Erstes Kapitel
In der anmutigen Provinz des glücklichen England, die der Don durchströmt, dehnte sich in alter Zeit ein großer Wald aus, der die lieblichen Hügel und Täler zwischen Sheffield und der freundlichen Stadt Doncuster bedeckt. Überreste dieses mächtigen Forstes findet man noch in der Umgegend der Rittersitze Wentworth, Warncliffe-Park und bei Rotherham. Hier hauste einst der sagenhafte Drache von Wantley, hier wurde manche blutige Schlacht im Bürgerkrieg der weißen und roten Rose ausgefochten, hier trieben vor alten Zeiten die tollkühnen Räuberhorden ihr Wesen, deren Taten durch die englischen Volkslieder überall bekannt geworden sind. Und hier liegt auch der eigentliche Schauplatz dieser Erzählung und die Zeit, zu der sie spielt, reicht bis zum Ende der Regierung Richards des Ersten, als seine Untertanen, die während seiner langen Gefangenschaft auf jede mögliche Weise bedrückt und geknechtet waren, seine Rückkehr wohl von Herzen wünschten, doch nicht zu erhoffen wagten. Der Adel, der während Stephans Regierung zu unbegrenzter Macht gelangt war, und den Heinrich der Zweite durch kluge Politik der Krone etwas von neuem untertänig gemacht hatte, schlug jetzt wieder völlig über die Stränge, kümmerte sich nicht um den ohnmächtigen Protest des englischen Staatsrates, befestigte seine Schlösser, verstärkte die Zahl seiner Hörigen und Reisigen, machte sich alles in seiner Umgebung zu Vasallen und bot alle Kraft auf, um, jeder in seinem Kreise, zu Macht und Gewalt zu gelangen und in den aller Voraussicht nach nahe bevorstehenden staatlichen Katastrophen eine hervorragende Rolle spielen zu können. Die Angehörigen des niederen Adels oder die Franklins, wie man sie nannte, die von Gesetzes wegen und durch den Geist der englischen Verfassung berechtigt waren, von der Feudaltyrannei unabhängig zu bleiben, wurden durch diese Zustände mehr als je in ihrer Existenz gefährdet. Wenn sie sich, was meist der Fall war, dem Schutze eines der kleinen Könige aus ihrer Umgebung unterstellten, an seinem Hofe Lehnsdienste taten, oder sich in einem gegenseitigen Schutz- und Trutzbündnis verpflichteten, ihm in seinen Unternehmungen Beistand zu leisten, so hatten sie sich allerdings wohl eine vorübergehende Sicherheit erkauft, aber eben dafür die Unabhängigkeit hingegeben, die jedem englischen Herzen lieb und teuer ist, und sie konnten mit Bestimmtheit darauf rechnen, in ein unbesonnenes Unternehmen hineingezogen zu werden, zu dem sich ihr Schutzherr aus Ehrgeiz hinreißen lassen würde. Auf der anderen Seite standen den mächtigen Baronen soviele Mittel zu Gebote, die kleinen Adligen zu knechten und zu schurigeln, daß sie nie um einen Vorwand verlegen waren und nur in seltenen Fällen darauf verzichteten, mit ihren Feindseligkeiten alle die unter ihren weniger mächtigen Nachbarn zu verfolgen, die es wagten, sich ihrer Oberherrschaft zu entziehen und in diesen gefahrvollen Zeiten ihren einzigen Schutz in ihrer makellosen Führung und in den Gesetzen des Landes zu suchen.
Ein Umstand, dem es zum großen Teile zuzuschreiben war, daß der hohe Adel ein so tyrannisches Wesen treiben durfte und daß seine niederen Klassen in so arge Bedrängnis geraten waren, lag in den Folgen, die die Eroberung des Herzogs von der Normandie mit sich brachte. In vier Geschlechtern hatte sich weder das feindliche Blut der Normannen und der Angelsachsen vermischen, noch hatten sich durch gleiche Sprache, gleiche Ziele und Interessen zwei feindliche Stämme miteinander verschmelzen können, denn auf der einen Seite machte sich stets der Stolz und der Dünkel des Siegers geltend, und auf der anderen hatten die Folgen der Niederlage denn doch zu tiefe Wunden geschlagen.
Nach der Schlacht von Hastings hatte der normännische Adel die Gewalt völlig in Händen, und er machte nicht eben milden Gebrauch davon. Das Geschlecht der sächsischen Fürsten und Edelherren war entweder völlig vernichtet oder seines Erbteils beraubt worden, bis auf wenige aus der zweiten oder noch niedrigeren Klasse, die im Lande ihrer Väter noch als Herren auf eigenem Grund und Boden saßen. Lange hatte der König seine Gewalt dahin zu nutzen versucht, jenen Teil der Bevölkerung, der erwiesenermaßen stets einen tief eingewurzelten Haß gegen den Sieger und Unterdrücker hegt, in seiner Macht zu schmälern. Alle Herrscher normännischen Geblüts bekundeten unstreitig stets die offenste Vorliebe für ihre normännischen Untertanen. Jagdgesetze und andere Paragraphen, von denen der freie duldsame Geist der sächsischen Verfassung nichts wußte, waren dem Nacken der unterjochten Bewohner aufgebürdet worden, um die Fesseln der Feudalherrschaft noch schwerer zu gestalten. Am Hofe selbst und in den Schlössern der hohen Herren, wo man dem Luxus und der Pracht des Hofes gleichzukommen strebte, war nur die normännisch-französische Sprache im Gebrauch und in der gleichen Sprache wurden auf den Gerichten die Klagen und die Urteile abgefaßt. Mit einem Wort: französisch war die Sprache der vornehmen Welt, der Ritterschaft und der Herren vom Gericht, während das ausdrucksvolle und mannhaftere Angelsächsisch nur noch bei den Bauern und Knechten in Gebrauch war, die einer anderen Sprache nicht mächtig waren. Und da nun die Grundbesitzer mit den Bauersleuten Gemeinschaft unterhalten mußten, so bildete sich allmählich aus diesem Verkehr eine besondere Mundart, eine Mischung aus Französisch und Angelsächsisch, in der sie sich untereinander verständigten. Dieser aus Zwang entstandene Dialekt hat dann die englische Sprache gezeitigt, in der sich die Sprache der Sieger mit der der Besiegten aufs glücklichste verquickt hat und die dann im Laufe der Zeit aus Übertragungen aus den Sprachen des klassischen Altertums und aus der Literatur der südlichen Völker Europas in hohem Maße bereichert worden ist. – Der Verfasser glaubte den Leser über diesen Zustand der Dinge unterrichten zu müssen, damit er stets dessen eingedenk sein soll, daß eine Nationalverschiedenheit zwischen den Sachsen und den Siegern und die nie geschwundene Erinnerung an das, was sie gewesen und was jene aus ihnen gemacht hatten, bis in die Regierung Eduards des Dritten stets wach geblieben ist. Die Wunden, die der Gegner geschlagen hatte und die er, sobald sie im Vernarben waren, stets wieder aufriß, ließen eine scharfe Scheidung zwischen den Abkömmlingen der siegreichen Normannen und den Nachkommen der unterdrückten Sachsen immer merklich erkennen.
Auf einer der satten Wiesen des anfangs erwähnten Waldes lag heller Sonnenschein. Hunderte von breiten, kurzstämmigen Eichen, die vielleicht schon die römischen Legionen in prachtvollem Aufzug vorüberziehen sahen, beschatteten mit ihren weitausladenden knorrigen Zweigen den dichten grünen Teppich des lieblichen Rasens. An manchen Stellen standen Buchen, Pappeln und andere Baumarten in so dichtem Gemisch dazwischen, daß die Strahlen der sinkenden Sonne kaum hindurchdringen konnten. An anderen Stellen bot sich ein weiter, herrlicher Durchblick, in die das Auge so gern hineinspäht, während die Phantasie in ihren Gründen noch Bilder der Waldeinsamkeit erwartet. Die Purpurstrahlen der untergehenden Sonne verbreiteten hier einen milden fahlen Schein, der da und dort auf den Zweigen und Stämmen lag, und auch auf dem Rasen malten sich stellenweise Flächen von Licht, die den Weg der Sonne bezeichneten. Ein weiter Kreis in der Mitte des Grasplatzes schien vor Zeiten dem Götzendienst der Druiden geweiht gewesen zu sein; denn oben auf einem Hügel, der so regelmäßig erschien, als ob er von Menschenhänden errichtet worden sei, waren die Überreste eines großen Kreises aus roten, unbehauenen Steinen zu sehen. Sieben von ihnen waren hochgestellt, die anderen lagen flach umher und waren durcheinandergeworfen, vielleicht von einem zum Christentum bekehrten Eiferer. Andere wieder lagen dicht an ihrem alten Fleck, andere auf dem Abhang des Hügels. Nur ein großer, umfänglicher Block war ganz heruntergeglitten und hatte den Lauf eines kleinen Baches versperrt, der sich sanft um den Fuß des Hügels herumschlängelte und nun in leisem Murmeln über dieses Hemmnis hinwegrann.
Zwei menschliche Gestalten waren in dieser Landschaft zu sehen und Tracht und Erscheinung kennzeichnete sie in ihrer Wildheit und Rauheit als Waldbewohner des Westens von Yorkshire. Der Ältere von beiden sah ernst, wild und düster aus. Seine mehr als einfache Kleidung bestand aus einer knappen Ärmeljacke aus gegerbtem Tierfell, an der sich das ursprünglich nicht abgeschorene Haar mit der Zeit so sehr abgeschabt hatte, daß sich aus dem, was noch daran war, schwer hätte sagen lassen, von welchem Tiere der Pelz stammte. Dieser Überkittel ging vom Hals bis zum Knie und bedeckte also den ganzen Leib, und das einzige Loch, das er hatte, war gerade groß genug, daß der Kopf hindurchgesteckt werden konnte. Er mußte mithin wie ein Hemd beim Anziehen über Kopf und Schultern gestreift werden. Sandalen mit schweinsledernen Riemen schützten die Füße, eine Rolle von dünnem Leder war als Gamasche um die Beine geschlungen worden und ließ, wie es bei den schottischen Hochländern Brauch war, das Knie nackt. Damit die Jacke praller sitzen sollte, war sie in der Mitte durch einen breiten Ledergürtel mit metallener Schnalle zusammengehalten. An diesem Gurt hing an der einen Seite eine Art Tasche, an der anderen ein zum Blasen gerichtetes Widderhorn mit Mundstück. Ferner steckte darin ein langes, breites Messer mit scharf zugespitzter zweischneidiger Klinge und einem Griff aus Hirschhorn. Derartige Messer wurden in dieser Gegend hergestellt und hießen schon damals Sheffieldmesser. Der Mann hatte zur Kopfbedeckung nichts weiter als sein starkes zusammengerafftes und geflochtenes Haar, das im Scheine der Sonne wie dunkelrot erschien und stark gegen den die Wangen bedeckenden Bart abstach, der die Farbe des Bernsteins hatte. Ein sehr seltsames Stück seines Anzuges muß noch genannt werden, nämlich ein metallener Ring, der wie ein Hundehalsband aussah, aber keine Öffnung hatte und sich fest um den Hals schloß, ohne daß der Mann dadurch am Atmen behindert worden wäre. Auf diesem merkwürdigen Halsschmuck, der nur mit der Feile zu lösen gewesen wäre, stand in angelsächsischen Buchstaben die folgende Inschrift: Gurth, Beowulfs Sohn, ist durch Geburt Leibeigener Cedrics von Rotherwood.
Neben diesem Schweinehirten, denn dies war Gurths Amt, saß auf einem Trümmerstein der Druidenstätte ein Mann, der zehn Jahre jünger zu sein schien und dessen Tracht im Schnitt der seines Gefährten ähnlich, jedoch aus besserem Stoff gefertigt war und phantastischer aussah. Sein Wams war früher von hellem Purpur gewesen und unbeholfene Verzierungen in verschiedenen Farben waren grotesk darauf gemalt worden. Der Mantel, der ihm nur bis zur Hälfte des Leibes reichte und aus karmoisinrotem Tuch mit hellgelber Einfassung bestand, war schon stark abgetragen, und da er um beide Schultern geworfen und um den Leib geschlungen werden konnte, so war er im Vergleich zu seiner Kürze unverhältnismäßig weit und gab daher ein recht seltsames Kleidungsstück ab. Der Mann trug schmale, silberne Armbänder und um den Hals ein Band von dem gleichen Metall mit der Inschrift: Wamba, Sohn des Ohnewitz, ist Leibeigener Cedrics von Rotherwood. Er trug Sandalen wie sein Gefährte, aber statt der Lederrollen hatte er richtige Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war. Seine Mütze war mit einer Menge Schellen besetzt wie man sie den Falken anhängt. Die klingelten, wenn er den Kopf bewegte, und da er nicht einen Augenblick still saß, so klirrte und klimperte es unaufhörlich. Um die Spitze der Mütze lief ein breites Band von steifem Leder, das oben ausgezackt war und wie eine kleine Krone aussah. Aus ihr hing eine Art Beutel hervor, der auf die Schulter herabbaumelte und sich fast wie eine alte Nachtmütze oder wie ein Husarenkäppi ausnahm. Auch daran hingen Glöckchen.
Dieser ganze Aufputz und der halbpfiffige, halbirre Ausdruck seines Gesichts kennzeichneten ihn hinlänglich als einen jener Hausnarren, die sich die Reichen zum Zeitvertreib halten, um besser über die langweiligen Stunden hinwegzukommen, die ihnen in ihren vier Pfählen nicht erspart bleiben. Wie sein Gefährte trug auch er eine Art Tasche am Gurt, aber er hatte weder Horn noch Messer, wahrscheinlich weil es für gefährlich erachtet wurde, dem Menschenschlag, zu dem er gehörte, scharfe Instrumente in die Hand zu geben. Dagegen führte er ein hölzernes Schwert wie Kasperle auf dem Theater. Wie das Äußere der beiden Männer einen scharfausgeprägten Gegensatz erkennen ließ, so auch ihr Blick und ihr Wesen. Der Hirt und Leibeigene hatte ein trübes und düsteres Gebaren. Das Auge war mit dem Ausdruck tiefer Verzweiflung zu Boden gesenkt und schien gänzliche Apathie zu bekunden, nur ab und zu flammte es in seinem roten Auge auf und deutete darauf hin, daß sich unter seinem dumpfen Kleinmut die Empfindung, geknechtet zu sein, und das Verlangen, sich dagegen aufzubäumen, schlummernd regten. Wambas Miene dagegen verriet die bei Menschen seines Schlages in der Regel vorhandene Neugier, eine quecksilberne Hast und die größte Zufriedenheit mit seiner Lage und seiner Kleidung. Beide unterhielten sich angelsächsisch, eine Sprache, die, wie schon erwähnt, ausschließlich bei den niederen Klassen in Gebrauch war.
»Hol der heilige Withold die verflixten Schweine!« brummte der Hirt, nachdem er aus Leibeskräften ins Horn geblasen hatte, um die verstreute Herde zusammenzubringen, die seinem Rufe zwar in ebenso melodischer Weise antwortete, aber doch von seinem leckeren und reichen Mahle aus Eicheln und Bucheckern nicht wegzubringen war. Auch hatten sie nicht die geringste Lust, das schlammige Ufer des Flusses zu verlassen, wo sich mehrere recht gemächlich im Moraste wälzten und das Horn blasen ließen, was es blasen mochte.
»Hol sie der heilige Withold und mich selbst!«, sagte Gurth. »Wenn der Wolf mit zwei Beinen nicht noch 'n paar vor der Nacht wegmaust, will ich keine ehrliche Kreatur sein. – Hierher! Packan! Hierher!« schrie er seinem zottigen Hunde zu, einem wolfsähnlichen Tiere, halb Bullenbeißer, halb Windspiel, der eifrig hin und her hetzte, um die widerspenstigen Grunzer seinem Herrn sammeln zu helfen. Entweder aber verstand er die Hornsignale seines Herrn nicht und wußte auch noch nicht, was ihm zu tun oblag, oder er handelte aus vorsätzlicher Böswilligkeit so, denn er trieb die Schweine nur noch mehr auseinander und machte daher das Übel nur noch ärger.
»Mag der Deibel dem Viech die Zähne ausreißen!« schimpfte Gurth. »Wamba, wenn du 'n braver Kerl bist, so komm und hilf mir! Lauf um den Hügel rum, daß du ihnen in 'n Rücken kommst. Wenn du ihnen die Witterung abkriegst, kannst du sie wie harmlose Lämmerkens vor dir hertreiben.«
»Weiß der Kuckuck!« sagte Wamba, ohne sich vom Flecke zu rühren, »ich habe meine Beine gefragt, wie sie drüber denken, und die meinen nu mal, daß ich meine Kleider nicht durch diese Pfützen treiben dürfe, wenn ich mich nicht geradezu versündigen will an meiner hohen Person und meiner fürstlichen Garderobe. Derowegen rat ich dir, Gurth, ruf den Packan weg und überlasse die Herde ihrem Schicksal. Ob sie nu rumziehenden Soldaten oder Räubern oder langweiligen Pilgern in die Hände fällt, es kommt doch alles auf eins raus. Eh nämlich der Tag anbricht, werden die Schweine zu deiner Freude in Normannen verwandelt sein.«
»Die Schweine in Normannen?« fragte Gurth. »Erklär mir das, Wamba, denn mein Schädel ist zu blöde und mein Gemüt zu bedrückt, als daß ich lustig genug wär, um Rätsel zu knacken.«
»Wie nennst du das grunzende Viechzeug, das sich auf vier Beinen rumtreibt?« fragte Wamba.
»Schweine, Narr, Schweine,« sagte der Hirt, »das weiß jeder Narr.«
»Und Schwein ist 'n gut sächsisch Wort,« sagte der Hausnarr. »Aber wie nennst du die Sau, wenn sie ausgeweidet, abgesengt und aufgehängt ist wie 'n Hochverräter?«
»Porc!« versetzte der Hirt.
»Freut mich, daß auch das jeder Narr weiß,« antwortete Wamba. »Und Porc ist gut normännisch-französisch. Wenn das Viech lebt und von nem sächsischen Leibeignen gehütet wird, dann hats seinen sächsischen Namen, aber es wird 'n Normanne und heißt Porc, wenn es in 'n stattliches Schloß gebracht und den edlen Herren zum Mahle aufgetischt wird. Was sagst du dazu, Freund Gurth?«
»Das hat Hand und Fuß, Freund Wamba, wenns auch der Schädel eines Narren ausgeheckt hat.«
»Noch mehr kann ich dir sagen,« fuhr Wamba im gleichen Tone fort. »Da ist der ehrliche Aldermann Ochs, der behält auch seinen sächsischen Namen, solang er von Knechten und Leibeigenen bewacht wird, aber sobald er vor die hochgeehrten Kinnladen kommt, die allein auf Erden dazu da sind, ihn aufzuessen, dann wird er sogleich 'n stolzer, eleganter Franzose und nennt sich Boeuf. Und das gute Bürschchen Kalb wird auf diese Weise Monsieur de vaux. Solang es unter Aufsicht ist, bleibts ein Sachse, und sobalds eine Sache des Genusses wird, ist 'n Normanne draus geworden.«
»Beim heiligen Dunstan!« entgegnete Gurth. »Was du da sagst, ist leider alles wahr. Nicht viel mehr ist uns gelassen, als die Luft, die wir atmen, und auch die scheinen sie uns nur ungern zu gönnen und nur deshalb zu lassen, damit wir die Lasten tragen können, die sie unserm Buckel aufgebürdet haben. Das Leckerste und das Fetteste ist für ihre Tafel, und das Hübscheste für ihr Bett, die Tüchtigsten müssen als Soldaten unter die fremde Herrschaft, in fernen Landen bleichen ihre Knochen und nur wenig bleiben übrig, die die Macht hätten und willens wären, die unglücklichen Sachsen zu beschützen. Gott segne unsern Herrn Cedric! der hat gehandelt wie 'n Mann, der in die Bresche springen will; aber Reginald Front-de-Boeuf durchzieht selbst das Land, und wir werden ja sehen, wie wenig alle Sorge und Mühe Cedrics helfen wird. – Hierher, hierher!« rief er, wieder die Stimme erhebend. »Halloh, halloh! wacker, Packan! Nu hast du sie alle beisammen und treibst sie weiter vor dir her!«
»Gurth,« sagte der Narr, »du hältst mich für 'n ganz dummen Kerl, sonst tätest du nicht so leichthin deinen Kopf zwischen meine Zähne stecken. Ich brauchte Reginald Front- de-Boeuf oder Philipp von Malvoisin nur ein Wort zu sagen, daß du verräterische Pläne gegen die Normannen geäußert hättest, und du bist deiner Würde als Schweinehirt entsetzt und wirst bald an einem dieser Bäume hängen zum abschreckenden Exempel für alle, die über hohe Herren übles Gerede führen.«
»Du Hund du!« knurrte Gurth. »Du wirst mich doch nicht verraten, nachdem du mich erst dazu verleitet hast, so zu reden?«
»Dich verraten!« antwortete der Narr. »Gott bewahre! Das wär nur was für einen gescheiten Menschen, ein Narr weiß nicht, wie er das anzufangen hätte. Doch still! wer ist das?« setzte er hinzu, indem er auf die Hufschläge von Pferden hörte, die deutlich zu vernehmen waren.
»Mir einerlei,« erwiderte Gurth, der jetzt seine Herde, von seinem Hunde unterstützt, durch einen Baumgang vor sich hertrieb, in dem es schon dunkel geworden war.
»Ich will aber die Reiter sehen,« sagte Wamba, »am Ende sind sie aus dem Feenlande und bringen Botschaft von Oberon.«
»Hol dich der Henker!« rief der Schweinehirt. »Wie kannst du nur solch Unsinn schwatzen, wo wenig Meilen von hier 'n fürchterliches Unwetter mit Blitz und Donner niederprasselt. Hör nur, wie der Donner rollt! Nie sah ich bei nem Sommerregen so dicke Tropfen schnurgerade runterfallen. Hier ist zwar noch alles still, aber schon rauschen die alten Eichen vorm Sturm, und in ihren Ästen stöhnts und knackts. Beiß du den Furchtlosen raus, wenn du Lust hast, aber hör diesmal auf mich und laß uns heimgehen, ehs Gewitter losbricht. Das wird ne entsetzliche Nacht!«
Wamba entzog sich dieser Mahnung nicht und folgte seinem Gefährten, der einen Stock vom Rasen aufgehoben hatte, nun wacker durch die Lichtung fürbaß schritt und die ganze Herde, die einen höchst unmelodischen Lärm machte, mit Hilfe seines Hundes vor sich hertrieb.
Zweites Kapitel
Allen Aufforderungen und Scheltworten seines Gefährten zum Trotz, konnte Wamba nicht umhin, alle Augenblicke auf der Straße stehen zu bleiben, weil das Pferdegetrappel immer näher kam. Bald riß er von einem Haselstrauch ein paar halbreife Haselnüsse ab, bald sah er einem Bauernmädchen nach, das seinen Weg kreuzte. Die beiden wurden daher bald von den Pferden und Reitern eingeholt.
Es waren zehn an der Zahl. Die zwei, die vorweg ritten, schienen hervorragende Personen zu sein, während die anderen wohl das Gefolge bildeten. Es war nicht schwierig, Charakter und Beruf des einen von diesen beiden Männern zu erkennen. Er war ohne Zweifel ein Geistlicher von hohem Range. Er trug die Gewandung eines Cisterziensermönches, nur aus feinerem Stoff, als es die Ordensregel erlaubt. Kutte und Kappe waren aus bestem Flamänder Tuch und fielen in weiten geschmackvollen Falten um seine hübsche, obwohl etwas beleibte Gestalt. Wie in dieser seiner Art, sich zu kleiden, keinerlei Verschmähung weltlichen Glanzes lag, so zeigte auch sein Gesicht keinen Zug der Selbstverleugnung. Seine Physiognomie hätte man anheimelnd nennen können, wenn nicht ein epikuräisches Blinzeln, das unter dem gesenkten Lide schlummerte, den versteckten Wollüstling verraten hätte. Außerdem hatte er sich in seinem Amt und dank seinen Verhältnissen eine strenge Herrschaft über seine Züge zu eigen gemacht, und er konnte nach Belieben zu jeder Zeit eine feierliche Miene aufsetzen, obgleich der natürliche Ausdruck seines Gesichtes gutgelaunte, gemütliche Gleichgültigkeit und Duldsamkeit war. Den Ordensbestimmungen und den Edikten der Päpste und Konzilien entgegen, waren die Ärmel seines Talars mit kostbarem Pelz besetzt und gefüttert, den Mantel hielt am Halse ein prachtvolles Schloß fest, und seine ganze Ordenstracht war verfeinert und ausgeschmückt. Dieser würdige Diener der Kirche ritt auf einem wohlgenährten Maultier, dessen Zaumzeug schön und reich verziert war; der Zaum selber war nach damaligem Brauch mit silbernen Glöckchen besetzt. Er saß nicht mit der Unbeholfenheit eines Klosterbruders, sondern mit der Haltung eines geübten Reiters im Sattel. Allerdings schien er den gutmütigen und gutzugerittenen Maulesel auch nur auf der Landstraße zu benutzen. Ein Laienbruder seines Gefolges führte für andere Gelegenheiten einen schönen spanischen Hengst bei sich, wie sie damals nur mit großen Schwierigkeiten und Gefahren für Personen von Rang und Reichtum von Händlern nach England gebracht wurden. Sattel und Schabracke dieses prächtigen Zelters waren mit einem langen Teppich bedeckt, der bis auf die Erde herabhing und mit Bischofskronen, Kreuzen und anderen kirchlichen Zeichen reich bestickt war. Ein anderer Laienbruder führte ein Saumtier, das wahrscheinlich das Gepäck trug, und zwei Mönche von demselben Orden, doch von niedrigerer Klasse, ritten hinter ihm drein, miteinander scherzend und lachend, und bekümmerten sich nicht im mindesten um die anderen Mitglieder des Reiterzuges.
Der Gefährte des Prälaten war ein Mann von mehr als vierzig Jahren, schlank und hager, aber dabei stark und muskulös und von athletischem Wuchs. Langjährige Strapazen und unausgesetzte Bewegung hatten ihm alle Zartheit genommen, und er schien nur noch aus Knochen, Adern und Sehnen zu bestehen. Auf dem Kopfe trug er eine scharlachene, mit Pelz verbrämte Mütze, die sein Gesicht ganz frei ließ. Der Ausdruck dieses Gesichts war dazu angetan, zwar nicht Furcht, doch Achtung einzuflößen. Erhabene, von Natur stolze und gewaltige Züge waren von der Sonne der Tropen fast bis zur Farbe eines Negers gebräunt worden und schienen nach dem vorübergebrausten Sturm wilder Leidenschaften im Zustande der Ruhe zu schlummern. Doch die stark hervortretenden Stirnadern und das heftige und ungestüme Zucken der Oberlippe mit ihrem starken, dunkeln Stutzbart, das sich bei der geringsten Erregung bemerkbar machte, ließen vermuten, daß ein Sturm nur zu leicht zu erwecken war. Die kühnen, durchdringenden Augen des Mannes verrieten bei jedem Blick die Geschichte überstandener Mühseligkeiten und Gefahren und schienen zum Widerstand herauszufordern, ganz als hätte der Mann sein Vergnügen daran, den Mut zu üben und was er wollte, mit eisernem Willen durchzusetzen. Eine tiefe Narbe an der Stirn erhöhte noch das ernste Gepräge seines Antlitzes, wozu auch der ein wenig beeinträchtigte Ausdruck des einen Auges beitrug, das bei Entstehung jener Narbe gleichfalls ein wenig beschädigt worden war, nun zwar völlig gesund, aber einen schiefen Blick behalten hatte.
