»Im Namen Gottes, wer bist Du?«

Die Erscheinung erwiderte:

Ich darf Dich nicht wissen lassen,


Was ich bin – Du kannst es nicht fassen.


Etwas, das nimmer fiel noch stand,


Dem Himmel, der Hölle nicht bekannt.


Ein Wesen, das Dir, jenachdem,


Gefährlich oder angenehm.


Kein Schatten, doch auch keine feste Gestalt,


Hausend in Sumpf und Wiese und Wald,


Ueberm Wasser zaubrisch gleitend,


Auf des Sturmes Flügeln reitend,


Engel nicht noch Sünderinnen


Stehn wir schwankend mitten innen


Zwischen dem, was bös und gut,


Ränkevoll, doch ohne Blut.


Sel'ger wir, als ihr es seid,


Leben zehnmal längre Zeit;


Weit unsel'ger, denn das Grab


Bricht uns jedes Hoffen ab.


Ihr erwacht zu Freud und Sorgen,


Unser Schlaf kennt keinen Morgen.


Dies darf ich Dich wissen lassen,


Mehr vermagst Du nicht zu fassen.

Die weiße Frau hielt inne, als erwarte sie eine Antwort von Halbert; da der Jüngling aber nicht zu wissen schien, was er weiter sagen solle, so begann die Erscheinung allmählich zu verblassen und in Nebel zu verschwimmen. Halbert faßte sich daher ein Herz und rief:

»Dame, als ich Euch im Tale sah und Ihr das schwarze Buch der Mary Avenel wieder brachtet, da sagtet Ihr doch, eines Tages sollte ich in diesem Buche lesen lernen.«

Die weiße Frau entgegnete:

Tät ich Wort und Spruch Dich lehren,


Daß Du hier mich solltest stören?


Hat doch Falk und Reiherbeiz


Sonst für Dich viel größern Reiz,


Schwert und Lanze gilt Dir mehr


Als des Wortes gute Lehr',


Lieber streifst Du durch Wald und Trift


Als Dich zu plagen mit schwarzer Schrift,


Bist ein Schwärmer in Busch und Morast,


Der die geistige Speise haßt.

Bei diesen Worten nahm die Gestalt der weißen Frau – wenigstens kam es Halbert so vor – wieder deutlichere Umrisse.

»Wohl bin ich saumselig gewesen, Dame,« erwiderte Halbert, »aber das will ich hinfort nicht mehr sein. Ich will jetzt lernen und mit doppeltem Eifer vorwärts streben. Seit kurzem bin ich anders Sinnes geworden und mein Herz hat sich gewandelt. Ich will mich, bei Gott, in Zukunft einer andern Tätigkeit widmen. An diesem einen Tage bin ich um Jahre älter geworden, ich bin als ein Knabe hergekommen und gehe als Mann weg. Ich will den Inhalt des geheimnisvollen Buches begreifen lernen, – ich will ergründen, warum die Dame von Avenel es so sehr geliebt hat, – warum die Priester es durchaus an sich bringen wollen – und warum Du es ihnen zweimal schon wieder weggenommen hast. Was für Geheimnisse verbirgt es? Sprich, ich beschwöre Dich!«

Die Dame nahm ein besonders feierliches Wesen an, neigte das Haupt, faltete die Hände über der Brust und entgegnete:

Es liegt in diesem Heiligtum


Der Mysterien Mysterium,


Glücklich sind zu preisen, die


Gott mit dieser Gunst belieh,


Zu lesen, zu fürchten, zu hoffen, zu beten,


Aufzuschließen und einzutreten.


Der Zweifler, der Spötter – wehe dem Toren!


Besser, er wäre nie geboren!

»Gebt mir das Buch, Dame,« sagte der junge Glendinning, »Sie schelten mich faul und blöde – aber ich will fleißig sein, und Gott wird meinem Streben seinen Segen geben. Gebt mir das Buch.«

Die Erscheinung erwiderte sogleich:

»Viel Klafter tief hab ichs zur Ruh


Versenkt, die Erde deckt es zu –


Ueberirdisch Feuer umglüht es,


Ueberirdische Musik umzieht es,


Des Himmels hohes Pfand.


Jedes Ding in seiner Sphäre


Huldigt ihm, erweist ihm Ehre:


Ihr nur habt Euch abgewandt.


Komm, daß ich Dir zeige – sofern Dir nicht graut –


Was noch keines Menschen Auge erschaut!

Halbert Glendinning reichte der weißen Frau furchtlos die Hand. Als sie seine Hand in der ihren leise zittern fühlte, fragte sie:

Bangt es Dir, mit mir zu gehn?


Noch ist an Dir – bleib draußen stehn.


Als Bauerngesell


Magst Du Dich plagen,


Das Wild des Königs jagen,


Doch nimmer Dich wagen


Zum Felsenquell.

»Keine Furcht soll mir den Weg in mein heimatliches Tal versperren,« erwiderte der beherzte Jüngling.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so versanken beide in die Erde – so schnell, daß Halbert der Atem ausging. Er sah und fühlte nichts, als daß er mit der Schnelligkeit eines Blitzes dahin gerissen wurde. Mit einem jähen Ruck kamen sie zum Stillstand, und der Stoß kam so plötzlich, daß der Sterbliche, der sich in diese unterirdischen Räume gewagt hatte, gewiß zu Boden gestürzt wäre, wenn seine übernatürliche Führerin ihn nicht gehalten hätte.

Als Halbert nach einer Weile wieder zu sich gekommen war, sah er sich um und erkannte eine Grotte oder von der Natur gebildete Höhle, die mit Kristallen bekleidet war. In diesem Gestein brach sich in tausendfachem Glanz der Schein einer Flamme, die auf einem alabasternen Altar brannte. Dieser Altar mit der Flamme nahm den Mittelpunkt der Höhle ein, die von runder Form und hoch war wie eine Kathedrale. Nach den Himmelsrichtungen liefen vier Verzweigungen der Grotte, die aus demselben flimmernden Gestein waren, deren Ende sich aber im Finstern verlor.

Keine irdische Phantasie vermöchte den wunderbaren Glanz sich vorzustellen, den das tausendfach von den Kristallpfeilern widergespiegelte Licht ringsum verbreitete. Das Feuer brannte nicht ruhig und stetig, sondern stieg und fiel, hin und wieder glich es einer Pyramide von Flammen, die bis zur halben Höhe der stolzen Wölbung sich erhob, dann wieder sank es in sich zusammen und verbreitete nur noch einen rosigen Schimmer. Daß es mit irgend einem faßbaren Stoffe gespeist worden wäre, oder daß es Rauch hervorgebracht hätte, war nicht zu erkennen.

Das Allerseltsamste aber war, daß das schwarze Buch mitten im Feuer lag – ganz unversehrt und unberührt. Und doch schien die Flamme stark genug, Diamanten zu schmelzen.

Nachdem die weiße Dame ein Weilchen geschwiegen hatte, um dem jungen Glendinning Zeit zu lassen, sich umzuschauen, begann sie:

Hier liegt das Buch,


zu dem Du kühn gedrungen –


Rührs an und nimms –


nicht leicht wird es errungen.

Halbert glaubte nun an Wunder gewöhnt zu sein, auch erfüllte ihn die tolle Begier, den Mut, dessen er sich gerühmt hatte, nun auch zu zeigen, und er streckte ohne Zaudern die Hand in die Flamme, in der Hoffnung, mit einem raschen Griffe das Buch herauszureißen, aber er hatte sich getäuscht.

Die Flamme ergriff sofort den Rockärmel und versengte ihm, obwohl er die Hand schleunigst zurückzog, doch den Arm so furchtbar, daß er vor Schmerz laut aufgeschrien hätte. Aber er bezwang sich und zuckte mit dumpfem Aechzen zusammen.

Die weiße Dame strich mit ihrer kalten Hand über seinen Arm, und ehe sie noch ihre folgenden Worte gesungen hatte, war der Schmerz gestillt, und keine Spur mehr von einer Brandwunde vorhanden.

Kecke Tat,


Wenn man naht


Ewiger Glut


mit irdischem Kleid.


Weg mit dieser Hülle Tand,


Prüfe nochmals Deine Hand.

Soweit Halbert den Wink seiner Führerin zu verstehen glaubte, entblößte er den Arm bis zur Schulter, indem er die Fetzen des versengten Aermels herabriß. Als die Stücke zu Boden fielen, schrumpften sie zusammen, ohne daß man hätte sehen können, daß Feuer sie verzehrte, verwandelten sich in flatternden Zunder und zerstäubten in einem plötzlichen Luftzug, der durch die Grotte zog.

Als die weiße Dame das Erstaunen des Jünglings bemerkte, fuhr sie fort:

Was Ihr Menschen webt und schafft,


Hält nicht stand der Zauberkraft,


Was des Menschen Kunst erdacht,


Wird bei uns zu nichts gemacht.


Das Gold wird Staub, ists noch so rein,


Es schmilzt der blanke Edelstein,


Alles verwandelt sich, alles verweht,


Nur die Wahrheit allein besteht.


Wag noch einmal den Versuch,


Und vielleicht wird Dir das Buch.

Diese Worte machten Halbert Mut zu einem zweiten Versuch, er griff mit nacktem Arm ins Feuer und zog das heilige Buch heraus. Das Feuer hatte ihm nichts angetan, er verspürte nicht einmal die Hitze.

Er erstaunte, daß es ihm gelungen war, ja fast erschrak er darüber. Nun sah er die Flamme in sich zusammensinken, dann in einer jähen Lohe bis an die Decke emporschlagen, wieder zurückfallen und förmlich verlöschen. Undurchdringliche Finsternis war nun um ihn her, er hatte indes nicht Muße, sich zu bedenken, was er beginnen sollte, denn er fühlte sich von der weißen Dame bei der Hand erfaßt, und mit derselben Schnelligkeit, wie sie niedergefahren waren, stiegen sie wieder zur Erdoberfläche empor.

Sie standen beide an der Quelle von Corrinan Shian, und als der Jüngling sich bestürzt umschaute, bemerkte er, daß der Tag sich schon seinem Ende zuneigte. Er sah auf seine Führerin, als erwarte er eine Erklärung von ihr. Aber ihre Gestalt begann zu erblassen, ihre Züge verloren ihre Bestimmtheit, und sie verschwamm mit dem Nebel, der aus der Schlucht emporstieg.

»Bleibe doch!« rief der Jüngling. »Du mußt mich noch unterweisen in der Kunst, dieses Buch zu lesen. Was nützt es sonst, daß ich es habe?«

Aber die Gestalt zerfloß völlig und war nur noch wie ein blasser Fleck Mondlicht am Wintermorgen. Ehe sie ganz verschwand, sang sie noch die Worte:

Weh! nicht zu teil


Ward uns das Heil,


Zu verstehn die heilgen Zeichen.


Leer in Luft gemalte Wesen,


Sind wir nicht zu Glück erlesen,


Das die Menschen hier erreichen.


Sei stets bereit.


Der Herr verleiht


Den rechten Führer


Dir zur rechten Zeit.

Selbst die Stimme der Erscheinung verklang allmählich, ganz als ob das Wesen allmählich von der Stelle sich entfernte, wo es begonnen hatte.

Nun befiel das Entsetzen, das er so lange standhaft bezwungen, plötzlich mit aller Gewalt den jungen Mann, und er stand, von Schauer ergriffen, mit gesträubten Haaren und klopfendem Herzen da. Aber bald gewann er seine Fassung wieder und trat seinen einsamen Heimweg an, nicht mit der wilden Hast, in der er hergestürmt war, sondern ruhig und gelassen, wie ein Pilger, der unterwegs tiefen Gedanken nachhängt.

Dreizehntes Kapitel

Die Sonne war schon untergegangen, als Halbert Glendinning in seinem Elternhause eintraf. Das Mittagessen wurde zu dieser Jahreszeit um zwölf Uhr und das Abendessen eine Stunde vor Sonnenuntergang eingenommen. Zu erstern war Halbert nicht erschienen, was nichts weiter Ungewöhnliches war, da er oft, wenn er auf Jagd war oder sich sonst umhertrieb, das Essen versäumte, und wenn seine Mutter sich auch Sorgen machte, so war sie es doch so sehr gewöhnt, ihn nicht bei Tische zu sehen, daß sie ihm nur einen gelinden Verweis erteilte, wenn er zu spät nach Hause kam.

Jetzt war aber Frau Glendinning ärgerlicher als gewöhnlich, und zwar nicht bloß wegen der verschiedenen Hammel- und andern Braten, die für die Tafel bestimmt waren, sondern auch, weil eine so wichtige Person wie Müller Hob, denn so hieß der Mann in der allgemeinen Redeweise, wenn auch sein eigentlicher Name Happer war, sich in Glendearg eingefunden hatte.

Was den Müller zu der Reise nach Glendearg veranlaßte, waren mancherlei Gründe, dem Anschein nach kam er freilich nur, um seine Bekannten und guten Freunde im Klostersprengel wieder einmal heimzusuchen und an den Erntefesten in den einzelnen Dorfschaften teilzunehmen, auch wohl um alte Bekanntschaften durch wiederholten Besuch aufzufrischen; in der Hauptsache aber kam er, um nachzusehen, wie die Ernte bei den einzelnen Lehensmännern ausgefallen war, und was sie an Getreide eingefahren hatten, um sich des ihm zukommenden Mahlzinses zu vergewissern.

In allen schottischen Dominien, gleichviel ob sie weltliches oder geistliches Besitztum waren, bildete es nämlich eine Gerechtsame für den Bezirks- oder Sprengelmüller, daß jeder Landwirt des Sprengels oder Bezirks sein Getreide nirgends wo anders als bei ihm mahlen durfte, und dafür hatten wieder diese Sprengel- oder Bezirksmüller eine bedeutende Abgabe, den sogenannten »städtischen Mahlgroschen« an ihre vorgesetzte Behörde zu entrichten. Wer von den Bewohnern eines Bezirks oder Sprengels hiergegen verstieß, verfiel in eine hohe Strafe, wie auch, wenn sie mit ihrem Korn etwa von einem Jahre zum andern hatten warten wollen. Nun lag bei Glendearg, und zwar in einer von Glendearg besser und bequemer zu erreichenden Gegend, die Mühle eines weltlichen Barons, und der Müller war ein sehr freundlicher Mann, der auch einen geringern Mahlgroschen nahm als der Klostermüller, und so war es für den Meister Hob eine Pflicht der Selbsterhaltung, all seine Wachsamkeit aufzubieten, daß sich keiner der Klostervasallen einfallen ließ, mit seinem Korn in jene andre Mühle zu gehen.

Als das beste Mittel, sich hierin vor Schaden zu bewahren, war ihm bisher die Pflege guter Kameradschaft und nachbarlicher Freundschaft erschienen, und unter diesem Deckmantel hielt er nun in jedem Jahre seinen Kreuzzug durch die Klosterherrschaft, zählte jeden Kornhaufen und berechnete seinen Inhalt auf die Metze, so daß es ihm ein leichtes war, festzustellen, ob alles Korn aus dem Sprengel zu ihm in die Mühle gebracht worden war oder nicht.

