Walter Scott

... wurde am 15. August 1771 zu Edinburgh geboren als neunter Sohn des Sachwalters Walter Scott, eines Abkömmlings des altberühmten, in ferne Zeiten zurückreichenden »Clans« der Scotts und seiner Ehefrau Anne, eines Sprößlings der ebenfalls uralten schottischen Familie der Rutherfords. Ein echtes Kind der Hochlande und von Abstammung somit aus reinstem Schottenblut, entwirft er selber einmal von seinen Ahnen die launige Charakteristik: »Mein Großvater war ein Pferde- und Viehhändler und hat sich ein Vermögen erworben; mein Urgroßvater war ein Jakobit und Verräter (so hieß man sie damals) und hat ein Vermögen durchgebracht. Vor diesem kamen ein paar halbverhungerte »Lairds«, die auf abgehetzten Gäulen ritten und hinter denen noch abgehetztere Jagdhunde trotteten. Die knauserten mit Mühe von hundert Pächtern hundert Pfund heraus, duellierten sich, trugen die Hüte herausfordernd auf den Ohren und nannten sich »edle Herren«. Dann kommen wir zu den alten Grenzerzeiten, wo sie Vieh stahlen und an den Galgen kamen und so weiter, wo, wie ich fürchte, von Ehrsamkeit, im modernen Sinne des Wortes, kaum die Rede sein kann.«

Das beste Denkmal hat Walter Scott seiner Familie in seinen eigenen Werken gesetzt, in denen er fast alle seine Ahnen rühmend geschildert und verherrlicht hat – wie es dem alten Glanze eines so untadelhaften Stammbaumes gebührte, auf den selbst ein so hervorragender Abkömmling wie Sir Walter, der Vater des historischen Romans, mit Recht stolz sein durfte.

Der Vater Sir Walters war das erste Mitglied der Familie, der das Land verließ und in die Stadt zog. Sein Beruf als »writer« nötigte ihn hierzu. Diese »writers« sind Rechtsgelehrte zweiter Klasse – welche lediglich das Material für Prozesse vorbereiten und durcharbeiten, aber nicht persönlich an den Verhandlungen teilnehmen. Sir Walters Vater hatte sich 1758, 29 Jahre alt, mit Anne Rutherford verheiratet, einer Tochter des Mediziners Dr. Rutherford, die von hoher Bildung und poetischer Veranlagung war.

Der Ehe entsprangen zwölf Kinder, von denen die ersten sechs in zartem Alter starben. Das neunte, unser Dichter, war ein gesundes und kräftiges Kind, das aber von einer Krankheit im zweiten Lebensjahre her eine Lähmung des rechten Beines zurückbehielt – ein Körperfehler, den er mit seinem großen Nebenbuhler und Kameraden Lord Byron teilte, den er aber im Gegensatz zu der nervösen Verbitterung dieses Schöngeistes mit robuster Gleichgültigkeit ertrug.

Zu seiner Stärkung kam das Kind auf das Gut des Großvaters Robert Scott nach Sandy-Knowe. Der Aufenthalt hier ist für seine geistige Entwicklung von grundlegender Bedeutung. Hier war er auf dem Heimatsboden seiner Ahnen und seiner Poesie. Hier in der patriarchalischen Umgebung eines altschottischen Grundsitzes, im täglichen Anblick einer romantischen Landschaft, über der Sagen und Märchen webten, im täglichen Umgang mit Hirten und Mägden und andern echten Kindern des schottischen Volkes sog er tiefe Liebe zur Natur seiner Heimat und zu den Legenden seines Volkes ein.

Es zeigte sich jedoch, daß dieser Aufenthalt für sein Fußleiden nicht vorteilhaft war, und die Eltern schickten den Knaben mit seiner Tante Johanna nach Bath, wo er die heißen Quellen gebrauchte. Während des fast ein Jahr währenden Aufenthalts in diesem Modebad besuchte er eine Elementarschule und lernte lesen. Nach Edinburgh zurückgekehrt, kam er aufs Gymnasium. Er hat sich als Schüler nicht sonderlich hervorgetan, war aber groß in allen Spielen – gleichfalls eine Eigenschaft, die er mit Lord Byron gemein hatte. Unter seinen Kameraden war er besonders beliebt, weil er wie kein andrer allerlei Geschichten und Märchen zu erzählen verstand.

Vom 13. Lebensjahre ab besuchte er die Universität in Edinburgh, um seine humanistische Bildung zu vollenden. Dieses Studium währte drei Jahre und blieb infolge der Übereilung, die von Walters Vater ausging, unvollständig, obendrein wurde es noch durch eine Krankheit unterbrochen – die Sprengung eines Blutgefäßes, die ihn wochenlang ans Bett fesselte.

Diese Krankheit warf ihn, wie er selber sagte, »wieder ins Reich der Dichtung zurück«, und er benutzte diese Zeit unfreiwilligen Müßiggangs zur Vervollständigung seiner literarischen Kenntnisse. In diese Zeit fallen auch seine ersten dichterischen Versuche – lyrische und episch-romantische Stammeleien, die er später selber vernichtete.

Im Jahre 1786 nahm ihn der Vater als Lehrling in sein Geschäft auf und Walter wurde laut förmlichem Kontrakt auf fünf Jahre verpflichtet. In diese Lehrjahre fällt seine erste Jugendliebe zu Margareta, der Tochter des Baronets John Stuart Belcher. Die dem Mädchen gewidmeten Gedichte hat er später gleichfalls selber vernichtet.

Der Beruf seines Vaters vermochte ihn nicht zu befriedigen. Der Vater löste 1789 den Vertrag und erklärte sich damit einverstanden, daß Walter abermals die Universität bezog, um sich dem Studium der höheren Rechtswissenschaft zu widmen. 1792 bestand Walter dann die Advokaten-Prüfung und wurde in die Fakultät feierlich aufgenommen. Hiermit kam sein Jünglingsalter zum Abschluß, und er trat ins bürgerliche Leben ein.

»Sein Jünglingsalter«, schreibt Elze, »verrät in keiner Weise den künftigen Dichter, sondern zeigt nur den jungen Gentleman. Wir sehen da keine Sturm- und Drangperiode wie bei Goethe, keine gewaltsame Selbstbefreiung wie bei Schiller; keine jugendlichen Fehltritte und dadurch herbeigeführte Losreißung von Haus und Familie wie bei Shakespeare; keine die Schranken überspringende Eigenwilligkeit und wilde Melancholie wie bei Byron; alles bewegt sich bei ihm glatt und eben in dem natürlichen Geleise des gesellschaftlichen Lebens, und wer das Genie eines Dichters an dem gewaltsamen Durchbruche seines Jünglingsalters erkennt, der muß Walter Scott allerdings jeden Funken Genie absprechen. Scott hat nie mit der Gesellschaft gebrochen, und warum hätte er es gesollt? Das Feld für seine Tätigkeit und seinen Ehrgeiz war so geräumig, als er es sich nur wünschen konnte.«

Seinem Advokatenberuf widmete er sich mit großem Eifer, scheint es indessen nie zu einer großen Praxis gebracht zu haben. Von weit größerer Bedeutung war die Art und Weise, wie er seine Mußestunden verwertete. Seine literarischen Neigungen führten ihn zum Studium der deutschen Sprache, dem wir vorzügliche Übersetzungen von Götz von Berlichingen, mehreren Ritterschauspielen und namentlich einigen Balladen Bürgers (»Lenore«, »Der wilde Jäger«) verdanken. Die Gerichtsferien brachte er in seinem heimischen Hochlande zu, das er zu Roß und zu Fuß unermüdlich durchquerte, immer neu an dem alten Sagenbrunnen sich labend.

Im Jahre 1797 lernte Walter Scott Charlotte Margarete Carpenter (die englische Umbildung ihres eigentlichen Namens Charpentier) kennen, die Tochter eines französischen Beamten, dessen Witwe mit ihrem Kinde während der Revolution nach England entkommen war. Sie wurde im selben Jahre seine Braut und Gattin.

Die ersten zwei Jahre nach der Trauung verlebte das junge Paar in Laßwade im Esktale. Hier widmete er sich von neuem der Literatur und lieferte zu einer von Lewis herausgegebenen Sammlung »Wunderbare Geschichten« einige poetische Beiträge.

1799 wurde er zum Sheriff von Selkirkshire ernannt. Im Jahre 1802 veröffentlichte er dann, nachdem die Bekanntschaft mit dem Buchdrucker und Zeitungsverleger James Ballantyne den Anstoß dazu gegeben hatte, seine erste Arbeit, eine Sammlung schottischer Volkslieder unter dem Titel: »Die Volksdichtung des schottischen Grenzgebietes« in zwei Bänden, denen 1803 ein dritter folgte. Im Jahre 1804 verließ er Laßwade und zog nach dem Gute Ashestiel am Tweed. Die von seinem Oheim Robert ererbte Besitzung Rosebank hatte er verkauft und dafür das obengenannte Gut, gleichfalls einem seiner Oheime gehörig, der zur selben Zeit starb, in Pacht genommen. Hier vollendete er das schon in Laßwade begonnene Werk »Lied des letzten fahrenden Sängers«, das den Dichter mit einem Schlage berühmt machte.

Diese Dichtung ist der Anfang zu einer großen Reihe romantisch-epischer Dichtungen, die sich auf zwölf Jahre erstreckt: Marmion (1808), Die Jungfrau vom See (1810), Die Vision Don Roderichs (1811), Roteby (1812), Die Hochzeit von Triermain (1813), Der Herr der Inseln (1815), Das Schlachtfeld von Waterloo (1815) und Harold, der Furchtlose (1817).

Im Jahre 1812 war ein neues blendendes Gestirn am literarischen Himmel aufgegangen: ein Meteor, das durch sein blendendes Licht alle andern überstrahlte. Die ersten Gesänge von Lord Byrons »Thilde Harold« waren erschienen und hatten die Aufmerksamkeit nicht nur Englands, sondern der ganzen gebildeten Welt auf den jungen Dichterlord gelenkt, neben dessen poetischer Zaubermacht kein andrer bestehen konnte.

Den vorzüglichsten Beweis für seine eigne Reife erbrachte Walter Scott damit, daß er den Thron des Dichters diesem neuen ihm überlegenen Genius neidlos einräumte und die poetische Dichtung aufgab, indem er erklärte: »Ich habe die Poesie aufgegeben, weil Lord Byron mich aus dem Sattel hob, mich übertraf in Beschreibung starker Leidenschaften und in tiefer Kenntnis des menschlichen Herzens.«

Auch in Walter Scotts äußeren Verhältnissen war eine Änderung vor sich gegangen. Seine Werke hatten ihm bisher viel Honorar eingebracht, aber er hat es auch selber zugestanden, daß er nur um Geld schrieb, wie er denn auch ohne Rücksicht auf innere Neigung Arbeiten übernahm, die eine gute Einnahme versprachen. Passionen, die ihm zur zweiten Natur gehörten, wie Reiten, Jagen und Fischen, und jene ihm unentbehrliche Lebensart eines schottischen Edelmannes erforderten viel Geld, und Scott verstand es denn auch, in seinem stets praktischen Sinne sein Genie wie keiner vor ihm auszumünzen. Seine Honorare sind in der Tat enorm, und noch nie zuvor waren für Werke des Geistes ähnliche Summen herausgeschlagen worden. Aber die ständige Sorge, seine Kraft möchte erlahmen bei der Hast, in der er zu arbeiten pflegte, machte die poetische Ader bald versiegen, ließ den Dichter sich gleichzeitig nach einem einträglichen Amt umtun, und dies erhielt er in der Anstellung eines Sekretärs des Sitzungshofes, die mit einem Gehalt von 26 000 Mark jährlich verbunden war. Seine stets nicht sehr lohnende Rechtsanwaltspraxis gab er auf.

Zur gleichen Zeit kam er, ebenfalls in dem Bestreben, die ohnehin bedeutenden Erträge seiner Arbeiten zu steigern, auf den verhängnisvollen Gedanken, sich in dem Geschäft seiner Verleger als stillen Teilhaber eintragen zu lassen und sich an der Firma John Ballantyne & Co. finanziell zu beteiligen. Der Anfang dieses geschäftlichen Verhältnisses fällt bereits in das Jahr 1802. Durch größere Vorschüsse hatte er es seinem Verleger James Ballantyne ermöglicht, nach Edinburgh zu ziehen und sein Geschäft zu vergrößern. Das Verlangen, sich andern Verlegern gegenüber auf festen Fuß zu stellen, führte nun dazu, daß er den Bruder James Ballantynes, John, bewog, ein eignes Verlagshaus mit Druckerei zu gründen und ihn als stillen Teilhaber in dieses Geschäft aufzunehmen. Dies geschah 1809, aber schon vom Jahre 1805 ab hatte Scott etwa 9000 Pfund in die Druckerei und den Verlag von James Ballantyne hineingesteckt. Seine Teilhaberschaft an dem Geschäfte John Ballantynes blieb Geheimnis, bis der Zusammenbruch des Geschäftes zur Entdeckung des Verhältnisses führte. Zunächst brachte diese Geschäftsverbindung neue schriftstellerische Arbeiten größern Umfanges mit sich. Die riesenhafte Arbeitskraft Walters begann sich in ihrer ganzen imposanten Regsamkeit zu entfalten.

Die Gebrüder Ballantyne waren in der Tat des Dichters Verhängnis, und es ist unbegreiflich, wie der sonst so sehr mit praktischem Sinn begabte Mann so völlig in ihre Netze fallen konnte. Diese Leute haben in der Tat von seinem Gelde gelebt, und während der eine sich garnicht um das Geschäft kümmerte, verstand der andre nichts davon. Die Vorschüsse, die Walter Scott leistete, gehen ins Unberechenbare. Im Jahre 1813 wurde das Geschäft John Ballantynes aufgelöst, und für die über 200000 Mark betragenden Schulden mußte das Haus James Ballantyne & Co., das heißt vorzugsweise Walter Scott, aufkommen. Dennoch brach der Dichter seine Beziehungen zu den Ballantynes nicht ab. Nach wie vor unterstützte er sie in unbegreiflich leichtgläubiger Freigebigkeit.

Eine neue Epoche in Scotts literarischer Tätigkeit beginnt in dem Jahre 1814 mit dem Erscheinen seines ersten Romans »Waverley«. Der Erfolg war außerordentlich, und es kamen nun in erstaunlich schneller Folge jene historischen Romane auf den Markt, auf denen eigentlich das Verdienst und der unvergängliche Ruhm Walter Scotts beruhen:

Guy Mannering oder der SterndeuterDer AltertümlerDer schwarze ZwergDer alte Sterblich, engl.: Old MortalityDas Herz von MidlothianLucie von Ashton, Die Braut von LammermoorLegende von MontroseIvanhoeDas KlosterDer AbtKenilworthDer SeeräuberNigels SchicksalePeveril vom GipfelQuentin DurantSt. Ronans BrunnenDer Verlobte und Der TalismannErzählungen eines KreuzfahrersWoodstockChronik von Canongate: Die Witwe vom HochlandZwei ViehhändlerDie Tochter des ArztesRedgauntletDas schöne Mädchen von PerthAnna von GeiersteinGraf Robert von ParisDas gefährliche Schloß

Eine neue Epoche in Scotts äußerem Leben – um die biographischen Daten zu vervollständigen – beginnt mit dem Jahre 1812, wo er nach seinem neu angekauften Besitztum Abbotsford übersiedelte. »Abbotsford wurde nun der Mittelpunkt, um welchen sich Scotts Dichten und Trachten bewegte, der Zweck seines Lebens, auf welchen sich jede andere Tätigkeit unterordnend bezog. Er lebte und webte nur für Abbotsford; Abbotsford war seine Arbeit bei Tag und sein Traum bei Nacht. In demselben Maße, in welchem Scotts schriftstellerischer Ruhm an Ausdehnung zunahm, wuchs auch der Ruf von Abbotsford. Einer half den andern tragen und erhöhen. Der bekannte Ausspruch eines französischen Reisenden, Abbotsford sei ein Roman aus Stein und Mörtel, ist auch insofern zu einer Wahrheit geworden, als die ganze gebildete Welt sich dazu drängte und sich für berechtigt hielt, auch diesen Roman des großen Zauberers ebenso gut wie seine gedruckten zu lesen. Niemals ist der Wohnsitz eines Dichters, noch dazu bei seinen Lebzeiten, ein so besuchter Wallfahrtsort gewesen wie der Scotts, und man sagt schwerlich zuviel, wenn man behauptet, daß durch Abbotsford und seinen Erbauer Schottland der gebildeten Welt bekannt gemacht und aufgeschlossen worden ist.«

Die Jahre in Abbotsford bildeten den Höhepunkt in Scotts äußerm Leben und in seinem dichterischen Ruhm.

In diese Jahre fällt die Erteilung der Würde eines Baronets, der Ritterschlag, der Tod seiner Mutter, die Hochzeit seiner ältesten Tochter mit dem Advokaten und Schriftsteller Lockhart.

Auf diese Zeit des höchsten Glanzes folgte jäh das Unglück. Im Jahre 1826 brach das Geschäft Ballantynes zusammen, und Walter Scott sah sich über Nacht mit einer Schuldenlast von 2 1/2 Millionen Mark belastet. Auch des Dichters Gesundheit hatte durch plötzlich eintretende Magenkrämpfe eine heftige Erschütterung erhalten. Sein Unglück war kaum ruchbar geworden, als – ein Zeichen seiner großen Beliebtheit im ganzen Volke – eine Unzahl Anerbietungen zur Hilfeleistung einliefen, die er aber alle in selbstbewußtem Stolze von sich wies. Hier in diesem jähen Sturz zeigte er all seine Männlichkeit und Tatkraft. Er wußte wohl, daß er sein Unglück durch seine große Unvorsichtigkeit und Leichtlebigkeit zum Teile selber verschuldet hatte, nun wollte er auch selber dafür aufkommen. Er verpflichtete sich, die ganze Schuld durch seine Arbeit zu tilgen. Abbotsford, das er seinem Sohn Walter als Heiratsgut abgetreten hatte, wurde mit einer Hypothek von 200000 Mark belastet. Das Verlagsrecht der bisher erschienenen Romane wurde für 170000 Mark verkauft, der eben vollendete Roman »Woodstock« für gleichfalls 170000 Mark. So war im ersten Jahre schon fast ein Viertel der Schuld getilgt.

Die Weise, wie er nun arbeitete, mußte seine Kräfte übersteigen. Obendrein kam jetzt mancherlei Unglück über die Familie. Scotts Gattin starb am 15. Mai 1826. Eine Menge kleinerer und größerer Arbeiten (»Leben Napoleons« [360000 Mark Honorar], »Erzählungen eines Großvaters«, »Geschichte Schottlands«) liefen neben seinen Romanen her, und in der Tat hatte Walter Scott 1830 schon die riesenhafte Schuld um über die Hälfte abgetragen.

Aber nun brach auch seine Kraft zusammen. Ein Schlaganfall zerrüttete seine Gesundheit, von dem er sich nie wieder erholen konnte. 1830 mußte er sich seines Amtes entbinden und pensionieren lassen. 1831 erfolgte ein neuer Schlaganfall und eine gänzliche Entkräftung nötigte ihn, eine Reise nach dem Süden anzutreten.

Auf der Rückreise traf ihn am 9. Juni bei Rymwegen ein dritter Schlaganfall. Fast einen ganzen Monat mußte er noch in London warten, ehe er auch nur die Kraft hatte, sich nach Abbotsford zurückbringen zu lassen. Hier traf er am 9. Juli ein. Seine Lebenskraft war vernichtet, er lebte noch zwei Monate, die er ganz im Bette zubrachte. Am 21. September 1832 starb er. Er wurde an der Seite seiner Frau in der Abtei Dryburgh nahe am Tweed bestattet.

Sir Walter Scotts Poesie ist eng mit dem Lande verwachsen, aus dem sie geboren ist. Schottland – eine Heimat der Poesie wie bei uns das traute Schwabenland – hat eine große Zahl bedeutender Männer hervorgebracht, die auf allen Gebieten menschlicher Betätigung Verdienstliches, teils Erstaunliches geleistet haben. Walter Scott ist einer seiner größten Söhne. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, er hätte das Interesse nicht nur der Engländer im großen und ganzen, sondern der ganzen Reisewelt auf Schottland gelenkt. Durch ihn wäre die Schönheit dieses eigenartigen Stückchens Erde erschlossen worden. Durch seine Werke vor allem – obgleich Burns und andere ihm vorangegangen waren – durch seine Epen und Romane, in denen die ganze zauberische Anmut, die rauhe Wildheit, das nebelschwere Düster der Berge und Schluchten und der sonnige Glanz der Seen sich widerspiegelt, sei der Strom der Schaulustigen in die einsamen Gebiete gelockt worden. Zum Teil trifft das zu – zum Teil kommt das Verdienst auch noch anderen Dichtern zu – in jedem Falle aber sind keines anderen schottischen Dichters Werke so weit in alle Welt gedrungen und haben das Lob und den Ruhm seiner Heimat so weit in alles Volk getragen, wie die Romane Walter Scotts. Sie zählen zu denjenigen Büchern der Weltliteratur, die am meisten gekauft und gelesen worden sind – sie zählen zu den bleibenden Werken, deren Reize über dem Wandel der Jahrhunderte steht.

Walter Scotts poetische Werke beschäftigen uns hier nicht, sie seien aber der Vollständigkeit halber hier genannt. Nachdem er die Gedichtsammlung: »Volksdichtung des schottischen Grenzgebietes« veröffentlicht hatte, ließ er 1805 »Das Lied des letzten fahrenden Sängers« folgen, 1808 »Marmion«, 1810 »Die Jungfrau vom See« – dasjenige unter seinen Epen, das am meisten Anklang gefunden hat – 1811 »Die Vision Roderichs«, 1812 »Rokeby«, 1813 »Die Hochzeit von Triermain«, 1815 »Der Herr der Inseln«, 1817 »Harold der Furchtlose«.

Zwischen diesen dichterischen Werken und seinen Romanen stehen »Pauls Briefe an seine Verwandten«, »Die Schlacht bei Waterloo«, eine sehr mittelmäßige Ode, das Drama »Das Haus von Aspern«, »Das Leben Napoleons« – ein heftig angefochtenes Werk, das zu Scotts Lorbeerkranz kein neues Blatt hinzuzufügen vermochte – eine »Geschichte Schottlands«, »Die Erzählungen eines Großvaters« und eine Menge kleinerer Arbeiten.

Die Reihe seiner Romane beginnt, wie aus der schon auf Seite 8 und 9 gegebenen chronologischen Reihenfolge hervorgeht, mit »Waverley«.

Diese Erzählung knüpft an die Kämpfe des Prätendenten Karl Eduard, an dessen Sieg bei Preston Pans und seine völlige Vernichtung bei Culloden durch Georg II. In seinen Gedichten war Scott auf entlegenere Zeit zurückgegangen und hatte seine Handlung im 16., im »Herrn der Inseln« sogar im 14. Jahrhundert spielen lassen – hier im ersten seiner Romane legt er die Begebenheiten in eine Zeit, von der es unter den alten Leuten noch Augenzeugen gab, denn die Schlacht bei Prestonpans fällt in das Jahr 1745. Die geschichtliche Episode von Alexander Stuart von Inverasyle, der den englischen Oberst Allan Whiteford von Ballochmyle gefangen nimmt und dann von ihm vom Tode errettet wird, läßt der Romancier sich zwischen seinem Helden Eduard Waverley, dem Oberst Talbot und dem Baron von Bradwardine abspielen. Hinein verwoben ist die Liebesgeschichte des Helden mit Rosa von Bradwardine.

Dem nächsten Roman »Guy Mannering« liegen zwei verschiedene Geschichten zugrunde. Die eine stellt die Erbschleicherei eines Oheims dar, welcher seinem Neffen nach dem Leben trachtet, um dessen Vermögen an sich zu bringen. Der Neffe ist aus einem Jesuitenkloster geflüchtet, in das der Vater ihn gebracht hat, ist gemeiner Soldat geworden und durch merkwürdige Schicksalsfügungen in seine Heimat, die Grafschaft Galloway, zurückgelangt, wo er endlich in sein Familienbesitztum eingesetzt wird. In diese Geschichte ist die zweite eingesponnen. Ein junger Mann, der in Oxford seine Studien beendet hat, hat auf der Reise einem eben geborenen Kinde das Horoskop gestellt und ihm vorausgesagt, daß es bis zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahre viel Mühsal zu erdulden habe. Wenn es aber bis dahin sich die Tugend rein halte und schuldlos bleibe, werde ihm großes Glück zufallen. Der dieses Horoskop stellt, ist Guy Mannering, der Sterndeuter, und das Kind ist Harry Bertram von Ellangowan, der durch Schmuggler geraubt wird, allerlei Abenteuer besteht, nach Indien gelangt, dort als Soldat dient und endlich in die Heimat zurückkehrt, wo er als Laird von Ellangowan anerkannt wird. Die Erzählung spielt in der Jugendzeit des Dichters.

Der »Altertümler« kann als eines der besten Werke Scotts bezeichnet werden. Oldbuck ist ein leidenschaftlicher Sammler von Raritäten, der allerdings keine große Kennerschaft besitzt. Er zeigt sich uns als ehrbarer schlichter Mann, ein wenig derb und hagebüchen, aber doch nicht ohne edlere Züge. Neben ihm ist die Hauptfigur der wundervoll gezeichnete Landstreicher Edie Ochiltree – eine echt schottische Gestalt. Zu dritt kommt – abermals ein völlig eigenartiger Charakter – der heruntergekommene Edelmann Sir Arthur Wardour, der sich nicht eben als großes Geisteslicht präsentiert und dessen Tätigkeit darin besteht, Fische zu fangen, auf die Jagd zu ziehen, Pferderennen zu besuchen, auf Wahlversammlungen zu gehen und sich seines Stammbaumes zu rühmen. An weiblichen Charakteren sind zu nennen die Schwester des Altertümlers, die harmlose naive Nichte Marie Wac Intyre und Isabella Wardour. Die Handlung ist meisterhaft angelegt und in wundervoller Straffheit und Spannung durchgeführt.

Unter den als »Erzählungen meines Wirtes« bezeichneten war »Der schwarze Zwerg« die erste. Wir haben es hier nicht mit einer geisterhaften Person zu tun, nicht mit einem phantastischen Hirngespinnst. Der schwarze Zwerg hat wirklich gelebt, er ist 1811 gestorben und er hieß David Ritchie. Er war das Kind blutarmer Leute, und da seine Mißgestalt überall ihm Spott und Hohn zuzog und ihn zum Abscheu aller Welt machte, zog er sich in tiefe Einsamkeit zurück. In einem Tale der Grafschaft Perbles siedelte er sich an, und von den Erträgnissen eines kleinen Gartens fristete er sein Leben. Bei Scott heißt er Elshie und haust im Moor von Mucklestane. Auch hatte er ein Gesicht von grauer Farbe mit dichtem, schwarzem Barte, seine Augen sind von buschigen Brauen verdüstert, die Adlernase und die zurückliegende Stirn geben seinem Angesicht ein wildes, barbarisches Aussehen. Auch Elshie wird als mit Riesenkräften begabt und als völlig verwachsen geschildert. Der Charakter, wie man ihn von Ritchie berichtet, entspricht dem der Scottschen Figur. 1831 schuf ein französischer Dichter eine ähnliche Figur, die gleich berühmt in der Literatur geworden ist: Quasimodo in Viktor Hugos Notre Dame de Paris. Zehn Jahre später überraschte Charles Dickens, der große Nachfolger Scotts auf dem Throne des Romanciers, die Leserwelt mit einer wiederum völlig eigenartig aufgefaßten und dargestellten Figur eines Kretins: dem koboldartigen Ungeheuer in Menschengestalt Daniel Quilp im »Raritätenladen«. Alle drei großen Dichter haben ihren seltsamen Gestalten besondere charakteristische Züge zu geben gewußt, und wer diese drei äußerlich einander so ähnlichen Charaktere nebeneinander stellt und prüft, vermag interessante und in das Wesen ihrer Schöpfer dringende Schlüsse zu tun.