Das obere Gewand dieses Mannes war dem seines Gefährten ähnlich: es war ein langer Klostermantel, aber an der scharlachroten Farbe war zu erkennen, daß der Träger zu keinem der vier rechtmäßigen Mönchsorden gehörte. Die rechte Achselseite des Mantels trug ein aufgeheftetes Kreuz von ungewöhnlicher Gestalt. Das Oberkleid verhüllte etwas, was auf den ersten Anblick nicht zu ihm zu passen schien: ein Panzerhemd mit Ärmeln und Handschuhen, das auf sinnreiche Weise so gearbeitet und gewebt war, daß es den Bewegungen des Körpers so schmiegsam folgte, wie jene auf dem Webstuhl aus weicherem Stoff gefertigten Hemden. Auch die obere Seite seiner Schenkel, soweit sie der Mantel sehen ließ, war mit Metallplatten bedeckt. Dünne künstlich zusammengefügte Stahlschienen schützten Knie und Füße. Ein Strumpf aus Metallschuppen reichte vom Knöchel bis zum Knie und vervollkommnete die Rüstung des Reiters. Die einzige Verteidigungswaffe, die er hatte, war ein langer, zweischneidiger Dolch, den er im Gürtel trug. Er ritt kein Maultier wie sein Gefährte, sondern einen handfesten Klepper, um sein edles Streitroß zu schonen, das ihm ein bis an die Zähne bewaffneter Knappe nachführte. Dieser trug vor dem Kopfe eine Schutzplatte, an der ein kleiner Stachel saß. An der einen Seite seines Sattels hing eine kurze, reich damaszierte Streitaxt, an der anderen Seite des Reiters Helm mit Sturmhaube und ein langes Schwert mit zwei Griffen, wie es die Ritter zur damaligen Zeit zu tragen pflegten. Ein zweiter Knappe trug die emporgerichtete Lanze seines Herrn, an deren Spitze ein schmaler Wimpel flatterte, auf den ein ebensolches Kreuz wie auf dem Mantel gestickt war. Dieser Knappe trug auch seines Herrn kleinen, dreieckigen Schild, der oben so breit war, daß er die ganze Brust schützte und nach unten spitz zulief. Hinter diesen Waffenträgern kamen zwei Diener, die an der dunkeln Gesichtsfarbe, an den weißen Turbanen und an ihren Gewändern als Söhne des fernen Morgenlandes kenntlich waren.
Der ganze Aufzug dieses Kriegers machte einen wilden, fremdländischen Eindruck. Seine Knappen waren prunkend gekleidet, und seine orientalischen Diener trugen silberne Halsbänder und silberne Spangen an den schwarzbraunen Armen und Beinen, die vom Ellbogen ab und vom Schenkel bis zum Knöchel nackt waren. In Seide und Stickerei prangte ihre Tracht und legte beredtes Zeugnis ab für ihres Herrn Reichtum und Ansehen, gleichzeitig in auffallendem Gegensatz stehend zu der kriegerischen Einfachheit seines eigenen Anzuges. Die Orientalen waren mit krummen Säbeln bewaffnet, deren Griffe und Scheiden mit funkelndem Golde ausgelegt waren, und hatten türkische Dolche von noch prachtvollerer Ausführung. Am Sattelknauf hatte jeder ein Bündel Pfeile oder Wurfspieße, die etwa vier Fuß lang waren und scharfe Stahlspitzen hatten. Ebenso exotisch wie die Reiter sahen die Pferde dieser Diener aus: es waren sarazenische Rosse von arabischer Abstammung. Die zarten, schlanken Glieder, die dünnen Mähnen und schmalen Hufe und der leicht tänzelnde Gang standen in starkem Gegensatze zu den starkknochigen, schweren Pferden, deren Rasse in Flandern und der Normandie gezüchtet wurde, um die Ritter der damaligen Zeit in ihrer vollen Panzerausrüstung tragen zu können.
Diese seltsame Kavalkade zog nicht allein Wambas Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch die seines schwerfälligeren Genossen. In dem Mönche erkannte er sogleich den Prior der Abtei Jorlvaux, der in der ganzen Gegend wohlbekannt war als ein Liebhaber der Jagd, der Tafelfreuden und – sofern das Gerede ihm nicht unrecht tat – noch anderer weltlicher Vergnügungen, die mit den Ordensgelübden noch weniger im Einklang standen. Über das Tun und Treiben der Geistlichkeit dachte aber die damalige Zeit so frei und locker, daß Prior Aymer trotz allem sich in der Umgegend seiner Abtei eines guten Rufes erfreute. Dank seiner Jovialität und weil er niemals irgendwelche Schwierigkeiten oder Umstände machte, wenn es galt, für alle möglichen Sünden Absolution zu erteilen, war er beim hohen Adel und vornehmen Bürgertum sehr beliebt. Da er aus vornehmem Normannenhause stammte, so war er mit manchem unter ihnen verwandt. Die Damen vor allem fällten kein allzustrenges Urteil über das Betragen eines Mannes, der ein offenkundiger Bewunderer ihres Geschlechts war und über manches Mittelchen verfügte, die Langeweile zu verscheuchen, die sich so leicht in den Hallen der alten Adelsschlösser einnistete. An den Freuden einer Jagd nahm der Prior mit wahrhaftem Eifer teil, und er stand im Rufe, die besten dressierten Falken und die flinksten Windhunde in den Provinzen des ganzen Nordens zu haben. Mit den alten Herren gab er sich anderen Lustbarkeiten hin, die er, wenn es darauf ankam, mit großer Feierlichkeit zu begleiten verstand.
Er tat viele barmherzige Werke, die eine Menge Sünden auch in anderem Sinne, als es die Schrift meint, zudeckten. Bei dieser Freigebigkeit kam es ihm zu statten, daß die Einkünfte seines Klosters zum größten Teil zu seiner freien Verfügung standen; so ließ er vieles den Bauern zukommen und half den Unterdrückten. Wenn der Prior Aymer zur Jagd ritt, wenn er lange zechte und schmauste, wenn er im morgendlichen Zwielicht von einem Schäferstündchen im Dunkeln zurückkam und durch das geheime Pförtchen der Abtei schlich, so zuckten die Leute die Achseln und dachten: manche seiner Brüder trieben es ja nicht anders und machten dabei nicht einmal ihre Fehltritte durch Wohltaten wieder gut. Prior Aymer war auch den sächsischen Leibeigenen bekannt, sie grüßten ihn ehrfurchtsvoll und erhielten zum Gegengruß sein Benedicite mes fils!
Verwundert über den absonderlichen Reiterzug, vermochten sie kaum Antwort zu geben auf die Frage des Priors von Jorlvaux, ob in der Nähe eine Herberge zu finden sei, so groß war ihr Erstaunen über die halb mönchische, halb kriegerische Erscheinung des bräunlichen Fremdlings und die seltsame Tracht seines orientalischen Gefolges.
»Ich frage euch, meine Kinder,« wiederholte der Prior seine Frage, diesmal in der Lingua Franca, jenem Mischdialekt, in dem sich die Normannen und Sachsen untereinander verständigten, »ist hier in der Nähe irgendein wackerer Mann, der um Gotteswillen und aus Ergebenheit zu der Kirche, unserer Alma Mater, zweien ihrer demütigsten Diener mitsamt ihrem Gefolge für eine Nacht Obdach und Speise gewähren könnte?«
»Zwei der demütigsten Diener der Allmutter Kirche!« brummte Wamba vor sich hin, aber obwohl er nur ein Narr war, hütete er sich doch, es laut zu sagen. »Da möchte ich doch gar erst mal ihre höheren Diener zu sehen bekommen!« Nachdem er bei sich selbst die Betrachtung über die Worte des Priors angestellt hatte, sah er auf und beantwortete die an ihn gerichtete Frage: »Sofern die verehrten Väter eine reiche Tafel und ein weiches Bett lieben, so liegt ein paar Meilen von hier das Priorat Brinxworth, wo die ehrwürdigen Herren ihrem Stande entsprechend die ehrenvollste Aufnahme finden werden. Sofern es ihnen aber nicht darauf ankommt, einen Abend auch mal in geringerer Üppigkeit hinzubringen, so brauchen sie nur dort die Lichtung hinabzureiten. Da geht es nach der Einsiedelei Copmanhurst, wo ein gottesfürchtiger Anachoret haust, der gern sein Dach und seine Andacht in dieser Nacht mit ihnen teilen wird.«
Auf beide Vorschläge hatte der Prior nur ein Kopfschütteln. »Guter Freund,« sagte er, »das Schellengeklingel hat dir den Verstand verwirrt, sonst müßtest du wissen: Clericus clericum non decimat, das heißt, wir Geistliche nehmen nicht gern unter uns die Gastfreundschaft in Anspruch, sondern wir lassen uns lieber von Laien bewirten und geben ihnen dadurch zugleich eine Gelegenheit, Gott zu dienen, indem sie seine treuen Diener ehren und laben.«
»Wahrhaftig,« entgegnete Wamba, »obwohl ich nur ein Esel bin, so hab ich doch wie Euer Hochwürden Maultier die Ehre, Schellen zu tragen. Aber doch ist es mir nicht ganz begreiflich, weshalb die Wohltätigkeit gegen die Kirche und ihre Diener nicht wie andere Wohltätigkeiten bei sich selbst den Anfang machen sollte.«
»Halts Maul, dreister Lümmel,« unterbrach der bewaffnete Reiter mit rauher, mächtiger Stimme Wambas Geschwätz, »sag uns den Weg zu – wie heißt doch gleich Euer Franklin, Prior Aymer?«
»Cedric,« antwortete der Prior, »Cedric, der Sachse. Sag mir, guter Freund, sind wir nicht mehr weit von seinem Hause und wo führt der Weg dahin?«
»Der Weg ist schwer zu finden,« sagte Gurth, jetzt zum erstenmal den Mund öffnend, »auch geht Cedrics Hausstand früh zur Ruhe.«
»Verschone mich mit solchem Gerede, Kerl,« sagte der berittene Kriegsmann, »sie sind leicht wieder auf die Beine zu bringen, daß sie Reisende wie wir aufnehmen, denn wir haben keine Lust, um Gastfreundschaft zu betteln, wo wir befehlen können.«
»Ich weiß nicht,« sagte Gurth finster, »ob ich den Weg zum Hause meines Herrn solchen Leuten zeigen darf, die das Obdach, um das sonst jedermann als eine Gunst bittet, als ihr Recht betrachten.«
»Keinen Widerspruch, Sklave!« rief der Krieger, gab seinem Pferde die Sporen und ließ es eine halbe Wendung über den Pfad hinüber machen. Gleichzeitig schwang er die Reitgerte, um den Bauern für seine Frechheit zu züchtigen.
Gurth schleuderte ihm einen wilden rachsüchtigen Blick zu und legte mit stolzer, doch zaudernder Geberde die Faust an den Griff seines Messers. Prior Aymer aber lenkte rasch sein Maultier zwischen seinen Gefährten und den Schweinehirten und beugte so der drohenden Gefahr vor, daß es zu Gewalttätigkeiten käme.
»Bei der heiligen Maria, Bruder Brian,« rief er, »Ihr müßt nicht denken, Ihr wäret hier in Palästina und gebötet über Heiden, Türken oder ungläubige Sarazenen! Wir Inselbewohner nehmen nicht gern Schläge hin, außer denen, die die heilige Kirche erteilt, die die züchtiget, die sie liebt. – Sage mir, guter Freund,« wandte er sich an Wamba, indem er ihm eine kleine Silbermünze in die Hand drückte, »wo geht der Weg zu Cedric, dem Sachsen? Gewiß weißt du's, und es wäre deine Pflicht, Wanderern den Weg zu weisen, selbst wenn sie nicht von so heiligem Stande wären wie wir.«
»Wahrhaftig, ehrwürdiger Vater,« antwortete Wamba, »Euer hochwürdiger Gefährte hat mir mit seinem Sarazenengrimm einen solchen Schreck eingejagt, daß ich selber gar nicht mehr weiß, wo es nach Hause geht.«
»Schweig,« sagte der Abt, »wenn du willst, kannst du uns den Weg zeigen. Dieser hochwürdige Bruder hat sein Lebelang mit den Sarazenen um das heilige Grab gekämpft, er ist vom Orden der Tempelherren, von dem du gewiß schon gehört hast, er ist halb Mönch, halb Soldat.«
»Na denn,« beschied ihn Wamba, »Euer Hochwürden muß auf diesem Pfad weiterreiten. Dann kommt Ihr an ein verfallenes Kreuz, das kaum einen Fuß hoch über den Boden wegsieht. Dann biegt Ihr nach links ein, denn an dem verfallenen Kreuz treffen vier Wege zusammen. Und dann glaub ich bestimmt, daß Euer Hochwürden unter Dach und Fach sein wird, eh's Wetter losbricht.«
Der Abt dankte für den guten Bescheid, und die Kavalkade ritt, die Pferde anspornend, ihres Weges. Man merkte es ihnen an, daß sie es eilig hatten, in die Herberge zu kommen. Und als die Hufschläge ihrer Pferde verklungen waren, sagte Gurth zu seinem Gefährten:
»Wenn sie sich nach deiner klugen Weisung richten, werden sie schwerlich vor Einbruch der Nacht nach Rotherwood kommen.«
»Freilich,« schmunzelte der Narr, »aber wenn sie Glück haben, kommen sie vielleicht nach Sheffield, und da passen sie ja hin. Ich bin kein solcher Pfuscher im edeln Weidwerk, daß ich dem Hunde zeige, wo das Wild liegt, wenn ich nicht will, daß er es jagen soll.«
»Da hast du recht,« meinte Gurth, »es wär nicht gut, wenn Aymer die Lady Rowena zu sehen bekäme, und noch schlimmer wär's, wenn Cedric mit diesem kriegerischen Mönch in Streit geriete, und das könnte doch sehr leicht geschehen, aber wir wollen, wie es guten Dienern ziemt, Augen und Ohren auf und das Maul zu haben.«
Die Reiter, die bald die Leibeigenen weit hinter sich gelassen hatten, unterhielten sich jetzt wieder in der normännisch- französischen Sprache.
»Jedes Land hat seine eigenen Sitten,« sagte Prior Aymer, »und wenn ich Euch jetzt den Burschen hätte prügeln lassen, so hätten wir erstens keinen Bescheid bekommen, wo es nach Cedrics Hause geht, und zweitens hätte dann Cedric Rechenschaft von Euch verlangt. Denkt daran, ich habe Euch gleich gesagt, dieser reiche Franklin ist stolz, wild, reizbar und mißtrauisch. Er behauptet die Vorrechte seines Stammes mit solcher Kühnheit und ist so stolz darauf, unmittelbar von Hereward, einem berühmten Kämpfer der Heptarchie abzustammen, daß er allgemein Cedric der Sachse heißt. Für ihn ist es eine Freude, ein Mann dieses Volkes zu sein, während andere ihre Abkunft gern verleugnen, weil sie befürchten, einen Teil des Vae Victis oder die Lasten der Besiegten tragen zu müssen.«
»Prior Aymer,« sagte der Templer, »Ihr seid ein galanter Herr und im Studium weiblicher Schönheit wohl erfahren, aber diese vielgerühmte Rowena muß ich mir sehr schön vorstellen, wenn mich ihr Anblick für die Selbstverleugnung und Geduld entschädigen soll, die ich aufwenden muß, um einen so rebellischen Flegel, wie Ihr mir ihren Vater Cedric beschreibt, um den Bart zu gehen.«
»Ihr Vater ist Cedric nicht,« erwiderte der Prior, »er ist nur ein entfernter Verwandter von ihr, sie ist von noch höherer Herkunft als er selbst. Er hat sie in Pflege genommen und hat sie lieb wie sein eigen Kind. Über ihre Schönheit werdet Ihr bald selbst urteilen, und wenn Euch ihre zarte weiße Haut und der majestätisch sanfte Ausdruck ihrer blauen Augen nicht alle schwarzhaarigen Mädchen Palästinas und alle Huris aus dem Paradiese Mahommets vergessen machen, so will ich ein Heide sein und kein echter Priester.«
»Wenn Eure berühmte Schönheit,« versetzte der Templer, »auf der Wage gewogen und zu leicht befunden wird, so wißt Ihr ja, worum wir gewettet haben.«
»Meine goldene Halskette gegen zehn Flaschen Chioswein,« war des Priors Antwort. »Gewinnt nur die Wette und tragt meine Kette! Doch hört auf meinen Rat, Bruder, und gewöhnt Eure Zunge mehr an Höflichkeit als es bisher im Herrschen über gefangene Ungläubige und morgenländische Leibeigene Eure Gepflogenheit war. Wenn sich Cedric der Sachse beleidigt fühlt, und dazu gehört nicht viel, so wird er sich wenig um Eure Ritterschaft oder um mein hohes Amt oder um die Heiligkeit von beiden scheren und kriegt es wohl fertig, uns beide an die Luft zu setzen und bei den Lerchen zur Herberge zu schicken, und wäre es auch schon Mitternacht. Auch seid vorsichtig, wenn Ihr nach Lady Rowena schaut, denn er hat mit mißtrauischer Sorge Acht auf sie. Wenn er den mindesten Verdacht schöpft, so sind wir verloren. Es geht das Gerücht, er habe seinen eigenen Sohn aus seiner Familie verbannt, weil er die Augen mit Liebesglut zu ihrer Schönheit erhoben habe. – Doch hier ist das verfallene Kreuz, von dem der Narr sprach. Die Nacht ist so finster, daß man nicht sehen kann, welcher Weg einzuschlagen ist. Ich glaube, er sagte, wir müssen uns links halten.«
»Nein, rechts, wenn ich mich recht erinnere,« sagte Brian. 20
Jeder verteidigte nun hartnäckig seine Meinung. Die Diener wurden gerufen, aber sie waren nicht nahe genug gewesen, als daß sie Wambas Bescheid hätten hören können.
Endlich erkannte Brian etwas, das ihm in der Dunkelheit bisher entgangen war.
»Hugo!« rief er, »am Fuße des Kreuzes liegt einer und schläft, oder es ist vielleicht ein Toter. Gib ihm einen Stoß mit der Lanze!«
Als dies geschehen war, erhob sich die Gestalt und rief auf gut französisch: »Wer du auch sein magst, es ist unhöflich, mich in meinen Gedanken zu stören.«
»Wir wollen von dir nur wissen, wo es nach Rotherwood geht, zu Cedric dem Sachsen.«
»Da will ich selber hin,« antwortete der Fremde, »und wenn ich ein Pferd hätte, so wollte ich Euch schon führen, der Weg ist schwer zu finden, aber ich kenne ihn genau.«
»Lohn und Dank harren dein, mein Freund, wenn du uns sicher zu Cedric bringst,« sagte der Prior.
Er rief seinen Diener und bestieg sein eigenes Roß, das bisher geführt worden war, während er seinen Maulesel dem Fremden überließ.
Ihr Führer schlug einen anderen Weg ein als Wamba ihnen genannt hatte, der sie ja nur hatte irre führen wollen. Der Pfad führte tiefer in den Wald hinein und über manchen Bach, der, von Sumpf umgeben, schwer zu passieren war, aber der Fremde fand stets die sichersten Stellen und hatte die anderen binnen kurzem auf eine breite Allee gebracht. Auf ein großes niedriges und unregelmäßiges Gebäude zeigend, rief er: »Dies ist Rotherwood, das Haus Cedrics des Sachsen!«
Der Prior Aymer, den dieser Ruf aus Angst und Unruhe befreite, wandte sich jetzt zum erstenmal an den Wegweiser mit der Frage, wer und woher er sei.
»Ein Pilgrim, der eben aus dem heiligen Lande zurückgekehrt ist,« war die Antwort.
»Ihr hättet dort bleiben sollen und um das heilige Grab kämpfen,« sagte der Templer.
»Freilich, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Pilger, dem der Anblick eines Tempelherrn nichts Neues zu sein schien, »wenn aber Männer, die durch Eid verpflichtet sind, die heilige Stadt zu erobern, so fern vom Schauplatz ihrer Pflichten herumreisen, wie kann es Euch da Wunder nehmen, daß ein so friedlicher Landmann wie ich nicht seinem Vorsatz treu geblieben ist?«
Der Templer wollte eine zornige Antwort geben, der Prior aber unterbrach ihn, indem er sein Erstaunen äußerte, daß sich der Führer nach so langer Abwesenheit noch so gut im Walde zurecht fände.
»Ich bin in dieser Gegend geboren,« antwortete der Pilger.
Jetzt standen sie vor Cedrics Hause, einem niedrigen, unregelmäßigen Bau, der, mehrere Umzäunungen und Abteilungen eingerechnet, einen ziemlich großen Raum bedeckte. Obwohl man an der Form erkennen konnte, daß es einem reichen Manne gehörte, so war es doch grundverschieden von jenen hohen, vieltürmigen, schloßartigen Gebäuden, deren Stil in ganz England der herrschende geworden ist. Rotherwood war nicht ohne Befestigung, die in dieser unruhigen Zeit kein Gebäude entbehren konnte, wenn es nicht Gefahr laufen wollte, über Nacht in Brand gesetzt oder geplündert zu werden. Das ganze Haus umschloß ein tiefer Graben, der sein Wasser aus dem nächsten Strome erhielt. Er war durch doppelte Pallisaden verstärkt, deren Pfahlwerk der angrenzende Wald geliefert hatte. Vom Westen her führte eine Zugbrücke herein, deren Zugang noch besonders durch vorspringende Wälle gesichert war. Vor diesem Eingang stieß jetzt der Templer laut ins Horn, denn der Regen, der längst loszubrechen gedroht hatte, fiel nun endlich in Strömen.
Drittes Kapitel
In einer Halle, deren geringe Höhe mit ihrer Länge und Breite gar kein rechtes Verhältnis hatte, stand ein langer, eichener Tisch, der aus roh behauenen Planken des nahen Waldes gefertigt und kaum ein wenig abgehobelt worden war. Auf dieser Tafel wurde bei Cedric dem Sachsen das Abendessen aufgetragen. Das Dach der Halle bestand aus Bohlen und Strohbelag. An jedem Ende war eine große 22 Feuerstätte, da die Kamine aber sehr primitiv waren, so ging fast ebensoviel Rauch in das Gemach wie zum Schornstein hinaus. Von dem fortwährenden Qualm waren die Balken der Decke mit einem schwarzen Firniß von Ruß bedeckt. Die Wände waren mit Waffen und Jagdgerät behängt, und an jeder Ecke führten Flügeltüren in andere Teile dieses umfangreichen Gebäudes. Was sonst im Hause zu sehen war, entsprach gleichfalls der rohen Einfachheit der Sachsenzeit, an der Cedric festzuhalten entschlossen war. Der Vorsaal war aus Erde und Lehm, die miteinander vermengt und festgestampft waren nach Art von Scheunentennen. Etwa ein Viertel des Gemaches lag um eine Stufe höher, und dieser Teil, der sogenannte Baldachin, war für die Mitglieder der Familie und für vornehme Gäste bestimmt.
Quer über diesen Raum hinweg stand ein Tisch mit einer scharlachenen Decke; von seiner Mitte ging der längere und niedrigere Tisch aus, an dem in der Tiefe der Halle die Dienerschaft und die anderen geringeren Leute speisten. Auf der erhöhten Fläche standen massige Stühle von geschnitztem Eichenholz, und über Stühle und Tafel hin war ein Thronhimmel von Linnen gespannt, der die Plätze der Vornehmen ein wenig vor Wetter und Regen schützte, die oft durch das schadhafte Dach drangen. Und soweit der Thronhimmel reichte, waren die Wände dieses höher gelegenen Teiles der Halle mit Tapeten und Vorhängen bekleidet, und die Diele bedeckte ein Teppich. Plumpe Versuche der Web- und Stickkunst, in grellen, fast schreienden Farben ausgeführt, bildeten ihren Zierat. Über der niederen Tafel lag die kahle Decke, die mit Gips beworfenen Wände waren nackt, und der rauhe Boden hatte keinen Teppich. Auch war keine Decke über den Tisch gebreitet, und an Stelle der Stühle standen lange Bänke. Die beiden Mittelsitze der oberen Tafel waren ein wenig höher als die übrigen. Das waren die Plätze des Herrn und der Frau vom Hause, und neben beiden Sesseln stand auch zum äußeren Zeichen ihrer höheren Würde eine Fußbank von seltsamer, mit Elfenbein ausgelegter Schnitzerei.
Auf dem einen dieser Sessel saß jetzt Cedric der Sachse. Aus seinen Zügen sprach große Biederkeit, aber auch eine 23 heftige, zornige Gemütsart. Er war nicht über Mittelgröße, aber breit in den Schultern und langarmig und stark gebaut, und man sah es ihm an, daß er an die Strapazen von Krieg und Jagd gewöhnt war. Er hatte ein breites Gesicht, große, blaue Augen, einen offenen, geradsinnigen Ausdruck, prächtige Zähne und einen hübsch geformten Schädel und war von jener Art froher Laune, die man oft im Verein mit einem vorschnellen, jähzornigen Gemüt antrifft. Sein Auge blitzte Stolz und Eifersucht, denn bisher war seines ganzen Lebens Arbeit darauf gerichtet gewesen, seine Rechte gegen beständige Angriffe zu verteidigen. Sein langes, gelbes Haar war in der Mitte gescheitelt und von jeder Seite auf die Schulter herabgekämmt; es war noch kaum merklich mit Grau vermischt, obgleich Cedric der Sachse schon nahe den Sechzigern war. Er trug einen grasgrünen Leibrock, der an Hals und Ärmelaufschlägen mit Pelzwerk besetzt war. Dieser Kittel hing offen über einem engeren Rock von scharlachener Farbe, der den Leib fest umschloß. Beinkleider von derselben Farbe reichten nur bis an die Knie herab, die sie ganz frei ließen. An den Füßen trug er Sandalen, die vorn goldene Hefteln hatten. Seinen Leib umschlang ein mit Knöpfen reich besetzter Gürtel, in dem ein kurzes, nicht gebogenes, zweischneidiges Schwert fast senkrecht steckte. An Schmucksachen trug er ein goldenes Halsband und goldene Armbänder. Ein scharlachroter Mantel mit Pelzbesatz hing hinter seinem Sessel, und wenn er ausging, vervollständigte eine reich gestickte Mütze aus dem gleichen Stoff den Anzug des reichen Grundbesitzers. An der Lehne seines Stuhles stand ein Wurfspieß mit scharfer stählerner Spitze, den er je nach Bedarf als Spazierstock oder als Waffe gebrauchte. Mehrere Diener, in deren Tracht manche Abstufung von der reichen Kleidung ihres Herrn bis zur einfachen Gewandung Gurths des Schweinehirten zu erkennen war, standen seiner Befehle gewärtig. Ferner waren ein paar große, gefleckte Windspiele da, wie man sie zur Hatz auf Hirsch und Wolf braucht, dann ein paar Hunde von plumper, knochiger Art mit dickem Nacken und langen Ohren, und endlich noch ein paar kleine Dachshunde.
Cedric war eben nicht in gemütlicher Stimmung. Lady Rowena, die grade von einer Abendmesse zurückkam, wechselte ihre durchnäßten Kleider. Noch war keine Nachricht gebracht worden, ob Gurth und seine Herde gut heimgekommen seien, und doch hätten sie schon längst da sein müssen. So wenig sicher war alle Habe, daß ihr Ausbleiben auf den Überfall einer Räuberbande, von denen es im Walde wimmelte, oder auf eine Gewalttat eines benachbarten Barons zurückgeführt werden konnte, der im Bewußtsein seiner Übermacht fremdes Eigentum nicht achtete. Hierin lag Grund genug zu ernster Besorgnis, außerdem aber verlangte es den sächsischen Thane nach seinem Liebling Wamba, dessen Späße ihm, wie sie auch ausfallen mochten, das Abendmahl und die darauf folgenden tüchtigen Becherzüge tagtäglich würzten.
