Zweiter Band

Erstes Kapitel

Der Tag der Verlobung nahte nun heran, und es schien, daß weder ihr Stand noch ihre bisherige Lebensweise die Aebtissin davon abhalten konnten, das große Sprechzimmer des Klosters zu dieser Feierlichkeit zu erwählen, obwohl sie natürlich viele männliche Gäste in diesen jungfräulichen Bezirk einführen mußte, ja die Feierlichkeit an sich selbst einem Stande zustrebte, dem die Klosterdamen auf immer entsagt hatten. Der Aebtissin normännischer Stolz auf ihre Geburt und der wahre Anteil, den sie an der Standeserhöhung ihrer Nichte nahm, überwanden aber alle Bedenklichkeiten. Man konnte jetzt die hochwürdige Mutter bei ganz ungewohnten Beschäftigungen erblicken, z. B. wie sie dem Gärtner Befehle erteilte, das Zimmer mit Blumen auszuschmücken, oder der Kellermeisterin, der Vorlegerin und der Laienschwester in der Küche, ein glänzendes Mahl zuzubereiten; doch mischten sich in ihre Befehle über diese weltlichen Dinge gelegentlich Bemerkungen über deren Eitelkeit und Nichtsnutzigkeit; und dann und wann verwandelte sich die sorgenvoll geschäftige Miene, mit der sie diese Vorbereitungen betrachtete, in einen feierlichen Aufblick zum Himmel, wie wenn sie über den eitlen Erdenprunk, mit dessen Veranstaltung sie sich so viel Unruhe schuf, aus tiefstem Herzen seufzen müßte. Zu anderer Zeit wiederum konnte man die würdige Dame in eifriger Beratung mit dem Pater Aldroband finden über das bürgerliche, sowohl wie religiöse Zeremoniell, das bei einem für ihre Familie so wichtigen Feste beobachtet werden mußte.

Nichtsdestoweniger hielt sie die Zügel der klösterlichen Zucht nach wie vor straff. Der äußere Hof des Klosters war wohl für diese Zeit dem männlichen Geschlecht geöffnet; aber die jüngern Schwestern und Novizen wurden sorgfältig in die inneren Gemächer des weitläufigen Gebäudes verwiesen, wo sie der Kontrolle einer alten mürrischen Nonne, die Novizenmeisterin genannt, unterstellt waren. Dort war es ihnen nicht vergönnt, sich an dem Anblick wallender Federn oder rauschender Mäntel zu weiden, und nur wenige Schwestern von gleichem Alter mit der Aebtissin waren in Freiheit gelassen, weil sie, um mit dem Ladenkaufmann zu reden, eben nur »Ware« waren, der die Luft keinen Schaden zufügte, und die deshalb unbedeckt auf der Ladentafel liegen bleiben könne. Diese Damen »vom alten Register« stellten sich wohl sehr gleichgiltig, waren aber im Grunde recht neugierig und suchten sich insgeheim über Namen, Kleidung und Putz alle nur mögliche Auskunft zu verschaffen, ohne den Anschein wecken zu wollen, als hätten sie irgendwelches Interesse an derlei Nichtigkeiten.

Eine starke Schar von Lanzenträgern bewachte das Kloster und ließ in die heiligen Mauern nur die wenigen Leute mit ihrem Gefolge hinein, die bei der Feierlichkeit gegenwärtig sein sollten. Während man die erstern unter Beobachtung aller Formalitäten in die zu diesem Zweck dekorierten Gemächer führte, erhielt ihr Gefolge, das in dem äußern Hofe zurückbleiben mußte, die kräftigsten Erfrischungen und erfreute sich dabei noch des besonderen Genusses – der ja der dienenden Klasse so überaus angenehm ist – ihre Gebieter und Gebieterinnen auf dem Gange nach ihren Zimmern zu betrachten und zu bekritteln.

Unter den Dienern, die sich hiermit die Zeit vertrieben, war auch der alte Raoul mit seiner munteren Ehehälfte – er fröhlich und sich brüstend in einem neuen Rock von grünem Sammt – sie anmutig und schmuck in einem Mieder von gelber Seide, mit Grauwerk besetzt, das nicht wenig gekostet hatte – beide betrachteten gleich aufmerksam das fröhliche Schauspiel. Im heftigsten Kriege gibt es von Zeit zu Zeit Waffenstillstand, in der rauhesten und ungestümsten Witterung Stunden von Wärme und Ruhe; so war es auch mit dem Ehestandshimmel dieses liebenswürdigen Paares, der gewöhnlich bewölkt war und nun sich auf eine kurze Zeit aufgeheitert hatte. In dem Glanze ihres neuen Anzuges, bei der Fröhlichkeit des Schauspiels um sie her, vielleicht auch nach dem Genuß eines Bechers Muskatwein, den Raoul hinuntergeschüttet, und eines Bechers Hippokras, den seine Frau genippt hatte, erschienen sie sich gegenseitig viel liebenswürdiger, als es sonst der Fall zu sein pflegte. Ein guter Schluck, ein leckerer Bissen sind in solchen Fällen das, was das Oel in einem rostigen Stoffe ist: ein Mittel, die Federn und Riegel glatt zu machen, die sonst entweder ganz und gar nicht ineinandergreifen oder durch Pfeifen und Knarren ihren Widerwillen, sich vereint zu bewegen, ausdrücken. Das Pärchen hatte sich in eine Art von Nische gedrückt, die, drei oder vier Stufen von der Erde hoch, eine kleine steinerne Bank enthielt, von wo herab ihre neugierigen Augen mit aller Gemächlichkeit jeden eintretenden Gast mustern konnten.

Auf diesem Platze und in diesem Augenblick ihrer vorübergehenden Eintracht, stellte Raoul mit seinem frostigen Gesicht nicht ungeschickt den Januar oder, wie man hierzulande sagt, den Jänner vor, den rauhen Vater des Jahres, und wenn auch bei Gillian die Zarte Blüte des jugendlichen Mai vorüber war, so machte doch das schmelzende Feuer eines großen schwarzen Auges, die kräftige Glut der vollen roten Wange sie zu einem lebendigen Bilde des fruchtreichen, fröhlichen August. Dame Gillian pflegte sich dessen zu rühmen, daß sie jedermann von Ramyond Berenger an bis zu Robin, dem Stalljungen, mit ihrem Plaudern gefalle; wie nun eine gute Hausfrau, um ihre Hand in Uebung zu erhalten, sich zuweilen herabläßt, selbst eine Schüssel für den lieben Mann zuzubereiten, so fand sie es jetzt für gut, ihre Macht, zu gefallen, an dem alten Raoul auszuüben, und gar schön gelang es ihr, durch ihre treffenden, lustigen und satirischen Ausfälle nicht allein seinen etwas zynischen Murrsinn gegen alle Menschen, sondern auch sein besonders eigentümliches und abstoßendes Wesen gegen seine Gattin zu überwinden. Ihre Scherze, die ja auch danach waren, und die Koketterie, mit der sie sie vorbrachte, hatten eine solche Wirkung auf diesen Timon der Wälder, daß er seine zynische Nase rümpfte, seine wenigen, einzeln stehenden Zähne zeigte wie ein Kettenhund, der beißen will, und in ein so bellendes Gelächter ausbrach, daß man glaubte, einen seiner Hunde zu hören. Doch er hielt plötzlich inne, als wenn er sich erinnerte, daß er aus seiner Rolle falle; ja ehe er noch seine barsche Ernsthaftigkeit wieder annahm, warf er noch einen solchen Blick auf Gillian, daß seine Nußknackerkinnlade, seine gekniffenen Augen und seine zusammengezogene Nase keine geringe Aehnlichkeit mit einer jener phantastischen Fratzen hatten, wie sie das obere Ende einer alten Baßgeige zieren.

»Ist das nicht besser, als Euer liebendes Weib die Peitsche fühlen zu lassen, als gehörte sie zu Eurem Hundestall?« sagte August zu Jänner.

»Wohl ist es das,« antwortete Jänner in einem eiskalten Tone, »aber so ist es auch besser, als wenn sie sich solche hundsmäßigen Streiche herausnimmt, die eben bloß mit der Peitsche bestraft werden können.«

»Hem!« sagte Gillian in einem Tone, als dächte sie, ihres Mannes Bemerkung lasse sich leicht bestreiten, doch plötzlich den Ton zärtlicher Klage anschlagend, fuhr sie fort: »Ach, Raoul, erinnert Ihr Euch wohl, wie Ihr mich einmal schlugt, weil unser verstorbener Herr – Unsere Frau sei seiner Seele gnädig! – meine karmoisinrote Brustschleife für eine Päonie ansah,« – »Ja, ja,« sagte der Jäger. »Ich erinnere mich wohl, unser guter, alter Herr tat zuweilen solche Mißgriffe.« – Aber wie konntest Du nur, teuerster Raoul, das Weib Deines Herzens so lange ohne Mieder lassen?« sagte seine Ehehälfte. – »Wie Du hast ja eins von unserer jungen Lady erhalten, das eine Gräfin tragen könnte?« sagte Raoul. »Wie viele Mieder willst Du denn haben? Nun gut! es ist hart, daß ein Mann nicht ein einzigesmal bei guter Laune sein kann, ohne gleich dafür zahlen zu müssen. Doch Du sollst ein neues Mieder zu Michaelis haben, wenn ich die Wildbeute dieses Jahres verkaufe. Schon das Gehörn soll heuer ein gutes Stück Geld einbringen.« – »Ja, ja,« sagte Gillian, »auf einem guten Markt sind die Hörner immer soviel wert wie die Haut.«

Raoul drehte sich schnell herum, als hätte ihn eine Wespe gestochen. Man weiß nicht, was seine Antwort auf diese scheinbar unschuldige Bemerkung gewesen wäre, wenn nicht in eben dem Augenblick ein stattlicher Reiter in den Hof gesprengt wäre, der abstieg und sein Pferd einem Stallmeister übergab. Sein Anzug blitzte von Stickerei. –

»Beim heiligen Hubert! ein seiner Reiter und ein Pferd für einen Grafen,« rief Raoul, »und Mylord Connetables Livree obendrein – doch kenn' ich den stattlichen Herrn nicht.« – »Aber ich kenne ihn,« sagte Gillian, »es ist Randal de Lach, des Connetables Verwandter, und ein so braver Herr, als je einer dieses Namens.« – »O, bei St. Hubert! von dem habe ich gehört. – Die Leute sagen, er ist ein lustiger Bruder, ein Raufbold und Verschwender.« – »Die Männer lügen dann und wann,« sagte Gillian trocken.

»Und die Weiber auch,« erwiderte Raoul – »aber mir kam es so vor, als winkte er Dir eben zu.« – »Dein rechtes Auge sah nie mehr richtig, seit unser guter Herr – die heilige Maria schenk ihm die ewige Ruhe! – Dir einen Becher Wein ins Gesicht warf, weil Du zu kühn in sein Nebenzimmer drangst.«

»Mich nimmt's doch Wunder,« sagte Raoul, als ob er sie nicht hörte, »daß jener Wüstling hierher kommt. Es ging einmal das Gerede, daß er dem Connetable nach dem Leben getrachtet habe, und sie sollen seit fünf Jahren sich nicht gesprochen haben.« – »Er kommt auf die Einladung der jungen Lady, das weiß ich am besten,« sagte Dame Gillian, »und weniger wahrscheinlich ist es, daß er dem Connetable ein Leid zufügt, als daß er welches von ihm empfängt, der arme Herr, wie es ihm schon zur Genüge widerfahren ist.«

»Und wer hat Dir das alles erzählt?« fragte Raoul bitter. – »Gleichviel, wer; es war jemand, der die Sache ganz genau kannte,« sagte die Dame, die zu fürchten begann, daß sie, um mit ihrem bessern Wissen zu prahlen, viel zu viel gesagt hätte. – »Es muß der Teufel oder Randal selbst gewesen sein,« sagte Raoul, »denn kein anderer Mund ist groß genug für eine solche Lüge. – Aber seht doch, Dame Gillian, wer ist das, der sich jetzt vorwärts drängt wie ein Mensch, der kaum sieht, wie er den Fuß setzt?« – »Es ist ja eben Euer Engel des Lichts, mein junger Herr Damian,« fügte Dame Gillian. – »Es ist unmöglich,« sagte Raoul. »Nenne mich blind, wenn Du willst, aber nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich in wenigen Wochen so verändert. Und seine Kleidung, so wild um sich geworfen, als trüge er eine Pferdedecke statt eines Mantels! – Was mag dem jungen Mann fehlen? – Da steht er mit einemmale an der Türe still, als sähe er etwas auf der Schwelle, das ihm den Eingang verrammelt. – Heiliger Hubert! er sieht ja aus, als hätten ihm die Elfen was angetan!«

»Ihr hieltet ihn doch immer für einen so großen Schatz!« sagte Gillian, »und nun betrachtet ihn einmal, wie er dasteht zur Seite eines echten Edelmannes – wie er starrt und zittert, als ob er von Sinnen ist!« – »Ich will mit ihm sprechen,« sagte Raoul, und sein Hinken vergessend, sprang er von dem hohen Platz hinab – »ich will mit ihm sprechen – und, ist er unwohl, so habe ich Lanzette und Schnepper bei mir – und kann einem Menschen so gut wie einem Tier zur Ader lassen.« – »Ein recht passender Arzt für einen solchen Kranken,« murmelte Gillian. »Ein Hundearzt für einen träumerisch Verrückten, der weder seine Krankheit kennt noch das Mittel, sie zu heilen.«

Indessen ging der alte Jäger auf den Eingang zu, wo Damian in scheinbarer Ungewißheit, ob er hineingehen sollte oder nicht, noch stehen geblieben war, ohne auf die Menge um ihn her zu achten, deren Blicke er durch sein sonderbares Benehmen auf sich zog.

Raoul empfand ein ganz besonderes Wohlgefallen an Damian, wozu vielleicht der Hauptgrund darin lag, daß seine Frau seit kurzem sich gewöhnt hatte, von ihm in einem verächtlicheren Tone, als sonst von hübschen jungen Männern, zu sprechen. Ueberdies wußte er, daß der junge Mann ein zweiter Sir Tristram auf der Jagd in Wäldern und Flüssen war, und mehr war nicht nötig, Raouls Seele an ihn mit ehernen Fesseln zu ketten. Mit großem Unmut sah er deshalb, daß sein Benehmen, allgemein Aufsehen und Gelächter erregte.

»Er steht,« sagte der Stadtpossenreißer, der sich in den lustigen Haufen gemischt hatte, »vor dem Tore wie Bileams Esel in der Bibel, da er mehr sieht, als andere Leute sehen können.« – Ein Hieb von Raouls allezeit fertiger Peitsche vergalt diese sonst glückliche Anspielung und schickte den Narren heulend davon, sich für seine Späße ein günstigeres Auditorium zu suchen. Zugleich drängte sich Raoul zu Damian, und mit einem Eifer, sehr verschieden von seiner gewöhnlichen trockenen Scharfe, bat er ihn um Gottes willen, sich nicht zum allgemeinen Schauspiel zu machen, indem er hier stehe, als ob der Teufel auf der Schwelle säße, sondern entweder hineinzutreten oder, was noch besser sein würde, sich zurückzuziehen und erst ein wenig Toilette zu machen, ehe er der Feierlichkeit, die sein Haus so nahe betreffe, beiwohnte, »Und was fehlt meiner Kleidung, alter Mann?« sagte Damian, sich heftig zum Jäger kehrend, wie einer, der plötzlich und unhöflich aus seinen Träumereien aufgeschreckt wird. – »Nur das eine, mit Respekt gegen Euer Gnaden,« antwortete der Jäger, »Man pflegt nicht alte Mäntel über neuen Wämsern zu tragen, und bei aller Untertänigkeit will es mir scheinen, daß der Eure hier weder mit Eurer übrigen Tracht übereinstimmt, noch sich für diese edle Versammlung schickt.« – »Du bist ein Narr,« antwortete Damian, »und so grün an Verstand, als grau an Jahren. Wißt Ihr nicht, daß in diesen Tagen das Junge und Alte sich miteinander paart – miteinander verlobt – miteinander verheiratet? – Und sollen wir größere Sorge dafür tragen, unsern Anzug übereinstimmender zu machen als unsere Handlungen?« – »Um Gottes willen, Mylord!« sagte Raoul, »enthaltet Euch dieser wilden und gefährlichen Worte! Sie könnten von anderen Ohren, wie den meinigen gehört und von boshaften Auslegern gedeutet werden. Eure Wange ist bleich, Mylord, Euer Auge blutrot. – Um Himmels willen, zieht Euch zurück!«

»Ich will mich nicht zurückziehen,« sagte Damian, »bis ich Lady Eveline gesehen habe,« – »Um aller Heiligen willen!« rief Raoul aus. »Jetzt nicht, Ihr würdet meine Lady unglaublich beleidigen, wenn Ihr in diesem Zustande Euch in ihre Gegenwart drängen wolltet,« – »Meint Ihr das?« sagte Damian, auf den diese Bemerkung, wie ein beruhigendes Arzneimittel wirkte, das die verwirrten Sinne ordnet. »Meint Ihr das wirklich? – Ich wollte sie nur noch einmal sehen – doch nein! Ihr habt recht, alter Mann!«

Er trat von der Tür, als wollte er sich entfernen; aber bevor er seinen Vorsatz ausführen konnte, wurde er noch bleicher als zuvor, wankte und fiel auf das Pflaster nieder. Die, welche ihn aufhoben, erstaunten, als sie entdeckten, daß seine Kleider mit Blut beschmutzt waren und daß die Flecken auf seinem Mantel, die Raouls Tadel erregten, aus gleicher Ursache herrührten. Ein Mann von wichtiger Miene, in einem dunklen Mantel, trat aus der Menge hervor.

»Ich dachte wohl, daß es so kommen würde,« sagte er, »Ich ließ ihm diesen Morgen zur Ader und empfahl ihm Ruhe und Schlaf, nach den Aphorismen des Hippokrates; aber wenn junge Männer die Verordnung ihres Arztes vernachlässigen, so rächt sich die Kunst selbst. Es ist unmöglich, daß sonst die Bandagen und Ligaturen, die diese Finger anlegten, hätten aufgeben können.«

»Was soll das Gewäsch?« ertönte die Stimme des Connetable, vor Welcher alle andern verstummten. Eben als die Feierlichkeit des Verlöbnisses vollzogen worden war, hatte man ihn, wegen der Verwirrung, die Damians Unfall veranlaßte, herbeigerufen; und jetzt gebot er dem Arzte sehr ernstlich, die Binden, die von seines Neffen Arm losgegangen waren, wieder anzulegen. Er selbst legte Hand an, den Kranken zu unterstützen, und betrachtete mit Besorgnis und Mitleid den nahen, mit Recht geachteten Verwandten, der bis jetzt allein der Erbe seines Ruhmes und seines Hauses war.

»Was bedeutet das?« fragte er den Arzt sehr ernsthaft. »Ich schickte Euch diesen Morgen gleich auf die Nachricht von seiner Krankheit zu meinem Neffen und befahl ausdrücklich, daß er keinen Versuch machen sollte, bei der Feierlichkeit gegenwärtig zu sein, und doch finde ich ihn in diesem Zustande und auf dieser Stelle?«

»Wenn es Ew. Herrlichkeit gefällt,« entgegnete der Arzt, mit einem Gefühl von Wichtigkeit, worin ihn selbst die Gegenwart des Connetable nicht beirrte. »Curatio est canonica non coacta; das heißt, Mylord, der Arzt unternimmt die Heilung nach, den Regeln der Kunst und Wissenschaft. Durch Rat und Vorsicht, aber nicht durch Macht und Gewalt zwingt er den Kranken, dem er nur dann helfen kann, wenn die Vorschriften willig befolgt werden.« – »Schweigt mit Eurem Kauderwelsch!« sagte de Lacy. »Wenn mein Neffe so gedankenlos war, in der Hitze der Fieberphantasie hierherzukommen, so hättet Ihr Verstand genug haben sollen, ihn abzuhalten, wäre es auch mit Gewalt geschehen.«

»Vielleicht,« sagte Randal de Lacy, der sich in die um Damian versammelte Menge mischte, »war der Magnet, der unseren Verwandten hierherzog, stärker als alles, was der Arzt hätte tun können, ihn zurückzuhalten.«

Der Connetable, noch immer mit seinem Neffen beschäftigt, blickte auf, als er Randal reden hörte, und als er fertig war, fragte er mit steifer Kälte: »Nun, werter Vetter, sagt doch, von welchem Magnet redet Ihr da?« – »Von welchem andern, als von Eures Neffen Liebe und Achtung gegen Ew. Herrlichkeit,« antwortete Randal. »Die hat ihn, ganz zu schweigen von seiner Ehrerbietung gegen Lady Eveline – hertreiben müssen, solange ihn noch seine Füße tragen konnten. – Hier kommt ja auch schon die Braut, ich denke, um ihm aus Barmherzigkeit für seinen Eifer zu danken?«

»Was für ein unglücklicher Vorfall ist das!« sagte Lady Eveline, hinzueilend, ganz in Verwirrung über die Nachricht von Damians Gefahr, die man ihr so plötzlich mitgeteilt hatte. »Gibt es hier nichts, wobei mein geringer Dienst helfen kann?« – »Nichts, Lady,« sagte der Connetable, sich von der Seite seines Neffen erhebend und ihre Hand ergreifend. »Eure Güte ist hier zur Unzeit. Diese bunten Haufen, diese unziemliche Verwirrung ist nicht für Eure Gegenwart geeignet.« – »Ausgenommen, wenn ich mich nützlich machen könnte,« antwortete Eveline, mit Eifer. »Es ist Euer Neffe, der in Gefahr ist, – mein Befreier, – einer meiner Befreier, wollte ich sagen.«

»Sein Wundarzt wird ihn schon bedienen, wie es sich gehört,« sagte der Connetable und führte seine widerstrebende Braut in das Kloster zurück, während der Arzt triumphierend ausrief: »Sehr richtig geurteilt von dem Lord Connetable, daß er seine edle Lady aus dieser Schar von Quacksalbern in Weiberröcken fortzieht, die den Amazonen gleich sich eindrängen und den kunstgemäßen Gang der ärztlichen Praxis mit ihren kecken Vorhersagungen, ihren gleich fertigen Rezepten, ihren Schlaftränken, ihren Amuletten, ihren Besprechungen in Unordnung bringen.«

Darauf wandte sich der Wundarzt seinem Geschäfte zu, und ließ den jungen Damian in ein nahe gelegenes Haus bringen, wo sein Zustand sich noch zu verschlimmern schien und eiligst alle Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit, deren der Arzt nur fähig war, in Anspruch nahm.

Wie gesagt, die Unterschrift des Heiratskontrakts war soeben vollzogen worden, als die Versammlung durch die Nachricht von Damians Uebelbefinden unterbrochen wurde. Als der Connetable seine Braut aus dem Hofe in das Zimmer zurückführte, wo die Gesellschaft sich befand, verrieten ihre Züge Verwirrung und Unmut. Als die Braut bemerkte, daß die Hand des Bräutigams mit frischem Blut befleckt war, entriß sie ihm hastig die ihrige. »Was bedeutet dies?« rief sie, sich an Rosa wendend, »Ist es die Rache des blutigen Fingers; die jetzt schon beginnt?«

Indessen hatte auch der Connetable bemerkt, daß bei seinem Eifer, seinem Neffen zu helfen, Spuren von dessen Blute von seiner Hand auf Evelinens Kleidung geraten waren. Er trat zu ihr, um sie dieserhalb zu beruhigen. »Schöne Lady,« sagte er, »das Blut eines echten de Lucy kann Euch nie etwas anderes als Freude und Glückseligkeit verkünden.«

Eveline schien antworten zu wollen, aber nicht gleich Worte finden zu können. Die treue Rosa erwiderte, selbst auf die Gefahr hin, wieder als vorlaut gescholten zu werden: »Jede Jungfrau ist verpflichtet, das zu glauben, was Ihr sagt, mein edler Herr, da man weiß, wie bereitwillig Ihr dieses Blut immer vergösset, die Bedrängten zu beschützen, und noch letzthin zu unserer eigenen Errettung.«

»Das war gut gesagt, Du Kleine!« erwiderte der Connetable, »Glücklich ist Lady Eveline, ein Mädchen zu besitzen, die ihre Rede so gut zu setzen weiß. Kommt, Lady,« fügte er hinzu, »laßt uns hoffen, daß dieser Unfall unseres Verwandten nur ein kleines Opfer ist auf dem Altar des Schicksals, das nun einmal auch über die heiterste Stunde immer einen Schatten fallen läßt. Damian, hoffe ich, wird bald hergestellt sein, und erinnern wollen wir uns, daß die Blutstropfen, die Euch beunruhigen, durch einen freundlichen Stahl vergossen und mehr Vorzeichen der Genesung als der Krankheit sind. – Kommt, teuerste Lady, Euer Schweigen macht unsere Freunde mutlos und erregt in ihnen Zweifel an der Aufrichtigkeit unseres Willkommens. – Laßt mich Euer Aufwärter sein,« sagte er, indem er ein silbernes Handbecken und eine Serviette von den reich mit Gerichten versehenen Schanktische nahm und es auf den Knien seiner Braut darreichte.

Eveline suchte wenigstens äußerlich die Unruhe zu verscheuchen, in die sie der Zufall, daß der eben beschriebene Vorfall mit der Erscheinung Baldringhams zusammentraf, versetzt hatte; sie ging also auf ihres Verlobten Scherz ein und wollte ihn eben von der Erde erheben, als sie durch die eilige Ankunft eines Boten unterbrochen ward, der, ohne Umstände in das Gemach dringend, dem Connetable berichtete, sein Neffe wäre so äußerst elend geworden, daß, wenn er ihn noch lebend sehen wollte, er sich augenblicklich nach seiner Wohnung begeben müßte.

Der Connetable sprang auf, nahm kurz Abschied von Eveline und den Gästen, die, über die neue Unglücksbotschaft erschrocken, eben Anstalt machten, sich gleichfalls zu entfernen, als ihm, da er sich der Tür näherte, ein Gerichtsdiener oder Vorlader des geistlichen Gerichts, entgegentrat, der auf Grund seiner Amtskleidung Zutritt in das Innere der Abtei erlangt hatte.

»Deus vobiscum!« sagte der Gerichtsdiener. »Ich wünsche zu wissen, wer in dieser edlen Versammlung der Connetable von Chester ist.« –»Das bin ich,« antwortete der ältere de Lacy, »aber wenn Dein Geschäft nicht das allerdringendste ist, so kann ich jetzt nicht mit Dir sprechen. – Mich ruft eine Sache auf Leben und Tod.« – »Ich nehme alle Christen hier zu Zeugen, daß ich meiner Pflicht ein Genüge geleistet habe,« sagte der Gerichtsdiener und übergab dem Connetable ein Pergamentblatt.

»Was soll das bedeuten, Bursch?« rief der Connetable, aufs höchste empört. »Für wen oder was hält mich Euer Gebieter, der Erzbischof, daß er auf eine so unhöfliche Weise mit mir verfährt und mich vorladet, vor ihm zu erscheinen wie ein Delinquent, nicht wie ein Freund oder Edelmann?« – »Mein gnädiger Herr,« erwiderte der Vorlader trotzig, »ist keinem als dem heiligen Vater, dem Papste, Rechenschaft über die Ausübung der Macht schuldig, die ihm die Canones der Kirche erteilen. – Eurer Herrlichkeit Antwort auf meine Vorladung?« – »Befindet sich der Erzbischof in der Stadt?« sagte der Connetable nach einigem Nachdenken. »Ich wußte nichts von seiner Reise hierher, noch weniger von seiner Absicht, außerhalb seiner Grenzen seine Gewalt auszuüben.« –»Mein gnädiger Herr, der Erzbischof,« sagte der Gerichtsbote, »ist soeben in der Stadt angekommen, von welcher er Metropolitan ist; überdies hat er vermöge apostolischen Auftrags eine vollkommene Jurisdiktion durch ganz England, und wer es wagt, auf seine Vorladungen nicht zu achten, wird es büßen, wie hoch sein Stand auch sei.«

»Merk' es Dir, Bursch!« sagte der Connetable und blickte den Boten mit zornigem Gesicht an. »Hielten mich nicht gewisse Rücksichten ab, womit, ich gebe Dir mein Wort, Deine braune Kapuze wenig zu tun hat, so würdest Du besser getan haben, Deine Zitation zu verschlucken mit Siegel und allem, als sie mir mit so unverschämten Worten zu überreichen. Mache Dich fort und sage Deinem Gebieter, ich werde ihn in Zeit von einer Stunde sehen; solange bin ich aber genötigt, einen kranken Verwandten zu besuchen.«

Der Gerichtsbote verließ mit mehr Demut das Zimmer und die versammelten Gäste, die schweigend und bange einander anblickten.