Als zweite der »Erzählungen meines Wirtes« erschien »Der alte Sterblich«. Unter diesem Namen war im Süden Schottlands, besonders in jener Gegend, die durch den Aufstand und dessen Niederkämpfung verheert worden war, ein echtes schottisches Original allgemein bekannt. Die Erzählung spielt zu einer Zeit, die für Schottland schwere Not und furchtbares Elend mit sich brachte. Nicht lange nach der Wiedereinsetzung wollte Karl II., wie er es in England getan hatte, so auch in Schottland die Hochkirche einführen. Seine strengen Maßregeln brachten die Schotten, die eifrige Presbyterianer und Anhänger des Covenant waren, in heftige Erbitterung, und sie widersetzten sich mit harter Energie. Hunderte von Geistlichen wurden ihres Amtes entsetzt, durchzogen das Land und predigten gegen die englische Staatskirche. Nun zog der König mit den Waffen gegen die Rebellen und General Dalziel warf sie im Jahre 1666 nieder in der blutigen Schlacht bei den Hügeln von Pentland. Aber der Widerstand war damit noch nicht gebrochen, und im Jahre 1679 wurde John Graham von Claverhouse nach Schottland geschickt, der einen entscheidenden Sieg errang und nun die mörderischste Verfolgung ins Werk setzte, die je ein Land verheert hat. Der ganze Westen Schottlands wurde verwüstet. Eine kraftvolle Gestalt des Romans ist Cameron, der Gründer der nach ihm benannten Sekte »die Cameronier«, der im Beginn der sechziger Jahre voll Todesverachtung zündende Reden gegen des Königs eigene Person gehalten hat. Gleich interessant dargestellt ist der eifernde Presbyterianer Balfour von Burley. Markante Gestalten der Gegenpartei sind Claverhouse und der Dragoner Bothwell.

»Robin der Rote« ist der berüchtigte Bandenführer Robert Macgregor Campbell von Glengylle in der Grafschaft Perth. Das Leben dieses Mannes führt uns in das Grenzerleben früherer Jahrhunderte zurück, an das es lebhaft erinnert. Rob hatte von dem Herzog von Montrose eine seiner Auffassung nach ungerechte Behandlung erfahren und sein Besitztum Craijodstane war ihm weggenommen worden. Um Rache zu nehmen, sammelte er eine Bande bewaffneter Burschen um sich, mit der er sich in der Umgegend der herzoglichen Güter herumtrieb. Bei hellem Tage machte er Streifzüge in das Gebiet seines Todfeindes. Die Landbewohner waren auf seiner Seite und hatten ihn lieb. Sie warnten ihn daher stets rechtzeitig vor jeder ihm drohenden Gefahr, so daß es – so oft auch Abteilungen von Militär gegen ihn ausgesandt wurden – nie gelang, seiner habhaft zu werden. Ungestraft führte Robin der Rote dieses Räuberdasein bis zu seinem Tode 1740.

Es folgte eine zweite Reihe der »Erzählungen meines Wirtes«, deren erster Band »Das Herz von Midlothian« war. Dies ist eine schlichte, aber sehr ergreifende Erzählung, der ein wahres Geschehnis zugrunde liegt. Johann Deans ist niemand anders als die im Volksmunde berühmte Helene Walker. Die Schwester der Helene war wegen Kindesmordes zum Tode verurteilt worden und sollte hingerichtet werden. Helene faßte den Entschluß, durch Vermittelung des Herzogs von Argyle dem König ein Gnadengesuch zu überreichen, sie machte sich auf und ging zu Fuß nach London. Es wäre ihr möglich gewesen, durch eine Lüge ihrer Schwester das Leben zu retten, aber davon wollte das charaktervolle Mädchen nichts wissen. Sie erlangte denn auch ihren Zweck. Die Schwester wurde begnadigt und ist nachher die glückliche Frau eines wackeren Mannes geworden. 1791 ist Helene gestorben.

Die zweite Erzählung in dieser zweiten Reihe ist »Lucie Ashton, die Braut von Lammermoor«, eine düstere Familiengeschichte. Auch sie beruht auf wahren Begebenheiten, denn die Heldin ist nach der bekannten Johanna Dalrymple gezeichnet. Diese, die Tochter des Lord Stair, war heimlich mit Lord Rutherford, in der Erzählung Lord Ravenswood, verlobt. Die Eltern waren gegen diese Verbindung und zwangen das Mädchen, ein Verlöbnis mit einem anderen Manne einzugehen. Das Mädchen fügte sich anscheinend und die Hochzeit fand statt. Aber nun verfiel die Unglückliche in Wahnsinn, griff ihren jungen Gatten tätlich an, verwundete ihn schwer und starb selbst nach einigen Tagen. Ihr erster Bräutigam hatte England verlassen und man hat nie wieder etwas von ihm gehört.

Auch die dritte Erzählung, »Die Sage von Montrose«, ist düsteren Charakters. Ihr geschichtlicher Hintergrund ist der große schottische Aufstand unter Montrose, der aber selber nicht die Hauptfigur des Romans ist. Dies ist vielmehr Allan Mac Aulay, der mit der Fähigkeit des zweiten Gesichtes begabte Sohn einer in Wahnsinn verfallenen Mutter. Die »Kinder des Nebels« – ein schottisches Räubergeschlecht – hatten den Bruder dieser in glücklicher Ehe lebenden Frau getötet, waren in Abwesenheit ihres Gatten auf ihr Schloß gekommen und hatten zu essen und zu trinken begehrt. Während des Mahles hatten sie den noch blutigen Kopf des gemordeten Bruders ihrer Gastgeberin mitten auf den Tisch gelegt. Über diesen Anblick gerät die Frau in Irrsinn, flüchtet aus dem Schlosse und bleibt lange verschwunden. In diesem Zustande der Geistesstörung gebiert sie Allan. Später findet man sie und ihr Kind. Allan ist nun infolge der unglücklichen Umstände seiner Geburt ein düsterer, unheimlicher Charakter, der bei sehr scharfem Verstande Anfälle geistiger Verwirrung hat und unter dem Banne lebt, selber einmal eine blutige Tat verüben zu müssen, und zwar an einem, dem sein Herz zugetan ist. Die Kinder des Nebels haben auch das Schloß eines Duncan von Campbell verwüstet und seine Kinder gemordet bis auf ein kleines Mädchen, das sie mit sich nahmen. Auf einem der blutigen Rachezüge der Mac Aulays gegen die Kinder des Nebels ist dieses Mädchen von den Aulays mitgenommen worden und ist nun unter dem Namen Annot Lyle bei ihnen aufgewachsen. Allan liebt sie, aber er hat einen glücklicheren Nebenbuhler, Lord Menteith, der dem Mädchen, von dem er sich geliebt weiß, nur deswegen nicht seine Liebe erklärt, weil er sie für ein Kind unbekannter, vielleicht verworfener Herkunft hält und als solches nicht zu seiner Frau machen kann. Aber das Geheimnis ihrer Geburt wird durch Ranald Mac Cagh, einen Sohn des Nebels und den Anführer jenes Raubzuges gegen Duncan, aufgedeckt, und Lord Menteith läßt sich mit Annot trauen. Am Tage der Trauung erscheint Allan Mac Aulay, fordert Menteith zum Zweikampfe auf und stößt ihm, als er sich weigert, den Dolch in die Brust. Dann flieht er und bleibt verschollen. Menteith wird geheilt und genießt noch lange Jahre des Glückes an der Seite seiner jungen Gattin. Neben den genannten Figuren ragt noch hervor die historische Gestalt des Herzogs von Argyle, von dem man auch sagen kann: »Durch der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.« Eine sehr glückliche Gestalt, die aber vielleicht im Vergleich zu anderen wichtigeren mit zu großer Vorliebe ausgearbeitet worden ist, ist die prachtvolle, humoristische Landsknechtsfigur des Major Dugald Dalgetty von Drumthwacket.

Die bisher genannten Romane spielen in Schottland. »Ivanhoe« ist der erste, der auf rein englischem Boden und obendrein in sagenhafter Zeit spielt, nämlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Die Hauptfigur ist Richard I. Löwenherz, der nach langer Gefangenschaft in Palästina in sein Land zurückkehrte. Wie er nun gegen die verlotterte Ritterschaft auftritt, wie er gegen seinen Bruder John, der sich bereits als König aufspielt, zu Felde zieht – das alles ist wunderbar anschaulich und höchst spannend geschildert. Wir sind Zeuge der allmählich sich vollziehenden Aussöhnung des Angelsachsentums mit dem Normannentum, dem es lange Zeit feindselig gegenüber gestanden hatte. Die volkstümliche Gestalt des Robin Hood, seines Bruders Tuk und andere Spießgesellen Hoods treten in dem Roman auf. Auch die hineinverflochtene Episode des Juden Isaak von York und seiner Tochter Rebekka ist im höchsten Grade ergreifend. All diese Vorzüge haben dieses Werk zu einem der beliebtesten und am meisten gelesenen des Dichters gemacht. Es ist mehrfach zu Jugenderzählungen verarbeitet worden, und noch heute gehört es zu den Zierden jeder Bibliothek und zur empfehlenswertesten Lektüre für jedermann.

Der Roman »Das Kloster« spielt in der Abtei Melrose, der Scott schon in seinem »Liede des letzten fahrenden Sängers« eine berühmt gewordene poetische Beschreibung gewidmet hatte. Auch der Turm von Smailholm wird zum Schauplatz der spannenden Handlung erkoren. Die Zeit des Beginns der Reformation und der Kampf des Protestantismus gegen den Katholizismus bildet den historischen Hintergrund. Scott hat hier versucht, das Märchenhafte und das Historische miteinander in Einklang zu bringen. Das Märchenhafte tritt in der geisterhaften weißen Dame von Avenel in Erscheinung, die öfters gespenstisch auftaucht und das Schicksal der handelnden Personen beeinflußt. Aber diese Verflechtung des Geisterhaften in ein historisches Gemälde – das auf dem Kontinent in Grillparzers »Ahnfrau« (1817) so großen Erfolg gehabt hatte – gefiel in England nicht, und Scott gab in der folgenden Erzählung der »Abt« diese Neuerung wieder auf. Der »Abt« spinnt die Begebenheiten des »Klosters« zum großen Teil weiter und kann als Fortsetzung dieses Romans gelten. Den geschichtlichen Vorwurf bildet die Vergangenheit der Maria Stuart und ihre Flucht aus dem Schlosse Lochleven.

Der Roman »Kenilworth« spielt am Hofe der Königin Elisabeth. Robert Dudley, Graf von Leicester, den Scott hier, einer alten Volksüberlieferung gemäß, als Verbrecher zeichnet, opfert seine Gemahlin Amy Robsad seinem Ehrgeiz auf und ermordet sie. Die Figur der Amy ist eine der schönsten Frauengestalten, die ein Dichter je geschaffen. Leicester trachtet nach der Hand der Königin selber, die Scott als Schotte in weit weniger günstigem Lichte hinstellt, als es wohl ein Engländer gewagt hätte. Sein Charakter ist mit scharfen Strichen hingestellt und gleichfalls eine Meisterleistung der Charakterisierung. Ebenso vortrefflich sind die Nebengestalten, unter denen der dämonische Barney und der gutherzige Tressilian hervorragen. Das Schloß Kenilworth steht noch heute in romantischen Trümmern, und alljährlich pilgern Reisende dorthin. »Kenilworth« ist gleichfalls einer der allerbesten Romane Scotts und erfreut sich in aller Welt, wo gelesen wird, hoher Beliebtheit.

Gar keinen Vergleich mit diesen Meisterwerken vermag das nächste auszuhalten: »Der Pirat«. Zwar sind Udaller und die Seinen lebenswahr und packend dargestellt, aber die Erzählung, die in ihren einzelnen Teilen an störender Zusammenhangslosigkeit krankt, ist voller Unwahrscheinlichkeiten und Flüchtigkeiten, und man erkennt in ihm eine jener Geschichten, bei denen die Überarbeitung des Verfassers auffallend ans Licht tritt und sein Genie nicht über die Flüchtigkeit hinwegzuhelfen vermag, sondern unter der Vielschreiberei gelitten zu haben scheint.

»Nigels Schicksale« führt uns an den Hof König Jakobs I. und gibt uns ein prachtvolles Bild des damaligen Lebens, das in der ganzen englischen Literatur unerreicht dasteht. Zu derartiger Höhe der Darstellungskunst großer vielgestaltiger Gemälde ist selbst ein Zola, ein Victor Hugo nicht gelangt. Die Gestalten des Königs und anderer geschichtlicher Persönlichkeiten sind ausgezeichnet, während man an den frei erfundenen Personen manche von Scotts schriftstellerischen Schwächen nachzuweisen vermöchte.

In der Zeit der großen Revolution, der Restauration und der papistischen Umtriebe unter Karl II. spielt der Roman »Peveril vom Gipfel«. Der erste Teil schildert die Schicksale des Barons Peveril, des puritanischen Majors Bridgeworth und ihrer Frauen, im zweiten Teil geht die Handlung auf die Kinder über, Julian Peveril und Alice Bridgeworth. Alice kommt an den Hof Karls II., und wir lernen nun hier den Grafen von Buckingham und die charaktervolle Gräfin von Derby kennen. Das zügellose Hofleben und die verrottete Gesellschaft der damaligen Zeit werden hier in meisterhafter Lebenswahrheit dargestellt.

Der Roman »Quentin Durward« spielt in Frankreich, wo der Schotte Durward unter Ludwig XI. sein Glück zu machen sucht. Die Handlung baut sich auf dem historischen Boden der Kämpfe zwischen Ludwig XI. von Frankreich und Karl dem Kühnen von Burgund auf. Der Stoff ist aus alten Chroniken geschöpft, die geschichtlichen Personen sind ausgezeichnet dargestellt, das ganze Werk streitet mit den besten Romanen Walter Scotts um die Palme. Gleich Ivanhoe und Kenilworth, gleich der Braut von Lammermoor und Waverley zählt es zu den am meisten gelesenen, und man darf Johannes Scherr wohl glauben, wenn er sagt: »Es ist eine der frühesten Erinnerungen meiner Knabenjahre, daß ich in den »Kunkelstuben« meiner dörflichen Heimat von den jungen Leuten abwechselnd Scotts Kreuzfahrer und Quentin Durward vorlesen hörte.«

»St. Ronans-Brunnen« erregte großes Aufsehen – es war ein Werk besonderer Gattung und läßt sich als Sittenroman der modernen Zeit bezeichnen – während »Redgauntlet« wieder zur Historie zurückkehrt. Dieses Werk ist gleichfalls den vorzüglichsten seines Verfassers zuzuzählen: der geschichtliche Hintergrund sind die Jahre des Niedergangs des Hauses Stuart. Dem Advokaten Squnders Hairford hat der Dichter große Ähnlichkeit mit seinem Vater verliehen.

Die »Kreuzfahrer-Erzählungen« enthalten die beiden Romane »Die Verlobte« und »Der Talisman«: der erstere fand wenig Anklang, um so mehr der zweite, der abermals Richard Löwenherz zur Hauptperson hat. Dieser englische Nationalheld wird uns hier im Morgenlande gezeigt, und den ganzen Zauber orientalischer Romantik hat der Dichter um seine Gestalt gewoben. Die Naturschilderungen sind, obgleich Scott nie den Orient bereist hat, mit bewundernswerter Phantasie entworfen, wenn auch nicht mit der unerreichten Treue, mit der Scott seine Heimat uns vor Augen stellt.

Der folgende Roman »Woodstock« ist bereits unter der drückenden Last des über den Dichter hereingebrochenen Unglücks geschrieben, aber seltsamerweise tragen die Personen hier weit mehr humorvolle Züge, als in den meisten anderen Romanen. Die Zeit ist dieselbe wie in »Peveril vom Gipfel« – die Zeit der großen Revolution und vor allem das Jahr der Hinrichtung Karls I. 1649. Flora Macdonald, die durch ihre Umsicht dem Prinzen Karl die Flucht ermöglicht, spielt eine Rolle. Abgesehen von den humorvolleren Schattierungen, macht sich aber hier bereits ein leises Nachlassen der dichterischen Schaffenskraft bemerkbar. Freilich mußte auch selbst eine so unerschöpfliche Fabulierungsgabe wie die Walter Scotts allmählich auf Schwierigkeiten stoßen, immer wieder neue interessante Stoffe zu finden.

Es folgte wieder eine Serie von Erzählungen unter dem Titel »Die Chronik von Canongate«, bald größeren, bald kleineren Umfangs, wie »Die zwei Viehtreiber« (Hochländer-Ehre), »Der Zauberspiegel«, »Das tapezierte Zimmer« (Eine Schreckensnacht) einbegriffen waren. Das erste größere Werk dieser Serie war die »Hochlands-Hexe«, ein ergreifendes Drama, in welchem Mutterliebe und Vaterlandsliebe in wilden Konflikt geraten. Der Sohn der Witwe, der sich unter die von England geworbenen hochländischen Regimenter hat anwerben lassen, wird von der Mutter aus Haß gegen England in den Tod gejagt.

Darauf folgte »Die Tochter des Wundarztes« (in der vorliegenden Ausgabe unter dem Titel »Ein Kind der Sünde« in Band 5) eine seltsam aufgebaute Erzählung, die die meisterhafte Fabulierungskunst ihres Verfassers, aber auch die Überspannung seiner Arbeitskraft deutlich erkennen läßt. Sie führt uns nach dem Märchenlande Indien, das damals im Höhepunkt des Interesses stand. Der Charakter des Richard Middlemas – des unglücklichen Kindes einer verführten Mutter – und die Gestalt seines Nebenbuhlers Hartley sind trefflich gezeichnet. Die Tochter des Arztes Gray, die von Middlemas, ihrem Bräutigam, der im Hause ihres Vaters unter geheimnisvollen Umständen vier Jahre vor ihr geboren und dort erzogen worden ist, nach Indien gelockt, aber von Hartley gerettet wird, ist eine treffliche Frauengestalt – an denen Scotts Romane ja überhaupt reich sind. Die Erzählung zeichnet sich durch spannende Entwicklung, ergreifende Szenen und prachtvolle Schilderung aus.

Als zweite Reihe der »Chronik von Canongate« erschien »Die schöne Maid von Perth«. Diesem Roman liegt wiederum eine historische Begebenheit zugrunde. Dreißig Mann vom Clan Hattam sollen, um eine alte Fehde zum Austrag zu bringen, gegen dreißig Mann vom Clan Kay vor den Augen des Königs kämpfen. Einer unter diesen Kämpfern ist geflüchtet, und ein junger Bürgerssohn von Perth ist für ihn eingetreten. In diese historische Episode spielt die Liebesgeschichte zwischen diesem Helden der Erzählung und der schönen Katharina, der Heldin, hinein.

»Anna von Geierstein« spielt wieder auf dem Kontinent, und zwar in der Schweiz – auch einem Lande, das der Dichter nie gesehen hatte. Die Kämpfe der Schweizer gegen die Österreicher und Burgunder interessierten den Dichter, er fand in ihnen offenbar einen Zug der Ähnlichkeit mit den schottischen Grenzerkriegen. Der Roman hat daher auch in der Schweiz großen Beifall gefunden.

Den Schluß von Scotts Tätigkeit bildete eine neue Serie der »Erzählungen meines Wirtes«: »Graf Robert von Paris« und »Schloß Douglas am Blutsumpf«. Der erstere Roman spielt in entlegenem Lande und in ferner Zeit, nämlich in Byzanz während des ersten Kreuzzuges. Der zweite Roman, der letzte, den Scott überhaupt geschrieben hat, spielt wieder in seiner Heimat, um das Schloß und sonstige Besitztum des ältesten aller Adelsgeschlechter, der Grafen Dhu Glas (oder, wie der Name zumeist geschrieben wird, Douglas). Einer der bedeutendsten und interessantesten Grafen Douglas, der erste des Beinamens Sholto, tritt hier in Gegensatz zu einer kraftvollen angelsächsischen Ritterfigur. Der Ringkampf beider Helden und Vertreter zweier in Blutfehde lebenden Grenzvölker wird freundlich aufgehellt durch die aus Liebe und unter Geleit eines fahrenden Sängers in das Kriegslager ziehende jugendliche Heldin aus altsächsischem Blute.


In diesen Werken ist die phänomenale Arbeit eines Riesen des Geistes niedergelegt. Man staunt über die große Fruchtbarkeit, wie sie nur wenig Dichtern beschieden gewesen ist. Der Reichtum an Stoffen, an spannenden Handlungen und Episoden ist großartig, der Reichtum an Charakteren ist großartig. Wenn man all diese Gestalten an sich vorüberziehen ließe, würde man eine Welt für sich haben, belebt von einer bunten Menge der verschiedensten Erscheinungen, vom Fürsten bis herab zum Strauchdieb, vom reichen Edelherrn bis herab zum verworfensten Bettler. Die meisten dieser Romane können vor der Kritik ehrenvoll bestehen, und mehrere unter ihnen sind derart hochstehende Meisterwerke, daß sie ihrem Verfasser einen dauernden Ehrenplatz in der Literatur aller Zeiten und Völker zuweisen. Neben diesem dichterischen Wert steht der historische Wert, der so bedeutend ist, daß ein so ernster und unbestechlicher Geschichtsforscher wie Schlosser sich veranlaßt gesehen hat, die Romane Walter Scotts unter die Quellen der englischen und schottischen Geschichte einzureihen.

Es ist von Interesse, diesem geistigen Bilde Walter Scotts eine Beschreibung seines Wesens als Mensch und seiner äußeren Erscheinung anzuhängen. Karl Elze entwirft in seiner Biographie ein treffliches Bild, und wir tun am besten, ihn als Autorität wörtlich zu zitieren:

»In seinem Privatleben bietet Scott durchaus ein Bild biederer und ritterlicher Männlichkeit dar. Pflichttreue und Wohlwollen zeichneten ihn in allen Verhältnissen des Familienlebens, als Sohn, Bruder, Gatte und Vater aus, wenngleich wir nur in dem Verhalten zu seiner Mutter, seiner ältesten Tochter und seinem ältesten Sohne eine tiefere Innigkeit zu entdecken vermögen. Wie er sich die ungeteilte Hochachtung und Liebe seiner Freunde, seiner Untergebenen wie seiner Mitmenschen überhaupt erworben hatte, haben wir zur Genüge kennen gelernt. Sein Umgang trug im Einklang mit seinen Ansichten über Schriftstellerei keinen literarischen Charakter, vielmehr zog er die aristokratischen und die praktischen Kreise des bürgerlichen Lebens vor. Von seiner Unterhaltung waren nicht nur seine eigenen Schriften ausgeschlossen, sondern er machte die Literatur nur ausnahmsweise zum Gegenstande derselben. Auch über Wissenschaft und Politik liebte oder verstand er sich nicht zu unterhalten. Daher mochte es auch kommen, daß seine Unterhaltung in gewissen Kreisen Edinburgs für alltäglich galt. Die Sentenzenarmut, die Carlyle seinen Schriften vorgeworfen hat, erstreckte sich auch auf sein Gespräch; auch hierin war er nicht reflektierend. Es gibt daher keine Tischreden von ihm, wie von Dr. Johnson oder Coleridge. Auch sind keine witzigen Einfälle von ihm berühmt geworden. Scott war der Ansicht, die höhere Art des Genies sei dem Talente der Unterhaltung nicht günstig. Der Charakter seiner Unterhaltung war, um ihn mit einem Wort zu bezeichnen, episch-antiquarisch, also vollständig im Einklang mit seiner Poesie und seinem innersten Wesen. Er war unerschöpflich und unnachahmlich im Anekdotenerzählen. Eine Geschichte rief immer die andere hervor, und Ballade folgte auf Ballade in endloser Folge. Hundert Federn, sagt Kapitän Basil Hall, können die Anekdoten nicht aufschreiben, welche Scott unaufhörlich »ausströmte «. Er konnte den Mund nicht öffnen, ohne daß eine Anekdote herauskam. Er war der König aller Geschichtenerzähler und verstand auch das Gewöhnlichste in einen Diamant zu verwandeln. Das Merkwürdigste und Liebenswürdigste dabei war, daß darin nicht das mindeste Gemachte, sondern alles durchaus natürlich war, und daß er sich niemals vordrängte oder gar die Unterhaltung an sich riß. Auch Scotts Briefwechsel ist selten literarischen Inhalts, sondern besteht meist aus gutmütiger, freundschaftlicher und scherzhafter Plauderei, soweit er nicht geschäftlicher Natur ist.