»Warum weilt Gurth solange im Felde?« fragte er. »Ich fürchte, wir werden Schlimmes von der Herde hören. Mir ahnt schon – sie haben mir mein Eigentum weggetrieben und meinen treuen Sklaven ermordet. Und Wamba – wo ist Wamba? Sagte man mir nicht, er sei mit Gurth gegangen?«
Der Mundschenk Oswald, der ihm ab und zu einen silbernen Becher voll Wein reichte, bejahte die Frage.
»Immer besser! So haben sie ihn auch mit weggeschleppt, und der sächsische Narr soll nun den normannischen Herren dienen. Wir sind ja freilich allesamt nichts weiter als Narren, daß wir ihnen dienen, und sie könnten nicht mit mehr Recht unser spotten, wenn wir mit der Hälfte unseres Verstandes zur Welt gekommen wären. Aber ich will Rache nehmen,« rief er, indem er zornig von seinem Sitze aufsprang und seinen Speer ergriff. »Ich will Rache nehmen! Vor den hohen Rat will ich mit meiner Klage treten – ich habe Freunde und Anhang. Ich will den Normann zum Zweikampf in die Schranken rufen, Mann gegen Mann! Mag er nur kommen in Stahlpanzer und Schuppenketten und allem, was dem Feigen Mut verleiht. – Wohl mögen sie mich für alt halten, aber sie sollen sehen! Ob ich auch alt und kinderlos bin, noch fließt das Blut Herewards in den Adern Cedrics. – O, Wilfried, Wilfried!« fügte er in sanfterem Tone hinzu.
»Hättest du deine unkluge Leidenschaft zügeln können, so stände jetzt dein Vater in seinem Alter nicht da wie die einsame Eiche, die ihre zerzausten Zweige schutzlos dem vollen Sturme preisgeben muß.«
Diese Betrachtung schien ihn aus seiner Aufregung in Schwermütigkeit zu versenken, er stellte den Speer hin, setzte sich, schlug den Blick zur Erde und schien ganz in trübsinnige Gedanken vertieft. Aber aus dieser Grübelei schreckte ihn der Klang eines Zornes auf, den alle Hunde in der Halle und noch einige dreißig in den anderen Teilen des Geweses mit lautem Gebell erwiderten.
»Ans Tor, ihr Burschen!« rief der Sachse, als der Lärm soweit gestillt war, daß man wieder seine eigene Stimme verstehen konnte. – »Seht zu, was für Kunde uns dieses Horn bringt. Ich denke, Überfall und Räuberei auf meinem Grund und Boden!«
Nach einer kleinen Weile kam ein Aufseher zurück und meldete, der Prior Aymer von Jorlvaux und der Komtur des tapferen und ehrwürdigen Ordens der Tempelherren, der edle Ritter Brian de Bois-Guilbert nebst einem kleinen Gefolge bäten für diese Nacht um gastliche Herberge. Sie seien unterwegs zu einem Turnier, das in zwei Tagen unweit Ashby de la Zouche stattfinden soll.
»Aymer, Prior Aymer?« murmelte Cedric. »Brian de Bois-Guilbert? beides Normannen! Doch einerlei! Die Gastfreundschaft von Rotherwood muß hochgehalten werden – da sie es einmal vorgezogen haben hier Rast zu machen, so sind sie willkommen, willkommener freilich wäre es mir, sie zögen vorüber. Geh, Hundebert!« sagte er zu dem Hausverwalter, »nimm sechs von den Dienern mit und geleite die Fremden herein. Sieh nach den Pferden und Maultieren und sorge dafür, daß es dem Gefolge an nichts fehlt. Gib frische Kleider, wenn sie danach verlangen, und Feuer, Waschwasser, Wein und Bier! Sag auch den Köchen Bescheid, daß sie mehr Essen machen! Und den Fremden selber bestelle, Cedric würde sie gern selbst willkommen heißen, aber er habe ein Gelübde getan, sich keine drei Schritte von seinem Thronhimmel zu entfernen, sofern nicht ein Gast kommt, der aus sächsischem Königsblute stammt. Der Prior Aymer?« wiederholte er, sich zu seinem Mundschenk wendend, »man sagt, dieser Priester sei ein lustiger und freisinniger Mann, dem Becher und Hifthorn lieber seien als Betglöcklein und Meßbuch. Den lern ich gern kennen. Wie aber hieß der Templer?«
»Brian de Bois-Guilbert.«
»Bois-Guilbert,« sagte Cedric vor sich hin wie einer, der viel mit Untergebenen zusammen ist und daher mehr mit sich selbst als mit anderen spricht. »Bois-Guilbert. – Der Name hat guten und schlimmen Klang weit und breit. Er soll an Tapferkeit keinem seines Ordens nachstehen, soll aber auch die gewöhnlichen Fehler seinesgleichen haben: Stolz und Hochmut, Grausamkeit und Wollust. Er soll weder Furcht vor der Welt noch Ehrfurcht vorm Himmel haben, wie die wenigen Krieger sagen, die aus Palästina wiedergekommen sind. Oswald, zapf ab vom ältesten Weine und gib vom besten Met, vom schäumendsten Cyder und füll die größten Trinkhörner! Templer und Äbte sind Freunde von gutem Tropfen und vollem Maß. Und du, Elgitha, sage deiner Herrin, wir erwarten sie heute Abend nicht in der Halle, wenn sie selbst nicht den besonderen Wunsch hat zu kommen.«
»Den Wunsch wird sie freilich wohl haben, denn sie hört gar zu gern etwas Neues aus Palästina,« beeilte sich Elgitha zu antworten. Cedric warf der vorlauten Zofe einen grimmigen Blick zu, aber Rowena und alles, was ihr angehörte, war vor seinem Zorne sicher.
»Palästina!« wiederholte der Sachse, als das Mädchen gegangen war. »Palästina! Wie manches Ohr lauscht den Berichten, die übertreibende Kreuzfahrer oder lügnerische Pilger aus diesem unglücklichen Lande mit heimbringen. – Auch ich möchte forschen, fragen, klopfenden Herzens den Märchen lauschen, mit denen uns pfiffige Wanderer die Gastfreundschaft abschwatzen. Doch nein! Der Sohn, der mir den Gehorsam verweigert hat, ist fürder nicht mein Sohn, und ich will mich ebensowenig um sein Schicksal bekümmern wie um das des Verworfensten unter all den Millionen, die das Kreuz auf der Schulter trugen und sich in Ausschweifung und Blutschuld stürzten unter dem Deckmantel, den Willen Gottes zu tun.«
Er kniff die Brauen finster zusammen und sah ein Weilchen zu Boden, und als er die Augen wieder aufschlug, waren die Flügeltüren in der Tiefe der Halle geöffnet, der Hausverwalter mit seinem weissen Stabe trat herein, vier Diener mit Fackeln folgten ihm, und hinterdrein schritten die Gäste dieses Abends.
Viertes Kapitel
Prior Aymer hatte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sein Reitkostüm abzulegen und in einem Anzug aus feinerem Stoffe zu erscheinen, über dem er einen Chorrock mit prachtvoller Stickerei trug. Außer dem großen Siegelring, an dem sein Rang als Geistlicher zu erkennen war, hatte er, im Widerspruch zu den Ordensregeln, noch viele kostbare Ringe an den Fingern. Seine Sandalen waren aus feinstem Leder, und den Bart hatte er so zierlich gestutzt, als es sich nur irgend mit den Vorschriften vertrug. Die Tonsur wurde von einer scharlachroten Mütze verdeckt. Auch der Tempelherr erschien in anderem Kleide. Seine Erscheinung, weniger mit Schmuck überladen als sein Gefährte, machte einen gebieterischen Eindruck. Statt seines Panzerkleides trug er ein Untergewand aus purpurner Seide mit Pelz verbrämt, über den ein langes Oberkleid von fleckenloser Weiße in weiten Falten herabfiel. Das achteckige, aus schwarzem Samt geschnittene Kreuz seines Ordens war auf die Mantelachsel genäht. Er trug nicht mehr die hohe Scharlachmütze, seine Stirn war nur noch beschattet von seinem vollen, krausen, rabenschwarzen Haar, das ihn bei seinem ungewöhnlich dunkeln Teint gut kleidete. Sein Gang und seine Haltung wirkten majestätisch, nur ein auffallender Ausdruck des Hochmutes, wie er einem Manne von unbeschränktem Ansehen leicht zur zweiten Natur wird, beeinträchtigte ein wenig die imposante Wirkung. Hinter diesen beiden hohen Herren kamen die Diener, und in bescheidener Entfernung der Wegweiser, an dem nur das eine auffiel, daß seine Tracht von dem gebräuchlichen Habit der Pilger abwich. Ein grober Mantel umschloß den ganzen Körper. Derbe Sandalen waren mit Riemen an seine nackten Füße gebunden. Ein breiter Hut, der an der Krempe mit Muscheln besetzt war, und ein langer, eisenbeschlagener Stab vervollständigten die Ausstattung des Pilgers. Bescheiden schritt er hinter den anderen drein, und als er sah, daß an der niedrigen Tafel kaum Platz für Cedrics Dienerschaft war, zog er sich auf einen Sitz neben einem der breiten Kamine zurück und schien hier seine Kleider trocknen und so lange warten zu wollen, bis am Tisch ein Platz frei oder ihm der Haushofmeister Speise und Trank an seinen Platz bringen würde.
Cedric erhob sich und empfing seine Gäste mit aller Würde der Gastlichkeit. Er kam von seiner Thronerhöhung herab und ging ihnen drei Schritte entgegen, ihrer Ankunft harrend.
»Hochwürdiger Prior,« sagte er, »es tut mir leid, daß mich ein Gelübde bindet, auf der Diele meiner Väter irgendwem weiter entgegen zu gehen, seien es auch so hohe Gäste wie Ihr und der tapfere Ritter des heiligen Tempels. Aber mein Haushofmeister hat Euch den Grund mitgeteilt, warum ich so unhöflich erscheinen muss. Ich muss Euch gleichfalls ersuchen, es mir nicht zu verübeln, wenn ich mich meiner Muttersprache bediene und Euch bitte, mir auch in ihr zu antworten. Doch wenn Ihr ihrer nicht mächtig seid, so verstehe ich vom Normannischen genug, dass ich Euern Worten folgen kann.«
»Gelübde,« sagte der Abt, »müssen gehalten werden, würdiger Franklin, oder lasst mich lieber sagen würdiger Thane, obschon dieser Titel jetzt veraltet ist. Gelübde sind Bande, die uns an den Himmel knüpfen. Was die Sprache betrifft, so will ich mich gern in der unterhalten, die meine Großmutter gesprochen hat.«
Nach diesen versöhnlich gemeinten Worten des Priors sagte sein Gefährte in kurzem nachdrücklichen Tone:
»Ich spreche stets Französisch, die Sprache Richards und seiner Edeln, doch verstehe ich auch Englisch genug, um mich mit den Eingeborenen unterhalten zu können.«
Cedric warf ihm einen raschen unruhigen Blick zu, aber er gedachte seiner Pflichten als Wirt und unterdrückte jede weitere Äußerung seines Unwillens. Er winkte seinen Gästen, zwei Sitze neben ihm einzunehmen, die nur ein wenig niedriger waren als der seine. Dann gab er das Zeichen, das Abendessen aufzutragen. Während die Befehle des Herrn ausgeführt wurden, gewahrte Cedric den Schweinehirten Gurth, der eben mit Wamba hereintrat.
»Warum habt Ihr so lange draußen herumgebummelt?« rief ihnen der Sachse zu. »Ist deine Herde in Sicherheit oder ist sie Räubern zur Beute gefallen?«
»Sie ist in Sicherheit,« antwortete Gurth.
»In Sicherheit, Spitzbube!« schalt Cedric. »Hab ich nicht hier zwei Stunden lang in Angst geschwebt und auf Rache gegen meine Nachbarn gesonnen wegen eines Unrechtes, das sie mir nun gar nicht zugefügt haben? Prügel und Kerker sind dir sicher, wenn du mirs noch einmal so treibst.«
Gurth, der seines Herrn Jähzorn kannte, wagte nicht, sich zu entschuldigen. Das Abendessen, das jetzt aufgetragen wurde, machte dem Wirt alle Ehre. Mannigfaltig zubereitetes Schweinefleisch stand am unteren Ende der Tafel, Geflügel-, Hasen-, Bock- und Hirschbraten, verschiedene Fische, große Kuchen und eingemachte Früchte. Die Herrschaft hatte silberne Becher, auf der Gesindetafel standen große Trinkhörner. Als eben die Mahlzeit beginnen sollte, hob der Haushofmeister den Stab und rief laut:
»Platz für Lady Rowena!«
Am oberen Ende der Halle ging eine Seitentür auf und Rowena trat, von vier Zofen begleitet, herein. Cedric war nicht angenehm überrascht, daß sein Mündel an diesem Abend doch kam, er erhob sich aber sofort und ging ihr rasch entgegen, um sie ehrfurchtsvoll zu dem für die Herrin des Hauses bestimmten erhöhten Platz zu seiner Rechten zu geleiten. Nun standen alle auf, sie zu begrüßen, die Lady erwiderte diese Höflichkeit mit einer stummen Verbeugung und schritt voller Anmut zu ihrem Platz am Tische, aber noch ehe sie ihn erreicht hatte, flüsterte der Templer dem Prior zu:
»Ich werde beim Turnier kein goldenes Halsband von Euch tragen, Ihr habt den Chioswein gewonnen.«
»Hab' ichs Euch nicht gleich gesagt?« versetzte der Abt, »doch mäßigt Euch in Euerm Entzücken, der Franklin hat Euch im Auge.«
Rowena war von hoher Gestalt. Sie hatte eine außerordentlich feine und zarte Haut, aber bei ihrer edeln Haltung und dem erhabenen Ausdruck ihres Angesichts fehlte der inhaltlose Zug, der oft vollendeten Schönheiten eigen ist. Ihre Augen waren blau und klar und schienen ebensogut flammen wie schmachten, befehlen wie bitten zu können. Ihr reiches Haar spielte zwischen braun und blond und war in phantastischer und zugleich geschmackvoller Art in zahllose Locken gekräuselt, wobei die Natur durch Kunst unterstützt worden zu sein schien. Diese Locken waren mit Edelsteinen geschmückt, eine goldene Kette mit einer Reliquie von gleichem Metall zierte ihren Nacken, an den bloßen Armen trug sie Armbänder. Ihr Anzug bestand aus Unterkleid und Mieder von blasser, seegrüner Seide, darüber trug sie ein langes, weites Gewand, das fast bis auf den Boden reichte. Das Kleid war aus reinster Wolle und von karmoisinroter Farbe. Ein seidener golddurchwirkter Schleier konnte entweder über Busen und Gesicht gezogen oder um die Schultern geschlungen werden. Als Rowena sah, daß die Augen des Templers voll Feuer auf sie geheftet waren, zog sie würdevoll den Schleier über ihr Gesicht, wie um anzudeuten, daß ihr ein so kecker Blick unangenehm sei.
»Herr Templer,« sagte Cedric, der diese Gebärde sah und ihre Ursache erkannte, »die Wangen unserer Jungfrauen im Sachsenland sind zu wenig an die Sonne gewöhnt, als daß sie den dreisten Blick eines Kreuzfahrers ertragen könnten.«
»War ich beleidigend, so bitte ich um Verzeihung, das heißt, ich bitte Lady Rowena um Verzeihung,« erwiderte der Templer, »denn weiter geh ich in der Demut nicht.«
»Spart Euch die Artigkeiten, Herr Ritter,« sagte Rowena, ohne den Schleier wieder zu lüften, »oder erlaubt mir vielmehr, sie so hoch anzurechnen, daß ich Euch um Nachrichten aus Palästina ersuche, die englischen Ohren lieber sind als alle Komplimente, die Euch französische Galanterie gelehrt haben mag.«
»Da habe ich wenig Nennenswertes zu erzählen, Mylady,« antwortete Sir Brian de Bois-Guilbert, »außer daß sich die Nachricht von dem Waffenstillstand mit Saladin bestätigt hat.«
In diesem Augenblick wurde das Gespräch unterbrochen, denn der Türhüter trat herein und meldete, es sei ein Fremder vorm Tor, der um Unterkunft bitte.
»Wer es auch sein mag,« sagte Cedric, »laß ihn herein. Solch eine Nacht, wo das Wetter fessellos wütet, treibt selbst wilde Tiere dazu, bei den zahmen Schutz zu suchen und zu ihrem Todfeinde, dem Menschen, zu flüchten, ehe sie im Sturme zugrunde gehen. Sieh danach, Oswald, daß es ihm an nichts fehle.«
Der Haushofmeister ging hinaus, um dafür Sorge zu tragen, daß seines Herrn Weisungen befolgt würden.
Oswald kam wieder und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt. Darf ich ihn hereinführen?«
»Gib dein Amt an Gurth ab,« sagte Wamba mit seiner gewohnten Keckheit. »Der Schweinehirt paßt besser zum Zeremonienmeister für Juden.«
»Heilige Maria!« rief der Abt. »Soll ein ungläubiger Jude in unsere Gemeinschaft?«
»Ein Hund von einem Juden soll einem Verteidiger des heiligen Grabes nahe kommen?« setzte der Templer hinzu.
»Meiner Treu!« meinte Wamba, »mir scheint, die Templer lieben mehr das Gold der Juden als ihren Umgang.«
»Gemach, meine werten Gäste!« rief Cedric. »Euer Unwille kann meine Gastfreiheit nicht beeinträchtigen. Der Himmel hat das ganze Volk der Ungläubigen schon viele Jahre lang geduldet, also werden wir wohl die Gegenwart eines Juden auf ein paar Stunden ertragen können. Es soll auch niemand gezwungen sein, mit ihm zu essen oder zu reden. Er soll seinen Tisch und seine Schüssel für sich allein haben. Er kann bei Wamba sitzen,« fügte er launig hinzu, »der Narr und der Gauner passen gut zusammen.«
»Der Narr,« antwortete Wamba, indem er einen Schinkenrest emporhielt, »wird sich ein Bollwerk gegen den Gauner errichten.«
»Still!« sagte Cedric, »der Jude kommt.«
Ohne irgendwelche Umstände hereingelassen, trat ein langer, hagerer Greis ein, furchtsam und zaghaft und mit mancherlei Bückling – vom gewohnheitsmäßigen Verneigen des Oberkörpers hatte er viel von seiner natürlichen Größe verloren – und schritt auf die niedrige Tafel zu. Seine scharfgeschnittenen Züge, seine Adlernase, die stechenden, schwarzen Augen, die hohe, gefurchte Stirn und das lange, graue Haupt- und Barthaar hätten schön genannt werden können, hätte nicht sein Gesicht all jene charakteristischen Kennzeichen eines Geschlechtes getragen, das in diesem unaufgeklärten Zeitalter vom vorurteilsvollen Pöbel verachtet und vom räuberischen Adel ausgebeutet wurde, und das zufolge der beständigen Unbilden, denen es ausgesetzt war, einen Nationalcharakter angenommen hatte, der, gelinde gesagt, erbärmlich und verabscheuungswürdig war. Der Anzug des Juden, den das Unwetter sehr mitgenommen hatte, bestand aus einem weiten faltigen Bauernrock, unter dem er ein dunkelrotes Untergewand trug. Er ging in hohen Pelzstiefeln und hatte einen Gürtel um den Leib, in dem ein kleines Messer und ein Schreibzeug steckte. Ein hoher, viereckiger Hut von gelber Farbe und ganz besonderer Form – wie ihn die Juden zum Unterschied von den Christen kraft Gesetzes tragen mußten – wurde von ihm in aller Demut an der Tür abgenommen.
Diesem Mann wurde in der Halle Cedrics des Sachsen ein Empfang bereitet, mit dem selbst der vorurteilsvollste Feind der Israeliten hätte zufrieden sein müssen. Cedric selbst hatte auf seine wiederholten Verneigungen nur ein flüchtiges Kopfnicken. Er winkte ihm, am unteren Tische Platz zu nehmen, dort fiel es aber niemand ein, ihm Platz zu machen, und als er mit schüchtern flehendem Blick die Reihe hinunterging, zuckten die sächsischen Diener die Achseln und aßen ruhig weiter, die Diener des Abtes bekreuzten sich und sahen mit einem Ausdruck frommen Abscheus nach ihm hin, die Sarazenen gar wühlten grimmig in ihren Knebelbärten und griffen nach den Dolchen, als seien sie entschlossen, sich vor der Verunreinigung durch seine Person bis zum äußersten zu schützen. Während Isaak hier von der Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wurde wie sein Volk von der Nation, erbarmte sich seiner der Pilger am Kamin, bot ihm seinen Platz an und sagte zu ihm: »Alter, meine Kleider sind trocken, mein Hunger gestillt, du aber bist durchnäßt und hungrig.« Damit schürte er die zerstreuten Brände zusammen, blies das Feuer an, holte Suppe und Gemüse, stellte sie ihm auf den Tisch, an dem er selber gegessen hatte, und ging dann, ohne auf den Dank des Juden zu hören, nach dem oberen Ende der Halle. Ob er mit dem Manne weiter keine Gemeinschaft wünschte, oder ob er nur einen Vorwand suchte, in die Nähe der oberen Tafel zu kommen, sei dahingestellt.
Inzwischen unterhielten sich der Abt und Cedric weiter über die Jagd, und Rowena besprach sich mit einer ihrer Zofen, und der Templer, dessen Blicke von dem Juden zu der sächsischen Schönheit wanderten, schien in tiefes Sinnen versunken.
»Ich denke, würdiger Cedric,« sagte der Abt, »bei aller Vorliebe für Eure männliche Sprache werdet Ihr doch auch ein wenig übrig haben für das Normännisch-Französisch, wenigstens was das edle Weidwerk anbetrifft.«
»Guter Vater Aymer,« versetzte der Sachse, »daß Ihrs nur wißt, ich frage nichts nach diesen überseeischen Verfeinerungen, ich komme ohne sie aus.«
Der Templer fiel ihm in hochfahrendem Ton ins Wort.
»Französisch,« sagte er, »ist nicht allein die natürliche Sprache der Jagd, es ist auch die Sprache der Liebe und des Krieges. Damen müssen erobert werden in ihr und Feinde geschlagen werden in ihr.«
»Herr Templer,« versetzte Cedric, »tut mir Bescheid auf diesen Becher Weins und schenkt auch den des Herrn Abtes voll! Dann will ich um dreißig Jahre zurückgehen und Euch ein ander Stück erzählen. Als damals Cedric der Sachse in echtem Englisch seiner Schönsten anvertraute, wie ihm ums Herz war, da brauchte es keines französischen Troubadours, und das Schlachtfeld von Northallerton kann Zeugnis dafür ablegen, daß das sächsische Kriegsgeschrei ebenso vernichtend in die Reihen des schottischen Heeres gedrungen ist, wie des kühnsten normannischen Barons cri de guerre. Tut mir Bescheid, werte Gäste, die Manen derer, die dort gefallen sind, zu ehren!« Er trank und fuhr in steigender Wärme fort: »Das war ein Tag, das war ein Schildespalten! Hundert Banner flatterten zu Häupten der Tapferen, in Strömen floß das Blut, und der Tod war willkommener als schmachvolle Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diesen Tag das Fest der Schwerter, er pries das Klirren der Schilde und Helme höher als das Jauchzen auf einer Hochzeit. Aber diese Barden sind nicht mehr, unsere Taten versinken in einem fremden Strome, unsere Sprache, unser Name selber verschwinden, und niemand trauert darum als ein einsamer alter Mann. Mundschenk gieß ein! Herr Templer, aufs Wohl der Tapferen – welches auch ihr Stamm und ihre Sprache sei – die jetzt am eifrigsten in Palästina für das heilige Kreuz streiten!«
»Für einen Ritter,« antwortete Brian de Bois-Guilbert, »der das Zeichen des Ordens trägt, geziemt es nicht, hierauf zu erwidern. Doch sagt mir, welche haltet Ihr neben den Streitern des heiligen Grabes für die besten Kämpfer dort unten?«
»Die Hospitalritter,« sagte der Abt, »ich habe unter ihnen einen Bruder.«
»Ihren Ruhm will ich nicht schmälern,« antwortete der Templer. »Indessen...«
»Waren in der englischen Armee,« unterbrach ihn Lady Rowena, »keine, deren Name neben denen der Templer und Johanniter genannt zu werden verdient?«
»Verzeiht, Mylady,« erwiderte Brian, »der englische Fürst hat in der Tat eine Schar von Helden nach Palästina gebracht, und sie haben nur denen nachgestanden, deren Brust von jeher ein Bollwerk des heiligen Landes war.«
»Keinem standen sie nach,« fiel ihm hier der Pilger ins Wort, der nahe genug stand, daß er dieses Gespräch hatte mit anhören können. Alle wandten sich nach der Seite, von wo diese unerwarteten Worte fielen. »Ich sage es nochmals,« wiederholte der Pilger festen Tones, »die englische Ritterschaft hat keinem nachgestanden, der je mit dem Schwert das heilige Land verteidigte. Ich sage ferner – denn ich habe es selber mitangesehen – König Richard und sechs seiner Ritter haben nach der Einnahme von St. Jean d'Acre ein Turnier abgehalten und sich mit jedem, der da wollte, gemessen. An diesem Tage hat jeder Ritter drei Gänge gemacht und in jedem einen Ritter zu Boden geworfen. Und sieben von diesen waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß recht gut, daß ich die Wahrheit rede.«
Mit Worten läßt sich nicht die Wut schildern, die jetzt das dunkle Gesicht des Templers noch mehr verdunkelte. Mit bebender Hand griff er nach dem Schwert, aber er bezwang sich in dem Bewußtsein, daß er sich hier nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen dürfe. Cedric merkte in seiner Freude über den Ruhm seiner Landsleute nicht den Zorn seines Gastes.
»Pilger,« rief er, »dieses goldene Armband ist dein, so du mir die Namen der Ritter nennst, die so tapfer den Ruhm des glücklichen Englands vertreten haben.«
»Das tu ich gern,« war die Antwort, »doch ohne Lohn, denn Gold zu tragen, verbietet mir mein Gelübde.«
»Dann nehme ich an deiner Statt das Armband,« sagte Wamba, »sofern dirs recht ist, Freund Pilger.«
»Der erste,« begann der Pilger, »an Ehre und Waffenruhm war der tapfere Richard, König von England. An zweiter Stelle steht Graf von Leicester, an dritter Thomas Multon von Gilsland.«
»Der wenigstens ist von sächsischem Blut,« rief Cedric erfreut.
