Erstes Kapitel

Noch hatte Syriens sengende Sonne nicht ihren höchsten Punkt am Horizont erreicht, als ein Ritter des roten Kreuzes, der seine ferne Heimat im Norden verlassen und sich dem Kreuzfahrerheere in Palästina angeschlossen hatte, langsam über die Sandsteppen hin ritt, die in der Nachbarschaft des Toten Meeres oder, wie es auch heißt, des Asphaltsees liegen, worein sich die Gewässer des Jordans ergießen, ohne wieder Abfluß zu finden. Der kriegerische Pilgersmann hatte sich während der Frühstunden des Tages zwischen Schroffen und Schluchten mühsam seinen Weg gebahnt, und als er diese gefahrvollen Felsenpässe endlich hinter sich gebracht hatte, war er hinausgetreten auf jene große, weite Ebene, wo in alter Zeit die verfluchten Städte die unmittelbare und schreckliche Rache des Allmächtigen herausgefordert hatten.

Durst, Strapaze, Weggefahr, alles war vergessen, als der einsame Reiter die schreckliche Katastrophe sich ins Gedächtnis rief, die das schöne, fruchtbare Tal von Siddim, einst wohlbewässert und berühmt als »Garten des Herrn«, in jene öde, grausige Wüstenei verwandelte, die verdammt ist zu ewiger Unfruchtbarkeit.

Als er der dunklen Masse flutenden Wassers ansichtig wurde, die in Farbe und Beschaffenheit so schroff absticht von dem Wasser aller anderen Seen, bekreuzte er sich und schauderte zurück. Unter dieser trägen Wasserflut lagen die einst so stolzen Städte der Ebene, denen des Himmels Donner oder der Ausbruch unterirdischen Feuers ihr Grab geschaufelt hatten, und deren Trümmer im Schoße jenes Sees verborgen wurden, der keinen lebendigen Fisch in seinem Busen birgt, der kein Schiff auf seiner Fläche trägt und, gleich als ob sein eignes grauses Bett der einzig taugliche Behälter sei für sein träges schweres Wasser, nicht wie andre Seen dem Weltmeere einen Tribut sendet. Das ganze Land rings umher war, wie zu den Tagen des Moses, »Schwefel und Salz; wo nichts gesäet wird, wo nichts lebt und wo nichts wächst.« Land und Meer hier heißen mit Recht tot, denn sie bringen nichts hervor, was an Leben erinnert, und selbst die Luft ermangelt gänzlich ihrer sonstigen gefiederten Bewohner, wahrscheinlich werden sie verscheucht durch den Geruch nach Erdpech und Schwefel, den die sengende Sonne aus den Wassern des Sees in dampfenden Wolken, die oft das Aussehen von Springquellen, annehmen, aufsteigen läßt. Massen des schleimigen, schweflichten Stoffes, den wir unter dem Namen Naphtha kennen, schwammen träge auf den stagnierenden, finsteren Fluten und führten jenem wogenden Gewölk fort und fort schwere, stickige Dämpfe zu, als grausiges Zeugnis für die Wahrheit der mosaischen Erzählung.

Auf diesen Schauplatz von Verödung schien die Sonne mit fast unerträglichem Glanze, und alles, was in der Natur lebte, schien sich vor den Strahlen verkrochen zu haben, mit alleiniger Ausnahme der einsamen Menschengestalt, die sich im Schritt durch den weichenden Sand weiter bewegte und das einzige atmende Geschöpf auf der weiten Fläche der Ebene zu sein schien. Die Kleidung, die der Reiter, und das Geschirr, das sein Roß trug, waren für jemand, der in solcher Gegend reisen wollte, mit eigentümlichem Ungeschick gewählt. Als ob der langärmlige Schuppenrock, die plattierten Handschuhe und die Brust- und Rückenplatte noch nicht als ausreichende Rüstungslast erachtet worden wären, hatte der Reiter sich noch den dreieckigen Schild um den Hals gehängt und den vergitterten Stahlhelm aufgesetzt, darüber noch Stahlhaube und Schuppenkragen gezogen. Der letztere saß dem Krieger über Genick und Schultern und füllte die Lücke zwischen Halsberge und Kopfstück aus. Achselstücke, Ellenbogenkacheln, Vorder- und Hinterschurz, Schenkelschienen, Kniestücke, Beinschienen und Rüstschuhe, in der Montur entsprechend den Kampfhandschuhen, vervollständigten die Rüstung des einsamen Reiters. Ein langes, breites, wuchtiges Schwert mit einem Griff in Form eines Kreuzes hing auf der einen, ein wuchtiger Dolch auf der anderen Seite. Auch trug der Ritter, am Sattel befestigt, mit einem Ende auf dem Steigbügel ruhend, die lange, an der Spitze mit Stahl beschlagene Lanze, seine eigentliche Waffe, die sich beim Reiten nach hinten zu senkte, während das an ihr steckende Fähnlein sich bald im Lufthauche bewegte, bald bei Windstille zusammenkroch. Als Ergänzungsstück dieser beschwerlichen Ausrüstung muß noch ein Oberrock aus gesticktem Zeug erwähnt werden, der zwar schon stark abgetragen, um nicht zu sagen zerschlissen war, aber insofern sich als recht nützlich erwies, als er die sengenden Strahlen der Sonne von dem Panzer fern hielt, den der Ritter sonst unmöglich hätte auf dem Leibe behalten können. Dieser Oberrock zeigte an verschiedenen Stellen das Wappen seines Besitzers, wenn auch stark verwischt. Es schien ein ruhender Leopard zu sein, mit der Devise: »Ich schlummere – weck mich nicht auf!« Auf dem Schilde schien die gleiche Wappenfigur skizziert gewesen zu sein, war aber von manchem Schwerthiebe zerkratzt und zerschunden worden. Der platte Oberteil seines wuchtigen, zylindrisch geformten Helms entbehrte alles Schmuckes. Durch dieses Festhalten an ihrer ungefügen Defensivrüstung schienen die aus nördlichen Ländern stammenden Kreuzfahrer auch der Natur von Land und Klima trotzen zu wollen, wohin sie den Krieg trugen.

Die Rüstung des Rosses war kaum weniger massig und wuchtig als die seines Reiters. Den Rücken deckte ein schwerer, mit Stahl überkleideter Sattel, der vorn mit einer Art Brustberge, ebenfalls aus Stahl, hinten mit einer Art Lenden- oder Schenkelberge zusammenhing. Dazu kam, am Sattelbogen hängend, der eiserne Streitkolben; die Zügel waren gekettelt, und das Stirngestell bestand aus einer Stahlplatte, in der sich für Augen und Nüstern Oeffnungen befanden, während mitten aus ihr heraus, an das Horn des sagenhaften Einhorns erinnernd, ein kurzer scharfer Stachel hervorragte.

