal eines Günstlings bei Hofe dem Dasein der Eintagsfliege gleicht, die beim Morgenrot geboren wird und mit dem Abendrote stirbt. Glücklich derjenige, der mit der Person des Herrschers von dem ebenen Boden, auf dem der Thron sich erhebt, emporsteigt, im Glänze der kaiserlichen Glorie sich behauptet und mit dem letzten Strahle kaiserlichen Schimmers verschwindet und vergeht.« – »Ich glaube zu verstehen,« versetzte der Waräger; »was aber solches Schranzendasein anbetrifft, so, aber was kann's mich scheren?« – »Dich freilich nicht,« antwortete der Kommandant, »und preise Dich glücklich, daß Du an solchem Leben keine Freude hast. Ich hab's aber schon mit angesehen, daß Barbaren hoch im Kaiserreiche stiegen. Kein Wunder, daß sich alles bei Hofe beflissen zeigt, dem Kaiser zu zeigen, daß er nicht bloß die Pflichten des eigenen Amtes zu erfüllen weiß, sondern im Notfalle auch die eines andern mit zu übernehmen vermag.« – »Und daher kommt es denn wohl auch, daß alles bei Hofe beflissen ist, nicht sowohl sich gegenseitig zu stützen, sondern vielmehr auszukundschaften?«

»Allerdings! und davon hatte ich noch in den letzten Tagen ein eklatantes Beispiel. Daß der Protospotharius, also der Obergeneral der kaiserlichen Truppen, wie Du weißt, mir nicht gewogen ist, weil ich Kommandant der Waräger-Leibgarde bin, braucht niemand zu verwundern; aber frech ist's von diesem Nikanor, unsere ganze Schar zu verunglimpfen durch die Behauptung, sie habe im Felde geplündert, ja was noch schlimmer ist, den für unsere geheiligte Majestät bestimmten Wein ausgetrunken. Wie Du Dir denken kannst, habe ich es mir angelegen sein lassen, in Gegenwart der Person unseres erhabenen Herrschers.« – »Ihm die Lüge in seinen frechen Schlund zurückzuschleudern!« fiel ihm der Waräger ins Wort, »indem Ihr ihn zum Kampfe fordertet, bei dem Euch der arme Teufel von Hereward sekundieren wird. Hätt' ich doch bloß meine Alltagsrüstung anstatt dieses glitzernden Plunders.« – »Pst! pst!« fiel ihm Achilles Tatius – dies war der Name des Kommandanten – ins Wort – »Du bist zu hitzig und beurteilst die Situation auch zu sehr nach Deinen subjektiven Ansichten! Selbstverständlich mäße ich mich an Deiner Seite mit fünf solcher Nikanors; aber das ist in diesem übergesegneten Kaiserreich nicht der Brauch, auch nicht der Wille seines zurzeit am Ruder befindlichen erhabenen Herrschers. Dich haben die Prahlereien der Franken angesteckt, mein Sohn!« – »Meine Sache ist's nicht, bei denen, so bei euch Franken, bei uns aber Normannen heißen, Anleihen zu machen,« versetzte Hereward mürrisch. – »Frage Dich doch selbst,« verwies ihn der Kommandant, ob in irgend einem gesitteten, ordentlich regierten Lande, geschweige im Reiche des erhabenen Kaisers Alexius Komnenos, das Duell denkbar sein kann. Nimm an, es wollten zwei vornehme Herren oder Offiziere, die sich bei Hofe, am Ende gar in Gegenwart Seiner geheiligten Majestät, in die Haare geraten wären, die Differenz nicht vor Gericht ausgleichen, sondern nach Weise der Franken, indem sie auf der ersten besten Wiese einen Kampfplatz abstecken ließen; während beide, ohne, wie man annehmen kann, genau zu wissen, wie es sich mit der »gerechten Sache«, über die sie aneinander geraten sind, in Wahrheit verhält, ins Blaue hinein darauf schwören, geschieht's, daß der Bessere von beiden, also Seiner Majestät Akoluthos oder Leibtrabant, zugleich Kommandant der Waräger – denn für den Tod ist nun einmal kein Kraut gewachsen – ins Gras beißen muß, der andere aber wohl und munter an den kaiserlichen Hof zurückkehrt, um sich dort weiter zu sonnen und zu atzen, statt daß er, wie es ihm sonst beschieden gewesen wäre, den Galgen zierte: das ist, wirst Du sagen, Waffenrecht, Hereward; ich aber nenne das verkehrte Welt!« – »Ich will nicht in Abrede stellen, Euer Edlen,« antwortete Hereward, »daß in Euren Worten viel kalter Verstand zu finden sei; aber ehe ich mich von jemand Lügner schimpfen lasse, ohne ihm das Wort mit dem Schwerte in seinen Schlund zurückzustoßen, eher könnt Ihr mir einreden, daß dieses Mondlicht schwarz sei wie ein Wolfsrachen! Wer mir eine Lüge an den Hals schmeißt, der verprügelt mich, und Prügel, nicht zurückgegeben, machen den Menschen zum Lasttiere, zum Sklaven.« – »Mein getreuer Kämpe,« sagte drauf der Kommandant, »der Römer setzt die gleiche Ehre drein, die Wahrheit zu reden, wie Ihr, den Vorwurf der Falschheit von euch zu weisen; ich konnte bloß zu meinem Leidwesen dem Nikanor keinen Vorwurf der Falschheit machen, weil es auf Wahrheit beruhte, was er gegen uns vorbrachte.« – »Wieso?« fragte der Angelsachse. – »Nun, Du besinnst Dich, daß wir Waräger auf dem Marsche nach Laodikaia einen Türkenhaufen in die Flucht schlugen. und einen kaiserlichen Bagagezug wieder einfingen? Ebenso besinnst Du Dich, wie ihr an diesem Tage euern Durst gelöscht habt?« – »Ihr meint, daß wir die Weinfässer, die wir dabei fanden, anzapften und leerten?« – »Du sagst es, Hereward!« – »Nun, ich weiß es noch wie heute,« rief Hereward lustig, »daß uns der Wein wie Oel die Kehlen hinunterrann!« – »Und Du Unglücklicher sahest nicht, daß die Fässer mit dem kaiserlichen Siegel verspundet waren?« – »Beim heiligen Georg von England, der eine Mandel George von Kappadozien aufwiegt! Daran hab' ich mit keinem Atemzuge gedacht! Aber Ihr habt doch selbst ganz gehörig mit davon gezecht!« – »Du bist im Irrtum, Hereward, denn was ich trank, war eine geringere, für den Mundschenk Seiner Majestät bestimmte Sorte, an der ich als Offizier vom Hofhalt meinen gerechten Anteil hatte. Von euch aber war es sündhaft, an fremdem, zudem geheiligtem Gute euch zu vergreifen!«

»Meiner Sixen!« rief Hereward, »wenn man vor Durst vergeht, ist Trinken doch keine Sünde!« – »Tröste Dich, Freund! Denn Majestät erblickt in diesem vorwitzigen Trunke keinen Eingriff in seine geheiligten Vorrechte; er schalt sogar den Protospatharius ob seiner Anzeige.« – ,»Dafür möge Gott ihn segnen!« rief Hereward. – »Recht so! aber Du wirst es weiter billigen, daß ich nun zur Antwort auf seine häßliche Offensive dem Protospatharius die Räubereien vorhielt, die am goldenen Tore und an anderen Stadttoren von seinen Stadtwachen verübt worden, z. B. den Mord eines Juweliers, der erstochen und beraubt wurde, obgleich die Ware, die er herbrachte, dem Patriarchen gehörte.«

»So? und wie nahm Alexi-- ich wollte sagen, unser erhabener Kaiser, die böse Kunde auf?« – »Der Kaiser ist ein Mann der feinen Politik,« entgegnete der Kommandant, »und wollte, ehe er gegen, die bösen Subjekte von Stadtwächtern vorginge, erst faktische Beweise in Händen haben; und Du solltest sie beibringen!« – »Wär' auch geschehen, hättet Ihr mich nicht von der Jagd zurückgerufen, die ich auf den Schnapphahn unternommen hatte, der Sehnsucht nach meinem glitzernden Harnisch hatte; es wird also wohlgetan sein, kaiserliche Majestät von diesem Vorfall Kenntnis zu geben?« – »Mit nichten, mein Kämpe,« entgegnete der Kommandant; »ich hätte den Wicht vielmehr, wenn er mir durch Dich in die Hände geraten wäre, auf der Stelle freigeben müssen; und anjetzt befehle ich Dir, dieses Abenteuer ganz aus Deinem Gedächtnisse zu streichen.« – »Das wäre nun freilich eine Politik, so wechselvoll, daß ich mir keinen Vers draus zu machen wüßte!« – »Glaub's Dir, mein Hereward; indessen laß Dir sagen, daß Nikanor vom Patriarchen bestimmt wurde, sich mit mir auszusöhnen, weil unser Einvernehmen wichtig sei für die Wohlfahrt des Staates. Und ein derartiges Patriarchenwort darf man weder als Christ noch als Soldat ignorieren. Auch kaiserliche Majestät halten dafür, daß es geraten sei, den Zwist auf solche Weise beizulegen.« – »Und der uns Warägern angetane Schimpf« – »Soll durch Abbitte und Buße abgewaschen werden, auch ein entsprechendes Geldgeschenk soll unter euch Träger der Streitaxt abgeführt werden. Die Verteilung, Hereward, wird in Deine Hände gelegt werden; gehst Du mit Klugheit zu Werke, so wirst Du Deine Axt mit Gold überziehen können!« – »Mir ist sie so am liebsten, wie sie ist!« entgegnete Hereward; »denn so trug sie der Vater in der Hastings-Schlacht! Auch soll mir Stahl, statt Goldes, Geld bleiben!« – »Handle nach Deinem Belieben, Hereward,« sagte Achilles Tatius; »bloß hast Du es dann Dir selbst zuzuschreiben, wenn Du ein armer Schlucker bleibst!«

Kommandant und Waräger waren inzwischen zu einem kleinen Pförtchen in der Umfassungsmauer gelangt, durch welches sie in die Stadt hineinschlüpfen konnten. Hier blieb der Kommandant stehen, um wie ein frommer Pilger, der eine Kapelle von besonderer Heiligkeit zu betreten vorhat, sich ehrfurchtsvoll zu bekreuzen.

Drittes Kapitel

Nach wenigen Schritten gelangten sie zu dem Vorbau eines mächtigen Palastes. Ehe aber Achilles Tatius den Fuß weitersetzte, erging er sich wieder in allerhand Zeremonien, die der unerfahrene Waräger, der erst vor kurzem in den Garnisonsdienst getreten war, steif und linkisch nachäffte, und die auf der Eigentümlichkeit der Griechen fußten, nicht bloß der Person ihres Kaisers, sondern auch allen Dingen, die mit ihm in Zusammenhang standen, eine bis ins kleinste geregelte Ehrfurcht zu bezeigen. Als er sich dieser in seinen Augen frommen Pflicht erledigt hatte, schlug Achilles Tatius dreimal wider die Tür in gemessener, aber vernehmlicher Weise, wobei er seinem Begleiter zuflüsterte: »Wir treten ein! Nun tu, bei Deinem Leben, was Du mich tun siehst!« Nun machte er, einen Satz rückwärts und blieb, mit vorgeneigtem Kopfe und die Hand vor die Augen haltend, wie wenn er eines plötzlichen Lichtstroms gewärtig sei, stehen und harrte der Antwort auf sein Klopfen. Nach einer Weile öffnete sich die Pforte, aber statt eines den Harrenden die Augen blendenden, Lichtstromes erschienen, mit hochgehaltenen Streitäxten, gleich als wollten sie die Eindringlinge ob solches freventlichen Eingriffes in ihre Ruhe auf der Stelle niederschmettern, vier Waräger. Der Kommandant sprach als Parole das Wort: »Akoluthos«, und die Waräger murmelten, die Waffen senkend, die Erwiderung der Parole: »Tatius und Akoluthos«.

Wahrend Achilles den stattlichen Helmbusch als Zeichen seiner Würde emporhob daß jeglicher Waräger ihn sehen konnte, verhielt sich Hereward zur Verwunderung seines Vorgesetzten, der Szene gegenüber äußerst gleichmütig; aber einen andern Grund dafür zu finden als brutale Empfindungslosigkeit, war dem Schranzenverstande des Kommandanten nicht möglich. Die Wache trat zu Seiten des Tores ab, und Achilles trat mit seinem Begleiter auf das über den Stadtgraben führende Laufbrett. »Die Brücke der Gefahren ist's,« flüsterte Achilles, »über die Du den Fuß setzest; es geht die Rede, daß nicht jeder heil hinüber gelangt, sondern so mancher, der zu der geheiligten Person kaiserlicher Majestät in Beziehungen gestanden, als Leiche im Goldenen Horn, dem Hafen der Kaiserstadt, wohin der Graben sich ergießt, gefunden worden sei.« – »Ich hätte nicht für möglich gehalten,« erwiderte der Sohn der nordischen Inseln, »daß Alexius Komnenos ...« – »Still, Verwegener!« rief Achilles, »wer das Echo dieses Gewölbes weckt, verfällt immer schwerer Strafe; der Tod aber winkt dem, der solches tut durch verletzende Reden gegen die geheiligte Person kaiserlicher Majestät. Es ist ein Unglück für mich, daß ich einen Menschen in diese geheiligten Räume führen muß, der von attischem Salze nur so viel besitzt, wie nötig ist, den Leib vor Fäulnis zu bewahren. Was ist Dein Verdienst, Hereward, anders, als daß Du im heiligen Kriege des hohen Herrschers ein paar Ungläubigen das Licht ausgeblasen hast? Und nun widerfährt Dir die unermeßliche Ehre, nicht bloß Zutritt zu erhalten zu dem unverletzlichen Bereiche des Blachernä-Palastes mit seinem Echo, sondern – der Himmel steh' uns bei! – sogar zu kaiserlicher Majestät geheiligtem Ohre selbst!«

»Es wird mir schwer, Hauptmann, den Schall meiner Rede zu dämpfen. Ich will darum lieber mich so lange still verhalten, bis Ihr mir ein Zeichen zum Reden gebt.« – »Recht so, Hereward!« erwiderte der Kommandant; »es gibt Leute hier, sogar welche, die im Purpur geboren, die mit dem Senkblei ihres feinen Urteils Deinen seichten Barbarenverstand erforschen wollen. Begegnest Du anmutigem Lächeln, so erwidere es nicht mit Gewieher, als befändest Du Dich in Gesellschaft von Tisch- oder Zechkameraden!« – Unwirsch erwiderte der Waräger: »Wollt Ihr mir nicht glauben, daß ich mich still verhalten werde, bis Ihr mir ein Zeichen gebt, so will ich lieber Kehrt und der Sache ein rasches Ende machen.« – Achilles aber mochte fühlen, daß er dem Waräger nicht allzu scharf zusetzen dürfe, und so gab er ihm auf seine derbe Rede eine auffällig milde Antwort; aber Hereward hatte, was Kraft und Heldenmut anlangt, selbst unter den Warägern seinesgleichen nicht, und diese Eigenschaften überwogen in den Augen auch dieses Kommandanten alle Vorzüge, die einem höfischer besaiteten Soldaten hätten zu eigen sein können. Ueber ein paar Höfe hinweg, die zu dem ausgedehnten Blachernä-Palaste gehörten, führte der hier wohlbekannte Kommandant den Waräger durch eine Seitenpforte in die eigentliche Wachtstube, wo sich Herewards Kameraden mit Brett- und Würfelspiel die Zeit vertrieben und durch einen kräftigen Trunk aus großen Krügen die Kräfte auffrischten. So gern' auch Hereward, der sich in der Gesellschaft seines Kommandanten nichts weniger als behaglich fühlte, sich zu ihnen gesetzt hätte, um über sein Abenteuer mit dem Griechen mit ihnen zu schwatzen und an der amüsanteren Beschäftigung, die ihnen vergönnt war, sich zu beteiligen, so saß ihm doch die militärische Disziplin zu fest im Blute, als daß er sich auch nur einen Moment mit etwas anderm als der Person seines Führers hätte befassen sollen.