»Sir Foulk Doilly der vierte.«
»Auch Sachse mütterlicherseits,« sagte Cedric abermals, mit großer Spannung dem Berichte folgend. »Und wer war der fünfte?«
»Der fünfte war Sir Edwin Turneham.«
»Ein Sachse vom reinsten Blut beim Geiste Hengists!« rief Cedric. »Und der sechste? Nenne mir den sechsten!«
Der Pilger schien sich eine Weile zu besinnen. »Der sechste,« sagte er dann zaudernd, »war ein junger Ritter, geringer an Rang und Ruhm als die anderen. Sein Name ist meinem Gedächtnis entfallen.«
»Herr Pilger,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »Eure erheuchelte Gedächtnisschwäche – wo Ihr Euch doch alles anderen so gut zu entsinnen vermochtet, hilft Euch nichts. Ich will Euch selber den Ritter nennen, dessen Lanze mich niederwarf, weil unglücklicherweise mein Pferd strauchelte. Es war der Ritter von Ivanhoe. Unter den Sachsen war keiner, der sich bei seiner Jugend gleichen Waffenruhmes erfreut hätte. Doch ich verkünde es laut, wäre er in England und wiederholte er auf dem Turnier, das in dieser Woche stattfindet, die Herausforderung von St. Jean d'Acre, so sollte mir um den Ausgang nicht bange sein.«
»Wenn Euer Gegner hier wäre, so wäre Eure Herausforderung angenommen,« versetzte der Pilgrim. »So aber braucht Ihr die Ruhe dieser Halle nicht zu erschüttern, indem Ihr prahlerisch von dem Ausgange eines Zweikampfes redet, der ja doch, wie Ihr wißt, nie stattfinden kann. Wenn Ivanhoe je zurückkehrt, so will ich Bürge für ihn sein, daß er sich Euch zum Kampfe stellen wird.«
»Ein Bürge, der sich sehen läßt,« sagte der Tempelritter höhnisch. »Und was gebt Ihr zum Pfande?«
»Diese Reliquie,« antwortete der Pilger, indem er ein kleines elfenbeinernes Kästchen aus der Brust zog und sich bekreuzte. »Es ist ein Stück vom wahren Kreuze aus dem Kloster Karmel.«
Der Prior bekreuzte sich und betete ein Vaterunser. Der Tempelherr nahm, ohne den Hut zu ziehen oder der Reliquie die geringste Ehrfurcht zu bezeigen, eine goldene Kette vom Halse, die er auf den Tisch warf mit den Worten:
»Prior Aymer, nehmt dies als Pfand von mir und nehmt auch das Pfand dieses fahrenden Mannes ohne Namen zum Zeichen, daß der Ritter von Ivanhoe, wenn er innerhalb der vier Seen Britanniens weilt, die Herausforderung Brian de Bois-Guilberts annehmen muß. Wo nicht, so will ich ihn in jedem Tempelhofe Europas einen Feigling nennen.«
»Wenn keine andere Stimme,« brach endlich Lady Rowena ihr langes Schweigen, »in dieser Halle das Wort ergreift für den abwesenden Ritter Ivanhoe, so soll doch meine Stimme gehört werden. Ich versichere, er wird sich ritterlich auf jede ehrenvolle Herausforderung hin stellen. Namen und Ehre verpfände ich darauf, daß Ivanhoe diesem stolzen Ritter entgegentreten wird, wie er es verlangt.«
Ein Zwiestreit von Gefühlen schien während dieses Gesprächs in Cedrics Brust zu wogen. Befriedigter Stolz, Rachsucht und Verlegenheit jagten über seine offene Stirn wie Wolkenschatten über ein Herbstfeld. Seine Diener, auf die der Name des sechsten Ritters wie elektrisierend zu wirken schien, hingen an ihres Herrn Zügen. Bei Lady Rowenas Worten fuhr er auf aus seinem Schweigen. »Das ziemt sich nicht, Lady,« sagte er, »wenn noch ein Pfand erforderlich wäre, so wollte ich selber, obwohl schwer beleidigt, meine Ehre verpfänden für Ivanhoes Ehre. Aber die Bürgschaft ist ausreichend.«
Der Abschiedstrunk wurde herumgereicht, die Gäste verneigten sich tief vor ihrem Wirt und Lady Rowena und gingen hinaus. Als der Templer an dem Juden vorüberschritt, sagte er:
»Hund von einem Heiden, gehst du auch zum Turnier?«
»Ich denke ja,« versetzte Isaak, »mit Verlaub Eurer Ritterschaft.«
»Mag dein Wucher nagen an den Eingeweiden unseres Adels,« sagte der Ritter, »magst du Weiber und Kinder betrügen mit Tand und Spielzeug – ich verspreche dir guten Gewinn in deine Judentasche.«
»Ach, nicht einen Scheckel, nicht einen Silberling, nicht einen Heller, so wahr mir helfe der Gott meiner Väter!« rief der Jude, die Hände faltend. »Nur ein paar Brüder meines Stammes will ich bitten, mir zu helfen bezahlen die Geldbuße, die unser Schatzmeister mir hat auferlegt. Soll mir beistehn der Vater Jakobs, ich bin ein armer Jüd, selbst die Tasche, die ich trage, hab' ich geborgt von Ruben von Tadcaster.«
»Verwünschter falscher Lügner!« sagte der Templer mit sauerm Lächeln.
Und er ging weiter, wie um dem Gespräch ein Ende zu machen und sagte dabei etwas zu seinen türkischen Sklaven, was die anderen nicht verstanden. Der Jude schien über die Ansprache des kriegerischen Mönches so entsetzt, daß er das demütig gesenkte Haupt nicht eher wieder erhob, als bis der Templer aus der Halle hinaus war. Wie einer, zu dessen Füßen der Blitz eingeschlagen hat und dem noch der Donnerschlag in den Ohren braust, starrte er um sich her.
Fünftes Kapitel
Der Pilger löschte die Fackel aus und warf sich angekleidet auf das harte Lager, das ihm in einer engen Kammer angewiesen worden war. Er schlief oder verharrte vielmehr in liegender Stellung, bis der erste Sonnenstrahl durch das vergitterte Fenster fiel, dann sprang er auf, verrichtete seine Frühandacht und ging darauf in die Kammer Isaaks des Juden, die, wie er sich vorher erkundigt hatte, neben der seinen belegen war.
Der Jude lag in unruhigem Schlummer. Die Kleider, die er am Abend ausgezogen hatte, waren sorgfältig zusammengelegt, als wollte er verhüten, daß sie ihm über Nacht gestohlen würden. Sein Gesicht war von Angst verzerrt, Hände und Füße zuckten krampfhaft, als wollten sie den drückenden Alp von ihm abwehren. Außer einigen Rufen auf hebräisch ließen sich auf normännisch-englisch – der damaligen Landessprache – deutlich die folgenden Worte vernehmen: »Um des Gottes Abrahams willen! schonet eines elenden armen Mannes! Ich bin arm, ich habe nicht einen Pfennig, und wenn Ihr mir auch mit dem Eisen die Glieder streckt, geben kann ich Euch doch nichts!«
Der Pilger wartete nicht, bis das Traumbild des Juden vorüber war, sondern er stieß ihn mit seinem Pilgerstabe leicht an; aber dieser Stoß wurde, wie es sich in der Regel so fügt, zu einem Teile seines erträumten Grausens, der Alte fuhr auf, riß ein paar seiner Kleider an sich und raffte die übrigen mit dem Griffe eines Raubvogels zusammen. Die schwarzen stechenden Augen heftete er mit dem Ausdruck wildesten Entsetzens und gräßlicher Angst auf den Pilger.
»Fürchte dich nicht vor mir, Isaak,« sagte der Pilger. »Ich komme zu dir als Freund.«
»Der Gott Israels lohn's Euch,« sagte der Jude. »Mir träumte – doch gepriesen sei der Vater Abrahams: es war nur ein Traum.« Dann faßte er sich und setzte in ruhigem Tone hinzu: »Und was begehret Ihr zu so früher Stunde von dem armen Juden?«
»Ich will dir nur sagen, wenn du nicht sogleich dieses Haus verlässest und eilig deines Weges gehst, so droht dir ernste Gefahr.«
»Heiliger Mann,« erwiderte der Jude, »wem könnte denn daran liegen, einem armen Tiere wie mir nachzustellen?«
»Du wirst am besten wissen, aus welchem Grunde,« sagte der Pilger. »Das aber steht fest, als der Templer gestern abend die Halle verließ, sprach er mit seinen osmanischen Sklaven sarazenisch – ich verstehe diese Sprache leidlich – und er hat ihnen den Auftrag gegeben, dem Juden aufzulauern, ihn gefangen zu nehmen und auf das Schloß des Philipp von Malvoisin oder des Reginald Front-de-Boeuf zu schleppen.«
Das Entsetzen, das den Juden bei dieser Nachricht überkam und seine Geisteskräfte zu vernichten drohte, läßt sich nicht beschreiben. Die Arme fielen herab, das Haupt sank auf die Brust, die Knie schlotterten, jeder Nerv und jeder Muskel seines Leibes schien zusammenzuschrumpfen und er sank zu den Füßen des Pilgers hin, nicht wie jemand, der niederkniet, um seine Demut zu bezeigen oder Mitleid zu erlangen, sondern wie zu Boden gestreckt von einer unsichtbaren Gewalt, gegen die es keinen Widerstand gab. »Gott meiner Väter!« rief er aus und hob die gefalteten Hände, während er das graue Haupt am Boden liegen ließ. »Träume sind nicht ohne Vorbedeutung. O, heiliger Moses, o gesegneter Aron, nicht vergebens hast du mich das schauen lassen! Schon fühle ich ihre Eisen zerfetzen meine Sehnen, schon fühle ich ihre Martern schauern über meinen Leib, wie die Sägen und eisernen Eggen über die Männer von Rabbah und über die Städte der Kinder Ammons!«
»Steh auf, Isaak, und höre mich an,« sagte der Pilger, den die Verzweiflung des Juden mit Verachtung erfüllte. »Ich sage dir, ich will dir zur Flucht verhelfen. Verlaß auf der Stelle dieses Haus, solange noch die Leute vom Feste des gestrigen Abends ausschlafen. Ich geleite dich auf geheimen Pfaden durch den Wald, die ich hier besser kenne als ein Förster. Und ich werde dich nicht eher verlassen, als bis ich dich der Obhut eines Ritters oder Barons, der zum Turnier zieht, anvertraut habe. Du bist wahrscheinlich in der Lage, dir seine Bereitwilligkeit zu erkaufen.«
Als Isaak vernahm, daß Hoffnung auf Flucht vorhanden war, raffte er sich zollweise vom Boden empor, als er aber die letzten Worte des Pilgers hörte, schien ihn das alte Entsetzen von neuem zu lähmen, er fiel abermals auf sein Angesicht und jammerte: »Ich die Mittel haben, die Bereitwilligkeit irgendwessen zu erkaufen? Es gibt ja nur ein Mittel, sich bei einem Christen in Gunst zu setzen, und wie soll ich armer Jüd davon können Gebrauch machen? Sie haben mich schon geschunden und ausgebeutet, daß ich arm bin wie Lazarus! Junger Mann! Um des großen Vaters willen, der uns alle geschaffen hat, den Juden wie den Heiden, hintergeh mich nicht! Verrate mich nicht! Ich habe gar keine Mittel, die Bereitwilligkeit eines Christenbettlers zu erkaufen, und wäre sie um einen Scheckel feil!«
»Und wärest du beladen mit dem ganzen Reichtum deines Volkes,« versetzte der Pilger, indem er seinen Mantel von dem flehentlichen Griffe des Juden losriß, als fürchte er, daß ihn seine Berührung unrein machen könnte, »was hülfe es mir, dich auszurauben? – In diesem Kleide habe ich gelobt, arm zu bleiben, und dieses Kleid vertausche ich nur gegen ein Roß und einen Harnisch! Du mußt nicht denken, daß mir etwas daran gelegen sei, mit dir zusammen zu sein, oder daß ich einen Vorteil von dir zu ziehen beabsichtigte – wenn du willst, so bleib hier: vielleicht nimmt dich Cedric der Sachse in seinen Schutz.«
»Weh!« rief der Jude. »Der läßt mich nicht in seinem Gefolge ziehen, denn der stolze Sachse schämt sich des armen Juden. Allein aber getrau ich mich nicht durch das Gebiet des Malvoisin und des Front-de-Boeuf. Junger Mann, ich will mit dir gehen! Laß uns eilen, laß uns gürten die Lenden, laß uns flüchten! Hier ist mein Stab – was zauderst du?« »Ich zaudre nicht,« war des Wallfahrers Antwort, »ich muß nur erst dafür sorgen, daß wir überhaupt auch von hier wegkommen.« Und er führte ihn in die anstoßende Kammer, wo Gurth, der Schweinehirt, schlief.
»Steh auf, Gurth!« rief ihm der Pilger zu. »Mach das Hintertor auf, du sollst den Juden hinauslassen.«
Gurth, der zwar ein niedriges, aber immerhin wichtiges Amt bekleidete, fühlte sich durch den vertraulichen und zugleich befehlenden Ton gekränkt.
»Den Juden hinauslassen?« sagte er, indem er sich auf die Ellenbogen stützte und ihn argwöhnisch ansah. »Will er mit dem Pilger zusammen zu Fuß weg? Der Jüd und der Pilger müssen beide warten, bis das Haupttor aufgemacht wird.«
»Ich denke, du wirst mir diese Gunst nicht abschlagen,« versetzte der Wallfahrer in befehlendem Tone. Mit diesen Worten neigte er sich über den Hirten, der liegen geblieben war, und lispelte ihm etwas ins Ohr, und wie vom Schlage getroffen, fuhr Gurth auf. Der Wallfahrer gab ihm mit dem Finger einen warnenden Wink und setzte dann hinzu: »Hüte dich, Gurth, du warst sonst immer klug! Ich sage dir, mach die Hintertür auf, bald hörst du mehr.«
Gurth gehorchte ihm in Eile.
»Mein Maultier, mein Maultier!« rief der Jude, als sie die Pforte durchschritten hatten.
»Hol ihm seinen Maulesel, und hörst du, Gurth,« sagte der Pilger, »gib mir auch einen, damit ich neben ihm reiten kann, bis wir aus den Grenzen sind. Ich schicke dir das Tier bestimmt wieder zurück. Und höre –« Und er flüsterte Gurth abermals etwas ins Ohr.
»Gern solls geschehen,« sagte der Hirt, ging sogleich den Auftrag auszuführen und war auch mit den Eseln gleich wieder da, und die Reisenden schritten auf einer Zugbrücke, die nur zwei Bohlen breit war, über den Graben hinüber. Kaum waren sie bei den Maultieren angekommen, so band der Jude hastig und mit zitternden Händen ein kleines, in blaues Tuch gewickeltes Päckchen am Sattel fest.
»Wäsche zum Wechseln, weiter nichts,« murmelte er und schwang sich mit einer Gewandtheit, die man seinem Alter nicht mehr zugetraut hätte, auf seinen Esel und legte sorgfältig Kleider und Reisemantel so zurecht, daß das Päckchen von ihnen verdeckt wurde. Langsamer saß der Wallfahrer auf, er reichte Gurth zum Abschied die Hand, die dieser voll Ehrfurcht küßte.
Dann starrte der Hirt den Reisenden nach, bis sie im Walde den Blicken entschwunden waren. Diese aber ritten, getrieben von der Angst des Juden, mit einer Eile, von der sonst alte Leute keine Freunde sind. Der Pilgrim, dem jeder Weg und Steg in diesem Walde vertraut zu sein schien, führte ihn auf unbekannten Pfaden, und mehr als einmal ergriff den Juden der Verdacht, in einen Hinterhalt gelockt zu werden. Seine Furcht war allerdings begreiflich. Denn den fliegenden Fisch ausgenommen, gab es damals auf der Erde, in der Luft und im Wasser kein Lebewesen, das so unausgesetzter und allseitiger Verfolgung preisgegeben gewesen wäre wie ein Jude. Unter völlig inhalt- und grundlosem Vorwande, und auf die unhaltbarsten und lächerlichsten Beschuldigungen hin waren sie jedem Ansturme der öffentlichen Wut überantwortet. Normanne, Däne, Sachse und Brite – so uneinig sie auch sonst waren – in der Verachtung, mit der sie auf das Volk der Juden blickten, stimmten sie alle überein, und es war geradezu ein Gebot der Religion, die Juden auf jede nur mögliche Weise zu hassen, zu peinigen, auszubeuten und zu vernichten.
Die Reisenden waren eine Zeitlang auf verschlungenen Pfaden dahingeeilt, als endlich der Wallfahrer das Schweigen unterbrach. »Die große, morsche Eiche hier,« sagte er, »bezeichnet die Grenze des Gebietes, das Reginald Front-de-Boeuf sein eigen nennt. Vom Besitztum Malvoisins sind wir noch weit entfernt. Nun brauchen wir keine Furcht mehr vor Nachstellung zu haben.«
»Die Räder mögen fallen von ihren Wagen,« sagte der Jude, »wie bei dem Heere Pharaos, daß sie nur langsam vorwärts kommen. Du aber, guter Pilger, geh nicht von mir! Denk an den stolzen Templer mit seinen Sarazenen, sie kümmern sich nicht darum, wem das Land gehört und was die Obrigkeit vorschreibt.«
»Unsere Wege,« erwiderte der Pilger, »müssen sich hier trennen, denn es ziemt sich nicht für einen heiligen Mann länger als nötig in der Gesellschaft eines Juden zu reisen. Was für Beistand könntest du auch von mir erhoffen, was vermöchte ein friedliebender Pilger gegen zwei bewaffnete Heiden? Du bist hier überdies nicht mehr weit von der Stadt Sheffield, wo du leicht einen Mann deines Stammes finden wirst, der dir Aufnahme gewähren wird.«
Sie machten Halt auf dem Gipfel eines schönen grünen Hügels, der Wallfahrer deutete auf die unter ihnen liegende Stadt und wiederholte: »Hier trennen sich unsere Wege!«
»So nimm denn den Dank des armen Juden,« sagte Isaak. »Freilich wirst du wohl nicht damit einverstanden sein, mit mir zu einem meiner Verwandten zu gehen, der mir etwas geben würde, daß ich dir deinen Dienst vergelten könnte.«
»Ich habe dir ja schon gesagt, daß ich keinen Lohn verlange. Wenn du auf der langen Liste deiner Schuldner einen armen Christen hast, dem du um meinetwillen Kerker und Fesseln ersparen kannst, so bin ich für den Dienst, den ich dir heute morgen erwiesen habe, reichlich belohnt.«
»Halt, halt,« unterbrach ihn Isaak, indem er sein Gewand ergriff, »mehr noch muß ich tun – ich muß noch etwas für dich selber tun. Gott weiß es, ich bin ein armer Teufel von einem Juden – ein Bettler seines Stammes ist der Isaak – doch verzeihe mirs, wenn ich erraten habe, was dir jetzt am innigsten am Herzen liegt.«
»Wenn du das Rechte ratest,« antwortete der Wallfahrer, »so weißt du auch, daß du mir das nicht verschaffen kannst, und wärest du auch so reich, wie du dich für arm ausgibst.«
»Mich ausgeben für arm!« rief der Jude, »o, glaube mir, ich spreche die Wahrheit, ich bin eine arme, ausgeraubte, verschuldete Kreatur – alles, alles haben sie mir genommen – Geld, Gut und Schiffe. Aber ich kann dir sagen, was du jetzt gern haben möchtest, ich kann dirs vielleicht auch verschaffen. Du wünschest dir jetzt ein Roß und eine Rüstung.
Erstaunt sah ihn der Pilger an.
»Hat dir das der böse Feind eingegeben?« fragte er hastig. »Woher ich es weiß, kann dir ja einerlei sein,« versetzte der Jude lächelnd. »Ich weiß es, und ich kann dir behilflich sein.«
»Doch bedenkt – mein Stand und mein Gelübde.«
»Euch Christen kenne ich,« unterbrach ihn der Jude. »Die Edelsten unter Euch greifen aus abergläubischer Buße zu Stab und Sandalen und wandern zu Fuß nach den Grabstätten toter Leute.«
»Lästere nicht, Jude!« fiel ihm der Pilger ernst ins Wort.
»Verzeiht!« entschuldigte sich Isaak. »Unbesonnen hab ich da gesprochen. Aber gestern abend und heute morgen sind Euch Worte entschlüpft, wie aus dem Kieselsteine Funken stieben, und sie haben mir das innere Metall verraten. In Euerm Busen ist die Kette eines Ritters versteckt und ein Sporn von Gold. Als Ihr Euch heute früh über mein Lager neigtet, hab ich sie schimmern sehen.«
Der Wallfahrer lächelte und sagte: »Wenn man deine Kleider, Isaak, mit ebenso scharfem Blick durchsuchte, was würde man da wohl alles finden?«
»Still davon!« entgegnete der Jude erbleichend und zog, wie um der Unterredung ein Ende zu machen, aus seinem Gürtel das Schreibzeug, breitete ein Stück Papier auf seinem gelben Hute aus und begann zu schreiben, ohne von seinem Maultier herabzusteigen. Als er fertig war, übergab er den Zettel, der hebräische Schriftzüge trug, dem Pilger und sagte:
»In der Stadt Leicester kennt alle Welt den reichen Juden Kirgath Jairam aus der Lombardei, an den gebt diesen Zettel ab. Er hat zu verkaufen sechs mailändische Rüstungen, die schlechteste darunter ist gut genug für einen König – und er hat auch zehn prächtige Rosse, das schlechteste darunter könnte besteigen ein König, wenn er ausreitet, um zu kämpfen für seinen Thron. Er wird Euch wählen lassen unter ihnen, er wird Euch versehen mit allem, was Ihr haben müßt zum Turnier. – Wenn es vorüber ist, werdet Ihr ihm alles unversehrt wieder zustellen, sofern Ihr nicht Geld genug habt, den Wert dem Eigentümer zu bezahlen.«
»Ei, Isaak,« sagte der Pilger lächelnd. »In solchem Waffenspiele fallen Waffen, Roß und Rüstung des Besiegten dem Sieger anheim – und wenn ich nun Unglück habe und verliere, was ich weder bezahlen noch irgendwie ersetzen kann?«
Der Jude schien ein wenig zu erschrecken über diese Möglichkeit, aber er nahm all seinen Mut zusammen und erwiderte: »Nein – nein – nein! Der Gott meiner Väter wird mit dir sein und deine Lanze wird haben Kraft wie der Stab Mosis.«
Der Jude wandte sein Maultier, aber der Pilger hielt ihn noch zurück. »Du weißt nicht, was du alles wagst, Isaak,« sagte er. »Das Pferd kann stürzen, die Rüstung kann beschädigt werden; denn bei mir gibts für Roß und Mann keine Schonung. Und dann machen deine Stammesbrüder doch auch nichts umsonst, es muß etwas für den Gebrauch bezahlt werden.«
»Macht nichts, macht nichts!« versetzte der Jude, bei dem die besseren Gefühle diesmal die Oberhand behielten. »Laßt nur gut sein! Wird was beschädigt, so soll es Euch nichts kosten. Wenn üblich ist Leihgebühr, Kirgath Jairam wird es Euch erlassen, ist doch der Isaak sein Vetter. – Nun lebt wohl und hört, junger Mann,« setzte er hinzu, sich noch einmal umwendend, »wagt Euch nicht zu weit ins Gewühl – nicht etwa weil Ihr die Rüstung und das Pferd nicht beschädigen sollt – sondern aus Rücksicht auf Euer eigen Leben und auf Eure gesunden Glieder.«
»Dank der Fürsorge!« sagte lächelnd der Wallfahrer. »Ich nehme Eure Freundlichkeit an.«
Damit trennten sie sich und schlugen verschiedene Wege nach Sheffield ein.
Sechstes Kapitel
Das englische Volk befand sich damals in recht jammervoller Lage. König Richard war fern und in Gefangenschaft des grausamen und treulosen Herzogs von Österreich. Prinz Johann machte im Bunde mit Philipp von Frankreich all seinen Einfluß auf den Österreicher geltend, um seines Bruders Gefangenschaft zu verlängern und die Thronfolge, indem er seine Partei im Königreiche in der Zwischenzeit nach Kräften verstärke, dem rechtmäßigen Erben, seinem älteren Bruder, dem Herzog Arthur von Britannien, zu entreißen – was ihm dann ja auch gelungen ist. Johann war ein treuloser, lasterhafter Charakter und wußte leicht all die um sich zu scharen, die ihrer Taten wegen die Rückkehr Richards aus dem Morgenlande zu fürchten hatten, und all jene, die von den Kreuzzügen heimgekommen waren, behaftet mit den Lastern des Orients und in ihrer Armut und Hoffnungslosigkeit beseelt von dem Triebe, im Bürgerkriege neue Schätze zu ernten. Hierzu kam noch, daß es infolge der Bedrückungen des Lehnsadels von Geächteten im Lande wimmelte, die sich zu Banden zusammengetan hatten und in den Wäldern und Wildnissen ihr Wesen trieben, allen Gesetzen und der Obrigkeit Hohn sprechend. Die Adligen selbst machten sich auf ihren Schlössern zu Häuptern von Banden, die es nicht besser trieben als die erklärten Banditen. Unter all diesen Beschwerden litt das Volk in der Gegenwart und fürchtete mehr noch für die Zukunft. Aber bei all dem Elend nahm der Arme wie der Reiche, der Vornehme wie der Geringe an einem Schauspiel teil, das damals die größte Sehenswürdigkeit war. Das Turnier, wie man diese kriegerischen Veranstaltungen nannte, fand zu Ashby statt, in der Grafschaft Leicester. Streiter von hohem Namen sollten sich vor dem Prinzen Johann in eigener Person messen, der selber in die Schranken zu treten beabsichtigte.
Der Platz war herrlich gelegen. Mitten in einem Walde, der bis auf eine Meile an die Stadt Ashby herantrat, lag eine Wiese, die mit ihrem glatten Boden wie geschaffen für das kriegerische Spiel erschien. Der Raum maß etwa eine englische Meile in der Länge und eine halbe in der Breite und hatte die Form eines Vierecks, dessen Ecken zur besseren Bequemlichkeit der Zuschauer abgerundet waren. Am Süd- und Nordende lagen die Zugänge für die Kämpfer, starke, hölzerne Tore, die so breit waren, daß zwei Reiter nebeneinander hindurchkonnten. An jedem Tore stand ein Herold mit sechs Trompetern und einer kleinen Abteilung bewaffneter Mannschaft. Außerhalb des Kampfplatzes waren vorm Südende auf einer kleinen Erhöhung fünf prachtvolle Zelte aufgeschlagen, die schwarz und golden geschmückt waren, Das waren die Farben der fünf Ritter, die die Herausforderungen zum Turnier erlassen hatten. Vor jedem Zelte hing der Schild des Ritters, und ein Knappe in zierlicher Tracht, je nach dem Geschmacke seines Herrn als Wilder, als Waldbewohner oder in sonst einem phantastischen Kostüm gekleidet, stand davor. Den Ehrenplatz unter den Zelten hatte Brian de Bois-Guilbert inne, dessen Herausforderung dank seinem Ruhm in allen ritterlichen Übungen von den ruhmreichsten Streitern angenommen worden war. Neben seinem stand das Zelt des Reginald Front-de-Boeuf und Philipps von Malvoisin. An der andern Seite lag der edle Baron Hug von Grant-Mesnil, und das fünfte Zelt gehörte einem Ritter vom Johanniter-Orden, Ralph de Vipont. Der Zugang vom Norden her war ein ebensolcher Einlaß, an dessen äußerem Ende sich ein breiter umfriedeter Raum für die zum Turnier gemeldeten Gegner öffnete. Tribünen, die mit Teppichen und Polstern belegt waren, bildeten die Plätze für die Damen; die Freisassen und alle, die nicht zum gemeinen Volk gehörten, hatten einen Raum zwischen den Tribünen und den Schranken inne, ähnlich dem Parkett eines modernen Theaters. Die große Masse fand auf Rasenbänken Platz. Auch auf den Bäumen ringsum hockten eine Menge Zuschauer.
An der Ostseite der Tribünen, gerade gegenüber dem Punkte, wo die Streiter aufeinander treffen mußten, war eine Art Baldachin mit den königlichen Insignien angebracht. Um diesen für den Prinzen bestimmten Platz stand eine Schar reichgekleideter Edelherren, Pagen und Freisassen. Diesem Ehrenplatz gegenüber, also an der Westseite, fiel ein ähnlicher Sondersitz ins Auge, der nur nicht ganz so prächtig geschmückt war. Um diesen grün und rot ausgelegten Platz stand eine Schar von grün und rot gekleideten Pagen und Mädchen, und zwischen Wimpeln und Bannern, die mit Köchern, Bogen und Pfeilen und blutenden Herzen und allen möglichen Sinnbildern der Triumphe Amors bemalt waren, prangte eine Inschrift, aus der hervorging, daß dieser Platz für die Königin der Liebe und der Schönheit bestimmt sei. Wer aber diese Auserkorene sein würde, war jetzt noch nicht zu sagen. Die Plätze der Zuschauer füllten sich indessen allmählich und auf den Tribünen wurde die Zahl der Edeldamen und Herren immer stattlicher, und der Raum unter ihnen war gleichfalls schon dicht gefüllt von Bürgern und handfestem Landvolk, zwischen denen es öfter zu Streitigkeiten kam.