Beiden jedoch, dem Ritter sowohl als seinem standhaften Rosse, war diese Last von Rüstung durch die Gewohnheit zur zweiten Natur geworden. Freilich fanden unzählige dieser aus Norden und Westen nach Palästina ziehenden Krieger den Tod, ehe sie des heißen Klimas gewohnt wurden; aber es gab auch genug darunter, denen das Klima nichts anhatte, die sich sogar unter seinem Einflusse wohl befanden, und zu dieser glücklicheren Zahl gehörte der einsame Reiter, der jetzt am Ufer des Toten Meeres entlang ritt. Er war von außerordentlicher Stärke, so daß er die Panzerschuppen so leicht trug wie Spinngewebe, und von einer so kräftigen Konstitution, daß er jedem Klimawechsel und allen Beschwerden und Entbehrungen Trotz bieten konnte. Sein Charakter schien mit diesen Eigenschaften seines Körpers in glücklicher Harmonie zu stehen, denn zu der Kraft und Zähigkeit, Anstrengungen zu ertragen, gesellte sich unter dem Anschein von Ruhe und Gleichgültigkeit eine heiße Ruhmbegier, bekanntlich ein hervorstechender Zug im Charakter der berühmten Söhne des normannischen Stammes, der ihnen überall in der Welt, wohin sie den gepanzerten Fuß setzten, die Herrschaft in die Hände gab.

Doch nicht der gesamten normannischen Rasse winkte Fortuna, mit solch verführerischem Lohne, und was dem einsamen Ritter auf seinem Zuge durch Palästina zuteil geworden war, hatte sich bloß auf zeitlichen Ruhm und, wie man ihm eingetrichtert hatte, »spirituelle« Vorrechte beschränkt. Darüber war sein bißchen Geld flöten gegangen, und zwar um so schneller, als er sich nicht, wie die Kreuzfahrer im allgemeinen, dazu verstehen mochte, seinen Lebensunterhalt auf Kosten der Einwohner Palästinas zu bestreiten. Er brandschatzte weder, noch plünderte oder erpreßte er; auch hatte er nie die Gelegenheit wahrgenommen, Lösegeld für Gefangene zu nehmen. Die paar Leute, die bei der Landung auf kleinasiatischem Boden sein Gefolge gebildet hatten, waren zusammengeschmolzen in dem Verhältnis, wie ihm die Mittel zu ihrem Unterhalt knapp wurden, bis auch der letzte Schildknappe im Spital hatte liegen bleiben müssen. Und so zog der Ritter nun einsam und allein im Lande weiter. Das war dem Kreuzfahrer indessen nicht weiter verdrießlich oder ängstlich, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, in seinem guten Schwerte seinen sichersten Beschützer und in seinen frommen Gedanken seine besten Begleiter zu erblicken.

Die Natur machte aber auch unter dem eisernen Panzer und auf die geduldige Gemütsart des Ritters vom schlummernden Leoparden ihre Rechte geltend: er fühlte Appetit und das Bedürfnis nach Ruhe und war heilfroh, als er um die Mittagszeit ein Stück weit rechts vom Toten Meere den Brunnen fand, der ihm als Rastort bezeichnet worden war; ein paar Palmen standen in seiner Nähe, und sein getreues Roß wieherte freudig und schnoperte und trabte schneller, wie wenn es den labenden Quell witterte; aber ihm und seinem Reiter sollten, bevor sie die ersehnte Rast fanden, noch herbe Drangsal und Mühe bevorstehen.

Als der Ritter vom schlummernden Leoparden die noch immer ein gutes Stück entfernte Palmengruppe mit aufmerksamen Blicken musterte, war es ihm, als sähe er irgend ein Ding darin sich bewegen. Die ferne Gestalt hob sich von den Bäumen ab, die ihre Bewegungen teilweis verdeckten, bis er in ihr einen Berittenen erkannte, dessen Turban, langer Spieß und im Winde wehender Burnus in ihm den Sarazenen verrieten. Es gibt ein Sprichwort im Morgenlande: In der Wüste trifft niemand einen Freund ... Dem Kreuzfahrer war es durchaus gleichgültig, ob der wie ein Sturmwind herangaloppierende Heide als Freund oder Feind sich ihm näherte; doch hätte er als geschworener Streiter des Herrn Jesus ihn als Feind vielleicht lieber kommen sehen denn als Freund. Er machte seine Lanze vom Sattel los, packte sie mit der Rechten, setzte sie mit halb erhobener Spitze in Ruhe, raffte die Zügel in die linke Faust, setzte dem Rosse die Sporen in die Weichen und sich selbst in Bereitschaft, dem Fremden mit dem ruhigen Selbstvertrauen gegenüberzutreten, das sich für den Sieger in manchem Strauße schickt.

Der Sarazene sprengte im fliegenden Galopp eines arabischen Reiters heran, der sein Tier mehr durch den Schenkeldruck und die Körperbeugung dirigiert, als durch fleißigen Gebrauch der Zügel, den er lose in der linken Hand hängen ließ. Auf diese Weise war er nicht behindert, den leichten, mit silbernen Fransen verzierten Rundschild aus Rhinozeroshaut zu schwingen: und das tat er auch mit einer Verve, als wenn er nicht anders dächte, als das kleine runde Ding der wuchtigen Lanze des fahrenden Ritters entgegenzustemmen. Dabei schien er damit zu rechnen, daß ihm der Leopardenritter entgegen reiten werde; der aber war mit den Manieren der Morgenländer viel zu vertraut, als daß er sein Roß mit unnützen Manövern ermattet hätte; er blieb im Gegenteil auf einundderselben Stelle, in der Zuversicht, durch das eigene Gewicht und die Wucht seines Rosses noch immer dem behenderen Gegner gegenüber im Vorteil zu sein, auch ohne es ihm in der Schnelligkeit und Gewandtheit gleichtun zu können. Dem Sarazenen fehlte es aber auch nicht an Klugheit: er sah ebenfalls ein, daß er es an Wucht dem anderen nicht gleichtäte, und machte, als er sich dem Christen auf ein paar Lanzenlängen genähert hatte, eine plötzliche Linksschwenkung und ritt ein paarmal um den Feind herum. Darauf wandte sich dieser, ohne jedoch von seinem Platze zu weichen, hielt sich immer so, daß er dem Feinde die Stirn bot, und vereitelte auf diese Weise dessen Versuche, ihn an einer verwundbaren Stelle zu fassen. Der Sarazene machte, als er nach einer Weile das Vergebliche seines Bemühens einsah, wieder Kehrt, zog sich auf hundert Schritte zurück, stürzte dann, wie ein Falke auf den Reiher, wieder auf den Ritter los, mußte sich jedoch abermals zurückziehen. Dreimal versuchte er es noch, ohne zum Nahkampfe zu kommen, da schien der Ritter die Geduld zu verlieren, denn er packte seinen Streitkolben und ließ ihn durch die Luft sausen in der Richtung nach des Emirs Kopfe, denn ein Emir war der Sarazene zum mindesten. Der aber bemerkte noch rechtzeitig die furchtbare Waffe und hob den kleinen Schild, sie aufzufangen, wurde aber trotzdem so schwer getroffen, daß er vom Pferde heruntersank. Aber er ließ dem Christen nicht die Zeit, aus diesem Unfall Nutzen zu ziehen, sondern war im Nu auf den Beinen, rief sein Roß, rannte ihm entgegen, schwang sich wieder hinauf, ohne den Steigbügel zu benützen, und hatte sich hiermit wieder in alle die Vorteile gesetzt, um die der Ritter ihn zu bringen vermeint hatte.