Der Weg führte noch durch eine Reihe von Gängen und Gemächern, in die der Kommandant den Fuß nicht anders setzte, als mit der gleichen Ehrfurcht, die ihn bislang erfüllt hatte. Hier aber erblickte der Waräger nicht mehr Kameraden, sondern jene fast durchwegs schwarzen Sklaven, die am griechischen Kaiserhofe, als Nachäffung eines bei orientalischen Despoten herrschenden Brauches, Eingang gefunden hatten und die bald als Wachen auf Gängen und an Türen postiert waren, bald auf Teppichen, allerhand Spiel treibend, herumlagen. Der Kommandant würdigte sie keines Wortes. Ein Blick seines Auges genügte, ihm überall den Weg frei zu machen. Endlich setzten sie den Fuß in eine geräumige Halle, deren Wände aus schwarzem Marmor bestanden. Mach allen Himmelsrichtungen führten von ihr aus Seitengänge; aber von den Oel- und Harzlampen, die sie erhellten, war sie mit einem so dichten Dunst erfüllt, daß sich ihre Gestalt oder Bauart nicht unterscheiden ließ.

»Hier verweile,« flüsterte der Kommandant dem Waräger zu, »bis ich zurückkehre. Laß Dir aber nicht beikommen, den Fuß vom Platze zu setzen!« Hierauf verschwand er durch eines der seitlichen Portale, das sich vor ihm öffnete und hinter ihm schloß. Der Waräger vertrieb sich in dem ihm angewiesenen Raume die Zeit, so gut es ging, und schritt nach dem unteren Ende der Halle zu, wo der von den Lampen verbreitete Dunst weniger stark war als in der Mitte. Er erblickte dort eine kleine, niedrige Eisenpforte, mit einem griechischen Bronzekreuz darüber, und verschiedenerlei Zierat aus dem gleichen Metall in Form von Ketten und dergleichen. Die Tür stand halb offen, und Hereward, da ihm solche Befriedigung menschlicher Neugier nicht verboten worden, steckte den Kopf hindurch und sah hinein. An der Mauer einer schmalen Wendeltreppe, die zu den Tiefen der Hölle zu führen schien, hing ein trübes, rotes Licht, das aber kaum Anspruch auf diesen Namen erheben konnte, da es einem Funken ähnlicher war als einem Lichte. Dem Waräger, mochte auch der ihm geistig überlegene Grieche von seinem Denkvermögen nur eine sehr bescheidene Meinung hegen, wurde es auf der Stelle klar, daß solch finstere Treppe mit solch düster ornamentiertem Eingang nirgends anders hinführen könne, als zu den Kerkern des kaiserlichen Palastes, die sowohl ihrer Menge als ihrer Beschaffenheit nach nicht die geringste Merkwürdigkeit desselben bildeten. Als er die Ohren spitzte, meinte er sogar, Töne wie Seufzer und Stöhnen aus dem Abgrunde herauf dringen zu hören. »Oho!« meinte er bei sich, »Bekanntschaft mit solch unterirdischen Behausungen zu machen, dürfte ich schwerlich verdient haben. Hauptmann Achilles mag ja im Grunde nicht viel besser sein als ein Esel, aber für so untreu, mich unter solch blödem Vorwande in einen Kerker zu locken, möchte ich ihn nicht halten. Sollte es der Fall sein, so will ich ihm doch erst Bekanntschaft mit einer englischen Streitaxt verschaffen. Sehen wir uns vorderhand mal auch das obere Ende der Halle an. Vielleicht hat's eine freundlichere Bedeutung!«

Hier schmückte ein kleiner Altar, an die in den heidnischen Göttertempeln erinnernd, das gleich große – oder vielmehr kleine – Portal, das hier in den anstoßenden Raum führte. Weihrauch wallte in leichten Kräuselwölkchen zu dem Plafond hinauf, sich von da durch die ganze Halle verbreitend und ein seltsames Sinnbild in seinen Qualm hüllend, dessen Zweck und Natur der Waräger nicht begreifen konnte: es stellte zwei menschliche Arme dar, die aus der Wand herauszureichen schienen; die Hände waren ausgespreizt, wie wenn sie den zum Altar tretenden Betern ein Geschenk verabreichen wollten. »Wären die Fauste geballt,« dachte Hereward bei sich, »so ließe sich das Ding wohl noch kapieren. Man könnte meinen, in einer dem Pankration geweihten Boxerhalle zu stecken! Da aber dies dumme Griechenpack die Hände nicht gebraucht, solange die Finger nicht geschlossen sind, so kann ich, beim heiligen Georg, den Sinn des Dinges da nicht fassen!«

Da trat Achilles Tatius wieder in die Halle. »Folge mir, Hereward! Jetzt gilt's, das Schwerste zu überwinden! Nimm allen Mut zusammen, über den Du verfügst; denn Ehre und Name stehen für Dich auf dem Spiele.« – »Ich fürchte, weder für das eine noch für das andere,« erwiderte Hereward. – »Schrei nicht so!« verwarnte ihn sein Führer; »ich habe Dir doch oft genug gesagt, Du mögest den Schall Deiner Stimme dämpfen. Es wäre auch besser am Platze gewesen, Deine Streitaxt draußen zu lassen.« – »Mit Verlaub, Hauptmann,« erwiderte Hereward, »mein Werkzeug geb' ich nicht aus der Hand. Die Streitaxt ist ein Stück meiner selbst, und ich gehöre nun einmal zu den unbeholfenen Tolpatschen, die immer was in der Hand halten müssen, um nicht aus dem Texte zu kommen.« – »So behalte sie! Aber schwinge sie nicht, und schreie auch nicht wie auf einem Schlachtfelde, sondern denke, daß Du Dich an einem geheiligten Orte befindest, wo jeder Verstoß gegen die gute Sitte zur Lästerung wird!« Durch eine dritte Seitenpforte traten sie in den Vorsaal, und von ihm aus durch ein paar Flügeltüren in eines dem Anschein nach der vornehmsten Gemächer des Palastes, worin sich dem rauhen Waräger ein ebenso neuer wie überraschender Anblick bot. Auf einer schmalen Bank oder einer Art Sofa, – denn dem schönen Geschlecht war es hier durch die Etikette verboten, sich nach der Weise der Damen in Westrom mit dem Rücken anzulehnen – vor sich einen Tisch voll Büchern, Pflanzen, Kräutern und Zeichnungen, saß die geliebte Tochter des Kaisers Alexius, die Prinzessin Anna Komnena, bekannt als Geschichtsschreiberin der Regierung ihres Vaters, saß hier als die Königin eines literarischen Kreises, wie ihn eben nur eine im Purpur geborene Kaiserstochter um sich zu versammeln vermag. Unmittelbar neben ihr, auf einem dem ihrigen völlig gleichen Sitze, nur niedriger, aber ihr so nahe, daß sie keinen Blick von ihm verlieren konnte, hatte ihr schöner Gemahl Nikephoros Briennios seinen Platz, von dem die Rede ging, er ersterbe in Respekt vor der Gelehrsamkeit und Weisheit seiner Ehegemahlin, sei aber nicht ungehalten, wenn er auch mal einen Abend fern von dem Zirkel derselben zubringen könne; und die Begründung für diesen Argwohn wurde in der Meinung gesucht, daß die Prinzessin schwerlich etwas eingebüßt hätte, wenn sie minder gelehrt gewesen wäre.

Zwei andere Ehrensitze waren für das Kaiserpaar bestimmt, das es liebte, den Studien der Tochter anzuwohnen. Dann weidete Kaiserin Irene sich an dem Anblicke einer so vollkommenen Tochter, während Kaiser Alexius mit Behagen der schwülstigen Sprache lauschte, in welcher sie seine Taten pries, oder den philosophischen Gesprächen, die sie mit dem Patriarchen Zosimus und andern gelahrten Herren der Kaiserstadt führte. Während das Kaiserpaar heute den Abend durch seine Anwesenheit verherrlichte, war der Sitz des Prinzessinnen-Gemahls heute leer, und in diesem Mangel an Aufmerksamkeit hatte vielleicht der finstere Zug seinen Grund, der sich auf der Stirn seiner schönen Gemahlin wahrnehmen ließ.

Rechts und links von ihr knieten auf weißen Kissen zwei Hoffräulein, die man für lebendige Bücherpulte hätte ansehen können, denn sie hielten, ohne ein Glied zu rühren, die aufgerollten Pergamente, aus denen die Prinzessin fremde Weisheit schöpfte oder in die sie eigene Weisheit eintrug. Das eine dieser beiden Mädchen, Astarte mit Namen, war eine hervorragende Schönschreiberin, dabei so zahlreicher Sprachen und Alphabete mächtig, daß wenig fehlte, so wäre sie, als es dem Kaiser darum zu tun war, mit dem Khalifen, der weder lesen noch schreiben konnte, Frieden zu schließen, diesem zum Präsent gemacht worden. Die andere Dienerin oder – richtiger gesagt – Sklavin der Prinzessin war Violanta oder, wie sie gemeinhin genannt wurde, Musa, eine Virtuosin der Vokal- und Instrumentalmusik und tatsächlich an Robert Guiscard, den Herzog von Apulien und ewigen Ränkeschmied gegen Ostrom, um ihn dem kaiserlichen Hofe wohlwollend zu stimmen, gesandt, von diesem aber, da er bereits stocktaub und dem Methusalemsalter nahe war, mit dem Bemerken abgewiesen worden, er wisse beim besten Willen mit dem erst zehn Jahre alten Mädchen nichts Gescheites mehr anzufangen, und bitte statt solches ewig plärrenden und klimpernden Wesens um etwas Markigeres, oder besser noch, heller Klingendes, womit er den echten Normannen dokumentierte.

Auf weiteren Sitzen saßen oder ruhten die anderen Personen, welche Zutritt zu dem Hofzirkel gefunden hatten, darunter der greise Patriarch Zosimus, etwa ein halbes Dutzend an Alter und Kleidung verschiedener Hofleute, die um eine Zimmerfontäne herum gruppiert waren, zum Teil standen, um sich in dem erfrischenden Staubregen abzukühlen, zum Teil unterwürfiger knieten; unter den letzteren ein fetter und nach Zynikerart in Lumpen gekleideter Greis, Michael Argelastes, sich dabei aber trotz seiner philosophischen Tracht und Richtung, die ihn anderes hätten lehren müssen, als der peinlichste Beobachter höfischen Zeremoniells erweisend. Aber niemand hielt sich darüber auf, denn an diesem überzeremoniösen Hofe war jedes satirische oder witzige Wort aufs strengste verpönt.

Achilles Tatius trat mit höfischer Geschmeidigkeit in das Gemach, nicht ohne Stolz, einen Mann hier einzuführen, der als der schönste Krieger des kaiserlichen Heeres gelten durfte. Hereward aber stutzte beim Eintritt und zupfte, als er sich in solch edler Gesellschaft sah, an sich herum; sein Kommandant suchte ihn durch ein kaum merkliches Achselzucken zu entschuldigen, gab aber gleichzeitig Hereward einen Wink, den Helm vom Haupte zu nehmen und sich auf die Erde zu werfen; der breithüftige Angelsachse jedoch, dieser Winke nicht achtend, trat einfach vor den Kaiser hin und salutierte, das Knie beugend, an den Helm fassend, die Streitaxt schulternd; worauf er sich gleich einer Schildwache vor dem kaiserlichen Sessel aufpflanzte.

Es verfloß einige Zeit, bis der Kaiser, der in einem Zustande von Halbschlummer oder doch Zerstreutheit durch die Lektüre seiner Tochter über eine Periode aus der Zeit seiner Kämpfe mit Robert Guiscard dem Apulier versetzt worden war, den Waräger bemerkte. Sein Blick glitt von ihm zu Achilles Tatius hinüber. »Ei, unser getreuer Akoluth?« rief er; »sprecht! was soll dieser Mann von der Leibgarde zur Nachtzeit allhier?« – Dies war für die versammelte Gesellschaft von Höflingen der richtige Augenblick, sein Gesicht zu studieren, um das Verhalten danach zu regeln. Aber ehe der Patriarch sich eine Meinung hatte bilden können, die wieder für die übrigen maßgebend gewesen wäre, hatte Achilles durch ein paar Worte Majestät in die Erinnerung gerufen, daß der Waräger zufolge kaiserlichen Sonderbefehles hier erschienen sei. – »Ganz recht! ganz recht!« antwortete gnädig der Kaiser, dessen Stirn sich sogleich aufheiterte, »die Staatsgeschäfte hatten uns den Fall aus dem Sinne gebracht.« Dann wandte er sich mit einem größern Anstrich von Herzlichkeit, als er den Höflingen gegenüber zeigte – denn Monarchen haben zu Leibgardisten immer mehr Zuneigung als zu jenen – zu Hereward, und fragte zum Erstaunen aller: »Ei, wackerer Waräger, wie geht's uns denn?« – Und Hereward erwiderte treuherzig und kräftig, in seiner sächsischen Mundart: »Waes hael, Kaisar mirrig und machtigh!« was so viel hieß wie: »Heil Dir, großer und mächtiger Kaiser! – Waren die anwesenden Höflinge darüber noch mehr in Staunen geraten, so wußten sie sich kaum zu fassen, als der Kaiser zu diesen Worten nicht allein lächelte, sondern in der Sprache seiner Leibwächter mit dem bekannten Gegengruße: »Drink hael!« antwortete.