Gleich den andern Lehnsleuten im Sprengel mußte auch Frau Glendinning diese Besuche als Höflichkeitsbeweise gelten lassen, indessen waren sie seit dem Tode ihres Mannes nicht wieder vorgekommen, wohl weil ihr Gut gar so weit und ungünstig für solchen Besuch gelegen war, und weil nur wenig Ackerfeld dazu gehörte. In diesem Jahre hatte man jedoch auf den Rat des Schäfers Martin hin ein paar Scheffel Korn in das sogenannte »Ausfeld« gesät und hatte bei der milden Witterung in diesem Jahre eine ganz leidliche Ernte erzielt. Und dieser Umstand mochte wohl den Müller veranlaßt haben, sich wieder einmal in Glendearg sehen zu lassen.

Frau Elspath hieß den Gast heute herzlich bei sich willkommen, während sie sich sonst wohl nur geduldig drein gefunden hätte. Diese andre Gemütsbeschaffenheit der Frau Glendinning hatte ihren Grund, wenn auch nicht allein, so doch zumeist in dem Umstande, daß der Müller seine Tochter Mysie mitgebracht, von der sie dem Unterprior wohl seinerzeit erzählt, deren Gesicht sie ihm aber nicht hatte beschreiben können.

Bisher hatte sich die Witwe um das Mädchen wohl kaum gekümmert, aber die Erkundigungen, die der Unterprior unter der Hand, und mit solchem Eifer anstellte, hatten ihr die Müllerstochter in den Kopf gesetzt. Hin und wieder, wenn auch nur allmählich, hatte sie wohl die Rede auf sie gebracht; sie hatte aber durch all diese Weisen nichts weiter erfahren können, als daß die Mysie eine schwarzäugige Dirne sei mit ein Paar Wangen, rot wie Kirschen, und einer Haut, so weiß wie das feingesiebte Mehl, aus dem sich der Klosterabt seine Frühsemmeln backen ließ; daß sie von Gemütsart das lustigste, munterste Ding sei, und vom hellen Morgen bis in den späten Abend singe und lache; was aber bei ihr noch ein gar gewichtiges Wort mitspräche, sei das hübsche Erbe, worauf sie einmal rechnen dürfe, und das sich nicht allein auf ein reiches Stück Bargeld erstrecken werde, das der Müller, wie es bei den Leuten hieß, mit »seinem Golddaumen« zusammengescharrt habe, sondern auch auf ein tüchtiges Stück Ackerboden mit Jagdgerechtsame und auf die einträgliche Klostermühle, die für einen mäßigen Pachtgroschen, wenn man rechtzeitig beim Unterprior darum einkäme, auch auf einen Schwiegersohn des Müllers übergehen dürfe.

Frau Glendinning hatte sich all diese Punkte reiflich überdacht und war hierdurch auf den Gedanken gekommen, daß es für ihren Sohn Halbert weit gescheiter sei, sich einmal um des Müllers Mysie zu bemühen und in die Mühle einzuheiraten als sich von dem gefahrvollen und immer uneinträglicheren Grenzreiterleben zu ernähren.

So war ihr der Müller ein recht willkommner Gast, und Müllers Mysie mit den frischen Wangen und dem üppigen schwarzen Haar entsprach dem Ideal eines Mädchens, wie es Frau Glendinning sich auszumalen liebte, so vollständig, daß sie sie schnell in ihr Herz geschlossen hatte; und kaum eine halbe Stunde war sie bei Glendinnings im Hause, so erschien es der Witwe schon so gut wie ausgemacht, daß für ihren Halbert Müllers Mysie die rechte Frau sein werde. Freilich kam es ihr ja so vor, wie wenn Mysie sich ebenso gern im Tanz um einen Maienbaum drehen, wie eine Hauswirtschaft führen möchte, aber schließlich war es doch seit jeher nicht anders, als daß ein Müller ein handfester Mann und eine Müllerin ein lustiges Weiblein sein müsse, und sollte es schließlich mal im Haushalte nicht so recht zusammenklappen, so könne ja doch die Mutter des Müllers mit zugreifen, usw.

»Ich will den jungen Leuten ganz gern mit wirtschaften helfen, denn bei mir im Turm ists doch gar zu einsam geworden,« dachte Frau Glendinning so bei sich, »und dann ist mir auf meine alten Tage auch die Nähe der Kirche recht tröstlich. Ueber das Turmleben mag sich Edward mit seinem Bruder vergleichen, ist er doch der Liebling des Unterpriors; und mag er dann, wie sein braver Vater, weiter im Turm hausen. Wer weiß denn, warum die Mary Avenel, so hoher Abkunft sie auch ist, sich immer so in die Kaminecke setzt? Freilich, arm ist sie wie eine Kirchenmaus, aber soviel Schönheit und Anmut und Verstand ist mir, so alt ich bin, noch nicht vor die Augen gekommen, und ich kenne doch alle Dirnen im Sprengel mitsamt ihren Müttern ... ja, sie ist eine gar schmucke Dirne, und wenn ihr ihr Onkel auch ihr Gut noch vorenthält, wer weiß, ob nicht auch einmal ein befiederter Schaft den Weg durch seinen Panzer findet, wie es, leider Gottes, doch soviel bessern Männern auch ergangen ist. Und wollten sie mit ihrem Stammbaum und ihrer Vornehmheit gar zu hoch hinaus, dann könnte Edward doch recht gut sagen: Wer war ihr denn der beste Freund, als sie bei Nacht und Nebel ins Tal hinunterkam, auf der jämmerlichsten Schindmähre, wie es je eine gegeben? Und sollten sie ihm Bauernblut vorwerfen, so kann ja Edward ganz gut sagen, abgesehen von dem alten Sprichwort: Wer adlig tut, hat adlig Blut, daß von Glendinning und Brydone kein Bauernblut herkommt, denn ...«

Hier wurde Frau Glendinning durch die rauhe Stimme des Müllers aus ihren Gedanken geweckt, und daran erinnert, daß sie den Grund zum Aufbau solcher Luftschlösser, wenn es ihr ernstlich darum zu tun wäre, doch bei dem Müller und seiner Tochter selbst legen müsse, und daß sie dann beide nicht mehr so vernachlässigen dürfe, wie sie es bisher getan hatte, sondern daß sie im Gegenteil um ihre Gunst und ihr Wohlwollen werben müsse. Und da wurde sie sich mit einem Male bewußt, daß sie die beiden Leutchen in ihren Reisekleidern hatte sitzen lassen, was doch ganz den Eindruck bei ihnen erwecken mußte, als wenn sie sie am liebsten so schnell wie möglich wieder ziehen sähe, und das war ihr passiert einzig und allein, weil sie sich gar zu sehr in das Sinnen um die Zukunft ihrer beiden Knaben vertieft hatte. ...

»Und das laßt Euch nun wenigstens sagen, Frau Glendinning,« schloß der Müller seine Rede, deren Sinn der Witwe völlig verloren gegangen war, weil sie sie tatsächlich so gut wie gar nicht gehört hatte, »da Euch Eure Wirtschaft den Kopf gar zu dick macht, so will ich mit meiner Mysie zum Haus Broxmouth hinreiten, der uns freundlichst eingeladen hat, für heute sein Gast zu sein.«

Frau Espath wurde hierdurch so rauh aus ihren Träumen von Heirat und Hausstand und Müllergerechtsame gerissen, daß es ihr eine Weile zu Mute war, wie dem Milchmädchen in der Fabel, als es mit all seinem Sinnieren und Träumen den Topf zerschlagen hatte. Anstatt sich aber, so weit es anging, wegen ihrer Geistesabwesenheit und Zerstreutheit bei ihrem Gast und seinem Töchterchen zu rechtfertigen, schien sie es für klüger zu erachten, auf solche Weise, die ihr vielleicht nicht recht bequem war, oder vielleicht etwas zu schwer fallen mochte, zu verzichten, und statt ihrer lieber zur Offensive zu greifen. Sie glich hierin ganz einem geschickten Feldherrn, der es für geraten erachtet, seine Schwäche durch einen kühnen Ausfall zu verbergen.

Das erste war ein kräftiger Ausruf, dann hielt sie dem alten Freunde mit heftigen Vorwürfen seine lieblose Art und Weise gegen sie vor, und wie er nur einen Augenblick an ihrer freundlichen Gesinnung habe zweifeln können, und wie er auf den Gedanken kommen könne, statt den Tag bei ihr zu verleben, sich zu dem alten Broxmouth zu setzen, der alte Turm von Glendearg stände doch heute noch an seiner alten Stelle, und wenn es noch so schlimme Zeit gäbe, Platz für ein paar so alte Freunde sei da doch allemal, usw., und diese Vorwürfe brachte sie mit solchem Ernst vor, daß zu guter Letzt der Müller, der kein Mensch war, alles auf die Goldwage zu legen, und dem im Grunde genommen gar nicht viel daran lag, sich von Glendearg nach einem andern Nachtquartier auf den Weg zu machen, sich dadurch ebenso irreführen ließ, wie sie sich selbst dadurch irreführte.

Auf all diese Worte der Frau Glendinning begnügte er sich, in der ruhigsten Weise zu erwidern, daß er ja gar nicht habe wissen können, ob die Frau Nachbarin noch Korn für ihn zu mahlen habe? »denn Ihr tatet ja ganz, wie wenn man Euch nicht recht käme; Ihr konntet doch auch daran denken, was ich mit Eurem alten Martin über die letzte Gerstenaussaat gesprochen habe. ... Im übrigen weiß ich freilich, daß Ihr nicht gern was davon hören wollt, einem andern Müller das Mahlgeld und an die Klostermühle den Mahlzwang zu entrichten.«

»Wie Ihr bloß so was reden könnt, Nachbar Hob,« erwiderte Frau Glendinning, »und daß auch der Martin erst über das Mahlrecht hat schwatzen müssen! Dafür will ich ihn schon zurechtsetzen, wies ihm gebührt, darauf könnt Ihr Euch verlassen, so wahr ich eine rechtschaffne Wirtschafterin bin und eine ehrsame Witfrau. Und wieviel eine Frau, wenn sie so allein steht wie ich, mit dem Gesinde zu schaffen hat, das ist Euch doch gewiß nicht fremd.«

»Ihr müßt nur,« sagte der Müller, indem er seinen breiten Gurt aufschnallte, der ihm den Mantel zusammenhielt und worin auch ein breiter Dolch steckte, »Ihr müßt nur nicht böse sein auf den Martin, Frau Elspath, denn ich bin ihm auch nicht gram. Aber meine Pflicht und Schuldigkeit ists halt, auf den Gefällsgroschen zu sehen, der mir ja von Rechts wegen zusteht, und für den ich doch eine gehörige Pacht abzuführen hab, und im übrigen heißts bei mir, wie bei andern Müllern auch:

Ich mahle mein Mehl, wenn der Wind weht,


Und küsse mein Weib, wenn der Hahn kräht,


Und hole den Zins, der im Buch steht,


Und lasse Gott walten, wenns schief geht.«

Dieses Liedchen vor sich her trällernd, hing der Müller ohne Umstände seinen weiten Mantel an ein mächtiges Hirschgeweih, das die nackte Turmwand schmückte, und gleichzeitig den Kleiderrechen vertrat.

Unterdes half die Witwe dem Mädchen, das sie sich zur Schwiegertochter erkoren, beim Ablegen von Hut, Mantel und der andern Reisekleidung, und nun stand Mysie da, wie es sich für die flinke Müllerstochter geziemte, lachend und blühend, im schlohweißen Mieder, das mit grünen Schnüren und Fransen besetzt, auch mit Goldfäden durchwirkt war. Frau Glendinning warf einen schüchternen Blick auf das unverhüllte Mädchengesicht, das von pechschwarzem Haar umwallt war, das von einer grünseidnen, mit Silber durchwirkten Schleife, die prächtig mit dem Mieder harmonierte, im Knoten gehalten wurde. Die ganze Erscheinung, die das Mädchen bot, war liebreizend im höchsten Maße, ihr Auge war dunkel und groß und hatte einen schalkhaften Ausdruck, ihr Mund war kaum größer als ein schottischer Marientaler, ihre Lippen waren lieblich geschwungen, wenn auch etwas voll, dazwischen blitzten wunderweise Zähne in tadelloser Doppelreihe, und am Kinne zeigte sich ein allerliebstes Grübchen. Die Gestalt, die zu diesem fröhlichen Gesicht gehörte, war rund und voll und fest und schön; sie schien zwar darauf hinzudeuten, daß sie mit den Jahren leicht übervoll werden könne, ein Fehler, dem die Schönheiten Schottlands gern verfallen, aber in ihrem sechzehnten Lebensjahre hatte Müllers Mysie so ganz die Gestalt einer richtigen Hebe, wie wir sie uns nach den Statuen, das altklassischen Griechenlands vorzustellen lieben. Und bei all ihrer Voreingenommenheit als Mutter mußte sich die schüchterne Frau Glendinning doch sagen, daß sich für solch schmuckes Ding leicht wohl ein bessrer Mann finden möchte als ihr Halbert. Ein gewisser Zug in ihrem Gesichte schien auf einen etwas losen Sinn zu deuten, und ihr Halbert zählte noch keine neunzehn Jahre, also eilte es bei ihm ja noch nicht mit der Einrichtung eines eignen Hausstandes, aber das blieb für die brave Frau immer der Kernpunkt der Sache, und eine bessre Gelegenheit, sich damit zu befassen, konnte ja eigentlich sich gar nicht wieder finden.