Der Leser wird sich ohne Zweifel erinnern, wie streng das Joch der römischen Obergewalt sowohl auf der Geistlichkeit, wie auf den Laien in England während der Regierung Heinrichs II. lastete. Und gerade eben der Versuch dieses weisen, mutigen Monarchen, in der denkwürdigen Sache des Thomas a Becket die Unabhängigkeit des Thrones aufrecht zu erhalten, hatte einen so unglücklichen Ausgang, daß man, wie es bei einer unterdrückten Empörung geschieht, es für nötig erachtete, der Herrschaft der Kirche neue Kräfte zu verschaffen. Seit der Unterwerfung des Königs nach diesem unglückseligen Kampf hatte die Stimme von Rom aus, wo sie ertönte, eine doppelte Gewalt, und die kühnsten Großen von England hielten es für geraten, diesen gebieterischen Aussprüchen sich zu unterwerfen. So erfüllte die verächtliche Art, mit der der Connetable von dem Prälaten Balduin behandelt wurde, die zu Zeugen seines Verlöbnisses versammelten Freunde mit frostigem Schauder; und als er seinen stolzen Blick umherwarf, sah er viele, die sonst in jedem andern Kampfe ihm auf Leben und Tod zur Seite gestanden waren, jetzt bloß bei dem Gedanken an einen Zwist mit der Kirche erblassen. In Verlegenheit, aber auch zugleich erzürnt über ihre Zaghaftigkeit, eilte der Connetable, sie zu entlassen, mit der allgemeinen Versicherung, es werde alles gut gehen; seines Neffen Krankheit sei nur ein leichtes Unwohlsein, das ein eingebildeter Arzt übertreibe und das durch des Patienten eigene Sorglosigkeit vermehrt werde. Daß aber die Botschaft des Erzbischofs ihm ohne gehörigen Anstand übergeben worden, sei die Folge ihrer gegenseitigen freundschaftlichen Vertraulichkeit, die sie zuweilen veranlasse, scherzweise die gewohnten Formen des Umgangs zu vernachlässigen oder gar umzukehren. »Wenn ich mit dem Prälaten Balduin in irgend einem Geschäfte eilig zu sprechen hätte, so ist die Demut und Gleichgültigkeit gegen äußere Formen bei diesem würdigen Pfeiler der Kirche so groß, daß ich nicht fürchten würde, ihn zu beleidigen, schickte ich auch meinen geringsten Stallknecht zu ihm, Gehör bei ihm zu erbitten.«

So sprach er wohl, es war aber etwas in seinen Gesichtszügen, was seine Worte Lügen strafte, und seine Freunde und Verwandten verließen die glänzende, fröhliche Festlichkeit seiner Verlobung mit ängstlichen Gedanken und niedergeschlagenen Augen, als ob sie sich von einem Leichenmahle entfernten. Randal war der einzige, der, als er das Haus verließ, sich seinem Vetter zu nahen und die Frage an ihn zu richten wagte, ob er ihm, nachdem ihre Freundschaft wiederhergestellt sei, keine Befehle zu erteilen habe?« Dabei sah er ihn mit einem Blicke an, der noch ausdrucksvoller, als seine Worte, die Versicherung enthielt, er solle ihn nicht fahrlässig in seinen Diensten finden. – »Ich habe nichts, wobei Ihr Euern Eifer betätigen könntet, mein lieber Vetter,« erwiderte der Connetable mit einer Miene, die die Aufrichtigkeit des Sprechers gar sehr zu bezweifeln schien, und die abweisende Handbewegung, mit der er diese Worte begleitete, ließ Randal keinen Vorwand, noch länger bei ihm zu bleiben, wie es eigentlich seine Absicht gewesen war.

Zweites Kapitel

Der sorgenvollste, unglücklichste Moment in Hugo de Lacys Leben war ohne Frage der, in welchem er durch die unter allen bürgerlichen und religiösen Gebräuchen vollzogene Verlobung mit Eveline sich dem zu nähern schien, was er seit einiger Zeit am innigsten gewünscht hatte. Der Besitz einer schönen liebenswürdigen Gattin, ausgestattet mit so vielen weltlichen Vorteilen, die seinem Ehrgeiz und seinen Neigungen ein Genüge leisten konnten, stand ihm nahe und gewiß bevor. Aber eben selbst in diesem glücklichen Augenblicke verdunkelte sich der Horizont um ihn her dermaßen, daß er nichts wie Sturm und Unwetter vor sich sah. In seines Neffen Wohnung hörte er, daß der Puls des Patienten noch heftiger schlüge, sein Delirium sich vermehrt hätte, alles um ihn her an seinem Aufkommen zweifelte, vielmehr befürchtete, er werde die schnell sich nähernde Krisis nicht überleben. Der Connetable schlich sich an die Tür des Zimmers, das zu betreten ihm eine Art von Schuldbewußtsein nicht gestattete, und lauschte auf die wahnwitzigen Reden, die der Kranke im Fieber tat. Es gibt nichts Traurigeres als anzuhören, wie der Geist in den gewöhnlichen täglichen Geschäften gleichsam weiterarbeitet, während der Körper in Schmerzen und Gefahren auf einem schweren Krankenlager hingestreckt liegt. Dieser Kontrast gegen den gewöhnlichen gesunden Zustand und dessen Freuden und Lasten macht die Hilflosigkeit des Kranken, vor dem diese Visionen emporsteigen, doppelt ergreifend, und wir fühlen um so regere Teilnahme für den Leidenden, dessen Gedanken so weit von seinem wahren Zustand abschweifen.

Der Connetable fühlte dies bis ins Innerste, als er seinen Neffen das Kriegsgeschrei seines Hauses zu wiederholten Malen ausstoßen hörte, der, nach den Kommandoworten und Anordnungen zu urteilen, die er von Zeit zu Zeit erteilte, sich damit beschäftigt glaubte, seine Reisigen gegen die Walliser anzuführen. Dann murmelte er wieder Redensarten von der Reitschule, der Falkenbeize, der Jagd – er nannte dabei sehr oft seines Oheims Namen, als ob das Bild seines Verwandten mit seinen Kriegestaten, seinen Jagden aufs innigste verbunden sei. Es gab noch andere Laute, die er aber so leise flüsterte, daß sie durchaus unverständlich blieben.

Zweimal legte der Connetable die Hand auf den Drücker der Tür, um in das Krankenzimmer zu treten, und zweimal zog er sie zurück, da seine Augen sich mit Tränen füllten, die er den Leuten drinnen nicht zeigen mochte. Zuletzt gab er den Vorsatz auf und verließ eilig das Haus, stieg zu Pferde, und nur in Begleitung von vieren seiner Diener ritt er dem bischöflichen Palast zu, wo der Erzbischof jetzt seinen Sitz aufgeschlagen hatte.

Der Zug von Reitern, Handpferden und Packmaultieren, von weltlichen und geistlichen Dienern und Knechten, die das Tor des bischöflichen Wohnsitzes umringten, zugleich mit der gaffenden Menge von Einwohnern, die sich hinzudrängte, teils um das glänzende Schauspiel selbst zu sehen, teils um einen Anteil an der Segenssprechung des Prälaten zu erhaschen, war so groß, daß der Connetable nicht bis zum Tore des Palastes gelangen konnte. Als dieses Hindernis überwunden war, fand er ein anderes in der Hartnäckigkeit der erzbischöflichen Bedienten, die ihm, obgleich er Namen und Titel nannte, nicht erlaubten, über die Schwelle zu kommen, bis sie den ausdrücklichen Befehl ihres Herrn erhalten hätten. Der Connetable empfand das volle Gewicht dieses geringschätzigen Empfanges. Er war in der Gewißheit vom Pferde gestiegen, daß er wenigstens sogleich in den Palast gelassen würde, wenn auch nicht gleich vor den Prälaten selbst; und als er nun zu Fuß stand unter Knappen, Dienern, Stallknechten und geistlichen Herren, war ihm das so empörend, daß sein erster Gedanke der war, wieder zu Pferde zu steigen, zu seinem vor den Stadtmauern errichteten Zelt zurückzukehren und es dem Erzbischof zu überlassen, ihn hier aufzusuchen, wenn er wirklich eine Zusammenkunft mit ihm wünschte. Aber die Notwendigkeit, ihn sich geneigt zu machen, trat unmittelbar darauf vor seine Seele und unterdrückte den ersten Entschluß seines beleidigten Stolzes. »Wenn unser weiser König,« sagte er zu sich selbst, »einem Erzbischofe, als er lebte, die Steigbügel hielt, und sich, als er tot war, den erniedrigendsten Gebräuchen vor seinem Grabe unterwarf, so darf ich in der Tat nicht so bedenklich sei.,« Ein anderer Gedanke, den er sich selbst kaum zu sagen wagte, empfahl ihm denselben demütigen, unterwürfigen Gang. Er konnte sich nicht verhehlen, daß er durch seine Bemühung, von dem Gelübde als Kreuzfahrer entbunden zu werden, sich dem gerechten Tadel der Kirche preisgab, daher überließ er sich gern der Hoffnung, daß der kalte, verächtliche Empfang von Balduins Seite schon als ein Teil der Buße anzusehen wäre, die, wie sein Gewissen ihm sagte, sein Benehmen ihm zuziehen müßte.

Nach kurzer Zeit wurde de Lacy endlich eingeladen in den bischöflichen Palast zu treten, um dort bei dem Primas von England Audienz zu erhalten. Aber nun gab es noch mehr als einen Aufenthalt in der Halle und dem Vorzimmer, ehe er endlich vor Balduin gelassen wurde.

Der Nachfolger des berühmten Becket hatte weder die weitsichtigen Pläne noch den hochstrebenden Geist jenes berühmten Mannes, aber anderseits läßt sich bezweifeln, ob dieser, wiewohl er heilig gesprochen worden, für das Wohl der Christenheit halb so aufrichtig besorgt war, als der gegenwärtige Erzbischof. Balduin war in der Tat vollkommen wohlgeeignet, die Macht, die die Kirche gewonnen hatte, zu verteidigen, obwohl vielleicht sein Charakter zu aufrichtig und zu ehrlich war, um ihr zu noch weiterer Ausdehnung zu verhelfen. Die Beförderung des Kreuzzuges war die Hauptbeschäftigung seines Lebens, dessen Gelingen das Hauptziel seines Stolzes; und wenn das Bewußtsein, die Macht der Beredsamkeit zu besitzen und die Gemüter der Menschen nach seinem Willen lenken zu können, sich seinem religiösen Eifer beimischte, so hat doch sein ganzes Leben und später sein Tod vor Ptolomais bewiesen, daß die Befreiung des heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen das aufrichtige Endziel aller seiner Bemühungen gewesen ist.

Der Prälat, ein Mann von einer schönen, stattlichen Gestalt, mit Zügen, die zu strenge waren, um angenehm zu sein, empfing den Connctable mit allem Pomp der geistlichen Würde. Er saß auf einem reich mit gotischem Schnitzwerk versehenen Stuhle von Eichenholz, der auf einer Erhöhung des Zimmers in einer Nische stand. Er trug den reich gestickten bischöflichen Mantel, der sich vorne auf der Brust öffnete und ein Untergewand zeigte zwischen dessen Falten, als sei es nicht gut verdeckt, das Hemd von Haartuch hervorsah, das der Prälat auf bloßem Leibe unter allen seinen Prachtgewändern trug. Seine Bischofsmütze lag neben ihm auf einem eichenen Tische, an dem sein Hirtenstab lehnte, ein wirklicher Schäferstab von der einfachsten Gattung, der aber, geschwungen von der Hand des Thomas a Becket, sich mächtiger und furchtbarer denn Lanze oder Säbel erwiesen hatte.

In einer geringen Entfernung kniete vor einem Pult ein Kaplan mit einem weißen Chorhemd und las aus einem buntbemalten Buche irgend einen theologischen Traktat vor, und Balduin schien so vertieft zu lauschen, daß er den eintretenden Connetable unbeachtet ließ, der, über diese neue Geringschätzung höchst empört, am Eingänge stehen blieb, unentschlossen, ob er den Vorleser unterbrechen und den Erzbischof anreden oder ohne weiteres sich wieder entfernen sollte. Ehe er aber mit sich selbst darüber einig werden konnte, kam der Kaplan an eine Stelle, wo die Vorlesung abgebrochen werden konnte, und der Erzbischof tat ihm mit den Worten Einhalt: »Satis est, mi fili!«

Umsonst bemühte sich der stolze weltliche Große, die Verlegenheit zu verbergen, mit der er sich dem Prälaten nahte, der offenbar nur in der Absicht, ihn mit Scheu und Sorge zu erfüllen, diese Haltung angenommen hatte. Zwar versuchte er es, ein so unbefangenes Wesen zu zeigen, als bestehe noch ihre alte Freundschaft oder wenigstens eine stolze Gleichgiltigkeit, als ob er sich vollkommen ruhig fühle; aber beides gelang nicht, und seine Anrede verriet gekränkten Stolz, vermischt mit einem nicht geringen Grad von Verwirrung.

»Ich bemerke,« sagte de Lacy, indem er seine Gedanken sammelte und sich darüber schämte, daß dies ihm schwer wurde, »daß eine alte Freundschaft sich hier aufgelöst hat. Ich sollte meinen, Hugo de Lacy hätte durch einen andern Boten zu dieser hochwürdigen Audienz beschieden werden und einen andern Empfang erwarten können.«

Langsam erhob sich der Erzbischof in seinem Sessel und machte gegen den Connetable eine halbe Verbeugung, die dieser aus Verlangen nach Versöhnung gleichsam instinktmäßig tiefer erwiderte, als er selbst wollte oder diese karge Höflichkeit es verdiente. Zu gleicher Zeit gab der Prälat dem Kaplan ein Zeichen, worauf dieser aufstand und sich ehrerbietig zurückzog, ohne die Augen aufzuschlagen, die auf den Boden geheftet blieben, die Hände über der Brust gekreuzt.

Sobald dieser stumme Diener verschwunden war, entwölkte sich zwar des Prälaten Stirn etwas, doch behielt sie noch immer einen finsteren Schatten ernsten Unmuts, und er antwortete auf de Lacys Anrede, noch immer ohne seinen Sitz zu verlassen. »Es kommt jetzt nicht darauf an, Mylord, dessen zu erwähnen, was der tapfere Connetable von Chester dem armen Geistlichen Balduin gewesen, oder mit welcher Liebe, mit welchem Stolz wir ihn das heilige Zeichen der Erlösung nehmen sahen, und wie er gelobte, sich zu Ehren dessen, durch den er selbst zu Ehre und Würden gelangt ist, der Befreiung des heiligen Landes zu weihen. Sehe ich nun noch diesen edlen Lord vor mir, mit demselben heiligen Entschlusse, so laßt mich diese freudenvolle Wahrheit wissen, und ich will Chorrock und Mitra ablegen und seines Pferdes warten wie ein Stallknecht, wenn es nötig sein sollte, durch einen solchen Knechtesdienst ihm die herzliche Achtung zu beweisen, die ich für ihn hege.«

»Hochwürdiger Vater,« antwortete de Lacy mit einigem Stocken, »ich hoffte, daß die Vorschläge, welche Euch von meiner Seite durch den Dechant von Hereford gemacht wurden, Euch triftiger erscheinen würden.« Darauf sein natürliches Selbstvertrauen wiedergewinnend, fuhr er mit mehr Zuversicht in Sprache und Haltung fort, denn die kalten unbeweglichen Blicke des Erzbischofs reizten ihn auf. »Können diese Vorschläge noch verbessert werden, Mylord, so laßt es mich wissen, in welchen Stücken, und Euer Verlangen soll, wenn es möglich ist, erfüllt werden, selbst wenn es etwas unbillig sein sollte. Ich wünsche Frieden mit der heiligen Kirche, Mylord, und bin der letzte, der ihre Weisungen mißachten wollte. Das haben meine Taten im Felde, meine Ratschläge in der Staatssitzung bewiesen; und ich kann nicht glauben, daß meine Dienste kalte Blicke und kalte Sprache vom Primas Englands verdienen.«

»Wollt Ihr der Kirche Eure Dienste vorhalten, eitler Mann!« sagte Balduin. »Ich sage Dir, Hugo de Lacy, was der Himmel durch Deine Hand für die Kirche tun ließ, hätte, wenn es dem göttlichen Willen so gefallen hätte, ebenso leicht auch durch den geringsten Pferdejungen in Deinem Heere geschehen können. Nur Du bist es, der geehrt worden ist, da Du zum Werkzeug erwählt wurdest, durch welches große Dinge in Israel geschahen. – Nein! unterbrich mich nicht. – Ich sage Dir, stolzer Baron, vor dem Angesicht des Himmels ist Deine Weisheit nichts als Torheit – Dein Mut, dessen Du Dich rühmst, nichts als die Zaghaftigkeit eines Dorfmädchens – Dein Speer eine Weidenrute und Dein Schwert eine Binse.«

»Alles das weiß ich, heiliger Vater,« sagte der Connetable. »Und ich habe es wiederholt gehört, daß solche armen Dienste, wie ich sie geleistet habe, vorbei und abgetan sind. Jawohl, als man einer hilfreichen Hand bedurfte, da war ich der gütige Lord bei Priestern und Prälaten, ein Mann, der verehrt und angebetet werden müsse, wie die Schutzheiligen und Stifter der Kirche, die im Chor und unterm Hochaltar schlummern. Da war kein Gedanke, wahrlich! an Weide und Binse, wenn man mich darum anflehte, die Lanze einzulegen oder mein Schwert zu ziehen; nur wenn man ihrer nicht mehr nötig hat, gelten sie und ihre Besitzer nichts mehr. Wohl, mein hochwürdiger Vater! mag es so sein! Wenn die Kirche die Sarazenen aus dem heiligen Lande mit Stallknechten und Pferdejungen verjagen kann, warum predigt Ihr die Ritter und Edlen von ihrer Heimat und ihrem Vaterlande hinweg, das zu beschützen und zu verteidigen sie geboren sind?«

Fest richtete der Erzbischof seinen Blick auf ihn, indem er folgendes erwiderte: »Nicht zum Besten ihres Fleisches stören wir Eure Ritter und Barone in ihren rohen Festgelegen und mörderischen Fehden, worunter Ihr die Verteidigung des Landes versteht, nicht darum, weil der Allmächtige zur Ausführung des großen Befreiungswerkes ihrer Hilfe bedarf – nein, bloß um ihres eignen Seelenheiles willen!«

Ungeduldig schritt der Connetable auf und nieder, indem er vor sich hinmurmelte: »Das ist der luftige Lohn, für den Heere auf Heere aus Europa geschleppt wurden, den Sand von Palästina mit ihrem Blut zu tränken – das sind die eitlen Versprechungen, gegen die wir Vaterland, Güter und Leben austauschen sollen.«

»Ist das Hugo de Lacy, der so spricht?« sagte der Erzbischof und er stand dabei von seinem Sitze auf. »Ist er es, der so herabwürdigend spricht von dem Namen eines Ritters – von der Tugend eines Christen – von der Vergrößerung seiner irdischen Ehre – von dem unberechenbaren Vorteil seiner unsterblichen Seele? – Ist er es, der nach einem solchen groben körperlichen Lohn an Land und Schätzen trachtet, indes ritterliche Ehre, der Glaube seiner Religion, sein Gelübde als Ritter, seine Taufe als Christ ihn zu einem ruhmvollen und gefährlichen Kampfe auffordern? – Ist es möglich? Ist es in der Tat Hugo de Lacy, der Spiegel der anglo-normännischen Ritterschaft, der solche Gedanken hegt, ja der sie aussprechen kann?«

»Mit Schmeichelei und schönen Worten, schicklich gemischt mit Vorwürfen, Mylord,« antwortete der Connetable, wurde rot und biß sich auf die Lippen, »mögt Ihr bei andern etwas erreichen, aber ich bin zu festen Sinnes, um mich durch süße oder herbe Worte bestimmen zu lassen. Glaubt mir nur, der Charakter Hugo de Lacys, mag er nun den Kreuzzug mitmachen oder daheim bleiben, ist in Sachen des Muts nach wie vor ebenso untadelhaft, wie der des Erzbischofs Balbuin in Sachen der Heiligkeit.«

»Möge er noch viel höher stehen,« sagte der Erzbischof, »als der Ruf, mit welchem Ihr ihn zu vergleichen geruht; aber eine Flamme kann so gut gelöscht werden wie ein Funke. Und ich sage es dem Connetable von Chester, daß der Ruhm, welcher seine Fahnen so viele Jahre umschwebte, in einem Augenblick davonflattern kann, ohne sich je wieder zurücklocken zu lassen.«

»Wer wagt das zu sagen?« sagte der Connetable und zitterte für die Ehre, die er in so vielen Gefahren aufrecht erhalten hatte.

»Ein Freund,« sagte der Prälat, »dessen Schläge als Wohltaten aufgenommen werden sollten, Ihr denkt an Zahlung, Herr Connetable, und an Lohn, als ob Ihr noch am Markte stündet und über den Preis Eures Dienstes feilschen dürftet. Ich sage Euch, Ihr seid nicht mehr Euer eigener Herr – Ihr seid durch das heilige Zeichen, das Ihr freiwillig genommen habt, ein Söldner Gottes selbst: wollt Ihr von Eurer Fahne fliehen, so träfe Euch eine Schmach, die selbst Neulinge und Troßknechte scheuen.«

»Ihr verfahrt allzu hart mit uns, Mylord,« sagte Hugo de Lach und hielt in seinem unruhigen Umhergehen inne. »Ihr von der Geistlichkeit macht uns zu Packpferden in Euren eigenen Angelegenheiten und klettert zu Eurer ehrgeizigen Höhe auf unsern überladenen Schultern empor, – Aber alles hat seine Grenzen – Becket überschritt sie, und –«

Ein finsterer, vielsagender Blick stimmte mit dem Tone überein, in dem er diesen abgebrochenen Satz aussprach, aber der Prälat, der wohl wußte, was er hatte sagen wollen, erwiderte mit fester, entschiedener Stimme: »Und – er ward ermordet! – das ists, was Ihr mir andeuten wollt – eben mir, dem Nachfolger dieses verherrlichten Heiligen – damit ich Eurem leichtsinnigen, selbstsüchtigen Wunsche, die Hand vom Pfluge zu ziehen, gefügiger sei. Ihr kennt den Mann nicht, gegen den Ihr diese Drohung braucht. Becket, ein heiliger Streiter auf Erden, gelangte auf dem blutigen Pfade des Märtyrertums zu der Würde eines Heiligen im Himmel; aber nicht weniger gewiß ist es, daß, um auch nur einen tausend Stufen niedrigeren Sitz als sein gesegneter Vorfahr zu erlangen, der unwürdige Balduin bereit ist, unter dem Schütze Unserer Frau sich allem zu unterwerfen, was auch der ärgste Bösewicht unter den gottlosen Menschen hienieden seiner sterblichen Hülle zufügen möge.«

»Es bedarf nicht dieses Schaugepränges von Mut, hochwürdiger Vater,« sagte Lacy, sich sammelnd, »wo weder Gefahr ist, noch sein kann. Ich bitte, laßt uns über diese Sache gemäßigter sprechen. Nie habe ich den Vorschlag getan, meine Absichten auf das heilige Land aufzugeben, es ging mir darum, den Kreuzzug zu verschieben. Mich dünkt, mein Anerbieten war recht annehmbar, und ich sollte damit doch das erlangen, was andern in gleichen Fällen zugestanden wurde – einen kurzen Aufschub meiner Reise.«

»Eine kleine Verzögerung von seiten eines solchen Anführers, wie Ihr, edler de Lacy,« antwortete der Prälat, »wäre der Todesstoß für unser heiliges, herrliches Unternehmen. Geringern Leuten mögen wir die Erlaubnis gegeben haben, zu heiraten oder zu verheiraten, aber Ihr, Mylord, seid ein Hauptpfeiler unseres Unternehmens, und werdet Ihr weggezogen, so stürzt das ganze Gebäude ein. Wer in England wird sich verpflichtet halten, einen Fuß vorwärts zu setzen, wenn Hugo de Lucy zurückweicht. Denkt, Mylord, weniger an die Braut, und mehr an Euern Schwur, und glaubt nicht, daß eine Verbindung je zu etwas Gutem führen kann, die Euerem gesegneten Unternehmen zur Ehre des Christentums hindernd in den Weg tritt.«

Der Connetable geriet durch die Hartnäckigkeit des Prälaten in Verwirrung und begann, wenngleich widerstrebend, seinen Beweisen Raum zu geben, einzig, weil die Gewohnheiten und Meinungen der Zeit ihn keine wirksame Gegenrede finden ließen, er hätte sich denn aufs Bitten und Flehen legen mögen. »Ich erkenne an,« sagte er, »daß ich zum Kreuzzug verpflichtet bin, auch habe ich – ich wiederhole es – keinen weiteren Wunsch, als die kurze Frist zu erlangen, die nötig ist, meine wichtigen Geschäfte in Ordnung zu bringen, indessen meine Vasallen, angeführt von meinem Neffen –«

»Versprich das, was in Deiner Gewalt ist,« sagte der Prälat. »Wer weiß, ob Gott nicht im Zorn darüber, daß Du andere Dinge suchst als Seine heilige Sache, Deinen Neffen von hinnen rufen wird, in diesem Augenblick, wo wir miteinander reden.«

»Das verhüte Gott,« sagte der Baron und fuhr auf, als wollte er zu seinem Neffen fliegen, ihm zu helfen; dann plötzlich innehaltend, warf er auf den Prälaten einen scharfen, forschenden Blick. »Es ist nicht gut getan,« sagte er, »daß Ew. Hochwürden so mit den Gefahren tändeln, die mein Haus bedrohen. Damian ist mir seiner guten Eigenschaften wegen teuer – und dann auch als Sohn meines einzigen Bruders! – Gott verzeihe es uns beiden! Er starb, als wir miteinander entzweit waren. – Mylord! Sollen Eure Worte mir andeuten, daß mein Neffe leidet und in Gefahr schwebt um meiner Sünde willen?«

Der Erzbischof bemerkte, daß er endlich den Punkt berührt hatte, der seinem widerspenstigen Büßenden am meisten zu Herzen ging. Er erwiderte mit Behutsamkeit, wohl wissend, mit wem er zu tun hatte: »Fern sei es von mir, daß ich mich erkühnte, die Ratschläge des Himmels zu deuten! Aber wir lesen in der Schrift, daß, wenn die Väter saure Trauben essen, die Zähne der Kinder davon stumpf werden. Was geht vernünftigerweise daraus hervor, als daß wir für unsern Stolz und unsere Halsstarrigkeit durch ein Urteil gestraft werden sollen, das ganz besonders darauf berechnet ist, diesen Geist des Eigendünkels niederzuschlagen und zu besänftigen? Ihr selbst wißt am besten, ob die Krankheit Euren Neffen überfiel, ehe Ihr daran dachtet, die Fahne des Kreuzes zu verlassen?«

Hugo de Lacy rief sich schnell das Geschehene zurück und fand in der Tat, daß keine Veränderung in der Gesundheit seines Neffen bemerkbar gewesen war, bis er auf den Gedanken kam, Eveline zu heiraten. Sein Schweigen und seine Verwirrung entgingen dem schlauen Prälaten nicht. Er ergriff die Hand des Kriegers, als er so vor ihm stand, ganz in Zweifel vertieft, ob er denn wirklich dafür, daß er die Fortpflanzung seines Hauses der Befreiung des heiligen Grabes vorgezogen, durch die Krankheit, die das Leben seines Neffen bedrohte, gestraft werden sollte. – »Kommt,« sagte er, »edler de Lacy – die Strafe, die Ihr Euch durch einen Augenblick des Dünkels zugezogen habt, läßt sich ebenso durch Gebet und Buße wieder wenden. Nieder, nieder auf Deine Knie und zweifle nicht, Du kannst noch durch Beichte und Kasteiung Deinen Abfall von der Sache des Himmels wieder gut machen!«

Durch die Vorschriften der Religion, in der er erzogen worden, und durch die Furcht, seines Neffen Krankheit und Gefahr sei die Strafe seines Zögerns, gleichsam niedergezogen, sank der Connetable auf die Knie vor dem Prälaten, dem er kurz zuvor Trotz geboten, beichtete als eine Sünde, die tief bereut werden müßte, seinen Vorsatz, die Abreise nach Palästina aufzuschieben, und unterwarf sich wenigstens mit Geduld, wenn auch nicht mit williger Ergebung, der ihm vom Erzbischof auferlegten Buße, die in dem Verbot bestand, die Vermählung mit Lady Eveline zu betreiben, ehe er von Palästina zurückgekehrt wäre, wo er kraft seines Gelübdes drei Jahre zu weilen hatte.