Ein Page brachte einen silbernen Becher mit Wein. Der Kaiser berührte ihn mit den Lippen, ohne indes davon zu kosten; dann ließ er ihn dem Waräger reichen und befahl ihm, zu trinken. Der ließ sich das nicht zweimal sagen und leerte den Becher bis auf die Nagelprobe. Ein Lächeln durchflog den Kreis ob dieser Heldentat; der Kaiser aber fragte seinen Leibgardisten, ob er den Wein schon kenne. – »O ja,« erwiderte dieser, ohne die Farbe zu ändern, »hab' ich ihn doch bei Laodikaia gekostet!«

Achilles Tatius verfärbte sich ob dieser Antwort des Warägers und bemühte sich umsonst, ihn durch Zeichen zum Schweigen zu bringen; der Waräger aber, dessen Aufmerksamkeit ganz seinem Kaiser gehörte, bemerkte nicht das mindeste, obgleich sich zuletzt auch Zosimus und Nikanor über die Winke des Akoluthen zu amüsieren anfingen. Die Unterhaltung zwischen Kaiser und Waräger nahm infolgedessen ihren Fortgang. »Ei, welcher Schluck hat Dir besser gemundet?« fragte Alexius, »der hier, oder der dort?« – »Hier, o Kaiser, ist die Gesellschaft schmucker und angenehmer als damals die der arabischen Bogner,« erwiderte Hereward, sich mit angeborener Höflichkeit verneigend, »aber es fehlt hier an der Würze, die dem Trunke dort Sonnenbrand und Schlachtenstaub und achtstündiger Kampf verliehen!« – »Auch dürfte wohl,« bemerkte der dicke Agelastes, »der Becher hier kleiner sein als der von Laodikaia war?« – »Fürwahr, das stimmt!« pflichtete der Leibwächter bei, »dort trank ich aus dem Helm!« – »Zeige uns die beiden Becher, Freund,« sagte Agelastes, den Scherz weitertreibend, »denn mir war's fast, als wolltest Du den jetzigen mit hinunterschlucken?« – »Nicht alles schlucke ich hinunter,« erwiderte der Waräger, »doch kommt's drauf an, was von einem Greise herrührt, und was von einem Jungen!»«

Wieder durchflog ein Lächeln den höfischen Kreis, aber es galt nicht dem Waräger, dessen kurze Antwort ihn in Respekt gesetzt hatte, sondern dem Zyniker, der trotz seines Witzes dem andern unterlegen war. Obendrein nahm der Kaiser zu des Warägers Gunsten das Wort: »Nicht zu dem Zwecke bist Du gerufen worden, wackerer Sohn, eitlen Spöttern die Zielscheibe abzugeben!« – Der dicke Agelastes fuhr zurück wie ein betrippter Pudel, und nun mischte auch die Prinzessin, deren Gesicht schon eine Zeitlang Ungeduld gezeigt hatte, sich in das Gespräch. »Beliebt es meinem geliebtesten kaiserlichen Vater,« sprach sie, »den glücklichen Menschen, die Zutritt zu diesem Musenhaine gefunden, die Gründe zu nennen, die Euch veranlaßt haben, diesem Kriegsmanne heute abend einen Platz, weit über seinen Stand erhaben, hier anzuweisen? Erlaubt mir die Bemerkung, daß es sich für uns wohl nicht schicken mag, diese Zeit mit eitlen Späßen zu vertreiben, denn wie jeder Augenblick Eurer Muße, soll auch sie der Wohlfahrt des Reiches geweiht sein.«

»Erlaubet auch mir, mein edler Gemahl, gleich unserer durch Weisheit ausgezeichneten Tochter,« sprach nun Kaiserin Irene, die gleich allen Müttern, die nicht selbst mit Gütern des Geistes gesegnet sind, für fremdes Talent kein Auge hatte, aber dasjenige ihres Lieblingskindes bei jeglichem Anlasse ausposaunte. »Euch vorzuhalten, daß in diesem den Studien Eurer Tochter geweihten Musensitze solch ein Kasernenton, wie er soeben hier laut wurde, um so weniger heute am Platze ist, als uns Euer Ruhm, o Gemahl, aus dem zarten Munde unseres Kindes verkündet wurde, verewigt in einer geschichtlichen Abhandlung, die erhalten bleiben wird bis ans Ende der Welt!«

Dem Kaiser Alexius mochte es bei dieser kleinen Gardinenpredigt seiner erlauchten Gemahlin, die sich gern einmal gegen seine Oberherrlichkeit auflehnte, obwohl sie es sonst bei keinem Sterblichen litt, ein wenig schwül ums Herz geworben sein, denn er antwortete, nachdem er sich durch einen tiefen Seufzer einigermaßen Erleichterung geschaffen hatte, etwas kleinmütig: »Liebes Ehgemahl und sehr edle, purpurgeborene Tochter! Verzeiht die Erinnerung, daß Ihr gestern abend den Wunsch nach einer genauen Beschreibung der Schlacht von Laodikaia aussprachet, und daß zufolgedessen Wir Unsern getreuen Akoluthen beauftragten, denjenigen Waräger aus der seinem Kommando unterstellten Garde auszuwählen und herzuführen, der am befähigtsten sei, über dieses denkwürdige und blutige Ereignis genauen Bericht zu erstatten. Wir vermuteten nun, diesen Waräger vor Uns zu sehen.«

Hier ergriff Achilles Tatius das Wort: »Mit Verlaub, Kaiserliche Hoheit! Die Blume der Waräger, der Barbar der Barbaren steht hier, seiner Abkunft und Bildung nach freilich nicht würdig dazu, aber ein Mann, so tapfer und treu, so ergeben und eifrig, daß ...« – »Laß genug sein, wackerer Akoluth,« sprach der Kaiser, »wenn ich nur weiß, daß er im Kampfe seinen Mann steht, so hat er uns allen nicht wenig voraus, denn wenn wir der Wahrheit treu bleiben wollen, so hat sich das nicht immer von meinem Kommandanten, und wohl auch von mir nicht, sagen lassen. Sprich also kurz, Achilles Tatius, was Du in dieser Hinsicht von Deinem Schützling zu sagen weißt, denn unser teures Ehgespons und purpurgeborene Tochter fangen, wie Du wohl selbst siehst, ungeduldig zu werden an.«

»Hereward,« erklärte Tatius, »ist in der Schlacht ruhiger und gesammelter als mancher andere beim festlichen Reigen; er wiegt ohne Frage vier Eurer besten übrigen Diener, mit Ausnahme Eurer Waräger auf.«

Der Kaiser, runzelte die Stirn. »Akoluth,« sprach er, »durch derartige Ruhmrednerei erhitzest Du die Phantasie dieser Fremdlinge, so daß sie Lust gewinnen, sich über das Gesetz hinwegzusetzen und Händel mit den anderen Söldnern meines Heeres zu suchen.« – »Kaiserliche Majestät gestatten mir hierauf zu erwidern, daß ich es zu keiner Zeit an Ermahnungen zur Festhaltung strammer Disziplin fehlen lasse meinem Warägerkorps gegenüber, und ich darf wohl annehmen, daß der hier anwesende Waräger Verstand und Wahrheitsliebe genug besitzt, mir das zu bezeugen.« Er lenkte den Blick auf Hereward, der durch ein kräftiges Nicken die Rede seines Hauptmanns bekräftigte, worauf dieser, wieder zuversichtlicher als vordem, fortfuhr: »Freilich hätte ich besser gesagt, unser Waräger nehme es mit einem halben Dutzend der schlimmsten und wehrhaftesten Feinde kaiserlicher Majestät auf.« – »Wohl, das klingt auch besser zu Ohren,« erwiderte der Kaiser, »und für Unsere geliebte Tochter, die all Unsere zum Wohle des Reiches vollführten Taten getreulich registriert, wollen Wir hierbei nicht unterlassen, zu bemerken, daß Uns daran liegt, erwähnt zu sehen, daß, wenn auch Unser Schwert in der Scheide nicht rostete, Unser Sinn doch nie nach Blutvergießen gestanden hat.«

»Ich hoffe, das weder vergessen zu haben, noch je zu vergessen, mein edler Vater,« sagte Anna Komnena, wandte sich dann an die Zuhörer und nahm aus den Händen der Dienerin eine Pergamentrolle. Nachdem sie eine Weile darin gelesen, würdigte sie Hereward der folgenden Worte: »Tapferer Barbar! Wie Du aus dem Munde meines kaiserlichen Vaters bereits vernommen, weilst Du hier zu dem Zwecke, Bericht zu erstatten über den Verlauf der blutigen Schlacht bei Laodikaia. Du wirst aus meinem Munde vernehmen, was ich bereits auf grund der Mitteilungen, die mir mein kaiserlicher Vater einerseits, und seine Offiziere, der Befehlshaber der kaiserlichen Armee, Nikanor, und der Kommandant der Waräger, Achilles Tatius, anderseits darüber gemacht hat, niedergeschrieben habe. Da Du im Handgemenge mitgefochten hast, wirst Du Wichtiges zu erzählen wissen über den Verlauf der Ereignisse zur Zeit, als sich die Schlacht zugunsten der kaiserlichen Armee wandte, sowie über die Irrtümer und Mißgriffe, die auf unserer Seite begangen worden sind.«

»Meine Gnädigste,« antwortete ihr der Waräger, »ich werde aufmerksam zuhören; aber es wird mir nie beikommen, Kritik an dem Schriftwerke einer purpurgeborenen Prinzessin oder an dem Verhalten der mir vorgesetzten Heerführer zu üben. Ich könnte höchstens hinsichtlich des unüberwindlichen Protospatharius sagen, daß ich ihn, meines Wissens im Einklänge mit der Pflicht eines Heerführers, nie anders als auf Speerwurfsweite von jedem gefahrdrohenden Platze gesehen habe.«

Des Warägers kühne Rede blieb nicht ohne Eindruck auf die Anwesenden; der Kaiser sowohl wie Achilles Tatius waren sichtlich erfreut, so gut einer gefürchteten Schlappe entgangen zu sein; der Protospatharius tat sein möglichstes, seinen Groll zu verbergen; Agelastes flüsterte dem neben ihm sitzenden Patriarchen zu, daß es dieser nordischen Streitaxt weder an Wucht noch an Schärfe gebreche; der Patriarch aber winkte ihm, zu schweigen, und sagte; »Die Prinzessin will sprechen.«

Viertes Kapitel

Des hohen Ranges und der hohen Geburt ungeachtet, zeigte die Prinzessin Anna Komnena sich augenscheinlich eifriger besorgt, mit ihrem Vortag den Beifall Herewards zu gewinnen, als den der Höflinge. Ihrem Blicke entging es nicht, daß der Waräger ein Mann von großer körperlicher Schönheit war, und erklärlicherweise regte sich bei ihr ein gewisser Wunsch, bei ihm Gefallen zu finden. War er auch als Barbar des hier herrschenden Zeremoniells überhoben, so ließ sich nicht verkennen, daß er über einen angeborenen Anstand verfügte, der ihm weit besser stand als jeder gekünstelte oder angedrillte. Zudem weckte sein soldatisches Temperament und seine stramme Haltung Sympathie und Interesse. Auch für den Waräger waren die Umstände nicht danach beschaffen, ihn unbedingt gleichgültig zu lassen. Anna Komnena war zwar keine jugendliche Dame mehr; wie weit sie aber über den Zeitpunkt hinaus war, wo sich die Schönheit der Frau dem Niedergänge zuwendet, war bis auf die vertraute Dienerschaft der Schlaf- und Wohngemächer für jedermann ein Geheimnis. Dem allgemeinen Aussehen nach zu schließen, mochte die Prinzessin ihr siebenundzwanzigstes Jahr vollendet haben. Wenn sie auch nach griechischem Begriffe keine Schönheit ersten Ranges war, so konnte sie recht wohl als solche für einen nordischen Barbaren noch gelten. Die Fälle, wo ein siegreicher Heerführer von der Witwe eines Herrschers zum Ehgemahl erkoren worden, waren in jenen Zeiten gewaltsamer Umwälzungen durchaus keine Seltenheit; Hereward indessen erblickte in Anna Komnena, wenn ihm auch die Aufmerksamkeit schmeichelte, die ihm von ihr geschenkt wurde, nur die Tochter seines Kaisers und aus freiem Willen erkorenen Oberherrn und das Ehgemahl eines edlen und gütigen Fürsten: Vernunft sowohl als Pflicht verboten ihm also, die Prinzessin in irgend welchem andern Lichte anzusehen.