Sie überbot sich nun in vermeintlicher Schlauheit in allerhand Lobreden über ihren liebreizenden Gast, und Müllers Mysie hörte ihr auch während der ersten fünf Minuten unter Erröten ganz vergnügt zu, aber als darüber noch weitere fünf Minuten verstrichen waren, da schien es sie eher lustig als eitel zu stimmen, und endlich wurde es auch der Müller satt, die Tochter gar so herausgestrichen zu sehen, und er fiel der Witwe mit den Worten in die Rede:

»Na, freilich, eine ganz nette Hexe ist sie ja geworden, und wenn sie mal erst fünf Jahre älter ist, dann wird sie einen Mehlsack tragen können, wie die kräftigste Dirne im Sprengel. Aber ich hab mich schon eine ganze Weile nach Euren beiden Jungen umgeguckt, Frau Elspath; bei uns hört man, Euer Halbert sei ein muntrer Springinsfeld geworden, der in Westmoreland wohl noch mal in hellen Mondnächten von sich reden machen dürfte.«

»Das verhüte der liebe Gott in seiner Gnade, mein liebwerter Nachbar,« sagte Frau Glendinning, und zwar kam ihr der Wunsch so recht aus dem Herzen, denn jede Anspielung auf solche Wahrscheinlichkeit, ihren Halbert betreffend, schnitt ihr wie ein Messer durch die Seele; aber aus Furcht, nach dieser Seite vielleicht zuviel Besorgnis gezeigt zu haben, setzte sie flugs hinzu, »daß sie seit dem letzten so schweren Schlage bei Pinkie-Cleuch immer am ganzen Leibe zittre, wenn sie von Speer und Büchse und Kampf und Krieg sprechen höre; indessen schienen ja bis jetzt ihre beiden Söhne, dem Himmel sei Dank, als ehrsame, friedfertige Klostervasallen leben zu wollen, wie ja ihr Vater es auch getan hätte bis zu jener schrecklichen Schlacht, aus der er mit soviel andern wackern Männern nicht wieder heimgekehrt wäre.«

»Davon braucht Ihr mir nichts zu erzählen,« sagte der Müller, »bin ich ja doch auch mit dabei gewesen! und ein doppeltes Paar Beine, das nicht einmal mir gehörte, sondern meinem Gaule, hat mir damals besser gedient als ein Paar Fäuste. Ich hatt mir schon zurechtgelegt, wie es wohl herginge, wenn unsre Leute ausreißen müßten; und wie dann die Hatz losging über Stock und Stein, da hab ich meinem Gaul derb die Sporen in die Weichen gedrückt und mich, so lang es noch Zeit dazu war, auf und davon gemacht.«

»Das muß man sagen, Nachbar,« versetzte die Witwe, »Ihr habts gescheit gemacht! Wenn mein Simon auch so klug gewesen wäre, wie Ihr, dann könnt er heut auch davon erzählen; aber seine gute Herkunft und hohe Verwandtschaft hat ihm halt den Kopf verdreht, und da hat er gedacht, sein guter Ruf täts erfordern, daß er bis zuletzt mit standhielte, mit all den Junkern und Earls und Baronen, die keine Weiber daheim hatten, oder die sich nichts draus machten, wenn ihre Weiber frühzeitig die Witwenhaube aufsetzen mußten ... Aber das ist doch nichts für unsersgleichen! Na, bei meinem Halbert hats, denk ich, keine Not, denn gerät er einmal in die Patsche, so hat er ja die flinksten Beine im ganzen Sprengel, und kann mit Eurem Gaul ganz gewiß um die Wette rennen.«

»So?« meinte der Müller, »kann er das?« Dann sagte er zu der Witwe, auf den eben eintretenden Edward zeigend, »ist er das?«

»Nein, das ist ja mein Edward,« sagte die Witwe, »der jüngre von beiden, der kann lesen und schreiben, so gut wie Unser Lord-Abt selber, wenns nicht sündhaft wär und vermessen, so etwas zu behaupten.«

»So, so,« meinte der Müller, »also der junge Gelehrte, auf den der Abt so große Stücke hält? Die Leute im Dorf reden, der Junge würde es noch einmal weit bringen im Leben, am Ende gar selber mal zum Unterprior! Und warum nicht? der erste lecke Kahn, der ans Land gekommen, wär er doch auch nicht!«

»Um einmal Prior zu werden, Herr Nachbar,« erwiderte Edward, »muß man doch erst Klosterbruder und Priester werden, und dazu wohnt mir, wie mich bedünkt, die richtige Neigung nicht inne.«

»Er wird sich mal hinter den Pflug stellen, Nachbar Müller,« meinte die Witwe, »und das erwart ich von meinem Halbert auch, ganz bestimmt. Ach, ich wünschte, Ihr sähet einmal meinen Halbert. ... Sag doch, Edward, wo steckt denn Dein Bruder?«

»Auf der Jagd wird er wohl sein,« antwortete Edward, »wenigstens ist er heut morgen zum Laird von Huntershope und seinen Hunden gelaufen. Den ganzen Tag hab ich die Köter im Walde bellen hören.«

»Das wär Musik für meine Ohren gewesen,« meinte der Müller, »und mir wärs auf ein paar Meilen Umweg gewiß nicht angekommen!«

»Nun, wenn Ihr ein Freund von der Jagd seid,« meinte Frau Glendinning, »dann wird Euch der Halbert schon gefallen! Er weiß all die Ausdrücke für Falkenbeize und hohe und niedre Jagd, ganz ebenso gut wie der Wildmeister von unserm Abt, der Tom mit dem grünen Zweige.«

»Kommt er denn nicht zum Essen heim, Frau?« fragte der Müller, »bei uns in Kennaghueir wird um zwölf Uhr zu Mittag gegessen.«

Daraufhin mußte die Witwe freilich bekennen, daß Halbert zu dieser Hauptmahlzeit des Tages in der Regel abwesend zu sein pflege, worüber der Müller den Kopf schüttelte und sagte, da hielte es Halbert wohl, wie das Sprichwort von Mac Farlanes Gänsen sage, »die lieber spielen als fressen.«

Damit aber der Müller nicht noch verdrießlicher über Halbert werden sollte, ließ Frau Glendinning schnell Mary Avenel kommen, damit sie sich mit Mysie Happer unterhalte. Dann eilte sie selbst in die Küche und fing an, mit Tellern und Schüsseln herum zu wirtschaften, Töpfe vom Feuer zu reißen, Pfannen und Roste darauf zu stellen und einen Befehl über den andern hervorzupoltern, bis schließlich der guten Tibb die Geduld riß.

»So ein Aufstand,« rief sie, »weil ein alter Mehlsack mitessen will. Das ist ja grad, als wär ein schottischer Häuptling zu Gaste.«

Vierzehntes Kapitel

»Was ist denn das für ein hübsches Kind?« sagte der Müller Hob, als Mary von Avenel in die Stube trat, um Frau Elspath Glendinning zu vertreten.

»Das ist die junge Dame von Avenel, Vater,« sagte die kleine Müllerstochter mit einem tiefen Knicks.

Der Müller zog die Mütze und machte einen tiefen Diener, vielleicht nicht so tief, als wenn das junge Mädchen im Glanze ihres Ranges und Reichtums aufgetreten wäre, doch tief genug, daß die Reverenz als gebührende Huldigung vor der hohen Geburt der schottischen Edeldame gelten konnte.

In der Tat hatte Mary Avenel teils von ihrer Mutter, deren Beispiel sie so lange Zeit vor Augen gehabt hatte, teils aus eingebornem Sinn für Anstand und Würde sich ein Benehmen angeeignet, in welchem ein berechtigter Anspruch auf Hochachtung sich äußerte, und das jeden Versuch einer vertraulichen Annäherung von seiten derer, die in ihrer gegenwärtigen Lage wohl ihre Gefährten sein mochten, aber unter keinen Umständen sich für ihresgleichen halten durften, von vornherein ausschloß.

Sie war von Charakter sanft, sinnig und nachdenklich, sie liebte die Einsamkeit und saß gern in sich gekehrt, den üblichen Zerstreuungen war sie abhold.

Es war bekannt geworden, daß sie zu Allerheiligen geboren worden war, und ihr infolgedessen Gewalt über die unsichtbare Welt verliehen sei. Sie war unter ihren Altersgenossen deswegen der Geist von Avenel genannt worden, ganz, als wenn die liebliche, aber allzu gebrechliche Gestalt, die zarte, doch etwas zu bleiche Wange und das dunkelblaue Auge mehr der geistigen als der körperlichen Welt angehörten. Die allgemein verbreitete Sage von der weißen Frau, die über dem Glück des Hauses Avenel walten sollte, verlieh diesem ländlichen Gerede eine gewisse Bedeutung.

Dieser geheimnisvolle Nimbus, die Vorliebe des Unterpriors für die Familie, der furchtbare Name Julian von Avenel, den jedes neue Ereignis in diesen bewegten Zeiten nur berüchtigter machte, – dies alles verlieh dem jungen Mädchen eine gewisse Bedeutung, und manche trachteten aus Stolz nach ihrer Bekanntschaft, während andre, namentlich die furchtsameren unter den Vasallen, ihren Kindern empfahlen, der edeln Waise mit Achtung zu begegnen.

So wurde das Fräulein, das wenig beliebt war, weil es fast gar keine persönlichen Bekannten hatte, mit abergläubischer Scheu betrachtet, teils aus Furcht vor den Kriegern ihres Oheims, teils auf grund ihres eignen zurückhaltenden Wesens.

Von dieser Scheu mochte sich auch wohl Mysie befallen fühlen, als sie sich mit einem solchen, dem Stand und der Lebensart von ihr so verschiednen Mädchen allein sah; denn ihr biedrer Vater hatte den ersten besten Anlaß benutzt, zu verschwinden, um sich zu erkundigen, wie es mit der Scheune stände und ob seine Mühle gutes Korn erwarten könne.

Die beiden Mädchen kamen indessen recht gut miteinander aus. Sie befaßten sich mit Dingen, wie sie ihrem Alter zukamen: sie sahen sich Marys Tauben an, die diese mit der Sorgsamkeit einer Mutter pflegte, dann wühlten sie in ihrem Schmuckkästchen herum, in welchem sich, so unbedeutend sonst auch die Kleinodien des Mädchens sein mochten, doch einige Sachen befanden, die ihre Gespielin bewunderte. Ein goldner Rosenkranz und ein paar Stücklein von Frauenzierat waren im Augenblicke des größten Unglücks durch Tibbs Geistesgegenwart gerettet worden, während die Herrin selber in ihrem tiefen Kummer an derlei Dinge nicht im geringsten gedacht hatte.

Das Wesen der beiden Mädchen bildete einen auffallenden Gegensatz: die Müllerstochter in ihrer Gutmütigkeit, die immer mit dem Lachen bei der Hand war, und alles, was sie schön fand, ungezwungen angaffte, und die ruhige, gesetzte Würde der Mary, die ein Stück nach dem andern vorzeigte, und bei all ihrer Gelassenheit doch nicht ganz über die Freude am Erstaunen ihrer Gespielin erhaben war.

Der Hufschlag von Pferden unter der Pforte des Turmes unterbrach die beiden Mädchen in ihrer Beschäftigung.

Mysie eilte in zwangloser Neugier ans Fenster.

»Heilige Jungfrau, gnädiges Fräulein!« rief sie, »da kommen zwei feine Herren auf stattlichen Rossen. Kommt doch her und seht sie Euch an!«

»Nicht doch,« entgegnete Mary Avenel, »Ihr könnt mir ja sagen, wer es ist!«

»Wenn ichs nur wüßte!« erwiderte Mysie. »Aber ich kenne sie ja nicht. Doch halt! Ja! den einen kenne ich, und Ihr kennt ihn auch, Fräulein. Das ist gar ein fideler Kauz, er hat ein bißchen lange Finger, aber das schadet bei den Herren heutzutage nicht viel. Er ist ein Dienstmann bei Euerm Herrn Oheim und heißt Christie von Clinthill. Er trägt heute nicht sein altes grünes Wams, sondern hat einen scharlachroten Rock mit Silberbesatz an und einen Brustharnisch, der ist so blank, daß man sich darin spiegeln könnte. Kommt doch bloß ans Fenster und seht ihn Euch an.«

»Sofern es wirklich der Mann ist, Mysie,« antwortete die Waise von Avenel, »denn Ihr mir nanntet, so werde ich ihn immer noch allzu früh zu sehen bekommen.«

»Nun, wenn Ihr Euch den schmucken Christie nicht anschauen wollt,« sagte die Müllerin, deren Angesicht von Neugierde glühte, »so sagt mir doch wenigstens, wer der hübsche Herr ist, der mit ihm gekommen ist so einen schneidigen, liebenswürdigen Burschen, habe ich ja noch nie gesehen.«

»Das ist mein Pflegebruder Halbert Glendinning,« entgegnete Mary mit scheinbarer Gleichgültigkeit – es war ihre Gewohnheit, die Kinder Elspaths ihre Pflegegeschwister zu nennen.

»Nein, der ist das nicht,« antwortete Mysie. »Die beiden Glendinnings kenne ich doch sehr gut, dieser Reiter aber ist gewiß nicht aus unserm Lande. Er hat ein karmoisinrotes Barett auf, unter dem das Haar lang und braun hervorfällt, er trägt auch einen Stutzbart. Das Kinn aber ist rein und glatt rasiert. Er hat ein himmelblaues Wams an, das mit weißem Atlas besetzt und gefüttert ist. Er hat ein Paar Pumphosen und seine einzigen Waffen sind Dolch und Degen. Wer mag das nur sein?«

»Ich kann mirs nicht denken,« antwortete Mary, »aber nach seinem Kameraden zu schließen, dürfte nichts weiter dran liegen, ob man es weiß oder nicht.«

»Er ist doch gar zu schmuck!« sagte Mysie. »Wenn er bloß hier vom Pferde steigen wollte! Aber, so kommt doch bloß mit ans Fenster und seht ihn Euch einmal an!«

Mary von Avenel mochte wohl meinen, daß sie Gleichgültigkeit zur Genüge gezeigt hatte und sich nun wohl die Männer ansehen dürfe. Sie sah nun in der Gesellschaft Christies einen Ritter, der sehr stattlich und schmuck herausgeputzt war und, nach seinem vornehmen Wesen, wie nach der prächtigen Tracht und dem schönen Sattelzeug auf dem wundervollen Rosse zu schließen, in der Tat ein Mann von edler Herkunft sein mußte. Auch Christie schien nicht wenig stolz darauf, daß er mit einem solchen Manne hergekommen war, denn er schrie noch lauter als gewöhnlich nach der Dienerschaft.

Als die Pferde abgeführt worden waren, stellte Christie der Frau Glendinning den fremden Herrn als Sir Pircie Shafton vor, einen Freund von ihm selbst und seinem Herrn. Der Herr wolle, ohne der Familie große Umstände zu machen, drei bis vier Tage im Turme Quartier nehmen.

Die gute Frau könnte zwar nicht verstehen, was ihr eine so große Ehre verschaffte, sie hätte sich wohl gern damit entschuldigt, daß sie nicht auf die Bewirtung eines so vornehmen Gastes eingerichtet sei, und der Fremde, der die kahlen Wände betrachtete und das ärmliche Gerät des Zimmers beaugenscheinigte, schien selber einzusehen, daß er der Hausfrau Ungelegenheiten machen und so ein Aufenthalt in diesem alten Gemäuer auch ihm zur Last fallen würde, allein sie hatten es beide mit einem unerbittlichen Gesellen zu tun, der alle Einwände mit den Worten zurückwies: »Mein Herr will es so!«

»Und ganz abgesehen davon, daß der Wille meines Herrn auf zehn Meilen in der Runde als unumstößliches Gesetz zu gelten hat,« setzte er hinzu, »so habe ich außerdem hier ein Schreiben von Eurem Baron im Weiberrock, dem Lord-Priester, der Euch befiehlt, ihm den Gefallen zu tun und den wackern Mann hier so gut zu bewirten, wie es in Euren Kräften steht. Und Ihr selber, Sir Piercie Shafton, wandte er sich an diesen, »müßt ja am besten wissen, ob es für Euch mehr auf weiße Betten und gute Kost als auf Zurückgezogenheit an einem entlegnen, versteckten Fleck ankommt. Ueberdies dürft Ihr nicht nach dem Aussehen hier ungünstige Schlüsse auf das Vermögen der guten Frau ziehen, sie wird uns gleich ein Essen auftragen, an dem Ihr erkennen werdet, daß die Speicher von Vasallen der Kirche ganz hübsch gefüllt sind.«

Frau Glendinning erkundigte sich bei ihrem Sohn Edward, was es mit den Befehlen des Abtes für eine Bewandtnis habe, und sah ein, daß ihr in der Tat nichts weiter übrig bliebe, als es dem fremden Manne so bequem wie möglich zu machen. Er selber schien zu begreifen, daß auch ihm nichts weiter übrig bleibe, als die Gastfreundschaft anzunehmen, die die Frau ihm ziemlich gleichgültig antrug.