Dieser aber hatte seinen Streitkolben wieder an sich gebracht, und der Sarazene, der es nicht noch einmal darauf ankommen lassen wollte, mit dieser Waffe in Berührung zu kommen, hielt sich nun außer Wurfweite, spannte aber, nachdem er seinen langen Speer in den Sand gebohrt hatte, seinen Bogen, setzte sein Roß in Galopp, ritt ein paarmal um den Ritter herum und schoß dabei in einem fort seine Pfeile, vor denen den letzteren einzig und allein sein Panzer schützte. Endlich aber traf ihn doch ein Pfeil an einer minder geschützten Stelle, und er stürzte vom Rosse. Aber nicht wenig erschrocken war der Sarazene, als er, sich vom Rosse schwingend, zu dem Feinde herantrat, um dessen Wunde zu untersuchen, und sich plötzlich von ihm gepackt sah, denn der Ritter hatte bloß zu dieser List gegriffen, um den Gegner an sich heran zu bringen. Diesen rettete nun allein seine große körperliche Gewandtheit, infolge deren er Zeit gewann, sich von dem Schwertgurt zu lösen, an welchem der Ritter ihn gepackt hielt, und sich seiner Faust zu entwinden.

Dann schwang er sich abermals auf sein Roß, das seine Bewegungen mit dem Verstande eines menschlichen Wesens zu verfolgen schien, und sprengte in rasendem Galopp von dannen, sah sich aber genötigt, Schwert und Köcher preiszugeben, die ihm vom Gürtel gefallen waren, und die er aufzuheben keine Zeit mehr hatte. Ebenso war ihm im Handgemenge der Turban vom Kopfe geglitten. Infolge dieser Verluste schien er zum Abschluß eines Waffenstillstandes geneigt zu sein, ritt mit erhobener Hand, zum Zeichen, daß die Feindseligkeit ruhen sollte, zu dem Ritter heran und rief in der zwischen den Sarazenen und Kreuzfahrern üblichen Frankensprache: »Warum soll Krieg sein zwischen Dir und mir? Laß uns Frieden schließen!« – »Du findest mich zum Frieden bereit,« erwiderte der Ritter, »aber welche Bürgschaft gibst Du mir, daß Du den Waffenstillstand auch hältst?« – »Ein Anhänger des Propheten brach noch nie sein Wort,« erwiderte der Emir, »ich sollte weit eher Bürgschaft fordern von Dir, Nazarener, und wüßte ich nicht, daß Tapferkeit sich mit Verräterei nicht verträgt, so täte ich es auch.«

Der Kreuzritter fühlte sich beschämt über sein Mißtrauen bei dem Beweise des Gegenteils von seiten des Sarazenen. »Beim Griff meines Schwertes!« sagte er, die Hand darauf legend, »da das Schicksal es fügt, daß wir beisammen bleiben sollen, will ich Dein treuer Kamerad sein, Sarazene.« – »Bei Mohammed, dem Propheten, und bei Allah, seinem Gott,« erwiderte sein bisheriger Feind, »erkläre ich, daß in meinem Herzen wider Dich kein Verrat wohnt; komm mit zur Quelle, denn es naht die Zeit der Ruhe, und ihr kühlendes Naß hatte kaum meine Lippen erfrischt, als Deine Ankunft mich zum Kampfe rief.«

Der Leopardenritter erklärte sich mit Freuden bereit, der Aufforderung zu folgen, und vereint ritten nun die beiden Krieger, die sich eben noch bekämpft hatten, ohne einen Anschein von Mißtrauen oder Zorn zu der kleinen Palmengruppe hin.

Zweites Kapitel

Christ und Sarazene, die eben noch alles aufgeboten hatten, einander zu vernichten, näherten sich langsam der Quelle unter den Palmbäumen, versunken in die eigenen Betrachtungen und zum erstenmal Atem schöpfend nach einem Kampfe, der leicht für beide tödlich hätte werden können. Das Pferd des Sarazenen schien weniger ermüdet als das Streitroß des Europäers. Während der edle Araberhengst bis auf die Schaumflocken, die noch an Zaum und Schabracke sichtbar waren, schon völlig wieder trocken war, trieften die Schenkel des anderen Tieres noch von Schweiß. In dem lockeren Boden sank es zufolge der schweren Panzerung bei jedem Tritt so tief mit den Hufen ein, daß der Ritter schließlich aus dem Sattel sprang und es am Zaume führte.

»Recht von Euch,« sagte der Sarazene, »daß Ihr Eurem Pferde die Last erleichtert; was wollt Ihr bloß in der Wüste mit einem Tiere, das bei jedem Tritt bis über das Hufeisen einsinkt?« – »Sarazene,« versetzte der Ritter, ärgerlich über diese Worte des anderen, »Du redest, wie Du es verstehst. Aber mein Roß hat mich in meiner Heimat schon über einen so breiten See getragen, wie Du ihn dort hinter uns liegen siehst, ohne ein Haar über seinem Hufe zu netzen.« – »Man sagt nicht mit Unrecht,« erwiderte der Sarazene mit einem an Verachtung streifenden Lächeln, »hörst Du einen Franken, so hörst Du eine Fabel.« – »Es ist nicht höflich von Dir, Ungläubiger, in das Wort eines Ritters Zweifel zu setzen,« sagte der Kreuzfahrer; »glaubst Du, ich spreche eine Unwahrheit, wenn ich Dir sage, daß ich, einer von fünfhundert Reitern – meilenweit auf Wasser, so fest wie Kristall, geritten bin?« – »Was Du sagst!« rief der Muselmann, »auf jenem Lande dort drüben ruht der Fluch Gottes; in seinen Wellen versinkt nichts, er wirft alles an sein Ufer; aber weder das Tote Meer, noch einer der sieben Ozeane, die die Erde umgürten, werden den Druck eines Pferdehufes aushalten, so wenig, wie das rote Meer den Durchzug Pharaos und seines Heeres duldete.« – »Sarazene, Du sprichst, wie Du es verstehst,« wiederholte der Ritter, »die Hitze in Eurem Lande verwandelt den Boden in eine wie Wasser unsichere Masse; in meiner Heimat verwandelt die Kälte hingegen das Wasser oft in einen felsenfesten Stoff... Reden wir nicht weiter davon; denn die Vorstellung eines im Mondlicht schimmernden ruhigen, klaren Wintersees vermehrt mir nur die Schrecknisse dieser wilden Wüste, in deren Bereich die Luft, die man atmet, dem Dampfe eines Schmelzofens gleicht.«