Endlich begann die Prinzessin, zuerst freilich mit etwas unsicherer Stimme, ihren Vortrag. Je weiter sie aber in das eigentliche Thema des Abends, die Schilderung der Schlacht von Lavdikaia, kam, desto kräftiger und lauter sprach sie. Den Waräger hatten die darin vorkommenden Auftritte schon wiederholt in sichtliche Erregung versetzt, denn er hatte der Schlacht vom Anfang bis zum Ende beigewohnt, und zwar in ziemlich hervorragender Rolle. Hin und wieder, wie zum Beispiel bei der Schilderung eines mitternächtlichen Kriegsrates vor der Schlacht, oder wenn seinem Kommandanten Achilles Tatius überschwengliche Lobsprüche gezollt wurden, huschte ein Lächeln über sein Gesicht; ja auch der Name des Kaisers, trotz der Ehrfurcht, mit der seiner erwähnt wurde, weckte den von der Tochter beabsichtigten Eindruck nicht bei ihm. Wäre diese nicht so vertieft in ihre Pergamentrolle gewesen, so hätte ihr die Wandlung in dem Verhalten des Kriegsmannes wohl schon auffallen müssen; die stramme Haltung, mit der er beim Beginn des Vortrages vor dem kaiserlichen Stuhle gestanden, war schon eine Weile verschwunden, auf seinem Gesicht verriet eine innere Bewegung, die immer stärker wurde, je näher die Prinzessin der Szene kam, die zur Entscheidung geführt hatte: als die Kaiserlichen, aus einem Passe dringend, die Araber nach schwerem Ringen in die Flucht geschlagen hatten. Da wechselte der Waräger die Farbe, seine Augen zeigten einen wilden Glanz, in seine Glieder kam Leben, und sein ganzes Wesen schien so bei der Sache, daß er vollständig vergaß, wo er sich befand, die schwere Streitaxt zu Boden fallen ließ, die Hände rang und aus tiefster Brust die Worte hervorstieß: »O mein Bruder!«

Als die schwere Waffe auf den Boden schlug, wurde von mehreren anwesenden Personen der Versuch gemacht, eine Erklärung dafür zu geben: Achilles Tatius stotterte ein Paar Worte von der rauhen Art seiner Waräger, den Schmerz kundzutun, und setzte auseinander, daß der in dem Passe Erschlagene der jüngere Bruder des hier anwesenden Barbaren gewesen sei; die Prinzessin war, obwohl sie nichts äußerte, sichtlich ergriffen, vielleicht auch bloß erfreut darüber, durch ihre Schilderung einen so starken Eindruck bewirkt zu haben. Von den übrigen Anwesenden sprach jeder in seiner Weise Worte, die Trost spenden sollten, denn Unglück, das aus natürlicher Quelle stammt, weckt auch bei verschlossenen Gemütern Teilnahme. Aber die Stimme des Kaisers legte einem jeglichen Schweigen auf. »Tapferer Krieger,« sprach er, »ich muß mit Blindheit geschlagen gewesen sein, daß ich Dich nicht früher erkannte, denn es steht im Reichsregister verbucht, daß dem Waräger Edward fünfhundert Goldgulden gezahlt werden sollen als Schenkung, zu der sich der Staat verpflichtet hält gegen einen so hervorragenden Diener wie Dich: und die Zahlung soll Dir nicht länger vorenthalten bleiben.«

Des Warägers Gesicht nahm wieder seinen früheren rauhen Ernst an. »Nicht mir steht der Anspruch zu auf solche Spende, denn ich heiße Hereward; den Namen Edward führen drei Kameraden von mir, von denen jeder seine Pflicht gegen Eurer Majestät Reich so getreu und gewissenhaft erfüllt hat wie ich.« – Achilles Tatius versuchte wieder alle möglichen Zeichen und Winke, seinen Soldaten vor solcher Torheit, wie sie die Zurückweisung einer kaiserlichen Spende sei, zu bewahren. Agelastes der Zyniker aber ergriff laut das Wort im gleichen Sinne. »Mein junger Freund,« sagte er, »nimm solche Gelegenheit, Dir einen neuen Namen beizulegen, getreulich wahr! Was kann Dir gelegen sein an einem Namen, den Dir ein Pfaffe bei der Taufe beigelegt hat, im Vergleich zum Namen Edward, durch den es dem Licht der Welt gefallen hat, Dich aus der Sippe der Barbaren herauszuheben? den Du hinfüro zu führen, mit Stolz zu führen ein Anrecht hast?« – »Hereward war meines Vaters Name,« erwiderte der Soldat, der seine volle Ruhe wiedergefunden hatte, »und so lange ich meines Vaters Andenken ehre, solange kann ich auch seines Namens mich nicht begeben. Zudem hieße das, mich auf Kosten eines Kameraden zu bereichern.« – »Still!« rief der Kaiser dazwischen, »ist Uns ein Irrtum unterlaufen, so verfügen Wir über Mittel und Vermögen genug, ihn gut zu machen. Hereward soll nicht zu kurz kommen, wenn einem andern, namens Edward, die registrierte Prämie zusteht.« – »Wollen das Weitere in dieser Angelegenheit Kaiserliche Hoheit ihrem Ehgemahl anheimstellen!« nahm Kaiserin Irene das Wort. – »Unser kaiserlicher Vater ist so eifrig bemüht, Liebe und Gunst zu erweisen,« erklärte Anna Komnena, »daß er selbst seinen nächsten Anverwandten nicht vergönnen mag, Großmut zu üben. Ich will indes, so weit es in meinen Kräften steht, dem tapferen Waräger Dankbarkeit erzeigen dadurch, daß ich seinen Namen in meiner Geschichte durch gewissenhafte Aufzählung seiner Taten der Nachwelt überliefere. Zum Zeichen, mein Braver,« setzte sie hinzu, indem sie einen kostbaren Ring vom Finger zog, »daß ich mein Versprechen auch halten werde, nimm hier dieses Kleinod!« – Mit einer tiefen Verbeugung, zugleich einer ihm in seiner Stellung zukommenden Miene von Beklommenheit nahm der Waräger das wertvolle Pfand aus der Hand der Prinzessin und drückte es respektvoll an die Lippen. »Du köstliches Kleinod!« rief er; »wohl wird es uns nicht lange vergönnt sein, zusammen zu bleiben; doch darfst Du versichert sein,« setzte er hinzu, einen Blick der Dankbarkeit auf die Prinzessin heftend, »daß nur der Tod dich mir entwinden wird!« – »Prinzessin-Tochter,« nahm Kaiserin Irene das Wort, »Du hast zur Genüge gezeigt, daß Du beim Manne tapferen Sinn zu ehren und zu preisen weißt; gleichviel, ob er sich findet beim Römer oder beim Barbaren, darum fahre fort in Deiner Schilderung!«

Mit einer Miene, die eine leichte Verlegenheit verriet, folgte Anna Komnena der mütterlichen Aufforderung, war aber kaum über die ersten Sätze der Fortsetzung hinaus, als die Haupttür des Saales aufflog, geräuschlos zwar, doch mit beiden Flügeln zugleich. Hieran ließ sich ermessen, daß es kein Höfling war, der eintrat, sondern ein Mann hohen Ranges, denn nur einem in Purpur Geborenen oder mit solchem Engverwandten stand hier ein solches Vorrecht zu. Die meisten der im Studiersaale anwesenden Personen schienen zu wissen oder doch zu ahnen, wessen Eintritt zu erwarten stand; und wenn sie den Ehgemahl der Prinzessin-Tochter und gelahrten Geschichtsschreiberin, den in der schönsten Blüte der Männlichkeit stehenden Nikephoros Briennios, wohl dem Range, aber nicht dem Rechte und der Würde nach – denn die Politik seines kaiserlichen Schwiegervaters hatte mehrere Personen zwischen ihn und sich einzuschalten verstanden – die zweitmächtigste Person im oströmischen Reiche, erwartet hatten, so sollten sie sich nicht getäuscht haben.

Fünftes Kapitel

Es war ein stattlicher Mann, der jetzt dem Sessel des Kaisers sich näherte, zum Zeichen der Huldigung das Knie tief beugend, und dann, von der Kaiserin steif und gezwungen begrüßt, zu dem leeren Sitze neben seiner Gemahlin, der Prinzessin Anna Komnena, sich verfügte. An seiner reichen, vornehmen Tracht und an den vielen Zeichen seiner Würde ließ sich der hohe Rang erkennen, der ihm gehörte. Er stammte aus dem vornehmsten, dem kaiserlichen durchaus ebenbürtigen Geschlechte des griechischen Kaisertums, und Alexius Komnenos war auch vorwiegend durch politische Rücksichten zu diesem Ehebunde seines Kindes bestimmt worden. Von einer Liebesheirat war hier nicht zu sprechen; denn Anna Komnena liebte es zu sehr, die gelehrte Dame zu spielen, um einem Manne, wie ihr Gemahl es war, volle Befriedigung zu schaffen, und es war bei Hofe ein offenes Geheimnis, daß Nikephoros Briennios nicht zu jenen Männern gehörte, die der Frau strenge Treue wahren. Allerdings vermied er ebenso streng jeglichen Eklat; anderseits war seine Familie zu mächtig und angesehen, als daß der Kaiser es zu einem solchen hätte kommen lassen mögen. Zudem stand Nikephoros Briennios in dem Rufe, ein gewandter Kriegs- und Staatsmann zu sein, zum wenigsten unterließ es sein Schwiegervater nie, bei allen wichtigeren Staatsgeschäften seinen Rat und Beistand einzuholen.

Der Kaiser brach zuerst das peinliche Schweigen, das nach dem Eintritte seines Schwiegersohnes in dem Raume herrschte; denn seine Gemahlin bereitete ihm einen höchst kühlen Empfang, und die Frau Schwiegermutter gehörte nicht zu den liebenswürdigeren dieser Gattung von Damen. »Ihr kommt freilich ein wenig spät, lieber Sohn,« sprach Alexius, »aber Ihr werdet wohl nicht leiden wollen, daß Unsere Anna die Lektüre abbreche, die Uns bislang so sehr erbaut hat? Sie liest heute abend die Schilderung Unserer siegreichen Schlacht von Laodikaia!« – »Dem Cäsar,« ergriff die Kaiserin Irene das Wort, »scheinen die edleren Genüsse, die ihm in Unserem Kreise winken, noch immer nicht sonderlich zu behagen; er sucht und findet anderweit wohl Zerstreuung, die ihm besser mundet.« – »Meine Gnädige,« erwiderte Nikephoros, »möge mir gestatten, sie an das alte Wort »de gustibus etc.« zu erinnern; es dürfte, wie anderen Leuten, wohl auch mir zur Entschuldigung gereichen; daß Unser allergnädigster Herr Papa sich über Milch und Honig, die zu Seinem speziellen Genusse fließen, freut und daran labt, verdenkt ihm kein Vernünftiger.«

Die Prinzessin nahm nun in dem gespreizten Tone schöner Frauen das Wort, die sich von ihrem Galan gekränkt, nichtsdestoweniger geneigt zu einer Aussöhnung fühlen. »Wenn mein Gemahl sich vielleicht in meinem Werke zu stiefmütterlich bedacht findet, so darf er nicht vergessen, daß es sein ausdrücklicher Wunsch war, mit jedem auf ihn besonders gemünzten Lobe zu kargen.« – »Meine liebwerte Gesponsin,« versetzte Nikephoros, »ich bin nicht hergekommen, mich an Deiner gelehrten Unterhaltung zu erbauen, sondern um mit unserem allergnädigsten Papa über dringende Staatsgeschäfte zu sprechen. Zu meinem Bedauern mache ich übrigens die Wahrnehmung, daß wir uns heute in recht gemischter Gesellschaft befinden.« Bei diesen Worten warf er auf den Waräger einen scheelen Seitenblick.

»Ihr tut dem tapferen Waräger schweres Unrecht, Schwiegersohn,« nahm Kaiser Alexius das Wort, »wenn Ihr ihn so geringschätzig abfertigen wollt; denn er ist der Bruder jenes Warägers, der Uns durch seinen Heldenmut und Tod bei Laodikaia den Sieg verschaffte.« – »Bedaure lebhaft, mein kaiserlicher Gebieter und Papa,« erwiderte Briennios, »in einem so wichtigen Falle gestört zu haben; hoffentlich geht der Zukunft nichts von der ihr zugedachten Erleuchtung dadurch verloren! Ich habe bis jetzt gemeint, daß Schlachten unter dem Befehle Eurer Majestät und Eurer Feldhauptleute geschlagen, also auch gewonnen und verloren werden. Hoffentlich hat Unsere Frau Prinzessin in ihrer Schilderung nichts Wesentliches vergessen, oder hat der tapfere Waräger« – hier wandte er sich hochmütig nach der Seite hin, wo Hereward stand – »ihr mit etwas nachhelfen können?« – »Daß ich nicht wüßte,« erwiderte Hereward in seinem Herrentrotze – »es sei denn die Musik der Damenritter, die uns Kriegern bei der Rast am Bache in die Ohren drang und die freilich mit die süßeste war, die die Krieger hätten hören können!« – »Oho! wagst Du hier freche Spottrede? Aus meinen Augen! Und laß es Dir nicht wieder beikommen, Dich vor mir sehen zu lassen, außer auf direkten kaiserlichen Befehl! Pascholl!« und er erhob drohend den Arm.

Der Waräger rührte sich nicht vom Platze, sondern blickte fragend auf Achilles Tatius als seinen Kommandanten; aber der Kaiser legte sich wieder ins Mittel. »Schwiegersohn,« sprach er mit hoher Würde, »Eure Rede kann Unsere Billigung nicht finden. Wenn zwischen Euch und Unsere Tochter sich Mißhelligkeiten schleichen, so erwächst Euch daraus noch kein Recht, Unseres kaiserlichen Ranges zu vergessen, indem Ihr einem Manne Pascholl zuruft, der auf Unseren Befehl sich hier befindet. Es entspräche nicht Unserem Belieben, wenn der Waräger Hereward oder Edward, oder wie sein Name sonst lautet, Uns jetzt verließe oder sich künftighin nach andern als Unsern oder seines Kommandanten Befehlen richten sollte. Indem Wir hiermit diese unliebsame Affäre aus der Welt geschafft zu haben meinen, fordern Wir Euch auf, Uns zu erklären, welcher Art die Staatsgeschäfte sind, die Euch hierher geführt haben. Schon wieder richtet Ihr Euren Blick auf den Waräger? Wir bitten Euch, um seinetwillen nicht zu warten; denn er besitzt Unser Vertrauen und nicht in geringerem Maße als jeglicher andere Rat oder Diener in Unserem Reiche.« – »Hören ist gehorchen!« antwortete, einlenkend, Briennios, denn er kannte seinen Schwiegervater zu genau, daß es ihm hätte entgehen sollen, in welchen Eifer sich derselbe hineinredete; »was ich zu melden habe, wird ohnedies bald in aller Munde im Reiche sein! Europa, kaiserliche Majestät, ist im Begriffe, sich über Asien zu stürzen!« – »Wohl eine Wiederholung jenes schwärmerischen Aufstandes zügelloser Barbaren, die unter dem schwärmerischen Vorwande, Syrien und die heiligen Stätten zu erobern, die Westgrenze unseres Reiches bedrohten?« fragte die Prinzessin ihren Ehgemahl. – »Nein, keine Wiederholung jenes Ansturms ungebildeter Massen,« erwiderte Nikephoros, »die von einem verrückten Einsiedler fanatisiert wurden und ihren Weg aus Deutschland nach Ungarn nahmen in der verrückten Hoffnung, es würden Wunder für sie geschehen wie damals, als Israel von einer Feuer- und Rauchsäule durch die Wüste geführt wurde. Aber es nährte sie kein Manna- und Wachtelregen, auch sprang kein Wasser aus den Felsen zu ihrer Erfrischung! Hunger und Durst machten sie vielmehr rasend, so daß sie zu plündern anfingen und es mit den Ungarn so wild trieben, daß diese sie haufenweise niederschlugen. Ganze Berge von Knochen sind heute noch Zeugen dieser Niedermetzelungen unheiliger Pilgerscharen.«