»Und nun, edler de Lacy,« sagte der Prälat, »aufs neue mein geliebtester und geehrtester Freund – fühlst Du nicht Dein Herz erleichtert, nachdem Du Deine Schuld so edelmütig abgetragen und Deinen herrlichen Geist von dem selbstsüchtigen, irdischen Flecken gereinigt hast, der seinen Glanz trübte?«

Der Connetable seufzte: »In diesem Augenblicke würde die Nachricht von der Besserung meines Neffen mein glücklichstes Gefühl erregen.«

»Beunruhigt Euch nicht über das Los des edlen Damian, Eures hoffnungsvollen und tapferen Verwandten,« sagte der Erzbischof. »Ich hoffe, Ihr sollt in kurzem von seiner Heilung hören, oder sollte es Gott gefallen, ihn zu einer besseren Welt abzuberufen, so wird sein Uebergang so leicht und seine Ankunft in jenem Hafen der Seligkeit so schnell sein, daß es besser für ihn sein wird, gestorben zu sein, als zu leben.«

Der Connetable sah ihn an, als wolle er in seinem Gesichte mehr Gewißheit von seines Neffen Schicksal lesen, als seine Worte in sich zu fassen schienen. Der Prälat aber, damit jener nicht weiter in ihn dränge, weil er fühlte, daß er sich selbst vielleicht zu weit verraten habe, schellte mit einer silbernen Glocke, die vor ihm auf dem Tische stand, und gebot dem hierauf eintretenden Kaplan, einen zuverlässigen Boten zur Wohnung von Damian de Lacy zu senden und genaue Nachricht von dessen Befinden einzuziehen.

»Ein Fremder,« erwiderte der Kaplan, »ist eben aus dem Krankenzimmer des edlen Damian de Lacy angekommen und wartet, mit dem Mylord Connetable zu sprechen.«

»Laßt ihn sogleich vor,« sagte der Erzbischof, »mein Herz sagt es mir, er bringt uns frohe Kunde. – Jederzeit ist solche demütige Buße, solche willige Aufopferung der eigenen Begierden, ein solches Verlangen, des Himmels Willen zu tun, hoch belohnt worden, ob schon hinieden oder erst im Himmelreich!«

Während er so sprach, trat ein wunderlich gekleideter Mann ins Zimmer. Seine buntfarbige, auffallend geordnete Tracht war weder die neueste, noch die reinste, auch ziemte sie sich keineswegs vor der Gesellschaft, vor der er jetzt stand.

»Was soll das, Bursche?« sagte der Prälat. »Seit wann ist es Sitte, daß Possenreißer und Minstrels sich in eine Gesellschaft wie die unsrige ohne Erlaubnis eindrängen?«

»Wenn es Euch gefällig ist,« entgegnete der Mann, »ich komme nicht zu Ew. Hochwürden, sondern zum Lord Connetable, der, wie ich hoffen will, um meiner guten Nachrichten willen über mein schlechtes Aeußere hinwegsehen wird.«

»Sprich, Bursche, lebt mein Verwandter noch?« fragte der Connetable begierig.

»Und wird wohl leben bleiben, Mylord,« antwortete der Mann. »Eine günstige Krisis, wie die Aerzte es nennen, ist eingetreten, und er befindet sich außer aller Lebensgefahr.«

»Nun, Gott sei gepriesen, der mir solche Gnade erwiesen hat!« sagte der Connetable,

»Amen! Amen!« stimmte der Erzbischof feierlich ein. – »Um welche Zeit trat diese gesegnete Veränderung ein?«

»Kaum vor einer halben Stunde,« sagte der Bote. »Ein sanfter Schlaf sank auf den kranken jungen Mann, wie der Tau auf ein ausgedörrtes Feld im Sommer – er atmete freier – die brennende Hitze ließ nach – und wie ich sagte, die Aerzte fürchten nicht länger für sein Leben.«

»Bemerkt Ihr die Stunde, Mylord Connetable?« sagte der Bischof mit Begeisterung. »Gerade, als Ihr Euch demütigtet vor den Ratschlägen, die der Himmel durch den geringsten seiner Knechte Euch vorlegte. – Nur zwei Worte der Reue – nur ein kurzes Gebet – und irgend ein huldreicher Heiliger hat mit seiner Fürsprache augenblickliche Erhörung und vollste Bewilligung Deiner Bitte bewirkt. – Edler Hugo!« fuhr er fort, und ergriff seine Hand mit einer Art von Schwärmerei, »gewiß hat der Himmel beschlossen, große Dinge durch die Hand dessen auszuführen, dessen Fehler so bereitwillig vergeben, dessen Gebet so augenblicklich erhört worden ist. – Darum soll ein Tedeum laudamus in jeder Kirche und in jedem Kloster von Gloucester gesungen werden, ehe der Tag vergeht.«

Der Connetable, nicht weniger voll Freude, doch vielleicht minder fähig, eine ganz besondere Vorsehung in seines Neffen Genesung zu entdecken, bewies dem Ueberbringer der frohen Nachricht seine Dankbarkeit, indem er ihm seine Börse hinwarf.

»Ich danke Euch, edler Lord,« sagte der Mann. »Aber wenn ich mich bücke, diesen Beweis Eurer Güte aufzuheben, so geschieht es nur Euch die Habe zurückzureichen.«

»Herr! was soll das!« sagte der Connetable. »Ich dächte Deine Jacke ist nicht so reich besetzt, daß Du Dir's leisten kannst, ein solches Geschenk von Dir zu stoßen.«

»Wer Lerchen fangen will, Mylord,« sagte der Bote, »muß nicht sein Netz über Sperlinge auswerfen. – Ich habe einen größern Lohn von Eurer Herrlichkeit zu erbitten, und daher weise ich das gegenwärtige Geschenk von mir.«

»Einen größern Lohn, ha!« sagte der Connetable. »Ich bin kein irrender Ritter, mich durch ein Versprechen zu binden, ehe ich seinen Inhalt kenne. Aber komme morgen zu meinem Zelte, und Du sollst mich nicht abgeneigt finden zu tun, was recht ist.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich von dem Prälaten und kehrte nach Hause zurück, doch nicht ohne seinen Neffen im Vorbeigehen zu besuchen, wo er die angenehme Bestätigung der Nachricht erhielt, die ihm der Bote mit dem buntfarbigen Mantel überbracht hatte.

Drittes Kapitel

Die Ereignisse des verflossenen Tages waren ihrer Natur nach so ergreifend und zuletzt so anstrengend, daß der Connetable sich ermüdet fühlte wie nach einer schwer durchkämpften Schlacht, und fest schlief, bis die frühesten Morgenstrahlen ihn durch die Oeffnung des Zeltes begrüßten. Da begann er mit einem von Schmerz und Zufriedenheit gemischten Gefühl zu bedenken, wie sich seine Lage seit dem gestrigen Morgen verändert hatte. Gestern noch stand er auf als feuriger Bräutigam, nur besorgt, einen wohlwollenden Blick in den Augen seiner schönen Braut zu finden, und sorgsam bedacht auf seine Kleidung und jede andere Anordnung, als wäre er noch so jung an Jahren wie an seinen Hoffnungen und Wünschen. Das war nun alles vorbei, und nun lag vor ihm die schwere Aufgabe, seine Verlobte auf mehrere Jahre zu verlassen, bevor noch das Band der Ehe sie unauflöslich aneinander geknüpft hatte, und dabei immer denken zu müssen, daß sie allen den Gefahren ausgesetzt sei, von denen in einer solchen kritischen Lage die weibliche Treue bedroht ist. Als die unmittelbare Sorge um seinen Neffen gehoben war, fühlte er sich versucht zu denken, er habe ein wenig zu schnell den Vorstellungen des Erzbischofs sein Ohr geliehen, als er geglaubt hatte, Damians Tod oder Genesung hänge von der buchstäblichen ungezögerten Erfüllung seines Gelübdes für das heilige Land ab. »Wie viele Fürsten und Könige,« dachte er bei sich selbst, »haben das Kreuz genommen und die Fahrt aufgeschoben oder sich ganz losgesagt, und sie haben trotzdem gelebt und sind gestorben in Reichtum und Ehre, ohne eine solche Züchtigung zu erfahren, wie Balduin mir androhte. Und weshalb und wodurch verdienten diese Männer mehr Nachsicht als ich? Doch der Würfel ist gefallen, und wenig kann es jetzt nützen, nachzuforschen, ob mein Gehorsam gegen die Befehle der Kirche das Leben meines Neffen rettete, oder ob ich nicht, wie es den Laien gemeinhin im Streite mit der Geistlichkeit zu gehen pflegte, in die Falle geraten bin. Gebe Gott, es möge sich anders ausweisen, da ich ja als des Himmels Kämpe, um so sichrer auf den Schutz des Himmels für die rechnen kann, die ich unglücklicherweise zurücklassen muß.«

Während diese Gedanken seinem Geiste vorschwebten, riefen die Wachen vor seinem Zelte jemand an, dessen sich nähernde Schritte er schon innen hören konnte. Der Kommende blieb auf ihren Anruf stehen, und gleich darauf hörte man den Ton einer Leier, einer kleinen Art von Laute, deren Saiten mit Hilfe eines kleinen Rades geschlagen wurden. Das Spiel verstummte jedoch alsbald, und Philipp Guarine trat herein, ihm zu melden, daß jemand, der auf das Geheiß des Connetables erschienen sei, um die Erlaubnis bäte, ihn zu sprechen.

»Auf mein Geheiß?« sagte de Lacy, »laß ihn sogleich herein!«

Der Bote des vergangenen Abends trat in das Zelt, in der einen Hand seine Mütze mit der kleinen Feder, in der andern die Leier haltend, auf der er eben gespielt hatte. Sein phantastischer Anzug bestand aus einem Wams von verschiedenen Farben, und zwar den glänzendsten, schreiendsten, die so aneinander gereiht waren, daß sie die grellsten Kontraste bildeten. – Das Obergewand war ein hellgrüner, normannischer Mantel, An dem gestickten Gürtel befanden sich statt der Waffen ein Tintenfaß mit Zubehör auf der einen und ein Tischmesser auf der andern Seite. Sein Haar war so verschnitten, daß es der geistlichen Tonsur ähnlich erschien, ein Kennzeichen, daß er zu einem gewissen Rang in seiner Kunst gestiegen war. Denn die fröhliche Wissenschaft (»Joyeuse science«), wie das Gewerbe der Minstrels genannt wurde, hatte ihre verschiedenen Stufen wie die Grade in der Kirche und der Ritterschaft. Die Züge und Manieren des Mannes schienen mit seinem Gewerbe und seiner Kleidung im Widerspruch zu stehen; denn so lustig und phantastisch diese waren, so hatten jene einen Anstrich von Ernst, beinahe von Strenge, der, wenn ihn nicht die Begeisterung bei seinen poetischen und musikalischen Leistungen entflammte, eher die Neigung zu tiefem Nachdenken zu verraten schien als die gedankenlose Lebendigkeit, die die meisten seiner Brüderschaft kennzeichneten. – Sein Antlitz, sonst nicht schön, hatte daher etwas Eindrucksvolles und Ergreifendes, das auch noch den Kontrast mit seinen buntscheckigen Farben und flatternden Gewändern erhöhte. Der Connetable fühlte sich instinktiv gesonnen, den Mann freundlich zu behandeln: »Guten Morgen, Bursch! Ihr hattet eine Belohnung von mir zu fordern. Macht schnell und sagt, was Ihr von mir verlangt. – Meine Zeit ist kurz.« »Es ist die Erlaubnis, Euch in das heilige Land zu begleiten, Mylord,« sagte der Mann.

»Du forderst etwas, was ich schwerlich zugestehen kann, mein Freund!« antwortete de Lucy, »Du bist ein Minstrel; bist Du es nicht?«

»Ein unwürdiger Meister der fröhlichen Wissenschaft, Mylord,« antwortete der Tonkünstler, »doch laßt es mich selbst sagen, daß ich es sogar mit dem Könige der Minstrels, Geoffrey Rudel, aufnehmen würde, obgleich der König von England ihm vier Landgüter für einen Gesang gab. Ich wollte mit ihm einen Wettkampf eingehen in der Romanze, im Lied und in der Fabel, und wäre König Heinrich selbst der Richter.«

»Euer Wort mag ganz wahr sein, daran will ich nicht zweifeln,« sagte de Lacy, »demungeachtet, Herr Minstrel, gehst Du doch nicht mit mir. Am Kreuzzug nehmen schon so viele von Deiner unnützen Profession teil; willst Du ihre Zahl vermehren, so geschehe es nicht unter meinem Schutze. Ich bin zu alt, durch Deine Kunst bezaubert zu werden.«

»Wer jung genug ist, die Liebe der Schönheit zu suchen und zu gewinnen,« sagte der Minstrel mit unterwürfigem Tone, als fürchte er, seine Dreistigkeit könne beleidigen, »der sollte sich nicht zu alt nennen, den Zauber der Minstrelkunst zu fühlen.«

Der Connetable lächelte, nicht unempfindlich gegen die Schmeichelei, die ihm den Charakter eines jungen Liebhabers zusprach. »Du bist ein Spaßmacher,« sagte er. »Wenn Du Dich in die Ordnung eines so strenge geordneten Haushaltes, wie ich ihn führe, fügen kannst, so ist es möglich, daß wir wohl noch besser zusammenstimmen, als ich's dachte. – Wie ist Dein Name, was Dein Vaterland? Deine Sprache kommt mir etwas fremd vor.« –

»Ich bin aus Armorika, Mylord, von den lustigen Küsten von Morbihan. Daher hat meine Aussprache noch einen Anklang von meinem heimischen Dialekt. Mein Name ist Renauld Vidal.«

»Da sich die Sache so verhält, Renauld!« sagte der Connetable, »so sollst Du mich begleiten, doch werde ich meinem Haushofmeister Befehl erteilen, Dich zwar Deinem Geschäfte gemäß, aber doch ordentlicher, als Du jetzt erscheinst, zu kleiden. – Verstehst Du auch die Waffen zu führen?«

»So leidlich, Mylord!« sagte der Armorikaner und nahm ein Schwert von der Wand, zog und führte damit einen Hieb so dicht vor dem Connetable, der auf dem Lager saß, daß dieser aufsprang und rief: »Schurke, was soll das?«

»Seht Ihr, edler Herr,« erwiderte Vidal und neigte untertänigst die Spitze des Schwertes zur Erde, – »ich gab Euch eine Probe von meiner Gaukelkunst, die selbst Euch, den Erfahrenen, überraschte. Ich kann noch mit hundert andern aufwarten.«

»Das mag sein,« sagte de Lacy, etwas beschämt, daß er sich durch den überraschenden, gewandten Streich des Gauklers hatte erschrecken lassen. »Aber ich liebe nicht das Spielen mit spitzigen Werkzeugen und habe genug zu tun mit Schwert und Schwerthieben im Ernst, um mit ihnen spielen zu wollen. Ich bitte Euch also, von dergleichen nichts mehr; aber ruft mir meinen Squire und meinen Kämmerling, ich will mich ankleiden und zur Messe gehen.«

Nach geendigter Morgenandacht war es des Connetables Absicht, die Aebtissin zu besuchen und ihr mit der nötigen Vorsicht mitzuteilen, wie sich sein Verhältnis zu ihrer Nichte geändert hätte, nachdem er zu dem Entschluß gezwungen worden sei, zum Kreuzzuge aufzubrechen, bevor er nach dem bereits eingegangenen Vertrage seine Vermählung vollziehen könnte. Er wußte wohl, daß es schwer halten würde, die gute Lady mit dieser veränderten Sachlage zu versöhnen, und er ließ sich daher einige Zeit nachzudenken, auf welche Art er am besten diese unangenehme Mitteilung machen und mildern könnte. – Eine geraume Zeit nahm auch der Besuch seines Neffen hinweg, dessen Gesundheitszustand fortwährend günstig blieb, als wäre es in der Tat ein durch ein Wunder bewirkter Lohn dafür, daß der Connetable sich den Anweisungen des Erzbischofs gefügt hatte.

Von der Wohnung Damians begab sich nun der Connetable ins Kloster zur Aebtissin. Aber ein früherer Besuch des Erzbischofs Balduin hatte sie schon mit allem, was er ihr mitteilen wollte, bekannt gemacht. Der Primas hatte das Amt eines Vermittlers übernommen, da er wohl wußte, daß der Sieg, den er tags zuvor über den Connetable errungen, diesen in eine sehr heikle Lage mit der Verwandten seiner Verlobten bringen mußte; er wollte also durch sein Ansehen und durch seine Beihilfe die Zwistigkeiten beilegen, die entstehen könnten. Vielleicht hätte er besser getan, Hugo de Lacy selbst seine Sache vertreten zu lassen. Denn die Aebtissin, wiewohl sie seine Mitteilung mit all der Ehrfurcht annahm, die dem höchsten Würdenträger der englischen Kirche gebührte, leitete aus des Connetables verändertem Entschluß Folgerungen, die der Primas nicht erwartete. Sie versuchte es durchaus nicht, de Lacy bei der Erfüllung seiner Gelübde Hindernisse in den Weg zu legen, aber sie erklärte rundheraus, daß nun der Ehekontrakt mit ihrer Nichte gänzlich aufgehoben und jedem Teil Freiheit gelassen sei, eine neue Wahl zu treffen.

Umsonst versuchte der Erzbischof, die Aebtissin durch den künftigen hohen Ruhm zu blenden, den der Connetable im heiligen Lande davontragen würde, umsonst hielt er ihr vor, daß dieser Glanz sich nicht nur auf seine Gattin, sondern auf alle, die auf die entfernteste Weise mit ihr verwandt oder verbunden wären, verbreiten würde. Ohne Wirkung blieb seine Beredsamkeit, obwohl er sie bei einem solchen Lieblingsgegenstande aufs äußerste anstrengte. Wahr ist's, die Aebtissin schwieg einen Augenblick, nachdem er seine Gründe erschöpft hatte; doch es geschah bloß, um zu überlegen, wie sie es auf eine schickliche, ehrbare Weise anbringen könne, daß Kinder, ohne die das Haus ihres Bruders und Vaters aussterben würde, wohl schwerlich noch zu erwarten wären, wenn der Verlobung nicht die Vermählung folgte. Sie bestand also darauf, da der Connetable in diesem wichtigen Punkt seine Meinung geändert habe, so müßte die Verlobung gänzlich aufgehoben und vergessen sein, und sie forderte es von dem Primas, als eine Sache der Gerechtigkeit, daß, nachdem er den Bräutigam zur Aufgabe seines ursprünglichen Vorsatzes bestimmt hätte er jetzt seinen Einfluß gebrauchen solle, eine Verbindung, deren Voraussetzungen umgestoßen worden seinen, gänzlich rückgängig zu machen.

Der Primas, im Bewußtsein de Lucy zum Bruch des Kontrakts veranlaßt zu haben, hielt sich durch Ehre und Gewissen für verpflichtet, den für seinen Freund so unangenhmen Folgen vorzubeugen und das Verlöbnis aufrecht zu erhalten. Er verwies der Aebtissin ihre fleischlichen, irdischen Ansichten, die sie über den Ehestand und das Interesse ihres Hauses hege. Er warf ihr sogar vor, daß es Selbstsucht sei, die Fortpflanzung des Hauses Berenger der Befreiung des heiligen Grabes vorzuziehen, und er kündigte ihr die Rache des Himmels an für die kurzsichtige, bloß menschliche Klugheit, die die Sache des ganzen Christentums dem Interesse einer einzelnen Familie nachsetze.

Nach dieser strengen Predigt entfernte sich der Prälat und ließ die Aebtissin in sehr gereizter Stimmung zurück, wiewohl sie es klüglich vermied, auf seine väterliche Mahnung irgend eine unehrerbietige Antwort zu geben.

In dieser Laune traf nun der Connetable die ehrwürdige Frau, als er mit einiger Verlegenheit begann, ihr die Notwendigkeit seiner schleunigen Abreise nach Palästina auseinander zusetzen.

Mit finsterer Würde vernahm sie seine Erklärung. Ihr breites, schwarzes Gewand mit dem Skapulier schien sich in noch stolzere Falten zu legen, als sie ihn die edlen Gründe und die Geschehnisse berichten hörte, die ihn zum Aufschub seiner Vermählung zwängen, die, wie er bekenne, der teuerste Wunsch seines Herzens wäre, die aber doch erst nach seiner Rückkehr vom Kreuzzuge, den er auf der Stelle antreten müsse, erfolgen dürfe.

»Mich dünkt,« erwiderte die Aebtissin mit vieler Kälte, »wenn diese Erklärung ernstlich gemeint ist – und die Sache eignet sich nicht zum Scherze – mich dünkt, dann hätte des Connetables Entschluß gestern uns bekannt gemacht werden sollen, ehe er und Eveline Berenger durch das Verlöbnis sich zu gegenseitiger Treue verpflichteten.«

»Beim Worte eines Ritters und Edelmanns, ehrwürdige Frau! gestern hatte ich noch nicht den geringsten Gedanken daran, daß ich zu einem Schritte gezwungen würde, der mir ebensoviel Kummer macht, wie er Euch mißfällt.«

»Kaum vermag ich doch,« erwiderte die Aebtissin, »die zwingenden Gründe zu begreifen, die doch schon gestern vorhanden sein mußten und dabei doch erst heute zur Geltung gekommen sein sollen.«

»Ich gestehe,« sagte de Lacy, mit einem gewissen Sträuben, »daß ich zu leicht der Hoffnung Raum gegeben hatte, meines Gelübdes entbunden zu werden. Jedoch Mylord von Canterbury glaubte in seinem Eifer für des Himmels Dienst mir dies versagen zu müssen.«

»Dann,« sagte die Aebtissin, ihren Zorn unter äußerster Kälte verbergend, »werdet Ihr uns wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren lassen, uns in dieselbe Lage zurück zu versetzen, in der wir uns gestern morgen befanden. In Uebereinstimmung mit meiner Nichte und ihren Freunden fordere ich die Aufhebung des Ehekontrakts, dem Eure gegenwärtigen Absichten zuwiderlaufen. Gebt einer jungen Dame die Freiheit wieder, deren sie augenblicklich durch den Vertrag mit Euch beraubt ist.«

»Ach, Madame,« sagte der Connetable, »was verlangt Ihr von mir? Und in welchem kalten, gleichgiltigen Tone begehrt Ihr, daß ich den teuersten Hoffnungen entsagen soll, die je mein Busen genährt hat?«

»Mir ist die Sprache solcher Gefühle unbekannt, Mylord!« erwiderte die Aebtissin, »aber ich dachte, Aussichten, die so leicht auf Jahre verschoben werden, könnten wohl auch durch einen kleinen, sehr kleinen Zwang, den man sich selbst antut, auf immer aufgegeben werden.«

Hugo de Lacy schritt, heftig bewegt, im Zimmer auf und nieder, auch antwortete er erst nach einer langen Pause: »Wenn Eure Nichte, Madame, die Meinung teilt, die Ihr soeben geäußert habt, so kann ich in der Tat, will ich gerecht gegen sie, ja vielleicht gegen mich selbst sein, nicht mehr das Anrecht auf ihr Herz beanspruchen, das unsere feierliche Verlobung mir zugestand. Aber ich muß mein Urteil von ihren eigenen Lippen hören; und wenn es so streng ist, wie Eure Aeußerungen mich fürchten lassen, so will ich nach Palästina ziehen und um so besser für den Himmel kämpfen, da ich dann wenig auf der Erde zurücklasse, was Wert für mich hat.« Ohne weitere Antwort rief die Aebtissin ihre Vorsängerin und trug ihr auf, ihre Nichte sogleich herbeizurufen. Die Vorsängerin verbeugte sich ehrfurchtsvoll und ging.

»Darf ich so frei sein, zu fragen,« sagte de Lacy, »ob Lady Eveline schon die Umstände kennt, die mich zu dieser unglücklichen Veränderung meines Vorsatzes bewogen haben?«

»Ich habe ihr, Punkt für Punkt, alles mitgeteilt,« entgegnete die Aebtissin, »genau so, wie es mir diesen Morgen vom Mylord von Canterbury auseinandergesetzt wurde (denn mit ihm sprach ich schon über diesen Gegenstand), und wie es mir jetzt durch Ew. Herrlichkeit eigenen Mund bestätigt wird.«

»Ich bin dem Erzbischof wenig verbunden,« sagte der Connetable, »daß er mir hier vorgegriffen hat, wo es für mich von großer Wichtigkeit war, meine Verteidigung persönlich zu führen und freundliches Verständnis meines Handelns zu erzielen.«

»Das,« sagte die Aebtissin, »habt Ihr mit dem Prälaten selbst abzumachen – uns geht's nichts an.«

»Darf ich hoffen,« fuhr de Lacy fort, ohne sich von der Trockenheit im Benehmen der Aebtissin beleidigen zu lassen, »daß Lady Eveline diese höchst unglückliche Veränderung der Umstände ohne Bewegung – ich wollte sagen ohne Unwillen vernommen hat?«

»Sie ist die Tochter Berengers, Mylord, und es ist unsere Gewohnheit, einen Wortbruch zu strafen oder zu verachten – nicht uns darüber zu grämen. – Was meine Nichte in diesem Falle tun wird, weiß ich nicht. Ich bin eine Dienerin der Kirche, abgeschieden von der Welt, und würde ihr raten, die unwürdige Behandlung, die ihr widerfuhr, christlich zu verzeihen. Aber sie hat Anhänger, Vasallen, Freunde und Ratgeber, die im blinden Trachten nach weltlicher Ehre ihr anempfehlen werden, sich eine solche Beleidigung nicht bieten zu lassen, sondern vor den König selbst zu gehen oder die Lehnsleute ihres Vaters zu den Waffen zu rufen und durch die Vernichtung des Kontrakts sich die Freiheit wieder zu verschaffen. – Doch hier erscheint sie, für sich selbst zu antworten.«

Eveline trat in dem Augenblick ein, auf Roses Arm gelehnt. Sie hatte die Trauer seit der Verlobung abgelegt und trug ein weißes Unterkleid und darüber eine blaßblaue Robe. Ihr Haupt deckte ein Schleier von weißem Flor, so dünn, daß er sie umfloß wie eine durchsichtige Nebelwolke. Ihre Glieder zitterten, ihre Wangen waren blaß, die leichte Röte um ihre Augenlider verriet frische Tränen. Trotz dieser natürlichen Zeichen des Kummers und der Unruhe trugen ihre Züge den Ausdruck tiefster Erregung und des Entschlusses, ihre Pflicht zu erfüllen. Und so herrlich mischten sich diese entgegengesetzten Eigenschaften von Furcht und Entschlossenheit auf ihrer Wange, daß Eveline in der höchsten Pracht ihrer Schönheit nie bezaubernder als in diesem Augenblicke erschienen war; und Hugo de Lacy, bis dahin mehr ein Liebhaber ohne große Leidenschaft, stand vor ihr mit Gefühlen, als ob alle Uebertreibungen in den Romanzen in die Wirklichkeit getreten und seine Gebieterin ein Wesen aus höheren Sphären wäre, von deren Urteil Glückseligkeit oder Elend, Leben oder Tod abhinge.