Christ und Sarazene bildeten einen auffallenden Kontrast. Der erstere war eine kräftige Gotengestalt mit braunem Haar, das sich in dichter, reicher Fülle um den jetzt vom Helm entblößten Kopf kräuselte. Sein von der Sonne des Orients gebräuntes Gesicht zeigte eine viel dunklere Farbe als der Hals oder sein helles blaues Auge oder die Farbe von Haar und Bart vermuten ließen. Ein dichter Schnurrbart beschattete seine Oberlippe, sein Kinn aber war nach normannischer Sitte glatt rasiert. Seine Nase zeigte die griechische Form; der Mund war wohl etwas groß, aber mit einer Reihe starker und schöner weißer Zähne besetzt; der kleine Kopf ruhte anmutig auf dem Halse. Er konnte nicht über dreißig sein; wenn man aber den Einfluß von Klima und Strapazen in Anschlag brachte, konnte er gut für drei bis vier Jahre jünger gelten. Er war groß und von kräftigem Körperbau; seine Hände waren lang, schön und ebenmäßig; besonders stark und groß aber waren die Handgelenke und die Arme sehr muskulös und wohlgebildet. In seiner Sprache und seinen Bewegungen lag kriegerische Kühnheit und sorglose Freimütigkeit; seine Stimme hatte den Ton eines Mannes, der mehr gewohnt ist zu befehlen, als zu gehorchen.

Der sarazenische Emir war übermittelgroß, aber doch um ein paar Zoll kleiner als der Europäer, dessen Größe der eines Riesen gleichkam. Seine schmächtigen Gliedmaßen, die langen, mageren Hände und Arme waren zwar seiner Person und dem Ausdruck seines Gesichts angemessen, gaben aber von seiner Kraft und Gewandtheit keine Vorstellung. Sein Gesicht hatte mit dem morgenländischen Stamme, dem er entsprossen war, natürlich allgemeine Aehnlichkeit: es war klein, wohlgebildet und zart, doch dunkel gebräunt von der morgenländischen Sonne. Es verlief in einem wallenden schwarzen Barte, der mit besonderer Sorgfalt gepflegt zu sein schien; die Nase war gerade und regelmäßig; das schwarze, tiefliegende Auge funkelte, und seine Zähne waren wie Elfenbein seiner Wüsten. Er stand in der Blüte seiner Jahre und hätte für schön gelten können, wäre seine Stirn nicht zu schmal und sein Gesicht, wenigstens nach europäischen Begriffen, nicht zu hager und spitz gewesen. Sein Benehmen zeigte Ernst, Anmut und Würde.

Ihr Vorrat an Lebensmitteln war karg, das Mahl des Sarazenen aber noch weit karger als das des Europäers. Eine Handvoll Datteln und ein Stück grobes Gerstenbrot stillten ihm den Hunger, und ein paar Züge aus dem Quell, an dem sie ruhten, den Durst. Der Christ aß etwas kaltes Schweinefleisch, das dem Muselmann ein Greuel war; und den Durst löschte er aus einer ledernen Flasche, die etwas Besseres als Wasser enthielt. Der Sarazene, der mit seiner Mahlzeit zuerst fertig war, nahm auch zuerst das Wort. »Tapferer Nazarener,« sagte er, »geziemt es sich wohl, daß einer, der wie ein Mann kämpft, sich wie ein Hund oder Wolf nährt? Selbst ein irrgläubiger Jude schaudert vor der Kost zurück, die Ihr genießt.« – »Tapferer Sarazene,« antwortete der Christ, über den unerwarteten Vorwurf einigermaßen befremdet, »ich bediene mich eben meiner christlichen Freiheit, zu genießen, was den Juden verboten ist. Wir haben eine bessere Rechtfertigung für unser Tun und Lassen – Ave Maria! – wir wollen Gott für seine Gaben dankbar sein.« Bei diesen Worten tat er einen langen Zug aus der ledernen Flasche. – »Das nennt Ihr auch Freiheit,« sagte der Sarazene, »wie Ihr Euch tierisch sättigt, so stillt Ihr auch viehisch Euren Durst!« – »Törichter Sarazene,« versetzte der Christ ohne Zögern, »Du lästerst Deinen Vorfahren Ismael. Der Saft der Traube ist dem Menschen gegeben zu weisem Gebrauch; Wein erfreut des Menschen Herz nach der Arbeit, erquickt ihn in der Krankheit und tröstet ihn im Kummer. Wer ihn so genießt, mag Gott ebenso für seinen Wein danken, wie für sein täglich Brot; wer aber die Gabe Gottes mißbraucht, ist kein größerer Tor in seinem Rausche als Du bei Deiner Enthaltsamkeit.«

Das klare Auge des Sarazenen funkelte bei diesem Spotte, und seine Hand suchte den Griff des Dolches ... aber er hielt klugerweise an sich. »Deine Worte, Nazarener,« sagte er, »erzürnen mich nicht, weil Deine Unwissenheit mein Mitleid erregt. Siehst Du nicht, trotz Deiner Blindheit, daß die Freiheit, mit der Du prahlst, in allem, was Deiner Glückseligkeit am teuersten ist, die größte Beschränkung erleidet? Bindet Dich nicht Dein Gesetz an eine einzige Gattin, gleichviel ob sie krank oder gesund, fruchtbar oder unfruchtbar ist? gleichviel ob Du glücklich mit ihr lebst oder unglücklich?«

»Nun, bei seinem Namen, den ich im Himmel am höchsten verehre,« sagte der Christ, »bei ihrem Namen, den ich auf Erden am höchsten halte, Du bist ein verblendeter Ungläubiger! Die Liebe, die einen treuen Ritter an eine einzige Holde und Treue bindet, ist ein Diamant; die Neigung aber, die Du unter Deine dienstbaren Weiber und Sklavinnen verteilst, ist nur ein Splitter davon!«