»Auch in Scotts äußerer Erscheinung glauben wir den sächsischen Typus deutlich zu erkennen. Er maß über sechs englische Fuß, war breitschultrig, fast herkulisch gebaut und besaß eine wahrhaft eiserne Muskulatur. Trotz seiner Lahmheit galt von ihm der Spruch: eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe. Carlyle bezeichnet Scott ganz richtig als einen der gesündesten Menschen. Sein ganzes Wesen war in leiblicher und geistiger Hinsicht ein Muster von Gesundheit; nichts an ihm war krankhaft. Als Jüngling war er imstande, mit seinen langen Armen einen Amboß aufzuheben, doch, wie er selbst sagt, nur des Morgens vor dem Frühstück. Wir wissen, daß auch sein Geist in der Morgenstunde am kräftigsten war. Seine Hände, sagt er, seien fast die größten in Schottland, und wenn es Siebenmeilen-Handschuhe gäbe, so dürften sie dem Gegenstände am angemessensten sein. Seine Gesichtszüge beschreibt Miss Seward mit folgenden Worten: Weder die Konturen seines Gesichts noch seine Züge sind fein; seine Farbe ist gesund und einigermaßen blond ohne Röte. Wir finden bei ihm die Seltenheit braunen Haares und brauner Wimpern bei flachsfarbenen Augenbrauen, sowie einen offenen, geistvollen und wohlwollenden Ausdruck. – Nach Cunningham war seine Farbe allerdings frisch und rötlich. Das Haar war sehr weich und wurde später ganz weiß. Seine Augen waren klein und hellgrau, und die Brauen außerordentlich buschig. Die Oberlippe war zu lang, als daß der Mund hätte schön sein können. Die Nase war stumpf und das Kinn im Verhältnis zu klein. Alle Angaben stimmen darin überein, daß seine Züge etwas Kräftiges und Entschlossenes, zugleich aber auch etwas Gewöhnliches und Grobes hatten und in keiner Weise den Dichter verrieten; ebenso übereinstimmend sind sie darin, dass eine merkwürdige Veränderung mit dem Gesichte vorging, wenn es sich belebte, und daß alsdann Scotts Züge wie seine Stimme außerordentlich lebhaft und ausdrucksvoll waren. Seine Augen hatten dann eine geheimnisvolle Tiefe. In seinem Jünglingsalter und der Blüte seiner Mannesjahre war der Ausdruck seines Gesichtes viel öfter heiter als nachdenklich. Der Sonnenschein des Humors erleuchtete dann das ganze Gesicht. Oft nahm Scott eine außerordentlich komische Miene an, wobei die zahlreichen Linien um seine Augen tätig mitwirkten, und die Augen sich ebenso weit von unten wie von oben schlossen. Eine besonders charakteristische Äußerung seines befriedigten Gemüts war sein Lachen, von welchem Mr. Adolphus eine ausführliche Beschreibung gegeben hat. »Niemand,« sagt er, »machte wohl alle Steigerungen des Lachens mit so vollkommenem Genusse und einem so strahlenden Gesichte durch. Das erste Aufsteigen eines launigen Gedankens pflegte sich öfters, wenn er stillschweigend dasaß, durch eine unwillkürliche Verlängerung der Oberlippe zu äußern, begleitet von einem scheuen, unbeschreiblich komischen Seitenblick auf seine Nachbarn, welcher in ihren Blicken zu lesen schien, ob der Funke der Lustigkeit unterdrückt werden solle oder zur Flamme werden dürfe. In der vollen Flut der Fröhlichkeit lachte er in der Tat wie Walpole das Lachen des Herzens, allein es war nicht lärmend oder überwältigend, noch hemmte es den Strom seiner Rede; er konnte fortfahren zu erzählen und sich zu unterhalten, während seine Lungen »krähten wie der Hahn«, wobei die Silben in dem Kampfe immer emphatischer, sein Akzent immer schottischer und seine Stimme im Übermaß der Lustigkeit klagend wurde.«

»Der auffallendste Teil in Scotts Erscheinung war die Form seines Kopfes, welcher von den Augenbrauen fast kegelförmig aufwärtsstieg. Das Gesicht von den Augen abwärts maß nach Allan volle anderthalb Zoll weniger, als die Schädelhöhe oberhalb der Augen. Diese Höhe des Schädels macht den Eindruck, als ob da oben, über den niederen Geistestätigkeiten, ein besonders großer Raum für ein freies und erhabenes Gedankenspiel gewesen wäre. Scott verdankte dieser Kopfform einen von ihm selbst und von seiner Familie in Gebrauch genommenen Beinamen. Kurz nach Erscheinen des »Peveril vom Gipfel« ging er eines Morgens in der Halle des Parlamentshauses auf eine Gruppe jüngerer Advokaten zu, deren Mittelpunkt der seines stets schlagfertigen Witzes wegen bekannte Patrick Robertson bildete. »Still, Jungen,« flüsterte dieser seinen Genossen zu, »still, dort kommt Peveril, ich sehe schon den Gipfel.« Ein schallendes Gelächter folgte, und seitdem wurde Scott scherzweise Peveril oder der alte Peveril genannt.«

* * *

Über Walter Scotts Bedeutung als Dichter geben die folgenden Urteile aus der Weltliteratur ein vollständiges und umfassendes Bild:

Goethe: Walter Scott ist ein großes Talent, das nicht seinesgleichen hat, und man darf sich billig nicht verwundern, daß er auf die ganze Lesewelt so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. Er gibt mir viel zu denken, und ich entdecke in ihm eine ganz neue Kunst, die ihre eigenen Gesetze hat.

Man liest viel zu viel geringe Sachen, womit man die Zeit verdirbt und wovon man weiter nichts hat. Man sollte eigentlich nur das lesen, was man bewundert, wie ich in meiner Jugend tat und wie ich es nun an Walter Scott erfahre. Ich habe jetzt den Rob Roy angefangen und will so seine besten Romane hintereinander durchlesen. Da ist freilich alles groß, Stoff, Gehalt, Charaktere, Behandlung, und dann der unendliche Fleiß in den Vorstudien, sowie in der Ausführung die große Wahrheit des Details! Man sieht aber, was die englische Geschichte ist und was es sagen will, wenn einem tüchtigen Poeten eine solche Erbschaft zuteil wird.

Überall finden Sie bei Walter Scott die große Sicherheit und Gründlichkeit in der Zeichnung, die aus seiner umfassenden Kenntnis der realen Welt hervorgeht, wozu er durch lebenslängliche Studien und Beobachtungen und ein tägliches Durchsprechen der wichtigsten Verhältnisse gelangt ist. Und nun sein großes Talent und sein umfassendes Wesen! Sie erinnern sich des englischen Kritikers, der die Poeten mit menschlichen Sängerstimmen vergleicht, wo einigen nur wenig gute Töne zu Gebote ständen, während andre den höchsten Umfang von Tiefe und Höhe in vollkommener Gewalt hätten. Dieser letztern Art ist Walter Scott.


Lord Byron:

Schottland, sei stolz darauf, daß er dein Sohn,


Dein Beifall sei sein erster, schönster Lohn!


Doch nicht mit dir nur soll sein Name leben,


Hoch über Welten mög er sich erheben!


Fällt Albion, so wird in ihm man lesen,


Was dieses Land in frührer Zeit gewesen;


Durch ihn wird dann noch Schottlands Ruhm erschallen,


Wenn es vielleicht in Trümmer schon zerfallen.

Scott ist ohne Frage der wundervollste Schriftsteller unsrer Zeit. Seine Romane sind eine neue Literatur in sich und seine poetischen Werke halten jeden Vergleich aus. Ich mag ihn gern wegen seines männlichen Charakters, der außerordentlichen Liebenswürdigkeit seines Umgangs und seiner Gutmütigkeit, besonders gegen mich persönlich. Möge ihm alles gedeihen – denn er verdient es. Ich kenne keine schriftstellerischen Werke, über die ich mit solchem Ungestüm herfalle, wie über ein Werk Walter Scotts.


Charles Dickens: Ich habe nie von irgend einem meiner eignen Charaktere geträumt, und mir kommt dies so unmöglich vor, daß ich wetten möchte, auch Scott hat nie von den seinen geträumt, so lebenswahr sie auch sind.

»Die Sage von Montrose« und »Kenilworth« habe ich eben mit dem größten Genuß gelesen, und ich denke, alle Welt muß gleich hohe Freude darüber empfinden.


Karl Elze: Shakespeare mag überhaupt nach dem, was wir wissen, in seinen Ansichten über den Wert der Literatur mehrfach mit Scott übereingestimmt haben. Eine natürliche Folge dieser Anschauungsweise war es, daß Scott nicht recht an poetische Unsterblichkeit glauben wollte und sogar einmal meinte, die von ihm gepflanzten Eichen würden seine Lorbeeren überdauern. Ob seine Eichen noch stehen, wissen wir nicht, das aber läßt sich jetzt prophezeien, ohne daß man fürchten muß, von der Zukunft Lügen gestraft zu werden, daß er nicht den Eichen, sondern gerade der von ihm gering geschätzten Schriftstellerei seine Unsterblichkeit verdanken wird.


Grillparzer: Walter Scotts Poesie ist eine Wahrnehmungspoesie, im Gegensatz zu der Anschauungspoesie. Man ist soweit gegangen, Walter Scott mit Shakespeare zu vergleichen, ja wohl gar zusammenzustellen. Etwas Verrückteres läßt sich wohl nicht leicht denken! Gerade das, worin man sie verwandt finden will: die Charakteristik, begründet die ungeheuerste Verschiedenheit. Alle Charaktere Shakespeares haben das bestimmteste Leben; durch eine geniale Anschauungsgabe, einen Blick in die innerste Werkstätte der menschlichen Natur aufgefaßt, entwickeln sie sich mit einem eigentümlichen Organismus, sie sind da; selbst ihre scheinbaren Widersprüche gleichen sie durch die siegende Beweiskraft der Existenz aus. Shakespeare gab seinen Personen keine Charaktere, sie stellten sich ihm schon mit einem vollständigen Charakter begabt vor. Scott macht Charaktere: manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Geschick; immer will er vorher, eh er schafft, und seine gelungensten Züge können die Absicht nie verleugnen. Er ist ein scharfer Beobachter; was er beobachtet hat, weiß er lebhaft und gewandt hinzustellen, aber jede seiner Personen ist, genau betrachtet, eine Mehrheit von Zügen, die erst ein ordnender Verstand zur Einheit gebracht hat, indes bei Shakespeare alles aus der Einheit der innern Anschauung hervorgeht und aus dieser erst die Mannigfaltigkeit der oft scheinbar widersprechenden Eigentümlichkeiten hervorgeht. Was man durch Welt- und Menschenkenntnis, durch Studium der Geschichte und Psychologie, durch Beobachtungsgeist und Scharfsinn erlangen kann, hat Scott alles, und er sei gepriesen um deswillen!

Was die Anordnung der Fabel betrifft, so sind mir die Details darüber nicht so gegenwärtig, da ich leicht vergesse, was ich ohne besonderen Anteil lese. Meistens scheinen aber die Begebenheiten interessant zu sein (wobei freilich nicht entschieden wird, ob sie diesen Vorzug der Erfindungskraft des Verfassers oder der Treue des Chronisten verdanken, aus dem sie genommen sind). Die Verknüpfung derselben ermangelt selten der Konsequenz.

Die Wahrheit der Darstellung nun ist beinahe durchgehends sehr groß, und hierin liegt eigentlich das Hauptverdienst des Verfassers und der Hauptgrund seiner Wirkung auf das Publikum. Seine Schilderungen aller Art sind unübertrefflich.


Schopenhauer: Walter Sott, dieser große Kenner und Maler des menschlichen Herzens und seiner geheimsten Regungen! Walter Scott, in seinen »Erzählungen meines Wirtes«, schildert Szenen, die zwischen den verworfensten und scheußlichsten Straßenräubern in ihren Schlupfwinkeln vorgehen, mit einer Wahrheit und Lebendigkeit, die uns beim Lesen bis zur Angst bewegt, indem wir das Richtige und Treffende davon empfinden; und doch hat weder er, noch wir je dergleichen gesehen.


G. Brandes: Wenden wir uns zu einem besseren Manne, zu dem Dichter, der die eigentümliche britische Romantik auf dem Grunde der Volksnatur und Geschichte gestaltete, der nicht wie die Männer der Seeschule sich zum Renegaten machen mußte, um in religiöser und politischer Hinsicht konservativ zu werden, sondern der es ohne Haß oder Groll gegen die Geister der entgegengesetzten Richtung war, rein und ruhig von Naturell, edel und fest von Charakter, poetisch so übersprudelnd reich begabt, daß er länger als zwanzig Jahre hindurch alle Länder Europas mit einer gesunden und unterhaltenden Lektüre versorgte, und so tief und originell in seinen Anschauungen über Menschenrassen und Weltgeschichte, daß sein Einfluß auf die europäische Geschichtsschreibung nicht geringer ward als sein Einfluß auf die Romandichtung in allen zivilisierten Ländern. –

Walter Scott, ist doch der eigentliche Entdecker und Durchführer jener Lokalfarbe in der Dichtung, welche die Grundlage für die ganze Poesie des Romantismus in Frankreich wurde. Und nicht genug, daß er durch seinen historischen Sinn der Wegweiser einer ganzen Dichterschule ward, übte er auch durch seine anspruchslosen Romane den größten Einfluß auf die Geschichtsschreibung des neuen Jahrhunderts aus. Man darf nicht vergessen, daß Walter Scotts Ivanhoe Augustin Thierry auf den Gedanken brachte, hinter den Taten Chlodwigs, Karls des Großen und Hugo Capets den Rassenkampf zwischen Normannen und Sachsen und die Spuren einer französischen Eroberung als die wahren Ursachen der Ereignisse zu suchen. Dieser Dichter, dessen Blick für das Seelenleben der einzelnen Menschen nicht tief war, und welcher der modernen individualistischen Zeit gegenüber auf mancherlei Weise durch nationale, monarchistische und religiöse Vorurteile gebunden und befangen erschien, besaß kraft seines gewaltigen Naturalismus, sobald er die Menschen als Clan, als Volk, als Stamm oder Rasse vor sich sah, den schärfsten Entdeckerblick für die Natursubstanz in ihnen. Er, welcher gewohnt war, stets an den Gegensatz zwischen Schotten und Engländer zu denken, fand leicht und wie durch eine plötzliche Inspiration die Bedeutung des Rassengegensatzes zwischen Angelsachsen und Normannen, und seine Schilderungen erhielten dadurch ebenso große Bedeutung für die Völkerpsychologie, wie die Schilderungen Byrons für die Schilderungen des Einzelnen.

Joh. Scherr: Man hat Scott den Dichter des Adels genannt, und insofern nicht mit Unrecht, als er mittels seiner hinreißenden Erzählungsgabe der Romantik der Feudalwelt eine außerordentliche Popularität zu verschaffen verstand; allein weit entfernt, sich auf einen Stand zu beschränken, hat er alle Stände und Klassen mit objektiver Meisterschaft in dramatische Beziehung zu einander gesetzt, nicht als Stände wohlverstanden, sondern als Individuen, denn seine Figuren sind nicht nach einem Schema zugeschnitten, sondern frisch aus der Geschichte und dem Leben gegriffen, und daher die Masse origineller Charaktere, die er uns vorführt. Man könnte Scott ohne Anstand auch den Dichter des Volkes nennen, denn kein Dichter hat mit solcher Vollendung wie er die im Volke lebende wirkliche Kraft, Verständigkeit und Treue gezeichnet. –

Scott ist ohne Frage für den eigentlichen Begründer des historischen Romans anzusehen. Es gab zwar vor ihm Versuche in dieser Gattung, aber es waren eben Versuche, und zwar mißlungene, geblieben. Scott war der erste, welcher die Poesie der Geschichte in ihrer ganzen Macht und Größe aufzeigte und das poetische Bedürfnis mit dem pragmatischen Sinne der neuen Zeit aufs glücklichste vermittelte. Über den ästhetischen Wert des historischen Romans hat man viel gestritten, aber die gebildete Gesellschaft des Erdkreises hat über diese Frage ein für allemal entschieden. Scotts Romane besitzen in unvergleichlichem Grade – abgesehen von ihrer anerkannten historischen Treue der Sittenschilderung, ihrer vollendeten Kunst der Charakteristik, ihrer sittlichen Hoheit – die Eigenschaft, auf alle Bildungsstufen gleich anziehend und befriedigend zu wirken, so daß sie, während sich die Aristokratie Europas daran entzückte, mit gleichem Entzücken auch in der Blockhütte der amerikanischen Hinterwäldler und im deutschen Bauernhause gelesen wurden.

Karl Bleibtreu: Scott ist der Gründer des historischen Romans. Er war der erste, der die gewaltige Poesie der Geschichte urbar machte. Allerdings sind nur Kostüme und Äußerlichkeiten leidlich echt; Handlungen und Gefühle sind oft unhistorisch modern zugestutzt, wenn auch äußerlich die Redeweise entlegener Zeiten richtig getroffen scheint. Obschon uns Scott in alle möglichen Länder und Zeiten führt, ist der Kreis, in welchem er sich bewegt, in Wirklichkeit nicht groß. Mit dem hellen und achtsamen Auge eines fabulierenden Waidmanns ritt er in ebenmäßigem Trott über seine Grampians dahin, in patriarchalischem Behagen den Dingen seiner Heimat ins Herz schauend und mit der derben Bildlichkeit eines frischen Naturkindes, wie der alte Homer es war, sie gestaltend. Und in diesem höheren Sinne kann man auch von Scott sagen – wie von den eigentlichen Genies, zu denen er nicht gehört – daß er nur dichtete, was er selbst empfunden und durch lebendig in ihm fortwirkende Tradition selbst erlebt. Wohl sind diese bunten Mären nicht mit der unwiderstehlichen Nötigung der durch persönliche Anlässe befruchteten Triebkraft aus Weh und Jubel der eigenen Seele geboren. Aber so verwachsen fühlte sich Scott mit den Denkmalen und Überlieferungen seiner Heimat, unter welchen er beschaulich wie ein Antiquar in seinem Museum saß, daß ihm alle historischen Vorfälle in seiner Heimat ein Selbstgeschautes wurden.

Deswegen sind auch die eigentlichen schottischen Romane Scotts diejenigen, in welchen sich seine soliden Vorzüge entfalten. Und unter diesen stehen wieder weitaus diejenigen am höchsten, in denen eine nicht zu fern gelegene oder sogar nahe liegende Zeit geschildert wird.

Es ist ferner mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, daß Scott auch der Schöpfer des modernen englischen Gesellschaftsromans geworden ist, indem er zuerst das bürgerliche Leben in treuherziger Breite darstellte und alle Gesellschaftsklassen in den Kreis seiner Gemälde zog. In der Tat, wenn wir die Fülle der von ihm geschaffenen Charaktere überschauen, so können wir nicht in Abrede stellen, daß – »Shakespeare allein ausgenommen« – kein Schriftsteller das menschliche Leben so umfassend darzustellen versuchte.

Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß Scott die Gabe besaß, große politische Verhältnisse in anschaulicher Form zu entwickeln – worin er ebenfalls ohne Vorgänger dasteht und eine sehr gesunde Reaktion sowohl gegen das Ifflandsche Niederländern als gegen die erotische Idyllik der landläufigen Damenliteratur bildete. Nur Schiller, Kleist, Grabbe, Alexis, sowie einige Ansätze de Vignys sind gleichen Zielen gefolgt. Die ungemeine Klarheit, Leichtigkeit und Anschaulichkeit seiner wundersamen Fabulierungsgabe kommt Scott hier besonders zu statten.

Ja, dieser Mann, so beschränkt in seinem Privatleben, erhob sich weit über sich selbst, sobald das Medium der Geschichte ihn inspirierte. Fast alle Dichter erscheinen im tiefsten Sinne subjektiv; Scott aber gestaltete objektiv durch und durch, wie es dem geborenen Epiker ziemt.

Ein Ewigkeitsmensch war er nicht. Er verstand weder die Gegenwart, noch ahnte er die Zukunft. Allein wie wir Burns als einen Shakespeare des Liedes begrüßten, so könnte man Scott füglich einen Shakespeare der Fabulierung nennen. Und zwar der echten künstlerischen Fabulierung, welche man ja nicht mit der gequälten Phantasie-Auspumpung der Dumas und Sue verwechsele. Mit dem glücklichsten Takt eines reifen Künstlertums verschmolz er die verschiedenen Elemente des Lebens, das Tragische und Burleske, zu geschlossener Komposition. Und auch ein wundersames Talent psychologischer Kombinierung blieb ihm nicht versagt. Aus diesem Grunde verehren wir ihn noch heute als Vorbild.

Wenn wir aber somit den größten Romankünstler, den Meister epischer Erzählung im Sinne Homers, in Scott erkennen, so zeigt schon ein Vergleich mit Fielding und Richardson seine Schranken. Er streifte nur die Dinge und ging selten in die Tiefe. In der Breite der Lebensdarstellung hingegen wird er von keinem übertroffen. Julius Hart: Walter Scott, wie Robert Burns ein Schotte, schuf diese nationalpatriotische Geschichtsdichtung, die überall in Europa als etwas ganz Neues angestaunt und aufs eifrigste nachgeahmt wurde, besonders als Scott statt der Verserzählung Prosaromane auf den Markt warf. Das hatte Walter Scott von der deutschen Poesie schon gelernt: die rechte künstlerische Gestaltungsfreude an den Dingen selbst, den Sinn für das Sinnliche der Poesie. Und wenn er jetzt in großen Bildern die schottische Landschaft schildert, so ist sie kein Totes mehr wie bei den älteren, über das man philosophiert und moralisiert, sondern Hintergrund und Schauplatz großer Geschichtsereignisse. Scott schreitet über die Heiden und an den Seen nicht mehr wie ein englischer Nachmittagsprediger dahin, sondern wie ein rechter altgermanischer freier Mann, der seinen Sitz und seine Stimme im Volksrat hat, der die Geschichte seines Volles genau im Kopfe trägt und in den alten Büchern wohlerfahren ist. Er ist ein leidenschaftlicher Antiquitätensammler und weiß in allen alten Burgwinkeln vortrefflich Bescheid. Das Romantische an ihm ist vor allem die Freude an den alten Zeiten und der Vergangenheitskultus.


Julian Schmidt: Es gibt keinen Beruf, dem er nicht gerecht geworden wäre, sobald derselbe nur einen gesunden Inhalt hat. Er hatte ein Herz für das Volk, ein liebevolles Auge für seine Sorgen und seine kleinen Genüsse, und sein konservativer Sinn bezog sich auf alles, was der Erhaltung wert war.


Adolf Stern: Seine Stärke liegt in der Situationsfülle, nicht in der straff durchgeführten Handlung, in der Wiedergabe fertiger Charaktere, nicht in der schwereren Spiegelung innerlicher Charakterwandlung. Die Tiefen der Leidenschaft sind ihm vielfach, wenngleich nicht immer, verschlossen; bei aller Frische und Natürlichkeit steht er zu Zeiten dem Konventionellen näher als der Natur. So war er der Dichter und Erzähler einer in sich befriedigten Gesellschaft, einer Zeit mit festen Anschauungen und Zielen, und mußte mit dem Wachsen der Gärung, des leidenschaftlichen rastlosen Dranges nach dem Neuen, mehr und mehr in den Hintergrund der Teilnahme treten. Die wahrhafte Bedeutung Scotts kann natürlich durch die Launen der Mode nicht gemindert werden, kein Nachweis der Schranken seiner Begabung kann die Kraft und den Reichtum aufheben, den er innerhalb dieser Begabung entfaltet. Prof. Dr. Wülker: Das Hauptverdienst Walter Scotts, des Dichters wie des Romanschriftstellers, war seine große Natürlichkeit und seine außerordentlich naturgetreue Schilderung. Dadurch war er wie kein zweiter befähigt, Sittenbilder aus den verschiedensten Zeiten zu geben und der Begründer des Historischen Romans zu werden. Allerdings darf man von einem Dichter nicht verlangen, daß er sich stets eng an die Geschichte hält: er darf sie mit Sage umgeben, darf Gestalten eigener Erfindung neben die geschichtlichen stellen, wenn er den Leser nur lebhaft in den Charakter der behandelten Zeit zu versetzen weiß. Und dies verstand Scott meisterhaft. Daher gilt er noch heute für das Muster eines Romanschriftstellers.

Erstes Kapitel

Es war zu Frühlings Anfang in einer kalten Provinz Schottlands. Die Natur war aus dem Winterschlaf erwacht. Wenn auch noch nicht die Vegetation verriet, dass die kalte Jahreszeit im Weichen begriffen, so doch die Luft.

Zwei Wanderer, ihrer Tracht nach als solche auf den ersten Blick kenntlich, kamen in der Richtung aus Südwesten her und zogen in der Richtung nach dem Schloß Douglas zu, an einem Flußlaufe gelegen, dessen Tal zu der seltsamen mittelalterlichen Feste eine Art Eingangstor bildete.

Der Fluß, im Verhältnis zu dem Ruf, in welchem er stand, klein, zeigte den Weg an dem Dorfe vorbei zu dem Schlosse hinauf. Es war ein rauher Pfad. Die mächtigen Feudalherren, denen das Schloß schon seit Generationen zu eigen gehörte, hätten sich leicht bequemeren Zugang schaffen können. Allein zu jener frühen Zeit war man noch nicht so klug wie jetzt, und man hielt noch nicht dafür, dass es besser sei, einen Umweg um den Fuß eines Berges zu machen, als in schnurgerader Richtung auf der einen Seite hinauf und auf der anderen hinunter zu steigen.

Noch viel weniger hatte man Ahnung davon, dass der Welt ein Mac Adam beschert werden würde, der aus unwegsamen Naturpfaden durch künstliches Pflaster Salonwege schuf.

Wozu hätten indes die alten Schloßherren vom berühmten Geschlechte der Douglas solche Grundsätze zu den ihrigen machen und anwenden sollen, selbst wenn sie schon bekannt gewesen wären? Von Wagen, die auf Rädern liefen, hatte man, den plumpsten Ackerkarren ausgenommen, noch keine Kenntnis. Selbst die zarte Damenwelt war auf das Roß als einziges Beförderungsmittel angewiesen, im Fall schlimmer Krankheit höchstens auf eine Sänfte oder besser Trage, die aus Weiden geflochten oder aus Brettern zusammengefügt wurde. Die Männer brauchten die eignen derben Gliedmaßen oder den kräftigen Gaul, um von einem Orte zum anderen zu gelangen. Wanderern und besonders Frauen entstanden durch die rauhe Natur des Bodens keine geringen Beschwernisse. Daß ein angeschwollener Wasserlauf ihren Weg schnitt und sie zum Halt nötigte, bis sich das Wasser verlief, war keine Seltenheit; auch nicht, daß ein schweres Gewitter eine Überschwemmung oder ein anderes Naturereignis andere Schäden bewirkte. Wen dergleichen auf seiner Wanderschaft traf, war dann angewiesen auf seine eigne Kenntnis der Gegend, denn sich Kunde bei Leuten über Wegrichtung oder dergleichen zu schaffen, war insofern fast immer ausgeschlossen, als Leute im Freien, auf die Verlaß war, so gut wie nicht zu finden waren. Wer zu jener Zeit seine Scholle nicht verlassen mußte, setzte den Fuß nicht von ihr hinweg.

Der Douglas entspringt in einem Amphitheater von Gebirgen, das nach Süden zu das Tal abschließt, aus dessen Bächen er sein geringes Wasser bekommt, das sich freilich oft durch starke Regengüsse zum Strome mehrt. Das Land, durch das er seinen Weg nimmt, bietet im allgemeinen das gleiche Bild, wie alle Viehzucht treibenden Gebirgsstriche des südlichen Schottlands mit ihren ärmlichen, einsamen Pachthöfen in wilder Gegend.

Zur Zeit, da unsre Geschichte spielt, waren viele dieser Striche, wie ja ihre Namen noch heute besagen, mit Wald bestanden. Die unmittelbar am Douglas gelegenen Striche waren Äcker, schon damals reich ergiebig an Hafer und Roggen; in nicht zu weiter Entfernung vom Ufer mischte sich der Ackerboden mit Viehweide, weiterhin mischte die Viehweide sich mit Waldboden, der dann zu ödem, meist unzugänglichem Moorland sich wandelte.

Damals war Schottland im Kriegszustand; Rücksichten auf Bequemlichkeiten des Lebens mußten der ständigen Lebensgefahr, die den Menschen umgab, weichen. Niemand fiel es ein, Weg oder Steg gangbarer zu machen: je ungangbarer er war, desto sicherer konnte man sich fühlen, desto leichter war es, dem Feinde oder auch nur Fremden den Zugang zu wehren.

Was der Mensch im Hochlande brauchte, um sein karges Leben zu fristen, lieferte ihm Natur und Boden. Andere Bedürfnisse als diese kannte er nicht. Für die Rindvieh- und Schafherden brachten die besseren Striche im Gebirge und in den mit Wald bestandenen Tälern das Futter. Ackerbau war in geringem Maße vorhanden und wurde roh betrieben; die Viehzucht war das eigentliche Element. Zudem fehlte es in den tiefen Wäldern, die außer vom Jäger kaum von einem Menschen betreten wurden, nicht an allerhand Wild, vornehmlich zu solcher Zeit, wo der Grundherr dem Kriegshandwerk oblag und das Weidwerk an den Nagel gehängt hatte, die Tiere also »frei tanzen« durften. Wen damals der Weg durch die rauheren Striche dieses gebirgigen wilden Landes führte, der stieß nicht allein auf alle Arten von Rotwild, sondern auch auf das dem schottischen Hochland eigentümliche wilde Rind; die Wildkatze war in der wilden Gebirgsschlucht, im sumpfigen Dickicht keine Seltenheit; der Wolf, in den dichter bewohnten Strichen der Lothian-Grafschaften schon damals fremd, behauptete sich im Gebirge noch tapfer gegen seinen Urfeind, den Menschen. Zur Winterszeit, wenn ihnen das Futter knapp wurde, zogen sie in Rudeln auf die Kirchhöfe nach Leichenfraß oder umschlichen, wie heute der Fuchs, den Hühnerstall, den einsamen Pachthof, gierig auf Beute lauernd.