»Damit erzählt Ihr Uns bloß bekannte Dinge,« bemerkte der Kaiser, »aber welch neues Unglück bedroht Uns? Sprecht offen! Gilt es der Zerstörung Unseres Reiches? der Austilgung seines Herrschers aus der Reihe der Erdenfürsten?« – »Von solcher Absicht ist die Rede nicht und kann die Rede nicht sein,« erwiderte Nikephoros, »obwohl diesmal alles, was Europa an weisen und würdigen, tapferen und edlen Streitern besitzt, unter dem heiligsten Gelübde verbündet ist zu dem gleichen Vorhaben, das damals jene unheiligen Horden beseelte.« Er überreichte dem Kaiser eine große Pergamentrolle. »Hier, allergnädigster Herr und Papa, findet Ihr das Verzeichnis der verschiedenen Heere, die im Anmarsche gegen unsere Grenzen sind. Den Vortrab führt der Graf von Vermandois, Bruder des Königs von Frankreich, mit der Blüte des französischen Adels, wie dem Paniere des heiligen Petrus, das dessen heiliger Nachfolger seinen Händen überantwortete. Er mahnt Dich, ihm einen seinem Range angemessenen Empfang zu bereiten.« – »Tönende Worte,« erwiderte der Kaiser, »aber der schlimmste Wind für Schiffe ist nicht allemal der, welcher laut heult. So ganz unbekannt sind Uns die Franzosen ja nicht; sie sind wohl tapfer, aber nicht minder leichtsinnig; und so lange, bis Uns Zeit und Gelegenheit andere Verteidigungsmittel in die Hände liefern, wollen wir ihrer Eitelkeit schmeicheln. Was steht weiter in Eurer Rolle, Schwiegersohn? Wohl das Verzeichnis der Begleiter des fränkischen Grafen?« – »Nein, kaiserlicher Herr!« antwortete Nikephoros, »soviel unabhängige Heerführer Euer Auge auf dieser Liste erblickt, soviel unabhängige europäische Heere ziehen auf verschiedenen Wegen dem Osten zu, mit der Absicht, Palästina den Händen der Ungläubigen zu entreißen.« – »Eine grausige Menge!« rief der Kaiser, einen Blick auf die Pergamentrolle werfend, »zum Glück dürfte gerade diese Ueberzahl die Möglichkeit langen Bestandes solcher Schwärmerei ausschließen. Sieh da! ein alter Bekannter! Herr Bohemund von Antiochien, Sohn des berühmten Robert von Apulien, der sich vom einfachen Ritter zum Herzog über Sizilien aufschwang und ganz Italien unter seine Botmäßigkeit brachte! Eine furchtbare Familie und ein Geschlecht von Geschick und Kraft! Doch Bohemund wird sich der Politik des Vaters nicht anbequemen, mag er auch noch so eifrig von Palästina und christlichen Interessen schwatzen! Läßt sich sein Interesse mit dem meinigen m Uebereinstimmung bringen, so wird er sich durch keine andere Rücksicht bestimmen lassen. Soweit ich seine Absichten und Pläne kenne, dürfte uns der Himmel in der Gestalt eines Feindes einen Freund senden. Wer steht nach ihm auf Eurer Liste, Schwiegersohn?« – »Gottfried, Herzog von Bouillon, wie ich höre, der weiseste und tapferste, auch edelste der auf dem Marsche gegen unsere Westgrenzen begriffenen Heeresmassen, in hohen Ehren bei der gesamten abendländischen Ritterschaft, weil er unentwegt Treue und Großmut in allen Handlungen wahrt. Sein gerechter Sinn, seine offene Hand und sein ehrliches Wort haben ihm auch das gemeine Volk gewonnen, und die Geistlichkeit sagt ihm den höchsten Glaubenseifer, die tiefste Ehrfurcht vor der Kirche nach. Mit Fug und Recht wird er als das eigentliche Haupt des Heereszuges angesehen.«

»Recht zu beklagen, daß solch ein Fürst,« sprach der Kaiser, »sich von dem Fanatismus eines verrückten Einsiedlers, wie dieses Peters von Amiens, befallen läßt!« Eine Weile saß er überlegend da, dann fuhr er fort: »Es wäre wohl wert, zu erwägen, ob sich aus einem Teile der kleinasiatischen Länder, die jetzt von den Türken verwüstet werden, ein großes Reich bilden ließe? Die Moräste von Bouillon möchte es wohl aufwiegen, denn es gehörten ihm allerhand Vorzüge, als da sind: Boden, Klima, gewerbfleißige Bevölkerung und gesunde Luft. Allerdings müßte es von dem heiligen römischen Reiche ins Schlepptau genommen werden, würde aber unter dem Regiment eines Gottfried von Bouillon an der Spitze seiner siegreichen Franken ein Bollwerk abgeben können für Unsere gerechte und geheiligte Person. O, frommer Patriarch, würde solche Aussicht nicht jedem Kreuzfahrer den Appetit nach den steinigen Wüsten des gelobten Landes rauben?« – »Vornehmlich, wenn der Fürst, für den solch reiche Provinz in ein Lehen umgewandelt worden, zuvor zu dem allein wahren Glauben bekehrt worden, wie Kaiserliche Majestät doch sicher meinen!« – »Allerdings – ganz ohne Frage!« versetzte der Kaiser, aber mit recht gezwungenem Ernst, denn es fiel ihm ein, wie oft ihn politische Rücksichten genötigt hatten, nicht bloß lateinische Christen, sondern auch Manichäer und andere Häretiker, ja sogar Muhammedaner als Untertanen seines Reiches aufzunehmen, und daß derselbe Patriarch niemals eine Einrede dawider gemacht hatte.

»Wir müssen also,« nahm Nikephoros wieder das Wort, »wider ein Volk in Waffen treten, dem der Kampf das eigentliche Lebenselement ist, das, wenn es nicht im Kriege steht, sich untereinander zum Zweikampf fordert, wie wir einen Freund zum Wagenrennen fordern.«

»Genug, genug!« wehrte der Kaiser, »hat Gott den Franken Tapferkeit verliehen, die anderen Völkern fast übernatürlich erscheint, so hat er uns Griechen Weisheit im Rate verliehen: die Kunst also, statt durch Gewalt durch Klugheit zu siegen. Wir führen freilich nicht die Armbrust, die in den Händen der Franken eine furchtbare Waffe ist; dagegen sind wir im Besitze des griechischen Feuers, mit Recht so genannt, da nur griechische Hände es bereiten können und nur durch sie seine Blitze auf den bestürzten Feind geschleudert werden können.« Nachdem der Kaiser sich im Kreise umgeblickt hatte, sprach er, ohne sich durch die Blässe auf den Gesichtern seiner Räte beirren zu lassen, in zuversichtlichem Tone fort: »Die schlimme Zeitung, die Unser teurer Schwiegersohn, der Cäsar, Uns gebracht hat, meine würdigen und ernsten Räte, nötigt Uns, die Abendandacht, die wir den Musen schulden, abzukürzen, denn sie stimmt Uns nicht bloß zum Nachdenken, sondern legt Uns auch die Pflicht auf, über Mittel und Wege zu sinnen, wie Wir ihr günstige Seiten abgewinnen können. Darum wollen Wir Uns jetzt verabschieden. Auf Wiedersehen im Staatsrat, meine edlen und getreuen Räte!«

Die Höflinge überboten einander in Wünschen, daß diese fleißigen Studien keine schlimmen Folgen für die Gesundheit haben möchten. Nikephoros reichte seiner schönen Gemahlin den Arm. »Mein Cäsar,« sagte die Dame, »in dem Berichte, den Du uns heute gebracht, hast Du Dich so eleganter Wendungen bedient, daß ich fast meinen möchte, die neun Göttinnen, denen dieser Tempel geweiht ist, haben Dir Sinn und Form eingegeben.« – »Der Genius meiner eigenen Muse,« erwiderte Nikephoros, »birgt alle die Eigenschaften in sich, die den heidnischen Gottheiten des Parnasses von den heidnischen Völkern des Altertums zuerteilt wurden.« – »Vortrefflich gesprochen,« erwiderte die gelehrte Frau; »wenn Du aber Dein Ehgemahl über Verdienst mit Lob beschwerst, so mußt Du schon die Liebenswürdigkeit hinzufügen, ihr Deinen Arm zur Stütze zu lassen.«

Als sich die kaiserliche Familie entfernt hatte, ging die Versammlung auseinander, um jeder für sich andere Gesellschaft aufzusuchen, in der sie sich freier und ungezwungener bewegen konnten als in diesem den Musen geweihten Tempel.

Sechstes Kapitel

Der Kommandant führte den Waräger wieder auf dem gleichen Wege, den sie hergekommen waren, aus dem Palaste ins Freie hinaus, und als der letztere die vielen Türme, Giebel und Mauern hinter sich wußte, fühlte er sich wie von einer Zentnerlast erleichtert und blickte mit wahrer Herzenswonne zu dem tiefblauen griechischen Himmel auf, dessen Sterne in ungewöhnlicher Helligkeit funkelten. Es war ihm zumute, als sei ihm nach langer Kerkerhaft die Freiheit wiedergegeben worden. Er mußte dem übervollen Herzen Luft machen und redete sogar, im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, seinen Vorgesetzten an:

»Tapferer Hauptmann, die Luft in den Mauern, die wir glücklich hinter uns haben, mag ja süß sein, wirkt aber erstickend; man meint mehr, in einer Totengruft sich zu befinden als in einer menschlichen Wohnung.« – »Freue Dich,« erwiderte Tatius, »wenn Wohlgerüche, die, statt Tod zu säen, Tote lebendig machen könnten, den stumpfen Sinn in Dir ersticken, statt aufzufrischen. Aber das muß Dir der Neid lassen, daß Du, als Barbar, der im beschränkten Kreise eines Wilden das Licht der Welt erblickt hat, heute eine Probe gut bestanden hast, der kein anderer aus meiner erlesenen Schar gewachsen gewesen wäre. Ich schließe hieraus, daß die Natur Dich zu Höherem bestimmt hat. Aber sprich: ist Dir nicht auch brühwarm der Lohn dafür zuteil geworden?« – »Ich will das nicht in Abrede stellen,« erwiderte der Waräger, »die Freude, davon, daß Normannen hierher unterwegs sind, vierundzwanzig Stunden früher als meine anderen Kameraden Kenntnis erhalten zu haben, ist für das bißchen Ungemach, aus Frauenmunde über Dinge einen Vortrag mit anzuhören, von denen sie keinen Dunst hat, und Männer, die auch nichts dabei zu tun gehabt, dazu katzbuckeln und scherwenzeln zu sehen, immerhin, wenn auch keine große, so doch eben eine Entschädigung.« – »Hereward! Hereward! mich will bedünken, der Verstand gehe mit Dir durch,« ereiferte sich der Kommandant, »ich glaube, es wäre gut, Dich einem erprobten Manne unterzustellen, der Dir die Zügel ein wenig stramm hält. Merke Dir, daß zu viel Kühnheit zu Tollkühnheit führt! Und wenn es Dich eitel machen sollte, daß Du einer im Purpur geborenen Prinzessin, die meine Augen kaum anders als hinterm Schleier zu sehen gewohnt sind, frei ins Auge hast blicken dürfen, dann bist Du, fürwahr! von Tollheit nicht fern!« – »Meinetwegen!« versetzte Hereward; »aber sagt mir doch, wozu mögen schöne Larven denn auf der Welt sein, wenn man sie nicht ansehen soll? Und wozu mag unser Herrgott den jungen Männern die Augen in den Kopf gesetzt haben, wenn nicht zum Sehen?« – »Immerhin möchte ich meinen, daß Du der Prinzessin eher keck als züchtig, in die Augen geblickt hättest!« – »Bester Hauptmann, oder, wenn Ihr es lieber hört, bester, Akoluth,« erwiderte der Angelsachse, »treibt einen Menschen, der gewohnt ist, zu reden, wie es ihm ums Herz ist, nicht aufs äußerste, wenn er weiter nichts will, als sich der Familie seines Kaisers dienstwillig erweisen. Kann ich es ändern, wenn die Kaisertochter und Cäsarsgemahlin so recht aussieht wie ein schmuckes, liebes Weibchen? Wenn ich auch keine hohe Meinung von ihrer schreibseligen Ader hege, so würde ich mich doch keinen Augenblick besinnen, jeden, der sich über ihre Frauenschönheit abfällig äußern wollte, in die Schranken zu fordern. Ich will ohne weiteres zugeben, daß es noch schönere Damen gibt als die Prinzessin Anna Komnena; und zwar um so bereitwilliger lasse ich's gelten, als ich selbst schon eine Dame gesehen habe, die mir weit schöner als sie zu sein bedünkt. Somit können wir wohl, meiner Meinung nach, die Unterredung als abgeschlossen betrachten?«

»Deine Dame, Du Simpel!« rief Achilles, »ist sicher das Kind eines nordischen Bauern, der neben jenem Bauerngute hauste, in welchem jener Esel geworfen wurde, der vor Dummheit und Uebermut aufs Eis tanzen ging?« – »Hauptmann,« versetzte der Waräger, »redet, wie es Euch beliebt! Für uns beide bleibt's doch einmal das beste, die Unterhaltung fallen zu lassen. Haltet Ihr mein Urteil nicht viel wert, so ich das Eurige um nichts werter; und eine Person, die Ihr noch mit keinem Auge gesehen habt, verkleinern zu wollen, kann Eurem Sinne, wenn derselbe wirklich verständig ist, wohl nicht beikommen. Tätet Ihr es aber, wenn Ihr sie gesehen, so dürfte ich Eure Worte, wenngleich Ihr mein Vorgesetzter seid, so geduldig kaum hinnehmen!«

Es war nicht die Weise des Akoluthen, die hitzigen Gemüter der ihm unterstellten Waräger aufs äußerste zu bringen oder sich ihnen gegenüber mehr herauszunehmen, als sie vertragen konnten; zudem war Hereward einer von jenen Warägern, die es unbedingt ehrlich mit ihren Vorgesetzten meinten, ohne jeden Vorbehalt oder Hintergedanken: und so meinte der Kommandant, am besten zu tun, wenn er klein beigab und gutwillig eingestand, daß es ihm durchaus fern gelegen habe, den Empfindungen des jungen Kriegers irgendwie nahe zu treten. Das war auch wirklich der beste Weg, den aufgestiegenen Groll zu ersticken, und Achilles Tatius, dem daran gelegen war, noch über eine andere Sache mit Hereward zu sprechen, begann nach einer längeren Pause, als sie sich den Kasernen genähert hatten, in einem weit vertraulicheren Tone als bisher: »Mein Freund, ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Dir von den Personen, die Du in der geheiligten Gegenwart des Kaisers und seiner Familie gesehen, keine entgangen ist? Daß Du Dich vielmehr auch jenes Mannes von unhöfischem Aeußeren erinnerst, der sich den ganzen Abend über, wie es immer seine Gewohnheit, in der kaiserlichen Gegenwart nicht niedersetzte?«