Reich gekleidet und in einen mit Spitzen besetzten und mit Pelz gefütterten Mantel gehüllt, suchte Isaak von York für sich und seine Tochter Rebekka einen guten Platz zu finden. Sie war in Ashby mit ihm zusammengetroffen. Und während sich beide noch durch die Menge wanden, erregte die Ankunft des Prinzen Johann die allgemeine Aufmerksamkeit. Er ritt mit einem zahlreichen Gefolge herein, in dem sich auch der Prior von Jorlvaux in so prächtiger Kleidung befand, wie es seine kirchliche Würde nur irgend zuließ. Herrlich zu Roß und prunkend gekleidet, einen Falken auf der Hand, auf dem Kopfe ein Pelzbarett und einen Kranz von Edelsteinen, das lange Haar in Locken um die Schultern, so sprengte Prinz Johann in die Schranken. Er unterhielt sich laut und lachend mit seinem Gefolge und musterte mit der Kühnheit eines königlichen Beurteilers die Schönheiten auf den Tribünen. Wohl trugen die Züge des Prinzen das Gepräge der Ausschweifung, der rücksichtslosen Selbstsucht und des Hochmutes, aber doch fehlte es ihnen nicht an einer gewissen Anmut, wie sie eine offene, wohlgeformte und künstliche zu äußerlicher Höflichkeit gewöhnte Miene immer aufweist. Leicht wird wohl ein solches Wesen als Edelsinn, Offenheit und männlicher Freimut angesprechen, und doch steckt nichts weiter dahinter als selbstsüchtige Gleichgültigkeit, Lust zu Ausschweifungen und Dünkel auf Rang und Reichtum. Für die, die nicht in die Tiefe schürften, und ihre Zahl verhielt sich wie eins zu hundert, waren die prunkende Erscheinung des Prinzen, sein Zobelmantel, seine Maroquinstiefel und seine goldenen Sporen Grund genug, ihn mit lautem Beifallsjubel zu empfangen. Das Auge des Prinzen fiel bei seinem Umritt sogleich auf den Juden und seine Tochter, die vergebens Platz zu finden suchten und mit harten Worten allerorten zurückgewiesen wurden. Und selbst dem scharfen Kennerblick des Prinzen Johann erschien die Gestalt der Rebekka den stolzesten Schönheiten Englands ebenbürtig. Ihr regelmäßiger Wuchs kam durch ihre orientalische Kleidung noch mehr zur Geltung. Zu ihren dunkeln Augen stand der gelbseidene Anzug wundervoll. Herrliche Brauen wölbten sich unter der weißen Stirn, die Zähne waren wie Perlen, und das reiche schwarze Haar fiel zu einzelnen Locken gewunden auf den schneeweißen Hals und Busen hinab, die von einem persischen Seidenschal zum Teil bedeckt waren. Um den Hals trug sie ein Brillantenkollier, das von unschätzbarem Wert sein mußte.
»Bei dem kahlen Schädel Abrahams,« sagte Prinz Johann, »die Jüdin ist ein Prachtexemplar. Was sagt Ihr, Prior Aymer? Fürwahr, sie ist die Braut des Hohen Liedes selber.«
»Eine Rose Sarons und eine Lilie im Tal!« antwortete der Geistliche in singendem Tone. »Aber Euer Hoheit müssen bedenken, es ist nur eine Jüdin.«
»Sieh! da ist ja auch ihr Vater,« sagte der Prinz, ohne auf seine Worte zu hören, »der Baron von Byzanz, der Marquis von Mammon. Beim heiligen Markus, der Wucherfürst soll mit seiner Tochter einen Platz auf der Tribüne bekommen. He, Isaak! wer ist die morgenländische Houri, die du am Arme führst, dein Weib oder deine Tochter?«
»Meine Tochter Rebekka, zu Euer Hoheit Befehl,« antwortete Isaak mit einem tiefen Bückling. Die Ansprache des Prinzen setzte ihn nicht in Verlegenheit, denn zur Zeit gerade stand der Prinz mit den Juden von York in Unterhandlung wegen einer Anleihe, und bei diesem Geschäft war Isaak in hervorragender Weise beteiligt.
»Ob Tochter oder Weib,« erwiderte der Prinz, »sie soll einen Platz haben, wie er ihrer Schönheit und deinen Verdiensten gebührt. Wer sitzt dort oben?« rief er, nach der Tribüne hinaufschauend. »Sächsische Bauern? Herunter mit ihnen! Sie sollen Platz machen für meinen Wucherfürsten und seine liebliche Tochter!«
Die, denen diese beleidigenden Worte galten, waren Cedric der Sachse und Athelstane von Conningsburgh mit ihren Familien. Der letztere war als Abkömmling des letzten Königs von England unter allen eingeborenen Sachsen im nördlichen England sehr geachtet. Mit dem uralten Blute dieses königlichen Geschlechts war aber auch manche seiner Schwächen auf Athelstane übergegangen. Sein Gesicht war nicht häßlich, seine Gestalt war kraftvoll, und er stand in der Blüte der Jahre. Aber in seinen Bewegungen lag Schwerfälligkeit und Trägheit, seine Augen waren ohne Ausdruck, und wegen seiner Unentschlossenheit hatte er den Beinamen eines seiner Ahnen erhalten und hieß Athelstane der Unentschlossene.
An diesen Mann richtete der Prinz seinen Befehl, dem Juden Platz zu machen. Bestürzt über dieses Verlangen, das nach den Sitten und Ansichten der damaligen Zeit eine schwere Beleidigung enthielt, wollte Athelstane nicht gehorchen und wußte doch auch nicht, wie er Widerstand leisten sollte. Er setzte daher dem Prinzen lediglich passiven Widerstand entgegen, und ohne sich zu erheben oder eine Bewegung zu machen, die seine Bereitwilligkeit bekundet hätte, stierte er den Prinzen mit seinen großen grauen Glotzaugen an – das machte sich ungemein komisch, aber der ungeduldige Prinz Johann faßte die Sache anders auf.
»Das sächsische Schwein schläft wohl oder versteht es mich nicht?« rief er. »Rüttle den Kerl mit der Lanze auf, Bracy!« So hieß der Ritter, der neben dem Prinzen ritt. Er streckte seine lange Lanze über den Raum, der zwischen der Tribüne und den Schranken lag, und hätte wohl den Befehl des Prinzen ausgeführt, noch ehe Athelstane der Unentschlossene die Besonnenheit gefunden hätte, auch nur dem Stoße auszuweichen. Aber Cedric, der ebenso schnell wie sein Gefährte langsam war, hatte blitzschnell sein Schwert gezogen und mit einem Schlag die Lanzenspitze von dem Speere getrennt. Prinz Johann wurde rot vor Wut. Er stieß einen gräßlichen Fluch aus und war im Begriffe, in seinem Jähzorn eine Gewalttätigkeit zu begehen, aber sein eigenes Gefolge umringte ihn und sprach auf ihn ein, sich doch zu beruhigen, auch erscholl ringsum rauschender Beifall zu Cedrics mutiger Tat. Der Prinz sah verächtlich um sich her, da begegnete sein Auge einem Bogenschützen, der ein grünes Wams anhatte, ein silbernes Wehrgehänge um den Leib, einen Köcher mit zwölf Pfeilen und einen sechs Fuß langen Bogen trug. Der Mann schrie laut Beifall, und Prinz Johann fragte ihn, weshalb er so lärme.
»Ich rufe stets mein Bravo,« antwortete der Bogenschütze, »wenn ich einen guten Schuß oder einen derben Hieb sehe.«
»So?« versetzte der Prinz, »und du triffst wohl auch immer das Ziel?«
»Jawohl, das bei Weidmännern übliche Ziel auf die übliche Entfernung treffe ich wohl.«
»Bei Sankt Grizzel,« sagte der Prinz, »wir wollen eine Probe deiner Geschicklichkeit sehen.«
»Ich werde mich der Aufgabe nicht entziehen,« war die beherzte Antwort.
»Inzwischen steht auf da, Ihr sächsischen Grobiane!« rief der stolze Prinz. »Denn beim Lichte des Himmels, da ich es einmal gesagt habe, so soll der Jude auch zwischen Euch sitzen.«
»Mit nichten, Euer Hoheit,« sagte der Jude, »es geziemt sich nicht für unsereinen, bei den Oberhäuptern des Landes zu sitzen.«
»Hinauf mit dir, ungläubiger Hund, wenn ich es dir befehle!« rief der Prinz, »sonst laß ich dir dein zähes Fell abziehen und eine Satteldecke draus gerben.«
Der Jude begann die hohen engen Stufen hinanzusteigen.
»Ich will mal sehen, wer ihn aufhalten wird,« sagte der Prinz, den Blick fest auf Cedric geheftet, der entschlossen schien, den Juden hinunterzuwerfen. Der Narr Wamba kam aber dieser vielleicht verhängnisvollen Handlung zuvor, indem er zwischen seinen Herrn und Isaak sprang und auf des Prinzen Worte mit dem Rufe antwortete: »Meiner Treu, ich halt ihn auf!« Er hielt dem Juden ein Stück geräuchertes Schweinefleisch unter die Nase, das er unter seinem Kittel hervorzog. Er hatte sich wahrscheinlich damit versehen, für den Fall, daß er während des Turniers Appetit bekommen sollte. Als der Jude ein von seinem Volke so verabscheutes Stück gerade vor seiner Nase und das hölzerne Schwert des Narren über seinem Haupte sah, geriet er ins Wanken, trat fehl und kollerte zur hellen Belustigung der Zuschauer die Stufen hinunter. Prinz Johann stimmte herzhaft in das allgemeine Gelächter ein.
»Mir gebührt der Preis!« rief Wamba. »In ehrlichem Kampfe hab ich meinen Feind mit Schild und Schwert bezwungen!«
»Wer bist du, edler Kämpe?« fragte lachend der Prinz.
»Ich bin ein Narr und heiße Wamba.«
»Nun denn, so macht hier unten Platz für den Juden,« sagte jetzt der Prinz, zufrieden, daß er mit Anstand von seinem Vorhaben ablassen konnte. »Der Besiegte darf nicht neben dem Sieger sitzen, das wäre gegen die Vorschrift.« Dann wandte er sich noch einmal an den Juden. »Isaak! Leih mir eine Handvoll Byzantiner!«
Der Jude erschrak über die Forderung und kam ihr nur ungern nach; dennoch hatte er nicht den Mut, sie abzuschlagen und kramte zaudernd in der Tasche herum, die er am Gürtel hatte und probierte, wie viel oder wie wenig Münzen wohl eine Handvoll sein möchten. Aber Prinz Johann sprang ungeduldig vom Pferde und machte Isaaks Bedenken ein Ende, indem er ihm die ganze Tasche vom Gürtel riß. Dann warf er dem Narren ein paar Goldstücke zu und galoppierte weiter um die Schranken, den Juden dem Spott der Umstehenden überlassend, während ihm selber so lauter Beifall wurde, als hätte er eine edle, ehrenvolle Tat vollbracht.
Als Prinz Johann auf seinem Throne Platz genommen hatte, gab er den Herolden ein Zeichen, die Turniervorschriften zu verlesen, die in Kürze folgende Bestimmungen enthielten:
Erstens: Die fünf Streiter nehmen es mit allen, die sie fordern, auf.
Zweitens: Jeder, der herausfordert, kann sich unter den Streitern seinen Gegner wählen, indem er seinen Schild mit der Lanze berührt. Geschieht dies mit umgekehrter Lanze, so gilt es nur einen Zweikampf der Courtoisie, das heißt, an den Lanzen ist dann ein Lederball befestigt. Wird aber der Schild mit scharfer Spitze berührt, so gilt es einen Zweikämpf mit tödlichen Waffen, der sich von einem Zusammentreffen in der Schlacht in nichts unterscheidet.
Drittens: Wenn die anwesenden Ritter ihr Gelübde erfüllt und jeder fünf Gänge ausgefochten hat, so erklärt der Prinz, wer der Sieger des ersten Tages ist, der dann ein prachtvolles Streitroß als Preis erhält und obendrein das Vorrecht, die Königin der Liebe und der Schönheit zu ernennen, die dann den Sieger des zweiten Tages krönen wird.
Viertens: Es wird kund und zu wissen getan, daß am zweiten Tage ein allgemeines Turnier stattfinden soll, an dem jeder anwesende Ritter teilnehmen darf. In zwei Parteien sollen sie so lange kämpfen, bis der Prinz selber den Strauß für beendet erklärt. Dann soll die erwähnte Königin der Liebe und der Schönheit den Ritter krönen, den Prinz Johann als den tapfersten bezeichnet. Er erhält eine goldene Lorbeerkrone. Mit diesem zweiten Tage enden die ritterlichen Spiele und es folgen Bogenschießen, Stiergefechte und andere Volksbelustigungen. Den Schluß bildete der gewöhnliche Heroldsruf: »Largesse! Largesse!«
Dann verließen die Herolde die Schranken und es blieb niemand darin als die beiden Marschälle des Turniers, William de Wywil und Stephan de Martival, die von Kopf bis zu Fuß in Harnisch wie aus Erz gegossen an den beiden Enden der Schranken standen. Der Naum vor dem Nordende der Schranken hatte sich inzwischen ganz mit Rittern gefüllt. Von den Tribünen gesehen, erschienen sie wie ein Meer von wogenden Federbüschen, blitzenden Helmen und ragenden Lanzen, und endlich taten sich die Barrieren auf, und die fünf Ritter, die durch das Los bestimmt waren, ritten langsam auf den Kampfplatz. Einer ritt an der Spitze, die anderen folgten zu zweien und zweien, die feurigen Rosse zügelnd, um ihre Gewandtheit im Reiten zu zeigen. Gleichzeitig erklang hinter den Zelten der Herausforderer hervor, wo die Musikanten verborgen waren, eine wilde Musik.
Unter den Augen der vielköpfigen Menge ritten die Kämpfer nun nach dem kleinen Plateau, wo sich die Zelte der Herausforderer befanden, und jeder berührte mit umgedrehter Lanze den Schild dessen, mit dem er sich messen wollte. Dann zogen sie sich wieder nach dem äußersten Ende der Schranken zurück und stellten sich hier in einer Linie auf, während die Herausforderer aus ihren Zelten traten, ihre Pferde bestiegen und, von der Anhöhe herabreitend, gegenüber den einzelnen Rittern, die ihren Schild berührt hatten, Aufstellung nahmen. Unter Hörner- und Trompetenklang rannten sie nun in vollem Galopp aufeinander los, und so überwiegend war die Gewandtheit der herausfordernden Partei, daß die Gegner Malvoisins, Bois-Guilberts und Front-de-Boeufs zu Boden stürzten. Grand-Mesnils Gegner verfehlte den Anlauf und anstatt seine Lanze am Helm oder Schild seines Gegners zu zerbrechen, brach er sie quer über seinem Leibe entzwei. Das war noch schmachvoller, als wenn er niedergeworfen worden wäre, weil es an Ungeschicklichteit in der Führung der Waffe lag, während ein Sturz auch manchmal durch einen Zufall erfolgen kann. Der fünfte Ritter allein rettete die Ehre seiner Partei, indem er ritterlich mit dem Johanniter die Lanze brach, ohne daß einer vor dem anderen einen Vorteil errungen hätte.
Das laute Geschrei der Menge, das Beifallsgebrüll der Herolde und das Trompetengeschmetter verkündete den Triumph der Sieger und die Niederlage der Besiegten. Die ersteren kehrten nach ihren Zelten zurück, die letzteren rafften sich auf, so gut es ging und verließen unter allseitigem Spott die Schranken, um dann mit den Siegern über den Preis zu verhandeln, um den sie Pferd und Waffen, die nach den Bestimmungen den Siegern verfallen waren, behalten könnten. Der fünfte Ritter allein blieb ein wenig länger, sich an dem Beifall der Menge weidend.
Eine zweite und dritte Gruppe zog ins Feld, und obgleich der Erfolg wechselte, blieb doch in der Hauptsache der Sieg auf der Seite der Herausforderer. Von ihnen wurde nicht einer aus dem Sattel gehoben oder machte einen Fehlstoß, was doch bei ihren Gegnern des öfteren zutraf. Auch schien der Mut der Gegner nachzulassen angesichts des dauernden Glückes der anderen, denn beim vierten Gange erschienen nur noch drei Gegner, die sich weder mit Front-de-Boeuf, noch mit Bois-Guilbert maßen, sondern mit den drei anderen, die weit weniger Kraft und Gewandtheit gezeigt hatten. Aber auch diese Vorsicht änderte am Ausgange des Kampfes nichts. Die Herausforderer blieben Sieger. Einer der Gegner wurde geworfen, die beiden anderen verfehlten den Anstoß. Nach diesem vierten Gange trat eine lange Pause ein, und es schien niemand zur Fortsetzung des Kampfes Lust zu haben.
Bald aber erklangen von neuem die Stimmen der Herolde: »Liebe den Damen! Brecht Eure Lanzen! Kämpft tapfer, Ihr Ritter! Schöne Augen sehen hernieder auf Eure Taten!« Dazwischen klang in wilden Tönen die Musik der Herausforderer, Sieg und Trotz in ihren Klängen. Das Volk begann sich zu ärgern, daß der Festtag hinzugehen drohte, ohne daß man was Ordentliches zu sehen bekam, und alte Ritter und Edelherren beklagten sich leise, daß der kriegerische Geist im Schwinden sei. Sie schwatzten von den Siegen ihrer jungen Jahre. Prinz Johann gab schon seinem Gefolge Weisung, das Festessen herzurichten und meinte, daß er wohl den Preis Bois-de-Guilbert geben müsse, der zwei Ritter geworfen und einen dritten noch schmählicher heimgeschickt habe.
Die Musik der Herausforderer hatte eben eine lange und kühne Fanfare zu Ende geblasen, da gab vom Nordende her eine einzelne Trompete eine herausfordernde Antwort. Aller Augen wandten sich mit einemmal dorthin, um den neuen Kämpfer zu sehen, den dieser Trompetenstoß ankündigte.
Siebentes Kapitel
Kaum waren die Barrieren geöffnet, so ritt er in die Schranken. Soweit man seine Gestalt nach der Rüstung beurteilen konnte, schien er nicht viel über Mittelgröße, eher schlank als stark. Seine Rüstung war von Stahl mit reichen Goldeinlagen, sein Wappenschild zeigte einen jungen, mit der Wurzel ausgerissenen Eichbaum, als Inschrift stand das spanische Wort Desdichado darauf, das zu deutsch der Enterbte heißt.
Er ritt einen stattlichen Rappen und grüßte im Hereintänzeln höflich den Prinzen und die Damen, indem er die Lanze senkte. Die Gewandtheit, mit der er sein Pferd lenkte, und eine unverkennbare Anmut und jugendfrische Forschheit in seinem Gebaren eroberten ihm im Sturme die Herzen der Menge, und aus dem Zuschauerraum der niederen Klassen schallten ihm Rufe entgegen wie: »Berührt den Schild von Ralph de Vipont, oder den des Ritters vom Orden der Hospitaliter, der sitzt am wenigsten fest, mit dem werdet Ihr am leichtesten fertig.«
Unter solchen wohlgemeinten Ratschlägen ritt der Kämpfer nach dem Plateau und hielt zum Erstaunen aller Anwesenden gerade vor dem mittelsten Zelte und berührte mit der Spitze seiner Lanze den Schild Brians de Bois-Guilbert, daß das Eisen laut erklang. Alles Volk erstaunte ob dieser Kühnheit, am meisten aber der gefürchtete Ritter, der zum Kampf auf Leben und Tod gefordert war.
»Habt Ihr gebeichtet, Bruder, und die Messe heute morgen gehört,« fragte der Templer, »daß Ihr so keck Euer Leben aufs Spiel setzt?«
»Ich bin zum Tode mehr gerüstet als Ihr,« versetzte der enterbte Ritter, denn mit diesem Namen hatte er sich ins Turnierbuch einschreiben lassen.
»So geh auf deinen Platz in den Schranken,« sagte Bois-Guilbert. »Sieh noch einmal die Sonne an, denn diese Nacht wirst du im Paradiese schlafen.«
»Dank der großen Höflichkeit,« sagte der Enterbte. »Ich will sie nicht unerwidert lassen, und so rate ich dir, nimm ein frisches Pferd und eine neue Lanze, denn bei meiner Ehre, du wirst beides brauchen.« Sein Selbstvertrauen in dieser Weise aussprechend, lenkte er sein Pferd in die Schranken zurück und ließ es die ganze Strecke rückwärts gehen. Diese Probe seiner Reiterkunst trug ihm von neuem den Beifall der Menge ein.
Obwohl entrüstet über die ihm von seinem Gegner erteilten Ratschläge, machte Bois-Guilbert doch davon Gebrauch, denn seine Ehre stand auf dem Spiel, und es durfte kein Mittel außer acht gelassen werden, das dazu beitragen konnte, ihm den Sieg über seinen Gegner zu verschaffen. Er bestieg also ein frisches, kraftvolles Pferd und nahm auch eine neue Lanze, da seine alte bei den bisher ausgefochtenen Gängen leicht schadhaft geworden sein mochte. Auch den Schild, der beschädigt worden war, legte er beiseite und nahm den seines Knappen. Dieser neue Schild zeigte als Sinnbild einen fliegenden Raben, der einen Schädel in den Klauen hielt und die Umschrift trug: Gare le Corbeau. Als die beiden Streiter an den beiden Enden der Schranken einander gegenüber hielten, war die Spannung der schaulustigen Menge aufs höchste gesteigert. Wenige hielten es für möglich, daß die Sache für den Enterbten gut ablaufen würde. Aber sein Mut und sein Benehmen ließen alle Zuschauer die besten Wünsche für ihn hegen.
Kaum war das Trompetensignal erklungen, so rasten die beiden Reiter blitzschnell aufeinander ein. Mit donnerähnlichem Krachen prallten sie gegeneinander an. Bis zum Griffe zersplitterten die Lanzen, und im ersten Moment sah es so aus, als seien beide Reiter gestürzt, so jäh taumelten von dem Ansturm beide Rosse zurück. Aber die Reiter waren so behende, daß sie die Pferde mit Zaum und Sporn rasch wieder zur Ruhe gebracht hatten. Sie warfen sich in Eile Blicke zu, die durch das Visier hindurch Flammen zu sprühen schienen, dann drehten sie um und kehrten ans Ende der Schranken zurück, wo ein jeder eine frische Lanze erhielt.
Lauter Beifallssturm der Menge, die Schürzen und Tücher schwenkte, begrüßte diesen neuen Strauß. Was sie eben gesehen hatten, war bisher der beste und gleichmäßigste Zweikampf des Tages gewesen. Kaum aber standen die Ritter wieder an ihrem Platze, so folgte dem Jubelgeschrei die tiefste Stille. Die Menge, so schien es, wagte kaum zu atmen. Ein paar Minuten wurden den Kämpen und den Rossen gegönnt, daß sie sich verschnaufen konnten, dann gab der Prinz Johann von neuem mit seinem Stabe das Zeichen zum Angriff.
Abermals sprengten die Reiter von ihrem Platz weg und prallten in der Mitte der Arena aufeinander – ebenso blitzschnell, ebenso gewandt und gewaltig, aber nicht mit dem gleichen Erfolg. Der Templer traf seines Gegners Schild so sicher und wuchtig, daß seine Lanze zerbrach und der Enterbte im Sattel wankte. Aber auch sein Feind hatte die Lanze auf den Schild gerichtet, im Moment des Anpralls aber stieß er nach dem Helm – eine sehr schwere Finte, die aber, wenn sie gelingt, den Getroffenen unwiderstehlich darniederstreckt. Aber selbst dieses erfolgreiche Manöver hätte vielleicht den Templer nicht um den Ruhm des Sieges zu bringen vermocht, wäre nicht sein Sattelgurt geplatzt. Dies brachte ihn zu Fall, und Mann und Roß wälzten sich am Boden, eine Staubwolke aufwirbelnd. Im nächsten Augenblick aber war der Templer auch schon aus dem Wirrwarr heraus und schwang sein Schwert, den Gegner zum Kampfe fordernd. Der Enterbte sprang vom Roß und schwang das Schwert. Die Marschälle aber traten zwischen sie und erinnerten daran, daß ein solcher Kampf gegen die Bestimmungen des Turniers wäre.
»Wir treffen einander noch einmal!« rief der Templer und warf seinem Gegner einen furchtbaren Blick zu, »dann soll uns niemand trennen.«
»An mir solls nicht liegen, wenn es nicht geschieht,« antwortete der Enterbte. »Zu Fuß, zu Roß, mit Lanze, Streitaxt oder Schwert bin ich jederzeit bereit, dir gegenüber zu treten.«
Der Wortwechsel wäre vielleicht ausgeartet, wenn nicht die Marschälle mit gekreuzten Lanzen dazwischen getreten wären und die Streitenden gezwungen hätten, auseinander zu gehen. Der Enterbte kehrte auf seinen Platz zurück, und der Templer begab sich in sein Zelt, um den Rest des Tages in wilder Wut zu vergrollen. Der Sieger stieg nicht erst vom Pferd, sondern ließ ohne weiteres, nachdem er einen Becher Weines auf das Wohl aller englischen Herzen und den Untergang aller fremden Tyrannen getrunken hatte, durch seinen Trompeter alle Streiter zum Kampfe rufen, indem er ihnen gleichzeitig durch einen Herold sagen ließ, daß er sie erwarte, in welcher Reihenfolge es ihnen zu kommen beliebte.
Der riesenhafte Front-de-Boeuf war der erste, und in seiner schwarzen Rüstung sprengte er heran. Sein Schild trug einen schwarzen Ochsenkopf, halb verwischt schon durch manchen Kampf und die prahlerische Devise: Cave, adsum (hüte dich, ich bin da)! Der Enterbte errang über ihn einen mühelosen Sieg. Beide Kämpen brachen zierlich die Lanze, aber Front-de-Boeuf hatte einen Steigbügel im Kampfe verloren und wurde deshalb für besiegt erklärt.
Im Gange gegen Philipp de Malvoisin traf er den Baron so wuchtig gegen den Helm, daß die Schuppenketten platzten und der Helm herunterflog – nur diesem Umstande hatte es Malvoisin zu verdanken, daß er selbst nicht vom Pferde stürzte. Wie sein Vorgänger wurde auch er für überwunden erklärt.
Im dritten Gange gegen Grant-Mesnil bewies der Enterbte ebensoviel Galanterie wie bisher Mut und Gewandtheit. Grant-Mesnils Pferd war jung und wild und ging mit seinem Reiter durch, der Fremde aber verschmähte den Vorteil, den ihm dieses Mißgeschick seines Gegners bot, und ritt an ihm vorbei, die Lanze senkend, ohne ihn zu berühren. Dann drehte er um und Kehrte auf seinen Platz zurück. Er ließ Grant-Mesnil einen zweiten Kampf anbieten, der aber abgelehnt wurde, denn der Ritter betrachtete sich selber für überwunden, ebensowohl durch die Galanterie wie durch die Tüchtigkeit seines Gegners.
Der Gang mit Ralph de Vipont vervollständigte den Triumph des Enterbten. Vipont wurde mit solcher Wucht zu Boden geworfen, daß ihm das Blut aus Mund und Nase floß und er bewußtlos aus den Schranken getragen wurde.