Aus dem hier Gesagten vermag sich der Leser ein ziemlich richtiges Bild von dem oberen oder dem »wilden« Douglas-Tale, wie es um die Zeit des 14. Jahrhunderts herum aussah, zu machen.

Die untergehende Sonne warf ihre Strahlen über ein Moorland, das nach Westen zu langsam aufstieg, um in dem Gebirge zu endigen, das als »großer« und »kleiner Cairntable« bekannt ist. Der »große Cairntable« war gleichsam der Vater der umliegenden Höhen, der Hunderten von Bächen das Leben gab, und der höchste Berg der Kette, auf seinen finsteren Hängen von noch finsterern Schluchten durchklüftet und mit jenem Urwald bestanden, der damals noch alles hochgelegene Land und vor allem die Berge deckte, unter dem die Wald- und Gießbäche und größere Wasserläufe, die nach Osten zu laufenden ebensowohl als die in den Solway mündenden, nach Einsiedlerweise ihre spärlichen Quellen versteckten.

Der ältere und stärkere der beiden Wanderer, von denen eingangs gesprochen wurde, war ein stattlicher Herr, in der prunkhaften Tracht der damaligen Mode, und trug auf dem Rücken, nach damaligem Sängerbrauch, einen Ledersack, in welchem eine Harfe, Leier oder Geige oder sonstwelches Musikinstrument geborgen war, das seine Stimme begleiten mußte.

Der Wanderer trug ein blaues Wams und violettfarbenes Beinkleid mit blau abgefütterten Schlitzen. Den Mantel, der nach Landessitte zur Kleidung gehörte, hatte er, der warmen Sonne wegen, zusammengelegt und über die Schultern geworfen. Die Akkuratesse, mit welcher er diese Arbeit verrichtet hatte, ließ in ihm einen Wandersmann von guter Erfahrung vermuten, der gewohnt war, alle Mittel auszunützen, die durch den Witterungswechsel zum Vorteil ausschlugen. Statt der vielen schmalen Bänder oder Schnüre, mit denen Wams und Beinkleid geknüpft wurden, taten Blumen oder Knoten von violettem Band an dieser Tracht den Dienst, und als Kopfbedeckung trug der Sänger die vierkantige Mütze, mit der man in der Regel Heinrich den Achten und seinen Sohn Eduard den Sechsten abgebildet sieht. Nach dem schmucken Zeuge, aus dem sie gefertigt war, zu urteilen, war sie mehr für den Auftritt als Sänger als für Reisen in Sturm und Wetter berechnet. Sie war bunt, denn sie war aus verschiedenfarbigen, meist braunen und violetten Streifen zusammengesetzt. Die Feder von beträchtlicher Länge wies die gleichen, also offenbar Lieblingsfarben des Sängers, auf. Die Gesichtszüge, die von der Feder beschattet wurden, zeichneten sich durch irgendwelchen besonderen Ausdruck nicht aus. Nichtsdestoweniger war es in solch öder, einsamer Gegend wie dem westlichen Schottland nicht eben leicht, an dem Manne vorbeizugehen, ohne ihn genauer ins Auge zu fassen – was ihm vielleicht anderswo, wo der Charakter der Landschaft den Blick mehr auf sich gelenkt hätte, nicht passiert wäre.

Sein Gesichtsausdruck war munter und offen, ermangelte auch nicht einer gewissen Festigkeit, die ihn für ernste Vorfälle gewappnet erscheinen ließ, wie ihrer auf solchen Wanderungen genug an ihn herantreten mochten. Sonst war aber von Waffen, die ihm Schutz hätten sein können, außer einer Art von Krummsäbel, den er an der Seite trug, nichts an ihm wahrzunehmen. Sein Gefährte, sichtlich um vieles jünger, war ein sanfter artiger Jüngling, dessen slowenischer Kittel, das rechte Pilgergewand, dichter um den Körper geschlungen war, als die Kälte notwendig zu machen schien. Sein Gesicht war unter dem Pilgerhute nur wenig sichtbar, zeigte aber Züge von höchst einnehmendem Ausdruck; auf seiner Stirn lagen Spuren von Kummer, in seinen Augen standen Spuren von Tränen. Der Degen, den er an der Seite trug, schien mehr einen Tribut gegen die herrschende Mode darzustellen, als daß er auf Absicht, sich seiner zum Schutze zu bedienen, hätte schließen lassen. Er schien von solcher Müdigkeit übermannt zu sein, daß selbst sein rauher veranlagter Gefährte sich des Mitgefühls nicht erwehren konnte, während er anderseits sichtlich Anteil, wenn auch nur geheimen, an dem Grame nahm, der auf solch liebenswürdigem Antlitz sichtbare Spur hinterlassen hatte.

Beide sprachen zusammen. Der Ältere, in dessen Mienenspiel deutlich jene Achtung zum Ausdruck kam, die dem Manne untergeordneten Ranges dem höher gestellten gegenüber zukommt, verriet seine Teilnahme und Zuneigung im Ton und im Benehmen.

»Freund Bertram,« sprach der jüngere Wanderer, »wie weit sind wir noch von Douglas Castle entfernt? Wir sind doch schon über zwanzig Meilen gewandert, und du sagtest doch, weiter sei es von Cammock aus nicht. So nanntest du doch die letzte Herberge, die wir bei Tagesanbruch verließen?«

»Cumnock, teuerste Dame! – ach, gnädigster junger Herr, wollte ich sagen – bitte tausendmal um Verzeihung!«

»Nenne mich Augustin, Bertram,« versetzte der Jüngere, »wenn du mich anreden willst. Es schickt sich besser für diese Zeiten.«

»Was das anbetrifft,«.sagte Bertram, »muß ich sagen, daß meine persönliche Erziehung, wenn sich auch Eure Ladyschaft herbeiläßt, ihren Stand beiseite zu setzen, nicht so mit mir verwachsen ist, daß ich sie ablegen und anlegen dürfte, ohne daß Stiche dabei verloren gingen! Geruht nun Eure Ladyschaft, der ich Gehorsam gelobt habe, mir zu befehlen, daß ich sie behandle als meinen Sohn, so wäre es doch eine Schande für mich, wollte ich ihr nicht die Liebe eines Vaters erweisen, vornehmlich wenn ich meinen heiligsten Eid ablegen kann, daß ich ihr solche Pflicht schuldig bin, trotzdem hier, wie ich recht wohl weiß, der Fall vorliegt, daß der Vater von seines Kindes Güte und Freigebigkeit das Leben fristet. Denn wann wäre nicht, wenn es mich hungerte oder dürstete, der Seitentisch von Berkeley für mich gedeckt gewesen?«

»So wenigstens war es mein Wille«, versetzte der junge Pilger. »Wozu sollen die Berge von Rindfleisch, die unser Vieh gibt, und das Meer von Bier da sein, das, wie es heißt, auf unseren Gütern gebraut wird, wenn sich Hungrige unter unseren Vasallen befinden? Wenn gar du hungern oder dursten solltest, du, Bertram, der unserm Hause mehr denn zwei Jahrzehnte als Sänger gedient hat?«

»Freilich, edle Dame,« erwiderte Bertram, »das wäre ja ähnlich der Katastrophe, die man vom Baron von Fastenough erzählt, als die letzte Maus in seiner Vorratskammer verhungert war. Entgehe ich solchem Unglück auf dieser Reise, so lasse ich mir nicht mehr ausreden, daß Hunger und Durst mir mein Lebtag nichts mehr anhaben können.«

»Ein paarmal hast du wohl schon recht darunter gelitten, mein armer Freund?« fragte die junge Dame.

»Was ich gelitten, hat wenig zu sagen. Undankbar wäre ich, wollte ich solcher geringfügigen Unbequemlichkeit, wie dem Mangel eines Frühmahls oder andern Essens, solch ernste Benennung geben. Aber kaum zu begreifen bin ich imstande, wie Eure Ladyschaft solchen Marsch länger ertragen soll. Daß es kein Spaß ist, in diesen Hochlanden zu wandern, wo uns der Schotte solch reichliches Maß von seiner Meile gibt, müßt Ihr nun selber fühlen; und was Schloß Douglas angeht, so muß ich wohl sagen, gute drei Meilen ist es noch immer bis zum Fuße des Berges, auf welchem es steht.«

»Es fragt sich also,« antwortete die Dame mit mattem Seufzer, »was hier zu tun ist, wenn wir noch solch weiten Weg haben; denn es läßt sich wohl annehmen, daß das Schloßtor längst geschlossen sein wird, ehe wir hinkommen.«

»Die Tore des Schlosses Douglas stehen unter Obhut von Sir John de Walton und öffnen sich nicht so leicht wie die Wände von unserem Butterschrank in Eurem Schlosse, wenn die Angeln gut geschmiert sind. Wenn sich Eure Ladyschaft meinem Rate fügen und umkehren will, dann sind wir nach höchstens zwei Tagen wieder in einem Lande, wo für menschliche Bedürfnisse in guten Gasthöfen schnell gesorgt wird. Dann wird außer uns beiden, so wahr ich beeidigter Sänger und ein Mann von Wort bin, kein Sterblicher je von dem Geheimnis dieser kleinen Wanderung etwas erfahren.«

»Vielen Dank für deinen ehrlichen Rat, Bertram!« antwortete die Dame; »aber ich kann keinen Gebrauch davon machen. Solltest du bei deiner Ortskenntnis irgendwo in der Nähe ein anständiges Haus wissen, gleichviel ob es reichen oder armen Leuten gehört, so würde ich gern dort nächtigen, falls ich bis zu morgen früh dort Unterkunft bekommen könnte. Die Tore vom Schlosse Douglas werden sich dann für Gäste solch friedlichen Aussehens schon öffnen – und – nun ja, warum soll ich es nicht sagen? – wir würden dann wohl auch Zeit finden, solcher Art für unseren äußeren Menschen zu sorgen, daß wir uns freundlicher Aufnahme für sicher halten könnten!«

»Ach, teure Lady!« versetzte Bertram; »käme nicht Sir John de Walton in Frage, so möchte ich fast lieber sagen, eine ungewaschene Stimme und ungekämmtes Haar und schmutzige Tracht waren geeigneter, die Maske eines Sängerknaben zu bewahren, für den Ihr im gegenwärtigen Kostüm doch gehalten sein wollt.«

»Ist es dir wirklich recht, Bertram, daß deine Zöglinge solch täppisches, unsauberes Äußere haben?« fragte die junge Dame; »ich wenigstens mag ihnen nicht nachtun, und sollte nun Sir John im Schlosse Douglas sein oder nicht, so will ich auch den Soldaten nicht, denen solch ehrenvolle Wache übertragen, mit ungewaschener Stirn und ungekämmtem Haar aufspielen. Daß ich Kehrt machen sollte, Bertram, ohne ein Schloß gesehen zu haben, das mir sogar im Traum erscheint, das ist ausgeschlossen. Du kannst umkehren, wenn du willst, Bertram; aber in meiner Begleitung wird es nicht geschehen.«

»Wenn ich mich von Eurer Ladyschaft trennen sollte auf solche Bedingungen hin,« versetzte der Sänger, »so könnte mich, nachdem Eure Maskierung fast völlig gelungen ist, nur der Böse in Person oder ein andres feindliches Wesen, aber nicht geringer als er, von Eurer Seite reißen. Bis zum Hause eines gewissen Tom Dickson von Hazel-Side ist es nicht weit von hier. Er ist einer der ehrlichsten Bursche im ganzen Tal und, wenn auch bloß Bauersmann, von gleich hohem Range wie je ein Krieger oder Edelmann, der mit den Scharen der Douglas ritt, als ich noch hier im Lande war.«

»Er ist also Soldat?« fragte die Dame.

»Soldat, wenn sein Vaterland oder sein Lehnsherr sein Schwert braucht«, versetzte Bertram; »und da die Schotten selten ruhig sitzen, kommt ja sein Schwert nicht zum Rosten. Sonst aber ist er bloß den Wölfen feind, die seine Herde zerfleischen.«

»Vergiß nicht, Bertram,« warf die Dame ein, »daß englisches Blut in unsern Adern fließt, daß wir demnach Gefahr zu besorgen haben von seiten aller, die sich als Feinde des roten Kreuzes bekennen.«

»In die Treue des Mannes setzt keinen Zweifel«, sprach Bertram; »Ihr dürft ihm trauen wie dem besten Ritter oder Edelmann des Landes! Vielleicht erwerben wir uns Quartier durch ein Lied, und ich möchte hier daran erinnern, daß ich es unternommen habe, mich mit den Schotten auf etwas guten Fuß zu stellen. Der Schotte liebt Musik. Wollen wir es also bei Tom Dickson auf solche Art hin versuchen?«

»O, seine Gastfreundschaft wollen wir gewiß annehmen,« erwiderte die Dame, »da du dein Wort als Sänger gegeben hast, daß er treu und verläßlich ist. Tom Dickson nanntest du ihn?«

»Ja, so heißt er,« sagte Bertram, »und da wir dort Schafherden sehen, befinden wir uns, wie ich glaube, schon auf seinem Grund und Boden.«

»Was du sagst!« rief die Dame nicht ohne Überraschung; »wie und woran kannst du das sehen?«

»Die Schafe tragen, wie ich sehe, die Anfangsbuchstaben seines Namens«, entgegnete der Sänger; »Gelehrsamkeit und Weisheit, meine Dame, bringen einen Mann durch die Welt, als besäße er den Ring, durch dessen Zauberkraft, wie alle Dichter sagen, Adam die Sprache der Tiere im Paradiese verstand. Ach, Madame! Weit klügere Dinge werden in Schäferhütten gelehrt als Damen glauben, die sich in der Sommerstube ihr buntes Kleid nähen.«

»Es mag wohl so sein, Bertram, wenngleich ich in der Kenntnis des geschriebenen Wortes nicht so bewandert bin wie du! Drum wandern wir, bitte, auf nächstem Wege zu Tom Dicksons Hütte, den uns übrigens seine Schafe wohl auch weisen. Hoffentlich haben wir nicht mehr weit; die Gewißheit, unsre Wanderung für heute um ein paar Meilen zu kürzen, macht mich übrigens so frisch und munter, daß ich den ganzen übrigen Weg ohne Mühe bezwingen könnte.«

Zweites Kapitel

Die Reisenden kamen zu einer Wegbiegung, die einen freiern Blick gestattete als die zerklüftete Landschaft bisher. Eine Bergwiese, mit Erlen, Haselsträuchern und Eichen bestanden, bot einen freundlichen Anblick. Der Pachthof oder das Herrenhaus – nach Größe und Aussehen waren beide Annahmen zulässig – war ein geräumiger, aber niedriger Bau, mit Mauern so stark, daß sie jedem räuberischen Überfall hätten standhalten können. Etwa eine halbe Meile entfernt stand eine halbverfallene Kapelle gotischen Baustils von mäßigem Umfange, die von dem Sänger als Abtei Saint-Bride bezeichnet wurde.

»Wie ich gehört habe,« erklärte er weiter, »sind die Ruinen stehen geblieben, weil im Anbau noch ein paar alte Mönche und Nonnen hausen, denen von der englischen Regierung gestattet worden ist, an der alten Stätte ihrem Herrn zu dienen, auch schottischen Wanderern ein Viatikum zu spenden. Demgemäß haben Mönche und Nonnen dem Sir Walton gehuldigt und einem Geistlichen sich untergeordnet, auf den sich Sir Walton verlassen zu dürfen glaubt. Indessen sollen, wenn Gäste dort Geheimnisse offenbaren oder durchschimmern lassen, die Mönche Anzeige an die englische Regierung gelangen lassen. Ich möchte es also für am besten halten, wenn Eure Ladyschaft nicht anders zu bestimmen geruht, daß wir dort keine Gastfreundschaft nachsuchen.«

»Allerdings nicht,« pflichtete die Dame bei, »falls du ein Quartier mit verschwiegenerem Wirt für uns aufzufinden vermagst!«

In diesem Augenblick kamen zwei Personen in Sicht, die in einer den beiden Wanderern entgegengesetzten Richtung auf den Pachthof zuschritten und sich in so lautem Tone zankten, daß die Stimmen trotz der nicht unerheblichen Entfernung deutlich zu hören waren.

Bertram hielt eine Weile lang, um besser zu sehen, die Hand über die Stirn. Dann rief er:

»Bei Gott! Es ist mein alter Freund Dickson! Was bringt ihn so auf gegen den jungen Burschen, der meines Wissens sein Sohn Karl ist, der kleine Wildfang, der vor etlichen zwanzig Jahren herumzuwildern und Binsen zu flechten pflegte? Ein Glück, daß wir unsre Freunde noch auf den Beinen treffen; denn ich wette, Tom hat ein tüchtiges Stück Fleisch im Topfe und müßte seinen Sinn völlig verändert haben, wenn er nicht für einen alten Bekannten davon übrig haben sollte. Wer weiß aber, ob er später den Riegel von seinem Tore gelöst hätte? Liegt doch feindliche Besatzung in der Nähe! Wollen wir das Ding beim rechten Namen nennen, so gilt doch englische Besatzung im Schlosse eines schottischen Laird als feindliche Besatzung!«

»Tor, der du bist!« versetzte die Dame; »urteilst über Sir John de Walton, als sei er ein grober Bauer, dem der Kamm schwillt, wenn er merkt, daß er die Hände frei hat? Mein Wort könnte ich dir geben, daß du hierzulande, vom Streit um den Besitz der Königreiche abgesehen, der natürlich von beiden Teilen in ritterlichem Kampfe ausgefochten wird, Engländer und Schotten in friedlich-freundlichem Beisammenleben unter Sir Waltons Zügel finden wirst, wie keine Schaf- und Ziegenherde unter Obhut eines Schäferhundes friedlich-freundlicher zusammenleben kann. Sir John de Walton mag den Schotten als Feind gelten, vor dem sie bei gewissem Anlaß fliehen; er wird ihnen aber auch als Beschützer gelten, unter dessen Schirm sie sich flüchten, wenn sich ein reißender Wolf zeigt.«

»Eurer Ladyschaft meine Meinung hierüber zu äußern getraue ich mir nicht«, versetzte Bertram; »ein junger Ritter in Rüstung ist aber ein ander Ding als ein junger Ritter in Balltracht, der bei den Damen scharwenzelt.« Mit Donnerstimme rief er hierauf: »Dickson! Holla, Tom Dickson! Erkennt Ihr etwa den alten Freund nicht, der auf Eure Gastfreundschaft rechnet für Nachtmahl und Nachtquartier?«

Der Schotte, durch den Ruf aufmerksam geworden, blickte über den Douglas hinüber, dann auf die kahle Böschung und ließ den Blick endlich auf den beiden Gestalten haften, die den Weg ins Tal hinunterstiegen.

Der Pächter vom Douglas-Tal hüllte sich, als er aus der windgeschützten Niederung heraustrat, den Wanderern entgegenging, fester in seinen groben Mantel, der dem schottischen Schäfer ein so romantisches Aussehen leiht, ob er gleich geringere Farbenpracht und kargeren Faltenwurf aufweist als der Kriegsmantel der Hochländer.

Als er näher kam, sah die Dame, daß er ein rüstiger, kräftiger Mann war, über die mittleren Jahre schon hinaus, mit Spuren des nahenden Greisentums, aber noch immer mit mannbarem, trutzigem Zug auf dem Antlitz, das manchen Sturm bestanden hatte, und noch immer mit Augen so scharf, daß man es ihnen auf den ersten Blick ansah, welch scharfe Wache sie zu halten gewohnt seit Jugend waren.

Auch Verdruß zeigten sie noch, diese Züge: Verdruß über den schmucken Jüngling, der ihm zur Seite schritt und dessen Gesicht deutliche Kunde gab, daß es keine sanften Äußerungen gewesen sein mochten, durch die sich des Vaters Grimm gegen ihn Luft gemacht hatte.

»Gedenkt Ihr denn meiner nicht mehr, Tom,« hub Bertram an, als beide nahe genug beieinander standen, um ein Gespräch zu beginnen – »oder haben zwanzig Jahre, die über unsere Köpfe gezogen, alle Erinnerung an Bertram, den englischen Spielmann und Sänger, mit sich genommen?«

»Nun, nun,« versetzte der Schotte, »an Landsleuten von Euch fehlt es ja nicht bei uns, die einem die Erinnerung an Euch wachhalten. Aber wir sind nun doch mal so ungehobelt, daß man das Gesicht eines alten Freundes vergißt und kaum von weitem erkennt. Es hat aber in jüngster Zeit viel Unruhe hier gesetzt. Oben in dem schlimmen Schlosse Douglas halten tausend Landsleute von Euch Besatzung, und an anderen Plätzen im Tale auch: das ist kein lustiger Anblick für einen Schotten! Sogar in meinem armen Hause ist ein Schwerbewaffneter mit ein paar Bogenschützen quartiert worden, und als Dreingabe hat's ein paar mutwillige Jungen gesetzt, Pagen mit Namen, die einem Manne das Maul verbieten, wenn er an seinem Herde davon spricht, der Platz, wo er stände sei sein Eigentum! Indessen hegt darum, alter Freund, keine üble Meinung von mir, wenn ich Euch mit kälterem Willkomm begrüße, als Ihr von einem Freunde erwarten könnt; denn bei Saint-Bride am Douglas! es ist mir kaum was geblieben, Euch willkommen zu heißen!«

»Auch karger Willkomm reicht«, versetzte Bertram; »mein Sohn, mach dem alten Freunde deines Vaters dein Kompliment! Mein Augustin, Freund Dickson, erlernt mein lustiges Handwerk; bis er aber die Mühsal, die es im Gefolge hat, ganz wird bewältigen können, wird wohl noch mancherlei Übung erforderlich sein. Wollt Ihr ihm ein wenig Nahrung und für die Nacht ein ruhiges Bett geben, dann geht's uns beiden bei Euch besser als gut! Reist Ihr mal mit Eurem Karl – denn der hübsche schlanke Jungmann neben Euch ist doch kein anderer als mein Taufpate – so werdet Ihr Euch wohl auch erst recht behaglich fühlen, wenn für seine Bedürfnisse gesorgt ist.«

»Satan soll mir die Suppe salzen, wenn es mal so sein soll!« rief der schottische Landmann; »mag er's doch allein wissen, aus welchem Stoffe heute die jungen Kerle geschaffen sind: aus dem ihrer Väter ganz sicher nicht! Soll er sie holen, wenn's ihm paßt! Solche Nahrung und Unterkunft hat der wackere Lord Douglas, bei dem ich Leibdiener war, – Ihr wißt's ja, Freund Bertram – als Page bei Gott nicht begehrt, wie sie jetzt solchen Patron, wie Euren Taufpaten Karl, nicht mal zufriedenstellt.«

»Nun, mein Augustin,« meinte Bertram, »ist nicht wählerisch; aus anderer Ursach muß ich aber um ein besonderes Bett für ihn ersuchen. Er ist in letzter Zeit unpaß gewesen.«

»Hm, ich verstehe,« meinte Dickson, »Euer Sohn hat wohl was von der Krankheit gehabt, an der Eure Engländer so häufig draufgehen und die mit dem schwarzen Tode ausgeht? Wie hier verlautet, soll die Krankheit im Süden arg gewütet haben. Kommt sie auch hierher?«

Bertram nickte.

»Nun, in meines Vaters Hause,« nahm der Pächter wieder das Wort, »sind der Stuben mehr denn eine, und Eurem Sohne soll eine luftige, geräumige Stube zurechtgemacht werden! Essen müßt Ihr halt mit Euren Landsleuten, müßt zusehen, was die für Euch übrig lassen; muß halt ein Dutzend solcher Mäuler jetzt füttern! Schäme mich, sagen zu müssen, daß ich im eigenen Hause nach ihrer Pfeife tanzen muß! Ha, besäße mein guter Lord noch sein Schloß, so möchte es auch mir an Herz und Hand nicht fehlen, das ganze Gesindel aus dem Hause zu schmeißen! Aber – ein Trost für uns arme Schlucker: der edelste Laird in Schottland befindet sich kaum in besserer Lage!«

»Tom Dickson,« warf Bertram ein, »jetzt siehst du den Fall durch bessere Brille. Ich will durchaus nicht sagen, daß der weisere, reichere und stärkere Mann ein Recht darauf hätte, den schwächeren, ärmeren und dümmeren Nebenmenschen zu tyrannisieren; läßt sich ein solcher aber in Streit ein, so muß er sich dem Laufe der Natur auch unterwerfen; und gleichwie kein Wasser den Berg hinaufläuft, so kann auch im Kriege der Vorteil bloß dem zuteil werden, der den andern überrascht.«

»Mit Verlaub aber,« versetzte Dickson, »kann der schwächere Teil, wenn er bis zum äußersten ausholt und seine Kraft bis zum äußersten anstrengt, schließlich Rache an dem Urheber seiner Leiden nehmen! Also doch zu leidlichem Ausgleich der Unterjochung gelangen! Ganz gewiß handelt jeder als Mensch töricht, und jeder Schotte unverantwortlich dumm, der solche Unbill mit Stumpfsinn trägt und, statt die vom Himmel gesetzte Zeit abzuwarten, voreilige Rache zu nehmen sucht! Aber durch solche Reden werde ich Euch, wie schon manchen Eurer Landsleute, von Haus und Hof scheuchen, daß Ihr weder Nachtmahl noch Nachtquartier in einem Haufe nehmen wollt, wo Euch am Morgen blutige Entscheidung unseres Rassenkampfes treffen könnte.«

»Keine Sorge in solcher Hinsicht«, versetzte Bertram; »wir sind seit alters Freunde miteinander, und ich versehe mich von Eurer Seite ebensowenig liebloser Aufnahme, als Ihr erwarten werdet, der Zweck meiner Herkunft sei, neue Kränkungen zu jenen, über die Ihr Klage führt, zu fügen.«

»Recht so«, antwortete Tom Dickson; »seid also in meinem Hause ebenso willkommen, alter Freund, wie zu der Zeit, als sich bloß Gäste darin befanden, die ich selber geladen hatte. Für Euren Sohn, den Herrn Augustin, gilt, wie ich wohl nicht hinzuzufügen brauche, das gleiche.«

»Aber nun sagt mir doch, Tom,« fragte Bertram, »was hat Euch Anlaß gegeben zu solchem Verdruß über meinen Taufpaten?«

Bevor der Vater Zeit fand zum Sprechen, hatte der Jüngling erwidert: »Der Vater, Herr Pate, mag die Sache hinstellen wie es ihm beliebt, so bleibt doch bestehen, daß in solch unruhvollen Zeiten die klügsten Leute schwach im Kopfe werden. Er hat's mit angesehen, daß ein paar Wölfe sich unsere besten Widder holten, und weil ich der englischen Besatzung zurief, Alarm zu blasen, ist er so ergrimmt, daß er mich hätte morden können! Und weshalb? Weil ich den Widder aus Wolfsrachen retten wollte, damit er in anderer Wölfe Rachen käme!«

»Eine seltsame Meldung über dich, alter Freund!« rief Bertram; »gönnst du den Wölfen, sich an deiner Herde zu mästen?«

»Reden wir nicht weiter davon, wenn du mir Freund sein willst; Karl könnte dir von Dingen sprechen, die näher liegen. Schweigen wir aber jetzt darüber!«

Als der Sänger inne wurde, daß sich der Landmann ärgerte, drängte er nicht weiter in ihn. Zudem setzten sie gerade den Fuß über die Schwelle und Soldatenstimmen schallten ihnen entgegen.