»Ihr meint den Greis mit der großen Glatze und dem langen, weißen Barte, der bis zu dem Tuche niederwallt, mit dem er statt der seidenen Schärpe der andern Hofleute seine Lenden gürtet?« – »Du verstehst zu schildern, Waräger,« antwortete Achilles: »ist Dir noch mehr an dem dicken Herrn aufgefallen?« – »Daß sein Anzug wohl aus grobem Stoffe, aber reinlich war, und daß es mir vorkam, als wolle der Mann wohl zeigen, daß er arm sei und höfische Tracht verachte, gleichwohl aber Ordnung und Sauberkeit liebe.« – »Bileam hat sich, fürwahr! nicht ärger verwundern können, als sein Esel sich zu ihm wandte und redete, als ich mich wundere über die scharfe Beobachtungsgabe, die Dir zu eigen ist, Freund Hereward! Ich merke, man muß sich vor Deinen Augen nicht minder hüten als vor Deiner Axt!« – »Nichts für ungut, Kommandant: aber wir Engländer haben sowohl Augen als Hände, gestatten aber unserer Zunge, nur dann zu reden, wenn es sich mit unserer Pflicht vertragt. Ich habe auf die Reden, die der Greis führte, nur wenig geachtet; immerhin hat er auf mich den Eindruck gemacht, wie wenn er ein wenig zu Hanswurstiaden neigte, freilich im Widerspruch zu seinem Gesicht, so daß man meinen könnte, es verstecke sich dahinter irgend welche tiefere Absicht.«

»Du redest wahr, Hereward!« rief Achilles, »Agelastes ist ein Rätsel, wie auf Erden wohl nur selten wieder eines gefunden worden; er ist im Besitz der Weisheit der Alten und dabei durchtrieben wie Brutus, der ja bekanntlich auch sein großes Talent hinter der Maske eines Spaßmachers zu verbergen liebte. Er begehrt weder ein Amt, noch trachtet er nach einer Auszeichnung, sondern erscheint nur am kaiserlichen Hofe, wenn er geladen wird. Aber ohne daß er es sich sauer werden ließe, gewinnt er Einfluß auf die Menschen und Gewalt über sich; er soll sogar Umgang pflegen mit anderen Wesen, denen unsere Ahnen Opfer darbrachten, aber so wahr ich Achilles Tatius und Kommandant der Warägergarde bin, den Weg, auf dem er so leicht und hoch zu dem Gipfel steigt, den wir andern Hofleute nur mühsam erklettern, muß ich kennen lernen, und es müßte schlimm zugehen, wenn er die Leiter nicht mit mir teilte oder ich sie ihm nicht unter den Füßen wegziehen sollte. Zum Beistand hierbei, Hereward, habe ich Dich ersehen,« – »Sehr verbunden, Euer Edlen,« antwortete der Waräger, aber bei weitem nicht mit der Begeisterung, deren sich Achilles versehen hatte, »was meine Pflicht und, Schuldigkeit ist, will ich gern tun und Euch in allem zu Diensten sein, was sich mit dem Dienste Gottes und des Kaisers verträgt. Bloß merkt Euch, daß ich als Mann, der seinen Diensteid geleistet hat, nichts tun werde, was wider den Kaiser ist, und als gläubiger, wenn auch unwissender Christ stets die Satzungen der heiligen Kirche zur Richtschnur meines Handelns nehmen werde.« – »Simpel!« rief Achilles, »als einer der höchsten Würdenträger dieses Kaiserreiches werde ich wohl gerade Neigung hegen, wider Kaiser und Kirche zu handeln?« – »Fürwahr! das sollte auch niemand mehr in Betrübnis setzen als mich! Immerhin müssen wir gerade darum, weil wir in solchem Labyrinthe wandeln, Sorge tragen, daß wir uns nicht verirren, sondern immer auf dem geraden Wege verweilen. Es wird hier in so mancherlei Weise gesprochen, daß sich recht oft der rechte Sinn der Rede nicht erkennen läßt. Bei uns zu Lande hingegen ist's üblich, so unverblümt zu reden, daß es dem ärgsten Wortklauber schwer fallen möchte, zweierlei Sinn aus einer Rede heraus zu spintisieren.«

Der Akoluth blieb stehen und reichte dem Waräger die Hand – eine besondere Auszeichnung, die wohl kaum einem andern seiner Untergebenen erwiesen worden war. »Gut für heute,« sagte er, »wir wollen morgen weiter darüber reden. Finde Dich nach Sonnenuntergang in meiner Wohnung ein. Bis dahin sollst Du freier Herr Deiner Zeit sein. Amüsiere Dich oder ruhe Dich aus! Willst Du meinem Rate folgen, so laß das erste und tu das andere, denn morgen dürften wir wohl wie heute lange Nacht machen müssen!«

Sie trennten sich vor den Kasernements: der Kommandant verfügte sich in die ihm als Wohnung dienende Reihe von glänzenden Gemächern, der Waräger in einer der bescheiden eingerichteten Mannschaftszellen.

Siebentes Kapitel

Zeitig am andern Vormittag versammelte sich der Staatsrat; die große Anzahl hoher Kronbeamten mit wuchtigen Titeln war ebenso darauf berechnet, die Schwäche des Reiches zu bemänteln, wie die stattliche Menge von Offizieren, um über den geringen Mannschaftsstand des Heeres zu täuschen. Es war demnach ein gar langer Schweif von betreßten und uniformierten Herren, die in die große Haupthalle des Blachernä-Palastes eintraten, aber die zeremoniellen Vorschriften an diesem despotischesten aller Höfe waren so ausgeklügelt und verzopft, daß in jedem Gemache, wohin der Zug gelangte, einige davon zurückblieben, weil ihnen ihr Rang den weiteren Zutritt wehrte. Bis zum eigentlichen Audienzsaale waren der Gemächer gerade ein Dutzend zu passieren, und so waren schließlich gerade noch fünf Personen übrig geblieben, die bis zu dem innersten und heiligsten Gemache der kaiserlichen Würde, das mit allem Prunke des Zeitalters ausgestattet war, vordringen durften.

Kaiser Alexius saß auf einem herrlichen Throne, der mit Edelsteinen und Gold überladen und zu beiden Seiten, wahrscheinlich zur Nachahmung salomonischer Pracht, mit einem ruhenden goldenen Löwen dekoriert war. Ueberschattet wurde der Thron von den goldenen Zweigen eines Baumes, dessen goldener Stamm seine Rückseite bildete; auf den Aesten und Zweigen, wie unter dem Laube, glitzerten allerhand künstliche Vögel und Insekten in der schillerndsten Farbenpracht, und die mannigfachsten Früchte, sämtlich aus Juwelen und Edelsteinen zierlich gebildet, hingen von den Aesten und Zweigen hernieder.

Dieses geheiligte Gemach zu betreten, war das ausschließliche Recht der fünf höchsten Kronbeamten, wenn der kaiserliche Rat versammelt wurde, nämlich des Majordomus, dessen Rang und Amt etwa demjenigen eines Ministerpräsidenten im modernen Staatswesen entsprechen dürfte; dem Logothet oder Reichskanzler; dem Protospatharius oder Oberbefehlshaber des Reichsheeres; dem Akoluth oder Kommandanten der kaiserlichen Warägergarde, und dem Patriarchen als Oberhaupt aller kirchlichen Behörden im Reiche.

Die Portale, die zu diesem geheiligten Raume des Palastes fühlten, wurden durch sechs nubische Sklaven gehütet, deren schwarze, verschrumpfte Gesichter in widrigem und grellem Gegensatze zu ihrer weißen Tracht mit dem glitzernden Harnisch darüber standen. Damit sie nicht die Taten der despotischen Herrscher, ausplaudern könnten, deren blinde Werkzeuge sie waren, wurden sie der Fähigkeit der Sprache durch Ausreißen der Zunge beraubt, nach dem bei asiatischen Despoten in Uebung befindlichen Brauche. Ein weiterer, aus Asien entlehnter Brauch bestand darin, daß vermittelst einer künstlichen Vorrichtung die beiden Thronlöwen den Eintritt jedes Fremden in das Staatsgemach durch lautes Gebrüll verkündeten, daß ein Windstoß durch das goldene Laub der Bäume fuhr, daß die goldenen Vögel von Ast zu Ast hüpften, an den goldenen Früchten pickten und ihr mechanisches Gezwitscher hören ließen. Das Ganze war weiter nichts als kindische Spielerei und hatte doch schon manchen der beim Reiche akkreditierten Botschafter und der an den kaiserlichen Hof gesandten Boten in Schrecken gesetzt; und kein kaiserlicher Rat durfte sich dem Throne nahen, selbst wenn es zum halbhundertsten Male geschah, ohne über das Löwengebrüll zu erschrecken und das Vogelgezwitscher zu bewundern. Heute indessen wurde den fünf obersten Staatsbeamten der kindische Brauch erlassen, was als ein bedeutsames Zeichen der Dringlichkeit der bevorstehenden Sitzung aufgefaßt werden mußte. Die Rede, mit welcher der Kaiser sie eröffnete, setzte mit einer an das Löwengebrüll gemahnenden Stärke ein, ging aber in süßlichen, dem Vogelgezwitscher ähnlichen Tönen aus. Sie wandte sich zuerst drohend gegen die zahllosen Heerscharen der Franken, die unter dem Vorwande, Palästina den Ungläubigen zu entreißen, sich der schmählichen Verletzung kaiserlichen Reichsgebietes schuldig gemacht hätten, und bedrohte die Eindringlinge mit schweren Züchtigungen; er verweilte indes nicht eben lange bei diesen, von den anwesenden Militärs mit Beifall begrüßten Ausführungen, sondern legte nach einigen schicklichen Uebergangsworten dar, daß man freilich in den Franken keine barbarischen Horden, sondern Christenheere zu erblicken hätte, deren Ziele doch vielleicht, wenn auch auf Irrtümern fußend, eine nachsichtige Beachtung bedängen. Zudem kämen sie nicht bloß in großen Scharen, sondern in großen Heeren, und hätten von ihrer Tapferkeit die rühmlichsten Beweise gegeben, wie namentlich in der großen Schlacht bei Durazzo. Sie seien mithin Gegner, die nach allen Seiten hin ernst aufzufassen seien, könnten aber, menschliche Weisheit und göttliche Fügung vorausgesetzt, leicht zu vorteilhaften Werkzeugen für das allerheiligste Reich umgewandelt werden. Sein Plan ginge deshalb dahin, zu der Tapferkeit, die das Herz eines Kaisers immer entflammen müsse, Klugheit, Humanität und Großmut zu gesellen, und um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er hiermit das Richtige gewählt habe, richte er zunächst an den Majordomus die Frage, auf welche Streitkräfte westlich vom Bosporus gezählt werden dürfe. . »Unzählig wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meere ist die Streitmacht, die Kaiserlicher Majestät zu Gebote steht!« lautete die Antwort. – »Eine vortreffliche Rede, Majordomus,« erwiderte der Kaiser, »falls Reichsfremde an diesem Staatsrate teilnähmen; da wir aber in geheimer Sitzung beraten, so wollen wir alle Umschweife vermeiden. Ich muß wissen, was ich unter dem Ausdrucke unzählig, den Du brauchest, zu verstehen habe.«

Diese Worte belehrten den Majordomus, daß heute mit dem Kaiser nicht zu spaßen sein werde, und so überdachte er sich eine Weile, bevor er seine Antwort, wie folgt, formulierte: »Kaiserliche Majestät wissen am besten von uns allen hier, wie schwer es ist, auf diese Frage verläßliche Auskunft zu geben. Ungerechnet die auf Urlaub befindlichen Mannschaften, wird sich die Stärke des zwischen der Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Etappen verteilten Heeres auf etwa fünfundzwanzig- bis höchstens dreißigtausend Mann veranschlagen lassen.« Der Kaiser schlug sich mit der Hand vor die Stirn, zum Zeichen des Verdrusses, den er fühlte. Die Räte, bestürzt hierüber, ergingen sich daraufhin in Auseinandersetzungen, die sie weit lieber für eine andere Zeit und einen anderen Ort aufgespart hätten. »Im letztverwichenen Jahre,« ergriff der Logothet das Wort, »ist aus dem Schatze Kaiserlicher Hoheit, wie mir Dieselben vertraut haben, soviel Gold entnommen worden, daß reichlich die doppelte Zahl von Bewaffneten, die der Majordomus angibt, unterhalten werden könnten.« – Mit Eifer äußerte hierauf der Majordomus, daß Kaiserliche Majestät zu den Linientruppen noch die Besatzungstruppen rechnen müsse, die von dem Vorredner dem Anschein nach nicht in Betracht gezogen würden. – »Ruhe, ihr Herren!« nahm der Kaiser wieder das Wort, »Unsere Heeresmacht ist allerdings um vieles geringer, als Wir dachten. Indessen wäre es sicher verkehrt, durch Zwist die Not der Zeit zu verschlimmern. Unsere Truppen sollen zwischen Unserer Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Tälern und Pässen, auf Höhen und andern schwierigen Punkten derart verteilt werden, daß man ihre geringe Stärke höher einschätzt. Unterdes werden Wir mit den Kreuzfahrern, wie sich die fremden Heerscharen nennen, in Unterhandlung über die Durchzugsbedingungen treten und erwarten, hieraus Vorteile für das Reich zu gewinnen. So gedenken Wir ihnen den Durchzug nur in Abteilungen bis zu fünfzigtausend Mann und den Anmarsch zu Unserer Hauptstadt nur immer einer solchen Abteilung zu gestatten, so daß die Sicherheit derselben nicht bedroht werden wird. Wir sind willens, wenn sich die durchziehenden Heerscharen friedlich betragen und ordentlich führen, für ihren Unterhalt zu sorgen. Etwaige Marodeure werden durch die kräftigen Bauern Unseres Landes ohne direkten Befehl von Uns – denn Wir wünschen nicht, in offene Fehde mit den Feinden zu treten – zur Räson gebracht werden. Des weiteren versehen Wir Uns von seiten der in Unserem Reichsgebiete befindlichen Skythen, Araber, Syrer und anderer Söldner aller Beihilfe gegen etwaige Versuche der Eindringlinge zur Schädigung Unserer Untertanen; es soll Uns auch durchaus nicht befremden, da Wir nicht gewillt sind, Unser Land um der fremden Menschen willen in Armut zu stürzen, wenn unter die Mehllieferungen hin und wieder ein Sack voll Kreide oder Kalk geschmuggelt wird. Ein Frankenmagen kann bekanntlich Erstaunliches vertragen. Auch sollen die Führer, die aus Unseren Bürgern und Bauern von den Fremden genommen werden, nicht immer die besten und kürzesten Wege weisen, und zwar im eigensten Interesse der Fremden, weil es denselben anders ja schwer fallen möchte, sich an die Widerwärtigkeiten von Land und Klima zu gewöhnen. Wir selbst wollen Uns unterdes bemüht zeigen, – und Gleiches empfehlen Wir allen Unseren Räten und Beamten – dem Hochmut der fremden Heerführer, die sich nicht geringer als ein Kaiser dünken, nicht zu nahe zu treten, anderseits aber keine Gelegenheit verabsäumen, ihnen schickliche Begriffe von Unseres Reiches Macht und Stärke zu geben. Wo es angebracht erscheint und wo Vorteile dadurch winken, soll mit der Verteilung von Geld nicht gegeizt werden, sei es an Hoch-, sei es an Niedriggestellte. Solcherweise bezweifeln Wir nicht, daß es gelingen werde, über diese auf einander eifersüchtigen und aus aller Herren Ländern zusammengelaufenen Franken so viel Macht zu gewinnen, daß es ihnen vorteilhafter erscheinen wird, Uns als ihren Oberherrn zu erkennen, statt sich aus ihren eigenen Kreisen einen solchen zu erküren; denn der Tatsache, daß jeglicher Ort Palästinas von Dan bis Berseba ursprünglich ein Teil Unseres heiligen römischen Reiches sei, und daß jeglicher Christ, der dort auf Eroberung ausgeht, solches nicht anders tun könne denn als Uns untertan und angewiesen auf die Uns schuldige Lehnspflicht, wird sich im großen und ganzen keiner dieser Kreuzfahrer verschließen können.«