Von diesen Gefühlen beseelt, sank der Krieger auf ein Knie vor Evelinen nieder, ergriff die Hand, die sie ihm mehr ließ, als gab, drückte sie freudig an seine Lippen, und ehe er sich von ihr trennte, benetzte er sie mit einer der wenigen Tränen, die man ihn je vergießen sah. Aber, obgleich selbst überrascht und durch diese plötzliche Regung aus seiner Art gerissen, gewann er bald seine Fassung wieder, als er bemerkte, daß die Aebtissin seine Erniedrigung, wenn diese Gefühlsäußerung so genannt werden konnte, mit der Miene des Triumphes betrachtete. So begann er demnach seine Verteidigung vor Evelinen mit einem männlichen Ernst, zwar nicht ohne Wärme oder innere Bewegung, aber doch in einem festen, stolzen Ton, den er deswegen anzunehmen schien, um damit dem gleichen Tone der beleidigten Äbtissin entgegenzutreten.

»Lady,« sagte er in seiner Anrede an Eveline, »Ihr habt von der hochwürdigen Aebtissin gehört, in welche unselige Stellung ich seit gestern durch die Strenge des Erzbischofs versetzt worden bin – ich sollte vielleicht besser sagen, durch seine gerechte, wiewohl zu genaue Auslegung meines Gelübdes für den Kreuzzug. Ich kann nicht zweifeln, daß alles dies die hochwürdige Frau Euch genau, der Wahrheit gemäß, vorgelegt hat; aber da ich sie nicht länger meine Freundin nennen darf, so laßt mich hören, ob sie mir auch Gerechtigkeit widerfahren ließ in ihrer Erläuterung der unglücklichen Umstände, die mich zwingen, sogleich mein Vaterland zu verlassen und damit die schönsten Hoffnungen, die je ein Mann in seiner Brust nährte, aufzugeben – im günstigsten Falle aufzuschieben. Die hochwürdige Frau macht es mir zum Vorwurf, daß ich selbst die Vollziehung des gestern abgeschlossenen Vertrages verschöbe und Euch dabei doch gerne auf eine unbestimmte Reihe von Jahren an den Vertrag gebunden sähe. Niemand entsagt gern solchen Rechten, wie mir der gestrige Tag verlieh, und um auch einmal ein prahlerisches Wort zu sprechen: ehe ich sie einem vom Weibe geborenen Manne abträte, wollte ich mit gewetztem Schwert und scharfem Speer, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, drei Tag lang offenes Feld halten gegen alle, die da kommen wollten. Aber was ich mir erhalten wollte, und sollte es tausend Leben kosten, dem bin ich bereit zu entsagen, wenn es Euch nur einen einzigen Seufzer kosten würde. Wenn Ihr demnach glaubt, als die Verlobte de Lucys nicht glücklich bleiben zu können, so braucht Ihr von mir nur die Zustimmung zur Vernichtung des Kontrakts zu fordern, und Ihr dürft einen vom Schicksal begünstigteren Mann glücklich machen.«

Er würde noch mehr gesagt haben, aber er fühlte die Gefahr, wieder von jenen zärtlichen Gefühlen überwältigt zu werden, die seinem festen Charakter so neu waren, daß er sich schämte, ihnen abermals Raum zu geben,

Eveline schwieg noch immer, und die Aebtissin nahm das Wort. – »Ihr hört, Nichte,« sagte sie, »daß die Großmut oder die Gerechtigkeit des Connetable infolge seiner nahen Abreise zu einem entfernten und gefährlichen Unternehmen, Euch den Vorschlag macht, einen Kontrakt aufzuheben, bei welchem ausdrücklich vereinbart wurde, daß er zu seiner Vollziehung in England bleiben solle. Mir scheint, Ihr könnt nicht zögern, die Euch angebotene Freiheit mit Dank für seine Güte anzunehmen.«

»Meine gnädige und hochwürdige Verwandte!« sagte Eveline, indem sie alle ihre Entschlossenheit sammelte, »und Ihr, edler Lord! verzeiht es mir, wenn ich Euch bitte, nicht durch heftige Empfindlichkeit Eure und meine schwierige Lage zu verschlimmern. Mylord, was ich Euch schuldig bin, werde ich nie abtragen können; denn ich danke Euch Glück, Leben und Ehre. Wisset, als ich von den Wallisern in meinem Schlosse Garde Douloureuse belagert wurde, habe ich in der Angst meines Herzens, der heiligen Jungfrau gelobt, daß ich, meine Ehre ausgenommen, dem völlig zu eigen sein wolle, den Unsere liebe Frau zum Werkzeuge brauchen würde, mich aus jener Stunde der Todesangst zu erretten. Indem sie mir einen Befreier gab, gab sie mir einen Herrn; und ich konnte keinen edleren finden als Hugo de Lacy.«

»Gott verhüte, edle Lady!« rief der Connetable schnell, als fürchte er, sein Entschluß möchte sinken, ehe er bis zum Ende der Entsagung käme, »daß durch eine Fessel, die Ihr selbst Euch auf dem Gipfel der Not anlegtet, auch ich Euch an einen Entschluß binden sollte, der Euren Neigungen Gewalt antut.«

Selbst die Aebtissin konnte nicht umhin, dieser Gesinnung Beifall zu zollen, und erklärte, das sei gesprochen, wie ein normannischer Edelmann; aber dennoch richteten sich ihre Augen auf ihre Nichte und schienen sie zu ermahnen, sich wohl zu bedenken, ehe sie de Lacys ritterliches Entgegenkommen ungenützt lasse. Aber Eveline, die Augen auf den Boden geheftet, während eine leichte Röte in ihre Wangen stieg, ließ sich durch kein Zwischenreden von ihrer Meinung abbringen. »Ich will es Euch bekennen, edler Herr,« sagte sie, »damals, als Eure Tapferkeit mich vom Untergange errettete, hätte ich – denn ich ehrte und achtete Euch nicht minder hoch als Euren Freund, meinen vortrefflichen Vater – wohl wünschen mögen, Ihr hättet einer Tochter Dienste von mir gefordert. Ich kann auch nicht behaupten, dieses Gefühl ganz besiegt zu haben, obwohl ich es als Undankbarkeit gegen meinen Retter wacker bekämpfte. Aber von dem Augenblicke an, da es Euch gefiel, mich durch die Bewerbung um meine geringe Hand zu beehren, habe ich sorgfältig meine Gesinnungen gegen Euch geprüft und sie soweit mit meiner Pflicht in Übereinstimmung gebracht, daß ich mich überzeugt halten kann, de Lacy wird in Eveline Berenger keine gleichgültige, viel weniger eine unwürdige Braut finden. Hierauf, Sir, könnt Ihr Euch verlassen, möge die Vereinigung, die Ihr herbeiwünscht, sogleich stattfinden oder auf eine lange Zeit aufgeschoben sein. – Noch mehr, ich muß bekennen, daß der Aufschub der Vermählung mir angenehmer ist, als ihre unmittelbare Vollziehung. Ich bin jetzt sehr jung und völlig unerfahren. Nach zwei oder drei Jahren werde ich, das glaube ich bestimmt, der Achtung eines Edelmannes noch würdiger sein.«

Bei dieser Erklärung zu seinen Gunsten, so kalt und abgemessen sie auch war, mußte de Lacy sich ebenso sehr zusammenraffen, sein Entzücken zurückzuhalten, wie vorher, seine Bewegung zu mäßigen.

»Ein Engel an Güte und Freundlichkeit!« rief er aus, kniete noch einmal nieder und ergriff ihre Hand. »Vielleicht sollte nur die Ehre gebieten, freiwillig jenen Hoffnungen zu entsagen, die Ihr mir nicht gewaltsam rauben wollt; aber wer ist einer solchen unerschütterlichen Seelengröße fähig? – Laßt mich hoffen, daß meine Anhänglichkeit – daß alles, was Ihr aus der Entfernung von mir hören werdet, Euren Empfindungen eine noch zärtlichere Wärme verleihen werde, als Ihr jetzt zeigt. Tadelt mich indessen nicht, daß ich unter jeder Bedingung, die Ihr mir jetzt stellen mögt, von neuem das Pfand Eurer Treue entgegennehme. Ich weiß es wohl, meine Bewerbung fängt in späten Jahren an, und ich darf nicht mehr die lebendige Erwiderung erwarten, die der jugendlichen Leidenschaft eigen ist. Tadelt mich nicht, wenn ich mit den sanfteren Empfindungen zufrieden bin, die das Leben glücklich machen, wenngleich sie nicht die Leidenschaft berauschen. – Eure Hand bleibt in der meinen, aber sie scheint meinen Druck nicht zu fühlen. – Sollte sie sich weigern, das zu bestätigen, was Eure Lippen aussprachen?«

»Niemals, edler de Lacy!« sagte Eveline mit mehr Wärme, als sie bis jetzt gezeigt hatte; und durch diesen innigeren Ton ermutigt, zog der Bräutigam sie an sich und küßte sie auf die Lippen.

Mit einem gewissen Stolz, vermischt mit Ehrfurcht, wandte sich de Lacy, als er dieses Pfand der Treue empfangen hatte, zur Aebtissin, die Beleidigte zu versöhnen und zu besänftigen. »Ich hoffe, hochwürdige Mutter,« sagte er, »daß Ihr Eure frühern gütigen Gesinnungen gegen mich annehmen werdet, die, wie ich überzeugt bin, nur durch Eure zärtliche Sorge für das Wohl derjenigen, die uns beiden am teuersten sein muß, gestört wurden. Laßt mich hoffen, daß ich diese schöne Blume unter dem Schutze der hochverehrten Frau zurücklassen darf, die ihre nächste Blutsverwandte ist, in Glück und Sicherheit, wie es ja nicht anders sein kann, wenn Sie auf Euren Rat hört und in diesen heiligen Mauern wohnt.«

Aber die Aebtissin war zu ungehalten, um sich durch eine Schmeichelei versöhnen zu lassen, die vielleicht klüger bis zu einem günstigeren Augenblicke verschoben worden wäre. »Mylord,« sagte sie, »und Ihr, schöne Verwandte, Ihr solltet es doch bedenken, wie wenig mein Rat, den ich wohl nicht sehr oft da geben möchte, wo man so ungern drauf hört, denen nützlich sein kann, die so in weltlichen Trieben befangen sind. Ich habe mich der Religion, der Einsamkeit, der Abgeschiedenheit – kurz dem Dienste Unserer Frau und des heiligen Benedikts geweiht. Ich habe mir bereits den Tadel meines Vorgesetzten zugezogen, weil ich aus Liebe zu Euch, schöne Nichte, mich tiefer in weltliche Angelegenheiten hineingemischt habe, als es der Vorsteherin eines Nonnenklosters geziemt. Ich will mir keinen weitern Vorwurf in diesen Stücken zuziehen, und Ihr könnt das nicht von mir erwarten. Meines Bruders Tochter, ungefesselt von weltlichen Banden, ist mir willkommen gewesen, als sie meine arme Einsamkeit teilen wollte; aber dieses Haus ist zu geringe, um der verlobten Braut eines mächtigen Freiherrn zur Wohnung zu dienen; auch fühle ich mich in meiner Niedrigkeit und Unerfahrenheit unfähig, sie als solche in die gleiche Botmäßigkeit zu nehmen, zu der doch sonst jeder unter diesem Dache mir verpflichtet ist. Der ernste Gang unserer Andachtsübungen und die stillen Betrachtungen, denen die Frauen unseres Hauses obliegen,« fuhr die Aebtissin in wachsender Hitze und Heftigkeit fort, »sollen nicht meiner weltlichen Verbindungen wegen und durch die Einmischung einer Person gestört werden, deren Gedanken bei dem weltlichen Spielwerk von Liebe und Heirat weilen müssen.«

»Ich glaube es in der Tat, hochwürdige Mutter,« sagte der Connetable, der nun auch seinem ganzen Unmut Raum gab, »daß ein reich begütertes Mädchen, die unverheiratet ist und wohl nicht heiraten wird, eine passendere und willkommenere Bewohnerin des Klosters wäre, als eine, die nicht von der Welt getrennt werden kann und deren Reichtum wahrscheinlich nicht des Hauses Einkünfte vermehren wird.«

Die unangebrachte Bemerkung des Connetable bestärkte die Aebtissin in dem Entschluß, den sie bereits in ihrer Heftigkeit gefaßt hatte. »Möge der Himmel Euch, Herr Ritter,« erwiderte sie, »die ehrenrührigen Gedanken über eine Dienerin des Herrn vergeben! Es ist in der Tat zum Heil Eurer Seele hohe Zeit, daß Ihr im heiligen Lande Buße tut, da Ihr solche raschen Urteile zu bereuen habt. – Was Euch anbelangt, meine liebe Nichte, so kann es Euch an einer gastfreundlichen Aufnahme nicht gebrechen, die ich Euch nicht gewähren kann, ohne einen solchen ungerechten Verdacht wahrzumachen, oder mindestens den bösen Anschein zu erregen. Ihr habt in Euer Großtante von Baldringham eine weltliche Verwandte, die Euch fast so nahe steht wie ich, und die Euch ihre Tore öffnen kann, ohne sich dem unwürdigen Urteil auszusetzen, daß sie sich auf Eure Kosten bereichern wollte.«

Der Connetable sah die Totenblässe, die bei diesem Vorschlag Evelinens Wangen überzog, und ohne die Ursache ihres Abscheus zu wissen, eilte er, sie von der Furcht zu befreien, die sie offenbar quälte. »Nein, hochwürdige Mutter,« sagte er, »da Ihr so hart die Sorge für Eure Verwandte ablehnt, so soll sie auch für keine ihrer Angehörigen eine Last sein. Solange Hugo de Lacy sechs stattliche Schlösser und viele Landgüter sein eigen nennt, die Feuer auf ihrem Herde haben können, soll seine verlobte Braut keinem die Ehre ihrer Gesellschaft zukommen lassen, der diesen Vorzug nicht zu schätzen weiß, und ich müßte mich für ärmer halten, als der Himmel mich gemacht hat, könnte ich nicht genug Freunde und Mannen aufbieten, ihr zu dienen, zu gehorchen, ihr Schutz zu sein.«

»Nein, Mylord,« sagte Eveline und überwand den Kummer, in den die Unfreundlichkeit ihrer Verwandten sie versetzt hatte. »Da ein unglückliches Schicksal mir den Schutz der Schwester meines Vaters raubt, dem ich mich so zuversichtlich überlassen hätte, so will ich kein Obdach bei irgend einem feineren Verwandten suchen, noch das annehmen, was Ihr mir, Mylord, so großmütig anbietet. Täte ich das letztere, so würde dies harte, und ich bin überzeugt, unverdiente Vorwürfe derjenigen zuziehen, die mich zwang, einen weniger ratsamen Wohnsitz zu wählen. Mein Entschluß ist gefaßt. Wahr ist es, nur eine Freundin ist mir geblieben, aber eine mächtige, und sie ist imstande, mich sowohl gegen das besondere Unglück zu schützen, das mich zu verfolgen scheint, als auch gegen die gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens.«

»Die Königin, meint Ihr, wie ich vermute,« sagte die Aebtissin, sie ungeduldig unterbrechend.

»Die Königin des Himmels, hochwürdige Tante,« antwortete Eveline, »Unser Frau von Garde Douloureuse, immer gnädig unserm Hause, und noch vor kurzem meine besondere Hüterin und Beschützerin. Es scheint mir, da die Geweihte der Jungfrau mich zurückweist, so ist es die Schutzheilige selbst, deren Hilfe ich anrufen muß.«

Die hochwürdige Frau, die sich dieser Antwort nicht versehen hatte, stieß bloß den Ausruf aus: »Hem!« aber in einem Tone, der sich besser für einen Bilderstürmer, als für eine katholische Aebtissin und eine Tochter aus dem Hause Berenger geschickt hätte. Allerdings hatte die erbliche Verehrung, die die Aebtissin für die Frau von Garde Douloureuse hegte, sich sehr verringert, seit sie die Wirkungen eines andern Wunderbildes kennen gelernt hatte, das im Besitz ihres Klosters war.

Indessen beherrschte sie sich und schwieg, während der Connetable an die Nachbarschaft der Walliser erinnerte, die einen Aufenthalt zu Garde Douloureuse wieder gefährlich machen könnte, wie seine Braut ja schon einmal erfahren hätte. Diesem stellte aber Eveline die Stärke ihrer väterlichen Burg, die vielen Belagerungen, die sie abgeschlagen, und den wichtigen Umstand entgegen, daß sie bei der letzten Gelegenheit bloß darum in Gefahr geraten sei, weil eines Ehrenhandels wegen ihr Vater Raymond mit der Garnison ausgezogen wäre und zu seinem Nachteil sich vor den Wällen in einen Kampf eingelassen hätte. Ferner führte sie an, daß es für den Connetable leicht sein würde, aus seinen oder ihren Vasallen einen Seneschall auszuwählen, der klug und tapfer genug wäre, um für die Sicherheit des Platzes und der Braut hinlänglich sorgen zu können.

Ehe de Lacy hier etwas erwidern konnte, stand die Aebtissin auf, indem sie sich für völlig unfähig erklärte, in weltlichen Dingen Rat zu erteilen, und hinzusetzte, daß die Regeln ihres Ordens sie nunmehr zu ihren klösterlichen Pflichten riefen. Mit diesen Worten verließ sie die Verlobten.

Der Ausgang ihrer Unterredung schien beiden angenehm zu sein; und als Eveline Rosen erzählte, daß sie sogleich unter hinlänglicher Bedeckung nach Garde Douloureuse zurückkehren und dort während des Kreuzzuges bleiben würden, so geschah das im Ton einer so aufrichtigen Zufriedenheit, wie ihre Dienerin seit manchen Tagen nicht an ihr wahrgenommen hatte. Auch sprach Eveline mit großen Lobeserhebungen über die Bereitwilligkeit, mit der der Connetable sich ihren Wünschen gefügt hätte, und über sein ganzes Benehmen sprach sie mit einer so warmen Dankbarkeit, die fast an zärtlichere Empfindung grenzte.

»Und dennoch, meine teuerste Lady,« sagte Rose, »wenn Ihr ohne Verstellung reden wollt, so müßt Ihr, davon bin ich überzeugt, zugestehen, daß Euch dieser Zeitraum von mehreren Jahren, der nun zwischen Verlobung und Vermählung liegt, gewissermaßen als Gnadenfrist sehr erwünscht ist.«

»Ich gestehe dies,« sagte Eveline, »auch habe ich es meinem künftigen Herrn nicht verhehlt, daß dieses meine Empfindungen sind, so mißfällig sie auch erscheinen mögen. Aber Rose, meine Jugend ist es, meine große Jugend, die mir vor den Pflichten einer Gattin de Lacys Scheu einflößt. Auch liegen mir alle die üblen Vorbedeutungen am Herzen. Dem Leiden geweiht von meiner Verwandten, ausgestoßen fast aus dem Hause der andern, erscheine ich mir beinahe selbst als ein Geschöpf, das Unglück mit sich führt, wohin es tritt. Doch die jetzige bange Stunde und, was noch mehr ist, die Furcht vor der künftigen wird die Zeit hinwegräumen. Wenn ich das zwanzigste Jahr erreicht habe, Rose, so werde ich ein vollkommen erwachsenes Weib sein, das mit der starken Seele einer Berenger alle Zweifel und Aengste überwinden wird, die jetzt das Mädchen erschüttern.«

Viertes Kapitel

Wenn Lady Eveline de Lacy zufrieden und vergnügt verließ, so hatte die Freunde des Connetable einen höheren Grad des Entzückens erreicht, als er je zuvor empfunden hatte. Ein Besuch der Aerzte, welche seinen Neffen bedienten, erhöhte noch sein Vergnügen, da er von ihnen ausführlichen Bericht über dessen Krankheit und zugleich die Versicherung von seiner baldigen Wiederherstellung erhielt. Der Connetable ließ Almosen in den Klöstern und unter die Armen austeilen, Messen lesen, Kerzen anzünden. Er besuchte den Erzbischof und erhielt von ihm die Zusage, daß in Anbetracht seines schnellen Gehorsams sein Aufenthalt in dem heiligen Lande nur auf drei Jahre beschränkt werden sollte, wobei die zur Hin- und Rückreise erforderliche Zeit mit eingerechnet sein sollte. Kurz, da er den Hauptpunkt durchgesetzt hatte, so hielt es der Erzbischof für geraten, einem Manne vom Rang und Charakter des Connetables, dessen Teilnahme an der bevorstehenden Unternehmung für deren Erfolg von höchster Wichtigkeit war, alle weniger bedeutenden Zugeständnisse willig zu gewähren.

So kehrte der Connetable zu seinem Zelte zurück, höchst zufrieden, daß er sich aus Schwierigkeiten befreit hatte, die am Morgen noch unüberwindlich schienen; und als seine Hausoffizianten sich um ihn versammelten, seinem Auskleiden beizuwohnen (denn die großen Lehnsherren hatten ihre Morgen- und Abendaudienzen, wie die souveränen Fürsten) verteilte er mehrere Geschenke unter sie und scherzte und lachte in einem frohern Humor, als sie je zuvor an ihm bemerkt hatten.

»Was Dich anbetrifft,« sagte er, sich zu Vidal, dem Minstrel, wendend, der prachtvoll gekleidet unter den andern Hausbeamten stand, um auch seine Ehrerbietung zu zeigen, »Dir werde ich jetzt nichts geben; aber bleibe Du neben meinem Bette, bis ich einschlafe, dann werde ich morgen Deine Kunst belohnen, je nachdem sie mir gefallen hat.«

»Mylord,« sagte Vidal, »ich bin schon belohnt durch die Ehre und durch die Livree, die sich mehr für einen königlichen Minstrel als für einen von meinem geringen Rufe schickt. Aber gebt mir einen Gegenstand auf, und ich will mein Bestes tun, nicht aus Gier nach künftigen Gaben, sondern aus Dankbarkeit für genossene Gunst.«

»Schönen Dank, guter Gesell,« sagte der Connetable, »Guarine,« sagte er darauf zu seinem Squire, »laß die Wachen antreten, und Du bleibe im Zelt. – Strecke Dich dort auf die Bärenhaut hin und schlafe oder höre auf den Gesang, wie Du willst. Du hältst Dich, das habe ich wohl gehört, für einen Kenner von dem Zeuge da.«

In diesen unsichern Zeiten war es etwas Alltägliches, daß ein treuer Diener die Nacht über im Zelte seines Herrn schlief, damit dieser im Notfalle nicht ohne Beistand und Schutz wäre. Demzufolge zog Guarine sein Schwert, behielt es in der Hand, und streckte sich auf den Boden, so daß er beim geringsten Lärm bewaffnet aufspringen konnte. Seine großen schwarzen Augen, in welchen der Schlaf mit dem Wunsche, den Gesang zu hören kämpfte, waren auf Vidal gerichtet, der sie im Widerschein einer silbernen Lampe blitzen sah wie die Augen eines Drachen oder Basilisken.

Nach einigen einleitenden Gängen auf der Leier ersuchte der Minstrel den Connetable, ihm den Gegenstand zu nennen, über den er zum Beweise seiner Geschicklichkeit singen solle.

»Die Treue der Weiber,« antwortete Hugo de Lacy und legte sein Haupt auf das Kissen.

Nach einem kurzen Vorspiel gehorchte der Minstrel, indem er ungefähr folgendes sang:

Frauentreue, Frauenpfand! –


Schreibe die Züge in den Sand,


Präge sie in die Welle hinein,


Drücke sie in des Mondes Schein:


Und wie schnell der Zug vergeht,


Fester, länger er doch steht


Und verlischt so schnelle nicht,


Als, was dieses Wort ausspricht. –

Ich zog Spinnefäden dort,


Fester war's als Mädchenwort;


Ich wog ab ein Körnchen Sand,


Schwerer war's als Herzenspfand,


Liebchen, das mir untreu war.


Stellt' ich diese Bilder dar:


Wiederum schwur sie mir Treue –


Und ich glaubte ihr aufs neue. –

»Wie das, Herr Schalk?« sagte der Connetable und hob sich auf den Ellenbogen empor, »Von welchem trunkenen Reimschmied hast Du dieses halbwitzige Spottgedicht gelernt?«

»Von einem alten, lumpigen, runzligen Freund meiner Bekanntschaft, genannt Erfahrung,« antwortete Vidal. »Ich bitte zum Himmel, er mochte nie Ew. Herrlichkeit oder einen andern würdigen Mann unter seine Zucht nehmen.«

»So geh doch, Bursche,« erwiderte der Connetable, »Du bist auch einer von den Weisheitsnarren, ich stehe dafür, der gern für witzig gehalten werden will, weil er seinen Spott mit Dingen treibt, die klügere Männer der größten Achtung für wert halten – die Ehre der Männer und die Treue der Frauen. Nennst Du Dich einen Minstrel und weißt keine Geschichten von weiblicher Treue zu erzählen?«

»Ich habe deren recht viele gewußt, edler Herr, aber ich warf sie beiseite, als ich dem Scherz in der fröhlichen Wissenschaft entsagte. Dessenungeachtet, wenn es Ew. Herrlichkeit gefällt, darauf zu hören, kann ich Euch ein sehr beliebtes Lied über diesen Gegenstand singen.«

De Lacy willigte durch ein Zeichen ein und legte sich wie zum Schlummer zurück, während Vidal eines von jenen fast zahllosen Abenteuern, das Muster aller treuen Liebenden, die schöne Ysolte betreffend, begann und von der beständigen ununterbrochenen Treue und Liebe sang, die sie in gar vielen schwierigen und gefährlichen Lagen ihrem Geliebten, dem schmucken Sir Tristram, auf Kosten ihres weniger begünstigten Eheherrn, des unglücklichen Königs Marke von Cornwall, bewahrte, dessen Neffe, wie alle Welt weiß, Sir Tristram war.

Dies war nun gerade nicht das Lied von Liebe und Treue, das de Lacy sich gewählt hätte; aber ein Gefühl, der Scham ähnlich, verhinderte ihn, es zu unterbrechen, weil er den unangenehmen Empfindungen, die der Inhalt dieses Gesanges erweckt hatte, nicht weiter nachgeben wollte. Bald schlief er ein oder tat wenigstens so, und der Minstrel, der noch eine Zeitlang den monotonen Gesang fortsetzte, begann endlich selbst den Einfluß des Schlafes zu fühlen; seine Worte und die Töne, die er noch beim Saitenspiel anschlug, stockten, brachen ab und schienen nur noch schwer den Fingern und Lippen zu entfallen. Endlich hörten sie ganz auf, der Minstrel schien in tiefen Schlummer versunken zu sein, sein Haupt neigte sich auf die Brust, der eine Arm sank zur Seite, während der andere auf seiner Leier ruhte. Sein Schlaf währte jedoch nicht lange, und als er erwachte, und sich beim Schein der Nachtlampe im Zelte umsah, fühlte er eine schwere Hand, die seine Schulter berührte, um gleichsam seine Aufmerksamkeit zu erregen. Zu gleicher Zeit flüsterte die Stimme des wachsamen Philipp Guarine ihm ins Ohr: »Dein Geschäft für die Nacht ist beendigt – begieb Dich in Dein Quartier, und zwar so still wie möglich.«

Ohne etwas zu erwidern, hüllte sich der Minstrel in seinen Mantel und ging, wenn auch nicht ohne Groll, so ohne alle Umstände weggeschickt zu werden.