Das Mittagsmahl, das bald darauf vor den versammelten Gästen dampfte, war wirklich vorzüglich und machte der Kochkunst der Frau Glendinning alle Ehre.

Während des Mahles bot Sir Pircie Shafton alle Galanterie auf, um Mary von Avenel zu unterhalten, die er allein seiner Ansprache würdigte.

Edward Glendinning fühlte sich zuerst beschämt, daß er so langsam und schwerfällig redete, während der junge Höfling mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, von der er zuvor noch keine Ahnung gehabt hatte, die hochtrabendsten Artigkeiten in seinen glatten, wenn auch nichtssagenden Reden herausschwatzte. Bei seinem gesunden Verstande begriff Edward allerdings bald, daß es alles Unsinn sei, was der jugendliche Geck plapperte, aber wenn er das Geschwätz nun auch verachtete, so beneidete er doch den jungen Menschen um den gewandten Vortrag, die einschmeichelnde Anmut seines Ausdrucks und um die elegante Ungezwungenheit seines Benehmens.

Diese Eigenschaften erweckten Edwards Verdruß, um so mehr, als der junge Mann damit sich bei Mary beliebt zu machen trachtete, und obwohl Mary nur darauf einging, weil sie seine Aufmerksamkeiten sich nicht gut verbitten konnte, so gab der junge Mensch doch auf diese Weise zu erkennen, daß ihm daran gelegen sei, Marys Gunst zu gewinnen, weil sie in seinen Augen die einzige Person war, die einer solchen Bewerbung würdig war. Sein Titel, sein Stand, seine wirklich ausgezeichnete Bildung und einige Funken von Geist und Witz, die aus dem großen Wust von Unsinn, den er vorbrachte, hindurchblitzten, verliehen ihm in der Tat einen gewissen Nimbus und mochten ihm wohl für Damenaugen einen großen Reiz zu geben, so daß der arme Edward in all seiner selbst erworbnen Wissenschaft und bei all seinen tüchtigen Eigenschaften in seinem Hausrock, seiner blauen Mütze, seinen ledernen Hosen sich wie ein Bauernjunge neben dem Hofmann ausnahm und im Herzen bittern Groll wider den Ritter häufte, der ihn so tief in Schatten stellte.

Gegen Christie, der ab und zu dem Edelmann gegenüber in plumpe Vertraulichkeit fallen solle, zeigte Sir Pircie Shafton eine stolze Verachtung, indem er ihm stets durch völlige Vernachlässigung oder durch lakonische Antworten zu verstehen gab, daß er sich nicht erdreisten solle, sich auf gleichen Fuß mit ihm zu stellen.

Der Müller verhielt sich ganz still, denn da er im allgemeinen nur von seiner Mühle und seinen Einnahmen zu reden wußte, so verspürte er hier keine Lust, in Gegenwart von Christie von Clinthill seinen Reichtum auszukramen, oder dem Ritter zur Last zu fallen.

Erst als Halbert hinzugekommen war und eine Weile dem inhaltlosen Geschwätz zugehört hatte, fand der junge Höfling einen Gegner, der sich von seiner überlieferten Art nicht verblüffen ließ.

»Herr Ritter,« sagte Halbert bei passender Gelegenheit, »wir haben hier in Schottland ein altes Sprichwort: Den Busch, der Dich verbirgt, sollst Du nicht verachten. Wenn das Gesinde mir richtigen Bescheid gegeben hat, so seid Ihr hierher gekommen, um im Hause meines Vaters Schutz zu suchen; macht Euch also nicht lustig über die Einfachheit derer, die darin wohnen. Ihr hättet lange am Hofe von England bleiben können, ehe wir uns um Eure Gunst beworben oder Euch mit unsrer Gesellschaft behelligt hätten. Nun aber hat das Schicksal Euch in unsre Mitte versetzt, daher nehmt nun Vorliebe mit der Kost und der Unterhaltung, wie wir sie Euch zu bieten vermögen, und dankt uns nicht für unsre Güte mit Euerm Hohne, denn die Schotten haben kurze Geduld, aber lange Schwerter.«

Aller Augen waren auf Halbert gerichtet, der in Haltung und Sprache eine Würde an den Tag gelegt hatte, wie man sie zuvor nicht an ihm gemerkt hatte. Ob diese würdevolle Festigkeit in seinem Benehmen auf sein Zusammentreffen mit der wunderbaren Erscheinung oder auf das Bewußtsein, mit übernatürlichen Dingen vertraut zu sein, zurückzuführen ist, möge dahingestellt sein. Fest steht, daß von diesem Tage ab eine Veränderung im Wesen Halberts allen auffiel, in seinem Handeln lag jetzt eine so rasche Entschlossenheit, eine solche Umsicht und Energie, wie sie sonst nur dem reiferen Alter zu eigen ist.

Der Ritter ließ sich die Zurechtweisung gefallen.

»Bei meiner Ehre, Du hast recht, junger Mann!« erwiderte er. »Doch wenn ich ein wenig gespottet habe über das Dach, das mir Schutz gewährt, so gereicht es ja bloß Dir zum Lobe, da Du ja unter diesem Dache geboren bist und Dich doch aus seiner Niedrigkeit emporschwingen kannst, gleichwie die Lerche, die in niedrigen Furchen nistet, und sich, trotz des Adlers, der aus Felsen seinen Horst baut, zur Sonne erhebt.«

Nach beendeter Mahlzeit zerstreute sich die Gesellschaft, die jungen Leute gingen auf ihre Stuben, die ältern Leute machten sich an ihre Hausarbeiten, und während Christie sich um sein Pferd kümmerte, machte sich Edward über sein Buch her, und Halbert, in Kopfarbeit bisher kein Held, dafür aber um so geschickter in aller Handarbeit, machte sich dabei, in seinem Stübchen eine Diele aufzureißen, um in dem dadurch gewonnenen Versteck das Exemplar der Heiligen Schrift zu verbergen, das er auf so merkwürdige Weise aus den Händen von Menschen und Geistern gewonnen hatte.

Inzwischen saß Sir Piercie Shafton starr wie ein Steinblock auf seinem Stuhl, hielt die Hände über der Brust gefaltet, die Beine gradaus vor sich gestreckt und auf die Fersen gestemmt, und die Augen nach der Decke hin gerichtet, wie wenn er dort jede Spinnweb zählen wollte, die an den Schwibbogen hing, aber mit einer Miene so feierlicher, unerschütterlicher Ernsthaftigkeit, als hinge von der Genauigkeit seines Exempels sein Leben ab.

Es war kaum möglich, ihn aus diesem Zustande von Versunkenheit so weit aufzurütteln, daß er sich mit an den Tisch setzen konnte, auf dem das Abendbrot hergerichtet war, das übrigens die jüngern Damen nicht mit einnahmen. Sir Piercie sah sich wohl ein paarmal um, wie wenn ihm was fehle; aber er stellte keine Fragen, sondern meinte nur, die rechten Zuhörer seien wohl darum nicht da, weil es ihm an dem rechten Geiste fehle, nahm das Wort fast immer nur, wenn man ihn ein paarmal drum angegangen hatte, und gab dann nüchterne Antwort, in schlichtem, allgemein verständlichem Englisch, das niemand besser reden konnte als er, wenn er nur wollte.

Als sich Christie infolgedessen im ungeteilten Besitze der Aufgabe sah, die Unterhaltung zu führen, gab er allerhand Episoden aus seinem rohen, unrühmlichen Kriegsleben zum besten, daß, sich Frau Elspath die Haare sträubten, während Frau Tibb Tacket, froh, wieder einmal mit einem »Stahlwams« zusammen zu sein, den Worten desselben lauschte, wie Desdemona den Heldentaten ihres Othello.

Die Brüder Glendinning saßen inzwischen jeder vertieft in die Betrachtungen, die sie beschäftigten, und nur die Aufforderung, zu Bett zu gehen, konnte sie darin stören.

Fünfzehntes Kapitel

Am andern Morgen war Christie von Clinthill nirgendswo zu sehen. Da es aber nicht in der Art dieses schmucken Gesellen lag, auszuposaunen, was er vorhatte, zeigte sich kaum jemand über sein Verschwinden nächtlicherweile überrascht, wenn auch die Frage, ob er mit leeren Händen gegangen sei, einige Unruhe wachrief. Man fand jedoch alles in Ordnung, der Stallschlüssel lag über der Tür, der Schlüssel zum Gatter steckte innen im Schloß, und so fand sich tatsächlich keine Ursache zur Klage über den Mann.

Halbert, der heute darauf verzichtete, zu Büchse und Armbrust zu greifen und, seiner Gewohnheit gemäß, eine Streife ins Freie zu unternehmen, machte sich zufolge der anständigen Art und Weise, wie sich Christie von Clinthill entfernt zu haben schien, an eine Besichtigung des ganzen Turmplatzes, und verfügte sich dann in die Eß- oder Wohnstube, wo früh um sieben das Essen bereit gehalten wurde.

Dort fand er den Schönredner wieder in derselben Versunkenheit, wie abends zuvor, mit den Armen über die Brust verschränkt, unter dem gleichen Winkel wie abends zuvor, mit den Augen auf die gleichen Spinngewebe gerichtet, und die Fersen auf den gleichen Fleck gestemmt wie abends zuvor.

Halbert fühlte sich von diesem ewigen Einerlei in Haltung und Wesen seines Gastes schließlich so angeödet, daß er es für das Geratenste hielt, das Eis kurz entschlossen zu brechen und festzustellen, welchen Umständen die Anwesenheit dieses gebieterischen und schweigsamen Gastes im Turme von Glendearg beizumessen sei.

»Herr Ritter,« hub er an, »ich hab Euch heut morgen ein paarmal guten Morgen gewünscht, aber Ihr seid so geistesabwesend, daß Ihr es nicht gehört zu haben scheint, und daß Euch eine Erwiderung des Grußes nicht möglich gewesen ist. Es steht Euch ja allerdings frei, einer Höflichkeit gegenüber Euch zu verhalten wie Ihr wollt; aber was ich Euch weiter zu sagen habe, betrifft Euch persönlich so ausschließlich, daß ich Euch schlechterdings um ein wenig Aufmerksamkeit bitten muß, denn Worte an ein Bild von Stein zu vergeuden, ist keine Sache nach meinem Geschmacke.«

Infolge dieser unvermuteten Ansprache riß Sir Pircie Shafton die Augen auf und maß den Jüngling mit strengem Blick. Als aber Halbert weder eine verlegne noch eine verwirrte Miene zeigte, da mochte es dem Ritter als geraten erscheinen, eine andre Stellung einzunehmen. Er schlug die Augen empor, zog die Beine an und richtete den Blick auf den jungen Glendinning, wie jemand, der sich anschickt, aufzupassen auf das, was ihm ein andrer sagen will. Ja, er hielt es sogar für geraten, den Entschluß, den er gefaßt hatte, noch schärfer zu markieren, dadurch, daß er sagte:

»Sprich! wir leihen Dir Ohr!«

»Herr Ritter,« nahm nun Halbert das Wort, »es ist im Sprengel des Sankt Marien-Klosters Brauch und Sitte, den Gast, der beherbergt wird, nicht mit Fragen zu belästigen, sobald über seinen Aufenthalt die Sonne nicht öfter als einmal untergeht. Es ist uns recht gut bekannt, daß Verbrecher und Schuldner hier eine Freistatt suchen, und von einem Pilgrim, den uns der Zufall als Gast schickt, etwa gewaltsam in Erfahrung zu bringen, was ihn zu uns führt, liegt uns völlig fern. Wenn hingegen jemand höhern Standes als wir, Herr Ritter, und vornehmlich ein Herr, der auf den Besitz solches Vorrangs hält, die Absicht verrät, länger unser Gast zu sein, dann pflegen wir ihn nach seiner Heimat und nach Grund und Zweck seiner Reise zu fragen.«

Der Ritter gähnte ein paarmal, ehe er Antwort gab. Dann erwiderte er in höhnischem Tone:

»Wahrlich, mein edler Villaggio, Eure Frage hat was an sich, das in Verlegenheit setzt, denn Ihr fragt da nach Dingen, auf die ich noch gar nicht recht Antwort weiß, wenn ich es überhaupt für angemessen halte, darauf zu antworten. Begnüge Dich damit, mein lieber Junge, daß Dir der Lord-Abt aus Herz gelegt hat, mich recht freundlich zu bewirten, was aber im Grunde genommen zuweilen nicht so geschehen ist und geschieht, wie es ein Herr von meinem Stande zu erwarten berechtigt ist.«

»Ich verlange eine bestimmtere Antwort als diese, Herr Ritter,« antwortete der junge Glendinning.

»Freundchen,« erwiderte der Ritter, »keine solche ehrenrührigen Redensarten! bei Euch im Norden mag es ja Sitte sein, sich frecherweise in die Geheimnisse von Standespersonen einzudrängen, etwa wie eine Laute in ungeschickter Hand bloß Mißtöne weckt...«

In diesem Augenblick ging die Stubentür auf, und Mary Avenel trat herein.

»Aber wer kann da von Misstönen reden,« fuhr der Ritter fort, indem er seinen scherzhaften Ton wieder anschlug, »wenn die Seele der Harmonie, in überschwengliche Schönheit gehüllt, zu uns hernieder sich neigt! Gleichwie Füchse, Wölfe und andre empfindungs- und vernunftslose Tiere die Erscheinung der glänzenden Himmelssonne fliehen, wenn sie emporsteigt in ihrer Herrlichkeit, so entweicht der Zorn, so flüchten alle unedlen Leidenschaften; denn was, die Wärme, die das Auge des Tages spendet, für die materielle und physische Welt ist, das ist das Auge, vor dem ich mich jetzt neige, für die Welt des intellektuellen Mikrokosmus.«

Hier schloß der Ritter mit einer tiefen Verbeugung.

Mary Avenel betrachtete einen nach dem andern. Da sie aber deutlich sah, daß zwischen ihnen etwas vorgefallen sein mußte, brachte sie weiter nichts über die Lippen als:

»Um Gottes willen, was soll das vorstellen?«

Diesmal versagte der Takt, den sich Marys Pflegebruder seit kurzem angeeignet hatte, und er wußte nicht recht, wie er einem Gaste gegenüber sich verhalten solle, der auf der einen Seite solch erhabnen Ton heuchlerischer Ueberlegenheit und Wichtigkeit anschlug, auf der andern hinwiederum in seinen Reden ein so geringes Maß von Ernst zeigte, daß man schlechterdings nicht wußte, ob es ihm Ernst oder Scherz damit sei. Nichtsdestoweniger war er fest entschlossen, Sir Piercie Shafton bei angemessner Veranlassung und wenn er sich an schicklicherem Orte mit ihm zusammenfände, zur Rede zu stellen, vorläufig aber die Sache auf sich beruhen zu lassen, zumal jetzt auch der Müller mit seiner Mutter, die in der Scheune den ungefähren Ernteertrag ermittelt hatten, in die Stube zurück kamen.