Als der Prinz und die Marschälle einstimmig erklärten, daß dem Enterbten die Palme des Tages gebühre, brach allseitiger, vielstimmiger Jubel aus. William de Wywil und Stephan de Martival waren die ersten, die dem Sieger ihre Glückwünsche darbrachten. Gleichzeitig ersuchten sie ihn, den Helm zu lösen oder doch wenigstens das Visier hochzuschlagen, um aus den Händen des Prinzen Johann den Preis des Turniers zu empfangen. Mit ritterlichem Anstand schlug der Enterbte dieses Ansuchen ab, er könne jetzt sein Gesicht noch nicht zeigen, aus welchen Gründen, habe er bei seinem Eintritt in die Schranken den Herolden mitgeteilt. Die Marschälle erkannten ohne weiteres seine Weigerung an, denn es war damals ein sehr häufiges Vorkommnis, daß ein Ritter sich selbst wunderliche Gelübde leistete, und in der Regel lautete ein solches Gelübde dahin, eine Zeitlang unbekannt zu bleiben. Die Marschälle drangen daher nicht weiter in den fremden Ritter, sein Geheimnis preiszugeben, sondern zeigten dem Prinzen Johann an, daß sich der Sieger nicht zu erkennen geben wolle und baten seine Hoheit, ihn vortreten zu lassen und ihm den Lohn seiner Tapferkeit zu erteilen.
Der enterbte Ritter trat also an die Treppe heran, die zu dem Throne des Prinzen hinaufführte, und Johann spendete ihm das übliche Lob für seinen Sieg, und der Ritter, ohne ein Wort zu erwidern, verneigte sich tief. Dann wurde das Pferd, das ihm als Preis zufiel, in die Schranken geführt. Es war mit dem kostbarsten Zaumzeug bedeckt, aber der Kenner hätte auch ohnedies den Wert des Tieres richtig geschätzt. Der Enterbte legte die Hand auf den Sattelknauf und schwang sich ohne Bügel auf den Rücken des Arabers. Die Lanze schwingend, führte er es dann zweimal durch die Schranken, alle Vorzüge seines Pferdes und alle seine eigenen Künste als Meister der Reitkunst zeigend. Eine solche Parade mochte als Eitelkeit erscheinen, dies wurde aber dadurch wieder ausgeglichen, daß der Ritter den vollen Wert des Geschenkes zeigte, das ihm vom Prinzen zuteil geworden war, und so lohnte lauter Beifall seinen zierlichen Rundritt. Inzwischen hatte der Prior von Jorlvaux den Prinzen leise daran erinnert, daß der Sieger nun auch seinen guten Gefchmack zu beweisen habe und unter den versammelten Schönheiten die Königin des Liebreizes und der Minne erwählen müsse, die im Turnier des folgenden Tages den Preis austeilen solle.
Als der Ritter zum zweitenmal um die Schranken herumgeritten war, winkte ihm daher der Prinz mit dem Stabe, und sofort drehte der Ritter sein Pferd dem Throne zu, die Lanze zur Erde senkend, bis sie nur einen Fuß hoch vom Boden abstand. So hielt er regungslos, der Befehle des Prinzen harrend. Aller Augen staunten über die Gewandtheit, mit der er das Pferd, das eben noch im vollen Galopp begriffen war, mit einem Ruck zur Bewegungslosigkeit einer Statue brachte.
»Herr Enterbter!« sagte Prinz Johann, »denn das ist der einzige Titel, den wir Euch geben können, Ihr habt nun die Pflicht, die schöne Lady zu ernennen, die dem Feste des kommenden Tages als Königin des Liebreizes und der Minne präsidieren soll. Wenn Ihr ein Fremder in unserem Lande seid und des Urteils eines anderen bedürft, so können wir Euch nur sagen, daß Lady Alicia, die Tochter des tapferen Ritters Waldemar Fitzurse, an unserem Hofe seit langem als die erste dem Range und der Schönheit nach gilt. Freilich ist es Euer unbestrittenes Recht, die Krone nach eigenem Belieben auszuteilen. Die Lady, der Ihr sie überreicht, ist nach Form und Recht die Königin des morgenden Tages. Hebt Eure Lanze hoch!«
Der Ritter geborchte und der Prinz heftete an die Spitze der Lanze eine Krone von grünem Atlas mit einem Goldreifen, dessen oberer Rand von Pfeilspitzen und Herzen besetzt war, die miteinander wechselten wie die Stachelbeerblätter und Kugeln an einer Herzogskrone.
Waldemar Fitzurse war der erste und einflußreichste unter den Ratgebern des Prinzen, sozusagen sein Premierminister, obwohl er noch nicht Monarch war. Sein Wink auf die die Tochter dieses Mannes entsprang dem Wunsche, ihn, den er fürchtete, sich zu Dank zu verpflichten. Außerdem hatte er es selber auf die Gunst der Lady abgesehen, denn Prinz Johann, der kein verworfenes Mittel scheute, seine Ehrsucht zu befriedigen, scheute ebenso kein Mittel, seiner Wollust Genüge zu tun. Im stillen hegte er auch den Zweck, dem enterbten Ritter, dessen geheimnisvolle Person ihm verdächtig erschien und der ihm mehr und mehr zu mißfallen begann, in Waldemar Fitzurse einen mächtigen Feind zu erwecken, denn er war der Meinung, daß dieser Edelmann nie die Kränkung verzeihen würde, wenn der Sieger in der Wahl der Königin des Turniers seine Tochter überginge. Und in der Tat traf der Enterbte eine andere Wahl. An der Tribüne neben dem königlichen Sitz, wo Lady Alicia im vollen Bewußtsein ihrer obsiegenden Schönheit saß, ritt er ohne Zaudern vorüber. Er ließ sein Pferd jetzt ebenso langsam durch die Schranken reiten, wie er es vorher rasch herumgetrieben hatte und schien sein Recht, die vielen schönen Gesichter, die den bunten Glanz des Kreises erhöhten, eingehend zu mustern, mit voller Muße ausüben zu wollen.
Recht spaßhaft war es zu schauen, mit wie verschiedenem Benehmen die Mädchen diese Prüfung über sich ergehen ließen. Die einen erröteten, die andern setzten eine stolze Miene auf, einige sahen still vor sich hin, als wüßten sie nicht, was eigentlich vor sich ginge, andere wieder verhielten sich mühsam das Lachen, und ein paar platzten gar laut lachend heraus. Andere auch hüllten sich in ihre Schleier, aber das waren solche, die schon zehn Jahre lang verschmäht waren und nun von den Eitelkeiten genug gekostet hatten, um den Jüngeren den Vorrang zu gönnen.
Endlich hielt der Held des Tages an dem Balkone, auf dem Lady Rowena saß, und die Spannung aller Anwesenden stieg aufs höchste. Wenn sich der Enterbte bei seinem Urteil davon beeinflussen ließ, welche Zuschauer eine lebhaftere Teilnahme an seinem Glücke bekundeten, so verdiente allerdings der jetzt vor ihm liegende Teil der Tribünen den Vorzug. Cedric der Sachse lehnte vor Freude über den Fall des Templers und über die Niederlage seiner boshaften Nachbarn Front-de-Boeuf und Malvoisin mit halbem Leibe über der Brüstung und war dem Sieger nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen und der ganzen Seele gefolgt. Lady Rowena hatte dem Erfolge des Tages wohl mit gleicher Aufmerksamkeit, doch nicht mit gleich herzlichem Anteil zugeschaut. Selbst der apathische Athelstane bekundete den besten Willen, sich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuraffen, indem er sich einen großen Humpen Wein bringen ließ, den er auf das Wohl des Enterbten leerte. Nicht weniger Anteil an dem Verlauf des Turniers bekundete eine andere Gruppe von Zuschauern, die unter den Plätzen der Sachsen saßen.
»Vater Abraham!« rief Isaak von York, als der erste Gang zwischen dem Ritter und dem Templer ausgefochten war. »Wie reitet der Heide so kühn! Das wackere Pferd hat den weiten Weg von der Berberei her gemacht, und er geht mit ihm um, als wäre es das Füllen eines wilden Esels! Die edle Rüstung ist manche Zechine wert – siebzig Prozent sind bei dem mailändischen Waffenschmied Joseph Pareira noch heruntergeschunden worden – und er sieht sich so wenig damit vor, als wäre sie auf der Landstraße aufgelesen worden!«
»Setzt er doch Leben und Glieder aufs Spiel, Vater!« sagte Rebekka. »Wie sollte er in so furchtbarem Kampfe noch des Pferdes und der Waffen schonen!«
»Kind!« versetzte Isaak ein wenig ungestüm. »Du weißt nicht, was du schwätzest! Wohl, der Hals und die Glieder sind sein eigen, aber Pferd und Rüstung – heiliger Jakob! was sage ich da – nun, trotz allem bleibt er ein braver junger Mann! – Doch schau, Rebekka! schon wieder fängt er einen Kampf mit dem Philister an. Bete, mein Kind, bete, daß der gute junge Mann nicht Schaden leide an seiner Gesundheit! Und auch, daß das Pferd und die seine Rüstung ja nicht ruiniert werden! – Gott meiner Väter!« rief er wieder. »Sein ist der Sieg! Vor seiner Lanze ist gefallen der unbeschnittene Philister wie der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter – gewiß werden ihm zufallen ihr Gold und ihr Silber und ihre Streitrosse und ihre Rüstungen von Erz und Stahl – als Beute und als Preis!« Mit der gleichen ängstlichen Teilnahme verfolgte der würdige Jude jeden Gang, und immer berechnete er flüchtig, was wohl das erbeutete Pferd samt der Rüstung wert sein mochten.
Der Sieger des Tages blieb – ob aus Unentschiedenheit oder einem anderen Grunde eine Weile regungslos an derselben Stelle, dann endlich senkte er langsam und voller Grazie die Lanze und legte die Atlaskrone der schönen Rowena vor die Füße. Sogleich schmetterten die Trompeten, und die Herolde riefen Lady Rowena zur Königin der Minne und des Liebreizes aus. Wer sich ihrer Autorität widersetzen würde, dem stünde Bestrafung bevor.
Lange Hälse machten die normannischen Damen, höchlichst verwundert, daß eine Sächsin gekrönt worden war. Aber sie hatten auch schon lange Hälse gemacht, als ihre Edelherren einer nach dem andern besiegt worden waren. Aber wenn einzelne auch ihrer Unzufriedenheit Luft machten, diese Rufe gingen unter in dem allgemeinen Jubelgeschrei:
»Lang lebe Lady Rowena, die auserkorene Königin des Liebreizes und der Minne!« Hin und wieder war auch der Zusatz zu hören: »Lang lebe die sächsische Fürstin! Lang lebe das Geschlecht des unsterblichen Alfred!«
Der enterbte Ritter war in seinem Zelt allein mit seinem Knappen, einem Burschen, der wie ein Bauer aussah und über Kopf und Gesicht eine normannische Pelzmütze gezogen hatte, als wünschte er ebenso unerkannt zu bleiben wie sein Herr. Er nahm ihm die schwere Rüstung ab und setzte ihm Speise und Wein vor, die ihm nach den Anstrengungen des Tages sehr erwünscht waren. Kaum hatte der Ritter in Eile seine Mahlzeit eingenommen, als ihm der Knappe die Ankunft von fünf Männern meldete, die jeder ein Berberroß am Zügel führten.
Der Enterbte hatte an Stelle seiner Rüstung ein langes Kleid angelegt, wie es bei den Leuten seines Standes zu jener Zeit allgemein in Gebrauch war, die Kapuze, die er trug, ließ sich über das ganze Gesicht ziehen, aber es war schon finster, so daß er einer Hülle nicht mehr bedurfte. So trat er denn vor sein Zelt und fand dort die Knappen der Herausforderer, die er an ihrer dunkeln oder ganz schwarzen Tracht leicht erkannte, jeder hielt das Pferd, das sein Herr an diesem Tage geritten hatte, und war mit der Rüstung beladen.
»Den Bestimmungen der Ritterschaft gemäß,« sagte der erste dieser Männer, »biete ich, der Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch den Enterbten nennt, das Roß und die Rüstung an, mit denen mein Herr den Waffengang gegen Euch ausgefochten hat. Es ist Euch überlassen sie zu behalten oder Lösegeld dafür zu bestimmen.«
Die anderen sagten fast das gleiche und warteten auf den Bescheid, den ihnen der enterbte Ritter geben würde.
»Euch, Ihr vier Knappen,« antwortete der Ritter, indem er sich an die wandte, die zuletzt gesprochen hatten, »und Euern ehrenfesten und tapferen Herren habe ich nur das eine zu erwidern: Empfehlt mich Euern Gebietern und sagt ihnen, es wäre unrecht von mir, wollte ich von ihnen Pferde und Rüstungen nehmen, die nie von besseren Rittern gehandhabt werden können. Ich wollte, das wäre das einzige, was ich durch Euch den tapferen Rittern zu bestellen hätte. Aber ich bin nicht nur dem Namen nach, sondern in vollem Ernste der Enterbte, und so muß ich insofern das Anerbieten Eurer Herren annehmen, als ich sie ersuchen muß, ihre Rüstungen auszulösen, da die, die ich trage, gar nicht einmal meine eigene ist.«
»Wir haben den Auftrag,« sagte der Knappe des Front-de-Voeuf, »für Pferd und Rüstung hundert Zechinen zu bieten.«
»Das ist ausreichend,« sagte der Enterbte. »Ich bin durch meine derzeitige Lage gezwungen, die Hälfte dieser Summe anzunehmen, die andere Hälfte mögt Ihr unter Euch, den Herolden und sonstigem Dienstvolk des Turniers verteilen.« Mit tiefen Verbeugungen sprachen die Knappen ihren Dank für eine so seltene Freigebigkeit aus, und der Enterbte wandte sich nun an den Knappen des Bois-Guilbert.
»Von Euerm Herrn,« sagte er, »nehm ich weder die Waffen noch ein Lösegeld an. Bestellt Euerm Herrn, unser Zweikampf sei noch nicht beendet, und wir müßten erst noch mit Schwert und mit Lanze, zu Roß und zu Fuß miteinander fechten. Zum Kampfe auf Leben und Tod hat er mich herausgefordert, und des werde ich eingedenk sein. Einstweilen sagt ihm, ich behandelte ihn nicht wie seine Gefährten, mit denen ich Höflichkeiten tauschte, sondern ich stünde mit ihm auf dem Fuße tödlicher Herausforderung.«
»Mein Herr,« antwortete der Knappe, »weiß nicht nur Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern, sondern auch Haß mit Haß und Stoß mit Stoß. Ihr verschmäht es, ein Lösegeld von ihm zu nehmen, ich muß aber gleichwohl Pferd und Rüstung hierlassen, denn an beide wird er die Hand nicht mehr legen.«
»Gut und kühn gesprochen, wackerer Knappe,« erwiderte der enterbte Ritter. »So geziemt es sich, für den abwesenden Herrn zu reden. Doch laß nur Pferd und Rüstung nicht hier, sondern gib sie deinem Herrn wieder, und wenn er sie nicht haben will, so nimm du sie selber, mein braver Freund, soweit sie mir gehören, sind sie dir geschenkt.«
Balduin verneigte sich tief und ging mit seinen Gefährten ab, der Enterbte trat in sein Zelt zurück. »Gurth,« sagte er zu seinem Diener, »bis hierher habe ich der englischen Ritterschaft keine Schande gemacht.«
»Und ich für mein Teil,« antwortete Gurth, »hab ich nicht als sächsischer Schweinehirt meine Rolle als normännischer Schildknappe fein gespielt?«
»Jawohl,« versetzte der Ritter. »Ich habe nur fortwährend Angst gehabt, daß du dich durch dein bäuerisches Wesen verraten könntest.«
»Ich hatte gar keine Angst, daß mich jemand erkennen könnte,« sagte Gurth. »Nur vor meinem Kameraden Wamba ist mir bange gewesen. Mir ist überhaupt noch nie so recht klar geworden, was der mehr ist, Schelm oder Narr. Als mein alter Herr an mir vorüberging und all die Zeit in der Gewißheit war, daß Gurth in den Sümpfen und Wäldern von Rotherwood seine Schweine hüte, da hab ich kaum das Lachen verbeißen können.«
»Du weißt, was ich dir versprochen habe,« sagte der Ritter.
»Das ist das wenigste,« antwortete Gurth. »Aus Furcht vor Schlägen werd ich nie meinen gütigen Herrn verlassen. Ich hab'n dickes Fell. Das hält so gut die Peitsche aus, wie nur irgend'n Eber in meiner Herde.«
»Verlaß dich darauf, ich vergelte dir alles, was du aus Liebe zu mir wagst,« sagte der Ritter. »Inzwischen nimm hier diese zehn Goldstücke an.«
»Nu bin ich reicher als irgend'n Schweinehirt oder Leibeigener,« rief Gurth, das Geld in seinen Beutel steckend.
»Und hier diesen Beutel voll Gold,« sagte der Ritter weiter, »nimm mit nach Ashby, suche Isaak den Juden von York auf und sag ihm, er solle dies als Leihgeld für sein Pferd und seine Rüstung annehmen. Er hat mir durch seinen Kredit beides verschafft.«
Gurth steckte den Beutel zu sich und ging hinaus.
»Es wird freilich schwer halten,« sagte er vor sich hin. »Aber ich will doch versuchen, ob er sich mit'm Viertel seiner Forderung begnügt.«
Achtes Kapitel
Im Landhause eines reichen Juden in Ashby wohnten Isaak und seine Tochter mit ihrer Dienerschaft, denn die Juden sind bekanntlich untereinander ebenso gastfreundlich und freigebig, wie gegen andere widerspenstig und ungefällig. In einem kleinen aber nach orientalischem Geschmack reich ausgestatteten Gemach saß Rebekka auf einer gestickten Polsterbank, die an Stelle von Sesseln und Stühlen an den Wänden entlanglief. Sie sah ihrem Vater nach, der niedergeschlagen und unruhig hin und wieder ging und ab und zu die Augen zur Decke emporschlug wie einer, der unter großer Trübsal leidet. »O Jakob!« jammerte er, »o alle Ihr heiligen zwölf Väter unseres Stammes! Was für ein Schlag für einen Mann, der erfüllt hat die Gebote Mosis bis aufs Jota, bis aufs Titelchen! Fünfzig Zechinen mir geraubt mit einem Griffe von der Hand des Tyrannen!«
»Ihr scheint aber doch dem Prinzen das Geld gutwillig zu geben, Vater,« sagte Rebekka.
»Gutwillig! Der Fluch Ägyptens über ihn! – Gutwillig sagst du? Genau so gutwillig, wie ich im Golf von Lyon meine Waren aus dem Schiffe warf, daß es leichter würde im Sturme. Da hab ich die brandenden Wellen gekleidet in meine köstlichen Seidenstoffe, das Salzwasser habe ich gesättigt mit Myrrhe und Aloe, und angefüllt mit Gold und Silberbrokat die schlammigen Untiefen! Ach! was war das für eine Stunde unsäglichen Elends, wenn es auch meine eigenen Hände waren, die das Opfer brachten!«
»Geschah es doch, Vater, um unser Leben zu retten,« erwiderte Rebekka. »Der Gott unserer Väter hat seitdem seinen Segen über deinen Handel und deine Warenlager gebreitet.«
»Wenn aber der Tyrann Beschlag darauf legt, wie heute auf mein Geld!« stöhnte Isaak. »Wenn er mich zwingt zu lächeln, wenn er meine Habe raubt? O meine Tochter! Enterbt ist unser Volk und verdammt, heimatlos herumzuirren, aber das größte Unglück ist es, daß alle Welt noch dazu lacht, wenn wir geknechtet und beraubt werden. Statt daß wir uns rächen dürfen, müssen wir all unseren Groll hinunterschlucken und süß lächeln zu allen Unbilden.«
»So mußt du nicht denken, Vater, auch Vorteile haben wir,« sagte Rebekka. »So grausame Tyrannei auch diese Heiden üben, so sind sie doch gewissermaßen abhängig von den Kindern Zions, die sie verachten und verfolgen. Ohne unseren Reichtum könnten sie weder ihre Heere im Kriege bezahlen, noch im Frieden ihre Triumphe bestreiten. Das Gold, das wir ihnen borgen, kehrt mit Wucher zurück in unsere Schatullen. Wir sind wie das Gras, am besten grünt es, wenn Füße es treten. Selbst das heutige Fest hätte nicht stattfinden können, hätten nicht die verhaßten Juden das Geld dazu hergegeben.«
»Da erinnerst du mich an einen anderen Gegenstand meines Kummers,« sagte der Jude. »Das schöne Pferd und die schmucke Rüstung, mein ganzer Profit aus dem Geschäftchen mit unserm Kirgath Jairam von Leicester: wär das ein schwerer Verlust! Dahin wäre der ganze Gewinn einer Woche, der ganze Schweiß von einem Sabbath zum andern! Doch vielleicht läuft es besser ab als ich denke, denn er ist ein guter Junge.«
»Gewiß, mein Vater,« antwortete Rebekka, »es wird dich nicht gereuen, eine gute Tat an dem fremden Ritter getan zu haben.«
»Das hoffe ich, meine Tochter!« sagte Isaak. »Ich hoffe fest, daß wieder aufgebaut werden wird der Tempel Zions, aber wollte ich hoffen, daß ich noch mit eigenen Augen werde schauen können die Mauern und Türme des neuen Tempels, so wäre das ebenso eitel, als wenn ich darauf rechnen wollte, daß ein Christ – und wär es der beste der Christen – einem Juden bezahlen würde, was er ihm schuldig ist, es sei denn, daß man ihm drohte mit Richter und Kerkermeister.« – Es wurde nun finster, und ein jüdischer Diener trat ein und setzte zwei silberne, mit duftendem Öl gefüllte Lampen auf den Tisch. Ein anderer Diener trug reiche Erfrischungen und kostbare Weine herein, denn in ihrem Heim versagten sich die Juden keinerlei Behaglichkeit. Gleichzeitig meldete der eine der Diener, daß ein Nazarener mit Isaak zu sprechen wünsche.
Ein Handelsmann muß jederzeit für jeden, der mit ihm Geschäfte zu machen wünscht, Zeit übrig haben. Der Jude setzte also den Becher voll griechischen Weines hin, sagte zu seiner Tochter: »Verschleiere dich, Rebekka!« und befahl dem Diener, den Fremden hereinzuführen. Kaum hatte Rebekka einen Schleier von Silberflor über ihr Angesicht geworfen, da trat Gurth herein, in seinen weiten normännischen Mantel gehüllt. Er sah nicht gerade sehr vertrauenerweckend aus, denn er hatte seine Kapuze nicht abgenommen, sondern noch tiefer in die verbrannte Stirn gezogen.
»Bist du der Jude Isaak von York?« fragte Gurth auf sächsisch.
»Der bin ich,« entgegnete der Jude, der dank seinem Gewerbe mit jeder britischen Mundart vertraut war. »Und wer bist du?«
»Das geht dich nichts an,« antwortete Gurth.
»Genau so viel, wie es dich angeht, wer ich bin,« versetzte Isaak. »Wenn ich nicht weiß, wer du bist, wie kann ich mit dir machen Geschäfte?«
»Das macht nichts,« erwiderte Gurth. »Ich bringe Geld, und da muß ich wissen, wer der ist, dem ich's übergebe. Du aber kriegst das Geld, und da kann dir's gleich sein, von wem's kommt.«
»Ah, du bringst mir Geld!« rief der Jude. »Das ändert die Sache. Von wem bringst du mir denn Geld?«
»Von dem enterbten Ritter,« sagte Gurth, »dem Sieger des heutigen Turniers. Es ist der Preis für die Rüstung, die ihm auf dein Fürwort hin von Kirgath Jairam leihweise überlassen worden ist. Ich will nu bloß wissen, wieviel ich für die Rüstung bezahlen soll.«
»Sagt ich es nicht, ein guter junger Mann ist es!« rief Isaak vergnügt. »Ein Becher Wein wird dir wohl nichts schaden,« setzte er hinzu und goß dem Schweinehirten einen Tropfen ein, wie ihn dieser noch nie so köstlich getrunken hatte. – »Und wieviel Geld,« fuhr er dann fort, »hat dir denn dein Herr mitgegeben?«
Gurth setzte den Becher hin.
»Heilige Jungfrau!« rief er. »Was für'n Göttertrank schlürfen diese ungläubigen Hunde, und echte Christen können sich kaum so dickes, trübes Bier leisten wie das Spülicht, das wir den Schweinen geben. – Wieviel Geld ich mitgekriegt habe?« fuhr er nach diesen unzarten Worten fort. – »Na, viel ist's gerade nicht, aber's wird wohl langen müssen.«
«Ja, ja, aber ..« antwortete der Jude, »dein Herr hat gewonnen wertvolle Rüstungen und edle Rosse mit der Kraft seines Armes und der Wucht seiner Lanze – ein guter, junger Mann! Der Jude will sie annehmen als Zahlung und herauszahlen den Überschuß.«
»Die hat mein Herr schon weggegeben,« erwiderte Gurth.
»Das ist nicht recht,« antwortete der Jude, »und töricht obendrein. Soviel Rüstungen und Pferde hat kein Christ kaufen können, und kein Jüd hätt bezahlt dafür den halben Preis, keiner als ich. Na, du hast gewiß hundert Zechinen im Beutel,« und er griff unter Gurths Mantel, »er ist schwer, dein Beutel.«
»Bolzenköpfe von meiner Armbrust hab ich drin,« versetzte Gurth rasch.
»Nu, wenn ich dir sage, daß ich fordere achtzig Zechinen für das seine Pferd und die seine Rüstung, und daß ich daran nicht einen einzigen Gulden Profit habe – reicht dann das Geld, das du mit hast?«
»Ausgerechnet,« versetzte Gurth, »aber mein Herr behält dann keinen Heller mehr. Da dies aber wohl dein letztes Gebot ist, so muß ich mich ja wohl drein geben.«
»Schenk dir noch einen Becher ein,« sagte der Jude, »aber fürwahr, achtzig Zechinen sind zu wenig. Nicht mal zu meinen Zinsen komm ich dabei – und am Ende hat das gute Pferd auch Schaden gelitten, denn es war ja ein gewaltiger Zweikampf. Sind die Menschen und die Pferde nicht aufeinander losgerannt wie die Stiere von Basan? Es kann gar nicht anders sein, das Pferd muß gelitten haben.«
»Und ich sage dir, es steht schon wieder in seinem Stall, gesund und mit heiler Haut, du kannst gehen und dirs anschauen. Siebzig Zechinen sind sattsam genug. Wenn du nicht mit siebzig zufrieden bist, dann trag ich den Beutel hier wieder zu meinem Herrn.«
Mit diesen Worten ließ er das Geld darin klimpern.
»Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Jude, »leg nur her die Summe, die achtzig Zechinen, und du sollst sehen, du sollst nicht leer ausgehen.«
Gurth gab nach, er zählte die achtzig Zechinen auf und bekam von Isaak die Quittung. Als der Jude die ersten siebzig Goldstücke einstrich, zitterte seine Hand vor Freude. Die letzten zehn zählte er langsam, nachdenklich, oft innehaltend und vor sich hinmurmelnd. Anscheinend lag eine bessere Regung im Zwiespalt mit seinem Geiz, er wollte gar zu gern Zechine auf Zechine in seinen Beutel tun, und doch hätte er auch gern seine Großmut gezeigt und dem Überbringer etwas gegeben. Als der Jude bei der letzten Zechine angelangt war, hielt er inne und sah die Münze an. Er wog sie auf dem Finger und ließ sie auf den Tisch fallen, daß sie klang. Wenn der Klang nicht rein gewesen wäre, so hätte vielleicht die Großmut über den Geiz gesiegt, aber zum Unglück für Gurth war der Klang voll und rein, die Münze war von neuer Prägung und hatte sogar ein Gran Übergewicht. Isaak konnte es nicht übers Herz bringen, sich von ihr zu trennen und warf sie wie aus Gedankenlosigkeit in seinen Beutel. »Achtzig ist eine runde Summe,« sagte er dabei, »ich denke, dein Herr wird dich schon belohnen und dir geben, was dir zukommt. Du hast,« setzte er hinzu, nach dem Beutel schielend, »sicher noch mehr Goldstücke da drinnen.«
Gurth grinste ihn breit an. »Nochmal soviel, wie du eben so behutsam gezählt hast, Itzig.«
Dann faltete er den Empfangsschein zusammen, legte ihn in seine Kapuze und sagte:
»Wehe deinem Barte, Mauschel, wenn das hier nicht stimmt.« Ohne auf eine Einladung zu warten, goß er sich noch einen dritten Becher Wein ein und verließ dann ohne Umstände das Zimmer.