»Nun, bei der heiligen Kaaba!« sagte der Emir, »Du bist ein Tor, ein Narr, der seine eiserne Kette liebt, als ob sie von Gold wäre. Betrachte diesen Ring! Die Hälfte seiner Schönheit verlöre er, wenn sein Siegel nicht mit diesen geringeren Brillanten gefaßt wäre, die ihn zieren und hervorheben. Der Diamant in der Mitte ist der Mann, dessen Wert auf ihm allein beruht; dieser Kreis von geringeren Juwelen sind Weiber, die von ihm den Glanz leihen, den er ihnen mitteilt, wie es ihm am angemessensten scheint. Nimm den Mittelstein aus dem Ringe, und der Diamant bleibt so wertvoll wie früher, während die geringeren Edelsteine den geringeren Wert haben.«

»Sarazene,« entgegnete der Kreuzfahrer, »Du sprichst wie einer, der nie ein Weib sah, das der Liebe eines Kriegers wert war. Glaube mir, wenn Du die europäischen Frauen sehen könntest, denen wir Ritter, nächst Gott, Treue und Ergebenheit geloben, so würdest Du bald die armseligen Sklavinnen Deines Harems verabscheuen. Die Schönheit unserer Jungfrauen leiht unseren Speeren Kraft und schärft unsere Schwerter; ihr Wort ist uns Gesetz: und so wenig eine ausgelöschte Lampe leuchtet, so wenig wird ein Ritter sich durch Waffentaten auszeichnen, wenn er keine Herzensgeliebte hat.«

»Ich habe von dieser Narrheit der abendländischen Krieger gehört,« sagte der Emir, »und habe es immer für ein begleitendes Symptom dieser Narrheit gehalten, daß Ihr in unser Land kommt, um ein leeres Grab in Besitz zu nehmen. Aber die Franken, die ich traf, haben die Schönheit ihrer Frauen allzeit so hoch erhoben, daß ich Reize, die so tapfere Krieger in Werkzeuge ihres Vergnügens verwandeln können, ganz gern einmal mit eigenen Augen sehen möchte.« – »Tapferer Sarazene,« versetzte der Ritter, »befände ich mich nicht auf einer Wallfahrt nach dem heiligen Grabe, so sollte es mein Stolz sein, Dich unter sicherem Geleite nach dem Lager Richards von England zu führen, wo Du einen kleinen Kreis der ersten Schönheiten Frankreichs und Britanniens sehen solltest, dessen Glanz den Schimmer Deiner Diamanten weit überstrahlt.« – »Nun, diese Einladung nehme ich an; aber Deinen Plan, der Dich hierher führt, mußt Du aufgeben; denn glaube mir, ohne Paß nach Jerusalem ziehen, heißt sein Leben mutwillig aufs Spiel setzen.« – »Ich habe einen Paß,« entgegnete der Ritter, ein Pergament hervorziehend, »von Saladins Hand und mit seinem Siegel versehen.«

Der Sarazene beugte sein Haupt, als er Siegel und Handschrift des berühmten Sultans von Aegypten und Syrien erkannte, und nachdem er die Schrift mit tiefer Ehrfurcht geküßt, drückte er sie an die Stirn und gab sie dem Christen mit den Worten zurück: »Voreiliger Franke, Du hast gegen unser beider Blut gesündigt, indem Du mir dies nicht zeigtest, als wir einander trafen.« – »Ihr kamt mit erhobenem Speer,« sagte der Ritter. »Hätte ein Trupp von Sarazenen mich überfallen, so würde es sich mit meiner Ehre vertragen haben, den Paß des Sultans vorzuzeigen; einem einzigen Manne gegenüber durft' ich's nicht.« – »Und doch war ein Mann hinreichend, Eure Reise zu unterbrechen,« entgegnete der Sarazene stolz. – »Allerdings, tapferer Muselmane,« erwiderte der Christ, »aber solcher, wie Du bist, gibt es wenige.« – »Du läßt uns bloß Gerechtigkeit widerfahren,« sagte der Sarazene, sichtlich ebenso befriedigt durch die schmeichelhafte Aeußerung des Europäers, wie vorher über seine stolze Prahlerei verdrossen. »Von uns würdest Du kein Unrecht erleiden; doch wohl mir, daß ich Dich nicht tötete, da der Schutzbrief des Königs der Könige Dich sichert.« – »Ich freue mich, daß dieser Paß mir gute Dienste leisten wird,« versetzte der Ritter; »denn die Straße wird, heißt es, von Räuberhorden beunruhigt.« – »Man hat Dir die Wahrheit gesagt, tapferer Christ,« sagte der Sarazene, »aber ich schwöre Dir beim Turban des Propheten, solltest Du in einen Schlupfwinkel solcher Elenden geraten, so will ich selbst es auf mich nehmen, Dich zu rächen.«

»Mein Gelübde steht im Himmel verbucht,« erwiderte der Ritter, »und ich muß Euch bitten, mir den Weg zu einem Rastorte für diesen Abend zu zeigen.« – »Den werdet Ihr unter meines Vaters Zelte finden,« antwortete der Sarazene. – »Heute nacht,« sagte der Christ, »muß ich in Gebet und Buße bei einem heiligen Manne, Theoderich von Engaddi, zubringen, der in dieser Wildnis wohnt und sein Leben dem Dienste Gottes geweiht hat.« – »Dorthin wenigstens will ich Euch begleiten,« versetzte der Sarazene. – »Das würde mir recht sein,« sagte der Christ, »wenn nicht des guten Paters künftige Sicherheit dadurch gefährdet würde; die grausame Hand Eures Volkes hat sich gerötet vom Blute der Diener des Herrn, und deshalb kommen wir mit Schwert und Lanze, um die Heiligen zu schützen, die in diesem Lande der Verheißung und der Wunder für uns beten.«

»Nazarener,« erwiderte der Muselmane, »Griechen und Syrier haben gelogen; denn wir handeln nur nach dem Worte des Nachfolgers des Propheten, das da lautet: »Gehet hin, das Land den Ungläubigen zu entreißen; aber betragt euch als wahre Krieger, tötet weder Greise noch Sieche, weder Weiber noch Kinder. Verheert nicht das Land, zerstört nicht Korn und Obstbäume, denn sie sind Gaben Allahs. Haltet Wort, wenn ihr einen Bund geschlossen habt, und wenn es euch zum Schaden wäre. Erschlagt keinen, der in eurem Lande lebt, wenn er nichts anderes will, als zu seinem Gotte beten.«