Der Müller hatte gerechnet und gerechnet und war schließlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Witwe Glendinning nach Abzug der Schuld, die sie noch bei der Abtei zu tilgen hatte, und nach Erstattung all dessen, was an ihn selbst noch zu entrichten war, ein ganz erklecklicher Ueberschuß bleibe. Ob nun eine solche Erwägung bei dem Müller ähnliche Pläne wachrief, wie die Witwe sie im Herzen trug, darüber kann ich mir kein Urteil bilden, soviel aber darf ich versichern, daß der Müller eine Einladung der Witwe, sein Töchterchen auf ein paar Wochen in Glendearg zu lassen, mit unverhohlener Freude entgegennahm.

Da sich solcherweise die Hauptpersonen dieser kleinen Komödie in der fidelsten Stimmung untereinander befanden, durfte man sich beim Morgenimbiß ungeteilter Freude hingeben, und Sir Piercie Shafton erwies sich über die Aufmerksamkeiten, mit der ihn die dunkle Mysie bedachte, so entzückt, daß er ihr, ohne seiner hohen Abkunft und seines hohen Standes zu gedenken, ein paar ganz ungewöhnlich schöne Redebilder widmete.

Mary Avenel, die sich infolgedessen von diesem Schwatzmichel erlöst sah, stellte sich so, als sei es ihr nicht unlieb, ihm zuzuhören, und der wackre Ritter, durch solchen Beifall von zwei Seiten ermutigt, und zwar von jenem zarten Geschlecht, um deswillen er sich als Schönredner ausgebildet hatte, ließ alsbald durchblicken, künftig mehr aus sich heraus zu treten, als es in seinen, auf Glendinnings Fragen erteilten Antworten geschehen war, und gab zu verstehen, daß ihn nur dringende Gefahr bestimmt hätte, sich bei ihnen als Gast wider Willen einzufinden.

Nach dem Frühstück hieß es, auseinander zu gehen. Der Müller machte sich reisefertig, Mysie hatte für den Aufenthalt, der sich so unerwarteterweise ihr bot, mancherlei Vorsorge zu treffen, Edward wurde von Martin um Rat in manchen Wirtschaftsfragen angegangen, um die sich Halbert niemals kümmerte, Frau Glendinning wurde durch häusliche Geschäfte in Anspruch genommen, und Mary wollte ihr nachgehen, als ihr einfiel, daß dann Halbert und der fremde Ritter wieder allein zusammen blieben, also die schönste Gelegenheit bekämen, ihren Zwist von heute früh fortzusetzen. Gleich drehte sie infolgedessen um und nahm auf einem kleinen Fenstersitz Platz, mit dem festen Willen, dem ungestümen Halbert die Zügel straff zu halten.

Dem fremden Ritter entging das Benehmen des Mädchens nicht, aber er meinte, die Wandlung ihres Entschlusses auf Rechnung seiner Schönrednerei und auf das Wohlwollen, das sie in seiner Gesellschaft fände, setzen zu sollen. Aus diesem Grunde, vielleicht auch noch aus dem weitern, daß es ihm ritterliche Artigkeit verbot, eine Name allein sitzen zu lassen, stand er auf und setzte sich neben sie, um die folgende Unterredung mit ihr zu eröffnen:

»Schönes Fräulein, glaubt mir,« sagte er, »es bereitet mir hohe Freude, daß mich mein Schicksal von dem Herde heimischer Freuden verbannt hat, hierher in diese düstre Waldhütte des Nordens, wo es mir vergönnt ist, eine so schöne Gestalt und ein so offnes Herz zu finden, ein Herz, dem ich meine verwandten Gefühle offenbaren kann. Indessen vergönnt mir, mein schönstes, huldvollstes Fräulein, gemäß der an unserm Hofe, dem Garten des feinen Witzes, herrschenden Sitte, die besondre Bitte, einen Beinamen mit mir tauschen zu wollen, der Euch deutlich sagen kann, wie treu ergeben ich Euch bin. Ich möchte ersuchen, hinfort an Euch unter dem Namen »Protektion« mich wenden zu dürfen, mich selbst hingegen als Eure »Affabilität« gelten zu lassen.«

»Die ländlichen Sitten des Nordens, Herr Ritter, erlauben, uns nicht solche Beinamen mit Personen zu tauschen, die uns vollständig fremd sind,« erwiderte Mary.

»Ei, seht doch, wie Euch, das gleich in Rage setzt!« sagte der Ritter, »Ihr kommt mir ganz so vor, wie ein ungebändigtes Roß, das vor einem wehenden Schnupftuch beiseite springt, aber der fliegenden Fahne, sobald die Zeit gekommen ist, doch entgegensprengen muß. Nennt doch Elisabeth von England ihren Philipp Sidney nicht anders als ihre »Courage«, während er seine Fürstin nur als seine »begeisternde Genia« kennt. Deshalb also, meine schöne Protektion – – denn mit diesem Beinamen werde ich Euch hinfüro nennen –«

»Doch wohl nicht ohne des gnädigen Fräuleins Einwilligung, Sir,« bemerkte Halbert; »Eure so überaus galante Verkehrsmanier wird hoffentlich nicht gegen solches Grundgesetz des Umgangs verstoßen!«

»Redlicher Eigentümer eines gemeinen Lehnguts,« versetzte der Ritter, mit der gleichen Kälte und Höflichkeit, doch mit etwas vornehmerm Tone, als er ihn gegen die Dame angeschlagen hatte, »wir Leute im Süden pflegen uns nur mit Leuten einzulassen, mit denen wir auf ungefähr gleichem Fuße stehen, mit andern Leuten im Grunde nicht, oder nur wenig, und ich muß Dich nach allen Regeln der Kunst bitten, mein Sohn, dem Drange der Umstände Rechnung zu tragen, der uns zu Bewohnern ein und derselben Hütte gemacht hat, ohne uns jedoch gesellschaftlich auf das gleiche Niveau zu setzen.«

»Bei der heiligen Jungfrau,« versetzte der junge Glendinning, »das ist denn doch der Fall, denn dem schlichtesten Verstand muß es wohl einleuchten, daß wenn jemand hier eine Freistätte sucht, er sie nur demjenigen verdankt, der sie ihm gewähren kann und gewährt, und daß wir uns so lange in ganz dem gleichen Range befinden, als uns doch das gleiche Dach bedeckt.«

»Mein Sohn und Freund, Du befindest Dich in einem höchst seltsamen Irrtume,« erwiderte Sir Piercie Shafton; »um Dich aber zur Einsicht in unser beiderseitiges Verhältnis zu bringen, so laß Dir sagen, daß ich mich nicht als Deinen Gast betrachte, sondern als den Gast Deines Grundherrn, des Lord-Abts vom Sankt Marien-Kloster, der aus Gründen, die ihm und mir bekannt sind, Dich, seinen Hörigen und Knecht, dazu anhält, mir gegenüber Gastrecht zu üben. Du bist demnach sehr einfach in diesem Falle nichts weiter als das gemeine Werkzeug eines Höhern, und für mich ganz dieselbe Null, wie dieses Spinnweb an der Wand, oder im Punkte meiner Bequemlichkeit aufgefaßt, wie dieser ungehobelte Stuhl hier, auf dem ich grade sitze, oder der gewöhnliche Holzteller, von dem ich eben ordinäre Speisen gegessen habe. Darum, schönste Dame, oder, wie ich ja hinfüro Sie anreden will, meine allergnädigste und allerliebenswürdigste Protektion ...«

Mary Avenel wollte ihm eben antworten, als Halbert ihr das Wort abschnitt durch den grimmigen Ruf:

»Nicht vom Könige von Schottland ließe ich mir, wenn er am Leben wäre, solches bieten!«

»Ums Himmels willen, Halbert! bedenke, was Du tust!« rief angsterfüllt Mary Avenel und warf sich zwischen ihn und den fremden Ritter.

»Seid ohne Furcht, allerschönste und allerlieblichste Protektion!« erwiderte hierauf Sir Piercie Shafton mit der höchsten Frohlaune, »es wird diesem bäuerischen, ungehobelten Jünglinge nicht gelingen, mich zu irgend einer Handlung in Eurer Gegenwart zu bringen, die sich mit meiner Würde nicht vertrüge. Eher könnte der Zündstock eines Musketiers einen Eiszapfen in Flammen setzen, als daß der Funke der Leidenschaft mein Herz entzündete, das zur höchsten Sanftmut gestimmt wird durch den Respekt vor der Gegenwart meiner allergeneigtesten Protektion ...«

»So könnt Ihr die Dame ja freilich nennen, Herr Ritter,« warf Halbert ein, »denn, beim heiligen Andreas! es ist ja das einzige gescheite Wort, das ich ans Eurem Munde vernommen habe; indessen könnten wir einander wohl anderswo treffen, wo Euch ein solches Protektorat von recht wenig Nutzen sein möchte.«

»Meine allerhuldvollste Protektion,« fuhr der Galanthomme fort, ohne die Drohung Halberts nur eines Zuckens seiner Miene zu würdigen, geschweige einer weitern Erwiderung, »zweifelt nicht, daß Eure getreueste »Affabilität« sich durch die Worte dieses Flegels stärker reizen ließe als der klare, heitre Mund sich durch das Bellen eines Hofhunds irritieren läßt, der aus Stolz über die Höhe seines Misthaufens in dem Wahne sich befindet, er stände der majestätischen Lichtscheibe um einige Stufen näher.«

Zu welchen Schritten solches Gleichnis Halbert Glendinning noch getrieben hätte, läßt sich schwer sagen, aber in demselben Augenblick kam Edward in die Stube gestürzt mit dem Rufe, die beiden vornehmen Klosterbrüder, der Küchenmeister und der Tafeldecker, seien mit einem wohlbeladnen Maultiere eingetroffen und hätten die Nachricht mitgebracht, daß sich der Lord-Abt, der Unterprior und der Sakristan auf dem Wege nach Glendearg befänden. Von solch merkwürdigem und außerordentlichem Umstande wußten weder Chroniken noch Annalen zu berichten, seit das Sankt Marien-Kloster stand, und auch in keiner Sage von Glendearg erklang davon ein Laut, wenn auch in dem Turme von Glendearg sich ein schwaches Gerücht erhalten hatte, daß in alten Zeiten ein Lord-Abt sich einmal auf einem Jagdzuge verirrt und in dieser Wildnis des Nordens zu Mittag gespeist hätte. Daß aber ein Lord-Abt eine freiwillige Reise nach solch schauerlicher Gegend, dem richtigen Sibirien des Klostersprengels, unternehmen werde, das hätte sich kein Klosterbruder jemals träumen lassen, so wenig wie jeder andre Mensch, und diese Meldung, mit der jetzt Edward in die Stube hineinschneite, war für alle Familienglieder, einzig Halbert ausgenommen, im höchsten Grade überraschend.

Diesen ungestümen Jüngling beschäftigte die erlittne Kränkung seiner Ehre zu stark, als daß er an etwas andres als Rache hätte denken können.

»Das ist mir lieb,« rief er, »daß der Abt nach Glendearc hinauf zu kommen geruht. Von ihm werde ich hören, mit welchem Recht uns der fremde Ritter auf den Hals geschickt worden ist, um unter dem Dache unsrer Väter zu kommandieren, als seien wir seine Knechte und nicht freie Männer. Ich will dem stolzen Priester ins Gesicht hinein sagen ...«

»Aber, lieber Bruder Halbert,« sagte Edward, »bedenke doch, wie teuer Dich solche Worte zu stehen kommen können ...«

»So teuer wohl kaum,« erwiderte Halbert, »daß ich vor einer Begegnung mit dem Abte mein menschliches Gefühl und meinen gerechten Zorn opfern sollte!«

»Bedenke doch unsre Mutter!« rief Edward, »wenn sie ihres Obdachs beraubt würde! wenn sie aus ihrem Eigentum vertrieben würde um Deiner Unbesonnenheit, um Deines Jähzorns willen! Wie könntest Du denken, so schweres Vergehen je sühnen zu können?«

»Beim Himmel!« rief Halbert, sich vor die Stirn schlagend, »Du sprichst nur allzu wahr!«

Im nächsten Augenblick aber stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, auf seinem Gesicht stand in grimmer Deutlichkeit der Ausdruck gewaltsam zurückgedrängter Leidenschaft ... mit einem Ruck drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Mary Avenel blickte den fremden Ritter an. Es sah aus, wie wenn sie einer Bitte Ausdruck geben wollte, er möge die Heftigkeit ihres Pflegbruders nicht dem Abte mitteilen und dadurch die ganze Familie in Elend und Ungemach bringen. Aber Sir Piercie, diese echte Blume ritterlicher Höflichkeit, deutete sich ihr Anliegen aus ihrer Verlegenheit und wollte sie der Mühe, es in Worte zu kleiden, überheben.