»Still, Anthony«, rief eine rauhe Stimme; »still, Mensch! Um der gesunden fünf Sinne halber, wenn nicht der guten Manieren halber. Auch Robin der Rote hat sich früher an keinen Tisch gesetzt, als bis der Braten fertig war!«

»Fertiger Braten?« rief eine andere, nicht minder rauhe Stimme; »das ist mir ein Braten, wie er sich elender kaum denken läßt! Und verflucht wenig Anteil davon kommt diesem Schuft von Dickson zu, seit unser Kommandant, der würdige Sir John de Walton, ausdrücklich befohlen hat, daß alle Soldaten auf Vorposten den Wirten alle Vorräte abliefern, die ihnen vom eigenen Lebensunterhalt übrig bleiben.« »Schäme dich, Anthony, schweige!« erwiderte der Kamerad des Schreiers; »wenn ich jemals den Schritt unseres Wirtes gehört habe, dann jetzt! Laß das Geknurr, denn unser Kommandant hat strenge Strafe auf jeden Unfrieden zwischen seiner Mannschaft und den Landbewohnern gesetzt!«

»Ich habe zu Unfrieden keinen Anlaß gegeben«, versetzte Anthony; »aber recht wäre es mir schon, ich würde, von meinem Mißtrauen gegen unseren finsteren Wirt, diesen dickköpfigen Schuft von Tom Dickson, erlöst. Ich gehe in seinem Loche selten zu Bett ohne den Gedanken, daß mir der Hals mal beim Aufwachen klaffen wird wie einer durstigen Auster die Schale ... Da kommt er aber,« setzte er hinzu, seine laute Stimme mäßigend – »in den Kirchenbann mögen sie mich tun, wenn er nicht das tolle Vieh, seinen Jungen Karl, und noch ein paar Fremde dazu herschleift, bloß um uns das Abendbrot zu verweigern, wenn sie nichts anderes zu unserem Schaden vorhaben.«

»Pfui, Anthony«, rief sein Kamerad; »du bist doch ein so tüchtiger Armbrustschütz, wie kaum einer den grünen Rock trug, und tust doch gerade, als fiele dir das Herz in die Hosen, wenn dir zwei müde Wanderer vor die Augen kommen! Fürchtest dich wohl gar davor, daß sie uns den Trank heut abend dünn machen? Wozu hätten wir denn Armbrüste und Partisanen, wenn wir uns mit solchem Quark befassen wollten? He! Sieh da! Quartierherr Dickson! Was bringt denn Ihr? Bekannt ist Euch doch aus unserer Instruktion, daß wir Fremden, die den Fuß zu Euch setzen, außer solchen, die ungebeten kommen wie wir, auf den Zahn fühlen sollen, bevor Ihr sie aufnehmt? Seid Wohl, wie mir scheint, ganz so bereit zum Nachtmahl, wie das Nachtmahl für Euch? Nun, mein Freund Anthony brennt vor Ungeduld, ich möchte deshalb ihn und Euch nicht länger aufhalten, als die Antwort auf ein paar Fragen in Anspruch nehmen wird.«

»Bogenspanner!« versetzte Dickson; »du bist ein recht höflicher Gesell! Und wenngleich es hart ankommt, Rechenschaft über Freunde abzulegen, denen man bei sich Quartier geben will, so unterwerfe ich mich doch den Zeitumständen und bin Euch zu Willen. Schreibt Euch also in Euer Meldebuch: Am 14. Tage vor Palmsonntag hat Thomas Dickson in sein Haus am Hazelside, worin Ihr auf Befehl des Gouverneurs als Besatzung liegt, zwei Freunde aufgenommen und bewirtet, was ihm zurzeit und am Ort nicht zu wehren war.«

»Aber wer sind die Fremden?« fragte Anthony schroff.

»Eine schöne Welt,« brummte Tom Dickson, »in der man gezwungen ist, jedem gemeinen Gesellen zu antworten!« Dann aber fügte er hinzu: »Der ältere meiner Gäste ist Bertram, ein englischer Spielmann und Sänger, mir seit zwanzig Jahren bekannt und nie anders denn als ehrlicher und braver Mensch; der jüngere ist sein Sohn, seit kurzem in Genesung begriffen von der englischen Krankheit, die in Cumberland und Westmoreland so arg gewütet hat!«

»Ist es derselbe Bertram, der vorm Jahr im Dienst einer edlen Dame in England drüben stand?« fragte der Bogenspanner.

»Gehört habe ich davon«, versetzte Dickson.

»So werden wir sie wohl passieren lassen, denke ich; denn von Gefahr scheint nichts vorhanden.«

»Ihr seid mein Vorgesetzter und seid der ältere«, sagte Anthony; »aber erinnern möchte ich daran, daß wir einem jungen Menschen, der an solcher Krankheit gelitten, ohne besondere Vorfrage nicht Einlaß ins Schloß gewähren dürfen. Lieber sähe, glaube ich, Sir John de Walton den schwarzen Douglas mit tausend Teufeln, so schwarz wie er selber, da es doch seine Farbe ist, im Besitze von Hazelside, als solche Person mit solchem Ansteckungsstoff oben im Schlosse.«

»Deine Worte sind wahr, Anthony«, antwortete sein Kamerad; »es ist nach meiner Meinung wohl am gescheitesten, wir machen ihm Meldung und fordern Befehle, wie mit dem Grünschnabel verfahren werden soll.«

»Mir recht«, sagte der Armbrustschütze; »zuvörderst stellen wir dem Gelbschnabel wohl ein paar Fragen: wie lange er krank gewesen; welcher Arzt ihn kuriert hat; wie die Zeugnisse über seine Heilung lauten. Wir müssen doch zeigen, daß wir ungefähr wissen, was für solchen Fall in Betracht tritt.«

»Stimmt, Bruder«, pflichtete der Bogenspanner bei; »du hörst doch, Spielmann, daß wir deinen Sohn befragen wollen – wo steckt er denn, er war doch eben noch da?«

»Freilich«, lautete Bertrams Antwort; »aber er ist auf seine Stube gegangen. Aus Rücksicht auf Euer Gnaden Gesundheit hat ihn der fürsorgliche Wirt sogleich auf seine Stube gebracht, wo er am besten aufgehoben sein wird.«

»Wir müssen aber bei einem Falle wie dem vorliegenden, bevor wir Euch erlauben dürfen, nach Schloß Douglas weiter zu ziehen, ein paar Fragen an Euren Sohn stellen, wohin er, wie Ihr sagt, Botschaft zu bestellen hat.« »Die Botschaft wird mehr meine als seine Sache sein, Herr«, bemerkte der Sänger.

»Dann genügen wir unserer Pflicht am besten und einfachsten, wenn wir Euch beim Tagesgrauen ins Schloß hinaufschicken und Euren Sohn im Bett lassen, bis wir Weisung von Sir John erhalten, ob er ins Schloß hinauf darf oder nicht.«

»Recht so, Freund«, pflichtete der Spielmann bei, »indessen eins, wenn ich bitten darf: mein Sohn ist ein guter und sanfter Bursch, wenig gewohnt, unter den Menschen, welche diese wilden schottischen Wälder bewohnen, eine Rolle zu spielen. Ich hoffe also, daß Ihr Rücksicht gegen ihn walten laßt.«

»Hm«, machte der ältere und höflichere der beiden Soldaten; »wenn Euer Sohn solcher Neuling auf dieser Erdenreise ist, so möchte ich doch raten, für die Zeit, bis Ihr vor den Gouverneur gelangt, seine Fragen beantwortet habt und Bescheid über Euren Jungen bekommt, ihn im nahen Kloster zu beherbergen. Erlangt Ihr keinen guten Bescheid, so kann er doch dort verweilen, bis Ihr Euer Geschäft auf Schloß Douglas beendigt habt und wieder bereit seid, die Reise anzutreten. Beiläufig gesagt, sind die Nonnen drüben eher älter denn jünger als die Mönche und tragen Bärte fast so lang wie jene – Ihr könnt also, was die Sittlichkeitsfrage angeht, völlig beruhigt sein.«

»Kann ich solche Erlaubnis erlangen,« sprach der Sänger, »so wäre es mir lieber, ihn in der Abtei zu lassen und zuvor die Befehle des Kommandanten in Person einzuholen.«

»Sicher ist dies das beste Verfahren! Mit ein paar Goldfüchsen kannst du den Schutz des Abtes von Saint-Bride dir rasch verschaffen. Aber eins noch, Freund! Ihr habt auf Euren Irrfahrten doch sicher gelernt, was ein Morgenschluck ist? He? Und daß man mit ihm Leute zu traktieren pflegt, die einem bei gewissen Anlässen gefällig waren?«

»Ich verstehe, Freund, was Ihr meint«, beschied ihn der Sänger; »wenn auch die Börsen von Leuten meines Standes nicht gerade durch Fülle sich auszeichnen, so sollt doch Ihr deshalb nicht Not leiden! Ein gutes englisches Goldstück zur Entnahme eines guten englischen Trunkes in gutem englischen Hause ist schon noch vorhanden!«

Mit diesen Worten legte der Sänger einen Sovereign auf den Tisch.

»Ich sehe, wir verstehen einander«, sagte lachend der Armbrustschütz; »sollten sich Erschwernisse einstellen, so ist Euch Anthonys Beistand sicher. Indessen wird es doch gut sein, Euren Sohn bald von dem Besuch in Kenntnis zu setzen, den er morgen beim Abte abstatten soll. Ihr könnt Euch wohl denken, daß wir mit dem Gange nach Saint-Bride nicht säumen dürfen, sobald die Röte am Himmel herauf ist. Junge Leute lieben den Morgenschlaf.«

»Ihr sollt nicht Ursache finden zu solchem Glauben«, sagte der Jäger; »die Lerche ist nicht früher als mein Sohn! Bloß darum bitte ich nochmals, so lange sich mein Sohn in Eurer Gesellschaft befindet, leichtfertige Reden zu lassen. Er ist ein harmloser Knabe und furchtsam im Gespräch.«

»Spielmann,« sprach der ältere Soldat, »Ihr malt uns den Satan zu plump! Seid Ihr zwanzig Jahre Sänger und Spielmann, wie Ihr sagt, dann muß doch Euer Sohn, wenn er Euch von Kindesbeinen an Gesellschaft geleistet hat, jetzt selber eine Schule aufmachen können, die Ausübung der sieben Todsünden zu lehren, die doch kein anderer Mensch besser kennt als ein Spielmann!«

»Du sprichst wohl wahr, Kamerad,« erwiderte Bertram, »und in dieser Hinsicht verdienen die Spielleute freilich Tadel. Indessen ist solcher mein Fehler nie gewesen: im Gegenteil!... Aber wenn Ihr erlaubt, so will ich jetzt ein Wort mit meinem Augustin sprechen, daß wir morgen beizeiten auf den Beinen sein müssen.«

»Tut das, Freund,« sprach der Soldat, »und zwar um so schneller, als ja doch unser karges Abendbrot wird warten müssen, bis Ihr fertig seid, daran teilzunehmen.«

»Hierzu will ich kein Aufenthalt sein,« erwiderte Bertram, »denn auch mich verlangt es nach ein paar Bissen.«

»Dann kommt«, sagte Dickson, der seit kurzem wieder in der Stube war; »ich will Euch zeigen, wo ich dem jungen Vogel sein Nest gebettet habe.«

Er stieg eine Holztreppe hinauf und klopfte an eine Tür.

»Euer Vater,« sagte er, als sie sich öffnete, »will mit Euch sprechen, Herr Augustin.«

»Entschuldigt, bitte, Herr Wirt«, versetzte der also Angeredete; »weil die Stube gerade über Eurer Eßstube liegt und der Fußboden wohl nicht im sichersten Stande ist, habe ich wohl oder übel horchen müssen, was unten gesprochen wurde.«

»Wie gefällt Euch denn die Aussicht, drüben im Kloster zu weilen?« fragte der Wirt. »Recht gut,« erwiderte die als Augustin eingeführte Dame, »sofern der Abt, wie es seinem Berufe ziemt, ein freundlicher Herr ist.«

»Der ist um so freundlicher,« meinte Tom Dickson lachend, »je tiefer Ihr mit der Hand in die Geldkatze greift.«

»Das muh ich schon meinem Vater überlassen,« erwiderte Augustin, »der ihm wohl billige Forderungen nicht abschlagen wird.«

»Gut, mein Sohn,« sagte Bertram, »und damit du morgen beizeiten bereit bist, soll dir der Wirt Speise und Trank heraufbringen. Lege dich dann zeitig schlafen. Der morgige Tag wird neue Arbeit bringen.«

Unten wurde Stampfen von Hufen laut. Die Soldaten salutierten vor einem Reitersmann. Bertram merkte bald aus dem Gespräch heraus, das nun unten anhub, daß der Berittene der Ritter war, zu dessen »Lanze«– nach dem damaligen Kriegsausdruck – die beiden Armbrustschützen gehörten, und Aymer de Valente hieß, seinem Range nach Adjutant des Gouverneurs vom Schlosse Douglas.

Uni jedem Verdacht die Spitze abzubrechen, meldete sich Bertram auf der Stelle bei dem Ritter, den er mit seinen Untergebenen zusammen beim Abendtische traf. Die Befragung Bertrams durch den Ritter war bei weitem genauer und umständlicher als vordem durch den Bogenschützen, vollzog sich aber unter Wahrung höflichster Formen. Sehr zufrieden war Bertram, daß Aymer de Valence nicht darauf bestand, den Sohn zu sehen, und daß der Ritter gern darein willigte, für denselben die Abtei als passenden ruhigen Wohnsitz zu wählen, bis der Gouverneur über seinen weiteren Verbleib Entscheidung getroffen habe.

Mit Tagesanbruch begab sich der Sänger unter dem Geleit des Ritters mit seinem jungen Sohne nach der Abtei und traf mit dem Abte Hieronymus die Abrede, daß sein Sohn mit Genehmigung des Ritters Aymer de Valence in der Abtei Herberge und Verköstigung gegen eine entsprechende Vergütung in Form eines Almosens für solange erhalten solle, bis die Bedingungen über seine Weiterreise nach dem Schlosse Douglas in zustimmendem oder verneinendem Sinne Entscheidung gefunden hätten.

»So lebe jetzt wohl, Augustin,« sprach Bertram, als er sich verabschiedete, »ich werde keinen Tag länger im Schlosse Douglas verweilen, als mein Geschäft verlangt. Du weißt, daß ich in alten Büchern nachzuschlagen habe. Ist diese Aufgabe erledigt, komme ich in die Abtei mit dem Entscheide Sir de Waltons.«

Hierauf trennten sie sich. Der Sänger begab sich mit dem englischen Ritter und dessen Gefolge nach dem Schlosse. Der Jüngling blieb zurück bei dem Abte, der zu seiner Freude feststellte, daß sich der Sinn seines jugendlichen Gastes mehr auf geistliche Dinge als auf das Frühmahl richtete, das ihm selbst aber erwünschter zu sein schien.

Drittes Kapitel

Um schneller zum Schlosse Douglas hinaufzukommen, lud der Ritter den Sänger ein, hinter ihm aufzusitzen, wozu sich derselbe gern bereit erklärte.

Zwei Armbrustschützen, ein Stallknecht und ein Knappe, welcher die Ritterschafts-Ehre in Aussicht hatte, bildeten das Geleit, ebensowohl geeignet, den Sänger an der Flucht zu verhindern als vor feindlicher Gewalttat zu schützen.

»Es ist zwar im allgemeinen für Wanderer hierzulande von Gefahr so gut wie keine Rede. Aber es wird Euch zu Ohren gekommen sein, daß im vergangenen Jahr Unruhen ausgebrochen sind, die uns bestimmen mußten, Schloß Douglas schärfer zu bewachen. Reiten wir aber weiter, denn der Charakter des Landes entspricht seinem Urnamen und der Schilderung der Häuptlinge, deren Besitztum es bildete. Dunkelgrau hießen sie, denn das bedeutete der Name »Sholto dhu Glas«, und ins Dunkelgraue hinein geht unser Ritt, wenn er auch zum Glück nicht lange dauern wird.«

Der Morgen war allerdings dem eben genannten gälischen Namen entsprechend. Es war ein feuchtes, finsteres, neblichtes Wetter. Über den Höhen lagerte Nebel, über Bächen, Hutweiden, Morästen wallte Nebel, an Bäumen und Sträuchern hing Nebel: Nebel so dicht, daß man ihn mit dem Schwert durchhauen konnte; Nebel so zäh, daß der Frühlingswind nicht stark genug war, seine Schleier zu lüften. Der Weg für die Reiter war bedingt durch den Stromlauf im Tale. Die Ufer des Douglas zeigten im allgemeinen die dunkelgraue Färbung, die Sir Aymer de Valence als vorherrschende Färbung des Landes bezeichnet hatte. Einförmig war der Anblick und wirkte beängstigend. Ritter Ahmer fand offenbar Vergnügen an dem Gespräch mit Bertram, der viel Kenntnisse besaß und sehr gewandt in der Unterhaltung war, wie es die Regel zu sein pflegt bei Leuten seines Standes. Der Sänger hinwiederum zog gern Kunde ein über den dermaligen Zustand im Lande und ließ keine Gelegenheit außer Acht, die Unterhaltung im Flusse zu halten.

»Du fragtest nach meinem Geschlechte, Sänger«, äußerte nach einer kurzen Pause der Ritter; »wir entstammen normannischem Blute und gehören dermalen zum edlen Hause von Pembroke. Wenn ich zurzeit auch auf den spärlichen Sold angewiesen bin, mit dem meine Charge in diesem schottischen Kleinkriege bezahlt wird, so werden mir doch dereinst durch die Gnade der Heiligen Jungfrau Schloß und Ländereien zufallen, mit Platz übergenug für einen Sänger und Spielmann wie dich! Und gern will ich dann dich bei mir aufnehmen, falls dir deine Talente nicht inzwischen einen besseren Beschützer gegeben haben sollten.«

»Vielen Dank, edler Ritter,« sprach der Sänger, »für Eure löbliche Absicht; ich darf indessen wohl sagen, daß ich nicht, wie viele meiner Brüder vom Handwerk, bloß nach Geld und irdischem Gute trachte.«

»Wer den Durst nach Ruhm im Herzen trägt,« antwortete der Ritter, »der kann für Liebe zum Golde dort nicht viel Raum freihaben. Aber noch hast du mir nicht gesagt, Freund Sänger, welcher Art die besonderen Gründe find, die dich zur Wanderung nach solcher unwirtlichen Stätte bestimmten.«

»Das sagen Euch wenige Worte, Herr Ritter«, sagte der Sänger; »Schloß Douglas und die tapferen Taten, die dasselbe gesehen, sind weit nach England hinein erklungen. Auch gibt es keinen tapferen Ritter oder frommen Sänger, dem das Herz nicht höher schlüge, wenn ihm der Name der hehren Feste in die Ohren klingt, die ehedem niemals der Fuß eines Engländers betreten hat, außer als Gast des gefeierten Schloßherrn. Es liegt ein seltener Zauber in den beiden Namen Sir John de Walton und Sir Aymer de Valence, den Namen der kühnen und tapferen Verteidiger der alten Feste, die von ihren alten Herren so häufig und mit solch grausamer Kriegführung zurückerobert wurde, daß man sie in England unter keinem anderen Namen nennt als dem des gefährlichen Schlosses oder der Feste am Blutsumpf.«

»Ich möchte gern aus deinem Munde,« versetzte der Ritter, »die Geschichten und Sagen hören, die dich zur Wanderung nach solch unruhigem und gefährlichen Lande bestimmten, bloß um späteren Zeiten interessante Kunde von ihm zu geben.«

»Sofern Ihr über dem Bericht eines Sängers nicht die Geduld verliert,« sagte Bertram, »so will ich Euch gern erzählen, was ich vom alten Douglas und seinen Nachkommen weiß, denn mir schafft die Übung meines Berufes immerdar Freude und Genuß.«

»Du sollst einen aufmerksamen Zuhörer an mir finden«, sprach der junge Ritter; »und ist auch der Lohn nicht groß, den ich dem Sänger zahlen kann, so wird dich mein gespanntes Ohr doch allezeit freuen.«

»Ein elender Fiedler,« versetzte der Sänger, »der sich dadurch nicht besser gelohnt findet als durch Gold und Silber, und wären es gleich englische Rosenobles. Um diesen Preis beginne ich, eine lange Erzählung, die vielleicht in mancherlei Details einen besseren Dichter heischt als mich, und hunderten solcher Kriegsmänner wie Ihr zur Ohrenweide dienen kann,«

Viertes Kapitel

»Es ist wohl, glaube ich, nicht vonnöten, Euer Gnaden zu bemerken, daß die Lairds von Douglas, die dieses Schloß erbauten, an Alter ihres Stammbaumes keinem Geschlecht in Schottland nachstehen. Rühmen sie sich doch selber, daß ihr Haus nicht gleich anderen langsam bekannt wurde und sich hervortat, sondern daß es urplötzlich auftaucht und sogleich mit dem Ruhme hoher Auszeichnung vor die Welt tritt. »Im Baume könnt ihr uns heißen,« sprechen die Douglas, »aber nicht als schwächliches Reis; auch im Strome könnt ihr uns sehen, aber nicht bis zur Quelle uns folgen.« Kurzum, sie stellen in Abrede, daß Geschichtsschreiber oder Genealogen imstande sind, einen ersten niedrigeren Mann nachzuweisen des Namens Douglas, welcher seinem Geschlechte als Ursprung gelebt hätte, und wahr ist ja auch, daß das Geschlecht der Douglas, soweit es bekannt ist, stets Ruhm genoß durch Tapferkeit und Kühnheit, und zugleich auch die Macht besaß, durch Kühnheit zum Erfolg und zum Sieg zu gelangen.«

»Genug«, sagte der Ritter; »von dem Stolz und der Macht dieses Hauses habe ich viel gehört und nicht im geringsten die Absicht, die kühnen Ansprüche desselben auf Achtung und Ansehen zu leugnen oder herabzusetzen.«

»Ihr habt doch sicher auch, edler Herr,« bemerkte der Sänger, »von James Douglas, dem derzeitigen Erben des Hauses, gehört?«

»Mehr denn genug,« antwortete der englische Ritter: »daß er ein standhafter Anhänger des in die Acht erklärten Verräters William Wallace war; daß er, als jener Robert Bruce, der König von Schottland zu sein vorgibt, sein Banner erhob, alsbald als Rebell aufstand; daß er seinem Oheim, dem Erzbischof von St. Andrews, Geld über Geld raubte, um die magere Schatzkammer des schottischen Thronräubers zu füllen; daß er Diener seines Verwandten verführt, die Waffen ergriffen hat, nach wie vor Prahlhans bleibt, obgleich er schon wiederholt derbe Züchtigung erfahren hat, und nach wie vor all denen mit Unheil und Schaden droht, die im Namen von Recht und Gesetz und im Auftrag des rechtmäßigen Herrschers das Schluß Douglasdale verteidigen.«

»So beliebt es Euch zu sprechen«, versetzte Bertram; »ich bin aber überzeugt, Ihr würdet mich, wäret Ihr Schotte, mit Geduld anhören, wenn ich erzählte, was von dem jungen Douglas von Leuten gesprochen wird, die ihn gekannt haben. Aus deren Reden geht hervor, daß er gar wohl der Mann sei, den Ruhm seines Namens zu wahren und zu mehren; daß er vor keiner Gefahr, um der Sache von Robert Bruce zu dienen, zurückscheue; daß er gelobt habe, mit der kleinen Streitmacht, die er stellen könne, sich an jenen Männern aus dem Süden zu rächen, die sich seit Jahren, seiner Auffassung nach zu Unrecht, in den Besitz des Schlosses seiner Väter gesetzt haben.«

»O, von seinen Unternehmungen und Drohungen gegen unseren Schloßhauptmann und uns ist übergenug verlautbart. Indes halten wir es nicht eben für wahrscheinlich, daß Sir John de Walton ohne Befehl seines Königs Douglasdale räumen werde, wenngleich sich das Küchlein Douglas herausnimmt, lauter zu krähen als ein ausgewachsener Kampfhahn.«

»Herr Ritter,« sagte hierauf Bertram, »unsere Bekanntschaft ist nur kurz, und doch sagt mir mein Gefühl, sie sei mir Bürgschaft dafür, daß meine Hoffnung, Ihr und James Douglas möchten einander nicht früher treffen, als bis der Zustand beider Länder eine friedliche Zusammenkunft ermöglicht, bei Euch keinen Anstoß erregen werde.«

»Sehr verbunden, lieber Freund«, erwiderte Sir Aymer; »du scheinst übrigens von der Achtung, die dem jungen Douglas gebührt, wenn man in diesem Tal, der Stätte seiner Geburt, von ihm redet, ein richtiges Gefühl zu haben. Nur darum möchte ich für meine Person bitten, lieber Sänger, bleibe streng bei der Wahrheit, deiner Gewohnheit gemäß, wenn du der Nachwelt von mir erzählst, melde also nicht, dein Bekannter vom heutigen Frühlingsmorgen, mag er noch am Leben oder schon tot sein, habe zu den Lorbeeren des James Douglas einen neuen Kranz geflochten, den ausgenommen, den der Tod demjenigen flicht, dessen Los es ist, durch einen stärkeren Arm oder durch das größere Glück des Gegners zu erliegen.«

»Für Euch, Herr Ritter, fürchte ich nicht,« sagte der Sänger, »denn Ihr besitzt den glücklichen Charakter, der kühn in der Jugend und in vorgerückterem Alter für weisen Rat eine ergiebige Quelle ist. Ich möchte nicht, daß mein Vaterland durch frühen Tod solchen Ritters Verlust litte.«

»Du bist also aufrichtig genug, England den Vorteil guten Rates zu wünschen,« sprach Sir Aymer, »obgleich du dich in der Kriegsfrage auf Schottlands Seite neigst.«

»Gewiß, Herr Ritter,« erwiderte der Sänger, »denn da ich wünsche, daß Schottland und England ihr wahres Interesse erkennen, bin ich auch verpflichtet, beiden das gleiche Glück zu wünschen. Nach meiner Meinung sollten sich beide Länder bemühen, in Freundschaft und Frieden zu leben. Dann könnten beide furchtlos der Feindschaft der ganzen Welt trotzen.«

»Hegst du solch freisinnige Meinung, Sänger, dann müßtest du, meine ich, auch für den Sieg der englischen Waffen in diesem Kriege beten; gleichen die Aufstände dieses hartnäckigen Landes doch völlig dem Kampf des auf den Tod verwundeten Hirsches, der mit jedem Aufflackern seiner Kräfte schwächer wird, bis die Hand des Todes seinen Widerstand völlig zähmt.«

»Nicht also, Herr Ritter«, sagte der Sänger; »wohl dürfen wir Sterblichen in unserem Gebet, ohne uns eines Vergehens schuldig zu machen, dem Zweck, den wir ersehnen, Ausdruck geben; aber es ziemt uns nicht, einer allwissenden Vorsehung die Art und Weise namhaft zu machen, wie unsere Gebete erfüllt werden sollen, oder einem Lande den Untergang, wie einem Hirsche den Gnadenstoß zu wünschen. Ob ich mich auf mein Herz oder auf meinen Verstand berufe, immer muß ich den Himmel bitten, Recht und Billigkeit in dem vorliegenden Falle walten zu lassen; und sollte ich Besorgnis um Euretwillen hegen bei einer Begegnung zwischen Euch und Douglas, geschähe es doch nur, weil er meinem Dafürhalten nach die bessere Sache vertritt. Zudem haben ihm überirdische Gewalten den Sieg verheißen.«

»Das sagt Ihr mir, Herr Sänger,« rief in drohendem Tone Ritter Aymer, »und doch wißt Ihr, wer ich bin und welches Amt ich bekleide.«