Fünftes Kapitel

Der Gegenstand, der unsern Geist zuletzt beschäftigt hat, schwebt uns auch oft noch in der Nacht während des Schlummers vor, wenn die Einbildungskraft, ungeregelt durch die Sinne, ihr eigenes phantastisches Gewebe aus Ideen webt, die zufällig in buntem Wechsel in dem Schläfer erwachen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß es de Lacy in seinen wirren Träumen so vorkam, als wäre er mit dem unglücklichen Marke von Cornwall einunddieselbe Person, und daß er aus solchen unangenehmen Bildern mit weniger heiterer Stirn erwachte, als er sich des Abends niedergelegt hatte. Er war still und schien in Gedanken verloren, als sein Squire bei seinem Lever ihn mit der Ehrfurcht bediente, die man jetzt nur den Fürsten zollt, »Guarine,« sagte er endlich, »kennt Ihr den stämmigen Flamländer, der sich so gut bei der Belagerung von Garde Douloureuse betragen haben soll, einen großen, dicken, kräftigen Mann?«

»Allerdings, Mylord,« antwortete der Squire, »ich kenne Wilkin Flammock. – Ich sprach ihn noch gestern.«

»Wirklich!« erwiderte der Connetable. – »Hier sagst Du? – Hier in der Stadt Gloucester?«

»Gewiß, mein edler Herr. Er ist hierhergekommen teils seines Handels wegen, teils, denke ich, seine Tochter Rose zu sehen, die sich im Gefolge der gnädigen Lady Eveline befindet.«

»Er ist ein tüchtiger Soldat, nicht wahr?«

»Wie die meisten seiner Landsleute, – ein Wall für eine Burg, aber ein Sandhaufen im Felde,« sagte der normännische Knappe.

»Treu auch, nicht wahr?« fuhr der Connetable fort.

»Treu, wie die meisten Flamländer, solange Ihr ihre Treue bezahlen könnt,« erwiderte Guarine, sich ein wenig über den ungewöhnlichen Anteil wundernd, den sein Gebieter an einen seiner Meinung nach so niedrig stehenden Menschen nahm, aber nach einigen weiteren Fragen gebot der Connetable, sogleich den Flamländer herbeizurufen.

Jetzt kamen andere Geschäfte des Morgens an die Reihe (denn seine schnelle Abreise verlangte noch manche schleunige Anordnungen), und als der Connetable noch mehreren Offizieren seiner Truppen Audienz gab, erschien schon die gewaltige Gestalt Wilkin Flammocks am Eingange des Zeltes. Er trug eine Jacke von weißem Zeuge, und seine einzige Waffe war ein Messer an der Seite.

»Verlaßt das Zelt, meine Herren,« sagte de Lacy, »aber wartet in der Nähe auf mich; hier kommt jemand, mit dem ich allein zu sprechen habe.«

Die Offiziere entfernten sich, und der Connetable war mit dem Flamländer allein. »Ihr seid Wilkin Flammock, der so wacker gegen die Walliser zu Garde Douloureuse focht?«

»Ich tat mein Bestes, Mylord!« antwortete Wilkin. – »Ich war durch meinen Kaufbrief dazu verpflichtet, und ich hoffe, stets wie ein Mann von Treue und Glauben zu handeln.«

»Mich dünkt,« sagte der Connetable, »daß Ihr mit einem so eisenfesten Körper und, wie ich höre, einem so kühnen Geiste den Blick wohl etwas höher, als auf dieses Euer Weberhandwerk, richten könnt.«

»Keiner hat was dawider, seine Lage zu verbessern, Mylord!« sagte Wilkin. »Doch ich bin soweit entfernt, über die meinige zu klagen, daß ich sehr gern zufrieden sein würde, wenn sie auch niemals besser werden sollte, nur freilich müßte man mir auch die Versicherung geben, daß sie nie schlechter werden solle.«

»Und dennoch, Flammock,« sagte der Connetable, »habe ich größere Dinge für Euch im Sinn, als Eure Bescheidenheit Euch ahnen läßt. – Ich gedenke Dich in einem Amte hier zu lassen, zu dem ich einen sehr zuverlässigen Mann brauche.«

»Wenn es Tuchballen betrifft, Mylord, so soll keiner die Sache besser verrichten,« sagte der Flamländer.

»Fort damit, Du denkst zu niedrig von Dir,« sagte der Connetable. – »Was meinst Du, wenn ich Dich zum Ritter schlage, wie Deine Tapferkeit wohl verdient hat, und Dich als Kastellan von Garde Douloureuse zurücklasse?«

»Was die Ritterwürde anbetrifft, Mylord, da muß ich um Vergebung bitten, sie würde mir passen wie der Sau ein goldener Helm. Aber die Bewachung eines Schlosses oder einer Hütte, – ich glaube, das würde ich so gut verrichten wie ein anderer.«

»Ich fürchte doch, Dein Rang muß etwas erhöht werden,« sagte der Connetable, indem er die unkriegerische Kleidung der Gestalt vor sich betrachtete, »in Deiner jetzigen niedrigen Stellung kannst Du nicht gut zum Beschützer und Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang gemacht werden.«

»Ich der Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang!« sagte Flammock, und seine großen hellen Augen wurden bei diesen Worten noch größer und heller und drehten sich rascher als sonst.

»Eben Du,« sagte der Connetable. »Lady Eveline will im Schlosse Douloureuse Aufenthalt nehmen. Ich habe es mir überlegt, wem ich die Obhut über sie und die Feste anvertrauen soll. Wollte ich irgend einen berühmten Ritter erwählen, wie ich deren mehrere in meinem Hofstaat habe, so würde er aus Lehnspflichten Taten gegen die Walliser verrichten wollen und sich in Unruhen einlassen, die die Sicherheit des Schlosses gefährden könnten; oder er würde die Feste verlassen, um sich an Ritterfesten, Turnieren, Jagdpartien zu beteiligen; oder er würde vielleicht gar dergleichen lockere Schauspiele vor den Wällen, ja Wohl gar in dem Schloßhofe veranstalten, und in dem einsamen stillen Aufenthalt, welcher sich für Evelinens Lage schickt, die Zügellosigkeit der ausgelassensten Gelage einführen. – Dir kann ich vertrauen – Du wirst fechten, wenn es erforderlich ist, aber nicht die Gefahr um ihrer selbst willen herausfordern. Deine Geburt, Deine Gewohnheiten werden Dich diese Lustbarkeiten vermeiden lassen, die, wie verführerisch sie auch für andere sein mögen, Deinem Geschmack durchaus nicht entsprechen. – Du wirst alles so pünktlich verwalten, wie ich Sorge dafür tragen werde, daß es Dir an nichts fehle. Deine Verwandtschaft mit ihrem Liebling Rose, wird Deine Obhut der Lady Eveline angenehmer machen, als wäre dazu einer ihres Ranges bestimmt. – Und, um mit Dir eine Sprache zu sprechen, die Euer Volksschlag rasch begreift. Dein Lohn, Flamländer, wenn Du dieses wichtige Amt ordentlich verwaltest, soll Deine schmeichelhaftesten Hoffnungen übertreffen.«

Der Flamländer hatte den ersten Teil dieser Rede mit einem Ausdruck des Erstaunens angehört, das allmählich einem tiefen, besorgten Nachdenken Platz machte. Er starrte fest auf den Boden hin, und erst als der Connetable wohl eine Minute lang schon geschwiegen, riß er plötzlich die Augen auf und sagte: »Es ist unnütz, mich rundherum nach Entschuldigungen umzusehen. Das kann nicht Euer Ernst sein, Mylord – und wenn auch, so wird doch nichts daraus.«

»Wie? und weshalb?« fragte der Connetable mit unwilligem Erstaunen.

»Ein anderer mag nach Eurem Anerbieten gierig greifen und sich nicht weiter drum grämen, ob Ihr den gehörigen Gegenwert dafür erhaltet; aber ich bin ein ganz gerader Mann und will nicht Zahlung nehmen für Dienste, die ich nicht leisten kann.«

»Aber ich frage noch einmal, warum kannst Du nicht, oder vielmehr warum willst Du nicht dieses Amt übernehmen?« sagte der Connetable. »Wahrlich, wenn ich dir ein solches Vertrauen schenken will, so solltest Du doch an Deinem Teile mir auch entgegenkommen.«

»Ganz wahr, Mylord,« sagte der Flamländer, »aber mich dünkt, der edle Lord de Lacy sollte es fühlen, und der kluge Lord de Lacy sollte es vorhersehen, daß ein flamländischer Weber nicht der beste Hüter für eine verlobte Braut ist. – Denkt sie Euch nur einmal in jenem einsiedlerischen Kastell eingesperrt, unter so geringem Schutze, und überlegt wohl, wie lange es in diesem Lande der Liebe und der Abenteuer eine Einsiedelei bleiben würde. Da werden wir Minstrels haben, die zu Dutzenden unter unsern Fenstern Balladen singen und die Harfe klimpern werden, daß unsere Mauern in ihren Grundfesten zittern werden, wie die Geistlichen sagen, daß es zu Jericho geschah. – Da werden wir recht viel irrende Ritter um uns haben, wie zu Karls des Großen oder König Arthus Zeiten. – Gott sei mir gnädig! Eine feine, edle Einsiedlerin, in einen Turm gesperrt und von einem flamländischen Weber bewacht, so wird es heißen, und die halbe Ritterschaft von England wird sich um uns her versammeln, Lanzen zu brechen, Gelübde zu tun, Liebesfarben zur Schau zu tragen und was weiß ich der Narrheiten mehr zu treiben. – Denkt Ihr, daß solche galanten Herren, mit einem Blute, das durch ihre Adern wie Quecksilber fliegt, sich daran kehren würden, wenn ich ihnen geböte, uns zu verlassen?«

»Riegel vor! Zugbrücke auf! Fallgitter nieder!« sagte der Connetable mit einem gezwungenen Lächeln.

»Und glaubt Ew. Herrlichkeit, daß solche Galane sich um dergleichen Hindernisse kümmern? Das ist ja erst die rechte Würze der Abenteuer, die sie suchen. – Der Ritter des Schwanes wird durch den Graben schwimmen – der des Adlers über die Mauern fliegen – der des Donnerkeils die Tore sprengen.«

»Laß Armbrust und Steinschleuder spielen!« sagte de Lacy.

»Und laß Dich in aller Form belagern,« sagte der Flamländer, »wie das Kastell von Tintadges auf den alten Tapeten, alles aus Liebe zu einer schönen Dame! – Und dann die lustigen Frauen und Fräulein, die von Schloß zu Schloß auf Abenteuer ausziehen, von Turnier zu Turnier, mit bloßem Busen, wallenden Federn, Dolche an der Seite, Wurfspieße in den Händen, schnatternd wie die Elstern, flatternd wie die Dohlen, und zuweilen girrend wie die Tauben, – wie soll ich diese von Lady Evelinen fernhalten?«

»Indem Du die Tore gut verschlossen hältst, sage ich Dir,« antwortete der Connetable, noch immer in dem Tone einer erzwungenen Scherzhaftigkeit, »dagegen dient schon ein hölzerner Riegel.«

»So? aber wenn der flamländische Weber sagt: Zu! und die normannische Edle sagt: Auf! bedenkt einmal, wer sich da am sichersten Gehorsam verschaffen wird. Mit einem Wort, Mylord, – was eine solche Hüterschaft und dergleichen anbetrifft, da sage ich: Hände weg! Ich wollte es nicht unternehmen, der keuschen Susanne Hüter zu sein, lebte sie auch in einem bezauberten Schlosse, dem sich kein lebendes Wesen nähern könnte.«

»Du sprichst und denkst wie ein gemeiner Wüstling, der über weibliche Beständigkeit lacht, weil er nur mit den Unwürdigsten des Geschlechts gelebt hat,« sagte der Connetable. »Aber Du solltest doch das Gegenteil kennen, da Du, wie ich weiß, eine so tugendhafte Tochter hast.«

»Deren Mutter es nicht weniger war,« unterbrach Wilkin den Connetable etwas aufgeregter als sonst. »Aber das Gesetz, Mylord, verlieh mir die gebührende Gewalt, mein Weib zu beherrschen und zu behüten, wie auch Natur und Gesetz mir Macht und Pflicht gegen meine Tochter gaben. Was ich beherrschen kann, dafür kann ich verantwortlich sein; aber ob ich ebensogut meine Pflicht erfüllen kann, wo ich bloß ein Stellvertreter sein soll, das ist eine andere Frage. – Bleibt zu Hause, mein guter Lord,« fuhr der ehrliche Flamländer fort, da er merkte, daß seine Worte einigen Eindruck auf de Lacy machten, »laßt eines Narren Rat einmal dazu dienen, eines weisen Mannes Vorsatz zu ändern, den er, ich sage es dreist, nicht in einer weisen Stunde faßte. Bleibt in Eurem eigenen Lande – regiert Eure eigenen Vasallen – und schützt Eure Braut, Ihr allein könnt von ihr herzliche Liebe und bereitwilligen Gehorsam fordern; und ich bin gewiß, ohne daß ich mir anmaße, zu erraten, was sie, von Euch getrennt, tun wird, unter Euren eigenen Augen wird sie die Pflichten einer treuen, liebenden Gattin erfüllen.« »Und das heilige Grab?« fragte seufzend der Connetable, dessen Herz die Weisheit des Rates anerkennen mußte, den zu befolgen die Umstände ihm nicht gestatteten.

»Laßt die, die das heilige Grab verloren, es wiederzugewinnen suchen, Mylord,« erwiderte Flammock. »Wenn jene Lateiner und Griechen, wie sie sie nennen, nicht bessere Leute sind, als ich gehört habe, so hat es nicht viel zu sagen, ob sie oder die Heiden das Land besitzen, das Europa schon soviel Blut und Schätze gekostet hat.«

»Bei meiner Treu,« sagte der Connetable, »was Du sagst, hat Sinn. Doch warne ich Dich, es zu wiederholen, oder sie halten Dich für einen Ketzer oder Juden. Was mich anbetrifft, Wort und Schwur sind ohne Widerruf verpfändet; ich habe nur noch zu überlegen, wen ich am besten zu der wichtigen Stelle ernennen soll, die Du als vorsichtiger Mann, nicht ohne einen Schatten von Recht, ausschlägst.«

»Es gibt keinen, dem Ew. Herrlichkeit so natürlich und so geziemend diese Stelle übertragen können,« sagte Flammock, »als dem nahen Verwandten, der so ganz Euer Vertrauen besitzt. Aber viel besser wäre es, Ihr brauchtet in dieser Sache überhaupt niemand.« »Wenn Ihr,« sagte der Connetable, »unter meinem nächsten Verwandten Randal de Lacy versteht, so mache ich mir nichts daraus, es Euch zu sagen, daß ich ihn für gänzlich unwürdig halte, ein ehrenvolles Vertrauen zu verdienen,«

»Nein, ich meinte einen andern,« sagte Flammock, »der Euch noch näher steht durch die Bande des Bluts und, wenn ich mich nicht sehr irre, noch viel näher durch Zuneigung – Ich hatte Euren Neffen, Damian de Lacy im Sinne.«

Der Connetable schrak zusammen, als hätte ihn eine Wespe gestochen; aber er antwortete zugleich mit gezwungener Fassung: »Damian sollte an meiner Stelle nach Palästina gehen – es scheint nun so, als müsse ich an der seinigen gehen. Denn seit dieser letzten Krankheit haben die Aerzte gänzlich ihre Meinung geändert und halten ein warmes Klima jetzt für so gefährlich, als sie es vorher für zuträglich hielten. Aber unsere gelehrten Aerzte müssen, wie unsere gelehrten Priester, immer recht haben, mögen auch ihre Meinungen sich ändern, wie sie wollen; wir armen Laien haben aber immer nur unrecht. Ich kann, das ist wahr, auf Damian mich mit der größten Zuversicht verlassen; aber er ist jung, Flammock – sehr jung – und gerade darin gleicht er nur allzusehr ihr, die ich sonst wohl seiner Fürsorge anvertrauen möchte.«

»Dann noch einmal, Mylord! bleibt zu Hause, und seid selbst der Beschützer dessen, was Euch naturgemäß so sehr teuer ist.« –

»Noch einmal wiederhole ich, ich kann nicht,« antwortete der Connetable. »Der Schritt, zu dem ich mich verpflichtet habe, mag vielleicht ein großer Irrtum sein – ich weiß nur, daß er unwiderruflich ist.«

»So vertraut denn Eurem Neffen, Mylord, – er ist redlich, und treu, und es ist immer noch ein besserer Verlaß auf junge Löwen als auf alte Wölfe. Er kann vielleicht irren, aber nicht aus vorbedachter Verräterei.«

»Du hast recht, Flammock,« sagte der Connetable, »vielleicht hätte ich Dich eher um Rat fragen sollen, derb wie er ist. Aber laß das, was zwischen uns vorgefallen, ein Geheimnis unter uns sein und besinne Dich auf etwas, womit ich Dir eine Gunst erweisen kann.«

»Die Rechnung können wir bald aufsetzen, Mylord,« erwiderte Flammock, »denn ich hatte die Absicht, Ew. Herrlichkeit Fürsprache mir zu erbitten, um in jenem wilden Winkel, wohin wir Flamländer uns gezogen haben, eine gewisse Ausdehnung unserer Privilegien zu erhalten.« »Die soll Dir werden, wenn Du nichts Uebertriebenes forderst,« sagte der Connetable. Und der ehrliche Flamländer, unter dessen guten Eigenschaften ein ängstliches Zartgefühl nicht die erste war, beeilte sich bis auf das kleinste, alle Punkte seines Gesuchs auseinanderzusetzen, das schon früher vergebens vorgelegt worden war und nun durch diese Unterredung Erfüllung fand.

Begierig, den einmal gefaßten Beschluß auszuführen, eilte der Connetable nun zur Wohnung Damians und verkündete seinem Neffen, zu dessen nicht geringem Erstaunen seinen veränderten Vorsatz. Er führte seine eigene beschleunigte Reise, Damians letzte und noch dauernde Krankheit, vereint mit dem für Eveline nötigen Schutz, als die Gründe an, weswegen sein Neffe notwendig zurückbleiben müsse, um während seiner Abwesenheit sein Stellvertreter zu sein, die Rechte des Hauses de Lacy und die Ehre der Familie zu beschützen – vor allem aber der Hüter der jungen, schönen Braut zu sein, die sein Oheim und Schutzherr eine Zeitlang zu verlassen gezwungen sei. Als ihm sein Oheim diese Veränderung seines Vorsatzes ankündigte, hütete Damian noch das Bett. Vielleicht war ihm dies nur angenehm, weil er in dieser Stellung leichter vor den Augen seines Oheims die mannigfaltigen Bewegungen verbergen konnte, die er nicht zu unterdrücken vermochte. Der Connetable dagegen, mit der Hast eines Mannes, der nur das eilig zu enden wünscht, was er über einen unangenehmen Gegenstand zu sagen hat, erörterte in großer Hast die Vorkehrungen, welche er schon getroffen hatte, damit sein Neffe die Mittel in Händen hätte, mit gehörigem Nachdruck sein wichtiges Geschäft auszuführen.

Der Jüngling horchte wie auf eine Stimme im Traume, die zu unterbrechen ihm die Kraft fehlte, obgleich in ihm etwas war, das ihm zuflüsterte, daß Klugheit und Rechtlichkeit es erheischten, gegen den veränderten Entschluß seines Oheims Einwendungen zu machen. Sobald der Connetable schwieg, versuchte er deshalb auch wirklich etwas vorzubringen; aber er redete zu schwach, um einen zwar schnell, aber fest gefaßten Entschluß erschüttern zu können, zumal er einen Mann vor sich hatte, der nicht gewöhnt war, zu sprechen, ehe sein Vorsatz feststand, oder ihn zu ändern, wenn er ausgesprochen war.

Auch wurden die Gegenvorstellungen Damians – wenn sie so genannt werden konnten – in so widersprechenden Ausdrücken vorgebracht, daß sie kaum verständlich waren. In dem einen Augenblick äußerte er seinen Schmerz, sich die Lorbeeren entrissen zu sehen, die er in Palästina zu sammeln gehofft hatte, und beschwor seinen Oheim, seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern ihm zu gestatten, seinen Fahnen dahin zu folgen; in der nächsten Wendung der Rede, erklärte er seine Bereitwilligkeit, Lady Eveline bis auf den letzten Tropfen Blutes zu verteidigen. De Lacy sah nichts Unzusammenhängendes in diesen Gefühlen, ob sie gleich für den Augenblick einander widersprachen. Es war natürlich, dachte er, daß ein junger Ritter ein Verlangen trug, Ehre zu gewinnen – aber auch natürlich, daß er gern ein so ehrenvolles und wichtiges Amt übernehmen wollte, mit welchem er ihn bekleiden wollte; und daher dachte er, es wäre nicht sehr zu verwundern, daß bei der willigen Uebernahme der neuen Pflicht der junge Mann zugleich einen Schmerz darüber fühle, die Aussicht auf ehrenvolle Abenteuer zu verlieren. Er lächelte daher nur zu den abgebrochenen Einwendungen seines Neffen, und seine Anordnungen noch einmal bekräftigend, verließ er den jungen Mann, damit er mit Muße über den Wechsel seiner Bestimmung nachdenken könnte. Er selbst begab sich zum zweitenmale in die Benediktinerabtei, um den gefaßten Entschluß der Aebtissin und seiner erwählten Braut mitzuteilen.

Der Mißmut der ersteren Dame wurde durch diese Mitteilung nicht verringert, an der sie überhaupt sehr wenig Anteil zu nehmen schien. Sie betonte fortwährend ihre religiösen Pflichten und ihre geringe Kenntnis in weltlichen Angelegenheiten; im übrigen, meinte sie, wären bisher wohl immer noch die Beschützer der jungen Schönen ihres Geschlechts aus den Kreisen der reiferen Männer gewählt worden.

»Eure eigene Unfreundlichkeit, Lady,« antwortete der Connetable, »hat mir keine bessere Wahl gelassen. Da Lady Evelinens nächste Freunde ihr den Aufenthalt unter ihrem Dache versagen, weil sie mich eines Anrechts auf ihren Besitz würdigt, so würde es von meiner Seite noch mehr als undankbar sein, wenn ich Ihr nicht den Schutz meines nächsten männlichen Erben zusicherte. Damian ist jung, aber er ist zuverlässig und achtungswert, und die ganze Ritterschaft Englands bietet mir keine bessere Wahl dar.«

Eveline schien mit Staunen, ja fast mit Schrecken den so plötzlich ausgesprochenen Entschluß ihres Bräutigams zu vernehmen, und es traf sich vielleicht recht glücklich, daß die Bemerkung der Aebtissin eine Antwort des Connetables notwendig machte und ihn abhielt, zu bemerken, wie ihre Farbe mehr wie einmal von der Blässe zum höchsten Rot abwechselte.

Rose, die von der Zusammenkunft nicht ausgeschlossen war, zog sich dicht zu ihrer Gebieterin, und indem sie sich stellte, als lege sie ihr den Schleier zurecht, drückte sie insgeheim recht innig ihre Hand und flößte ihr dadurch Mut ein, sich zu einer Antwort zu sammeln. Diese wurde kurz und mit einer Festigkeit ausgesprochen, die bewies, daß die Ungewißheit des Augenblicks verschwunden oder unterdrückt worden war. Im Falle einer Gefahr, sagte sie, würde sie nicht verfehlen, Damian de Lacy aufzufordern, zu ihrem Beistand zu eilen, wie er es schon früher getan; aber sie fürchte jetzt in ihrem eigenen sichern Schlosse von Garde Douloureuse keine Gefahr und wäre entschlossen, dort allein mit ihrem eigenen Haushalt zu verweilen. Sie wäre überdies entschlossen, fuhr sie fort, ihrer ganz eigentümlichen Lage wegen, dort in der strengsten Abgeschiedenheit zu leben, die, wie sie erwarte, auch selbst von dem edlen jungen Ritter, den sie zum Beschützer erhalten, nicht gestört werden würde; es sei denn, daß irgend eine Besorgnis ihrer Sicherheit wegen seinen Besuch unbedingt notwendig mache.

Die Aebtissin stimmte, wiewohl sehr kalt, diesem Vorschlag, bei, den ihre Begriffe von Anstand billigten; und somit wurden denn schnelle Vorbereitungen zu Lady Evelinens Rückkehr in die Burg ihres Vaters getroffen. Zwei Zusammenkünfte, welche, noch ehe sie das Kloster verließ, stattfanden, waren ihrer Natur nach höchst peinlich. In der ersten wurde ihr Damian feierlich von seinem Oheim vorgestellt als der Bevollmächtigte, dem er die Aufsicht über sein Eigentum und, was ihm noch teurer sei, wie er versicherte, die Obhut über ihre Person anvertraut hatte.

Kaum gestattete sich Eveline einen einzigen Blick; aber auch dieser einzige Blick erkannte schon all die Verwüstungen, welche Krankheit, mit Gram vereint, an der männlichen Gestalt und auf dem schönen Antlitz des Jünglings vor ihr angerichtet hatte. Sie empfing ihn ebenso verlegen, wie er sie verlegen begrüßte, und erwiderte, als er ihr stotternd seine Dienste angeboten, sie hoffe, während der Abwesenheit seines Oheims nur für seinen guten Willen ihm Dank schuldig zu werden.

Ihr Abschied vom Connetable war die höchste Prüfung, der sie sich unterziehen mußte. Sie schieden nicht ohne Rührung, obwohl sie ihre bescheidene Fassung und de Lacy seinen ruhigen Ernst behauptete. Doch schwankte seine Stimme, als er zu äußern begann: Es sei ungerecht, daß sie auf immer durch eine Verpflichtung gebunden sein solle, welcher sie mit so ungemeiner Güte sich unterzogen habe. Drei Jahre wären die abgemachte Zeit, da der Erzbischof Balduin eingewilligt hätte, bis auf diese Dauer die Zeit seiner Abwesenheit abzukürzen. »Erscheine ich nicht, wenn diese Jahre verstrichen sind,« sagte er, »so mag Lady Eveline schließen, daß de Lacy das Grab umfängt, und sich einen glücklicheren Mann zu ihrem Gefährten aussuchen. Einen dankbareren wird sie nirgends finden, obgleich viele ihrer würdiger sein mögen als er.«

Hiermit trennten sie sich. – Der Connetable schiffte sich sehr bald darauf ein, durchschnitt das schmale Meer bis zu den Küsten von Flandern, wo er seine Macht mit dem Grafen dieser reichen und kriegerischen Landschaft vereinigte, um dann mit ihm zusammen auf dem besten Wege, dem gemeinsamen Ziel zuzusteuern. Das breite Panier mit dem Wappen der de Lacys wallte auf dem Vorderteil des Schiffes, das ein günstiger Wind vorwärts trieb, und wenn man den Ruhm des Anführers und die Trefflichkeit seiner Krieger betrachtete, so war wohl noch nie eine tapfrere Schar zu einem Rachezuge wider die Sarazenen gen Palästina gesegelt.

Nach einem kalten Abschiede von der Aebtissin trat nun auch Eveline die Rückreise nach dem väterlichen Schlosse an, wo ihr Haushalt so eingerichtet werden sollte, wie es der Connetable angegeben und sie gebilligt hatte.