»Allerliebste Protektion,« sagte er, »Eure Affabilität bringt es nicht über das Herz, etwas von unziemlicher Art zu sehen oder zu hören, geschweige auszusprechen oder zu wiederholen, das sich ereignen könnte, während ich mich des Elysiums Eurer Gegenwart zu erfreuen das Glück fand. Es mag sein, daß roher Menschen Busen auf rohe Weise bewegt wird; aber das Herz eines Mannes, der sich bei Hofe bewegt, ist so fein ziseliert, daß ihm dergleichen nichts anhaben kann. Genau wie der gefrorne See den Einfluß des Lüftchens nicht spürt, das über ihn streicht, genau so ...«

Da verlangte ein gellender Aufschrei die Hilfe Mary Avenels. Aus dem Munde der Frau Glendinning war er gekommen. Mary gehorchte auf der Stelle, von Herzen froh, der galanten Reden und Gleichnisse dieses höfischen Stutzers überhoben zu sein. Und für den Ritter war es eine Erleichterung nicht geringerer Art, denn kaum hatte Mary Avenel die Schwelle überschritten, als er die zeremonielle Miene höfischer Artigkeit aus seinem Gesichte förmlich mit einem Strich entfernte und eine Miene äußerster Abspannung und grenzenloser Langweile an ihre Stelle setzte. Dann gähnte er ein paarmal auf die schlimmste Weise, daß man gewissermaßen fühlte, es bärge sich hinter diesem Ausbruch von geistiger Oede irgend ein schweres Unglück, und dann brach er in folgendes Selbstgespräch aus:

»Daß der böse Feind diese Dirne hierher führen mußte, als ob es nicht Plage genug wäre, in einem Loche zu hausen, das in England kaum gut genug wäre als Hundestall, sich anschnauzen zu lassen von einem rohen Bauernlümmel und sich der sogenannten Treue eines feilen Gauners überliefert zu wissen. Kann ich doch nicht einmal in Ruhe über mein Pech nachdenken, sondern muß hier sitzen und einem bleichen, hektischen Gespenst zu Ehren in aller Erhabenheit und lebendigem Redeflusse Vortrag halten, weil adliges Blut in ihren Adern rinnt. Bei meiner Ehre! diese Müllers Mysie ist, alles Vorurteil beiseite gesetzt, der weit bessre Happen. Doch Geduld, Piercie Shafton! Deinen wohlerworbnen Ruf als galanten Diener des schönen Geschlechts darfst Du Dir nicht verkürzen lassen, sondern Du mußt nach wie vor der elegante Witzbold, der vollendete Hofmann bleiben, der Du immer gewesen! Danke lieber dem Himmel, Piercie Shafton, daß er Dir in dieser Avenel, deren Herkunft aus dem Uradel des Landes ja über allen Zweifel erhaben ist, einen Wetzstein gespendet hat. Deine galanten Artigkeiten, Deinen scharfen Witz zu schleifen, ohne Dir in Deinem Range etwas zu vergeben. Denn gleichwie eine Damaszenerklinge um so blanker und schöner wird, je länger man sie reibt ...aber wozu den Schatz meiner Gleichnisse in Selbstunterredungen verschleudern? Dort kommt der Pfaffenzug, einem Dutzend Krähen vergleichbar, die nach ihrem Horste ziehen! Die Kerle werden doch in ihrer Fürsorge um meinen Wanst nicht meinen Koffer vergessen haben? Da wär ich ja fein dran, wenn der Krempel unter dem spitzbübischen Grenzvolk Malheur gelitten hätte!«

Beunruhigt durch diesen Gedanken, rannte er wie im Sturm die Stufen hinunter und ließ sein Pferd satteln, um den Lord-Abt und sein Gefolge im Tale zu erreichen und sich Gewißheit über diesen für ihn wichtigen Punkt zu verschaffen. Kaum etwa eine Stunde war er unterwegs, als er auf den Pfaffenzug, wie er sich ausgedrückt hatte, stieß, der sich mit all der Langsamkeit und all dem Wohlanstand entlang bewegte, wie es seiner Würdigkeit und seinem Stande zukam. Der Ritter ermangelte nicht, den Lord-Abt mit jener zeremoniellen, Höflichkeit zu bekomplimentieren, die zu damaliger Zeit vornehme Herren einander zu erweisen pflegten. Zum Glück fand er auch seine Koffer vor unter dem Gepäck des Zuges, und infolge dieser tröstlichen Zuversicht wandte er sein Pferd und gab dem Lord-Abt das Geleit zum Turme von Glendearg.

Groß war unterdes die Unruhe der braven Frau Glendinning und ihrer Gehilfinnen, um alles zum würdigen Empfange des hohen Besuches herzurichten. Die Mönche hatten kein großes Vertrauen in ihre Küche gesetzt, und doch war sie mit Gerichten beschäftigt, die ihr den Dank und Beifall ihrer Lehnsherren eintragen sollten. So gebot sie Halbert, als er ihr mit zornglühendem Gesicht in den Weg lief, schleunigst in den Wald hinaus zu eilen und nicht ohne Wildbret nach Hause zu kommen. Der Müller, der sich nun schnell zur Heimreise anschickte, versprach, ihr einen Salm herauf zu schicken, und Frau Glendinning, die nun alle Hände voll zu tun hatte, fing es schon an, leid zu tun, daß, sie Müllers Mysie eingeladen hatte, ja sie befaßte sich schon mit dem Gedanken, wie sie sie am Ende, ohne bei dem Vater gar zu scharf anzustoßen, bald heimschicken könne; aber die unvermutete Artigkeit des Vaters machte vorderhand jede Unartigkeit gegen die Tochter zur Unmöglichkeit, und so machte sich denn der Müller allein auf den Heimritt.

Aber diesmal sollte die Gastlichkeit der Frau Glendinning einen schnelleren Lohn finden, als sie sich hatte träumen lassen, denn Jungfer Mysie erwies sich als eine recht geschickte Köchin, die allerhand seine Leckereien und Zuspeisen, wie blancmanger und dergleichen, von denen die wackre Witwe bisher keine Ahnung gehabt hatte, zu bereiten verstand, und so pries denn die Witwe den Himmel und alle Heiligen, daß ihr der Gedanke, das Mädchen in Glendearg zu behalten, gekommen war. Als sie eine so tüchtige Stellvertreterin am Kochherde wußte, verließ, sie die Küche und putzte sich nun aufs beste als Frau vom Hause heraus, um sich dann mit klopfendem Herzen an der Tür ihres kleinen Turmes zu postieren, in der Absicht, dem Lord-Abt, sobald er ihrem Hause nahte, die tiefste Reverenz zu machen. Neben, ihr stand Edward mit nicht minder klopfendem Herzen. Er mußte jetzt lernen, wieviel Zeit Vernunft braucht, um über die Macht äußrer Verhältnisse obzusiegen, und in welchem starken Maße unser Gefühl durch Neuheit animiert, durch Brauch und Gewohnheit abgestumpft wird.

Jetzt sah er zu seinem Staunen den Lord-Abt herannahen, der aus etwa einem halben Dutzend Reiter in langen, schwarzen Tataren bestand, die durch die weißen Skapuliere nur wenig aufgehellt wurden. Das Ganze glich mehr einem Leichenzuge, als irgend etwas anderm, bloß Sir Piercie Shafton brachte durch seine Gegenwart eine wohltuende Abwechslung in das düstre Einerlei, denn er trug eifrig Sorge dafür, daß seine ziemlich bedeutende Reitkunst ebenso zur Wirkung gelangte, wie er all seine andern Künste und Fertigkeiten während seines kurzen Aufenthalts zu zeigen bemüht gewesen war, freilich oft genug zum starken Verdrusse des Lord-Abts, dessen Zelter durch die Lebhaftigkeit des andern Rosses auch lebhaft zu werden drohte.

»Ich bitt Euch, Herr Ritter,« rief der Lord-Abt einmal über das andre, »laßts nun gut sein. ... Aber, Sir Piercie, das hat doch gar keine Art so! ... Benedikt, ruhig! es ist doch ein gutes und ruhiges Tier. Sachte, sachte!« und was der begütigenden Worte sonst noch zu sein pflegen, mit denen ein schlechter Reiter sich aus der Verlegenheit zu ziehen liebt. Mit einem innigen Deo gratias! beschloß er endlich sein Bitten und Beten als er mit einem blauen Auge glücklich den Turmhof erreicht hatte.

Wie auf ein Kommando knieten sämtliche Hausbewohner nieder, dem Lord-Abt die Hand zu küssen, eine Zeremonie, die sich hin und wieder auch die Mönche gefallen lassen mußten. Dem frommen Abt Bonifazius hatten die letzten Ereignisse dermaßen zugesetzt, daß er sich dieser Zeremonie nicht mit der Feierlichkeit unterzog, wie er es zu andern Malen gewöhnt gewesen war. Mit einem schneeweißen Taschentuch trocknete er sich mit der einen Hand die Stirn, während er die andre der handkußdurstigen Schar von getreuen Gliedern seiner Gemeinde überließ. Dann machte er mit weit ausgestrecktem Arme das Zeichen des Kreuzes und rief:

»Gottes Segen über Euch, meine liehen Kinder, Gottes Segen!«

Und dann begab er sich, gar häufig brummend, über die finstre, steile Wendeltreppe in das ihm angewiesene Zimmer und warf sich im Zustande äußerster Erschöpfung und Abspannung auf einen, ich will nicht sagen, bequemen, aber doch auf den bequemsten Stuhl, der sich in dem dürftigen Räume befand.

Sechzehntes Kapitel

Der Lord-Abt war auf diese hochmütige Weise den Blicken seiner harrenden Lehnsleute plötzlich entschwunden, aber der Unterprior war bemüht, diese Unhöflichkeit seines Vorgesetzten wieder gut zu machen, indem er sie herzlich als Familienmitglieder begrüßte, besonders Frau Elspath, ihre Pflegetochter und ihren Sohn Edward.

»Wo ist denn Halbert, der waghalsige Nimrod?« fragte er leutselig.

»Er ist ins Tal hinab gegangen und holt Wildbret, mit Verlaub Euer Ehrwürden,« erwiderte Frau Glendinning. »Sonst wäre er sicher anwesend an einem solchen Ehrentage für mich und die Meinen.«

»Nun freilich,« murmelte der Unterprior, »wir sind auch stets Freunde von einem schmackhaften Wildbraten gewesen. Doch jetzt auf Wiedersehen, gute Frau, ich muß mich zu Seiner Herrlichkeit, dem Vater Abt, verfügen.«

»Ehrwürdiger Herr,« sagte sie, »seid doch so gütig und legt ein Wort für uns ein, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Sagt doch, es sei nicht bös gemeint, und macht ein paar Entschuldigungen, wenn es ja an etwas fehlen sollte. Ihr wißt, wir haben alles Silberzeug verloren.«

»Macht Euch keine Sorge,« erwiderte der Unterprior, »der Mundschenk hat das Eß- und Tafelgeschirr des Abtes mitgebracht, und wenn es bei Eurer Bewirtung an etwas mangeln sollte, wir wissen auch den guten Willen zu schätzen.«

Mit diesen Worten begab er sich ins Speisezimmer, wo, so gut es in der Eile ging, die Vorkehrungen zu einem Mittagsmahl für den Abt und den englischen Ritter getroffen wurden. Der Lord-Abt, für den ein aus allen im Hause vorhandnen Mänteln hergerichtetes Polster noch nicht umfangreich genug geworden war, beschäftigte sich gerade damit, sich in dem geräumigen Lehnstuhl Simons ein weiches, gemütliches Plätzchen herzurichten.

»Ihr irrenden Ritter,« sagte der Abt zu Sir Piercie Shafton, »könnt Euch nicht denken, daß auch unsereins Last und Mühe hat. Aber auch wir sind nicht gewohnt, uns der Hitze und Plage des Dienstes zu entziehen. Kaum hatte ich erfahren, daß Ihr Euch hier befändet, und daß Ihr aus gewissen Gründen nicht ins Kloster kommen dürftet, so habe ich sofort meinen Leuten meinen Entschluß kund getan, nach Glendearg zu reiten. Bruder Timotheus, habe ich gesagt, laß meinen schwarzen Zelter satteln, der Unterprior und ein Dutzend Brüder sollen sich bereit halten; morgen früh, reiten wir nach Glendearg. Und der Küchenmeister und der Mundschenk sollen voraus reiten und den armen Leuten behilflich sein, ein uns angemessnes Mahl einzurichten. Ihr seht also, Sir Piercie, auch wir haben unsre Beschwerlichkeiten gehabt, und Ihr dürft uns keinen Vorwurf machen, wenn nicht alles so gut gegangen, ist.«

»Davon ist wirklich auch keine Rede,« entgegnete Sir Piercie Shafton. »Wenn Ihr so harte Beschwerlichkeiten auf Euch genommen habt, wie Eure Herrlichkeit mir sie schildert, so würde es mir sündigem Kinde der Welt übel anstehen, Beschwerde zu führen über ein Bett, das hart ist wie eine Pritsche, oder über Brot, das genau so schmeckt, als wenn verbrannte Wolle darin wäre, oder über andre Speisen, die ganz nach der rauhen Gegend hier schmecken.«

»Es schmerzt mich,« erwiderte der Abt, »daß Ihr dieses gastfreundliche Haus nicht in bessrer Vorbereitung angetroffen habt, – aber wenn Ihr unser, der heiligen Jungfrau geweihtes Haus mit Eurer Anwesenheit beehren wolltet, so sollt Ihr vollauf zufrieden gestellt werden.«

»Wenn ich Euer Hochwürden die Gründe nennen soll,« antwortete Sir Piercie Shafton, »warum ich vorläufig Eurem wohlbekannten Hause nicht nahen und Eure schätzenswerte Gastfreundschaft nicht genießen darf, – so müßten Euer Hochwürden mir noch ein wenig Zeit lassen oder –« und er warf einen Blich um sich her, »unsre Zuhörer hier vermindern. Denn Eure Weisheit wird einsehen, daß man nicht vorsichtig genug sein kann, wenn der Kopf eines Mannes auf dem Spiele steht.«

Der Abt befahl seinen Begleitern, mit Ausnahme des Unterpriors das Gemach zu verlassen.

»Vor unserm Freunde und Ratgeber, Vater Eustachius, könnt Ihr ohne Scheu sprechen. Er besitzt mein ganzes Vertrauen, und ist auch des Euern würdig.«

Sir Piercie Shafton verneigte sich vor den ehrwürdigen Mönchen, und mit einem Seufzer, der so schwer war, als wollte er ihm den Brustpanzer sprengen, begann er:

»Ich habe wohl Grund dazu, so tief zu seufzen, denn seit ich die prachtvolle Sphäre des englischen Königshofes mit einem entlegnen Winkel in dieser unzugänglichen Wüste vertauscht habe, ist mirs, als wäre ich aus dem Himmel ins Fegfeuer gekommen. Vor kurzem noch brach ich mit meinesgleichen auf dem Turnier eine Lanze, bald für die Liebe der Ehre, bald für die Ehre der Liebe – und jetzt fälle ich die Lanze gegen Landstreicher Und Diebesgesindel. Vor kurzem noch habe ich auf der lustigen Schaubühne des Hofes eine glänzende Rolle gespielt, jetzt sitze ich in einem schottischen Hundestall. Vor kurzem noch umschwebte ich die Schönheiten des englischen Thrones, jetzt muß ich mich mit der kalten Höflichkeit eines schottischen Fräuleins begnügen oder gar mich von einem Müllermädchen anstarren lassen.«

Der Abt hörte diese Reihe von Klagen verblüfft an und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Der Unterprior, kam seinem Herrn, der ihn ratlos ansah, zu Hilfe und sprach:

»Wir bedauern lebhaft, Herr Ritter, die vielen Unannehmlichkeiten, die das Schicksal Euch aufgebürdet hat, doch können wir uns noch immer nicht erklären, aus welchem Grunde Ihr Euch in eine so mißliche Lage schicken müßt.«

»Ehrwürdiger Herr,« fuhr der Ritter fort, »verübelt es einem unglücklichen Menschen nicht,, wenn er ein Weilchen bei der Aufzählung seiner Leiden verweilte, wie jemand, der in einen Abgrund gestürzt ist, die Höhe mißt, von der er gefallen ist.«

»Ich meine aber doch, es wäre vernünftiger,« versetzte Vater Eustachius, »wenn er denen, die ihn aufzuheben herbeikommen, sagen wollte, welches Nein er gebrochen habe.«

»Ehrwürdiger Vater,« antwortete der Ritter, »Ihr habt da in dem kleinen Zweikampf unsres Geistes einen Meisterstoß geführt, während ich sozusagen meinen Lanzenschaft zerbrochen habe. Verzeiht, daß ich in der Sprache des Turniers rede, in der Ihr ohne Zweifel nicht bewandert seid. – Ach, das Turnier! Die köstliche Versammlung alles Edeln, Schönens und Heitern! O, Ihr himmlischen Schönheiten, die Ihr mit Euern strahlenden Augen dem Ganzen die schönste Weihe verleiht! Piercie Shafton wird nie wieder in die Bahn reiten, das Ziel Eurer bewundernden Blicke – nie wieder wird er seinen Gegner besiegen und die Ehrenrunde reiten, den Lohn empfangen, den die Schönheit der Ritterlichkeit spendet.«

Er hielt inne, rang die Hände und sah gen Himmel, wie es schien, völlig verloren in Betrachtung seines verlornen Glückes.