Die fünf hohen Räte neigten das Haupt und riefen: »Lang lebe der Kaiser!« worauf Alexius ihnen nochmals einschärfte, die von ihm gegebenen Direktiven streng einzuhalten, und mit den Worten schloß: »Den Befehl über die Schar der Unsterblichen, die in der Hauptstadt verbleibt und zu der sich Unsere Warägergarde zu gesellen hat, übernehmen Wir selbst, um an ihrer Spitze die Ankunft dieser Kreuzfahrer zu erwarten. Wir werden, solange es angeht, jedem Kampfe aus dem Wege gehen und nur im schlimmsten Falle Uns auf einen solchen einlassen, indessen immer bereit bleiben, Uns demjenigen zu fügen, was der allmächtige Herr der Schöpfung über Uns verhängen wird.«

Hierauf ging der Staatsrat auseinander. Die verschiedenen Kronbeamten begaben sich nach ihren verschiedenen Abteilungen oder Aemtern, und nun konnte man den Charakter des Griechenvolkes in seiner vollen Eigentümlichkeit kennen lernen, denn ihre laute, großsprecherische Art, Geschäfte zu verrichten, konnte – worauf es dem Kaiser in erster Reihe ankam, nicht verfehlen, von der Größe und dem Reichtum des oströmischen Reiches eine günstige Meinung zu erwecken; daß sie nebenbei – auch entsprechend ihrem Charakter – nicht unterließen, bei allem, was mit Geld im Zusammenhange stand, tüchtig in die eigene Tasche zu arbeiten, wollen wir jedoch hier ebensowenig verschweigen.

Die Nachricht von dem Herannahen des gewaltigen Völkerheeres und seiner Absicht, nach Palästina zu ziehen, verbreitete sich nun mit wachsender Eile in der Hauptstadt. Wie immer bei solchen Anlässen, mischte sich Wahrheit und Dichtung. Manche wollten wissen, Zweck des fränkischen Zuges sei die Eroberung Arabiens und die Zerstörung des Prophetengrabes; andere behaupteten, daß für die Franken, doch Konstantinopel das nächstliegende Plünderungsobjekt sei; noch andere behaupteten, der griechische Patriarch solle gezwungen werden, sich der päpstlichen Oberhoheit zu unterwerfen, die Form des lateinischen Kreuzes anzunehmen und das Kirchenschisma fallen zu lassen. Für die Warägergarde sorgte Hereward noch für eine besondere Freude durch die Nachricht, daß ein normannisches Heer unter dem Sohne des berühmten Wilhelm des Eroberers, Herzog Roberts, im Anrücken sei, und, wie sich nicht anders erwarten ließe, mit besonders feindlicher Absicht gegen die Waräger, die sie sogar bis hierher zu verfolgen trachteten, getrieben von dem unausrottbaren Hasse wider alles, was angelsächsisch ist und von angelsächsischem Blute stammt. Alle Waräger verschwuren sich nun, das Blutbad von Hastings, wo ihr König Harald dem Normannen Wilhelm unterlag, mit der Schärfe ihrer Streitäxte an den normannischen Teilnehmern des Kreuzzuges zu rächen, und sie setzten Hereward vom frühen Morgen bis zur späten Nacht mit Fragen und Vermutungen so zu, daß er es bald bereute, sie mit dieser Neuigkeit versorgt zu haben. Gegen Mittag kam dann aus dem Munde des Kommandanten Achilles Tatius die weitere Kunde, daß die Waräger zusammen mit den Scharen der Unsterblichen unter den Wällen der Stadt ein Lager zu beziehen hätten, um zur Verteidigung derselben sofort bereit zu sein. Das lenkte die Waräger auf andere Dinge, denn sie erwarteten nun alsbald den Ausbruch von ernsten Feindseligkeiten und wußten sich vor Jubel darüber nicht zu fassen. Hereward aber, von dem Wunsche nach Einsamkeit erfüllt, begab sich, ohne sich von jemand aufgehalten zu sehen, aber von vielen Blicken verfolgt, weil überall die Meinung bestand, daß er weit mehr noch über die großen Tagesneuigkeiten wissen müsse, seit er Zutritt zu dem Kaiser in dessen Privatgemächern gehabt habe – aus den lichteren Baumreihen in die dunkleren, von den schmäleren zu den breiteren Terrassen; aber die Empfindung, doch nicht allein zu sein, wollte nicht von ihm weichen. Es währte auch nicht lange, so sah er einen schwarzen Sklaven hinter sich her schleichen; zwar verlor er ihn auf Minuten aus dem Gesichte, aber immer tauchte er in gewissem Abstande wieder hinter ihm auf. Endlich wurde es dem Waräger unangenehm, sich so verfolgt zu sehen: er drehte sich rasch um, trat dem Neger an einem einsamen Orte gegenüber und fragte ihn, was ihm einfiele, hinter ihm her zu schleichen, und ob er es auf jemands Befehl oder aus eigenem Willen tue?

Der Neger erwiderte in einem dem Waräger kaum verständlichen Kauderwelsch, daß er Befehl habe, zu beobachten, wohin der Waräger sich begebe. – »Von wem Befehl?« rief der Waräger. – »Von meinem Herrn und von dem Euren,« sagte der Neger. – »Ungläubiger Hund!« rief der Waräger, »hätten etwa wir schon zusammen Kameradschaft gehalten? Wen also wagst Du meinen und Deinen Herrn zu nennen?« – »Einen, welcher Herr über die Welt ist, da er seinen Leidenschaften Zügel anzulegen weiß,« erwiderte der Neger.

»Laß Dir nicht beikommen, mich mit dergleichen Weisheitsbrocken abzuspeisen,« rief der Waräger, »es könnte Dir sonst klar werden, daß mir die Fähigkeit zum Schaden anderer abgeht, meine Leidenschaften zu beherrschen. Also: was willst Du von mir? und weshalb schleichst Du mir nach?« – »Ich habe es doch schon einmal gesagt: auf Befehl meines Herrn!« – »Wer ist Dein Herr?« – »Das muß er Dir selbst sagen; denn darüber, wie auch über die Absicht, die er mit Dir verfolgt, hat der arme Sklave kein Recht, zu schwatzen.« – »Er hat Dir aber die Zunge zum Schwatzen gelassen!« rief der Waräger, indem er drohend die Axt hob; »sperr' Dich nicht länger, oder ich lehr' Dich auf andere Weise, mir zu sagen, was Du Dich zu sagen weigerst!« – »Schlagt Ihr den armen Sklaven nieder, so entzieht Ihr Euch auch die Möglichkeit, von seinem Herrn zu hören, was er von Euch will; denn wie sollt Ihr dann erfahren, wer der Herr ist? Noch ein paar Schritte, und Ihr werdet dem gegenüberstehen, der mich schickt; wozu wollt Ihr Eure Ehre besudeln, indem Ihr einen Wehrlosen erschlagt?« – »So geh' weiter voran! aber glaube mir, daß ich mich mit Worten nicht narren lasse! Zeig' mir den frechen Wicht, der sich herausnimmt, mir Spione an die Fersen zu heften!«

Mit einem Scheelblick, der trefflich zu dem Gesicht voll Bosheit und Tücke paßte, ging der Neger weiter, während der Waräger argwöhnisch folgte; unterwegs sah sich der Neger wiederholt um, und mit so scharfem, durchbohrendem Blicke, daß Hereward wiederholt meinte, es möge klüger für ihn sein, nicht weiter zu folgen; und je näher sie dem Ziele kamen, desto öfter kam dem Waräger diese Meinung.

Der Weg ging von der Terrasse nach dem Meeresufer zu, an eine Stelle, die mehr im Hintergrunde des Goldenen Hornes lag und mit Getrümmer augenscheinlich sehr hohen Alters bedeckt war. Während die Pflanzenwelt sonst überall üppig wucherte, standen hier nur einige spärliche Zypressen. Was von den Trümmern noch zu unterscheiden war, ließ einen von dem griechischen stark abweichenden Stil erkennen, aber zu bestimmen, was für ein Stil es sei, war nicht möglich, dazu war selbst der Portikus, als den man den einen Haufen hätte ansprechen können, nicht mehr erhalten genug; bloß die auf den Kolossalstatuen befindlichen Zeichen, die aber auch fast nicht mehr zu erkennen waren, standen bei den Bewohnern Konstantinopels in dem Ansehen ägyptischer Hieroglyphen, und hieraus hatte sich die Sage gebildet, daß die Trümmer von einem uralten Kybele-Tempel herrührten, der zu einer Zeit gebaut worden sei, als Konstantinopel noch den Namen Byzanz geführt habe, daß also vor Jahrhunderten, wie in allen Kybele-Tempeln, auch hier die schändlichsten Genüsse ihren Kultus gehabt hätten. Als das Christentum zur Staatsreligion durch Konstantin den Großen erhoben worden, sei der Tempel niedergerissen und zerstört, die Stätte, wo er gestanden, als unheilig erklärt und verflucht worden.

Dem Waräger war der üble Ruf dieser Oertlichkeit nicht fremd, und als der Neger sich anschickte, in das alte Getrümmer zu dringen, blieb Hereward stehen und erklärte, keinen Fuß weiter setzen zu wollen, ehe ihm nicht gesagt worden sei, wer und was ihn hier erwarte. Der Neger aber, ohne mit einem Worte zu erwidern, trat beiseite, wie wenn er dem Waräger Platz machen wollte, und am Ende eines halbversteckten, kaum sichtbaren Pfades, vor einer halbverfallenen Nische, erblickte er, auf einer Grasnarbe sich sonnend, – den Philosophen Agelastes.

Achtes Kapitel

Als er Herewards ansichtig wurde, sprang der wohlbeleibte Greis rascher, als es sich von ihm hätte vermuten lassen, vom Boden auf. »Willkommen, o tapferer Waräger,« rief er ihm entgegen, »gleichviel, welche Ursache Dich hierher geführt haben mag!« – »Mich hat ein Neger hergeführt,« erwiderte Hereward, »der mir vorredete, es sei Euer Begehr, mich zu sehen. Wohl habe ich gemerkt, daß der schwarze Musje etwas vom Spötter an sich hat. Sollte er mich belogen haben, so bleibt mir nur übrig, mich in schicklicher Weise bei Euch zu entschuldigen, daß ich Euch in Eurer Einsamkeit gestört habe, und mir zu überlegen, ob ich dem verlogenen Burschen die Schläge, die er dann verdiente, schenken werde oder nicht.« – »Mein Neger Diogenes hat, wie Ihr bemerkt habt, seine Schrullen; aber er hat auch andere Eigenschaften, die ihn Leuten von anderer Farbe und mit schöneren Zügen ebenbürtig machen.« – »Was aber könnte Eure Weisheit mit mir zu reden haben?« – »Als Beobachter der Natur,« erwiderte der Philosoph, »werden mir Dinge, die bloß eine künstliche Außenseite haben, leicht überdrüssig, so daß ich mich zuweilen nach echter Natur sehne.« – »In mir seht Ihr aber schwerlich viel Natur,« versetzte Hereward, »denn bei uns Soldaten ist doch alles Drill! Lager, Hauptmann, Rüstung bilden bei uns den Geist und die Glieder, gleichwie den Seekrebs die Schale. Seht Euch einen von uns an, und Ihr seht alle!« – »Daran sei mir doch Zweifel erlaubt,« erwiderte Agelastes, »denn ich bin der Meinung, daß in Waltheoffs Sohne mit Namen Hereward ein außerordentlicher Mensch steckt, obwohl er in seiner Bescheidenheit seinen Wert selbst nicht kennt.«