Dieselben Maßregeln, wie auf ihrer Reise nach Gloucester, waren auch jetzt zu ihrer Bequemlichkeit an jedem Platz, wo man Halt machte, getroffen worden, und eben wie damals, war der Mann unsichtbar, der das alles für sie befolgte, obwohl es ihr nicht schwer sein konnte, seinen Namen zu erraten. Für alle Bedürfnisse und Bequemlichkeiten, wie im größten Maße für ihre Sicherheit, war allenthalben auf dem ganzen Wege gesorgt; aber es waltete dabei nicht mehr die zarte, geschmackvolle Galanterie ob, welche verriet, daß diese Aufmerksamkeiten einer jungen schönen Dame galten. Nicht mehr wurde die reinste Quelle, der schattigste Hain zum Platz ihres Mittagsmahles erwählt; sondern das Haus irgend eines Landwirts oder ein kleines Kloster gewährte die erforderliche Gastfreundschaft. Alles war mit der strengsten Rücksicht auf Rang und Stand geordnet, – es schien, als ob eine Nonne irgend eines strengen Ordens, nicht ein junges Mädchen von hoher Geburt und großem Reichtum durch das Land reiste, und obwohl Eveline an dem Zartgefühl Wohlgefallen fand, mit dem auf ihre schutzlose, ganz eigentümliche Lage Rücksicht genommen wurde, so kam es ihr doch bisweilen unnötig vor, daß sie durch so manche indiskreten Andeutungen an das Sonderbare ihrer Lage erinnert wurde. Auch schien es ihr sonderbar, daß Damian, dessen Obhut sie so feierlich übergeben wurde, auch nicht einmal auf dem Wege ihr seine Aufwartung machte. Zwar flüsterte eine Stimme ihr zu, es sei ungeziemend, wohl gar gefährlich, öfters mit ihm zusammen zu sein; jedenfalls aber hätte es ihm die Pflicht als Ritter und Edelmann gebieten sollen, sich hin und wieder vor der unter seinen Schutz gestellten Jungfrau sehen zu lassen, wäre es auch nur geschehen, um sie zu befragen, ob sie mit den getroffenen Einrichtungen zufrieden sei oder ob sie einen besonderen Wunsch hätte, der noch zu erfüllen wäre. Allein der Verkehr zwischen beiden blieb darauf beschränkt, daß Amelot, Damian de Lacys junger Page, des Morgens und Abends erschien, Evelinens Befehle betreffs der ferneren Reise und der ihr gefälligen Ruhestunden zu vernehmen.

Bei dieser Förmlichkeit wurde die Einsamkeit, in der sich Evelinens Rückreise vollzog, noch unausstehlicher, und hätte sie nicht Roses Gesellschaft gehabt, so wäre sie sich fast wie eine Gefangene vorgekommen. Sie wagte selbst gegen ihre Begleiterin einige Bemerkungen über das sonderbare Benehmen de Lacys, der doch das Recht habe, sich ihr zu nähern, und sich doch davor so sehr zu fürchten schien, als ob sie ein Basilisk wäre.

Rose ließ die erste Bemerkung dieser Art vorübergehen, als ob sie sie nicht gehört hätte; aber als ihre Gebieterin eine zweite Bemerkung der gleichen Art machte, antwortete sie mit der gewohnten Offenheit und Freimütigkeit ihres Charakters, doch vielleicht mit weniger Klugheit wie sonst: »Damian de Lacy urteilt sehr richtig, edle Lady. Wem ein königlicher Schatz zur sichern Bewahrung anvertraut ist, der darf sich's nicht erlauben, zu oft die Blicke daran zu werfen.«

Eveline errötete, wickelte sich fester in ihren Schleier und nannte während der ganzen Reise den Namen Damian de Lacys nicht wieder.

Als am Abend des zweiten Tages die grauen Türme von Garde Douloureuse ihr Auge begrüßten und sie wiederum ihres Vaters Banner vom höchsten Wachturm zu Ehren ihrer Ankunft wehen sah, mischte sich tiefer Schmerz in ihre Empfindungen; doch blickte sie im ganzen auf die altertümliche Heimat als auf einen Zufluchtsort hin, wo sie über ihre neue Lage als Braut in der alten Umgebung nachdenken konnte, die ihr schon als Kind und Tochter lieb und wert gewesen war. Sie trieb ihren Zelter vorwärts, das altertümliche Portal so schnell wie möglich zu erreichen, und verneigte sich flüchtig gegen die wohlbekannten Gesichter, die sich auf allen Seiten zeigten; aber mit keinem sprach sie, bis sie vor der Kapelle vom Pferde gestiegen und zu dem Heiligtum geeilt war, worin das wundertätige Bild sich befand. Hingesunken auf den Boden, erflehte sie sich hier der heiligen Jungfrau Führung und Beschirmung in den verwickelten Verhältnissen, in die sie sich selbst gebracht hatte, um das Gelübde zu erfüllen, das einst sie in der Angst ihres Herzens vor dem heiligen Schrein tat.

Sechstes Kapitel

Der Haushalt Evelinens war zwar ihrem jetzigen und zukünftigen Range entsprechend eingerichtet, hatte aber doch auch etwas Einsiedlerisches, denn das Schloß sollte nicht nur ihre Residenz, sondern auch der unberührte Zufluchtsort sein, den ihre Lage erheischte, weil sie nicht mehr zu der Klasse der Mädchen gezählt werden konnte, deren Hand noch frei war, und doch auch nicht zu den Frauen gehörte, die unter dem unmittelbaren Schutze des ehelichen Namens stehen. Ihre nächsten weiblichen Dienerinnen, mit welchen der Leser bereits bekannt ist, bildeten fast ihre ganze Gesellschaft. Die Garnison des Schlosses, außer dem Hausgesinde, bestand aus Veteranen geprüfter Treue, den Gefährten Berengers und de Lacy, auf manchem blutigen Gefilde, denen die Pflicht der Wachsamkeit zur zweiten Natur geworden war, die dabei aber doch, durch Alter und Manneszucht gemäßigt, sich nicht leicht zu einem unbesonnenen Abenteuer oder einem vom Zaun gebrochenen Streit hinreißen ließen. Diese Leute hielten beständig und sorgsam Wache, befehligt durch den Haushofmeister, der obendrein unter der Aufsicht des Pater Aldrovand stand, da dieser neben seinen geistlichen Verrichtungen gern zuweilen noch sich an seinen alten kriegerischen Beruf erinnerte.

Während diese Garnison gegen jeden plötzlichen Angriff von seiten der Walliser Sicherheit gewährte, lag eine starke Mannschaft fünf englische Meilen von Garde Douloureuse in Bereitschaft, beim geringsten Lärm vorzurücken, um den Platz gegen jeden Ueberfall der Feinde zu decken, falls diese, ungeschreckt durch Gwenwyns Schicksal, die Dreistigkeit haben sollten, eine förmliche Belagerung zu beginnen. Zu diesen Truppen, die unter Damians Oberbefehl beständig schlagfertig gehalten wurden, konnte im Notfall die ganze militärische Macht der Grenzen stoßen, die zahlreiche Menge der Flamländer und andere Ansiedler, denen unter der Bedingung, im Kriegsfalle Dienste zu tun, Grund und Boden überlassen worden war.

Während die Festung so vor feindlicher Gewalt sicher war, floß das Leben ihrer Bewohner so gleichförmig und einfach dahin, daß man es einem Mädchen von Jugend und Schönheit nicht verübeln konnte, wenn es selbst auf einige Gefahr hin etwas Veränderung wünschte. In die Arbeiten der Nadel brachte höchstens ein Spaziergang entweder um die Wälle, wo Eveline, Arm in Arm mit Rose, von jeder Schildwache einen militärischen Gruß erhielt, oder im Schloßhofe, wo die Hüte und Mützen der Diener ihr dieselben Ehren erwiesen, etwas Abwechslung. Wünschte sie sich noch weiter ins Freie außerhalb des Tores zu begeben, so war es nicht damit abgetan, Tore zu öffnen und Brücken hinabzulassen; es mußte sogleich eine Bedeckung unter Waffen treten, die zu Fuß ober zu Pferde, wie es nötig war, für die Sicherheit Evelinens zu sorgen hatte. Ohne diese Bedeckung konnte sie nicht einmal zu den Mühlen gehen, wo der ehrliche Wilkin Flammock, seine kriegerischen Taten vergessend, sich mit den Arbeiten seines Gewerbes beschäftigte. Beabsichtigte man gar noch Ergötzungen in weiterer Entfernung, wollte die Lady von Garde Douloureuse der Jagd oder Falkenbeize einige Stunden widmen, so wurde ihre Sicherheit nicht einer so schwachen Bedeckung anvertraut, wie die Burg sie stellen konnte. Da war es nötig, daß Raoul am Abend vorher durch einen besonderen Boten Damian ihren Vorsatz bekannt machte, damit er Zeit hatte, vor Tagesanbruch die Gegend, in der sie sich dieses Vergnügen machen wollte, durch einige Leute der leichten Reiterei absuchen zu lassen; und so lange sie draußen blieb, wurden an allen verdächtigen Punkten Posten aufgestellt. Zwar versuchte sie in der Tat einmal oder zweimal, einen Ausflug zu wagen, ohne dies erst bekannt zu geben; aber alle ihre Pläne schien Damian eben so schnell, wie sie entstanden, zu erfahren, und kaum war sie draußen, so sah man Abteilungen von Bogenschützen und Reitern aus seinem Lager die Täler durchziehen und die Bergpässe besetzen, und Damians eigener Federbusch ragte gewöhnlich unter den entfernten Soldaten hervor.

Die Förmlichkeit all dieser Maßregeln vergällte Evelinen so sehr das Jagdvergnügen, daß sie selten zu einem Zeitvertreib ihre Zuflucht nahm, die mit so großen Umständen verbunden war und so viele Menschen in Bewegung setzte.

Wenn der Tag, so gut es gehen wollte, hingebracht war, pflegte Pater Aldrovand des Abends aus irgend einer heiligen Legende oder aus den Homilien eines verewigten Heiligen solche Stellen vorzulesen, wie er sie für diese seine kleine Gemeinde geeignet fand. Zuweilen las er auch und erklärte ein Kapitel aus der heiligen Schrift; aber dann war des guten Mannes Aufmerksamkeit so sonderbar auf den kriegerischen Teil der jüdischen Geschichte gerichtet, daß er nicht imstande war, sich von dem Buche der Richter oder der Könige und von den Siegen des Judas Maccabäus zu trennen, wiewohl seine Weise, die Siege der Kinder Israels zu schildern, ihm selbst mehr Vergnügen machte, als sie seine Zuhörerin erbaute.

Zuweilen, doch selten, erhielt Rose Erlaubnis, einen wandernden Minstrel einzuführen, um mit seinem Sang von Liebe und Rittertaten eine Stunde auszufüllen; zuweilen vergalt ein Pilger, der von einem fernen Gnadenbilde kam, die in Garde Douloureuse genossene Gastfreundschaft mit langen Erzählungen von den Wundern, die er in andern Ländern gesehen hatte; zuweilen geschah es auch, daß auf Verwendung der Kammerfrau, die darin ihren Vorteil fand, reisende Kaufleute und Hausierer Zutritt erhielten, welche mit Gefahr ihres Lebens von Schloß zu Schloß ihre Stoffe zu reichen Kleidern oder andern weltlichen Schmuck herumtrugen.

Die Ankunft von Bettlern, Taschenspielern und Gauklern darf bei dieser Aufzählung von Vergnügungen nicht vergessen werden, und selbst der Walliser Barde mit seiner großen, mit Pferdehaar bezogenen Harfe wurde zuweilen zugelassen, um die Gleichförmigkeit ihres einsamen Lebens zu unterbrechen, nur daß man wegen seiner Herkunft aus Feindesland ein scharfes Auge auf ihn hatte. Aber außer diesen Unterhaltungen und den regelmäßigen Andachten in der Kapelle, hätte das Leben unmöglich in langweiligerer Einförmigkeit dahinfließen können als auf der Burg Garde Douloureuse. Seit dem Tode des tapfern Besitzers, bei dem ein Festgelage mit zahlreichen Gästen ebenso zur Natur gehörte wie das Streben nach Ehre und Rittertaten, hätte man sagen mögen, die Finsternis eines Klosters umhülle den alten Wohnsitz von Raymond Berenger, wenn nicht die Gegenwart so vieler Wachen in Waffen, die auf den Zinnen auf und niedergingen, ihm vielmehr das Ansehen eines Staatsgefängnisses erteilt hätte. Auch nahm die Stimmung der Einwohner nach und nach den Charakter ihrer Wohnung selbst an.

Besonders fühlte sich Eveline so niedergedrückt, daß ihr sonst so lebendiges Gemüt sich kaum aufrecht erhalten konnte. Je mehr sie sich ins Grübeln einließ, desto mehr verfiel sie in still beschauliche Stimmung, die so oft mit feurigem, schwärmerischem Wesen verbunden ist. Sie dachte tief über die früheren Vorfälle ihres Lebens nach, und da kann es nicht wundernehmen, daß ihre Gedanken immer auf zwei Zeitabschnitte zurückkamen, in denen sie eine übernatürliche Erscheinung erfahren hatte oder erfahren zu haben glaubte. Dann kam es ihr oft vor, als ob eine gute und eine böse Macht um die Herrschaft über ihr Geschick kämpften.

Einsamkeit begünstigt das Gefühl eigner Wichtigkeit, und nur wenn sie allein und einzig mit dem Gedanken an ihr Ich beschäftigt sind, haben Fanatiker Träume, und vermeinte Heilige verlieren sich in Schwärmereien ihrer Einbildungskraft. Bei Evelinen gelangte nun zwar die Schwärmerei nicht zu solcher Höhe, doch kam es ihr in ihren nächtlichen Träumen so vor, als sähe sie bisweilen die Gestalt von Unserer Frau von Garde Douloureuse, die Blicke des Mitleids, des Trostes und des Schutzes auf sie richtete, bisweilen die Gestalt aus dem sächsischen Schlosse Baldringham, wie sie die blutige Hand als Zeugin des Unrechts, das ihr zugefügt worden, aufrecht hielt und dem Abkömmling des Mörders Rache drohte.

Wenn sie aus solchen Träumen erwachte, dann kam sie auf den Gedanken, daß sie der letzte Zweig ihres Hauses sei, eines Hauses, das seit langen Jahren ganz besonders unter dem Schirm und Schutz des Wunderbildes, aber auch unter dem Einfluß und der Feindschaft der rachesüchtigen Vanda stand. Ihr kam es vor, als wäre sie der Preis, um dessen Besitz die milde Heilige und der rächende böse Geist jetzt ihr letztes und gewagtestes Spiel spielten.

Voll von diesen Betrachtungen und wenig darin von äußern Zerstreuungen gestört, ward sie tiefsinnig, zerstreut, verlor sich in Betrachtungen, die ihr Augenmerk ganz von der nächsten Umgebung abwandten, und wandelte in der wirklichen Welt, als befände sie sich noch im Traum. Wenn sie an ihre Verpflichtung gegen den Connetable von Chester dachte, so geschah es mit Ergebung, aber ohne einen Wunsch, ja ohne, daß sie erwartet hätte, jemals in die Lage zu kommen, diese Verpflichtungen einhalten zu müssen. Sie hatte ihr Gelübde erfüllt, indem sie mit ihrem Befreier den Treuschwur wechselte, und wenn sie selbst sich entschlossen wähnte, ihr Wort zu lösen, und sich's nicht gestehen mochte, mit welchem Widerwillen sie daran dachte, es zu tun, – so hegte sie im Innersten doch, wenn sie sich dessen auch kaum bewußt war, die Hoffnung, Unsre Frau von Garde Douloureuse werde kein strenger Gläubiger sein, sondern, zufrieden mit dem guten Willen, nicht auf der Forderung in ihrer vollen Strenge bestehen. Nur die schwärzeste Undankbarkeit hätte wünschen können, daß ihrem tapferen Befreier, für den zu beten sie so viele Ursache hatte, einer von den Unglücksfällen zustoßen möchte, die im heiligen Lande schon so oft den Lorbeer in die Cypresse verwandelten; aber es hatte sich ja wohl manchmal schon ereignet, daß Menschen, die lange außerhalb des Landes waren, bewogen wurden, die Vorsätze zu ändern, mit denen sie die Heimat verlassen hatten.

Ein wandernder Minstrel, der Garde Douloureuse besuchte, hatte zur Ergötzlichkeit der Lady und ihrer Umgebung, die berühmte Geschichte vom Grafen von Gleichen vorgetragen, der, schon verehelicht in seinem Vaterlande, im Morgenlande eine sarazenische Prinzessin, die die Mittel gefunden hatte, ihm seine Freiheit zu verschaffen, aus Dankbarkeit heiratete. Der Papst und sein Konsistorium bewilligten in diesem außerordentlichen Falle die Doppelehe, und der gute Graf von Gleichen teilte sein Bett zwischen zwei Frauen zu gleichem Rechte und schläft jetzt zwischen beiden unter demselben Monument.

Die Bemerkungen der Schloßbewohner über diese Sage waren verschieden und widersprechend. Pater Aldrovand hielt diese Geschichte für durchaus unwahr und die Behauptung, der Papst würden dergleichen Gesetzwidrigkeiten gutheißen, für eine Lästerung des kirchlichen Oberhauptes. Die alte Marjory, mit dem zärtlichen Herzen einer alten Amme, weinte aus Mitleid bitterlich während der Erzählung, und es war ihr recht lieb, daß bei einer solchen Verwicklung von Liebesunfällen, aus denen kein Ausweg zu sein schien, eine so schöne Lösung gefunden worden war. Frau Gillian nannte es unbillig, daß, da einer Frau nur ein Ehemann erlaubt sei, einem Manne, unter welchen Umständen es auch sei, gestattet sein sollte, zwei Frauen zu haben; aber Raoul, ihr einen Blick wie Essig zuwerfend, nannte den Menschen albern, der nicht an einer Frau vollauf genug hätte.

»Schweigt all ihr übrigen,« sagte Lady Eveline, »und sagt Ihr, meine treue Rose, Euer Urteil über den Grafen von Gleichen und seine beiden Frauen.«

Rose errötete und erwiderte, sie wäre nicht gewöhnt, über solche Dinge nachzudenken, aber nach ihrer Ansicht hätte die Frau, welche sich nachher mit der halben Liebe ihres Mannes begnügen könnte, nie verdient, auch nur den kleinsten Teil derselben besessen zu haben.

»Du hast im allgemeinen recht, Rose,« sagte Eveline. »Mir scheint es, die europäische Frau würde, als sie sich von der jungen, schönen Prinzessin überstrahlt sah, am besten ihrer Würde genügt haben, wenn sie ihrer Rechte entsagt hätte. Der heilige Vater würde gewiß, wie dies mehrfach schon stattgefunden hatte, ihre Ehe aufgelöst haben.«

Sie sagte dies mit einer Art von gleichgiltigem, ja vergnügtem Wesen, woraus ihre treue Dienerin sah, daß es ihr selbst wenig Mühe gekostet, ein solches Opfer zu bringen. Doch lag darin auch eine Andeutung, daß es mit ihrer Liebe zum Connetable nicht sehr weit her sei. Es gab eben doch einen andern Mann, zu dem ihre Gedanken, wenn auch unwillkürlich, so doch öfter, als es klüglicherweise hätte geschehen sollen, zurückkehrten.

Die Erinnerung an Damian de Lacy war schon zuvor nicht in Evelinens Seele erloschen. Nun wurde sie gar täglich an ihn erinnert, weil sie so oft seinen Namen nennen hörte und wußte, daß er fortwährend in ihrer Nähe sei und seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Bequemlichkeit, ihren Vorteil, ihre Sicherheit richtete. Doch er selbst ließ sich nie vor ihr sehen und befragte sie nie persönlich nach ihrem Willen, mochte es sich auch um die wichtigste Angelegenheit handeln.

Eveline hätte gern den Zwang fallen lassen, der ihren Verkehr mit Damian beschränkte; Rosens Äußerung hatte auch sie auf den Gedanken gebracht, daß dieser Zwang zu einem herabwürdigenden Argwohn führen müßte. Warum sollte sie an ihrem Beschirmer nur durch die Dienste, die er ihr leistete, durch die Sorge, die er für ihre Sicherheit trug, durch den Mund anderer, die von seiner ritterlichen Gesinnung sprachen, erinnert werden, ohne daß sie sich jemals sahen, ganz als ob eins von ihnen mit der Pest oder sonst irgend einem ansteckenden Uebel befallen sei, das ihr Zusammenkommen dem andern gefährlich machen könnte. Wenn sie sich wirklich gelegentlich einmal sähen, was könnte die Folge sein, als daß die Sorge eines Bruders für seine Schwester, eines treuen und freundlichen Hüters für die verlobte Braut seines nahen Verwandten und verehrten Oberherrn die melancholische Abgeschiedenheit von Garde Douloureuse erträglicher für ein so junges Mädchen machen würde, das zwar jetzt durch die Umstände in gedrückter Stimmung, von Natur aber so fröhlichen Gemütes war.

Obwohl nun eine solche Gedankenreihe der sich selbst überlassenen Eveline ganz folgerecht zu sein schien, so daß sie mehrmals ihre Ansicht Rose Flammock mitteilen wollte, so fürchtete sie doch, wenn sie in die klaren, ruhigen blauen Augen des flamländischen Mädchens blickte, im Herzen ihrer bis zur Grobheit aufrichtigen Dienerin einen Argwohn zu erwecken, von dem ihr eigenes Gewissen sie freisprach. Und ihr stolzer normannischer Geist empörte sich bei dem Gedanken, sich vor irgendwem rechtfertigen zu sollen, wo ihr eigenes Gewissen sich unschuldig wußte. »So mögen die Dinge bleiben, wie sie sind,« sagte sie, »und ich will lieber dieses langweilige Leben ertragen, das so leicht angenehmer gemacht werden könnte, als daß diese eifrige, aber fast zu streng denkende Freundin, die so zärtlich um mich besorgt ist, mich für fähig halten sollte, die Hand zu einem Verkehr zu reichen, der mißdeutet werden oder zu irgend welchem Argwohn Veranlassung geben könnte.« – Aber eben dieser Mangel an Ablenkung, dieses Schwanken im Entschluß, diente nur dazu, das Bild des schönen jungen Damian um so öfter vor Lady Evelinens Phantasie zu zaubern. Solchen Gedanken indessen überließ sie sich niemals lange; denn das Gefühl des sonderbaren Schicksals, das sie bisher betroffen, führte sie bald zu den melancholischen Betrachtungen zurück, aus denen nur auf eine kurze Zeit die Schwungkraft jugendlichen Geistes sie herausgerissen hatte.

Siebentes Kapitel

An einem hellen Septembermorgen war der alte Raoul in dem Hause beschäftigt, wo er seine Falken aufbewahrte. Er murrte in sich hinein, während er jeden Vogel einzeln untersuchte, und abwechselnd der Sorglosigkeit des Unterfalkoniers, der Lage des Gebäudes, dem Wind und dem Wetter, kurz allem um ihn her schuld daran gab, daß der Falkenbestand von Garde Douloureuse so arg gelitten hatte. In diesen unangenehmen Betrachtungen wurde er durch die Stimme seiner vielgeliebten Ehehälfte, Dame Gillian, unterbrochen, die sonst selten so früh aufstand und ihn noch seltener in seinem eigenen Herrschergebiet aufsuchte. »Raoul! Raoul! wo steckst Du, Mann? – Ewig muß man Dich suchen, wenn Du für Dich oder für mich was gewinnen kannst.«

»Und was fehlt Dir, Frau!« rief Raoul, ärger kreischend, als die Seemöwe vor dem Regen. – »Die Pest hole Deine Stimme, sie reicht hin, jeden Falken von seiner Stange aufzuscheuchen.«

»Falke!« antwortete Dame Gillian, »hier ist wohl Zeit, nach solchen kläglichen Falken zu sehen, wenn hierher zum Verkauf Falken von der edelsten Gattung gekommen sind, die je über See, Moor und Wiesen flogen, tüchtige Geierfalken mit breiten Nasenlöchern, starken Fängen und kurzen, etwas bläulichen Schnäbeln.«

»Pah! mit Deinem Geschwätz! – Wo kommen sie her?« sagte Raoul; denn die Nachricht lockte ihn, er wollte nur seiner Frau nicht das Vergnügen machen, es sich merken zu lassen.

»Von der Insel Man,« erwiderte Gillian.

»Dann müssen sie wahrlich gut sein, obgleich ein Weib die Nachricht brachte,« sagte Raoul und lachte sauersüß über seinen eignen Witz. Dann verließ er den Falkenhof und fragte, wo der berühmte Falkenhändler anzutreffen sei.

»Wo? Zwischen den Barrieren und dem inneren Tore,« erwiderte Gillian, »wo sonst noch andere Kaufleute zugelassen werben. – Wo sollte es wohl sein?«

»Und wer ließ ihn herein?« fragte der argwöhnische Raoul.

»Nun, der Herr Hofmeister, Du Eule!« sagte Gillian. »Er kam soeben nach meiner Stube und schickte mich hierher, Dich zu rufen.«

»Aha! Der Haushofmeister! Der Haushofmeister! – Das hätte ich erraten können. Und er kam auf Deine Stube, ohne Zweifel, weil er nicht ebenso leicht hierher zu mir kommen konnte. – War es nicht so, süßes Herzchen?«

»Ich weiß nicht, warum er lieber zu mir als zu Euch kam, Raoul,« sagte Gillian, »und wenn ich es wüßte, so würde ich es Euch doch vielleicht nicht sagen. – Nun fort! Macht Euren Handel oder macht ihn nicht, ich bekümmere mich nicht darum – der Mann wird nicht auf Euch warten, – er hat schon ein gutes Gebot vom Seneschall von Malpas und vom Walliser Lord von Dinevawr.«

»Ich komme – ich komme,« sagte Raoul, der diese Gelegenheit, seine Falknerei zu verbessern, nicht ungenützt lassen wollte. Er eilte zum Tore, wo er den Kaufmann in Begleitung eines Dieners antraf, der in besonderen Käfigen drei Falken trug, die zum Verkauf ausgeboten wurden.

Auf den ersten Blick überzeugte sich Raoul, daß sie zu der besten europäischen Gattung gehörten und nach guter Dressur selbst für eine königliche Falknerei kein schlechter Zuwachs gewesen wären. Der Kaufmann verfehlte nicht, sich über all ihre Vorzüge auszulassen, über die Breite ihrer Oberflügel, die Stärke ihres Schweifes, ihre großen und feurigen dunklen Augen, die Lebendigkeit, mit der sie ihre Federn putzten und sich schüttelten. Er ließ sich über die Schwierigkeiten und Gefahren aus, unter denen sie auf den Felsen von Ramsey gefangen wurden, wo ein Horst wäre, der selbst an den Küsten Norwegens nicht seinesgleichen hätte.