Der Unterprior wußte jedoch gezierte Übertreibung von der Irrede des Wahnsinns zu unterscheiden, und er hielt denk Ritter ernstlich vor, daß der Lord-Abt eine so weite Reise, die ihn bei seinem Alter sehr angestrengt hätte, nur aus dem Beweggrunde unternommen hätte, um zu erfahren, ob er Sir Piercic Shafton helfen könne. Dies sei aber nur möglich, wenn er ihn genau darüber unterrichte, warum er in Schottland Zuflucht gesucht hätte.

»Der Tag geht zur Neige,« setzte er hinzu mit einem Blick nach dem Fenster, »und wenn der Abt ins Kloster zurückkehren müßte, ohne das, was er wissen wollte, erfahren zu haben, so wäre das allerdings für beide Teile unerfreulich; die größre Unannehmlichkeit liegt hoch wohl auf Eurer Seite, Herr Ritter.«

Dieser Wink half.

»O, Göttin der Höflichkeit,!« rief »der Ritter. »So weit habe ich Deine Gebote außer acht gelassen, daß ich die Zeit dieser ehrwürdigen Prälaten mit meinen Klageliedern vergeude. So wisset denn, ehrwürdiger Herr, ich, Euer armer Gast, bin durch Geburt dem Piercie von Northumberland verwandt, dessen Geschichte ich Euch in aller Kürze erzählen will –«

»Das ist nicht nötig,« unterbrach ihn der Abt, »wir kennen ihn als einen guten, echten Edelherrn und als tapfern Vorkämpfer unsers Glaubens. Noch gerade weil Ihr mit ihm verwandt seid, Sir Piercie Shafton, erklären wir Euch, Ihr seid uns sehr willkommen, und wir werden Euch nach Kräften beistehen, wenn wir nur erst wissen, wie.«

»Ich bin Euch für ein so liebenswürdiges Anerbieten allezeit verbunden,« antwortete Sir Piercie Shafton, »ich brauche auch für jetzt nicht mehr zu sagen, als daß mein ehrenwerter Vetter von Northumberland nach einer Unterredung mit mir und einer großen Anzahl erlesener Geister unsrer Zeit über die Frage, auf welche Weise und durch welche Maßregeln der Dienst des Herrn gemäß den Satzungen der katholischen Kirche sich in diesem, vom wahren Glauben abgefallnen Königreich England wieder einführen ließe, mich so weit in diese geheime Verbindung hineingezogen hat, daß schon dieses hinreicht, mich vogelfrei zu machen und meine persönliche Sicherheit zu gefährden. Die Prinzessin Elisabeth hat nämlich genaue Kunde von unserm Anschlag erhalten. Mein ehrenwerter Vetter hielt es nun für das Beste, daß ein einzelner für die Gesamtheit Schimpf und Schande auf sich nähme, und hierzu hat er mich erlesen. Ich habe nun diese Bürde um so bereitwilliger auf mich genommen, als mein gütiger, ehrenwerter Verwandter sich von jeher als edelsinniger Freund erwiesen hat, und als ferner mein Vermögen – ich weiß selber nicht, wie das gekommen ist – nicht mehr ausreicht, um den Aufwand zu bestreiten, zu dem wir erlesenen Geister genötigt sind, um uns einigermaßen vom Pöbel zu unterscheiden.«

»Eure Privatverhältnisse haben es Euch also nicht erlaubt,« bemerkte der Unterprior, »ins Ausland zu fliehen? Und diese mißlichen Vermögensverhältnisse sind neben der Vereitlung des Staatsstreiches der Grund, weshalb Ihr in Schottland Zuflucht gesucht habt?«

»Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen,« antwortete der Höfling. »Und mit knapper Not habe ich meinen Hals vor der Schlinge gerettet. In fliegender Eile bin ich nach Norden geflüchtet, denn ich hielt es für das Beste, meinen ehrenwerten Vetter Northumberland auf einem seiner zahlreichen Schlösser zu besuchen. Bei Northallerton begegnete ich einem gewissen Vaughan, einem Bediensteten meines Vetters, welcher mir mitteilte, ich konnte bei ihm keinen Schutz finden, denn mein Vetter habe dem Befehle, der von Hofe an ihn ergangen sei, nachkommen und Haftbefehle wider mich erlassen müssen.«

»Mir scheint,« erwiderte der Abt, »Euer ehrenwerter Verwandter ist sehr grausam gegen Euch verfahren.«

»Es hat so den Anschein, Hochwürden,« entgegnete Sir Piercie, »allein ich kann für die Ehre meines Vetters von Nothumberland mit meinem Leben eintreten. Vaughan gab mir im Auftrage meines Vetters ein zuverlässiges Pferd, einen Beutel mit Gold, und zwei Grenzreiter, wie man sie nennt, als Führer, die mich nach dem Hause eines gewissen Barons – wenigstens will er für einen solchen gelten – brachten, – ich meine, in das Haus Julians von Avenel, bei dem ich Aufnahme fand. Es gab wenig zu essen dort, aber doch mußte ich beim Abschied noch ganz gut zahlen, denn dem Freiherrn gefiel mein in Silber gearbeiteter kostbarer Dolch so gut, daß mir nichts andres übrig blieb, und ich ihn, bitten mußte, ihn als Geschenk anzunehmen. Er ersparte mir die Mühe, ihn zweimal zu bitten, und steckte das wertvolle Kunstwerk sogleich in seinen schmutzigen Gürtel von Büffelleder, in welchem die edle Waffe, auf mein Wort, Hochwürden, mehr wie das Schlachtmesser eines Metzgers als wie der Dolch eines Edelmannes sich ausnahm.

Wenn ich noch länger bei ihm geblieben wäre, so hätte er mir mit allerlei Komplimenten noch den Rest meiner Garderobe abgegaunert, bis aufs Hemd hätte er mich ausgezogen, das schwöre ich Euch bei den Göttern der Gastfreundschaft! Zum Glück bekam ich einen Brief von meinem Vetter, in welchem er mir mitteilte, er habe meinetwegen an Euch geschrieben und zwei Koffer mit Kleidungsstücken an Euch geschickt, nämlich mein rotseidnes Wams mit den Goldtressen, den dazu gehörigen verzierten Gürtel, ferner zwei Paar schwarzseidne Pumphosen, ein schwarzseidnes Wams mit Pelzbesatz, ferner –«

»Herr Ritter,« unterbrach ihn der Unterprior, »erlaßt uns die weitre Aufzählung Eurer Garderobe. Die Mönche des Klosters unsrer lieben Frauen sind keine räuberischen Freiherren, und was in den Koffern an uns geschickt worden ist, ist aufs ehrlichste heute hierher geschafft worden. Gemäß dem, was Euer Vetter uns mitgeteilt hat, dürfen wir wohl annehmen, daß Ihr vorläufig, soweit es sich mit Euerm hohen Stand und Verdienst verträgt, unbekannt bleiben wollt?«

»Leider, leider, Euer Ehrwürden,« antwortete der Höfling, »eine Klinge kann nicht blitzen, so lange sie in der Scheide steckt – ein Demant kann nicht leuchten, so lange er in der Schatulle liegt, so kann auch das Verdienst, das durch die Verhältnisse gezwungen ist, sich selbst unter den Scheffel zu stellen, die Augen der Welt nicht auf sich lenken.«

»Ich zweifle nicht, hochwürdiger Herr und Vater,« sagte der Unterprior, »daß Ihr in Eurer Weisheit Mittel und Wege finden werdet, diesen Herrn und edlen Ritter in Sicherheit zu bringen, ohne dabei unsre Brüderschaft zu gefährden, denn es ist Euch ja bekannt, daß in diesen abenteuerlichen Zeiten schon Schritte getan worden sind, alle kirchlichen Stiftungen zu vernichten. Wir sind, wenn uns auch schon mehrfach gedroht worden ist, bisher immer mit einem blauen Auge davon gekommen, aber unter den jetzt am Hofe der Königin herrschenden Verhältnissen werden sich diese Verhältnisse sicher noch verschlimmern.«

»Hochwürdiger Herr,«, fiel ihm Piercie Shafton ins Wort, »während Ihr über diesen Punkt beratet, will ich Euch von meiner Gegenwart befreien, denn es liegt mir sehr viel daran, zu erfahren, in welchem Zustande meine Garderobe hier angekommen ist, und ob sie etwa unter der Reise hierher gelitten hat. Denn es sind vier Anzüge von feinstem Stoff und geschmackvollstem Schnitt dabei, außerdem sind meine gestickten Hemden darunter – Ihr werdet sicher verzeihen, wenn ich sogleich nachsehe, wie es damit steht.«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, und der Unterprior warf ihm einen vielsagenden Blick zu und flüsterte: »Wo Dein Schatz ist, da ist auch Dein Herz.«

»Die heilige Jungfrau erhalte uns unsre fünf Sinne!« rief der gute Abt aus, der über den Wortschwall des Ritters fast den Verstand verloren hatte. »Wie kann bloß in dem Kopfe eines Mannes weiter nichts sein als seidne Kleider, Stickereien und der Himmel weiß, was für Plunder! Wie konnte bloß der Earl von Northumberland einen solchen Flederwisch zu seinem Vertrauten in lebenslänglichen Komplotten machen!«

»Wenn er ein andrer Charakter wäre,« erwiderte der Unterprior, »so hätte er sich für die Rolle des Sündenbocks, zu der ihn allem Anschein nach der Earl für den Fall eines Mißlingens von vornherein auserlesen hatte, nicht so vortrefflich geeignet. Er ist weiter nichts als ein Stutzer. Aber wir haben nur mit den Folgen zu rechnen, die es für uns haben kann, wenn wir uns seiner annehmen. Welche Strafe könnte uns treffen, wenn man uns überführen könnte, daß wir einem Staatsverbrecher Obdach gewährt hätten? Es fänden sich wohl viele schottische Schmarotzer, die sich sogleich die Güter unsrer Stiftung erbetteln würden, und ein englisches Heer wäre sofort zur Stelle, unsern heiligen Bezirk mit Feuer und Schwert heimzusuchen. Wir müssen auf der Hut sein, und dürfen diesen Menschen, ich meine, den Sir Piercie Shafton, nicht in unsern Klostermauern beherbergen.«

»Was sollen wir aber mit ihm tun?« erwiderte der Abt. »Sein Gönner, der Earl von Northumberland, war uns immer wohlgesinnt, er kann uns nützen und uns schaden, je nachdem wie wir mit seinem Verwandten umgehen.«

»Laßt ihn hier bleiben,« erwiderte der Unterprior. »Der Ort hier ist entlegen und versteckt, und wenn er auch nicht seinem Stande gemäß bewirtet wird, so braucht er dafür auch weniger eine Entdeckung zu befürchten. Wir müssen eben dafür sorgen, daß er hier so gut wie möglich aufgehoben ist.«

»Nun Wohl, Vater Eustachius, ich billige Deinen Vorschlag,« antwortete der Abt. »Wir werden ihm insgeheim Wein und Weißbrot schicken. Doch da kommt der Tafeldecker mit den Speisen. Ich muß gestehen, ich bin recht hungrig nach dem langen Ritte.«

Siebzehntes Kapitel

Gleich nach seinem Zwiste mit dem neuen Gaste Piercie Shafton hatte Halbert Glendinning den Turm von Glendearg verlassen. Als er mit rüstigen Schritten das Tal hinan schritt, kam ihm der alte Martin nach und bat ihn, ein wenig langsamer, zu gehen.

»Halbert,« sagte der Greis, »Ihr werdet gewiß nicht so lange leben, bis Euer Haar weiß geworden ist, wenn Ihr gleich bei jeder Gelegenheit aufbraust.«

»Und warum solchen Wunsch, guter Alter?« entgegnete Halbert, »soll ich die Zielscheibe sein, nach der jeder Narr seinen Pfeil ungestraft schießen darf? Was hast Du davon, Alter, daß Du läufst, schläfst und wachst, ißt und trinkst, und Dich dann auf Dein hartes Lager wirfst? Wie kanns Dich Vergnügen, daß Dich jeder Morgen zu des Tages Last und Mühen ruft, und Dich der Abend wieder an Dein dürftiges Lager holt? ... Wärs nicht besser, Du schliefest ein, um nicht wieder aufzuwachen, statt dieses ewigen Einerleis von Arbeit und Oede und Oede und Arbeit?«

»Daß mir Gott helfe!« sagte Martin, »es mag wohl sein, wie Du sagst! aber laufe bloß nicht so geschwind! mit Deinen jungen Beinen kommen doch meine alten Beine nicht mehr fort.«

»Vergiß doch nicht, daß wir Wild herbeischaffen sollen, um die fromme Sippschaft, die heut schon einen mehrstündigen Ritt hinter sich hat, zu stärken und laben. Und wenn wir nicht bis in die Heide von Brucksburn laufen, so wird sich wohl kaum ein Hirschkalb auftreiben lassen.« Nach einer Weile fragte er plötzlich: »Sage doch, Martin, findest Du nicht, daß ich seit einiger Zeit anders geworden bin?«

»Das wohl,« versetzte Martin, »ich hab Euch immer gekannt als ungestüm, jäh und unbedacht, als rauh und zu hastiger, unbesonnener Rede geneigt; aber seit einiger Zeit hat sich Euer Wesen, wie mich bedünkt, geändert, ist kräftiger und ernster geworden, ohne an seinem natürlichen Feuer eingebüßt zu haben. Ich möchte fast sagen, Ihr seiet als roher Bursch schlafen gegangen und als feiner Herr erwacht.«

»Was weißt denn Du von feinem Herrn, Martin?« fragte Halbert.

»O, so manches, so manches!« erwiderte der Greis, »hab ich doch mit dem Ritter von Avenel, meinem lieben und guten Herrn, mehr als eine Reise gemacht in ferne Länder, und hab manche große und schöne Stadt gesehen, wenn er mir auch nicht mehr hat zeigen können, als Weideplätze von einem Hügel für etwa drei Dutzend Schafe. ... Aber, mir kommt doch vor, wenn ich so mit Euch rede, als redete ich gar nicht die rauhe Sprache unsers Nordens ... wie es kommen mag, kann ich mir freilich nicht erklären.«

Halbert besann sich eben auf eine schickliche Antwort, da sprang ein Stück Wild über den Weg. Im Nu hatte der Jüngling die Armbrust angelegt, der Bolzen pfiff, und das Wild lag tot am Boden.