»Der Anachoret, den ich besuchen will,« sagte der Ritter, »soll kein Priester sein... aber uns gilt er als Heiliger, und ich werde ihn mit meiner Lanze schützen gegen Heiden und Ungläubige.« – »Dein Heiliger von Engaddi,« sagte der Sarazene, »wird sowohl von Türken als Arabern beschützt, und wenn er sich auch manchmal in einem sonderbaren Zustande befindet, so zeigt er sich im allgemeinen als Nachfolger seines Propheten, so daß er den Schutz dessen verdient, der gesandt wurde – «

»Nun, bei Unserer lieben Frau, Sarazene, wagst Du den Kameltreiber von Mekka in einem Atem zu nennen mit – «

Heftiger Zorn blitzte in den Augen des Emirs, aber wiederum bezwang er sich und sagte gelassen und würdevoll: »Schmähe den nicht, den Du nicht kennst; schmähe ihn schon darum nicht, weil wir den Stifter Deiner Religion verehren und nur die Lehre verdammen, die Eure Priester daraus gesponnen haben. Ich will Dich zur Höhle des Eremiten führen, denn ohne meine Hilfe würdest Du sie schwerlich erreichen.«

Drittes Kapitel

Die Krieger erhoben sich nach kurzer Ruhe und bestiegen die Pferde wieder. Vorher aber benetzte der christliche Ritter nochmals Lippen und Hände mit dem frischen Quellwasser. »Ich möchte,« sagte er zu seinem mohammedanischen Reisegefährten, »wissen, wie diese köstliche Quelle heißt, denn nie hat Wasser meinen Durst so herrlich gelöscht, wie heute sie.« – »Auf arabisch heißt sie Diamant der Wüste,« antwortete der Sarazene. – »Und mit Recht,« sagte der Christ. »Mein heimatliches Tal hat tausend Quellen, aber an keine von ihnen werden mich in Zukunft so kostbare Erinnerungen knüpfen als an diesen einsamen Brunnen.« – »Ihr redet die Wahrheit,« pflichtete der Sarazene bei; »denn auf jenem See des Todes, in dessen Nähe wir uns noch immer befinden, ruht noch heute der Fluch, und weder Mensch noch Tier trinkt aus seinen Wellen, noch aus dem Strome, der ihn nährt, ohne ihn zu füllen.«

Die beiden Reiter setzten ihren Weg durch die Sandwüste fort. Ein leichter Wind milderte jetzt die Schrecken der Wüste. Der Staub, den er mit sich führte, störte den Sarazenen wenig, aber seinen schwerbewaffneten Gefährten so sehr, daß er den Eisenhelm an den Sattelknopf hängte und die leichte Mütze, damals Mörser genannt, aufsetzte. Der Sarazene gab den Wegweiser ab und schien eine Zeitlang in diese Obliegenheit so vertieft, wie ein Steuermann, der ein Schiff durch einen gefährlichen Kanal steuert. Aber kaum waren sie eine halbe Stunde weit geritten, als er, seines Weges nun gewiß, ein Gespräch zu führen anfing.

»Ihr habt mich nach dem Namen einer stummen Quelle gefragt,« sagte er; »nun möchte ich nach dem Namen des Gefährten fragen, mit dem ich heute Gefahr und Ruhe teilte.« – »Sein Name verdient nicht, genannt zu werden,« erwiderte der Christ; »aber daß ich unter den Kreuzfahrern Kenneth vom ruhenden Leoparden heiße, kann ich Dir ja sagen; in der Heimat führe ich andere Titel, die aber einem morgenländischen Ohr rauh klingen würden. Nun aber sage, Sarazene, auch Du mir, unter welchem Namen Du bekannt bist.«

»Ritter Kenneth,« sagte der Muselmane, »ich bin kein Araber, stamme aber aus einem ganz ebenso wilden, kriegerischen Geschlecht. Herr Leopardenritter, Ihr seht in mir Scharfhaupt, den Löwen des Gebirges, und in Kurdistan, meiner Heimat, wird keine Familie für edler gehalten als die der Seldschucken.« – »Ich habe gehört,« bemerkte der Christ, »daß Euer großer Sultan sein Blut aus derselben Quelle herleitet.« – »Dank sei dem Propheten, der unsere Berge so sehr geehrt hat, daß er aus ihrem Schoße ihn sandte, dessen Wort Sieg ist!« rief der Heide. »Fremdling, mit wieviel Mann kamst Du zu diesem Feldzuge?« – »Meiner Treu,« sagte Kenneth, »mit Mühe habe ich zehn Bogenschützen und fünfzig Mannen einschließlich der Bogenschützen und Knappen ins Feld geführt. Einige haben mein Banner verlassen, andere sind im Gefecht geblieben, noch andere an Krankheiten gestorben. Ein einziger Waffenträger, um dessen Leben ich jetzt diese Wallfahrt verrichte, liegt auf dem Krankenbette.« – »Christ,« entgegnete Scharfhaupt, »fünf Pfeile stecken in meinem Köcher, jeder mit einer Adlerschwinge befiedert. Jeder Pfeil ruft tausend Krieger zu mir her. Und Du bist mit fünfzig Mann in ein Land eingedrungen, wo ich nur einer der geringsten bin?« – »Nun, beim heiligen Kreuz, Sarazene,« rief der Ritter, »wisse, daß ein Stahlhandschuh eine Handvoll solcher Hornissen zermalmt.« – »Aber er muß sie doch erst gefangen haben!« erwiderte der Sarazene lächelnd, und dieses Lächeln hätte ihrer Freundschaft leicht ein Ende machen können, wenn er das Gespräch nicht schnell gewechselt hätte.

»Mischt Ihr Euch ebenso frei unter die Frauen Eurer Befehlshaber und Anführer?« fragte er. – »Der Himmel,« sagte der Ritter vom Leoparden, »gibt dem ärmsten Ritter soviel Freiheit, daß er in ehrbarem Dienste Herz und Schwert der schönsten Prinzessin weihen kann, die jemals ein Diadem auf ihrer Stirn trug.« – »Dein Herz ist wohl an einen hohen, edlen Gegenstand verschenkt?« – »Fremdling,« versetzte der Christ errötend, »wir gestehen nicht übereilt, wo wir unsere erlesenen Schätze haben. Willst Du aber mehr von Liebe und Lanzen hören, so wage Dich selbst ins Lager der Kreuzfahrer; dort wirst Du hören, und wenn Du willst, auch Deine Hände rühren können.« – »Je nun,« erwiderte der Sarazene, »wer's mir im Kampf mit dem Wurfspieß gleichtun wollte, möchte schlimmen Stand haben.« – »Ihr solltet König Richards Streitkolben sehen,« sprach der Ritter, »im Vergleich zu ihm ist der meinige federleicht.« – »Wir hören viel von jenem Inselkönig,« sagte der Sarazene. »Bist Du sein Untertan?« – »In diesem Feldzuge kämpfe ich als sein Gefolgsmann,« erklärte der Ritter, »aber sein Untertan bin ich nicht, wenn ich auch von der Insel gebürtig bin, wo er herrscht.« – »Habt Ihr denn zwei Könige auf einem armen Eiland?« – »Wie Du sagst,« versetzte der Schotte – denn dies war Kenneth von Geburt – »und doch kann das Land Scharen von Reisigen liefern, die zum Kampf gegen die unheilige Gewalt ausziehen, die Ihr Euch über die Städte Zions angemaßt habt.«