»Eure Gewalt und Würde kann Recht nicht in Unrecht wandeln und keinen Beschluß der Vorsehung abwenden«, erwiderte Bertram; »bekannt ist Euch ja, daß sich James Douglas schon dreimal wieder in den Besitz des Schlosses seiner Ahnen gesetzt hat, und daß es der jetzige Schloßhauptmann mit dreifach überlegener Streitmacht und auf Grund feierlicher Zusage behauptet: der Zusage, daß ihm die Baronie Douglas mit allem Zubehör als freies Besitztum anheimfallen solle, wenn er das Schloß auf Jahr und Tag gegen die schottische Streitmacht hält. Aber ebenso bekannt wird Euch auch sein, daß dieser Zusage die Bedrohung gegenübersteht, als Ritter entehrt und als Verräter erklärt zu werden, wenn er sich während solches Zeitraums die Feste durch List oder Gewalt entwinden läßt, und daß allen Häuptlingen, die unter ihm kommandieren, die gleiche Belohnung, aber auch die gleiche Strafe winkt.«

»Alles das weiß ich,« antwortete Sir Aymer, »und wundere mich bloß, daß die Kenntnis dieser Bedingungen so weit in das Volk gedrungen ist. Was aber hat das mit dem Ausgang des Kampfes zu tun, wenn wir aufeinandertreffen sollten?«

»Mir scheint, Herr Ritter, es ist notwendig, den Gegner aufs Haar zu kennen, mit dem man sich in solchem Kampfe messen will. Es ist Euch doch bekannt, wie James von Thirkwall, der letzte englische Schloßhauptmann vor Sir John de Walton, überrumpelt wurde? und auf welche barbarische Weise das Schloß geplündert wurde?«

»Ich glaube wohl, daß ganz England Kunde erhielt von dem blutigen Gemetzel und von dem abscheulichen Verhalten des schottischen Häuptlings, der alles, was tragbar war, Gold und Silber und Waffen, in den Wald schleppen und allen Mundproviant auf die roheste Weise vernichten ließ.«

»Ihr sprecht von dem Vorfall, den man im Lande »des Douglas Speisekammer« nennt?«

»Ja, und ich sah von den schrecklichen Resten dieser Kammer genug, um noch heute vor Ekel zu schaudern. Urteile selbst, ob solche Tat den Beifall des Himmels finden kann! Zwei Jahre hindurch war im Schlosse, das uns für sicher galt, seitdem es neu aufgebaut worden, Mund- und anderer Proviant für den König oder Lord Clifford, wer von beiden zuerst ins Feld gegen die Rebellen rücken würde, aufgesammelt worden. Auch uns, ich meine die Truppen des Grafen Pembroke, meines Oheims, die in der Nähe von Ayr am kaledonischen Walde in heißem Kampfe gegen die Rebellen lagen, sollte dies andere Heer stützen. Nun geschah es, daß sich Thirkwall, ein kühner Soldat und stets auf dem Posten, im Schlosse am Allerheiligenfeste von diesem James Douglas überrumpeln ließ, der von wildem Grimm erfüllt war über den Tod seines Vaters in englischer Gefangenschaft im Schlosse von Berwick. Die Wut mag ihm den Gedanken eingeblasen haben, alle Vorräte, die er im Schlosse fand und die er bei der Überlegenheit der Engländer im Lande weder fortschaffen noch selber genießen konnte, auf barbarische Weise zu vernichten. Alles Fleisch und Korn ließ er in die Keller schaffen und in Haufen türmen, dann ließ er allen Wein aus den Fässern über die Haufen laufen, alle Ochsen ließ er erschlagen und ihr Blut den gleichen Weg nehmen wie den Wein, endlich ließ er die Leichen der Mannschaft in die ekle Masse stampfen, denn beim Douglas gab es keinen Pardon.«

»Ich maße mir nicht an zu verteidigen, was Ihr mit Recht mißbilligt. Aber bedenkt, wenn Ihr erlebt hättet, daß Euer leiblicher Vater in langer Gefangenschaft hingesiecht und gestorben wäre, wenn sein Erbe eingezogen und von Fremden in Besitz genommen worden wäre, dann ließet gewiß auch Ihr Euch zu Handlungen treiben, die Ihr bei kaltem Blute und vom Feindesstandpunkte aus nicht anders als mit Abscheu ansehen müßtet; dann möchtet auch Ihr vielleicht keinem Feinde Pardon geben und, was Euch zum eigenen Unterhalt nicht verwendbar, für andere, die Euch feind sind, unbrauchbar machen.«

»In solchen Dingen mich als Verteidiger dieses Douglas aufzuspielen, Sänger Bertram, habe ich wahrlich keine Ursache, denn durch seine Handlungsweise hatte meines Oheims Heer einen schlimmen Stand und der Wiederaufbau des Schlosses seine großen Mühen. Daraus aber, daß wir völlig ohne Proviant waren, mußte natürlich Not über ganz Schottland kommen, denn wir nahmen nun doch dem Ärmsten im Lande weg, was er von Vieh noch besaß. Wahrlich! an das grause Elend dieser Zeit denke ich selbst als Kriegsmann mit schwerem Herzen.«

»Mir scheint, wer den Stachel des Gewissens fühlt, müsse milde sein, wenn er von Vergehen anderer spricht«, sprach der Sänger. »Im übrigen darf man wohl sagen, daß eine gewisse Ursache zu solchem Tun des jungen Douglas in der Prophezeiung liegen mag, die uralten Datums sein soll und die man dem Thomas dem Reimer oder, wie er auch genannt wird, Erceldoun dem wahren Sprecher beimißt. Im selben Verhältnis, wie das Geschlecht der Douglas jetzt durch Verlust ihrer Güter und Zerstörung ihres Stammschlosses leiden um der Treue willen gegen ihres Königreichs rechtmäßigen Erben, im selben Verhältnis hat ihnen der Himmel gerechten Lohn ausgesetzt. Die Mauern des Douglas-Schlosses sollen, so oft sie niedergebrannt und geschleift werden, um so stattlicher, prächtiger, erhabener aus ihrem Schutt erstehen!«

Der Ritter gab keine Antwort, sondern ritt voran, auf dem Rücken des hochgelegenen Ufers entlang. Der Weg, der sich immer an dem Wasserlauf hielt, zog sich jetzt ziemlich steil in das Tal hinunter. Von diesem Punkte aus eröffnete sich hinter einem Felsen, der wie eine Theaterkulisse an der Seite vorgeschoben zu sein schien, um die Aussicht in den unteren Teil des Tales zu vermitteln, der Blick über die weite Niederung, während in mäßiger Entfernung vom Strome sich im Schmuck seiner vielen Türme das stolze Schloß erhob, von welchem das ganze Tal seinen Namen führte.

Der Nebel, dessen Wolken nach wie vor das Tal füllten, ließ hin und wieder den Blick frei über das Städtchen Douglas, das am Fuße des Schlosses lag, dessen Mauern wohl einen vorübergehenden Angriff abwehren konnten, aber zu schwach waren, einer regelrechten Belagerung standzuhalten. In der Mitte des Städtchens erhob sich die Kirche, ein schöner Bau im gotischen Stile, aber zurzeit in arg verfallenem Zustand.

Das Schloß war von der kleinen Stadt durch einen Wassergraben getrennt. Es war ein düsterer gewaltiger Bau, stark befestigt durch Bastionen und Türme und gekrönt mit hohen Zinnen. Aus seiner Mitte ragte der hohe, nach dem Namen Lord Henry Cliffords, des Siegers in vielen Treffen zwischen Schotten und Engländern, als der »Clifford« benannte Hauptturm empor, von welchem aus man weiten Blick über das Douglas-Tal und die Grafschaft haben mußte.

Der Ritter streckte den Arm aus, während sein Antlitz von siegesfrohem Lächeln erglänzte.

»Dort siehst du das Schloß, Sänger«, rief er; »nun urteile selbst, ob Cliffords Zutaten zu seinem Bau die Einnahme erleichtern werden!«

Der Sänger schüttelte den Kopf und schwieg.

Inzwischen war die Abteilung zur Schloßwache herangekommen, die zunächst bloß dem Ritter Zutritt gewährte. Fabian, der junge Knappe im Dienste des Ritters, setzte den Wachkommandant in Kenntnis von dem Wunsche seines Herrn, dem Sänger gleichfalls den Zutritt zu gestatten.

Ein alter Armbrustschütz faßte den Sänger scharf ins Auge.

»Widerspruch gegen den Neffen des Grafen von Pembroke ziemt sich nicht für uns, und uns kann es recht sein, Herr Fabian, wenn Ihr den Sänger auf ein paar Wochen im Schlosse als Euren Gast aufnehmt. Allein der Herr Ritter kennt den strengen Befehl Sir Johns, und käme Salomo, der weise König der Juden, in eigener Person als fahrender Sänger und bäte am Tor um Einlaß, so dürfte ich ihm solchen nicht gewähren, sofern nicht Sir Johns Befehl rückgängig gemacht wird.«

»Meinst du denn, Kerl,« rief der Ritter, der zurückgeritten kam, weil er die Worte des Kriegsmannes gehört hatte, »ich hätte Lust dir einen Befehl zu geben, der dem Sinne Sir Waltons zuwider wäre? Soviel Vertrauen darfst du doch wohl haben, daß dir durch mich keine Unannehmlichkeiten erwachsen werden. Behalte den Mann im Wachzimmer und laß es an der rechten Bewirtung nicht fehlen. Sir John de Walton aber bestelle, wenn er heimkehrt, der Mann sei mit mir aufs Schloß gekommen und habe Zutritt auf meine Weisung hin erhalten. Sollte weiteres zu deiner Entschuldigung vonnöten sein, dann soll es der Schloßhauptmann aus meinem Munde vernehmen.«

Der Armbrustschütze neigte zum Zeichen des Gehorsams die Pike, die er in der Hand trug, und führte Bertram in die Wachstube. Dort versah er ihn, der erhaltenen Weisung gemäß, mit Speise und Trank.

Vom Tore her drang der Schall eines Jagdhorns. Der Schloßhauptmann kehrte von seinem Ritte heim. Die Schildwachen schulterten und gaben die Parole ab. Der Ritter sprang vom Pferde und fragte den Armbrustschützen, der über die Wache das Kommando führte, nach etwaigen Vorfällen während seiner Abwesenheit. Gilbert Greenleaf, so hieß der greise Kriegsmann, berichtete von dem Sänger, der zufolge Weisung des Ritters de Valence in der Wachstube, und vom Sohne desselben, der in der Abtei vorläufig Unterkunft gefunden hätte.

Der Schloßhauptmann zog die Stirn in Falten.

»Wir brauchen solchen Zeitvertreib nicht,« sprach er, »und lieber wäre es uns gewesen, unser Stellvertreter hätte andere Gäste gefunden, solche, die sich für offenen, freimütigen Beruf besser eignen als solcher Sänger, der seinem Gewerbe nach Lästerer Gottes und Betrüger der Menschheit ist.«

»Ja,« erwiderte Greenleaf, seiner Neigung zum Widerspruch auch dem Schloßhauptmann gegenüber freien Lauf lassend, »Euer Gnaden haben aber früher zu äußern geruht, daß das Sängergewerbe, rechtlich betrieben, gleichen Anspruch an Ansehen und Wert habe wie die Ritterschaft selber.«

»Das mag in früherer Zeit richtig gewesen sein, Greenleaf«, antwortete der Hauptmann; »aber heute hat der Sänger vergessen, daß es Pflicht von ihm sei, die Jugend zu Tugend und frommer Sitte zu begeistern. Indessen will ich mit Sir Aymer, meinem wackeren Freunde, über den Fall sprechen.«

Unterdes war Sir John de Walton, eine schlanke Figur vom schönsten Ebenmaß der Glieder, unter den weiten Schwibbogen der Wachstube getreten. Gilbert Greenleaf lauschte seinen Worten und füllte durch Winke und Zeichen die Pausen im Gespräch.

Hinter den beiden Kriegsmännern war der Knappe Sir Aymers, ohne von ihnen gesehen zu werden, in die Wachstube getreten, wo er seiner Obliegenheit, die Waffen seines Ritters zu säubern, nachkam.

»Ich brauche Euch nicht zu sagen, Gilbert Greenleaf, daß die schnelle Beendigung dieser Blockade oder wenigstens Belagerung, mit welcher uns der Douglas zu bedrohen fortfährt, in meinem direkten Interesse liegt. Meine persönliche Ehre fordert, daß ich dies gefährliche Schloß für England bewahre. Deshalb macht mir die Zulassung dieses fahrenden Sängers Unruhe. Prompter, wie gesagt, wäre der junge Sir Aymer seiner Instruktion nachgekommen, wenn er dem Wanderer jeden Verkehr mit der Besatzung untersagt hätte.«

»Schade, daß der tapfere junge Ritter solch ungestümen Knappen hat«, bemerkte kopfschüttelnd der alte Armbrustschütz; »so tapfer er auch ist, so fehlt es ihm doch an Beharrlichkeit; er schäumt gleich einer Flasche Dünnbiers, wenn es in Gärung tritt.«

»Soll dich der Henker holen, altes Trümmerstück«, dachte der Knappe Fabian bei sich, dem in den Kemenaten, wo er seine Arbeit verrichtete, kein Wort von dem Gespräch entging.

»Mir würde die ganze Sache wahrlich nicht in solchem Maße nahe gehen, wäre Sir Aymer mir weniger teuer, als es der Fall ist«, nahm Sir John de Walton wieder das Wort. »Erfahrung soll sich jeder junge Mann selber sammeln und nicht bei anderen holen oder durch andere einimpfen lassen. Ich will den Wink beachten, den Ihr mir eben gegeben habt, Gilbert, und will den Knappen von dem Ritter trennen; auch mir scheint, als trifft hier das Sprichwort vom Blinden zu, der den Blinden führt.«

»Der Satan über dich, altes Waschweib!« dachte der Knappe bei sich; »habe ich dich erwischt über dem Bestreben, meinen Herrn und mich beim Hauptmann zu verlästern? Hieße es nicht, eines angehenden Ritters Waffen in Schmutz ziehen, sollte meine Aufforderung zum Kampfe dir wahrlich nicht geschenkt bleiben. Indessen sollst du nicht zweierlei Zungen reden: eine im Schlosse und eine vorm Schloßhauptmann, wenn du vielleicht auch meinst, wegen deiner Kriegsmannschaft unter König Eduards Banner dazu ein Recht zu haben! Meinem Herrn will ich melden, wohin deine Absichten zielen, und aus unserer Unterhaltung über diesen Fall wird sich wohl ergeben, ob wir jungen Leute die Ordnung im Schlosse halten werden oder ihr alten Graubärte!«

Der Schlag war geschehen. Zwei stolze, feurige Charaktere waren gegeneinander in Mißtrauen gesetzt worden, und während Ritter de Valence meinte, daß ein Freund, der ihm in mancher Hinsicht verbunden sei, ihn ungerechterweise im Verdacht habe, meinte Sir John de Walton andererseits, daß ein junger Mann, den er mit ebensolcher Sorgfalt behandelt habe, als sei es der eigene Sohn, der seiner Unterweisung alles verdanke, was er vom Kriegshandwerk wüßte und was er an Erfolgen im Leben bislang gewonnen hatte, sich wegen Kleinigkeiten für beleidigt und auf höchst ungeziemende Weise für schlecht behandelt hielt.

Der zwischen den beiden Hauptleuten gesäete Samen der Zwietracht verbreitete sich bald wie Lolchsamen unter Weizen von einer Besatzung zur anderen; die Soldaten nahmen, wenngleich aus keinem rechten Grunde, Partei entweder für Sir John de Walton oder für seinen Leutnant de Valence; für den ersteren zumeist die älteren, für den anderen die jüngeren; und nachdem so der Ball der Zwietracht geworfen worden, fehlte es an den Armen nicht mehr, ihn in Bewegung zu halten.

Fünftes Kapitel

Sir John de Walton hielt es in Anbetracht der jüngsten Vorgänge für angezeigt, seinem Offizierkorps so viel Zerstreuung zu gewähren, als Schloß und Örtlichkeit zuließen, und sie durch Aufmerksamkeit und Höflichkeit für ihre Unzufriedenheit zu beschämen.

»Was meinst du, junger Freund,« sprach er Sir Aymer an, als er ihn zum ersten Male nach seiner Rückkehr auf das Schloß wiedersah, »wenn wir eine der hierzulande eigentümlichen Jagden veranstalteten? In den Wäldern in unserer Nähe haust noch das wilde kaledonische Rind, das sonst nirgendwo mehr zu finden ist als im Moorlande an der kahlen, zerklüfteten Grenze des einstigen Königreichs von Strathclyde. Es gibt nur wenig Jäger noch, die mit solchem Weidwerk Bescheid wissen; aber sie schwören, daß keine Jagd an Aufregung und Strapazen auf der ganzen britischen Insel derjenigen auf dies wildeste und stärkste und kühnste aller Jagdtiere gleichkomme.«

»Tut ganz nach Belieben, Sir John de Walton,« versetzte Sir Aymer mit Kälte, »indessen möchte ich nicht empfehlen, um solcher Jagd willen die ganze Garnison in Gefahr zu setzen. Ihr kennt die Verantwortlichkeit Eurer Stellung selbst zur Genüge und habt gewiß sorgfältig überlegt, bevor Ihr solchen Vorschlag verlauten laßt.«

»Allerdings kenne ich meine Pflicht,« erwiderte hierauf gelassen de Walton, »indessen scheint es mir, als ob der Kommandant dieses schlimmen Schlosses unter anderem Mißgeschick, in Übereinstimmung mit den Reden der alten Leute im Lande, einer Art von Zauber untertan sei, der es ihm unmöglich macht, seine Offiziere dadurch an sich zu fesseln, daß er ihnen Zerstreuungen schafft. Noch vor wenigen Wochen würden Eure Augen bei solchem Vorschlage geblitzt haben, Sir Aymer; und welches Benehmen zeigt Ihr jetzt? Ein Gesicht schneidet Ihr, als müsse man, um wilde Stiere zu scheuchen, sich zuvor einer Pilgerfahrt zum Grabe eines Märtyrers unterziehen.«

»Ihr urteilt nicht gerecht, Sir John«, antwortete der junge Ritter; »in unserer dermaligen Situation sind, meine ich, der Rücksichten mehr als persönliche zu nehmen, und obgleich die schwerere Verantwortlichkeit auf Euch als dem Älteren ruht, Sir de Walton, so fühle ich doch, daß auch der auf mich fallende Teil schwer genug ist, um alles auf das sorgfältigste zu erwägen. Darum vertraue ich, daß Ihr mit Nachsicht meine Meinung hören und ertragen werdet, wenn es auch scheinen mag, als bezöge sie sich auf denjenigen Teil der uns gemeinschaftlich obliegenden Pflichten, der hauptsächlich Eurer Fürsorge untersteht. Die Ritterschaftswürde, die mich gleich Euch ehrt, und nicht minder wohl der mir von dem königlichen Plantagenet erteilte Ritterschlag verschaffen mir, deucht mir, Anspruch auf Berücksichtigung meines Einspruchs.«

»Verzeiht, Ritter de Valence«, sprach Sir de Walton; »ich vergaß, daß ich in Euch einen von König Edward höchstselbst zum Ritter geschlagenen Kameraden vor mir habe, und daß ohne Zweifel besondere Gründe vorliegen mußten, Euch mit solcher Würde so frühzeitig zu bekleiden. Ganz ohne Frage überschreite ich deshalb meine Pflicht, wenn ich solchem Kameraden gegenüber von eitler Zerstreuung spreche.«

»Sir John de Walton,« versetzte de Valence, »solche Worte sind, meine ich, schon zu oft gewechselt worden, als daß es gut sei, immer wieder auf sie einzugehen. Mich leitet bei meinem Einspruch lediglich die Rücksicht auf die Notwendigkeit, zu solchem Jagdzug Schotten aufzubieten, deren schlimme Gesinnung leider wir doch zur Genüge kennen. Sollten die freundschaftlichen Bande, die uns bisher umschlossen, durch unglückliches Zusammentreffen von Umständen sich lockern, ohne daß ich im Grunde ersehen könnte, warum dies notwendig sein müsse, so gibt das noch immer keinen Grund ab, daß wir nicht nach wie vor in allem Verkehr die höflichen Bedingungen festhalten, die zwischen Rittern und Edelleuten Brauch sind!«

»Ihr mögt recht haben, Sir Aymer,« erwiderte de Walton mit steifer Verbeugung, »wenn Ihr von Eurem Standpunkt aus in Zweifel zieht, daß das alte Verhältnis zwischen uns einen Riß bekommen habe. Für mich liegen die Dinge indessen so, daß ich niemals einem feindlichen Gefühl gegen Euch Raum in meiner Brust gestatten könnte. Ihr seid mein Kriegs- und Ritterschaftsschüler gewesen, seid mit dem Grafen von Pembroke nahe verwandt, der mir ein gütiger und ständiger Beschützer ist: dies also sind Umstände, die sich von mir nicht so schnell von der Hand weisen lassen. Seid Ihr, wie sich aus Euren Andeutungen schließen läßt, durch ältere Rücksichten weniger gebunden, so habt Ihr Eure Wahl zu treffen, wie sich unsere Beziehungen zueinander künftighin regeln sollen.«

»Mein Verhalten gegen Euch, Sir Walton, wird bedingt werden durch Euer Verhalten gegen mich. Ihr könnt unmöglich aufrichtiger hoffen als ich, daß unsere soldatischen Pflichten gewissenhafte Erfüllung finden, ohne unserem anderen Verkehr irgendwie Eintrag zu tun.«

Nach diesem Gespräch schieden die Ritter voneinander. Wiederholt standen sie in seinem Verlauf auf dem Punkte, daß es zu einer herzlichen Aussprache hätte kommen können; indessen gelang es keinem von beiden, das Eis zu brechen, das sich immer schnell wieder bildete; keiner wollte der erste sein, dem anderen entgegenzukommen, obgleich jeder von Herzen dazu bereit war, weil bei beiden der Stolz alle anderen Gefühle zu stark überwog. Daher kam es, daß sie auseinandergingen, ohne auf den eigentlichen Gegenstand ihres Gesprächs, den Jagdzug, zurückzukommen. Dies geschah aber, und zwar auf schriftlichem Wege, kurz nachher durch Sir de Walton. Der Schloßhauptmann unterrichtete seinen Leutnant, daß der Jagdzug gegen die wilden Stiere im benachbarten Tale beschlossene Sache sei, und lud ihn zur Teilnahme ein.

Am Vormittag des folgenden Tages sollte die Jagd stattfinden; die Zusammenkunft war auf 6 Uhr morgens bestimmt, als Treffort das Tor des äußeren Bollwerks; nachmittags sollte unter der als »Sholtos Keule« bekannten hohen Eiche am Ausgang des Douglas-Tals das Halali geblasen werden. An das niedere Volk und an die Vasallen der Umgegend wurde das gewöhnliche Aufgebot erlassen und mit Freuden aufgenommen. Eine Jagd im Douglas-Walde bot noch immer der Aufregungen so viele, daß man die Gegenwart englischer Ritter, wenn auch erzwungenermaßen, dabei nicht unwillig in Kauf nahm.

Sechstes Kapitel

Es war ein kalter, rauher, nach schottischer Wetterart »reiner« Morgen. Die Hunde schüttelten sich und kläfften. Die Jäger, trotz Abhärtung und froher Erwartung, knüpften die Mäntel am Halse zusammen und blickten nicht ohne Furcht auf die am Horizont wallenden Nebel, die sicherlich bald auf die Gipfel und Rücken der Vorberge sinken würden, um von dort aus den Weg ins Tal hinunter zu nehmen.

Nichtsdestoweniger bot sich dem Auge, wie ja immer bei Jagdzügen, ein fröhliches Bild. Zwischen den beiden im Kampf liegenden Völkerschaften schien es zu kurzem Waffenstillstande gekommen, und weit mehr hatte es den Anschein, als ob die Schotten bemüht seien, die Jagd in ihren Bergen den vornehmen Rittern und mutigen Bogenschützen Altenglands in freundschaftlicher Weise vorzuführen, statt daß sich der Eindruck hätte gewinnen lassen, die Schotten verrichteten, dem Befehl des gewaltherrlichen Nachbarvolkes gefügig, trotzigen Lehndienst. Den Reitern voraus, deren kühne mannhafte Gestalten weit über die Hälse ihrer kräftigen Rosse ragten, zogen die Jäger bei Fuß, die mit dem Hund an der Leine Dickicht und Schlucht nach Jagdbeute durchstöberten. Der Douglas-Wald barg damals noch Wild in Menge, und zu der Zeit, da diese Erzählung spielt, umsomehr, als schon lange nicht mehr unter den Angehörigen des Geschlechts der Douglas, über die seit mehreren Jahren, gleichwie über ihr Land, Unglück gekommen war, Jagd dort gehalten wurde und die englische Besatzung sich noch immer nicht für stark und sicher genug gehalten hatte, dieses in hohen Ehren gehaltene Feudalrecht selber auszuüben. Das Jagdwild hatte sich also stark vermehren können. Rotwild, Wildschweine und wilde Ochsen drangen nicht selten bis in den unteren Teil des Douglas-Waldes, der keine geringe Ähnlichkeit mit einer Oase aufweist, denn er ist von dichtem Wald, von Moorland mit Teichen, stellenweis auch mit Felsen umzogen, so daß es an großen öden Strecken, worin sich das Wild gern zu verstecken liebt, dort nicht mangelt.

Gleichwie an Rotwild und Ebern fehlte es auch an Wölfen nicht, die sicher mit zu dem gefährlichsten Raubzeug gehörten, insofern aber kein interessantes Jagdwild boten, als sie meilenweit zu fliehen pflegten, bevor sie sich dem Jäger stellten. Was für die englischen Ritter vor allem als Jagdwild in Betracht kam, war der furchtbarste aller Bewohner des alten kaledonischen Waldes, der wilde Ochs Schottlands.

Der Schall der Jagdhörner, das Stampfen der Hufe, das Gebrüll der in Wut geratenden Wildochsen, das Gestöhn der von Hunden zerfleischten Hirsche, das Gekläff der Hunde selber und das wilde Siegesgeschrei der Jagdleute gab einen Chorus ab, der sich weit über das Jagdgebiet erstreckte und bis in die abgelegensten Strecken hinein seine Bewohner zu bedrohen schien.

Dem Schloßhauptmann allein gelang es, eins dieser gewaltigen Tiere zur Strecke zu bringen. Gleich einem Stierkämpfer Spaniens warf er sich nieder und erwartete den Ochsen mit der Lanze. Bis zum Schafte bohrte er dem Ungetüm die Waffe in den Leib. Unter den Pfeilen und Speeren von Armbrustschützen und Treibern fielen außer zahlreichem Klein- und Federwild drei wilde Kühe, etwa ein Dutzend Hirsche und Eber und drei Wölfe. Viel anderes Wild entrann, aller Anstrengungen es abzufangen ungeachtet, nach den finstersten Schlupfwinkeln des Cairntable-Gebirges.

Der Vormittag ging seinem Ende zu, als das Jagdhorn des Oberjägermeisters die Gesellschaft zum Frühmahl auf den grünen Rasen einer Waldwiese rief. Die Jagdbeute zu rösten und zu braten, war eine Arbeit, die dem unteren Volk zufiel. Fässer mit Gaskognerwein und englischem Ale wurden herbeigerollt und aufgeschlagen und alsbald war das fröhlichste Zechgelage im Gange.