Anscheinend hatte Raoul für alle diese Empfehlungen nur taube Ohren, »Freund Kaufmann,« sagte er, »ich kenne einen Falken so gut wie Du und will nicht leugnen, daß die Deinigen eine feine Sorte sind; aber wenn sie nicht sorgfältig zum Auffliegen und Zurückkommen abgerichtet sind, so wollte ich lieber einen Stockfalken auf meiner Stange haben, als den schönsten Falken, der je die Schwingen in die Luft hob.«

»Wenn wir erst über den Preis einig sind, denn das ist die Hauptsache,« sagte der Kaufmann, »sollst Du die Vögel fliegen sehen. Dann magst Du sie kaufen oder nicht, wie Du willst. Ich will kein ehrlicher Kaufmann sein, wenn Du je Vögel so schön, wie diese stoßen sähest, sei es im Aufsteigen oder im Niederschießen.« »Das nenne ich billig,« sagte Raoul, »wenn nur der Preis auch danach ist.«

»Er soll danach sein,« sagte der Falkenhändler. »Ich habe auf Erlaubnis des guten Königs von Man, Reginald, sechs Paar von dieser Insel gebracht, und ich habe schon jede Feder davon bis auf diese verkauft. Da ich nun so meine Käfige geleert und meinen Beutel angefüllt habe, so will ich mich mit dem Rest nicht lange schleppen, und wenn einem guten Kameraden und einem Kenner, wie Du zu sein scheinst, die Falken gefallen, nachdem er sie fliegen gesehen, so soll er den Preis selbst bestimmen.« »Nur zu,« sagte Raoul, »wir wollen nicht die Katz im Sack kaufen. Sind die Falken gut, so kann meine Gebieterin sie noch eher bezahlen, als Du sie wegschenken kannst. – Wird ein Byzantiner genug sein für das Paar?«

»Ein Byzantiner, Herr Falkenier! – Bei meiner Ehre! Ihr bietet niedrig. – Doch verdoppelt Euer Gebot, und – ich will es überlegen.«

»Wenn sich die Falken gut zurückrufen lassen,« sagte Raoul, »will ich Euch anderthalb Byzantiner geben, aber erst will ich sie auf einen Reiher stoßen sehen, ehe ich so rasch den Handel mit Euch abschließe.«

»Gut denn,« sagte der Kaufmann, »ich tue besser, Euer Anerbieten anzunehmen, als sie lange auf dem Hals zu haben. Denn brächte ich sie nach Wales, könnte ich vielleicht noch schlechter mit einem ihrer langen Messer bezahlt werden. – Wollt Ihr sogleich zu Pferde?«

»Allerdings,« sagte Raoul, »und wiewohl der Herbst besser für die Reiherbeize ist, so will ich Euch doch einen von diesen Froschvertilgern zeigen, wenn wir etwa eine Meile weit auf dieser Seite des Wassers reiten.«

»Ich bin es zufrieden, Herr Falkenier,« sagte der Kaufmann. »Aber machen wir uns allein auf den Weg? Gibt es hier keinen Herrn, keine Dame im Schlosse, die Vergnügen daran fänden, einer solchen stattlichen Jagd beizuwohnen? Ich fürchte mich nicht, diese Falken einer Gräfin zu zeigen.«

»Meine Gebieterin liebte sonst derlei Vergnügen sehr,« sagte Raoul, »aber ich weiß nicht, seit ihres Vaters Tode ist sie so betrübt und wie im Traum und lebt in ihrem schönen Schlosse wie eine Nonne im Kloster, ohne irgend einen Zeitvertreib und Jubel. – Jedoch, Gillian, Du vermagst etwas über sie. – Geh' hin, tue einmal etwas Gutes – und bringe sie dazu, sich aufzumachen und dieser Jagdlust beizuwohnen – Das arme Kind hat den ganzen Sommer über keine Zerstreuung gehabt.«

»Das will ich tun,« sagte Gillian, »und was noch mehr ist, ich will ihr einen so schönen neuen Reithut zeigen, den kein Weib auf Erden ohne den Wunsch ansehen kann, ihn ein wenig im Winde umherflattern zu lassen.«

Als Gillian so sprach, kam es ihrem eifersüchtigen Manne so vor, als ob Blicke zwischen ihr und dem Handelsmanne gewechselt würden, die ein größeres Einverständnis verrieten, als eine so kurze Bekanntschaft erwarten ließ. Wenn auch selbst bei Dame Gillians großer Dreistigkeit gar manches möglich war. Als er den Kaufmann schärfer ansah, kam es ihm auch vor, als ob dessen Gesichtszüge ihm nicht ganz unbekannt wären, er sagte ihm also ziemlich trocken: »Wir haben uns schon einmal gesehen, Freund, doch kann ich mich nicht mehr entsinnen, wo?«

»Sehr wahrscheinlich,« sagte der Kaufmann. »Ich habe oft diese Gegend besucht und mag auch schon von Euch Geld für Ware erhalten haben. Wäre hier nur ein schicklicher Ort dazu, so möchte ich gerne eine Flasche Wein auf bessere Bekanntschaft spendieren.«

»Nicht so schnell, Freund,« sagte der alte Jäger. »Ehe ich mit jemand auf bessere Bekanntschaft trinke, muß mir das, was ich bis dahin von ihm sah, sehr wohl gefallen haben. – Wir wollen Deine Falken stoßen sehen, und wenn ihre Zucht Deinem Prahlen entspricht, dann brechen wir vielleicht zusammen einer Flasche den Hals. – Aber siehe, da kommen Knechte und Stallmeister. – Meiner Treu! Meine Gebieterin hat eingewilligt zu erscheinen.«

Die Veranlassung, diesem Vergnügen auf freiem Felde beizuwohnen, hatte sich Evelinen in dem Augenblicke dargeboten, als die erfreuliche Heiterkeit des Tages, die milde Luft und das fröhliche Treiben der Ernte rings um sie her die Versuchung, sich diese Bewegung zu erlauben, fast unwiderstehlich machten.

Da sie auf dem diesseitigen Ufer bleiben wollten, ohne eine Brücke zu überschreiten, auf der sich beständig eine kleine Wache von Fußvolk befand, so verlangte Eveline keine weitere Bedeckung und nahm, ganz gegen die bisherige Gewohnheit, niemand mit sich, als Rose und Gillian, und ein paar Diener, welche die Hunde führten oder Jagdgerätschaften trugen. Raoul, der Kaufmann und ein Stallmeister begleiteten sie natürlich auch, jeder einen Falken auf der Faust, wobei gleich ausgemacht worden war, wie sie sie fliegen lassen sollten, um sich von ihren Kräften und von ihrer Abrichtung zu überzeugen.

Als diese wichtigen Punkte gehörig verabredet worden waren, ritt die Gesellschaft den Fluß hinab, sorgfältig auf allen Seiten nach einem Wild für die Jagd ausspähend; aber keinen Reiher sah man auf dem Sand umherschreiten, obgleich sich ein sogenannter Reiherstand in geringer Entfernung befand.

Wohl die verdrießlichste Enttäuschung ist die eines Jägers, der, reichlich versehen mit allem Jagdzubehör, auszieht, aber kein Wild antreffen kann; denn er sieht sich mit seinem vollen Schießbedarf und seiner leeren Jagdtasche dem Hohnlächeln jedes vorbeigehenden Bauern preisgegeben. Die Jagdgesellschaft der Lady fühlte alle die Unannehmlichkeit einer solchen Enttäuschung.

»Ein schönes Land das,« sagte der Kaufmann, »wo man zwei Meilen weit an einem Fluß nicht einen armseligen Reiher finden kann.«

»Das kommt von dem Geklapper der verdammten Flamländer, von ihren Wasser- und Walkmühlen,« sagte Raoul. »Sie zerstören gute Jagd und gute Gesellschaft, wohin sie nur kommen. Aber wenn meine Gebieterin nur Willens wäre, noch eine Meile und etwas darüber zum roten Teiche zu reiten, so will ich Euch einen solchen langbeinigen Burschen zeigen, der Eure Falken im Wirbel herumdrehen soll, bis ihr Gehirn ganz schwindlig wird.«

»Der rote Teich,« sagte Rose, »Du weißt Raoul, das ist mehr als drei Meilen jenseits der Brücke und liegt gegen die Berge zu.«

»Ja, ja,« sagte Raoul, »wieder eine flämische Grille, einem die Lust zu verderben. Sie sind nicht so selten hier auf den Märkten, die flamländischen Dirnen, daß sie sich zu fürchten brauchten, gebeizt zu werden von dem welschen wilden Falken.«

»Raoul hat recht, Rose,« antwortete Eveline, »es ist albern, wie Vögel in einem Käfig eingesperrt zu sein, wenn alles um uns her so völlig ruhig ist. Ich bin entschlossen, ein für allemal diese Schranken zu durchbrechen und der Jagd einmal auf die alte Weise beizuwohnen, ohne immer mit Bewaffneten wie eine Staatsgefangene umgeben zu sein. Wir wollen lustig auf den roten Teich los, Mädchen, und auf Reiher jagen, wie freie Mädchen von den Marken.«

»So laßt mich nur meinem Vater sagen, daß er zu Pferde steige und uns nachfolge,« bat Rose, denn sie befanden sich jetzt in der Nähe der wieder erbauten Mühlen des kräftigen Flamländers.

»Mir ist es gleich, ob Du das tust,« entgegnete Eveline, »aber glaube mir, Mädchen, wir werden am roten Teich und wieder zurück sein, ehe Dein Vater sein bestes Wams anlegt, sein gewaltiges Schwert umgürtet und seinen starken flandrischen Elefanten von einem Pferde sattelt, das er sehr vernünftig Faultier nennt. Nein, runzle nicht die Stirne und beginne keine Lobrede auf Deinen Vater, benütze die Zeit lieber dazu, ihn herbeizurufen.«

So ritt also Rose nach den Mühlen, wo Wilkin Flammock alsbald, dem Befehl seiner Lehnsherrin gemäß, sich beeilte, Stahlhaube und Halsberge anzulegen, und einem halben Dutzend seiner Verwandten und Knechte gebot, gleichfalls die Pferde zu besteigen. Rose blieb bei ihm, ihn zu größerer Eile zu ermahnen, da es seine Weise war, alles hübsch langsam der Reihe nach zu tun. Aber trotz all ihrer Mühe, ihn anzutreiben, hatte Lady Eveline schon länger als eine halbe Stunde die Brücke hinter sich, ehe diese Bedeckung gerüstet war, ihr zu folgen.

Indessen sprengte, kein Unheil fürchtend, mit der Empfindung einer entflohenen Gefangenen, Eveline fröhlich auf dem lustigen Zelter dahin, leicht, wie die Lerche in der Luft! die Federn, mit denen Gillian ihren Reithut geschmückt hatte, flatterten im Winde; ihre Begleiter galoppierten hinter ihr her, mit Hunden, Taschen, Leinen und allem, was zur edlen Falkenjagd gehörte. Nachdem man über den Fluß geritten war, begann der wilde, grüne Wiesenpfad, den sie verfolgten, sich zwischen kleinen Anhöhen hinaufzuziehen, die bisweilen kahl und felsig, bisweilen mit Haselbüschen, Schlehdorn und anderm niedrigen Gesträuch bewachsen waren; endlich senkte er sich plötzlich hinab, und führte sie an den Rand eines Bergbaches, der wie ein spielendes Lamm lustig von Fels zu Fels hüpfte, als sei er ungewiß, welches Weges er rinnen sollte.

»Dieses kleine Flüßchen war stets mein Liebling, Frau Gillian,« sagte Eveline, »und es kommt mir vor, als hüpfe es jetzt leichter, da es mich wiedersieht.«

»Ach, Mylady,« sagte Dame Gillian, deren Unterhaltung in solchen Fällen sich niemals über einige Phrasen der gröbsten Schmeichelei zu erheben pflegte, »mancher schöne Ritter möchte schulterhoch springen, wenn er die Erlaubnis hätte, Euch so dreist anzuschauen, wie dieser Bach, besonders jetzt, da Ihr diesen Reithut aufgesetzt habt, der an ausgezeichnet schöner Empfindung nach meiner Meinung alles, was ich bisher erdachte, um eine Bogenschußweite übertrifft. – Was meinst Du dazu, Raoul?«

»Ich denke,« antwortete ihr gutherziger Ehemann, »daß Weiberzungen dazu gemacht sind, alles Wild aus der Gegend zu vertreiben. – Hier kommen wir der Stelle näher, wo es uns gelingen muß; darum bitte ich, meine süßeste Gebieterin, seid jetzt hübsch still. Wir wollen uns am Ufer des Teiches entlangschleichen, unter dem Winde die Hauben unserer Falken losbinden und alles zum Auffliegen fertig machen.«

Während sie so sprachen, ritten sie ein paar hundert Schritte an dem rauschenden Flusse hin, bis das kleine Tal, durch das er floß, eine ziemlich scharfe Biegung machte, worauf der rote Teich sich zeigte, der eben durch den kleinen Bach gebildet wurde.

Dieser Bergsee oder Sumpf war ein tiefes Becken von ungefähr einer englischen Meile im Umfange, mehr länglich als rund. Auf der Seite, wo unsere Falkenjäger standen, erhob sich ein Felsrücken von einer dunklen Farbe, der dem See den Namen gab, da diese starke düstre Wand sich in ihm spiegelte und ihm ihre Farbe zu verleihen schien. An der entgegengesetzten Seite war ein Hügel, mit Heidekraut bedeckt, dessen herbstliche Blüten noch nicht ganz von der Purpurfarbe zum Dunkelbraun hingewelkt waren. Zwischen dem Heidekraut zeigten sich an manchen Stellen graue Klippen oder auch lose Steine von derselben Farbe, die einen Gegensatz zu der gegenüberliegenden roten Felsenwand bildeten. Ein von der Natur gebildeter schöner Sandweg am Ufer zog sich rings um den See und trennte sein Wasser auf der einen Seite von dem schroffen Felsen, auf der andern von dem steilen Hügel, und da er nirgends weniger als fünfzehn bis achtzehn Fuß breit, an mehreren Stellen sogar noch weit breiter war, so bot er in seinem ganzen Umfange Platz genug für einen Reiter, der sein Pferd tummeln und in Atem setzen wollte. Der Rand des Teiches an der Seite des Felsens war hin und wieder mit Blöcken von beträchtlicher Größe bedeckt, die sich oben von der Felsmasse losgerissen hatten. Viele von diesen Felsstücken, die im Sturz über den Rand weggerollt waren, lagen im Wasser, wie kleine Inselchen – und zwischen diesen entdeckte das scharfe Auge Raouls – den Reiher, den sie suchten.

Auf einen Augenblick wurde Rat gepflogen, wie man am besten den ernsten, einsamen Vogel beschleichen könnte, der nicht ahnte, daß er selbst der Gegenstand eines furchtbaren Hinterhalts sei, während er bewegungslos auf einem Steine am Ufer stand und auf ein kleines Fischchen oder Wassertierchen lauerte, das sich seinem einsamen Standort nähern möchte. Ein kurzer Wortwechsel fand zwischen Raoul und dem Falkenverkäufer statt, die nicht einig miteinander waren, wie das Wild am besten aufzuscheuchen sei, so daß auch Eveline und ihre Begleiterin die Beize gut mitansehen könnten. Ob es am leichtesten sei, den Reiher »far jette« oder »jette ferré,« das heißt, auf dieser oder auf der andern Seite des Teiches – zu erlegen, das wurde, als handelte es sich um ein großes Unternehmen, so gewichtig und eifrig besprochen, daß sie fast außer Atem kam.

Endlich wurden die beiden Sachverständigen einig, und die Gesellschaft näherte sich dem Wassereinsiedler, der sie jetzt gewahr wurde, sich in voller Höhe aufrichtete, seinen langen dünnen Hals emporstreckte, sein gewöhnliches helltönendes Geschrei ausstieß und, seine dünnen Beine hinter sich weisend, in die heitere Luft emporstieg. In diesem Augenblick warf der Kaufmann mit einem lauten Hussah den edlen Falken, den er trug, ab, nachdem er ihm erst die Haube abgezogen, damit er den Reiher sehen konnte.

Hitzig, wie eine Fregatte auf der Jagd nach einer reichen Gallione, schoß der Falke auf den Feind zu. Der Reiher, der sich auf den Kampf vorbereitete, falls es ihm unmöglich sein sollte, durch die Flucht zu entrinnen, bot alle seine Schnelligkeit auf, einem so furchtbaren Jäger zu entgehen. Mit der unvergleichlichen Kraft seiner Schwingen stieg er in kleinen Kreisen immer höher und höher in die Luft, so daß der Falke keinen Punkt erreichte, von wo aus er mit Vorteil auf ihn stoßen konnte. Mit seinem spitzen Schnabel aber, der am Ende eines so langen Halses saß, konnte der Reiher im Umkreis von fast drei Fuß jeden Gegenstand nach jeder Richtung hin treffen.

Jetzt wurde ein zweiter Falke aufgeworfen, um, durch das Halloh des Falkners ermuntert, sich mit seinem Kameraden zu vereinigen. Beide erhoben sich oder stiegen in die Luft, immerfort in kleinen Kreisen sich bewegend, und bemühten sich, die Höhe zu erreichen, in der der Reiher seinerseits sich zu behaupten trachtete, und zum auserlesensten Vergnügen der Zuschauer setzte sich dieser Wettkampf so lange fort, bis alle drei sich in leise gekräuselten Wolken verloren, von wo aus man nur zuweilen noch das scharfe klagende Geschrei des Reihers hörte, als ob er den Himmel, dem er sich näherte, gegen die mutwillige Grausamkeit seiner Verfolger anrufen wollte.

Endlich war einer der Falken über den Reiher emporgestiegen, um nun auf ihn herabzustoßen; aber das Tier verteidigte sich so besonnen, daß es mit seinem Schnabel den Stoß auffing, den der Falke, mit voller Kraft herniederschießend, gegen seinen rechten Flügel richtete; so daß einer seiner Feinde, durch seine eigene Schwere von dem Schnabel durchbohrt, auf der von den Falkenieren abgelegenen Seite flatternd in den See stürzte und dort umkam.

»Da wandert ein wackerer Falke zu den Fischen,« sagte Raoul. »Kaufmann! Dein Kuchen ist nicht gar!«

Aber während er noch sprach, hatte der andere Vogel seinen Bruder gerächt. Das Glück, das der Reiher auf der einen Seite hatte, schützte ihn nicht vor einem Angriff von der andern Seite; der Falke stieß kühn auf ihn zu, und sich einkrallend oder wie es in der Falknerei heißt, »seine Beute bindend«, sanken beide aus der großen Höhe, sich untereinander wälzend, herunter. Es war nun keine kleine Mühe, so schnell wie möglich hinzuzueilen, damit der Falke nicht von dem Schnabel und den Klauen des Reihers verwundet würde. Die ganze Gesellschaft also, die Männer die Sporen einsetzend, die Frauen die Reitgerte schwingend, flog wie der Wind dahin über das schöne, weiche Ufer zwischen den Felsen und dem Wasser.

Lady Eveline, die bei weitem besser beritten war als ihr Gefolge, und deren Lebensgeister, sich an dem Vergnügen und der schnellen Bewegung aufgefrischt hatten, erreichte weit früher, als die Leute ihrer Begleitung, den Flecken, wo der Falke und der Reiher, noch immer in tödlichem Kampfe begriffen, im Sumpfe lagen; dem letztern war durch den Stoß des erstern der Flügel gebrochen worden. In solchem entscheidenden Augenblicke war es die Pflicht des Falkners, hinzuzueilen und dem Falken beizustehen, indem er den Schnabel des Reihers in die Erde bohrte, ihm die Beine zerbrach und es dann dem Falken überließ, ihm mit leichter Mühe den Garaus zu geben.

Auch eine Edeldame vom Range und der Zartheit Evelinens durfte nicht davor zurückschrecken, auf so grausame Weise dem Falken beizustehen; aber gerade als sie zu diesem Zweck vom Pferde gestiegen war, fühlte sie sich zum größten Schrecken von einer wilden Gestalt ergriffen, die in welscher Sprache ausrief, daß man Pfand von ihr begehre, weil sie auf dem Grunde von Dawfyd Falkenjagd triebe. Zu gleicher Zeit zeigten sich viele andere, mehr als zwanzig, hinter den Felsen und Gebüschen, alle mit Aexten oder welschen Krummhacken, langen Messern, Wurfspießen Bogen und Pfeilen bewaffnet.

Eveline erhob ein Geschrei, die Ihrigen zu Hilfe zu rufen, zugleich redete sie die Fremden, so gut sie konnte, in welscher Sprache an; denn sie zweifelte nicht, daß es Walliser wären, in deren Gewalt sie geraten war. Als sie merkte, daß ihre Bitten unbeachtet blieben und jene sie als Gefangene behalten wollten, so würdigte sie sie weiter keiner Anrede, sondern verlangte nur, mit Achtung behandelt zu werden. Sie versprach ihnen in diesem Falle ein reichliches Lösegeld, drohte aber auch mit der Rache des Lords und besonders des Damian de Lacy, wenn sie ihr ein Leides täten.

Die Männer schienen sie zu verstehen, und obwohl sie ihr eine Binde um die Augen legten und ihr die Arme mit ihrem eigenen Schleier fesselten, so beobachteten sie doch bei diesen gewalttätigen Handlungen eine gewisse Zartheit und Aufmerksamkeit, Anstand zu bewahren und ihr nicht wehe zu tun. Sie banden sie auf dem Sattel ihres Zelters fest und führten sie mit sich durch die Schluchten der Berge. Zu ihrem tiefsten Schmerze vernahm sie hinter sich das Getöse eines Kampfes und erkannte daran, daß ihr Gefolge sich vergebens bemühte, sie zu erretten.

Erstaunen hatte zuerst die Jäger ergriffen, als sie von ferne ihre Jagdlust durch den gewalttätigen Angriff auf ihre Gebieterin unterbrochen sahen. Der alte Raoul setzte nun wieder die Sporen ein, rief den andern zu, ihm zu folgen, und sprengte wütend auf die Räuber los; aber da er keine andern Waffen, als seine Falkenstange und ein kurzes Schwert hatte, so wurden er und die ihm folgenden bei diesem tapfern, wenn auch nutzlosen Versuch leicht überwältigt. Raoul und ein paar der vordersten wurden jämmerlich zerschlagen, indem die Räuber ihre Knüttel gegen sie schwangen, bis sie in Splitter zerbrachen, wiewohl sie sich großmütig des Gebrauches gefährlicherer Waffen enthielten. Die übrigen des Gefolges, die allen Mut verloren hatten, ergriffen die Flucht, um Lärm zu machen; nur der Kaufmann und die Dame Gillian blieben am See und erfüllten die Luft mit unnützem Geschrei. Die Bösewichter sammelten sich indessen, sandten den Flüchtlingen einige Pfeile nach, doch mehr, um sie zu erschrecken, als um ihnen Schaden zuzufügen, und verließen zusammen den Platz, um zu ihren Gefährten zu stoßen, die mit der geraubten Lady Eveline vorausgezogen waren.

Achtes Kapitel

Solche Abenteuer, die jetzt nur in Werken bloßer Erdichtung geschildert werden, waren in jener Zeit des Faustrechts, wo Gewalt allgemein über das Recht ging, nichts Ungewöhnliches. Daraus folgte, daß die, deren Lage sie öftern Gewalttätigkeiten aussetzte, fertiger im Widerstande, aber auch geduldiger im Ertragen waren, als man sonst von Alter und Geschlecht hätte erwarten sollen. Lady Eveline fühlte, daß sie eine Gefangene war. Furcht beschlich sie freilich, wenn sie sich fragte, zu welchem Zwecke man sie geraubt hätte; aber weder ihre eigene Unruhe noch die Raschheit, mit der man sie fortführte, hinderten sie, ihre Sinne zusammenzunehmen und mit Geistesgegenwart alle Vorgänge zu beobachten. Aus dem lauten Hufeklappern um sie her schloß sie, daß der größte Teil der Räuber sich zu Pferde gesetzt hatte; dies stimmte, wie ihr bekannt war, mit dem Gebrauch der welschen Landstreicher überein, deren Pferde zwar schwach und klein und zum Dienste im Gefechte untauglich, aber doch schnellfüßig genug waren, ihre gewandten Reiter mit der notwendigen Eile am Schauplatz ihrer Taten auftauchen und dann wieder verschwinden zu lassen. Diese Tiere schritten auch ohne Schwierigkeit und unter der Last eines schweren Kriegers über die wilden Bergpfade, von denen die Gegend durchschnitten war, und auf deren einem Lady Eveline Berenger sich jetzt befand. Am Schritt ihres Zelters, der von jeder Seite durch einen Mann zu Fuß gehalten wurde, glaubte sie zu merken, daß er eben eine Anhöhe erklommen und nachher mit noch größerer Gefahr hinabzusteigen schien.

In diesem Augenblicke wandte sich eine Stimme, die sie bisher noch nicht unter den andern gehört hatte, in anglo-normännischer Sprache zu ihr, fragte mit scheinbarer Teilnahme, ob sie auch sicher in ihrem Sattel säße, und erbot sich, wenn dem nicht so sei, alles zu ihrer Bequemlichkeit herzurichten.

»Spottet nicht über meine Lage, daß Ihr von Sicherheit redet,« sagte Eveline, »Ihr könnt es nur immer glauben, daß ich nach solcher Gewalttat mich nicht sicher wähnen kann. Ist es Lösegeld, was Ihr begehrt, so nennt die Summe, und ich will Befehl geben, sie herbeizuschaffen, aber haltet mich nicht in Gefangenschaft, das kann mich nur beleidigen und Euch nichts helfen.«

»Lady Eveline,« antwortete die Stimme, noch immer im Tone der Höflichkeit, der so schlecht mit der verübten Gewalttätigkeit übereinstimmte, »wird sehr bald erfahren, daß unsere Handlungen rauher sind als unsere Absichten.«

»Wenn Ihr wißt, wer ich bin,« sagte Eveline, »so könnt Ihr nicht zweifeln, daß dieser Frevel gerächt werden wird. Ihr müßt wissen, wessen Banner jetzt meine Länder beschützt.«

»De Lacys Banner,« antwortete die Stimme, sehr gleichgütig, – »Was weiter! – Ein Falke fürchtet nicht den andern.« In diesem Augenblick wurde Halt gemacht, und ein verworrenes Gemurmel erhob sich unter den Leuten um sie her, die bisher geschwiegen hatten, außer wenn sie zuweilen in welscher Sprache, und so kurz wie möglich, sich über den Weg verständigten oder einander zur Eile ermuntert hatten.

Das Murmeln hörte auf, und ein Stillschweigen von einigen Minuten erfolgte. Endlich vernahm Eveline wieder die Stimme, die sich zuvor an sie gewandt hatte, und die jetzt Befehle austeilte, die sie nicht verstand. Darauf sprach der Mann zu ihr selbst: »Ihr werdet jetzt selbst sehen,« sagte er, »ob ich wahr sprach, wenn ich erklärte, daß ich Euch nicht gerne Fesseln anlegen ließ. Aber Ihr seid zugleich die Ursache des Kampfes und der Preis des Sieges. Für Eure Sicherheit muß demnach so gut gesorgt werden, als die Zeit es erlaubt. So befremdend auch die Art des Schutzes sein mag, dem wir Euch vertrauen wollen, so hoffe ich, daß der Sieger in dem bevorstehenden Kampfe Euch unverletzt wiederfinden wird.«

»O, laßt doch nicht, um der heiligen Jungfrau willen, Kampf und Blutvergießen entstehen!« sagte Eveline. »Bindet mir lieber die Augen auf und laßt mich mit denen reden, deren Annäherung Ihr fürchtet. Sind es meine Freunde, wie es mir scheint, so will ich die Friedensvermittlerin zwischen Euch sein.«

»Ich verachte den Frieden,« sagte der Fremde. »Ich habe ein so entschlossenes und gewagtes Abenteuer kühn unternommen und sollte nun, wie es ein Kind beim Spielen macht, bei dem ersten Gedanken, es könnte unglücklich ablaufen, die Hand davon ziehen? Habt die Güte, vom Pferde zu steigen, edle Lady! oder vielmehr nennt es nicht ungütig, daß ich Euch vom Sattel hebe und auf den Rasen niedersetze.«

So wie er sprach, so fühlte sich auch Eveline vom Pferde gehoben und sorgfältig auf den Erdboden in sitzender Stellung niedergelassen. Den Augenblick darauf nahm ihr derselbe Mann, der sie vom Pferde herabgehoben hatte, den Hut ab, dieses Meisterstück der Dame Gillian, und dann den Mantel. »Ich muß Euch ferner ersuchen,« sagte der Banditenhauptmann, »auf Händen und Füßen in diese enge Oeffnung zu kriechen. Glaubt mir, es tut mir leid, daß ich Euch, der Sicherheit wegen, in eine so enge Festung bringen muß.«

Eveline kroch vorwärts, wie ihr geheißen worden war, indem sie wohl begriff, daß Widerstand hier von keinem Nutzen wäre und daß dieser Mann, der in gebietendem Tone sprach, sie gegen die zügellose Wut der Welschen in Schutz nehmen würde. Von den Wallisern aber durfte sie nichts Gutes erwarten, weil sie an Gwenwyns Tod schuld war, und um ihretwillen die Britonen unter den Wällen von Garde Douloureuse eine schwere Niederlage erlitten hatten.