»Waltheoffs Sohn?« rief der Waräger betroffen; »Ihr kennt den Namen meines Vaters?« – »Sei nicht darüber verwundert!« antwortete der Philosoph; »viel Mühe hat's mich nicht gekostet. Hoffentlich kostet es mich nicht größere Mühe, Dich von der Aufrichtigkeit meiner Freundschaft zu überzeugen.« – »Daß ein Mann von Eurem Range und Eurer Weisheit es der Mühe für wert hält, sich unter der Warägergarde nach dem Vatersnamen eines ihrer Unteroffiziere zu erkundigen,« sagte Hereward, »ist für die Garde unstreitig höchst schmeichelhaft. Mein Kommandant, der Akoluth, dürfte sich solche Mühe kaum machen mögen.« – »Meines Wissens habt Ihr einen sehr hohen Herrn kennen gelernt,« versetzte Agelastes, »der nicht minder die Eigenschaft besitzt, sich um die Namen seiner Jagdhunde mehr zu bekümmern als um die seiner Soldaten; ja, dem es wohl am liebsten wäre, er könnte sie wie diese durch einen Pfiff an seine Seite rufen.« – »Solche Reden möchte ich mir verbeten haben,« sagte der Waräger. – »Es lag nicht in meiner Absicht,« bemerkte hierauf der Philosoph, »Dich zu kränken, noch weniger, Dir die gute Meinung, die Du von jener Person gewonnen, zu schmälern. Immerhin befremdet es mich, bei jemand, der solche vortrefflichen Eigenschaften hat wie Du, solche Meinung zu finden.« – »Lassen wir dieses Thema,« sagte der Waräger, »so wunderlich es mir vorkommt, solche Reden aus dem Munde eines Mannes von Eurer Art zu hören, so möchte ich doch darauf erwidern, daß sowohl Schmeichel- wie Scheltworte bei mir verloren sind.« – »Gerade um dieser Charakterfestigkeit wegen bitte ich um Eure Freundschaft, bitte darum wie ein Bettler, und Ihr weigert sie mir wie ein Grobian.« – »Verzeiht, wenn jetzt ich Zweifel hege,« versetzte Hereward; »ich wüßte zum wenigsten nicht, von wem Ihr über meine Eigenschaften Kenntnis erhalten haben solltet, und zusammengetroffen sind wir doch meines Wissens erst einmal in unserem Leben, und daß ich Euch nichts bei dieser Gelegenheit über mich gesagt habe, dürftet selbst Ihr nicht abstreiten wollen.« – »Ihr seid im Irrtum, Sohn,« sagte Agelastes, »wenn Ihr mich für einen Mann haltet, der sich wegen Lappalien mit Euch befaßt. Sieh, wenn ich das zertrümmerte Anubis-Bild berühre, vermag ich den Geist, der hier lange orakelte, erscheinen zu lassen, vermag ich dem Steine da sein altes Leben wiederzugeben. Uns Eingeweihten gibt eben, wenn wir auf diese zertrümmerten Gewölbe stampfen, das Echo Antwort. Drum sollt Ihr Euch aber nicht der Meinung hingeben, daß ich mich um Eure Freundschaft bewerbe bloß in der Absicht, auf diese Weise zu Auskünften über Euch oder andere zu gelangen.« – »Merkwürdige Worte,« versetzte der Angelsachse; »doch sollen, wie mir mein Großvater Kenelm sagte, die gleißnerischen Worte der heidnischen Philosophie dem Christentum von größerem Schaden sein als die Drohungen heidnischer Tyrannen.« – »Euer Großvater Kenelm ist durch einen edlen Mönch vom Wodansglauben zum Christenglauben bekehrt und in der Kapelle des heiligen Augustinus beigesetzt worden.« – »So kanntet Ihr ihn?« – »Ja. Ob von Angesicht zu Angesicht oder in geistiger Hinsicht, tut ja nichts zur Sache.« – »Nun, er ist tot, aber eben darum sind mir seine Worte um so heiliger. Er hat mich vor Irrlehren falscher Propheten schon gewarnt, als ich noch nicht recht in den Sinn seiner Worte einzudringen fähig war.« – »Dein Großvater, Hereward, war ein braver Mensch, aber beschränkt wie wohl alle Priester; und wie sie, hätte auch er am liebsten die Betrachtung der überirdischen Welt auf unser sittliches Betragen in dieser und auf unsere Seligkeit in jener Welt beschränkt gesehen. Nichtsdestoweniger besitzt der Mensch, sofern es ihm nicht an Mut und Weisheit gebricht, die Freiheit, Umgang zu pflegen mit höheren Wesen, die über die dem Menschen gezogenen Schranken, wie die Rede heißt, lächeln und Hindernisse, die dem Laien als unüberwindlich erscheinen, durch ihre übersinnliche Kraft bezwingen.«

»Das sind doch aber läppische Dinge, die der Mann belächelt,« sagte Hereward. – »Nicht doch,« versetzte Agelastes, »es liegt jedem Menschen der Wunsch im Grunde seines Herzens, Umgang zu pflegen mit mächtigeren Wesen, die über uns sind und uns nur übernatürlich erscheinen; ich brauche ja, zum Beweise dafür, daß ich die Wahrheit spreche, bloß an Dein eigenes Herz zu appellieren! Beschäftigen sich Deine Gedanken nicht eben jetzt mit einem Wesen, das, wenn nicht längst gestorben, so doch längst von Dir getrennt wurde? Bestürmen Dich nicht, wenn Du ihren Namen vernimmst, Empfindungen, die Du in Deiner kindlichen Einfalt längst begraben wähntest? Du erschrickst und bist betroffen? Nun, sofern Dir daran liegt, will ich Dir sagen, wie es um diese Bertha steht, deren Andenken Du noch immer in Deinem Busen trägst, trotz aller Mühsale Deines Standes.«

Mit einem gewissen Zittern in der Stimme erwiderte der Waräger, der erst ein paar Minuten lang betroffen den Philosophen angestaunt hatte: »Wer bist Du, Mann, und was willst Du von mir oder mit mir? Auf welchem Wege hast Du Dinge zu Deiner Kenntnis gebracht, die für mich so viel, für andere so wenig wert sind? Nur eines kann ich sagen, daß Du, ob zufällig oder nicht, einen Namen ausgesprochen hast, der mir ins tiefste Herz geschrieben steht, aber ich bin Christ und bin Waräger, und es wird nie geschehen, daß ich Gott oder meinem Kaiser die Treue breche. Du hast gegen letzteren in Deine Rede ein paar sarkastische Worte eingeflochten; das allein erlegt mir die Pflicht auf, hinfort Deinen Umgang zu meiden, sei es im Glück, sei es im Unglück. Ich habe dem Kaiser meinen Diensteid geleistet, und wenn ich auch der Mann nicht bin, ihm nach Höflingsweise kleinliche Ehrfurchtsbeweise zu geben, so soll er doch nie in Verlegenheit kommen, wenn er sich auf Hilfe durch meine Streitaxt angewiesen sieht.« – »Das wird niemand zweifelhaft sein,« versetzte der andere, »aber meines Wissens stehst Du unter dem unmittelbaren Befehle Seiner Ehren des Akoluthen?« – »Der Dienstordnung nach ist er mein Vorgesetzter, hat sich gegen mich immer als ein freundlicher Herr erwiesen und mir oft Erleichterungen zuteil werden lassen, wo ich vielleicht kein Recht gehabt hätte, sie zu erwarten, geschweige zu fordern. Aber er ist Diener meines Fürsten so gut wie ich, und da wir beide einander schließlich durch ein einziges Wort fördern oder schädigen können, ist der Unterschied zwischen uns beiden schließlich so erheblich nicht!« – »Du sprichst mit großer Zuversicht von Deiner Kraft, und das gefällt mir an Dir wahrlich nicht zum wenigsten; gewiß! da Du ihn an Kriegskunst wie auch an Tapferkeit in Schatten stellst, so hast Du auch ein Recht, Dich mit ihm zu messen!« – »Ihr wollt mir da ein Lob zollen, das ich aber nicht gelten lassen kann,« antwortete der Waräger, »der Kaiser wählt seine Offiziere nach Verdienst, das heißt, soweit sie ihm Verdienst zu besitzen scheinen. Nach diesem Maßstabe würde ich ohne Zweifel zurückstehen müssen. Aber, wie schon einmal gesagt, ich habe meinem Kaiser den Diensteid geleistet und lehne jede weitere Auseinandersetzung mit Euch über dieses Thema ab.« – »Komischer Kauz!« sagte Agelastes, »vermögen Dich denn wirklich bloß Dinge zu bewegen, die Dir fremd sind?« – »Ich habe über das, was Du zu mir gesprochen, nachgedacht und muß wohl sagen, daß Du das Mittel gefunden hast, mein Herz in Aufruhr zu setzen; aber das reicht nicht hin bei einem Manne wie mir, auch meine Grundsätze zu erschüttern. Warum soll ich mit Dir über Dinge sprechen, die für Dich nicht wichtig sein können? Man sagt, daß Zauberer und Beschwörer sich zu ihrem schlimmen Werke des Namens unseres Allerhöchsten bedienen, es braucht also nicht zu verwundern, wenn auch der Name des allerreinsten Wesens unter seiner Sonne einmal dazu herhalten soll. Magst Du sonst welchen Zweck mit Deiner Rede verfolgen, sie wird in mein Herz keinen Eingang finden, denn es ist danach beschaffen, nicht bloß den Verführungen der Menschen, sondern auch denen des Teufels zu trotzen.«

Mit diesen Worten drehte der Waräger sich um und verließ die Trümmerstätte, ohne ein weiteres Zeichen der Verabschiedung als ein leichtes Neigen des Kopfes. Der Philosoph war nicht lange allein, denn er wurde in seinem Sinnen durch den plötzlichen Eintritt des Kommandanten der Warägergarde gestört. Bevor derselbe jedoch das Wort nahm, musterte er eine Weile das Gesicht des andern. Als er sich über den Ausdruck desselben klar zu sein schien, fragte er: »Nun, weiser Agelastes, hast Du noch immer Vertrauen zu der von uns jüngst besprochenen Angelegenheit?« – »Gewiß,« erwiderte Agelastes ernst und bestimmt. – »Den Proselyten, dessen Beistand uns denjenigen von tausend feiger Sklaven aufwöge, hast Du aber nicht gewonnen?« – »Nein, es ist mir nicht geglückt!« antwortete der Philosoph. – »Und das zu sagen, schämst Du Dich nicht?« fragte der andere, »Als weisester der jetzt lebenden Weisen Griechenlands? als Mann, der immer behauptet, die der menschlichen Kraft gesetzten Schranken durch Worte, Zeichen, Namen, Amulette und Zaubersegen beseitigen zu können? Schmach über Dich, daß Du von dem Charakter, den Du Dir beilegst, so schlechte Probe ablegst!« – »Wenn sich nicht bestreiten läßt, Achilles Tatius, daß ich beim ersten Anlauf noch nichts gewonnen habe, so läßt sich doch auch anderseits noch nicht sagen, daß ich schon alles verloren hätte! Und wenn wir miteinander noch auf dem Standpunkte de facto von gestern stehen, so steht doch fest, daß ich ihm einen Köder hingehalten habe, der ihm nicht aus den Gedanken kommen wird. Dafür will ich sorgen! Vorderhand wollen wir den sonderbaren Schwärmer nicht aus den Augen, wohl aber aus der Diskussion lassen. Hingegen sage Du mir, wie es um die Reichsangelegenheiten steht. Ist das Heer der Kreuzfahrer noch immer im Anmarsche gegen unsere Stadt? Hofft Alexius nach wie vor, sie durch diplomatische Kniffe zu schwächen, da er sie mit seinen Soldaten nicht zu schlagen vermag?« – »Vor wenigen Stunden ist nähere Kunde darüber eingelaufen,« versetzte der andere, »und zwar durch Bohemund von Antiochien, der mit etwa einem halben Dutzend Reiter verkleidet den Weg zu uns gefunden hat. Es war ein keckes Stück von ihm, da er doch wahrlich oft genug mit Alexius in schlimmer Fehde lag. Aber der Kaiser merkte sofort, daß es dem Antiochier darauf ankam, zu ermitteln, welcher Lohn ihm winke, wenn er sich als Vermittler zwischen dem Kaiser und Gottfried von Bouillon oder auch anderen Heerführern, auf den Weg ihnen entgegen mache.« – »Der Kaiser täte wohl daran, dem Grafen hierzu die Hand zu bieten,« sagte Agelastes. – Achilles fuhr fort: »Bohemund stellte sich, als führte ihn ein bloßer Zufall an den kaiserlichen Hof. Er ist mit einer Gnade und so glanzvoller Höflichkeit aufgenommen worden, wie noch kein Franke vor ihm. Von den alten Fehden fiel zwischen beiden Fürsten kein Wort, auch von der Eroberung Antiochiens nicht, trotzdem der Kaiser sicherlich den Verlust noch immer nicht verschmerzt hat. Die Hoffnung, in diesem schlimmen Augenblicke einen Bundesgenossen in ihm zu gewinnen, erstickte jegliche Regung von Groll in dem kaiserlichen Herzen.« – »Und was sagte Graf Bohemund?« – »Nicht eben viel,« erwiderte Achilles, »bis ihm schließlich, wie mir der Palastsklave Narses berichtet hat, eine bedeutende Summe in Gold behändigt wurde. Der Kaiser versprach ihm einen bedeutenden Länderzuwachs, wenn er sich ihm jetzt als Freund und Genosse erwiese, ja der Kaiser ging so weit, ihm jenes geheime Prunkgemach zu zeigen, worin die kostbarsten Seiden, Juwelen und Gold- und Silberbarren aufgespeichert liegen, und ihm all diese Schätze zu versprechen als Preis für seine Bundesgenossenschaft. Der gierige Franke forderte die sofortige Ueberführung derselben in sein Zelt, und der Kaiser kam auch diesem Ansinnen nach, denn er sieht sich in der schlimmen Zwangslage, den Grafen, dessen Tapferkeit und Ehrgeiz seiner Habsucht gleichwertig ist, nicht aus dem Garne zu lassen.«

»Graf Bohemund wird also so lange auf des Kaisers Seite stehen,« sagte Agelastes, »bis ihm von der andern Seite mehr und Besseres geboten werden wird. Alexius wird sich nicht wenig darauf zugute tun, den angesehenen Fürsten für sich zu gewinnen, wird wohl auch hoffen, mit seiner Hilfe die meisten der Kreuzfahrer zu einem Vasalleneide zu bestimmen, zu dem sich freilich, wenn nicht um dieses Kreuzzuges willen, nicht der geringste Baron unter ihnen verstehen würde, und wenn ihm eine ganze Provinz dafür winken sollte. . Nun, warten wir also noch ein paar Tage, denn dann muß sich ja wohl oder übel entscheiden, was wir zu tun haben, während jedes frühere Vorgehen uns unbedingt verderblich werden müsste.« – »Also treffen wir uns heute abend nicht?« – »Nein,« antwortete der Weise, »es sei denn, wir würden wieder zu der albernen Faxe von geschichtlicher Vorlesung geladen, mit der uns ein albernes Frauenzimmer und verhätscheltes Töchterchen so oft schon gelangweilt hat.«

Der Kommandant der Waräger verabschiedete sich von dem Philosophen, und jeder verließ die Trümmerstätte auf einem anderen Wege, denn sie mochten fürchten, zusammen bemerkt zu werden. Kurz darauf erhielt Hereward den Bescheid, sich an diesem Abend nicht bei seinem Kommandanten einzufinden.

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