Die Ritter, durch ihren Rang vom Verkehr mit dem anderen Volke abgeschlossen, saßen auf abgesondertem Rain, am sogenannten »Thronhimmelstische«, der von einer aus grünen Zweigen geflochtenen Decke beschattet war und wurden von ihren Knappen und Pagen bedient. Zu ihnen hatten sich ehrwürdige Mönche von der Abtei Saint Bride gesellt, die, wenn auch schottische Geistliche, von dem englischen Militär mit Achtung behandelt wurden. Auch ein paar schottische Afterlehnsleute, die wohl aus Klugheit den englischen Rittern Achtung und Gemeinschaft nicht weigerten, saßen unten an der Tafel, woselbst auch die gleiche Zahl von Armbrustschützen Platz gefunden hatte.

Obenan saß Sir John de Walton, dessen Augen ruhelos den Kreis seiner Gäste, denn diese Bezeichnung traf ohne Frage auf sämtliche Anwesenden zu, überflogen.

Eine Person vor allen anderen zog des Schloßhauptmanns Blicke auf sich, denn sie zeigte das Aussehen eines gefürchteten Kriegers, obgleich ihr das Glück in letzter Zeit nicht gelächelt zu haben schien. Es war ein Riese von Gestalt mit Gliedmaßen wie aus Eisen und einem Gesicht von so grobem derben Schnitt, daß es unwillkürlich an den Wildochs erinnerte. Die durch manches Loch in der Kleidung sichtbare Haut zeigte eine Färbung wie Leder. Der Mann sah ganz so aus, als ob er zu denen gehöre, die mit Robert Bruce das Schwert gezogen hatten, die mit dem Rebellen in Moor und Sumpf lebten.

Solche Gedanken kamen auch Sir John de Walton in den Sinn.

Aber unverträglich hiermit war die Kühnheit, mit der sich der Fremde an den Tisch des englischen Schloßhauptmanns gesetzt, also völlig in dessen Hand begeben hatte. Während der Jagd war von Sir de Walton wie den übrigen Rittern die Wahrnehmung gemacht worden, daß der in Lumpen gekleidete Kavalier, von dessen Kleidung der alte Panzerkittel am meisten auffiel, und der, von der verrosteten, aber gewaltigen Partisane von acht Fuß Länge abgesehen, über keine Waffen gebot, in der Ausübung des edlen Weidwerks durch überlegene Gewandtheit alle anderen Teilnehmer übertroffen hatte.

Als der Fremde endlich der von ihm erregten Aufmerksamkeit, nicht zum wenigsten des Schloßhauptmanns, inne wurde, hielt es der letztere für angemessen, ihm als einem der tüchtigsten Jünger des heiligen Hubertus mit einem Humpen besseren Weines, als die übrige Gesellschaft trank, höflich Bescheid zu tun.

»Ihr habt hoffentlich nichts dawider, Herr,« sprach ihn de Walton dabei an, »meiner Aufforderung zu entsprechen und einen Humpen Gaskogner, direkt von den königlichen Weinbergen, mit mir zu leeren. Einen besseren Tropfen, um auf Gesundheit und Glück unseres verstorbenen Königs zu trinken, gibt es nicht.«

»Eine Hälfte der britischen Inseln,« versetzte der fremde Jäger gelassen, »wird sich der Meinung von Euer Gnaden nicht verschließen. Da ich aber zur anderen Hälfte gehöre, auf welcher solche Meinung nicht herrscht, kann mir auch der vornehmste Gaskognerwein solchen Trinkspruch nicht mundrecht machen.«

Mißbilligendes Gemurmel lief durch die Reihen der anwesenden Krieger. Die Priester von der Saint Bride-Abtei wurden leichenblaß und murmelten ihr Paternoster.

»Eure Worte, Fremder,« sprach Sir de Walton in finsterem Tone, »bringen die hier versammelte Gesellschaft, wie Ihr wohl seht, aus der Fassung.«

»Das kann wohl sein«, versetzte der Fremde im gleichen rauhen Tone; »nichtsdestoweniger liegt in meiner Rede nichts, was irgendwelchen Vorwurf verdiente.«

»Bedenkt Ihr auch, daß Ihr solches in meiner Gegenwart sprecht?« rief Sir de Walton.

»Gewiß, Herr Schloßhauptmann! Richtiger wäre zu sagen, daß ich es eben gerade um Eurer Gegenwart willen sage.«

»Bedenkt Ihr die Folgen, frage ich weiter?« rief de Walton.

»Was ich zu fürchten hätte, wenn Euer Geleit und Ehrenwort, durch das Ihr mich zu dieser Jagd ludet, minder verläßlich wäre, als es meines Wissens ist, kann ich ungefähr erraten«, entgegnete der Fremde. »Ich bin Euer Gast; ich habe von Eurem Fleisch gegessen und von Eurem Wein getrunken. Ich würde, stünde ich in solchem Verhältnis zu ihm, den gemeinsten Ungläubigen nicht fürchten, geschweige einen vornehmen Ritter Englands. Zudem sage ich Euch, Herr Ritter, Ihr schätzt den Wein zu gering, den Ihr eben getrunken habt; sein Feuer leiht mir den Mut, Euch Dinge zu sagen, die in solchem Augenblicke jeder ungesagt lassen möchte, der nicht alle Vorsicht außer Acht läßt. Ihr wünschet gewiß zu wissen, wen Ihr in mir vor Euch habt: mein Taufname ist Michael, mein Geschlechtsname Turnbull. Ein gefürchteter Clan, der Clan der Turnbulls! Ich darf mir schmeicheln, seinen Ruf durch Kriegstaten und manches Jägerstückchen nicht gemindert zu haben. Mein Haus liegt unter dem Berge am Rubislaw, an den schönen Gewässern des Teviot.«

Der kühne Grenzer sprach dies alles mit herausfordernder Kälte, dem Hauptzuge seines Wesens. Seine Verwegenheit ermangelte nicht, Sir John de Walton in Erregung zu setzen. Kaum hatte der Grenzer ausgeredet, so rief der Ritter:

»Zu den Waffen! Ergreift den Spion und Verräter! Holla, Pagen und Kriegsvolk! William, Anthony, Greenleaf und Bogenspanner, bindet den Verräter mit Sehnen und Stricken! Zieht straff an, bis ihm das Blut unter die Nägel schießt!«

Die Armbrustschützen umdrängten den Jäger, ohne indes Hand an ihn zu legen, weil keiner der erste sein mochte, den bei solchem Anlaß herrschenden Landfrieden zu brechen.

»Sprich,« nahm Sir Walton wieder das Wort, »was führte dich her, Verräter?«

»Kein anderer Zweck, als dem Douglas das Schloß seiner Ahnen in die Hände zu liefern und dir, Herr Engländer, deine Verdienste um Schottland dadurch wett zu machen, daß ich dir die Kehle durchschneide, von der du solch lärmenden Gebrauch machst.«

Als er sah, daß sich die Kriegsleute, der weiteren Befehle des Schloßhauptmanns gewärtig, hinter ihn drängten, hob er die Partisane und rief:

»Jawohl, John de Walton, vorhin war es mein Wille, dich als denjenigen zu erschlagen, den ich im Besitze eines Gebietes und Schlosses finde, die einem würdigeren Ritter als du bist, nämlich meinem Gebieter und Herrn, gehören. Warum ich die Tat unterließ, was mich dazu bestimmte, weiß ich nicht. Vielleicht weil du mich sättigtest, nachdem ich zweimal zwölf Stunden gehungert hatte. Aber ich sage dir: geh aus diesem Ort und diesem Lande und laß dich warnen von einem Feinde, der es gut meint! Du hast dich zum Todfeinde dieses Volkes gemacht, und es gibt Männer darunter, denen man selten ungestraft Trotz oder Beleidigung bot! Gib dir die Mühe nicht, mich suchen zu lassen, denn es würde vergeblich sein. Wir treffen uns wieder, aber zu einer Zeit, die von meinem, nicht deinem Belieben abhängig ist. Auch suche nicht zu ermitteln, auf welche Weise und welchem Wege ich dich betrog, denn es wird dir nicht möglich sein. Wirf meinen freundlichen Rat nicht beiseite, sondern blicke mich an und nimm deinen Abschied! Wenn auch ein Tag kommen wird, an welchem wir einander begegnen werden, so kann es vielleicht lange währen, bis dieser Tag kommen wird.«

De Walton schwieg. Er meinte, seinen Gefangenen könne vielleicht im Überschwang seiner Empfindungen die Schwäche anwandeln, weitere Dinge zu äußern, aus denen sich Vorteil schaffen lasse. Indessen entging ihm hierüber der Vorteil, in den er durch sein Schweigen den Jäger selber setzte. Kaum hatte dieser die letzten Worte gesprochen, so machte er einen jähen Sprung rückwärts, der ihn aus dem um ihn geschlossenen Kreise brachte, und war, noch ehe die ihn umstehenden Kriegsleute inne wurden, welche Absicht er verfolgte, verschwunden.

»Greift ihn! Greift ihn!« rief de Walton jetzt, von Grimm erfüllt, als er sah, daß ihn der Jäger übervorteilt hatte, »sofern ihn nicht die Erde verschlingt, greift ihn!«

Daß ihn die Erde verschlungen hätte, schien sich in der Tat vermuten zu lassen, denn dort, wohin Turnbull seinen Sprung gerichtet hatte, gähnte ein tiefer Abgrund, und dort verschwand er, an Gebüsch und Krüppelholz entlang kletternd, behend wie eine Eichkatze. Im Nu hatte er den Boden des Schlundes erreicht und einen Pfad gefunden, der ihn zum Waldsaume führte; und während die erfahrensten und klügsten unter seinen Verfolgern noch unschlüssig waren, in welcher Richtung sie ihm nachsetzen sollten, war er verschwunden unter dem Dickicht des Urwaldes, und niemand vermochte seine Spur zu finden.

Siebentes Kapitel

Der Auftritt, allen Teilnehmern so unvermutet, brachte Mißstimmung und Verwirrung in die Jagdfreude. Das Auftauchen eines bewaffneten Jägers, der sich offen als Anhänger des Hauses Douglas bekannte, auf einem Grund und Boden, wo alles, was Douglas hieß und zu Douglas sich bekannte, als Aufrührer und Räuber galt, machte alle Anwesenden stutzig, selbst die englischen Ritter. Sir John de Walton blickte sehr ernst drein. Er ließ alles Jagdvolk auf der Stelle zusammentreten und untersuchen, um festzustellen, ob sich Helfershelfer oder Mitwisser Turnbulls darunter befänden. Indessen war die Zeit bereits zu vorgerückt, um die Untersuchung mit der von dem Kommandanten befohlenen Strenge zu führen, und als die Schotten unter dem Jagdvolk merkten, daß Hand an sie gelegt werden solle, gaben diejenigen, die es nicht vorzogen oder keine Gelegenheit mehr fanden, sich hinwegzuschleichen, auf die ihnen gestellten Fragen mit äußerster Vorsicht Antwort.

Sir John de Walton merkte die Verminderung in der Zahl der Schotten, und dieser Umstand verstärkte bei ihm den Verdacht, der ihn seit kurzer Zeit fast ganz beherrschte.

»Sir Aymer,« sprach er seinen jungen Leutnant an, »nehmt soviel Kriegsleute, als Ihr in fünf Minuten zusammenbringen könnt, zum mindesten aber hundert berittene Bogenschützen, und reitet schleunigst nach dem Schlosse hinüber zur Verstärkung der Garnison. Ich habe so meine Gedanken über feindliche Versuche, das Schloß zu berennen; wahrlich kein Wunder, daß sie einem kommen, wenn man hier solches Verräternest mit eigenen Augen sieht!«

»Gestattet mir die Bemerkung hierzu, Sir John,« entgegnete Ritter de Valence, »daß Ihr hier Wohl über das Ziel hinausschießt. Nicht in Abrede will ich stellen, daß unter dem schottischen Landvolk Feindseligkeit gegen uns herrscht. Da es aber aller Jagdfreude so lange entbehrt hat, ist es kaum zu verwundern, daß es sich zu solchem Zuge in Scharen einstellt; noch weniger zu verwundern aber ist es, daß es über unsere Gesinnungen ihm gegenüber noch seine Zweifel hegt und durch die geringste Rauheit im Verkehr in Furcht gesetzt wird.«

»Eben deshalb wäre es mir lieber,« erwiderte de Walton, der mit einer Ungeduld zugehört hatte, die sich mit der zwischen Rittern üblichen Höflichkeit kaum vertrug, kurz angebunden, »Sir Aymer de Valence ließe seinen Rossen die Zügel schießen statt seiner Zunge.«

Der scharfe Verweis, den solche Worte für den jungen Ritter bedeuteten, berührte alle Anwesenden unangenehm. Sir Aymer aber war sich wohl bewußt, daß eine Antwort für den Augenblick nicht geeignet sei; er verneigte sich, daß die Feder seines Baretts die Mähne seines Rosses berührte und brachte den Befehl des Schloßhauptmanns zur Ausführung, indem er auf dem kürzesten Wege mit einer beträchtlichen Reiterschar nach dem Schlosse zurückritt.

»Ich wußte ja,« sprach er bei sich, als er auf eine der vielen Anhöhen kam, von denen aus die vielen Türme und Mauern der alten Feste, über der das große Banner Englands wehte, im Widerschein des breiten Sees sichtbar wurden, der sie von drei Seiten einschloß; »ich wußte ja, daß Sir John de Walton durch Furcht und Argwohn zum Weibe geworden ist. Daß schwere Verantwortlichkeit einen Charakter so wandeln kann, der die Ritterlichkeit selber war! Nichtsdestoweniger geziemt mir, selbst wenn Walton seine eingebildete Besorgnis zum Vorwand nehmen sollte, um seine Freunde zu tyrannisieren, Gehorsam, denn er ist unser Hauptmann. Aber das muß ich sagen: lieber würde es mir sein, wenn er sich weniger vor seinem eigenen Schatten erschrecken möchte.«

Mit diesen Gedanken ritt er auf dem Damme über den Wassergraben durch das stark befestigte Tor.

Daß dieser Vorfall nicht danach beschaffen sein konnte, das Verhältnis zwischen den beiden Rittern zu bessern, war nur natürlich; nicht minder, daß Sir de Walton insofern dem jüngeren Sir Aymer gegenüber in Nachteil kam, als sich die von dem letzteren bei dem Meinungszwiespalt vertretene Ansicht bestätigte und von irgendwelcher Beunruhigung des schottischen Landvolkes nicht das mindeste zutage trat. Unter dem Eindruck dieser Stimmung gestaltete sich der Verkehr zwischen ihnen immer kälter und förmlicher und beschränkte sich ausschließlich auf dienstliche Angelegenheiten. Keiner von beiden, so sehr sie von der Unhaltbarkeit solches Verhältnisses zwischen zwei Männern überzeugt waren, auf deren Schultern die Verantwortlichkeit für solchen wichtigen Platz wie Schloß Douglas lag, suchte eine der vielen Auseinandersetzungen, die der Dienst in seinem Gefolge hatte, zum Ausgleich der zwischen ihnen schwebenden Differenz zu benützen.

Bei einer solchen dienstlichen Unterhaltung geschah es, daß Sir Walton seinen Leutnant um Auskunft bat, zu welchem Zweck und wie lange dem unter dem Namen Bertram im Schlosse aufhältlichen Sänger noch Unterstand gegeben werden solle.

»Acht Tage,« setzte der Schloßhauptmann hinzu, »erscheinen mir unter den gegenwärtigen Zeitläufen und an solcher Örtlichkeit ausreichend für die einem Sänger schuldige Gastfreundschaft.«

»Ich meinerseits,« versetzte Sir Aymer, »habe an der ganzen Sache so wenig Interesse, daß ich irgendwelchen Wunsch hierzu nicht zu äußern habe.«

»Dann werde ich den Mann ersuchen, seinen Aufenthalt im Schlosse Douglas abzubrechen«, entschied Sir Walton.

»Der Mann hat hier Aufenthalt nachgesucht,« erklärte Sir Aymer, »unter dem Vorgeben, in die Schriften eines gewissen Thomas, genannt der Reimer, Einsicht nehmen zu wollen. Es soll sich ein Exemplar derselben in dem Arbeitszimmer des alten Barons befinden, nachdem es bei dem letzten Brande des Schlosses Gott weiß wie gerettet wurde. Andere Kunde von seinen Absichten vermag ich nicht zu geben. Sofern Ihr die Anwesenheit eines alten Wanderers und die Nähe eines Knaben für das von Euch bewachte Schloß gefährlich haltet, so handelt Ihr zweifelsohne Eurem Rechte gemäß, wenn Ihr ihn wegschickt. Hierzu ist doch nichts weiter vonnöten als ein Wort aus Eurem Munde.«

»Der Sänger ist auf das Schloß gekommen als Gefolgsmann von Euch; ich durfte ihn also nicht wohl zum Gehen auffordern, ohne Eure, wenn auch nicht Erlaubnis, so doch Kenntnis.«

»Dann tut es mir leid,« erwiderte Sir Aymer, »von Eurem Willen nicht früher Kenntnis bekommen zu haben. Es wurde niemals von mir jemand ins Schloß aufgenommen oder auf dem Schlosse gehalten ohne Euer Vorwissen oder im Widerspruch zu Eurer Meinung.«

»Es tut mir leid, sagen zu müssen, Sir Aymer,« wandte Ritter de Walton ein, »daß wir beide nicht wissen, woher der Sänger mit seinem Knaben gekommen ist und wohin sie beide wollen. Es ging unter Eurer Gefolgschaft die Rede, der Sänger habe unterwegs die Verwegenheit gehabt, Euch gegenüber das Recht des Königs von England auf die Krone von Schottland in Frage zu stellen, und daß er erst mit Euch hierüber gesprochen habe, nachdem Ihr den Wunsch geäußert hättet, die übrigen Begleiter möchten hinter Euch zurückbleiben, so daß sie nicht zuhören konnten.«

»Sir Walton,« rief Sir Aymer, »wollt Ihr hieraus eine Anklage gegen meine Lehnstreue herleiten? Vergeßt nicht, daß solche Worte meine Ehre verletzen, die ich bis zum letzten Atemzuge bereit und willens bin zu verteidigen.«

»Daran zweifle ich nicht, Herr Ritter,« versetzte der Schloßhauptmann, »aber meine Worte richten sich nicht gegen Euch, sondern gegen den fahrenden Sänger. Wohlan! Der Sänger kommt hierher aufs Schloß und spricht den Wunsch aus, sein Sohn möge Unterkunft in dem Kloster von Saint Bride finden, der einigen schottischen Mönchen und Nonnen, aus Achtung ihres Ordens und weniger, weil man sich guten Willens, dem König zu dienen, bei ihnen versieht, der Aufenthalt erlaubt worden ist. Diese Erlaubnis wird, sofern die von mir eingezogene Kundschaft richtig ist, von dem Sänger mit einer Geldsumme erkauft, weit beträchtlicher, als sie in den Börsen herumstreichender Sänger, die doch mit Glücksgütern nicht gesegnet zu sein pflegen, sonst wohl zu finden sein dürfte; ich meine, dies sei ein Umstand, den man nicht unbeachtet lassen sollte; was ist nun Eure Meinung zu all diesen von mir entwickelten Gesichtspunkten, Sir Aymer?«

»Meine Meinung?« versetzte der Gefragte. »Meine Lage als Soldat, der dem Kommando eines Höheren unterstellt ist, enthebt mich jeder Verpflichtung, mir selbständige Meinungen zu bilden. Als Leutnant unter Eurem Befehl auf so exponiertem Schlosse steht mir, meine ich, wenn ich mit Ehre und Seele Abrechnung gehalten habe, viel freier Wille nicht eben mehr zu Gebote –«

»Um des Himmels willen, Sir Aymer,« rief de Walton, »begeht nicht gegen Euch und mich das Unrecht, vorauszusetzen, als wolle ich durch solche Fragen Euch Vorteil abgewinnen. Bedenkt, junger Ritter, daß Ihr Euch eines dienstlichen Vergehens auch dann schuldig macht, wenn Ihr Eurem Kommandanten ausreichende Antwort nicht gebt auf dessen Wunsch, über einen bestimmten Fall Eure Meinung zu hören.«

»Dann laßt mich klar und deutlich hören, über welchen Fall Ihr meine Meinung zu wissen begehrt!« entgegnete de Valence; »ich werde sie dann bestimmt und deutlich äußern und ohne Zaudern vertreten, auch wenn mich das Unglück treffen sollte – ein für einen jungen, untergeordneten Ritter unverzeihliches Vergehen – verschiedener Ansicht mit Sir John de Walton zu sein.«

»Ich frage Euch also, Herr Ritter,« sagte hierauf der Schloßhauptmann, »was Eure Meinung über den Sänger Bertram ist und ob gegen ihn und seinen Sohn nicht Verdacht genug vorliegt, um beide in scharfes Verhör mit gewöhnlicher und außerordentlicher Befragung zu nehmen, wie solches in solchen Fällen gehandhabt wird, und ob nicht Anlaß genug vorliegt, sie unter Strafe der Geißelung aus Schloß und Gebiet von Douglasdale zu vertreiben, sofern sie sich in der Gegend hier wieder betreffen lassen.«

»Herr Ritter de Walton,« antwortete Sir Aymer, »ich will Euch meine Antwort so frei und offen geben, als stünden wir noch auf dem freundschaftlichen Fuße früherer Tage. Daß die meisten der heute die Sangeskunst ausübenden fahrenden Leute den höheren Ansprüchen dieses edlen Standes nicht mehr genügen, ist meine Meinung gleich Euch. Die lockeren Sitten der Zeit haben diese sogenannten Sänger quantitativ verringert und qualitativ verschlechtert. Indessen glaube ich, diesen Bertram als einen Sänger ansehen zu müssen, auf welchen diese Charakterisierung nicht zutrifft. Nach meiner Auffassung ist er ein Mann, der das Knie nicht vor dem Mammon beugt. Es bleibt Euch überlassen, Sir Walton, darüber zu entscheiden, ob solch eine Person von moralisch strengem Sinne dem Schlosse irgendwie gefährlich werden könne. Da ich ihn aber auf Grund der mit ihm gewechselten Reden für unfähig halte, Verräterrollen zu spielen, muß ich entschieden Einspruch dagegen erheben, daß er innerhalb der Mauern einer englischen Garnison als Verräter der Folter unterworfen oder in Strafe genommen wird. Ich würde erröten ob meines Vaterlandes, wenn es uns das Ansinnen stellen sollte, solches Unglück und Elend über Wanderer zu verhängen, deren einziger Fehler in ihrer Armut besteht. Euer ritterlicher Sinn wird Euch das eindringlicher zeigen, als es mir in meiner untergeordneten Stellung erlaubt sein kann, Euch gegenüber zu schildern.«

Sir Waltons finstere Stirn überflog jähe Röte, als er die von ihm ausgesprochene Ansicht als unritterlich verwerfen hörte. Es fiel ihm schwer, den Gleichmut zu wahren, indes er hierauf die Antwort gab: »Sir Aymer, ich danke Euch, daß Ihr mir Eure Meinung rücksichtslos bekannt gabt, trotzdem sie sich in so scharfem Gegensatz zur meinigen bewegt. Indes muß ich dabei beharren, daß die mir vom König erteilten Befehle sich mit den Anschauungen, die Ihr vertretet, nicht decken, sondern mir ein anderes Verhalten vorzeichnen, und zwar dasjenige, welches ich vordem in Worte kleidete.«

Die beiden Ritter verneigten sich mit steifer Förmlichkeit. Dann fragte der Jüngere, ob ihm der Schloßhauptmann noch besondere Befehle für den Dienst zu erteilen habe und verabschiedete sich auf den verneinenden Bescheid des anderen hin.

Der Schloßhauptmann ging eine Weile lang in lebhaftem Verdrusse über den Ausgang dieses Gespräches in dem Gemach auf und nieder und überdachte, welches Verfahren unter solchen Umständen am besten einzuschlagen sei. »Ich mag nicht um anderer Launen willen,« schloß er, »aufs Spiel setzen, wonach ich in zwölfmonatlichem Dienste beschwerlichster und widerwärtigster Art gerungen habe. Direkt auf mein Ziel will ich lieber vorgehen und die gleichen Vorsichtsmaßregeln in Anwendung bringen wie seinerzeit in der Gaskogne und in der Normandie – holla, Pape! bestelle mir Gilbert Greenleaf, den Armbrustschützen!«

Nach wenigen Minuten trat der Gerufene ein.

»Welche Kunde bringst du mir, Gilbert?«

»Ich war in Ayr, Sir Walton. Des Grafen Pembroke Lager ist versessen auf echte spanische Bogenstäbe aus Coruna. Zwei Schiffe sind mit solcher Fracht, wie es heißt, für das königliche Heer in Ayr gelandet. Ich glaube aber nicht, daß auch nur die Hälfte der Fracht an diese Adresse gelangt ist.«

»Wer soll die übrigen bekommen haben?« fragte der Schloßhauptmann.

»Bei den Schotten heißt es,« entgegnete Greenleaf, indem er die Achsel zuckte und beiseite sah, »ihr Robert Bruce mit seinen Vettern beabsichtige einen neuen Maientanz, und der geächtete König wolle zu Sommers Anfang mit einer stattlichen Schar derben Landvolkes aus Irland bei Turnberry landen. Zweifelsohne stehen die Leute seiner Grafschaft Carwick in Bereitschaft, bei solchem hoffnungsreichen Unternehmen mit Bogen und Speer mitzutun. Mehr als ein Bündel Pfeile wird es uns, wie ich rechne, schwerlich kosten, dort Ordnung zu schaffen.«

»Ihr sprecht von Verschwörungen hierzulande, Greenleaf?« fragte de Walton; »ich kenne Euch doch als tüchtig und tapfer, als einen Schützen, der Bogen und Sehne zu spannen weiß und nicht gestatten wird, daß solches Treiben unter seiner Nase vorgeht –«

»Weiß der Himmel, alt genug bin ich,« erwiderte Greenleaf, »und Erfahrung in diesen schottischen Kriegen besitze ich nachgerade mehr denn genug, und niemand braucht mir zu sagen, ob diese Schotten ein Volk sind, dem König und Kriegsleute trauen dürfen oder nicht. Wer von den Schotten sagt, sie seien falsches Gesindel, der redet keine Lüge – bei Gott nicht! Euer Gnaden wissen, wie mit ihnen umgegangen werden muß: Ihr reitet sie mit scharfen Sporen und zieht die Zügel straff an! Wie sich einfältige Neulinge denken können, mit solchem Volk durch Artigkeit und Großmut fertig zu werden, dem solche Dinge unbekannte Begriffe sind, ist mir altem Kerl ein Rätsel.«

»Gilbert, ich befehle dir, klar und aufrichtig gegen mich zu sein und alles, was auf Anspielungen hinausläuft, zu lassen. Du wirst wissen, daß es niemand zum Schaden gereicht, Vertrauen in mich zu setzen.«

»Das will ich gewiß nicht bezweifeln oder gar bestreiten, Herr,« erwiderte der alte Haudegen, »nichtsdestoweniger käme es auf Unvorsichtigkeit hinaus, alles bekannt geben zu wollen, was solch altem Kerl wie mir in einer so wichtigen Garnison wie Schloß Douglas in den Kopf schießt. Den Ruf als Zwischenträger und Unheilstifter hat man unter Kameraden schnell weg, und ich, Herr Hauptmann, reiße mich auf meine alten Tage nach solcher Auszeichnung ganz gewiß nicht!«

»Rede offen mit mir,« versetzte Sir de Walton, »und scheue dich nicht vor übler Deutung, gleichviel welcher Stoff deinen Mitteilungen zugrunde liegen mag!«

»Wenn ich die Wahrheit sagen soll,« antwortete Gilbert, »so fürchte ich mich nicht der Vornehmheit des jungen Ritters, denn ich bin der älteste Soldat der Garnison und habe die Armbrust gespannt schon lange, ehe er der Muttermilch entwöhnt war.«

»Euer Verdacht richtet sich also auf de Valence?« fragte Sir Walton.