Sie kroch durch einen engen, dumpfigen Gang, der zu beiden Seiten von unbehauenen Steinen gebildet und so niedrig war, daß man nur kriechend hineinkommen konnte. Als sie etwa neun Fuß vorwärts gedrungen war, dehnte sich dieser Durchgang zu einer Höhle oder Kammer aus, die sonst unregelmäßig und enge, dennoch hoch genug war, daß sie bequem darin sitzen konnte. Zu gleicher Zeit bemerkte sie an einem Geräusch hinter sich, daß die Räuber den Weg verrammelt hatten, durch den sie so in den Schoß der Erde gelangt war. Sie konnte ganz deutlich das Rasseln der Steine hören, womit sie den Eingang verschlossen, und sie merkte es, wie der frische Luftstrom, der zuvor durch die Oeffnung gedrungen war, allmählich aufhörte und die Atmosphäre dieses unterirdischen Gemaches immer dumpfiger, feuchter und drückender wurde.

In diesem Augenblick drangen entfernte Töne von draußen zu ihrem Ohre, in denen Eveline Geschrei, starke Schläge, Pferdegetrappel, Flüche, Jauchzen und Heulen von Fechtenden unterschied, aber alles klang gedämpft durch die Felsenmauer ihres Gefängnisses, wie ein verworrenes, hohles Gemurmel.

In so furchtbarer Lage durch Verzweiflung getrieben, arbeitete Eveline, fast mit der Kraft einer Wahnsinnigen, um sich zu befreien, so daß es ihr zum Teil gelang, ihre Arme aus den Banden herauszupressen. Aber dies allein genügte, sie zu überzeugen, daß eine Flucht unmöglich sei; denn als sie den Schleier wegriß, der ihr Haupt umhüllte, fand sie sich in der tiefsten Finsternis, und indem sie mit den Armen rasch umherfühlte, entdeckte sie, daß sie in einer unterirdischen, sehr engen Höhle eingesperrt war. Die Hände, mit denen sie umhertastete, fanden nur Stücke von verrostetem Metall, und noch etwas, das zu anderer Zeit ihr Entsetzen eingeflößt hätte, da es in der Tat nichts anders, als die Gebeine eines Toten waren. Jetzt konnte dieser Umstand kaum ihre Furcht vermehren, eingemauert wie sie sich wähnte, um eines gräßlichen Todes unter der Erde zu sterben, indes ihre Freunde und Befreier wahrscheinlich wenige Schritte von ihr entfernt waren. Wild streckte sie die Arme aus, um irgend eine Oeffnung zur Flucht zu finden, aber jeder Versuch, den sie machte, sich aus diesem lastenden Bau um sie her zu befreien, war so unwirksam, als hätte sie versucht, den Dom einer Kathedrale umzustoßen.

Der Lärm, den sie zuerst vernommen, nahm immermehr zu, und einen Augenblick schien es, als ob die Decke des Gewölbes, unter dem sie sich befand, von Gestampf oder Stößen widerhalle. Unmöglich hätte ein menschliches Gehirn diese Schrecken überstehen können; aber glücklicherweise dauerte dieser höchste Grad der Angst nicht lange. Töne, die immer hohler wurden und endlich in der Ferne erstarben, ließen erkennen, daß einer oder der andere Teil sich zurückgezogen hatte; zuletzt war es still.

Eveline konnte nun ihre schreckliche Lage ungestört erwägen. Das Gefecht war vorbei, und allem Anscheine nach waren ihre Freunde Sieger geblieben. Denn wäre es anders gewesen, so hätten die Sieger sie aus ihrem Gefängnisse befreit und ihre Gefangene mit sich genommen. Aber was konnte nun der Sieg ihrer treuen Freunde und Anhänger Evelinen nützen, die in einem verborgenen Winkel eingeschlossen war, wo sie niemand finden würde? Waren dann ihre Freunde abgezogen, so kehrten gewiß die Feinde zurück, und sie fiel ihnen aufs neue in die Hände, oder aber sie starb in Finsternis und Einsamkeit eines gräßlichen Todes. Daran konnte das unglückliche Mädchen nicht denken, ohne ein Gebet zum Himmel zu schicken, daß wenigstens ihre Todesangst abgekürzt werden möge.

In dieser furchtbaren Stunde gedachte sie des Dolches, den sie trug, und der finstere Gedanke durchzuckte ihre Seele, daß, wenn jede Hoffnung des Lebens schwände, es wenigstens in ihrer Hand läge, sich einen schnellen Tod zu geben. Als ihre Seele bei diesem traurigen Troste zusammenschauerte, drängte sich plötzlich die Frage vor, ob sie diese Waffe nicht zu ihrer Befreiung benützen könnte, statt damit ihre Leiden auf einmal zu endigen?

Sobald diese Hoffnung einmal gefaßt war, so zauderte auch die Tochter Raymond Berengers nicht, den Versuch zu machen, und es gelang ihr durch wiederholte Anstrengung, wiewohl mit großer Beschwerde, ihre Stellung zu verändern, so daß sie den Raum ihres Kerkers ringsumher umschauen und besonders den Gang finden konnte, durch den sie hereingekommen war, und nun wieder zum Tageslicht zurückzukehren versuchen wollte. Sie kroch bis zum äußersten Ende und fand, wie sie erwartete, die Oeffnung mit großen Steinen und Erde versperrt, die so zusammengestampft waren, daß gegenüber diesem Wall alle Hoffnung auf Flucht schwinden mußte. Doch war die Mauer sehr schnell errichtet worden, und Leib und Leben waren ja ein Preis, um den man alle Kräfte wohl aufbieten konnte. Mit ihrem Dolche schaffte sie die Erde und die Rasenstücke weg, und mit den Händen, die an solche Arbeit nicht gewöhnt waren, schob sie mehrere Steine fort, bis sie schließlich einen Schimmer von Licht sah und, was nicht weniger kostbar war, ein wenig frische Luft schöpfen konnte. Aber zu gleicher Zeit mußte sie erkennen, daß die Größe und Schwere eines gewaltigen Steines, der den Durchgang von außen schloß, ihr jede Hoffnung raubte. Hier konnten ihre Kräfte allein, ohne einen Beistand von außen, nichts mehr ausrichten. Doch war ihr Zustand jetzt wenigstens erträglich: denn sie hatte nun wenigstens Luft und Licht und konnte vielleicht auch jemand zur Hilfe rufen.

Aber ein solches Geschrei um Hilfe stieß sie eine Zeitlang vergebens aus – wahrscheinlich lagen nur Tote oder Sterbende in der Nähe; denn leise, unverständliche Klagelaute waren einige Minuten lang die einzige Antwort, die sie erhielt. Endlich, als sie wiederholt rief, sprach eine schwache Stimme, wie die eines Menschen, der eben aus einer Ohnmacht erwacht, folgende Worte: »Edris aus dem unterirdischen Hause, rufst Du aus Deiner Gruft den Elenden, der zu seiner eigenen hinabeilt? – Sind die Schranken zerbrochen, die mich mit den Lebenden zusammenhielten? – Höre ich schon mit meinen leiblichen Ohren die schwachen Klagelaute der Toten?«

»Es ist kein Geist, der hier spricht,« erwiderte Eveline überfroh, daß sie endlich einem lebenden Wesen sagen konnte, wo sie sich befand, »kein Geist, sondern ein sehr unglückliches Mädchen, namens Eveline Berenger, eingemauert in diesem dunklen Gewölbe und in Gefahr, gräßlich umzukommen, wenn Gott nicht Erlösung sendet.«

»Eveline Berenger!« rief derjenige, zu welchem sie sprach, mit dem Tone der Verwunderung. – »Es ist unmöglich. – Ich sah ihren grünen Mantel – ihren Federhut, als die Feinde mit ihr davonjagten und ich nicht imstande war, sie zu retten.«

»Getreuer Vasall, oder besser getreuer Freund, oder freundlicher Fremdling, oder wie ich Dich nennen soll,« erwiderte Eveline, »wisse, Du bist durch die List der Walliser Räuber getäuscht worden, Mantel und Hut Eveline Berengers haben sie in der Tat bei sich, aber sie haben sie nur gebraucht, meine treuen Freunde, die wie Du um mein Schicksal besorgt sind, irre zu führen. Deshalb, tapferer Herr, ersinne irgend eine Hilfe, wenn Du kannst, für Dich und mich. Denn ich fürchte, wenn die Räuber der Verfolgung entronnen sind, so kehren sie hierher zurück wie der Dieb zu dem Schlupfwinkel, in dem er das gestohlene Gut niedergelegt hat.«

»Nun, die heilige Jungfrau sei gepriesen,« sagte der verwundete Mann, »daß ich mit dem letzten Atemzug noch Dir einen Dienst erweisen kann. Ich wollte zuvor nicht ins Horn stoßen, um niemand von den Verfolgern zurückzurufen, weil ich glaubte, sie könnten Dich retten. Gebe der Himmel, daß der Ruf jetzt gehört und meine Augen noch Lady Eveline in Freiheit und Sicherheit sehen mögen!«

In so schwachem Tone auch diese Worte gesprochen wurden, so atmeten sie doch eine wahre Begeisterung, und nun folgte ein Stoß in ein Horn, das nur sehr schwach ertönte und keine Antwort als nur den Widerhall aus der Grube selbst erhielt. Jetzt wurde schärfer und lauter ins Horn gestoßen, doch brach der Ton so plötzlich ab, daß es schien, der Atem habe den Verwundeten mitten in der Anstrengung verlassen. – Ein sonderbarer Gedanke ging in diesem Augenblick der Ungewißheit und des Schreckens durch Evelinens Seele. – »Das,« sagte sie, – »war das Signal eines de Lacy. – Ihr seid doch nicht mein edler Verwandter, Sir Damian?«

»Ich bin der unglückliche Elende, der den Tod dafür verdient, daß er für seine Schutzbefohlene so schlecht gesorgt hat. – Wie konnte ich nur unbekannten Boten trauen? – Ich hätte die Heilige, welche meinem Schutz übergeben war, stets mit wachsamem Blick anbeten sollen. Nirgends hätte ich verweilen sollen, als an Eurem Tore, länger davor wachen, als der glänzendste Stern am Himmel. Ungesehen und von keinem gekannt, hätte ich nie aus Eurer Nähe weichen sollen. Dann wärt Ihr nicht in die gegenwärtige Gefahr geraten, und Du, Damian de Lacy, wärst nicht als meineidiger, nachlässiger Schurke in die Gruft gefahren!«

»Ach, edler Damian,« sagte Eveline, »brecht nicht mein Herz, indem Ihr Euch einer Unbesonnenheit wegen tadelt, die ganz meine Schuld ist. Eure Hilfe war immer nahe, sobald ich nur einen Wink gab, daß ich ihrer bedürfe; und es verbittert mein eigenes Unglück, daß meine Uebereilung die Ursache Eures Unfalles ist. Antwortet mir, teurer Verwandter, und laßt mich hoffen, daß die Wunden, die Ihr erhalten habt, geheilt werden können. – Ach! wieviel von Eurem Blute sah ich schon fließen, wie grausam ist doch mein Geschick! Stets muß ich Kummer über all diejenigen bringen, für welche ich gern mein eigenes Glück aufopfern wollte! aber laßt uns nicht die uns durch des Himmels Gnade gegönnten Augenblicke in fruchtloser Reue verbringen. –Versuche alles, was Du kannst, Dein Blut zu stillen, das so kostbar ist – für England – für Eveline – für Deinen Oheim.«

Damian seufzte, als sie sprach und schwieg; während Eveline halb wahnsinnig bei dem Gedanken, er könne aus Mangel an Hilfe umkommen, ihre Anstrengungen verdoppelte, sich zum Heil ihres Verwandten und ihrer eigenen Rettung hinauszuarbeiten. Es war alles vergebens, verzweifelnd gab sie ihre Versuche auf, und von einem gräßlichen Gegenstande des Schreckens zum andern übergehend, lauschte sie mit geschärftem Ohr den sterbenden Seufzern des edlen Damians, als – welches Entzücken! – Pferdegetrappel schnell sich näherte. Doch wenn auch dieser freudvolle Ton ihr Erlösung aus dem Grabe verhieß, würde er ihr auch die Freiheit bringen? Es konnten ja die räuberischen Bergbewohner sein, die zurückkehrten, ihre Gefangene zu holen. Aber auch diese würden ihr erlaubt haben, die Wunden Damian de Lacys zu untersuchen und zu verbinden; denn es konnte ihnen weit mehr Vorteil bringen, ihn als Gefangenen zu behalten, als ihn zu töten. Ein Reiter kam herbei, Eveline rief ihn um Beistand an, und das erste Wort, das sie hörte, war ein flamländischer Ausruf des getreuen Wilkin Flammock – ein Ruf, den nur dieses Schauspiel höchst ungewöhnlicher Art dem phlegmatischen Manne entreißen konnte.

Als er von Lady Eveline vernahm, in welcher Lage sie sich befände, und von ihr zugleich beschworen wurde, den Zustand Damian de Lacys genau zu untersuchen, begann er mit bewunderungswürdiger Fassung und einiger Sachkenntnis die Wunden des einen zu verbinden, während seine Begleiter einen Hebebaum herbeibrachten, welchen die Welschen bei ihrem Rückzuge zurückgelassen hatten, und bald imstande waren, an der Befreiung Evelinens zu arbeiten. Mit großer Vorsicht und unter der erfahrenen Leitung Flammocks wurde der Stein endlich so lange gehoben, daß man Eveline sehen konnte. Groß war das Entzücken aller, besonders ihrer treuen Rose, die ohne Rücksicht auf persönliche Gefahr um den Kerker ihrer Gebieterin herumflatterte, wie ein seiner Jungen beraubter Vogel um den Käfig, in den ein mutwilliger Bube sie gefangen hält. Große Vorsicht war notwendig, als man nun den Stein aufhob, weil er leicht nach innen fallen und die Lady beschädigen konnte.

Endlich war das Felsenstück so hoch gelüftet, daß sie hinaus konnte, während ihre Leute aus Wut über ihre erlittene Einsperrung nicht aufhörten mit Stangen und Hebebäumen zu arbeiten, bis sie den schweren Block aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Nun stürzte der große Stein, der die Oeffnung des unterirdischen Ganges versperrt hatte, nach der Seite über und begann den steilen Abhang hinunterzurollen. Immer schneller kollerte und krachte und donnerte er den Berg hinab, mitten unter Feuerfunken, die er aus den Felsen schlug, unter Wolken von Rauch und Staub, bis er endlich in das Bett eines Waldbachs schlug, wo er in fünf große Stücke zerschellte, mit einem Gekrach, das wohl drei Meilen weit gehört werden konnte.

Mit zerrissenen und beschmutzten Gewändern, mit aufgelöstem Haare, erschöpft von dem Aufenthalt in ihrem stickigen Kerker und von der Anstrengung, sich zu befreien, verwandte Eveline doch nicht eine Minute dazu, auf ihren eigenen Zustand zu achten; nein, mit dem Eifer einer Schwester, die ihrem einzigen Bruder zu Hilfe eilt, ließ sie es sich angelegen sein, die schweren Wunden Damians de Lacy zu untersuchen, den Bluterguß zu stillen und ihn aus seiner Ohnmacht zu wecken. Wir haben es anderswo gesagt, daß gleich andern Frauen jener Zeit Eveline in der Wundarzneikunst nicht unerfahren war, und jetzt entwickelte sie noch größere Kenntnisse, als man ihr zugetraut. In jeder ihrer Anordnungen lag Klugheit, Umsicht und Zartgefühl; und die Sanftmut des weiblichen Geschlechts, die nimmermüde Menschenliebe, die stets bereit ist, das Elend zu mildern, wo sie es findet, schien in ihr durch den Scharfsinn eines energischen Verstandes noch auf eine höhere, würdevollere Stufe gehoben. Nachdem Rose ein paar Minuten bewundernd die klugen, sinnreichen Anordnungen ihrer Gebieterin angehört hatte, schien es ihr plötzlich einzufallen, daß der Kranke nicht der ausschließlichen Sorge Evelinens allein überlassen werden dürfte; sie ging ihr daher zur Hand und leistete ihr Beistand, soviel sie konnte, wahrend die Diener eine Bahre anfertigten, auf der der verwundete Ritter nach dem Schlosse von Garde Douloureuse gebracht wurde.

Neuntes Kapitel

Der Platz, auf dem das Scharmützel sich abgespielt und Lady Evelinens Befreiung stattgefunden hatte, war eine wilde, abgelegene Stelle, eine kleine, ganz ebene Fläche zwischen zwei sehr rauhen Fußpfaden, von denen der eine sich längs des Flusses hinzog; der andere aber weiter emporführte. Von Bergen und Gehölz umgeben, war diese Stelle besonders reich an Wild, und in früheren Zeiten hatte ein Walliser Fürst, der durch seine allgemeine Gastlichkeit, seine Liebe zur Jagd berühmt geworden, hier ein Jagdhaus errichtet, wo er seine Freunde und Anhänger mit einer Verschwendung, die in Cambria ohne Beispiel war, zu bewirten pflegte.

Die Phantasie der Barden, denen alle Pracht imponierte und die besondere Art von Verschwendung gefiel, die dieser Fürst betrieb, hatte ihm den Beinamen Edris von den Bechern gegeben, und sie erhoben ihn in ihren Gesängen mit so hohen Lobsprüchen, wie nur noch die Helden des weitberühmten Hirlas Horn gepriesen worden waren. Der so schwärmerisch besungene Zecher und Nimrod fiel endlich als ein Opfer seiner Schwelgereien, indem er bei einem Zwist, der nach einem wüsten Gelage ausbrach, erstochen wurde. Empört über dieses Ereignis begruben die versammelten Briten die Leiche des Fürsten an dem Ort, wo er starb, eben in jenem engen Gewölbe, in welchem Eveline eingekerkert war. Nachdem sie den Eingang der Grabesstelle mit Felsstücken gesperrt hatten, türmten sie darüber einen ungeheuren Cairn oder Steinhaufen als Grabhügel, auf dessen Spitze sie dem Mörder den Tod gaben. Aberglaube wob manche Schrecken um den Ort; viele Jahre blieb dieses Denkmal des Edris unverletzt, obgleich das Jagdhaus in Trümmer zerfallen und jede Spur davon erloschen war. In spätern Jahren hatte eine herumstreifende Bande welscher Räuber den geheimen Eingang entdeckt und ihn in der Absicht geöffnet, die Gruft nach Waffen und Schätzen zu durchwühlen, die in alten Zeiten oft mit den Toten begraben wurden. Sie täuschten sich und erhielten durch diese Entweihung des Grabes nichts weiter, als die Kenntnis dieser geheimen Stelle, die sehr gut zum Versteck geraubter Beute oder auch im Notfall einem Flüchtling als Zufluchtsort dienen konnte.

Als die Begleiter Damians, fünf oder sechs an der Zahl, dem Wilkin Flammock mitteilten, was ihnen an diesem Tage zugestoßen, so ging daraus hervor, daß Damian Befehl gegeben, mit Tagesanbruch aufzusitzen, und zwar in viel größerer Anzahl, um, wie sie verstanden hatten, gegen eine Bande rebellischer Bauern aufzubrechen. Doch plötzlich habe er seine Meinung geändert, seine Mannschaft in kleinere Abteilungen getrennt und von ihnen mehrere Bergpässe zwischen Wales und den Marken in der Nähe von Garde Douloureuse durchsuchen lassen. Dies pflegte er so oft zu tun, daß niemand etwas Auffallendes darin fand. Oft wurden dergleichen Streifzüge von den kriegerischen Herren der Marken unternommen, um teils die Walliser allesamt, besonders aber die gesetzlosen Banden, die, keiner regelmäßigen Herrschaft untertan, diese wilden Grenzen beunruhigten, in Furcht zu erhalten.

Es war ungefähr um die Mittagszeit, als Damian und seine Begleiter, weil es das gute Glück wollte, auf einen der flüchtigen Reitknechte stießen und die Nachricht von dem Unglück der Lady Eveline erhielten. Bei ihrer vollkommenen Kenntnis der Gegend waren sie imstande, den Räubern im Paß von Edris, wie er genannt wurde, durch den sie gewöhnlich ins Innere des Landes zurückkehrten, den Weg abzuschneiden. Wahrscheinlich hatten die Räuber nicht die geringe Zahl erkannt, an deren Spitze Damian stand, und da sie wußten, daß ihnen eine heiße Verfolgung bevorstand, war der Anführer auf den sonderbaren Gedanken gekommen, Evelinen in dem Grabmal zu verstecken, während einer von den Räubern Evelinens Hut und Mantel antun mußte, um die Angreifer zu täuschen und sie von der Stelle, wo sie wirklich verborgen war, hinwegzulocken. Dahin wollten dann die Räuber zurückkehren, sobald sie ihren Verfolgern entgangen wären.

Demzufolge hatten sie sich zu einem regelmäßigen Rückzug vor dem Grabmal aufgestellt, von wo aus sie entweder einen zur Verteidigung geeigneten Platz finden, oder, wenn sie überwunden würden, ihre Pferde verlassen und sich zwischen den Felsen zerstreuen konnten, um den Angriffen der normannischen Reiterei zu entgehen. Ihr Plan wurde durch die Schnelligkeit Damians vereitelt, der, als er Evelinens Hut und Mantel unter den Fliehenden gewahrte, sie wütend angriff, ohne die geringste Rücksicht, auf ihre Ueberzahl oder auf seine leichte Rüstung zu nehmen, die einzig aus einem Helm und einem büffelledernen Wams bestand – gegen die welschen Messer und Spieße eine sehr unzulängliche Deckung. So wurde er beim Angriff schwer verwundet, und er wäre umgekommen, wenn seine Begleiter sich nicht aufs äußerste angestrengt, und die Walliser nicht gefürchtet hätten, daß, während sie von vorne den Kampf fortsetzten, sie im Rücken von Evelinens Vasallen angegriffen werden könnten, die jetzt wahrscheinlich schon alle unter den Waffen und auf dem Marsche wären. Sie zogen sich also zurück oder flohen vielmehr, und Damians Leute setzten auf Befehl ihres verwundeten Herrn ihnen nach, mit der ausdrücklichen Weisung, unter keiner Bedingung von der Verfolgung abzulassen, bis die gefangene Lady von Garde Douloureuse ihren Entführern entrissen sei.

Dank ihrer genauen Kenntnis der Nebenwege und der Gewandtheit ihrer kleinen Pferde gelang es allen Wallisern, zu entkommen, zwei oder drei ausgenommen, die Damian bei seinem wütenden Angriff niederhieb. Von Zeit zu Zeit schossen sie Pfeile gegen die Verfolgenden ab und lachten über die nutzlosen Bemühungen der schwer bewaffneten Krieger, mit ihren gepanzerten Rossen sie einzuholen. Aber die Sachlage änderte sich, als Wilkin Flammock auf seinem mächtigen Streitrosse an der Spitze von Fußvolk und Reiterei erschien und den Bergpaß zu erklimmen begann. Die Furcht, sich abgeschnitten zu sehen, veranlaßte die Landstreicher, ihre Zuflucht zu ihrer letzten Kriegslist zu nehmen; sie ließen ihre welschen Klepper laufen, sie selbst flüchteten sich in die Felsen, und die Mehrzahl wußte sich, dank ihrer Schnellfüßigkeit und Gewandtheit im Klettern den Verfolgern zu entziehen. Doch nicht alle waren so glücklich, einige fielen Flammocks Leuten in die Hände, unter andern, der, den man mit Evelinens Hut und Mantel angetan hatte. Wie groß war die Ueberraschung derer, die gerade ihm auf den Fersen gefolgt waren, als sie nun nicht die Lady erblickten, die sie befreien wollten, sondern einen schön gelockten jungen Walliser, der, nach seinen wilden Blicken und unzusammenhängenden Reden zu schließen, nicht recht bei Verstande zu sein schien. Dies wäre jedoch kein Anlaß gewesen, ihn nicht auf der Stelle zu töten – wie es stets denen erging, die in solchen Scharmützeln gefangen genommen wurden, hätte nicht Damians schwacher Stoß ins Horn, dessen Leute zurückgerufen und Wilkin Flammock bewogen, Halt zu machen. In der allgemeinen Verwirrung, dem Hornruf so rasch wie möglich Folge zu leisten, kümmerten die Leute sich nicht um den Gefangenen, dem es nun glückte, zu entrinnen; auch hätten sie in der Tat wenig von ihm erfahren, wäre er auch imstande gewesen, ihnen etwas mitzuteilen. Alle waren indessen überzeugt, ihre Gebieterin sei einem Hinterhalt Dawfyds des Einäugigen, eines gefürchteten Freibeuters jener Zeit, in die Hände gefallen, der dieses kühne Unternehmen in der Hoffnung auf ein reiches Lösegeld gewagt hatte, und über diese kühne Frechheit höchst erbittert, weihten sie sein Haupt und seine Glieder dem Adler und dem Raben.

All diese Einzelheiten teilten sich nun die Leute Flammocks und Damians gegenseitig mit. Als sie am roten Teiche entlang zurückkehrten, trafen sie mit Frau Gillian zusammen, die ihrer Freude über die glückliche Rettung ihrer Gebieterin und ihrem Schmerze über den unerwarteten Unfall Damians in lauten Rufen Luft machte. Sie erzählte dann den Kriegern, daß den Kaufmann, dessen Falken an all diesen Begebenheiten schuld wären, einige Walliser auf ihrem Rückzuge gefangen mit sich genommen hätten, und daß sie selbst und der verwundete Raoul das gleiche Schicksal erlitten haben würden, nur daß die Feinde kein Pferd übrig gehabt hätten, sie mitzunehmen. Von dem alten Raoul hätten sie sich wohl kein Lösegeld versprochen, und ihn zu erschlagen, mochten sie nicht der Mühe wert gehalten haben. Einer hätte zwar wirklich einen Stein nach ihm geworfen, aber unglücklicherweise, sagte die Dame, verfehlte er sein Ziel. »Es war nur ein kleines Kerlchen, der den Stein warf,« sagte sie. »Da war ein großer langer Mann unter ihnen; hätte der den Wurf getan, so wäre es mit Unserer Frauen Hilfe wohl anders gekommen.« Mit diesen Worten machte sie sich auf und ordnete ihre Kleidung, um sich wieder zu Pferde zu setzen.

Der verwundete Damian wurde nun auf die aus Baumzweigen schnell zusammengesetzte Tragbahre gelegt und nebst den Frauen in die Mitte des kleinen Trupps genommen, an den sich die übrige Mannschaft des jungen Ritters anschloß, die sich nach und nach zusammenfand. Die vereinte Schar zog nun mit militärischer Ordnung ab und durchschritt die Pässe mit aller Vorsicht, stets darauf gefaßt, nochmals auf den Feind zu stoßen.

Zehntes Kapitel

Rose, von Natur eines der uneigennützigsten und liebevollsten Mädchen, überlegte schnell, in welcher eigentümlichen Lage ihre Gebieterin sich befand und wie große Zurückhaltung bisher zwischen ihr und ihrem jugendlichen Schirmvogt bestanden hatte. Sie stellte daher sogleich ihre Betrachtungen darüber an, was nun mit dem verwundeten Ritter geschehen sollte. Doch als sie zu Eveline heranritt, um ihr diese wichtige Frage vorzulegen, fehlte ihr fast der Mut dazu.

Auch war Eveline von dem Abenteuer so angegriffen, daß es fast eine Grausamkeit gewesen wäre, ihr Augenmerk auf irgendwelchen Gegenstand der Sorge zu lenken, bevor sie Zeit gefunden, sich von der eben noch ausgestandenen Angst zu erholen. Ihr Angesicht war totenbleich, außer wo es mit Blutstropfen befleckt war: ihr Schleier war zerrissen und in Unordnung, beschmutzt mit Staub und geronnenem Blut; ihr wild zerzaustes Haar fiel in verwirrten Locken auf Stirn und Schulter; eine einzige zerknickte Feder war alles, was von ihrem Reithut übrig geblieben, und hatte sich in ihrem Haar verfangen, wo sie nun, mehr zum Spott als zum Schmucke, im Winde flatterte. Ihre Augen hefteten sich auf die Bahre, auf welcher Damian lag, sie ritt dicht an seiner Seite, ohne dem Anschein nach für irgend etwas anderes, als für die Gefahr dessen, der hier ausgestreckt lag, Sinn zu haben.

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