»Rebekka,« sagte Isaak, »dieser Ismaelit hat mir einen argen Streich gespielt...« Aber er ward inne, daß seine Tochter hinausgegangen war.
Als Gurth sich draußen durch das Dunkel tastend den Weg suchte, erschien eine weiße Gestalt, die in der Hand eine silberne Lampe trug und winkte ihm, in ein Seitengemach zu treten. Gurth hatte aber wenig Lust, sich auf so etwas einzulassen. Wenn er auch, sobald es irdische Kräfte galt, rauh und wild wie ein Eber war, so hatte er doch die schwachen Seiten, die allen Sachsen charakteristisch waren. Vor weißen Frauen, Waldschratten, Wehrwölfen und all jenen Gespenstern, die sie aus ihren deutschen Wildnissen mitgebracht hatten, hegte er ein heiliges Grauen. Außerdem dachte er daran, daß er sich in einem jüdischen Hause befände, und diesem Volk wurden neben manchen unangenehmen Eigenschaften auch Zauberei und Hexenkünste zugeschrieben. Aber nach kurzer Pause faßte er sich doch ein Herz und trat in das Gemach. Hier stand der Schweinehirt vor Rebekka.
»Mein Vater hat nur seinen Spaß gemacht mit Euch, guter Mann,« sagte sie. »Er verdankt Euerm Herrn mehr, als diese Rüstung mitsamt dem Pferde wert ist, wäre ihr Wert auch zehnmal so hoch. Wieviel habt Ihr meinem Vater gegeben?«
»Achtzig Zechinen,« sagte Gurth, der nicht wußte, wie ihm geschah.
»Hier in diesem Beutel sind hundert,« sagte Rebekka. »Gebt Euerm Herrn sein Geld wieder und behaltet das übrige für Euch. Gebt acht, daß Ihr nicht durch die belebte Stadt geht. Leicht könntet Ihr dort Leben und Geld einbüßen.«
Als Gurth durch den finsteren Flur hinausstolperte, sagte er bei sich selber: »Nein, beim heiligen Dunstan! das ist keine Jüdin, das ist ein Engel des Himmels. Zehn Zechinen von meinem braven Herrn, zwanzig von dieser Perle Zions – ein Glückstag meiner Treu! Noch so ein Tag, und du kannst dich loskaufen von der Knechtschaft und frei werden wie der beste. Dann aber sag ich dem Schweinehirten Ade und lege Horn und Stab nieder und nehme das Schwert eines Freien und folge meinem jungen Herrn in den Tod. Da will ich aber meinen Namen und mein Gesicht' nicht verbergen.«
Neuntes Kapitel
Gurths nächtliche Abenteuer waren aber noch nicht zu Ende, und er kam selbst auf diesen Gedanken, nachdem er an ein oder zwei einsam stehenden Häusern, die an der Grenze des Dorfs lagen, vorübergegangen war und sich nun in einem tiefen Hohlwege befand, der mit Haselsträuchen und Hollunder überwachsen war.
Gurth beschleunigte seine Schritte, um in die offene Gegend zu gelangen. Aber als er am oberen Ende des Hohlweges angelangt war, wo das dichteste Gestrüpp stand, sprangen vier Männer auf ihn los und hielten ihn so fest, daß aller Widerstand umsonst gewesen wäre. – »Gib her, was du bei dir hast,« schrie einer, »wir sind die Empfänger des allgemeinen Reichtums, ein jeder muß uns seine Bürden geben.«
»Meine solltet ihr nicht so leicht kriegen,« murmelte Gurth, »könnt ich euch nur'n paar Püffe geben, um sie zu retten.«
»Das wollen wir gleich sehen,« sagte der Räuber, und zu seinen Gefährten redend, sprach er: »bringt den Schurken her, ich sehe, er will seinen Schädel eingeschlagen und seinen Beutel aufgeschnitten haben.«
Gurth wurde nach des Räubers Befehl fortgeschleppt und mußte seinen unfreundlichen Führern bis in die Tiefe des Gehölzes folgen; auf einmal machten sie in einem offenen Räume, der, nur in einiger Entfernung von Bäumen umkränzt, das volle Mondlicht in sich aufnahm, halt. Hier kamen noch zwei Männer zu den Räubern, die wahrscheinlich zur Bande gehörten. Sie hatten kurze Schwerter an der Seite und große Stöcke in den Händen, und Gurth bemerkte erst jetzt, daß alle sechs Larven trugen.
»Wie viel Geld hast du, Kerl?« fragte ihn einer von den Dieben.
»Dreißig Dukaten gehören mir,« erwiderte Gurth mürrisch.
»Verfallen, verfallen!« riefen die Räuber. »Ein Sachse hat dreißig Dukaten und kommt nüchtern aus einer Ortschaft? Sie sind uns unwiderruflich verfallen mit allem, was er sonst noch bei sich hat.«
»Ich sammelte sie mir, meine Freiheit damit zu erkaufen,« sagte Gurth.
»Du bist'n Esel,« erwiderte einer der Diebe, »drei Flaschen Doppelbier hätten dich ebenso frei gemacht wie deinen Herrn, und freier noch, wenn er ein Sachse ist wie du.«
»Leider wahr,« versetzte Gurth, »aber wenn mich dreißig Dukaten von euch loskaufen können, so gebt mir die Hände frei, und ich will sie euch bezahlen.«
»Halt,« sagte der eine, der bei den andern in Ansehn zu stehen schien, »dieser Beutel enthält, wie ich durch den Rock fühlen kann, mehr Gold, als du gesagt hast.«
»Das gehört dem guten Ritter, meinem Herrn,« antwortete Gurth; »gewiß hätt ich nicht ein Wort davon gesprochen, hättet ihr euern Willen an meinem Eigentum ausgeübt.«
»Du bist 'ne ehrliche Haut,« erwiderte der Räuber; »wir verehren den heiligen Nikolaus nicht so genau, und ich versichere dich, deine dreißig Dukaten werden dir bleiben, wenn du aufrichtig gegen uns bist. Einstweilen aber gib uns dein anvertrautes Gut in Verwahrsam.« Dies sagend, nahm er von Gurths Brust die breite lederne Tasche, darin der Beutel von Rebekka mit den übrigen Dukaten eingeschlossen war; dann fuhr er fort zu fragen:
»Wer ist dein Herr?«
»Der enterbte Ritter,« sagte Gurth.
»Dessen gute Lanze den Preis im letzten Turnier gewann? Wie ist sein Name und sein Stammbaum?«
»Das soll verborgen bleiben,« antwortete Gurth, »und von mir soll es wahrlich niemand erfahren.«
»Was ist dein eigener Name und deine Herkunft?«
»Wenn ich Euch das sagte,« erwiderte Gurth, »so würdet Ihr das Geheimnis meines Herrn erraten.«
»Du bist ein frecher Bursche,« sagte der Räuber; »doch davon nachher. Wie kommt dein Herr zu dem Gelde, hat er es ererbt oder sonst wo erworben?«
»Durch seine gute Lanze,« erwiderte Gurth. »Diese Beutel enthalten das Lösegeld für vier gute Pferde und vier gute Rüstungen.«
»Wieviel ist drin?« fragte der Räuber.
»Zweihundert Dukaten.«
»Nur zweihundert Dukaten?« fragte der Bandit. »Euer Herr ist freigebig mit Überwundenen umgegangen und hat ihnen ein geringes Lösegeld auferlegt. Wer hat das Geld bezahlt?«
Gurth nannte die Namen der besiegten Ritter.
»Was galten die Rüstung und die Pferde des Templers Brian de Vois-Guilbert an Lösegeld? Du siehst, betrügen kannst du mich nicht!«
»Mein Herr will vom Templer nichts haben als sein Herzblut,« erwiderte Gurth. »Sie haben sich auf den Tod herausgefordert und können in Güte kein Geschäft zusammen machen.«
»Wahrhaftig!« sagte der Räuber und schwieg eine Weile. »Und was tatest du zu Ashby mit einer solchen Summe?«
»Ich bezahlte den Isaak,« sagte der Sachse, »achtzig Dukaten – und er gab mir hundert dafür wieder.«
»Wie? Was?« riefen alle Räuber auf einmal, »darfst du uns zum besten haben, daß du solche unverschämte Lügen hervorbringst?«
»Was ich euch sage,« erwiderte Gurth, »ist so wahr, wie der Mond am Himmel steht. Ihr werdet die richtige Summe in einem seidenen Beutel finden, von dem übrigen Gold geschieden.«
»Besinne dich, Mann!« sagte der Kapitän, »du sprichst von einem Juden, von einem Israeliten, der so wenig Geld wiedergeben kann, als der trockene Sand der Wüste einen Becher Wasser, den der Wanderer drauf ausgießt.«
»In ihnen ist nicht mehr Barmherzigkeit,« sagte ein anderer Bandit, »als in einem unbestochenen Sheriff.«
»Es ist demungeachtet, wie ich euch sage,« erwiderte Gurth.
»Wacht gleich Licht an,« sagte der Hauptmann. »Ich will den Beutel untersuchen, und wenn es so ist, wie der Bursche behauptet, so ist dieses Juden Milde nicht viel weniger wunderbar als der Strom, der seine Väter in der Wüste tränkte.«
Es wurde Licht gebracht, und der Räuber fuhr fort, den Beutel zu untersuchen. Die andern drängten sich um ihn her, und zwei, die erst Gurth festhielten, ließen ihn los, weil sie ihre Hälse ausstreckten, um den Ausgang der Untersuchung mit anzusehen. Gurth machte sich durch schnelle Kraftanstrengung völlig von ihnen los und hätte sich davon machen können, wenn er seines Herrn Eigentum im Stich lassen wollte. Doch dies war keineswegs sein Wille. Er riß einem der Burschen seinen Knüttel weg, schlug den Hauptmann nieder, der sich dessen nicht versah, und hätte sich beinahe des Beutels und des Schatzes wieder bemächtigt, aber die Diebe waren auch sehr flink und wurden bald wieder Meister des Beutels und des treuen Gurth.
»Schelm,« sagte der Hauptmann aufstehend, »du hast mir den Kopf zerbeult, und mit andern Männern unsers Schlags würde deine Unverschämtheit schlecht ankommen. Allein du sollst gleich dein Schicksal wissen. – Erst laß uns von deinem Herrn reden, des Ritters Sache geht vor der des Knappen her, so will es die Ritterlichkeit. Steh still – wenn du dich regst, so machen wir dich für dein Lebelang ruhig. – Kameraden!« sagte er dann, zu seiner Bande gewandt, »dieser Beutel ist mit hebräischen Buchstaben gestickt, und wohl glaube ich, daß der Yeoman nicht lügt! Der irrende Ritter, sein Herr, muß bei uns ungeplündert frei ausgehen. Er ist uns zu ähnlich, um Beute von ihm zu nehmen, weil Hunde nicht Hunde beißen sollen, solange noch Wölfe und Füchse im Überfluß vorhanden sind.«
»Gleich uns?« sagte einer von der Bande. »Ich möchte wissen, wie das zugehen sollte!«
»Warum, du Narr?« antwortete der Hauptmann; »ist er denn nicht arm und enterbt wie wir? – Gewinnt er nicht sein Brot wie wir, mit der Schärfe des Schwertes? – Hat er nicht Front-de-Boeuf und Malvoisin geschlagen, wie wir ihn schlagen würden, wenn wir könnten? Ist er nicht auf Leben und Tod der Feind von Brian de Bois-Guilbert, den wir fürchten müssen? Und wenn dies alles nicht wäre, sollten wir denn ein schlechteres Gewissen zeigen als der ungläubige Jude?«
»Nein! das wäre eine Schande,« murmelte der andere Kerl; »und doch, als ich unter der Bande des tapfern alten Gaudelyn diente, hatten wir keine solchen Gewissenszweifel. Und dieser grobe Bauer – ihr sollt es sehen, der geht prügelfrei aus.«
»Nicht, wenn du ihn prügeln kannst,« rief der Hauptmann. »Hier, Kerl!« sagte er zu Gurth, »kannst du den Stock gebrauchen, daß du so darauf hinstarrst?«
»Ich denke,« sagte Gurth; »denn auf diese Frage könntest du wohl am besten Antwort geben.«
»Nu wahrlich! du gabst mir'n tüchtigen Schlag,« erwiderte der Hauptmann; »tue diesem Kerl ebensoviel, und du sollst ganz frei ausgehen. Kannst du's nicht, nu wahrlich, da du ein so handfester Kerl bist, so muß ich wohl selbst dein Lösegeld bezahlen. Nimm deinen Stock, Müller,« fügte er hinzu, »und wahre deinen Kopf, und ihr andern, laßt den Burschen gehen und gebt ihm einen Stock; hier ist Licht genug, um aufeinander los zu schlagen.«
Beide Kämpfer, mit Stöcken bewaffnet, traten hierauf in den Mittelpunkt des offenen Raumes, um das volle Mondlicht zu benutzen. Die Diebe lachten und schrieen zugleich ihrem Kameraden zu: »Müller, nimm deinen Zollstock in acht!« Der Müller auf der andern Seite hielt seinen Knüttel in der Mitte fest und schwang ihn rund um den Kopf, auf die Art, die die Franzosen Moulinet nennen, dazu rief er trotzig: »Komm ran, Schurke, wenn du's wagst; du sollst die Stärke von Müllers Daumen fühlen.«
»Wenn du'n Müller bist,« antwortete Gurth, »so bist du auch gewiß 'n Schurke,« und schwang mit derselben Geschwindigkeit seine Waffe um sein Haupt. »Du bist ein doppelter Dieb, und ich als ehrlicher Mann biete dir Trotz.«
Mit diesen Worten rannten die beiden Kämpfer gegen einander, und einige Minuten lang zeigten sie gleiche Stärke, Mut und Gewandtheit, die Streiche ihres Gegners mit der größten Geschwindigkeit auffangend und zurückgebend, während sich das beständige Zusammenschlagen ihrer Waffen so anhörte, als ob wenigstens sechs Männer miteinander im Streite wären. Sie fochten lange mit gleichem Glück, aber Müller kam aus der Fassung, weil er einen so starken Gegner fand, und auch durch das Gelächter seiner Gefährten, die sich über seine Verlegenheit belustigten, während Gurth, dessen Gemüt ruhig, obgleich unfreundlich war, dadurch bald ein entschiedenes Übergewicht erhielt.
Müller drang wütend auf ihn ein, mit beiden Enden seines Stockes Schläge austeilend; er strebte danach, in halben Stockes Weite zu kommen, während Gurth sich selbst gegen den Angriff verteidigte. Eine Elle weit hielt ihn Gurth von sich entfernt und schützte mit seiner Waffe sehr geschickt Kopf und Körper; so behielt er die Defensive und hielt Auge, Fuß und Hand im richtigen Takt, bis er gewahrte, daß sein Gegner außer Atem sei, und nun zielte er mit aller Stärke, den Stab in der linken Hand, nach dessen Gesicht. Müller wollte dem Schlage begegnen, da ließ Gurth die rechte Hand auf die linke fallen, und mit der ganzen Gewalt seiner Waffe traf er ihn dergestalt an die linke Seite des Kopfes, daß er der Länge nach auf den grünen Nasen niederfiel.
»Brav! ein echter Yeomansschlag!« schrieen die Räuber. »Hoch lebe guter Streit und Altengland! Der Sachse hat sowohl seinen Beutel, als seine Haut gerettet, und der Müller hat seinen Mann gefunden.«
»Du kannst nu deiner Wege gehen, mein Freund,« sagte der Hauptmann zu Gurth, um die allgemeine Stimme zu bestätigen. »Zwei von meinen Kameraden sollen dich auf dem besten Wege zu deines Herrn Zelt geleiten, um dich vor Nachtwandlern zu bewahren, die ein weniger zartes Gewissen haben könnten als wir; es gibt deren viele auf dem Weg in einer solchen Nacht. Bedenke,« fügte er ernst hinzu, »daß du uns versagt hast, deinen Namen zu nennen, darum frage nicht nach den unsrigen, noch bemühe dich zu entdecken, wer wir sind. Wenn du einen solchen Versuch machst, so wird dich ärgeres Unglück treffen als je zuvor.«
Gurth dankte dem Hauptmann für seine Höflichkeit und versprach, seinem Rate zu folgen. Zwei der Räuber nahmen ihre Stöcke und sagten, Gurth soll ihnen auf dem Fuße folgen; sie gingen auf einem Fußsteig durch das Dickicht fort und durch das angrenzende Tal. Am Ausgang des Pfades trafen zwei Männer auf Gurths Führer, diese sagten ihnen einige Worte und gingen vorüber. Dieser Umstand veranlaßte Gurth zu glauben, die Bande sei sehr zahlreich und halte regelmäßig aufgestellte Wachen rings um ihre Versammlungsplätze. Als sie in die offene Heide kamen, wo Gurth Mühe gehabt haben würde, seinen Weg zu finden, geleiteten ihn die Diebe zu der Höhe eines kleinen Hügels, von wo aus er im Mondlicht die Pfähle der Schranken mit den glänzenden Zelten an ihrem Ende schimmern sah; ihre Wimpel und Flaggen flatterten im Mondlicht und die Gesänge, womit die Schildwachen ihre Nacht kürzten, schlugen an sein Ohr. Hier machten die Diebe Halt.
»Wir gehen nicht weiter mit,« sagten sie; »es würde gefährlich für uns sein. – Gedenke der Warnung, die du erhalten hast; halte geheim, was dir diese Nacht begegnet ist und du wirst keine Ursache haben, es zu bereuen. Vernachlässige nicht, was dir gesagt worden ist, sonst könnte dich selbst der Tower zu London nicht vor unserer Rache schützen.«
»Gute Nacht, gütige Herren,« sagte Gurth. »Ich werde an eure Befehle denken und tue nichts Böses, wenn ich euch ein ehrenvolles und sicheres Gewerbe wünsche.«
So schieden sie. Die Räuber gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren und Gurth schritt nach dem Zelt seines Herrn zu, dem er, trotz dem erhaltenen Verbote, die Begebenheiten dieser Nacht mitteilte. Der enterbte Ritter war erstaunt, sowohl über Rebekkas Großmut, als auch über die der Räuber, da solches ihrem Gewerbe ganz fremd war. Seine Betrachtungen über diese sonderbaren Umstände wurden indessen durch die Notwendigkeit unterbrochen, sich Ruhe zu gönnen, die die Anstrengung des vergangenen Tages und die für morgen nötige Kraft erheischte. Der Ritter streckte sich also auf ein weiches Lager nieder, das im Zelt war; der treue Gurth legte seine abgehärteten Glieder auf eine Bärenhaut, die eine Art Teppich des Zeltes ausmachte. – Er wählte seine Lagerstelle quer vor der Türe, damit niemand hereintreten konnte, ohne ihn aufzuwecken.
Zehntes Kapitel
In wolkenloser Klarheit brach der neue Morgen an. Die Sonne stand noch nicht weit über dem Horizont, da war auch schon der faulste wie der lebendigste Zuschauer unterwegs, um sich einen guten Platz zu sichern. Die Marschälle und die Herolde waren die ersten auf dem Platze, um die Namen der Ritter, die sich zum Turnier meldeten, aufzuschreiben und zu vermerken, bei welcher Partei die einzelnen zu fechten wünschten. Den Vorschriften gemäß war der enterbte Ritter der Führer der einen und Bois-Guilbert, als zweiter Sieger des vorigen Tages, der Führer der andern Partei. Die Herausforderer waren alle aus seiner Partei, bis auf Ralph de Vipont, der infolge seines Sturzes unfähig war, Waffen zu tragen. Obgleich die Waffengänge zu Parteien eigentlich gefährlicher waren als die einzelnen Zweikämpfe, so wurden sie doch zahlreicher besucht und waren bei der damaligen Ritterschaft weit beliebter. An diesem Tage waren wohl fünfzig Ritter für jede Partei eingeschrieben, und die Marschälle erklärten, daß niemand mehr zugelassen werden könne – zum größten Unwillen derer, die zu spät kamen. Gegen zehn Uhr war die Ebene rings von Reitern, Reiterinnen und Fußgängern bedeckt, die alle zum Turnier eilten. Kurz darauf kündete ein Trompetenstoß die Ankunft des Prinzen Johann und seines Gefolges an.
Um diese Zeit kam auch Cedric der Sachse mit Lady Rowena, aber Athelstane war nicht bei ihnen. Dieser Baron hatte seine lange und starke Person in eine Rüstung gezwängt, denn er wollte mitkämpfen, und zwar zur größten Verwunderung Cedrics auf der Seite Brians de Bois-Guilbert. Er hatte ihm freilich nachdrücklich vorgehalten, wie unpassend diese Wahl sei, aber Athelstane hatte mit Ausflüchten geantwortet und seinen eigentlichen und einzigen Grund wohlweislich für sich behalten. Obgleich er bei seiner apathischen Natur nicht der Mann dazu war, auf Lady Rowena einen angenehmen Eindruck zu machen, so war er doch nichts weniger als unempfindlich für ihre Reize, und es war für ihn schon ganz außer Zweifel, daß sie seine Gattin würde, da er die Einwilligung Cedrics und ihrer anderen Anverwandten hatte. Es hatte ihn daher mit schwer verhohlenem Unwillen erfüllt, daß der Sieger des vorigen Tages seiner Braut eine Auszeichnung erwies, die zu verleihen seiner Meinung nach nur er berechtigt war. Um nun den fremden Ritter für einen solchen Eingriff in seine Gerechtsame zu strafen, wollte Athelstane voller Zuversicht auf seine Körperkraft und Waffentüchtigkeit, von denen seine Schmeichler viel Rühmens machten, nicht nur der Partei des enterbten Ritters seine schätzenswerte Hilfe entziehen, sondern auch ihren Führer die Wucht seiner Streitaxt fühlen lassen.
Mehrere Ritter aus dem Gefolge des Prinzen Johann hatten sich auf einen Wink von ihm zur Partei der Herausforderer gemeldet, und der Prinz wünschte dieser Partei zum Siege zu verhelfen. Andererseits hatten aber auch viele normannische wie englische Ritter die Partei des Enterbten ergriffen. Als Prinz Johann die ernannte Königin des Tages am Platze anlangen sah, zeigte er jene Galanterie, die ihm so gut stand. Er ritt ihr entgegen, nahm sein Barett ab, stieg vom Pferde und half der Lady aus dem Sattel. Sein Gefolge entblößte gleichzeitig das Haupt, und der oberste darunter stieg vom Pferde und hielt den Zelter der Dame.
»So,« sagte der Prinz, »erweisen wir der Königin der Minne und des Liebreizes die schuldige Ehrerbietung und führen sie in eigener Person zum Throne, der für sie bereitet ist. – Ladies,« setzte er hinzu, »folgt Eurer Königin, wenn ihr selber einmal gleicher Ehre teilhaftig werden wollt.«
Mit diesen Worten führte der Prinz Lady Rowena feierlich zu dem Ehrenplatze, während sich die schönsten und vornehmsten Damen herzudrängten, um möglichst nah bei ihrer jetzigen Königin zu sitzen. Kaum hatte Rowena Platz genommen, so ertönte laute Musik ihr zum Gruße, und die Sonne schien hell und funkelnd auf die blanken Waffen der Ritter beider Parteien.
Nun geboten die Herolde Ruhe, denn die Bestimmungen des Turniers wurden verlesen. Diese waren in der Hauptsache auf die Verringerung der Gefahren des Kampfes berechnet, denn dieses Turnier wurde mit scharfen Waffen ausgefochten. Es war den Streitern untersagt, Schwertstöße zu tun, nur der Hieb war gestattet. Kolben und Streitaxt waren zulässig, dagegen Dolche verboten. Wer vom Pferde geworfen worden war, konnte zu Fuß weiter kämpfen, doch auch nur gegen einen Gegner zu Fuß, berittene Gegner durften ihn nicht mehr angreifen. Wurde ein Ritter bis ans äußerste Ende der Schranken gedrängt, so daß er mit dem Pferd oder den Waffen das Holzwerk berührte, so galt er für besiegt, und sein Pferd und seine Rüstung waren dem Sieger verfallen. Wer auf diese Weise überwunden worden war, blieb von weiterer Teilnahme am Turnier ausgeschlossen. War ein Ritter zu Boden gefallen, so durfte ihn sein Knappe aus den Schranken tragen, er galt dann aber für geschlagen, und Rüstung und Pferd waren verfallen. Sobald Prinz Johann den Stab senken würde, sollte der Kampf ein Ende nehmen.
Dies war eine wohlangebrachte Vorsichtsmaßregel, um bei der langen Dauer des so gefährlichen Spieles das unnütze Blutvergießen zu vermeiden. Wer gegen die Gesetze des Turniers oder der Ritterlichkeit verstieß, sollte der Rüstung beraubt und mit verkehrtem Schild auf den Rand der Pallisaden gesetzt werden, zum öffentlichen Gespött wegen seines unritterlichen Benehmens. Den Schluß dieser Bekanntmachung bildete die Ermahnung, jeder edle Ritter solle seine Schuldigkeit tun, um sich die Gunst der Königin des Liebreizes und der Minne zu erwerben. Dann zogen sich die Herolde auf ihre Plätze zurück, und die Ritter kamen in langen Zügen in die Schranken und stellten sich in Doppelreihen einander gegenüber auf, der Führer jeder Partei hatte den Mittelplatz der vorderen Reihe inne.
Es war ein schöner und doch etwas beklemmender Anblick, so manchen tapferen, wohlgerüsteten Streiter ein so gefahrvolles Spiel beginnen zu sehen. Sie saßen in ihren Sätteln wie aus Eisen und warteten auf das Signal zum Beginn ebenso ungeduldig wie die feurigen Rosse, die den Boden mit den Hufen zerwühlten. Die Ritter hielten die Lanzen senkrecht, deren Spitzen im Sonnenlichte gleißten, das Gefieder der Helme und die zierlichen Fähnlein wehten im Winde. Die Marschälle musterten die Reihen, ob nicht eine von ihnen mehr oder weniger als die festgesetzte Anzahl hätte. Als alles für richtig befunden worden war, verließen die Marschälle die Schranken, und William de Wywil rief mit Donnerstimme die Worte für das Signal: Laisser aller! Und mit einem Schlage senkten sich die Lanzen der Ritter, sie drückten die Sporen in die Weichen ihrer Rosse, und die beiden vorderen Reihen der Parteien stürzten in vollem Galopp aufeinander los und prasselten in der Mitte des Platzes aufeinander mit einem Krach, daß man es sehr weit vernehmen konnte. Es ließ sich nicht sofort übersehen, wie dieser Zusammenstoß abgelaufen war. Die Pferde hatten eine Staubwolke aufgewirbelt, die die Luft verfinsterte, es verging wohl eine Minute, ehe die hochgespannten Zuschauer erkennen konnten, welchen Ausgang der Zweikampf hatte.