»Beim Barte Saladins, Nazarener, lachen könnte ich über die Einfalt Eures Sultans, hierher zu kommen, um wegen Wüsten und Felsen mit einem Herrscher, dem zehnfache Scharen zu Gebot stehen, Krieg zu führen, den Teil seiner Insel aber, auf der er geboren ist, der Willkür eines anderen preiszugeben!«

Während sie ostwärts weiter zogen, nahm die Gegend langsam einen anderen Charakter an. Schroffe Felsen stiegen empor; tiefe Abhänge und steile Berge von beträchtlicher Höhe türmten sich ihnen entgegen; finstere Höhlen und Felsenklüfte gähnten vor ihnen, und der Emir sagte, sie dienten sowohl Raubtieren als Räubervölkern zum Schlupfwinkel, die weder Stand noch Religion, weder Geschlecht noch Alter auf ihren Raubzügen schonten.

Gleichgültig hörte der Ritter ihm zu, denn er fühlte sich vor ihnen sicher. Aber eine geheime Furcht überfiel ihn, als er sich besann, in der furchtbaren Wildnis des vierzehntägigen Fastens und in der Gegend zu weilen, wo der Böse den Menschen versuchte.

Der Tag neigte sich bereits, doch war es noch hell genug, daß der Ritter sehen konnte, wie in einigem Abstände von ihnen eine lange, schmächtige Gestalt über Felsen und Gebüsche huschte, deren wildes, zottiges Aeußere ihm die Faune und Waldgeister in Erinnerung rief, deren Bilder er in den alten Tempeln Roms gesehen hatte. Anfangs schien die Gestalt ihren Pfad hinter Felsen und Gesträuch zu verfolgen, mit geschickter Benützung aller Terrainvorteile. Dann aber sprang sie mitten auf den Weg und packte mit jeder Hand einen Zügel des Sarazenen. Es war ein langer Mann, gehüllt in ein zottiges Fell, dem eine gewaltige Kraft inne wohnen mußte, denn das edle Tier vermochte den Druck auf das Gebiß und die scharfe Kinnkette, die nach morgenländischer Sitte aus einem festen, eisernen Ringe bestand, nicht auszuhalten, bäumte sich und stürzte hintenüber auf seinen Herrn, der sich schnell auf die Seite warf. Vom Zaume des Pferdes griff der unbekannte Hüne nach der Kehle des Sarazenen und drückte ihn nieder, indem er seine langen Arme um die des anderen schlang. »Hamako, Narr – laß mich los!« rief der Sarazene, zornig und lachend zugleich, »dazu hast Du kein Recht – laß mich los, oder ich brauche meinen Dolch!« – »Deinen Dolch, ungläubiger Hund?« rief der Hüne im Ziegenfell. »Halte ihn, wenn Du kannst!« Und in demselben Augenblicke den Dolch ihm aus der Hand windend, schwang er ihn über seinem Haupte.

»Hilf, Nazarener,« schrie der Sarazene, dem jetzt bange ward, »hilf mir, oder der Hamako bringt mich um!«

Der Ritter hatte bisher erstaunt zugesehen; aber endlich fühlte er, daß es sich nicht mit seiner Ehre vertrug, länger stummer Zuschauer zu sein, und er rief: »Wer Du auch seist, Mann, und von wem Du stammst, so laß Dir sagen, daß ich dem Sarazenen, den Du in Deiner Gewalt hast, Kameradschaft angelobt habe. Laß ihn also aufstehen, sonst kündige ich Dir Feindschaft!« – »Ein sonderbarer Kampf für einen Kreuzfahrer, mit einem von seinem eigenen heiligen Glauben gegen einen ungetauften Hund! Hast Du Dich in die Wildnis begeben, um für den Halbmond und gegen das Kreuz zu streiten?«

Aber er richtete sich auf und gab den Sarazenen frei, setzte ihn auch wieder in Besitz seines Dolches. »Du siehst, Ilderim,« rief der Hüne im Ziegenfelle dem Sarazenen zu, »mit wie schwachen Mitteln sich der Sieg über Dich erringen läßt, wenn es der Himmel beschlossen hat, Dich zu strafen. Drum nimm Dich in acht, Ilderim! Denn wisse, deutete nicht ein Schimmer in Deinem Geburtsstern auf etwas dem Himmel Wohlgefälliges, so hätten wir beide uns nicht eher getrennt, als bis ich Dir die Kehle zerrissen hätte.« – »Hamako,« sagte der Sarazene, ohne einen Schein von Empfindlichkeit über Sprache und Gewalttat des anderen »treibe Dein Vorrecht nicht zu weit! Wenn ich auch als Muselmane diejenigen schone, denen der Himmel den Verstand genommen, um sie mit prophetischem Geiste zu rüsten, so liebe ich es doch nicht, wenn sich ein Irrender an meinem Rosse oder gar meiner Person vergreift. Dir aber, Freund Kenneth,« setzte er, sich auf sein Roß schwingend, hinzu, »hätte es besser geziemt, mir gegen diesen Hamako ungebetnen Beistand zu leisten, denn wenig fehlte, so hätte er mich in seinem Wahnsinn umgebracht.« – »Meiner Treu, darin habe ich gefehlt,« sagte der Ritter; »die seltsame Gestalt, das Unerwartete dieser Szene – ich bin, gerade herausgesagt, der Meinung gewesen, der Teufel in Person falle über Dich her!« – »Dein Spott ist keine Antwort, Kenneth,« erwiderte der Sarazene; »was immer Arges oder Teuflisches an diesem Hamako sein mag, er gehört mehr zu Deinem als zu meinem Geschlecht; denn er ist niemand anders als der Anachoret, den Du besuchen willst.« – »Er?« rief Kenneth, die kräftige, aber verfallene Gestalt musternd. »Du spottest meiner, Sarazene! Das kann der ehrwürdige Theodorich nicht sein!«, – »Frage ihn selbst, wenn Du mir nicht glaubst!« entgegnete Scharfhaupt; und kaum waren die Worte über seine Lippen, so bestätigte der Eremit die Aussage.