»Da liegt der Wildbraten, wie ihn unsre Herrin braucht,« sagte Martin; »wer hätte sichs träumen lassen, daß sich ein Hirsch um diese Jahreszeit so weit ins Tal verlaufen würde? Und obendrein ein so fetter Hirsch – drei Finger dick ist der Speck auf dem Bruststück! Ihr habt doch wirklich Glück, Halbert, wo Ihr geht und steht. Wenn Ihr nur wolltet, Ihr könntet einer von den Hofjägern des Abtes werden.«

»Still, guter Alter,« unterbrach ihn Halbert, »ich will einmal der Königin dienen, sonst keinem Menschen. Geh, bring das Wild in den Turm, man wartet dort darauf. Ich gehe jetzt nach dem Moor, vielleicht kann ich dort noch ein paar Hühner erlegen.«

Während Martin mit der Beute nach Glendearg zurückkehrte, ging Halbert leichtern Herzens seines Weges, weil er sich nun wieder allein wußte.

»Dienstmann eines Priesters!« murmelte er bei sich selber. »Ha! Wenn ich nicht einen Widerwillen gegen nächtliche Räubereien fühlte, weiß der Himmel, lieber zöge ich das Wams an, griffe zur Lanze und würde Grenzreiter! – Aber es muß etwas geschehen. Ich will nicht länger hier leben, daß sich jeder fremde Fant aus dem Süden über mich lustig machen kann, bloß weil er Sporen an den Stiefeln hat! Jenes Wesen aber, jene Erscheinung, muß ich noch einmal beschwören, komme, was da wolle. Seit ich diese Frau gesehen habe und ihre Hand mich berührt hat, sind in mir Gedanken und Empfindungen rege geworden, wie sie mir früher selbst im Traume nicht in den Sinn gekommen sind. Das Tal meines Vaters ist meinem hochfliegenden Geiste zu enge geworden, und ich will nicht das Gespött dieses flittrigen Hofnarren mir gefallen lassen, obendrein in Gegenwart von Mary Avenel! Nein, so will ich mich nicht erniedrigen!«

So mit sich redend, kam er in das entlegne Tal von Corinan-Shian. Es war gerade die Mittagsstunde. Er stand ein Weilchen und blickte in die Quelle und fragte sich, wie ihm wohl diesmal die weiße Frau begegnen würde. Sie hatte ihm zwar nicht ausdrücklich verboten, sie nochmals zu beschwören, aber ihre Worte zum Abschied, mit denen sie ihm empfahl, auf einen andern Führer zu warten, hatten doch eine Art von Verbot in sich geschlossen.

Halbert Glendinning konnte sich aber nicht länger bezwingen. Tollkühnheit war der vorstechende Zug seines Charakters, und diese Verwegenheit war, seit seine Gesinnung so vervollkommnet und umgewandelt worden war, eher noch ausgeprägter geworden, statt sich zu verringern. Er zog das Schwert, entledigte sich des rechten Halbstiefels, neigte sich dreimal vor der Quelle und dreimal vor der Stechpalme und sprach, wie er es das letzte Mal getan hatte, die Verse:

Dreimal der Stechpalme hier,


Dreimal dem Quell!


Ich bitte Dich, erscheine mir,


Weiße Maid von Avenel!

Mittag schimmert aus dem Teich,


Mittag glüht am Felsen grell,


Erschein', erscheine allsogleich,


Weiße Maid von Avenel!

Bei den letzten Worten heftete er den Blick auf den Dornbusch, und Schaudern ergriff ihn, als er die Luft zwischen seinem Auge und der Stechpalme sich verdunkeln und sich zu der unklaren Erscheinung einer Gestalt verdichten sah, durch die aber – so dünn und durchsichtig war sie zuerst – das Gezweig des Strauches, wie durch einen feinen Schleier erkenntlich blieb. Allmählich nahm die Erscheinung mehr körperliche Form an, und mit zürnendem Angesicht stand schließlich die weiße Frau vor ihm. Sie redete, und immer noch sang sie, wenn sie sprach:

Heut ist der Tag, das Volk der Feen


Klagt, daß ihm kein Trost erscheint.


Die Waldmaid stöhnt im Windeswehn,


Die Meermaid in der Grotte weint:


An diesem Tag ward ein Werk vollbracht,


Doch haben wir nicht teil daran:


Den Kindern des Staubs ward Erlösung gebracht,


Doch für Meer- und Luftvolk ist nichts getan;


Und um die Menschen ist es geschehn,


Die uns am Freitagmorgen sehn.

»Geist,« sagte Halbert Glendinning kühn, »es nutzt nichts, daß man einem droht, dem nichts mehr an seinem Leben liegt. Dein Zorn kann nur töten, aber ich glaube, Du wirst Deine Gewalt nicht so weit anwenden. Der Schrecken, mit dem Euer Geschlecht sonst die Menschen erfüllt, hat auf mich keine Wirkung. Verzweiflung hat mein Herz gegen Furcht gestählt. Wenn mein Geschlecht in der Tat, wie Deine Worte es andeuten, dem Himmel mehr wert ist als das Deine, nun, so kommt es mir zu, zu fragen, und Du hast zu antworten; denn ich bin das edlere Wesen.«

Als er diese Worte sprach, sah die Erscheinung ihn wild und zornig an, und ihre Züge verzerrten sich sonderbar. Ihre Augen wurden kleiner und glühten feuriger, leise Zuckungen gingen über ihre Zuge, und die ganze Erscheinung glich jenen Wahngebilden, die eine durch Opium erhitzte Phantasie vorgaukelt, und die, so schön sie zuerst auch waren, bald, ohne daß wir es hindern können, in das Bizarre und Abenteuerliche ausarten.

Allein, als Halbert zu Ende gesprochen hatte, stand die weiße Frau wieder so starr und wehmütig vor ihm, wie er sie zu sehen gewohnt war. Er war darauf gefaßt, daß die Gestalt in ihrem Zorne sich zu irgend einem grausigen Ungeheuer verwandeln würde, aber die Geistin kreuzte nur die Arme über die Brust und entgegnete:

Kühner Jüngling, es ist Dein Glück,


Daß unter meinem Zornesblick


Dein Herz nicht zagte,


Dein Mut nicht versagte;


Es ist Dein Glück,


Daß Du trotztest dem zornigen Blick


Der Maid von Avenel!


Hättst Du furchtsam Dich geduckt,


Hätte die Wimper Dir gezuckt,


Ja, das leiseste Beben,


Es kostete Dir das Leben!


Und bin ich gebildet aus Aetherblau,


Und ist mein Blut ungefallner Tau,


Und bist Du geschaffen aus Staub allein,


Ist Dein doch die Frage, die Antwort mein.

»Nun denn, so frage ich Dich,« begann der Jüngling, »sind meine Empfindungen und meine Bestrebungen so verwandelt worden, daß mir nichts mehr an der Jagd, an Hund und Bolzen gelegen ist, daß die Grenzen dieses Tales meiner Seele zu enge sind, daß mir das Blut siedend den Kopf durchbraust bei den kränkenden Worten eines Menschen, hinter dessen Pferd ich vor wenigen Tagen noch einen ganzen Vormittag hergelaufen wäre, um zu meiner Freude von einem so stolzen Ritter eines Wörtleins gewürdigt zu werden? Warum treibt es mich jetzt, mich zu Rittern, Fürsten und Edeln zu gesellen? Bin ich noch derselbe, der gestern noch in selbstzufriednem Dünkel verschlafen dahin lebte, und heute vor Ruhmsucht und Ehrgeiz mich nicht zu halten weiß? Sprich, wenn Du kannst – sage mir, was bedeutet diese gänzliche Umgestaltung? Stand ich bis jetzt unter dem Banne eines Zauberwortes, daß ich mich als ein andres Wesen empfinde, und daß ich trotzdem weiß, ich bin noch derselbe, der ich gewesen bin? Sprich! ist diese Verwandlung auf Deinen Einfluß zurückzuführen?«

Die Weiße Frau entgegnete:

Ein höherer Zauberer ist es fürwahr,


Der mächtig alle Welt umfaßt;


Sein ist im Wolkenmeer der Aar,


Die Taube auf dem grünen Ast.


Stets wandelbar, doch hoch und hehr,


Lenkt er die Herzen nach Begehr,


Zu Heil, zu Unheil hin und her


In Hütte und Palast.

»Rede nicht so unklar und dunkel!« sagte der Jüngling, dessen Antlitz, Nacken und Hände von tiefer Röte übergossen waren. »Sprich Deine Meinung deutlich und verständlich aus.«

Der Geist antwortete:

Frage Dein Herz, dessen innerste Zell'


Voll ist von der Jungfer von Avenel!


Frage, was Deinen Stolz verletzt,


Wenn Marys Blick gering Dich schätzt.


Frage, warum Du Dich erhebst,


Nur nach Macht und Wissen strebst.


Hassest Deinen niedern Stand


Und verschmähst den alten Tand;


Warum Du im blut'gen Streit


Tod suchst oder bessre Zeit?


Frag' Dein Herz, das sagt Dir schnell,


Seufzend aus geheimer Zell':


s' ist um die Jungfer von Avenel.

»Sage mir also,« erwiderte Halbert, dessen Wangen noch immer hoch gerötet waren, »da Du mir Dinge gesagt hast, die ich mir selbst nicht zu sagen getraut hatte, wie soll ich meiner Leidenschaft Herr werden? wie soll ich sie entdecken?«

Die weiße Frau antwortete:

So darfst Du nicht fragen!


Ich weiß nichts zu sagen;


Wohl schaun wir zu, wie nimmer ruht


Der Leidenschaften Ebb' und Flut;


Schaun Euren alten Flittertanz,


Wie sterbliches Auge des Nordlichts Tanz;


Wenn tausend Wimpel in Flammenpracht,


Rasch streifen über die Stirn der Nacht;


Der Gaffer schaut ihr wechselnd Licht,


Doch ihren Einfluß verspürt er nicht.

»Und ist nicht, sofern sich die Menschen nicht sehr täuschen,« erwiderte Halbert, »Dein eignes Geschick mit dem Geschick der Sterblichen verknüpft?«

Die Erscheinung erwiderte:

Geheimes Band hält mit den Menschenkindern


Verkettet unser zauberhaft Geschlecht,


Der Stern, der aufging über Avenels Haus,


Als Normann Ulrich sich den Namen gab,


Der Stern in seines Kreislaufs höchstem Punkt


Schoß einen Tropfen Demanttau herab,


Und dieser Born empfing ihn – –


und ein Geist entstieg der Quelle, dessen Lebenszeit


Von gleicher Dauer ist mit Avenels Haus


Und dessen Leitstern.

»Sprich etwas deutlicher!« erwiderte der junge Glendinning, »davon verstehe ich nichts. Sag mir, was hat Deine zauberhafte Schicksalskette an das Haus Avenel geschmiedet? Sag mir vor allem: Welches Los ist diesem Hause beschieden?«

Die weiße Frau antwortete:

Schau meinen Gürtel, diesen Faden Gold,


Dünn ist er, wie die reinste Sommerwebe,


Und hält nicht mehr, kraft eines Zauberspruchs,


Die Falten meines Kleids, wie fein sie sind.


Als schwere Kette wand ich einst ihn um,


Die jenen Judenkämpfer fesseln konnte,


Als er das Haar am längsten trug – – sie schwand,


Nahm ab an ihrer Kraft und Stärke, da


Die Größe sank des Hauses Avenel.


Bricht dieser schwache Faden, so erstatt ich


Den Elementen ihren Lebensstoff.


Frag mich nichts mehr davon – – der Stern verbeut's.

Der Jüngling antwortete: »So kannst Du in den Sternen lesen? und mir das Schicksal meiner Neigung entdecken, wenn Du mir auch nicht beizustehen vermagst?«

Die weiße Frau antwortete:

Matt schimmert Avenels sonst heller Stern,


Matt wie der Leuchtturm, wenn der Morgen naht.


Ein Einfluß, fürchterlich und jammervoll,


Drängt es zum Fall. Unsel'ge Leidenschaft, Haß,


Mitbewerbung stehen im Aspekt.


Der auf sein Glück sich senkt.

»Mitbewerbung?« wiederholte Glendinning. »Also ist es, wie ich besorgte? Soll aber der englische Seidenwurm sich erfrechen dürfen, im Hause meines Vaters, angesichts von Mary Avenel, mich zu verhöhnen? Führe ihn mir in den Weg, Geist! Laß den hohlen Standesunterschied verschwinden, um dessen willen er sich weigert, sich zum Zweikampfe zu stellen! Heb uns auf gleiche Stufe, und ob die Sterne dann günstig oder ungünstig stehen, das Schwert meines Vaters wird ihren Einfluß aufwiegen.«

Sie antwortete, und so schnell wie vordem:

Klag mich nicht an, Geschöpf von Staub,


Bleib ich bei Deinen Leiden taub:


Schwebend hoch ob Eurem Stand,


Ist Lieb und Haß uns unbekannt;


Wie Weisheit oder Lust Dich lenkt,


Hab ich Dir Wohl und Weh geschenkt.

»Meine Ehre vergönne mir einzulösen!« rief Halbert Glendinning; »meinem stolzen Rivalen die Kränkung heimzuzahlen, die er mir zugefügt, vergönne mir, dann komme es, wie es wolle. Kann ich die Schmach nicht rächen, so will ich ruhig schlafen und nichts von meinem Unstern wissen.«

Und wieder antwortete die Erscheinung:

Wenn Piercie Shafton prahlt vor Dir,


Dann laß ihn sehn dies Zeichen hier!


Die Sonne sich gen Westen kehrt,


Leb wohl, Dir ist Dein Wunsch gewährt.

Dieweil sie diese Worte sprach oder sang, zog sie aus ihren Locken eine silberne Nadel und reichte sie dem Jüngling, dann schüttelte sie ihr Haar, daß es wie ein Schleier sie umwallte, und wie die wogenden Locken, so flossen die Umrisse ihrer Gestalt ineinander, und ihr Antlitz wurde bleich und unkenntlich wie der zunehmende Mond, und sie verschwand.

Mit der Zeit gewöhnt man sich wohl an Wunder, aber der Jüngling erlitt, als er sich auf einmal an jener Stelle allein befand, wenn auch in schwächerem Grade, die seelische Erschütterung wieder, die er beim ersten Verschwinden der Erscheinung erlitten hatte. Ein schwerer Zweifel lastete auf seinem Herzen darüber, ob er die Gabe eines Geistes entgegennehmen dürfe, der selbst bekannt habe, nicht zu den Engeln zu gehören, und der allem Anschein nach auf einer weit niedrigern Stufe stand, als er selbst bekennen mochte.

»Ich will mit Edward reden,« sprach er bei sich, »doch nein! er versteht sich freilich auf geistliche Dinge, aber er ist zu ängstlich und bedächtig. Ich will lieber zusehen, welche Wirkung die Gabe üben wird, wenn ich sie an Piercie Shafton versuche; und hieraus werde ich ja dann sehen, ob es mit Gefahr verknüpft ist, ihrem Rate zu folgen. ... Nach Hause! nach Hause! und bald wird es sich ja zeigen, ob dieses Haus mich noch länger fesselt. Denn Beleidigungen laß ich mir nicht mehr bieten, mit meines Vaters Schwert an der Seite und vor den Augen Marys von Avenel!«

Ende des ersten Bandes

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