Auf jeder Partei war etwa die Hälfte der Kämpen vom Pferde gestürzt, einige lagen am Boden, als hätten sie für immer das Aufstehen vergessen, einige hatten sich bereits wieder aufgerafft und standen ihren Gegnern Brust gegen Brust gegenüber. Zwei oder drei waren verletzt und suchten das strömende Blut mit den Schärpen zu stillen und aus dem Wirrwarr zu entrinnen. Die Streiter, die sich zu Roß gehalten hatten, und deren Lanzen in der Wucht des ersten Anpralls allesamt zersplittert waren, fochten nun hitzigen Schwerterkampf miteinander, ließen ihr Kriegsgeschrei erschallen und schlugen aufeinander los, als hinge Ehre und Leben vom Ausgange des Straußes ab. Der Tumult steigerte sich nun noch, denn von jeder Partei nahm die zweite Reihe jetzt an dem Gefechte teil, den Bedrängten zu Hilfe kommend. Die Genossen Brians de Bois-Guilbert riefen: »Für den Tempel! für den Tempel!« Die Gegenpartei hatte die Devise auf dem Schilde ihres Führers zu ihrem Schlachtgeschrei gemacht und rief: »Desdichado! Desdichado!«
Mit größtem Ingrimm und wechselndem Glücke rannten die Kämpfer aufeinander los, das Feld schien sich bald nach dem nördlichen, bald nach dem südlichen Ende der Schranken hinzuziehen, je nachdem ob die eine oder die andere Partei im Vorteil war. In das Geschmetter der Trompeten mischte sich jetzt in furchtbarem Getöse das Krachen der Hiebe und das Geschrei der Streiter und übertönte das Ächzen derer, die stürzten, und derer, die hilflos unter den Pferden lagen. Mit Blut und Staub waren jetzt die glänzenden Rüstungen bedeckt, die Axt- und Schwertstreiche spalteten die Fugen, und das prunkende Gefieder der Helmbüsche flog zerpflückt und zerzaust wie Schneeflocken umher. Alle Schönheit und Anmut des kriegerischen Anblickes war geschwunden, und nichts mehr war zu schauen als Roheit und Grausen, die das Herz vor Entsetzen und Erbarmen erschaudern machen mußten. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß, und nicht nur die Zuschauer der geringeren Klassen, die ja gewöhnlich aufregende Schauspiele lieben, verfolgten den Gang des Kampfes mit Interesse, sondern auch die Damen auf den Tribünen wandten den Blick nicht von dem erschütternden Bilde ab. Hin und wieder wurde wohl eine zarte Wange bleich oder ein Schrei ertönte, dann war ein Geliebter oder ein Bruder oder ein Ehegatte hingestreckt worden. Im allgemeinen aber spornten die Damen die Streiter sogar noch an, durch Händeklatschen oder den Zuruf: »Tapfere Lanze! Gutes Schwert!«
Noch energischer äußerte sich der Anteil der Männer, denn bei jedem Wechsel des Kampfes erscholl lauter Beifall, und die Augen waren an die Schranken festgebannt. In jeder Pause, die für kurze Augenblicke entstand, hörte man die Herolde rufen:
»Kämpft, wackere Ritter! Es stirbt der Mensch, es lebt der Ruhm! – Auf und streitet weiter! – Lieber gestorben, als unterlegen! Streitet mit Mut und Kraft! – Schöne Augen blicken auf Eure Taten!«
Elftes Kapitel
Erst als sich das Feld auf beiden Seiten zu lichten begann, trafen der Templer und der Enterbte aufeinander. Bisher hatte jeder einzelne wohl große Taten der Tapferkeit verrichtet, aber sie waren immer wieder voneinander getrennt worden, indem andere auf sie eindrängten, denn jeder suchte eine Ehre darin, sich mit dem Führer der feindlichen Partei zu messen, auch war es bekannt, daß der Fall des Führers gleichbedeutend mit der Niederlage der ganzen Partei war; indessen hatten die beiden noch keinen Gegner gefunden, der ihnen gewachsen gewesen wäre. Die Wut tödlichen Hasses, das brennende Verlangen, mit Ehren aus dem Zweikampf hervorzugehen, gestaltete ihren Kampf zum Höhepunkt des nervenerregenden Schauspiels, und das Volk, das über so große Kraft und Gewandtheit zugleich erstaunt und entzückt war, jubelte in einem Beifall, der nicht enden zu wollen schien. Die Partei des Enterbten war im Nachteil. Der Riesenarm Front-de-Boeufs und die wuchtige Stärke Athelstanes warfen alles um sich her zu Boden. Als sie ihre Gegner bezwungen hatten, schien es ihnen beiden gleichzeitig einzufallen, daß sie den Sieg für ihre Partei entscheiden könnten, wenn sie dem Templer, der mit seinem Rivalen im Zweikampf lag, zu Hilfe eilten. Zu gleicher Zeit warfen sie ihre Pferde herum. Der Normann sprengte von der einen, der Sachse von der anderen Seite herzu. Unmöglich hätte der von solcher Übermacht Angegriffene Widerstand leisten können, wenn ihn nicht ein allgemeiner Aufschrei des Publikums gewarnt hätte, das seine Entrüstung über so ungleichen Kampf nicht verbergen konnte.
Der drohenden Gefahr inne werdend, versetzte der Ritter dem Templer einen gewaltigen Stoß, riß sein Roß zurück und wich so dem Anprall der beiden neuen Gegner aus. Indessen war damit nur für einen Augenblick Hilfe geschaffen, und wenn der Enterbte nicht ein so schnelles und kraftvolles Pferd gehabt hätte, so wäre er schon jetzt verloren gewesen. Die Vorzüge dieses Tieres kamen ihm umsomehr zu statten, als das Pferd Bois-Guilberts verwundet war und die Rosse Athelstanes und Front-de-Boeufs unter der Last ihrer gigantischen Reiter, die beide in voller Rüstung waren, zu versagen drohten. So entsprachen einander die bewundernswerte Reitkunst des Enterbten und die edle Kraft des Pferdes, und der Ritter vermochte eine Zeitlang seine drei Gegner von sich abzuhalten. Flink wie ein Falke wandte er sich bald gegen den einen, bald gegen den anderen.
Unausgesetzt hallte die Luft vom Beifall wider, aber es war doch unausbleiblich, daß der Enterbte der Übermacht schließlich erliegen mußte, und die Herren um den Prinzen verlangten einstimmig, daß Johann den Stab senken solle, dem so tapferen Ritter die Schmach einer unverdienten Niederlage zu ersparen.
»Fällt mir nicht ein, beim Lichte des Himmels!« versetzte der Prinz, »dieser hergelaufene Ritter, der seinen Namen verhehlt, hat schon einen Preis gewonnen, nun mögen die anderen an die Reihe kommen.«
Kaum hatte er dies gesagt, so änderte ein unvorhergesehener Vorfall den Ausgang des Tages. Unter den Reihen der Enterbten war ein Ritter in schwarzer Rüstung, mit schwarzem Pferde, breitschultrig, hochgewachsen, und allem Anschein nach kraftvoll und stark. Dieser Ritter, der auf seinem Schilde keine Devise trug, hatte bisher geringe Teilnahme an dem Ausgange des Kampfes bekundet. Die Ritter, die ihm entgegengetreten waren, hatte er mit Leichtigkeit niedergeworfen, aber er hatte seinen Vorteil nie ausgenutzt und keinen Gegner selber angegriffen. Er schien sich selber mehr als einen Zuschauer zu betrachten, daher hatte ihm auch das Publikum sofort den Beinamen gegeben: Le Noir-Fainéant, der schwarze Faulpelz. Aber mit einem Male schien diesen Ritter die Teilnahmlosigkeit zu verlassen; als er den Anführer seiner Partei so hart bedrängt sah, gab er seinem fast noch völlig frischen Pferde die Sporen. Wie ein Donnerkeil flog er heran. Aus seinem Munde klang hell wie Trompetenstoß der Ruf: »Desdichado, ich bringe Hilfe!«
Es war die höchste Zeit, denn während der Enterbte den Templer angriff, kam Front-de-Boeuf mit erhobenem Schwerte auf ihn los. Ehe aber der Hieb herniedersauste, traf ihn der schwarze Ritter, und Front-de-Boeuf mitsamt seinem Pferde stürzte zu Boden. Der Noir-Fainéant warf sofort sein Roß herum und griff Athelstane von Conningsburgh an. Da er im Kampf mit Front-de-Boeuf sein Schwert zerbrochen hatte, entriß er dem Sachsen die Streitaxt und versetzte dem ungeschlachten Riesen einen solchen Schlag, daß er bewußtlos zu Boden stürzte. Als der schwarze Faulpelz diese Tat vollbracht hatte, verfiel er wieder in seine alte Trägheit, und langsam nach dem nördlichen Ende der Schranken zurückreitend, überließ er es dem Führer seiner Partei, allein mit Bois-Guilbert fertig zu werden. Das war nun nicht mehr schwer. Das Pferd des Templers hatte viel Blut verloren und sank unter dem nächsten Stoße des Enterbten zu Boden. Im Steigbügel verwickelt, vermochte der Templer nicht, sich unter seinem Pferd hervorzuarbeiten. Sein Gegner sprang ab und befahl dem Templer, sich zu ergeben – da senkte Prinz Johann den Stab, rascher bereit, dem Templer die Kränkung, sich für überwunden zu erklären, zu ersparen als früher dem Enterbten – und somit war das Zeichen zur Beendigung des Turniers gegeben. Die Knappen, die nur mit Mühe und Gefahr während des Kampfes ihren Herren hatten beistehen können, eilten jetzt in die Schranken und brachten den Verwundeten Hilfe, die nun behutsam und mit Sorge in die nahen Zelte getragen wurden oder in die Wohnungen der nächsten Ortschaft.
Und so war denn das berühmte Turnier von Ashby de la Zouche vorüber – eines der größten Waffenfeste jener Zeit, denn wenn auch nur vier Ritter tot auf dem Platze geblieben waren, von denen einer durch das Gewicht seiner Rüstung erdrückt worden war, so waren doch etwa dreißig schwer verletzt, von denen etwa fünf nie wieder genasen. Einige blieben Krüppel zeit ihres Lebens, einige wurden zwar wieder gesund, behielten aber bis zum Tode die Male dieses Kampfes an ihrem Leibe.
Nun war es die Pflicht des Prinzen, den Ritter zu ernennen, der an diesem zweiten Tage am tapfersten gekämpft hatte. Er sprach den Preis dem Ritter zu, den das Publikum den schwarzen Faulpelz genannt hatte. Es wurde dagegen eingewendet, daß eigentlich der Enterbte der Sieger sei, denn er habe mit eigener Hand fünf Kämpfer niedergeworfen und zuletzt noch den Führer der Gegenpartei besiegt, aber Prinz Johann blieb bei seiner Entscheidung. Er meinte, der Enterbte und seine Partei hätten verloren, wenn ihm nicht der Ritter in der schwarzen Rüstung zu Hilfe gekommen wäre, daher gebühre ihm der Preis. Zur allgemeinen Verwunderung aber stellte es sich heraus, daß der Noir-Fainéant verschwunden war. Gleich nach dem Schlusse des Turniers hatte er die Schranken verlassen, und einige aus dem Publikum hatten ihn in eine der Lichtungen im Walde hinabreiten sehen mit eben jener Nachlässigkeit und Gemächlichkeit, die ihm den Beinamen schwarzer Faulpelz eingetragen hatte. Zweimal wurde er durch Trompetenstoß und Heroldsruf aufgefordert, zurückzukehren, da er dennoch nicht erschien, mußte ein anderer ernannt werden, und es blieb nun dem Prinzen Johann nichts weiter übrig, er mußte dem enterbten Ritter den Preis zusprechen. Der Boden, über den die Marschälle den Sieger zu den Füßen des Prinzen führten, war von Blut getränkt und bedeckt von toten Rittern und Pferdekadavern und übersät mit zerbrochenen Waffen und Lanzensplittern.
»Enterbter Ritter,« sprach Prinz Johann ihn an, »denn dies ist der einzige Name, bei dem wir Euch nennen können, Ihr selber wollt es ja nicht anders, zum zweitenmal sprechen wir Euch die Ehre des Turniers und das Recht zu, den so wohlverdienten Ehrenkranz aus den Händen der Königin der Minne und des Liebreizes zu empfangen.« Der Ritter verneigte sich tief, gab aber keine Antwort. Laut schmetterten die Trompeten, die Herolde riefen: »Ehre dem Tapferen! Ruhm dem Sieger!«, die Damen winkten mit Tüchern und Schleiern, während die Marschälle den Enterbten zum Ehrenthrone geleiteten, auf dem Lady Rowena saß, und auf den untersten Stufen mußte der Sieger niederknien.
Voll Anmut und Majestät stieg Rowena von ihrem Throne hernieder und wollte eben den Kranz, den sie in der Hand hatte, auf den Helm des Knienden setzen, als die Marschälle riefen: »Nicht so! Sein Haupt muß unbedeckt sein!« Der Ritter murmelte ein paar Worte, die unverstanden in der Wölbung seines Helmes verklangen. Er hatte wohl den Wunsch äußern wollen, daß man ihm nicht das Haupt entblößen möge. Aber ob es die Vorschrift erheischte, oder ob es die Marschälle aus Neugierde taten, sie achteten nicht seines Sträubens und nahmen dem Ritter den Helm ab, und da zeigte sich das sonnverbrannte, doch hübsche Gesicht eines etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes mit kurzem, vollem Haar. Er war bleich wie der Tod, sein Antlitz war an mehreren Stellen von Blut bedeckt. Kaum sah Rowena sein Gesicht, so stieß sie einen Schrei aus, aber sie faßte sich sogleich wieder, und obwohl sie unter der jähen Erschütterung am ganzen Leibe bebte, drückte sie doch dem Sieger auf das zur Erde gesenkte Haupt den Kranz und sprach mit klarer, deutlicher Stimme die Worte:
»Herr Ritter, ich kröne Euch mit diesem Kranze, dem Preise der Tapferkeit, der dem Sieger dieses Tages zukommt, und« – setzte sie fest und bestimmt hinzu – »noch nie ward eine dessen würdigere Stirn mit einem Ritterkranz geziert.«
Der Ritter küßte der Königin der Minne und des Liebreizes die Hand, die ihm eben den Lohn seiner Tapferkeit gegeben hatte, und plötzlich sank er in sich zusammen und lag zu ihren Füßen. Es war der Ritter Ivanhoe! Die Bestürzung war allgemein. Cedric, der bei dem unvermuteten Anblick seines verbannten Sohnes verstummte, eilte herbei, um ihn von Rowena wegzubringen. Das hatten aber bereits die Marschälle getan, die die Ursache der plötzlichen Ohnmacht Ivanhoes errieten und ihn in aller Eile von seiner Rüstung befreiten. Als dies geschehen war, fanden sie, daß ihm eine Lanze den Brustharnisch durchbohrt hatte. Ivanhoe hatte eine tiefe Wunde in der Seite.
Der Name Ivanhoe war kaum ausgesprochen worden, so flog er von Munde zu Mund. Er drang auch in den Kreis des Prinzen, dessen Stirn sich bei dieser Kunde verdüsterte. Er aber sah höhnisch um sich und jagte: »Mylords, und besonders Ihr, Herr Prior, was denkt Ihr über die Ansichten der Gelehrten von angeborener Sympathie und Antipathie? – Mir ist, als hätte mirs eine innere Stimme gesagt, daß es der Liebling meines Bruders wäre, noch ehe ich ahnen konnte, daß er in dieser Rüstung steckte.«
»Front-de-Boeuf wird nun wohl das Lehen an Ivanhoe zurückgeben müssen,« sagte Ritter Bracy.
»Jawohl,« setzte Waldemar Fitzurse hinzu, »dieser Tapfere wird nun das Schloß und Lehensgut, das er von Richard hat und das Eure Hoheit Front-de-Boeuf übertragen hat, wieder für sich beanspruchen.«
»Front-de-Boeuf wird die Lehensherrschaft Ivanhoe nicht wieder abtreten,« antwortete Prinz Johann, »und außerdem hoffe ich, ist unter Euch, Sirs, nicht einer, der mir das Recht streitig macht, die Lehnsgüter der Krone an meine treuen Diener zu verteilen.«
Waldemar Fitzurse war inzwischen dorthin geeilt, wo Ivanhoe gefallen war. »Der Tapfere,« sagte er, als er wiederkam, »wird voraussichtlich die Ruhe Eurer Hoheit nicht stören und Front-de-Boeuf wird im Besitze seines Lehens bleiben können, denn Ivanhoe ist sehr schwer verwundet.«
»Wie es auch um ihn stehen mag,« sagte Prinz Johann, »er ist der Sieger des Tages, und wäre er zehnmal unser Feind oder der ergebenste Freund meines Bruders – was auf eins herauskommt – seine Wunden sollen verbunden werden, unser eigener Leibarzt soll ihn pflegen.« Bei diesen Worten umspielte ein herbes Lächeln die Lippen des Prinzen. Waldemar Fitzurse antwortete schnell, Ivanhoe sei bereits aus den Schranken hinausgebracht worden und in der Obhut seiner Freunde.
»Der Schmerz der Lady Rowena hat mich gerührt,« setzte er hinzu. »Sie hat ihren Gram so wacker unterdrückt, daß man nur an ihren tränenlosen Augen, die starr an dem Ohnmächtigen zu ihren Füßen hingen, ablesen konnte, was sie litt.«
»Wer ist diese Rowena?« fragte Johann.
»Eine sächsische Erbin von großem Reichtum,« beeilte sich Prior Aymer zu erwidern, »eine Rose des Liebreizes und ein Juwel des Reichtums, die schönste unter Tausenden.«
»Ihr Herzeleid soll gelindert werden,« sagte Prinz Johann, »und ihr Blut soll verbessert werden, indem wir sie mit einem Normannen verheiraten. Sagt unserem Seneschall, er soll die Lady Rowena und ihre ganze Sippe mitsamt ihrem Bewacher, dem groben sächsischen Bauern, den der schwarze Ritter heute im Turnier niedergeworfen hat, zum Festessen auf diesen Abend einladen.«
Prinz Johann wollte nach diesen Worten eben das Zeichen geben, daß der Platz von allem Volk geräumt werden solle, da wurde ihm ein kleiner Zettel in die Hand gesteckt.
»Woher?« fragte der Prinz, die Person musternd, die ihn überbracht hatte.
»Weither, Hoheit,« war die Antwort, »aber woher, weiß ich nicht. Ein Franke hat es gebracht, der sagte, er sei Tag und Nacht gereist, um diesen Zettel in die Hände Eurer Hoheit zu legen.« Prinz Johann nahm den Zettel, sah nach der Unterschrift und dann nach dem Siegel, auf dem er drei Lilien erblickte. Mit sichtlicher Erregung brach er es auf und las nun nichts als die Worte: »Seid auf der Hut, der Teufel ist los!«
Der Prinz wurde totenblaß, er sah zur Erde, dann gen Himmel, wie einer, dem eben das Todesurteil gesprochen wird. Als sich der erste Schreck gelegt hatte, nahm er Waldemar Fitzurse und den Ritter Bracy zur Seite und ließ beide die geheimnisvolle Botschaft lesen.
»Das ist blinder Alarm oder eine Mystifikation,« sagte Bracy.
»Es ist Frankreichs Siegel,« antwortete der Prinz.
»So ist es denn auch an der Zeit,« sprach Fitzurse, »unsere Partei zusammenzuziehen, bei York oder sonst welchem Stelldichein. In ein paar Tagen schon ist es vielleicht zu spät. Eure Hoheit muß das Possenspiel hier aufs schleunigste abbrechen.«
»Das Landvolk darf nicht unbefriedigt nach Hause geschickt werden,« wandte Johann ein, »es hat bis jetzt von den Festlichkeiten noch wenig gehabt.«
»Der Tag ist noch nicht vorüber,« sagte Fitzurse. »Laßt die Bogenschützen ein paarmal nach der Scheibe schießen und verteilt einen Preis dabei, damit ist das prinzliche Versprechen gegenüber einer Herde sächsischer Leibeigener sattsam erfüllt.«
»Habt Dank, Waldemar,« versetzte der Prinz. »Ihr erinnert uns an den dreisten Prahlhans von Yeoman, der sich gestern so unverschämt gegen uns benahm. – Unser Festessen soll heute abend stattfinden, wie wir es festgesetzt haben. Und sollte dies der letzte Tag unserer Herrschaft sein, so soll er der Nache und der Freude geweiht sein. Die neuen Sorgen gehören dem neuen Morgen!«
Trompetenstöße riefen das Publikum zurück, das sich schon zu zerstreuen anfing. Im Namen des Prinzen wurde verkündet, daß seine Hoheit durch wichtige und unaufschiebbare Staatsgeschäfte abgerufen werde und die Festlichkeiten daher schon mit dem heutigen Tage geschlossen werden müßten. Damit aber nicht so mancher gute Yeoman wieder gehen müßte, ohne eine Probe seiner Kunst gezeigt zu haben, so sollte das für den folgenden Tag angesetzte Bogenschießen schon jetzt stattfinden. Der beste Schütze solle als Preis ein in Silber gefaßtes Jagdhorn und eine seidene, reich verzierte Jagdtasche erhalten. Über dreißig Yeomen meldeten sich zum Wettbewerb, darunter mehrere Waldhüter und Förster aus den königlichen Forsten bei Needwood und Charnwood. Als aber die Schützen sahen, mit wem sie es aufnehmen sollten, traten sie wieder zurück, weil sie einer von vornherein gewissen Niederlage entgehen wollten. Zur damaligen Zeit war die Kunst eines berühmten Bogenschützen meilenweit bekannt. Es waren dann nur noch acht Bogenschützen übrig, von denen immer noch einige die königliche Livree trugen. Der Prinz sah sich nach jenem Yeoman um, an dem er Vergeltung üben wollte, und er fand ihn noch mit der gleichen gelassenen Miene, die er am vergangenen Tage gezeigt hatte.
»Kerl,« sagte Johann zu ihm, »es fehlt dir wohl der Mut, deine Künste mit denen der wackeren Männer hier zu messen?«
»Mit Verlaub, Herr,« versetzte der Yeoman, »wenn ich den Schutz ablehne, so geschieht es nicht deshalb, weil ich mich fürchte, ich könnte fehl schießen.«
»Und weshalb denn sonst?« fragte der Prinz, der, ohne daß er sich den Grund erklären konnte, eine bange Neugier diesem Manne gegenüber verspürte.
»Weil ich nicht weiß,« erwiderte der Weidmann, »ob diese Männer nach ebensolchem Ziele schießen werden wie ich, und weil es am Ende Euer Hoheit nicht gefallen möchte, wenn auch den dritten Preis, den Ihr aussetzt, jemand gewinnt, der Euch mißfällt.«
»Wie heißest du, Yeoman?« fragte der Prinz, unwillkürlich errötend.
»Locksley,« war die Antwort.
»Nun denn, Locksley,« sagte Prinz Johann, »wenn diese Yeomen ihre Kunst gezeigt haben, so sollst du auch schießen. Gewinnst du den Preis, so lege ich noch zwanzig Nobles dazu, verlierst du aber, so wird dir dein grünes Wams ausgezogen und du wirst mit Bogensehnen durch die Schranken gepeitscht, als geschwätziger, frecher Prahlhans.«
»Und wenn ich unter solchen Bedingungen nicht schießen will?« sagte der Schütze. »Wohl kann mich Eure Hoheit peitschen lassen, denn die Macht ist ja in Eurer Hand, aber zum Schusse kann mich niemand zwingen.«
»Wenn du mein Anerbieten ausschlägst,« antwortete der Prinz, »so soll dir der Profoß des Platzes den Bogenstrang zerschneiden und dir Bogen und Pfeile zerbrechen, dich selber aber als eine Memme von hinnen jagen.«
»So tut Ihr unrecht, stolzer Prinz,« rief der Grünrock. »Ihr zwingt mich, gegen die besten Schützen von Leicester und Staffordshire aufzutreten, und droht mir Entehrung an, wenn ich unterliege. Doch mag es drum sein.«
Am oberen Ende der Schranken wurde ein Ziel aufgestellt. Die Bogenschützen traten im südlichen Zugange an. Zwischen diesem Standpunkt und dem Ziel war nun Raum genug zu einem regelrechten Schuß. Durch das Los wurde bestimmt, in welcher Reihenfolge die Schützen zum Schusse vortreten sollten. Jeder sollte drei Schüsse tun, und bald schossen die Schützen, einer nach dem andern, brav und kühn. Von vierundzwanzig Pfeilen trafen zehn die Scheibe, die übrigen saßen ihr so nahe, daß sie immer noch gut zu nennen waren. Von den zehn im Ziele hatte Hubert, ein Förster im Dienste bei Malvoisin, zwei ins Zentrum geschossen. Er wurde deshalb für den Sieger erklärt.
»Nun, Locksley,« sagte Prinz Johann mit seinem herben Lächeln, »willst du dich mit Hubert messen oder Bogen und Pfeile an den Profoß abgeben?«
»Wenns denn sein muß,« antwortete Locksley, »so will ich mein Glück versuchen, nur stelle ich die Bedingung, wenn ich um zwei Schüsse besser als Hubert abschneide, dann muß auch er nach einem Ziel schießen, das ich aufstellen werde.«
»Das mag gelten,« sagte der Prinz. »Das wollen wir dir nicht abschlagen. – Hubert! wenn du dieses Großmaul besiegst, will ich dir das Jagdhorn mit Silberlingen füllen!«
»Ein Mann tut, was er kann,« war Huberts Antwort. »Mein Großvater hat einen guten Bogen geführt bei Hastings, und ich werde seinem Andenken Ehre machen.«
Ein frisches Ziel wurde aufgesteckt. Hubert hatte als Sieger des ersten Wettbewerbes den ersten Schuß. Bedachtsam nahm er seinen Stand, maß lange mit den Augen die Strecke, den gespannten Bogen in der Hand, den Pfeil auf der Sehne. Endlich trat er vor, hob den Bogen mit der linken, bis der Griff nahe an seinem Gesicht war und zog den Strang bis zum Ohre. Schwirrend sauste der Pfeil durch die Luft. Der Spiegel war getroffen, aber nicht das Zentrum.
»Ihr habt nicht mit dem Winde gerechnet, Hubert,« sagte sein Gegner, den Bogen spannend, »sonst hättet Ihr einen besseren Schuß getan.« Und ohne die geringste Unruhe trat er vor, er suchte und prüfte nicht lange, sondern schoß seinen Pfeil so achtlos ab, als wenn er gar nicht gezielt hätte. Er hatte noch nicht einmal ausgesprochen, da schnellte schon der Pfeil vom Bogen und saß zwei Zoll dichter am Zentrum als Huberts.
»Beim Lichte des Himmels!« rief Johann, »kannst du's mit ansehen, daß dir's dieser hergelaufene Bursche zuvortut? An den Galgen müßtest du!«
Hubert hatte bei allen Anlässen nur die eine Antwort: »Und wenn Eure Hoheit mich hängen ließe, ein Mann tut, was er kann – aber mein Großvater hat einen guten Bogen geführt.« Er nahm seinen Platz wieder ein und schoß diesmal so glücklich, daß sein Pfeil mitten im Zentrum saß. Das Volk jubelte laut, und Prinz Johann sagte mit seinem herben Lächeln: »Besser kannst du's nicht, Locksley.«
»So will ich seinen Pfeil zeichnen,« war die Antwort. Und der Yeoman schoß mit größerem Bedacht als das erstemal und traf den Pfeil seines Rivalen auf die Spitze, daß er zersplitterte. Das Volk, erstaunt über eine so fabelhafte Geschicklichkeit, ließ keinen lauten Beifall hören, wohl aber vernahm man leise Worte wie: »Das muß der Teufel sein, aber kein Mensch von Fleisch und Blut! Solch Bogenschießen ward in ganz Britannien noch nicht gesehen, seit je ein Bogen gespannt worden ist.«