»Auf nichts, was des jungen Ritters Ehre angeht, denn er ist so tapfer wie jeder andere und nimmt in Anbetracht seiner Jugend einen hohen Rang in der englischen Ritterschaft ein; allein er ist jung, wie Euer Gnaden weiß, und die Wahl, die er für seine Gesellschaft trifft, macht mir mancherlei Sorge.«

»Ihr meint den Sänger – wie?«

»Ich meine, es ziemt sich wenig für einen englischen Ritter gleich ihm,« erklärte Gilbert Greenleaf, »sich Tag für Tag mit dem fahrenden Sänger einzuschließen, von dem sich kaum sagen läßt, ob er dem Herzen nach Schotte ist oder Engländer, geschweige denn ob er von Engländern stammt oder von Schotten; denn Bertram kann sich schließlich jeder nennen. Auch weiß ja kein Mensch im Grunde genommen, weshalb er sich hier oben im Schlosse aufhält und wie er zu den Mönchen drüben in Saint Bride steht, die doch auch bloß zu denen gehören, die auf der Zunge das Segenswort für König Eduard, im Herzen aber das für Robert Bruce haben! Durch seinen Sohn läßt sich ja der Verkehr mit den Mönchen leicht unterhalten, und bloß aus diesem Grunde hat er ihn doch unter dem Vorwand einer Krankheit im Kloster untergebracht.«

»Was sagt Ihr?« rief der Schloßhauptmann, »die Krankheit sei bloß Vorwand, der Knabe also nicht wirklich krank?«

»Wenn der krank wäre,« meinte Greenleaf, »so wäre es doch Wohl das natürlichere, der Vater wäre bei ihm und pflegte ihn, statt hier im Schlosse in Winkeln umherzuschleichen, wo man alles mögliche andere, bloß keinen fahrenden Sänger zu treffen rechnet.«

»Ihr überzeugt mich mehr und mehr, Gilbert, daß es mit dem Sänger nicht seine Richtigkeit haben kann«, sprach Sir Walton; »es ist jetzt wahrlich nicht an der Zeit, die Sicherheit eines königlichen Schlosses aus höflicher Rücksicht gegen irgend jemand aufs Spiel zu setzen. Weilt der Sänger jetzt in dem Gemache, das als Bibliothekzimmer des alten Barons bezeichnet wird?«

»Dort wird ihn Euer Gnaden sicherlich antreffen«, sagte Greenleaf.

»Dann folget mir mit einigen Kameraden, doch so, daß keinerlei Aufsehen entsteht, aber meiner Befehle gewärtig!« rief Sir de Walton – »vielleicht erweist es sich als notwendig; den Mann in Haft zu nehmen.«

Der Schloßhauptmann hatte das genannte Gemach, ein steinernes Gewölbe mit einer Art feuersicheren Schrankes zur Aufbewahrung von wertvoller Habe und Papieren und Büchern, bald erreicht.

Der Sänger saß vor einem kleinen Tische, mit einem sichtlich sehr alten Manuskript in der Hand, aus dem er sich Stellen auszog.

Das Gemach hatte sehr schmale niedrige Fenster, an denen noch Spuren alter Glasmalerei, Darstellungen ohne Frage aus der Geschichte des Klosters Saint Bride, sichtbar waren, ein weiterer Beweis für die pietätvolle Verehrung, welche das mächtige Geschlecht der Douglas für ihre Schützlinge im Herzen trug.

Der Sänger, scheinbar tief in die Lösung seiner Aufgabe versunken, erhob sich demutsvoll, als er den Ritter hereintreten sah und blieb stehen, der Fragen desselben gewärtig, gleich als ob er ahne, daß der Besuch auf besondere und vorwiegend persönliche Gründe zurückzuführen sei.

»Vermutlich sind Eure Forschungen von Erfolg gewesen, Herr Sänger,« nahm Sir John das Wort, »so daß Ihr in dem alten Manuskript die Verse gefunden habt, die Ihr suchtet?«

»Ich bin glücklicher gewesen, als sich in Rücksicht auf die vielen Schloßbrände erwarten ließ«, antwortete der Sänger. »Dies hier, Herr Ritter, ist das in Rede stehende Buch, nach welchem ich suchte.«

»Da Ihr Eure Wißbegierde befriedigen konntet,« sprach der Schloßhauptmann, »so habt Ihr hoffentlich nichts dawider, Herr Sänger, daß ich nun suche, auch die meinige zu befriedigen.«

»Vermag ich des Herrn Ritters Wunsch auf irgendwelche Weise zufriedenzustellen,« sagte der Sänger nach wie vor voll Demut, »so greife ich gern zu meiner Laute und bleibe seiner Befehle gewärtig.«

»Ihr irrt, Herr Sänger,« sprach in härterem Tone de Walton, »ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die für Sagen aus älteren Zeiten Zeit übrig haben. Ich habe in meinem Leben kaum Zeit übrig gehabt, den Pflichten meines Standes zu genügen, geschweige denn Muße für Geklimper und Alfanzerei.«

»In solchem Falle darf ich kaum erwarten, Euer Gnaden durch meine schwachen Kräfte Unterhaltung zu schaffen«, sprach bescheiden der Sänger.

»Nicht Unterhaltung ist es, die ich hier suche,« sprach der Schloßhauptmann in strengem Tone und trat näher an den Sänger heran, »sondern Auskunft, weil ich meine, daß Ihr in der Lage sein dürftet, mir mit solcher zu dienen, sofern Ihr Lust habt! Meine Pflicht ist es, daß mir, falls Ihr Euch sträubt, die Wahrheit zu sagen, Mittel verschiedener Art zu Gebote stehen, ein Bekenntnis zu erzwingen, wenn auch auf unangenehmere Weise, als mir im allgemeinen genehm sein dürfte.«

»Sind die Fragen, die Ihr mir stellen wollt, Herr Ritter,« versetzte Bertram, »solcher Art, daß ich sie beantworten kann, so werdet Ihr keine Ursache finden, sie mir mehr denn einmal vorzulegen; kann oder darf ich aber Antwort nicht darauf geben, dann wird mir, des dürft Ihr Euch versichert halten, weder Drohung noch Gewalt Antwort entwinden.«

»Eure Sprache, Sänger, ist kühn,« erwiderte der Ritter, »aber mein Wort dürft Ihr nehmen, daß Euer Mut die Probe bestehen soll! Ich greife ganz ebenso ungern zu solchen äußersten Mitteln, wie Ihr sie ungern über Euch ergehen lasset; indessen weidet Ihr, wenn der Fall eintritt, ihn nur als Folge Eurer Hartnäckigkeit anzusehen haben. Ich frage Euch also zunächst: ist Bertram Euer wirklicher Name? Ferner: Betreibt Ihr außer Eurem Sängerberuf einen anderen? Endlich: Reichen Eure Verbindungen oder Bekanntschaften über die Mauern dieses Schlosses hinaus, auf dem Ihr jetzt weilt?«

»Auf all diese Fragen erteilte ich bereits dem würdigen Ritter de Valence Bescheid, und da ich ihn vollkommen zufriedenstellte, ist es nach meiner Auffassung wohl nicht nötig, mich einer zweiten solchen Befragung zu unterziehen. Auch dürfte es weder mit Eurer Gnaden Ehre sich vertragen noch mit der Ehre Eures Stellvertreters, daß solche Befragung zum zweiten Male geschieht.«

»Ihr kümmert Euch um anderer Leute Ehre recht viel,« bemerkte Sir John spitzig, »indessen gebe ich Euch mein Wort, daß, was meine und, meines Stellvertreters Ehre angeht, andere Leute, also auch Ihr, nicht zu sorgen brauchen. Ich frage Euch also zum andernmale, Sänger, wollt Ihr Antwort geben auf die Fragen, die ich meiner Pflicht gemäß an Euch stellen muß – oder soll ich mir Gehorsam durch die Folter erzwingen? Meine Pflicht ist es Euch zu sagen, daß ich von den Antworten, die Ihr meinem Leutnant gegeben habt, unterrichtet, aber nicht zufrieden damit bin.«

Er klatschte in die Hände, worauf ein paar Bogenschützen im bloßen Hemd und Beinkleidern eintraten.

»Ich sehe,« sprach der Sänger, »daß Ihr mir, weil sich für meine Schuld kein Beweis erbringen läßt, eine Strafe erteilen wollt, die zu englischem Recht und Gesetz im Widerspruch steht. Ich habe bereits ausgesagt, daß ich von Geburt Engländer, von Gewerbe Sänger bin und mit niemand in Beziehung oder Verbindung stehe, bei welchem sich feindselige Absicht gegen dieses Schloß Douglas oder gegen Sir John de Walton, den Schloßhauptmann, vermuten lassen. Für Antworten, die Ihr mir durch körperlichen Schmerz erpreßt, kann ich, um als rechtlicher Christ zu sprechen, nicht verantwortlich gemacht werden. Ich glaube, daß ich soviel Schmerz ertragen kann wie irgend ein Mensch, bin aber überzeugt, noch niemals in dem Maße Schmerzen gefühlt zu haben, daß ich mich bewogen gefühlt hätte, ein verpfändetes Wort zu brechen oder falsche Anklage gegen einen Unschuldigen zu erheben.«

»Wir sind jetzt beide zu Ende, Sänger,« erwiderte Sir John, »und meine Pflicht würde erheischen, auf der Stelle zum äußersten meiner Drohung zu schreiten. Indessen empfindet Ihr vielleicht geringeren Widerwillen gegen solche peinliche Befragung als ich gegen ihre Verhängung. Deshalb will ich Euch zunächst nur an einem Ort einsperren lassen, der sich für einen Menschen eignet, den man als Spion im Verdacht hat. Eure Wohnung und Verköstigung ist so lange, bis es Euch beliebt, solchen Verdacht zu beseitigen, die eines Gefangenen. Inzwischen reite ich nach der Abtei hinüber, um mich zu überzeugen, ob der junge Mensch, den Ihr für Euren Sohn ausgebt, die gleiche Entschlossenheit, wie sie von Euch an den Tag gelegt wird, besitzt. Vielleicht bringt seine Befragung Licht in die Angelegenheit, vielleicht auch Klarheit über Eure Schuld oder Unschuld, ohne daß wir zur Folter zu schreiten brauchen. Verhält sich die Sache anders, dann zittert, wenn nicht für Euch selber, so doch für Euren Sohn! Ei, ei! Bekommt Ihr schon Angst, Herr Sänger? Fürchtet Ihr vielleicht für Eures Knaben junge Gliedmaßen die Werkzeuge, denen Ihr selber zu trotzen willens seid?«

»Herr Ritter!« entgegnete hierauf der Sänger, der sich von der Erregung, die ihn momentan befallen hatte, zu erholen anfing, »ich überlasse Euch als Mann von Ehre und Gewissen das Urteil darüber, ob sich nach Gesetz und Menschlichkeit über einen Menschen schlimmere Meinung hegen läßt darum, weil er bereit ist, an der eigenen Person Mißhandlung zu leiden, um sie seinem Kinde zu ersparen, einem schwächlichen Jüngling, der erst vor kurzem von gefährlicher Krankheit genesen ist.«

»Meine Pflicht erfordert,« versetzte nach kurzer Pause der Ritter, »daß ich dieser Angelegenheit bis zum Ursprung nachforsche. Wollt Ihr für Euren Sohn Gnade erlangen, so wird Euch das leicht werden dadurch, daß Ihr selber ihm das Beispiel der Ehrlichkeit und Offenheit gebt.«

Der Sänger warf sich in seinen Stuhl zurück mit einer Miene, als sei er entschlossen, lieber das Äußerste zu ertragen, als weitere Antworten zu erteilen. Sir John de Walton war unschlüssig über sein ferneres Verhalten; gegen die Anwendung der Tortur auf Vater und Sohn fühlte er ausgesprochenen Widerwillen, in so lebhaften Konflikt er sich auch mit seiner ihm durch den Dienst und durch die Rücksicht auf Sicherung königlichen Besitzes vorgeschriebenen Pflicht seinem Ermessen nach setzte. Die Erscheinung des Sängers zeigte hohe Würde und seine Rede nicht minder. Auch besann sich der Schloßhauptmann, daß sein jüngerer Kamerad, Sir Aymer de Valence, ihm den Sänger als ein solches Mitglied seiner Zunft geschildert, das redlich bestrebt sei, die Ehre eines gefährdeten Standes durch persönliche Tüchtigkeit wiederherzustellen; er mußte sich sagen, daß es grausam und ungerecht wäre, dem Gefangenen den Glauben an seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu weigern, bis zum Beweis derselben jede Sehne gespannt und jedes Glied im eigenen wie im Leibe des Sohnes gebrochen wäre.

»Aber,« sprach er bei sich, »bleibt mir ein anderes Mittel, Wahrheit von Falschheit zu scheiden? Stehen nicht Bruce und seine Parteigänger bereit? Gehe ich vielleicht fehl in der Annahme, daß dieser Pseudokönig von Schottland die Galeeren ausgerüstet hat, die den Winter über bei Nochrin vor Anker lagen? Stimmt nicht, was Greenleaf von Waffen sprach, die für einen neuen Aufstand herbeigeschafft sein sollen, auffallend überein mit der Erscheinung jenes wilden Jägers im Walde, beim Mahle? Ha! Dies alles scheint mir ein Beweis zu sein dafür, daß etwas auf dem Amboß liegt, dessen Verhütung mir Pflicht und Gewissen vorschreiben. Deshalb will ich keinen Umstand übergehen, der irgendwie Licht über die Person des Sängers und seinen Knaben bringen kann. Gebe mir aber der Himmel aus anderer Quelle Licht, damit es mir nicht geboten und gesetzlich erscheine, diese doch vielleicht ehrlichen Leute zu quälen.«

Greenleaf ein Wort über den Gefangenen zuflüsternd, schritt er aus dem Gemache. Noch aber hatte er die äußere Schwelle desselben nicht erreicht, als die Stimme des alten Mannes, an den die Bogenschützen schon Hand gelegt hatten, an seine Ohren schlug und ihn bat, auf einen Moment zurückzukehren.

»Was habt Ihr zu sagen, Sänger?« fragte er, den Worten desselben willfahrend; »macht es kurz, denn schon habe ich mehr Zeit verloren Euch anzuhören, als sich verantworten läßt. Um Euretwillen also rate ich Euch –«

»Um Euretwillen, Sir John de Walton, laßt Euch durch mich raten, alles, was Euer weiteres Tun in dieser Sache leiten kann, auf das peinlichste zu erwägen; denn Ihr allein unter allen Lebendigen würdet durch einen Irrtum am schwersten zu leiden haben. Solltet Ihr dem Jüngling auch nur ein Haar krümmen oder krümmen lassen, solltet Ihr ihn die geringste Entbehrung leiden lassen, deren Verhinderung in Eurer Macht stünde, so würdet Ihr selber Euch herberen Schmerz bereiten, als Euch durch irgendwas sonst auf Erden bereitet werden könnte. Bei den höchsten Segnungen unserer Religion schwöre ich, das Heilige Grab rufe ich Zum Zeugen an, daß ich nichts rede als die lauterste Wahrheit und daß ein Tag kommen wird, an welchem Ihr mir für mein Tun und Lassen Euren Dank aussprechen werdet! Nicht bloß Euer, sondern auch mein Interesse ist es, Euch im Besitz dieses Schlosses zu sichern. Ich stelle nicht in Abrede, über Schloß und Schloßhauptmann einiges zu wissen, zu dessen Offenbarung ich aber die Einwilligung des in der Abtei aufhältlichen Jünglings haben muß. Bringt mir ein Schreiben seiner Hand, daß ich Euch in das Geheimnis ziehen darf, und seid überzeugt, all diese trüben Wolken werden sich im Nu zerteilen!«

»Ich wünsche um Euretwillen, daß dies der Fall sei,« versetzte der Gouverneur, »wenngleich ich nicht verstehen kann, weshalb sich solch günstiger Ausgang hoffen lassen soll. Ich will Eurem Wunsche Rechnung tragen, Sänger. Schreibt Eurem Sohne! Ich will die Besorgung übernehmen; um Euretwillen will ich die Gefahr leiden, die zu großes Vertrauen in Eure Reden leicht über mich selber bringen kann. In strenger Haft muß ich Euch aber halten, bis sich alles aufgeklärt und entschieden haben wird. Das gebeut mir die Pflicht!«

Mit diesen Worten gab er dem Gefangenen das Schreibzeug zurück, das von den Bogenschützen in Beschlag genommen worden war, und befahl ihm die Arme zu lösen.

Achtes Kapitel

»Ich habe den Brief nicht zusammengelegt,« sprach der Sänger, indem er dem Ritter das von ihm abgefaßte Schreiben behändigte, »denn er ist nicht so abgefaßt, daß Ihr das Geheimnis erraten könntet, und ich glaube nicht, daß Ihr durch die darin enthaltenen Worte irgendwelche Klarheit gewinnen werdet; indessen dürft Ihr bezüglich dessen, was nicht darin steht, durchaus beruhigt sein. Was ich mit diesen Worten sagen will, ist nichts weiter, als daß das Schreiben von jemand herrührt, der für Euch und Eure Besatzung das beste wünscht, und an ebensolchen jemand gerichtet ist.«

Der Ritter befahl sein Roß zu satteln und las während dieser Zeit das von dem Sänger abgefaßte Schreiben. Dasselbe lautete:

»Teurer Augustin! – Der Schloßhauptmann, Sir John de Walton, hat den Verdacht geschöpft, von welchem ich unterwegs mehr denn einmal gesprochen habe. Kein Wunder, denn wir sind ohne klar und bestimmt ausgesprochenen Zweck in dieses Land gekommen. Zunächst bin ich in Haft genommen worden und stehe unter Androhung peinlicher Befragung, damit ich über den Zweck unserer Wanderung hierher meine Aussage gebe. Indessen soll man mir eher das Fleisch von den Knochen reißen, als mich zum Bruch des Euch geleisteten Eides zwingen. Zweck dieses Schreibens ist, Euch Kenntnis zu geben, daß die gleiche Gefahr Euch droht, sofern Ihr nicht geneigt sein solltet, mir die Erlaubnis zur Offenbarung unseres Geheimnisses zu erteilen. Ihr braucht mir hierüber lediglich Eure Wünsche zu sagen. Seid versichert, daß ich ihnen gemäß handeln werde.

Euer ergebener Bertram.«

Nicht das geringste Licht warf der Brief auf das Geheimnis des Sängers. Der Schloßhauptmann las ihn mehrmals durch und drehte ihn nach allen Seiten herum, umsonst: es ließ sich nicht das mindeste aus dem Inhalt herausschälen, was ihm auch nur Anhalt geboten hätte, sich Licht zu verschaffen.

Sir John de Walton sah das Müßige solchen Beginnens ein und begab sich in die Halle, um dort Sir Aymer in Kenntnis zu setzen, daß er nach der Abtei hinüber reiten wolle, und ihm für die Zeit seiner Abwesenheit die Schloßhauptmanns-Obliegenheiten zu übergeben.

Als der hohe Ritter vor dem in Ruinen liegenden Kloster erschien, trat auf der Stelle der Abt vor das Tor, ihn seiner Dienstfertigkeit zu versichern, waren doch Kloster und Insassen einzig und allein unter den obwaltenden Verhältnissen im Lande auf die Nachsicht der englischen Garnison im Schlosse angewiesen.

Sir John fragte den Greis nach dem im Kloster aufhältlichen Jüngling und vernahm, daß derselbe, seit er von seinem Vater, einem Sänger mit Namen Bertram, hierher gebracht worden, krank gelegen habe. Der Greis setzte hinzu, daß es sich seines Vermutens um jene ansteckende Seuche handle, die damals die Grenzen von England verheerte und bereits nach Schottland übergegriffen habe.

Sir John behändigte dem Abte das Schreiben des Sängers; aber es währte nicht lange, so kam der Abt, zitternd vor Angst, zurück mit dem Bescheide des Jünglings, momentan könne und wolle er den Ritter nicht empfangen; wenn derselbe am anderen Morgen nach der Messe sich wieder herbemühen wolle, so wäre es vielleicht möglich, ihm zu sagen, was er zu wissen begehre.

»Das ist kein Bescheid, den solch ein grüner Bursch einem Manne von meinem Rang und Stande melden lassen darf,« sprach der Ritter, »und ich muß meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, Herr Abt, daß Euch um Euer eigenes Wohl so wenig zu tun ist, daß Ihr es wagen konntet, solch unverschämte Botschaft an mich zu übernehmen.«

Der Abt suchte sich zu entschuldigen. Er verpfändete sein heiliges Wort, daß der unbedachte Inhalt dieser Botschaft einzig und allein in der aus solcher Krankheit hervorgehenden mürrischen Stimmung zu suchen sei. Er sprach von den Rücksichten und Pflichten, die der Schloßhauptmann von Douglas gegen Kloster und Abtei von Saint-Bride zu beobachten habe, die doch der englischen Regierung nimmer Ursache zu Klagen gegeben habe. Er betonte, daß er nicht zugeben könne, einen kranken Jüngling, der im Heiligtum der Kirche Zuflucht gesucht habe, in irgend welche Gefahr zu bringen oder in Haft zu nehmen, falls nicht Anklage wegen besonderen Verbrechens erhoben würde, die aber sogleich auch nach Recht und Gesetz durch Beweise erhärtet werden müsse. Das Geschlecht der Douglas, obgleich bekannt durch Rauheit und gewalttätigen Sinn, habe das Heiligtum der Abtei Saint-Bride jederzeit hochgehalten und respektiert, und es sei wohl nicht zu vermuten, daß der König von England, der römischen Kirche frommer und pflichtgetreuer Sohn, die Rechte derselben geringer halten werde, als die Anhänger eines Thronräubers und Mörders und im Kirchenbann befindlichen Mannes wie Robert Bruce.

Sir John de Walton wußte, welche Macht dem Papste in jedem Streite zustand, in welchen ihm Einmischung beliebte, daß von demselben in dem Kampf um die Oberherrschaft in Schottland Rechte geltend gemacht würden, die nach den zurzeit gültigen Anschauungen am Ende für besser und begründeter galten als die vom König von England einer-, von Robert Bruce andererseits erhobenen. Er mußte sich demnach sagen, daß ihm sein König für einen durch ihn hervorgerufenen Zwist mit der Kirche kaum dankbar sein werde. Zudem war es ja leicht, Augustins Flucht während der Nachtzeit durch Wachen zu hindern, so daß er sich am anderen Morgen ebenso sicher in der Gewalt der Engländer befinden, als wenn er im Augenblick durch offene Gewalt in Haft genommen würde.

Indessen besaß der Ritter soviel Gewalt über den Abt, daß er von ihm für die Zusage, die Abtei für die Dauer der Nacht als Heiligtum zu halten, die Gegenzusage erhielt, ihm mit seinem geistlichen Ansehen behülflich zu sein, daß der Jüngling ausgeliefert werde, falls er keinen ausreichenden Grund für das Gegenteil beizubringen imstande sei.

Diese Abrede bestimmte den Ritter, die von Augustin mehr begehrte als nachgesuchte Begünstigung zu gewähren – »mit der Voraussetzung jedoch,« schloß er, »daß Ihr ihm die Erlaubnis weigert, die Abtei zu verlassen, und Euch für ihn verbürgt, wogegen ich Euch die Vollmacht einräume, über unsere kleine Besatzung von Hazelside zu verfügen, der ich übrigens bei meiner Rückkehr nach dem Schlosse Verstärkung senden werde, für den Fall es notwendig sein sollte, Gewalt zu gebrauchen oder andere Maßregeln zu ergreifen.«

»Ich kann mir nicht denken, Herr Ritter, daß es nicht gelingen sollte, den Starrsinn des Jünglings durch Worte zu bekämpfen; ich möchte sogar annehmen, daß Ihr die Art und Weise, wie ich mich der Pflichten, die mir dieser Vorfall überweist, entledigen will, nicht anders als billigen werdet.«

Sir John lehnte alle Bewirtung ab, verabschiedete sich und spornte sein Roß. Es währte nicht lange, so trug ihn das edle Tier wieder über die Zugbrücke. Sir Aymer hielt vor dem Schloßtor, um zu melden, daß sich in der Garnison keinerlei Änderung vollzogen habe; indessen sei ihm Kunde geworden, daß ein Dutzend Mannen auf dem Marsche nach Lannark begriffen seien und im Schlosse Einkehr halten wollten oder, falls dem Hauptmann dies genehmer sei, im Vorposten von Hazelside sich quartieren würden.

»Ich bestimme das letztere,« erwiderte Sir John, »zumal ich eben willens bin, die dort liegende Garnison zu verstärken. Der naseweise Musje, Bertrams Sohn oder was er sonst sein mag, hat sich verpflichtet, sich morgen zum Verhör zu stellen. Da die im Anmarsch befindliche Abteilung zu dem Korps Eures Oheims Lord Pembroke gehört, ersuche ich Euch, ihr entgegenzureiten und sie so lange in Hazelside zu halten, bis Ihr weitere Erkundigungen über diesen Sängerknaben eingezogen habt. Ich verlange vollständige Aufklärung über das ihn umgebende Geheimnis und Antwort auf das Schreiben des Sängers, das ich dem Abt von Saint-Bride eigenhändig übergeben habe. Ich verlasse mich darauf, daß Ihr den Knaben scharf im Auge haltet und unter sicherer Begleitung hierher schafft, weil er meiner Meinung nach ein Gefangener von Wichtigkeit ist. Ich habe in dem Falle schon viel zu viel Nachsicht bewiesen.«

»Zu Befehl, Sir John!« versetzte der junge Ritter, »sofern Ihr für jemand, welcher die Ehre hat, direkt nach Euch an diesem Platze Zu rangieren, keine wichtigeren Befehle habt!«

»Entschuldiget, bitte, Herr Ritter,« antwortete der Schloß»Hauptmann, »falls Ihr den Auftrag für unter Eurer Würde halten solltet –«

»Nicht im geringsten«, sagte hierauf Sir Aymer; »doch eine Frage: was soll geschehen, wenn sich der Abt widersetzt?«

»Sich widersetzt?« fragte Sir John; »mit Lord Pembrokes Kriegsleuten befehligt Ihr über zwanzig Mann wenigstens, Berittene, die Bogen und Speer führen, und gegen Euch steht ein knappes halbes Dutzend scheuer alter Mönche, die außer Kutte und Kapuze über nichts verfügen –«

»Schon recht,« bemerkte Sir Aymer, »aber mit Kirchenbann und Exkommunikation hat heutzutage niemand gern was zu tun, auch Leute im Harnisch nicht; und aus der christlichen Kirche gestoßen zu werden, möchte ich keinesfalls riskieren.«

»Der Abt hat mir die Auslieferung des jungen Menschen zugesagt, Herr Ritter,« versetzte hierauf Sir John nicht ohne Schroffheit, »falls er sich nicht aus freien Stücken ausliefert.«

Dieser Bescheid schloß weiteren Einspruch aus. Sir Aymer de Valence, in der Meinung, nutzloserweise mit einem Auftrag unbedeutender Art geplagt zu werden, legte die für kurze Ritte im Bereich der Besatzungsmauern übliche halbe Rüstung an und ritt mit seinem Knappen Fabian und einigen Dienstmannen aus dem Schlosse.

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