»Ich bin Theodorich von Engaddi,« sagte er, »der Wanderer der Wüste – Freund des Kreuzes und Geißel aller Ungläubigen, Ketzer und Teufelsanbeter. Hütet Euch – hütet Euch! Nieder mit Mohammed, Satan und ihren Anhängern!«

Unter seinem zottigen Gewände riß er eine mit Eisendraht umwundene Keule hervor und schwang sie um sein Haupt.

»Da hast Du Deinen Heiligen!« sagte der Sarazene, indem er zum erstenmal über das unbegrenzte Erstaunen lachte, womit Ritter Kenneth die wilden Gebärden Theodorichs betrachtete.

»Ein Wahnsinniger!« sagte Sir Kenneth. – »Und doch ein Heiliger,« entgegnete der Muselmane, »wisse, Christ, wenn das eine Auge erloschen ist, sieht das andere um so schärfer – ist die eine Hand abgehauen, wird die andere desto kraftvoller. So wird auch, wenn unsere Vernunft in menschlichen Dingen gestört oder aufgehoben ist, unser Blick himmelwärts geschärfter und vollkommener.«

Da schrie der Einsiedler wild in singendem Tone: »Ich bin Theodorich von Engaddi – der Fackelbrand der Wüste – die Geißel der Ungläubigen. Löwe und Leopard sollen in meiner Zelle Schutz finden, und der junge Bock soll sich nicht fürchten vor ihren Klauen. Ich bin die Fackel und die Leuchte! – Kyrie Eleison!« – Er schloß seinen Gesang mit einem kurzen Laufe, den er mit drei raschen Sprüngen endigte, die sich mit seinem Einsiedlerstande so wenig vertrugen, daß der Ritter sich förmlich entsetzte, während der Sarazene ihn besser zu verstehen schien. »Wie Ihr seht,« sagte er, »rechnet er, daß wir ihm in seine Zelle folgen, die allerdings unser einziger Zufluchtsort für die Nacht ist. – Ihr seid der Leopard, nach der Devise auf Eurem Schilde, ich bin der Löwe, wie mein Name sagt, und mit dem Bock meint er sich selbst, auf sein Gewand aus Ziegenfellen anspielend. Aber wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren, denn er ist flink wie ein Dromedar.«

Durch Klüfte und auf wilden Pfaden rannte nun der seltsame Hüne entlang, so daß der Sarazene schon Mühe hatte, ihm zu folgen und oft mit seinem flinken Berberrosse zu straucheln drohte, der Ritter aber mehr als einmal dem sicheren Tode nahe war und Gott von Herzen dankte, als er endlich nach diesem wilden Laufe den heiligen Mann mit einer Fackel in der Hand am Eingange der Höhle stehen bleiben sah.

Erstickender Dampf schlug ihm entgegen, schreckte ihn aber nicht zurück. Er trat hinter seinen hünenhaften Führer in die Höhle, die zwei Abteilungen aufwies: in der äußeren befand sich ein steinerner Altar mit einem Kruzifix aus Rohr: sie diente dem Anachoreten zur Kapelle; an der anderen Wand band der Ritter sein Roß an, während der Eremit den inneren Raum für seine Gäste herrichtete. Der Fußboden war mit weißem Sand bestreut worden; Matratzen, aus Binsen geflochten, lagen an den Wänden, die mit Kräutern und Blumen behängt waren. Zwei Wachskerzen gaben dem Raum ein freundliches Aussehen, und Wohlgeruch und Kühle machten ihn angenehm.

In einem Winkel lag das Arbeitsgerät des Eremiten, in einem anderen stand eine rohe Bildsäule der heiligen Jungfrau. Ein Tisch und zwei Sessel, von dem Eremiten selbst verfertigt, mit Kräutern, Gemüse und gedörrtem Fleische bedeckt, bildeten das einzige Mobiliar. Der Einsiedler betrat seine Zelle wie jemand, der geboren scheint, die Menschen zu beherrschen, aber seiner Herrschaft entsagt hat, um ein Diener des Himmels zu werden.

Schweigend winkte er dem Schotten, sich zu setzen, indes der Sarazene sich auf ein Mattenpolster kauerte. Dann erhob er die Hände, wie um die Erfrischungen, die er seinen Gästen vorsetzte, zu segnen: ein seltsamer Kontrast zu dem wilden Wesen, das er vor wenigen Augenblicken draußen zwischen den Felsen gezeigt hatte ... Er selbst aß keinen Bissen, räumte aber, als seine Gäste ihre Mahlzeit geendigt hatten, die Ueberreste hinweg und setzte dem Sarazenen einen Krug Scherbet, dem Schotten eine Flasche Wein hin.

»Trinkt, Kinder!« sprach er – es waren die ersten Worte, »Gottes Gaben darf man genießen, wenn man sich dabei des Gebers erinnert.«

Als er dies gesagt, zog er sich in die äußerste Zelle zurück, wahrscheinlich, um seine Andacht zu verrichten, und ließ seine Gäste in dem inneren Gemache allein. Kenneth rief sich in die Erinnerung, was ihm von diesem seltsamen Einsiedler, der bei den höchsten Dienern der Christenheit in so hohem Ansehen stand, bekannt war. Auf Konzilien war er Berichterstatter, bei Päpsten Sekretär gewesen. Zu Clermont hatte er den ersten Kreuzzug gepredigt. Vormals, wie der Sarazene ihm erzählte, ein tapferer, mutiger Krieger, weise im Rat und glücklich in der Schlacht, sei er in Jerusalem erschienen, nicht als Pilger, sondern in der Absicht, sein Leben dem heiligen Lande zu weihen, und habe sich an dem öden Orte niedergelassen, wo sie ihn jetzt fanden, geehrt von den Lateinern seiner strengen Frömmigkeit wegen, gelitten von den Türken und Arabern wegen der an ihm vorhandenen Symptome des Wahnsinns. Bei ihnen hieß er nicht anders als Hamako: was in der türkischen Sprache einen wahnsinnigen Seher bezeichnet, und sein Ruf habe sich soweit verbreitet, daß Saladin befohlen habe, ihn zu schonen und zu beschützen. Weiter wußte oder wollte der Sarazene nichts sagen, denn der Ritter gewann den Eindruck, als ob die Bekanntschaft zwischen beiden sich weiter erstreckte, als die Aeußerungen des Sarazenen vermuten ließen; auch war ihm nicht entgangen, daß der Seher den Sarazenen bei einem anderen Namen genannt, als der war, den er selbst angegeben hatte.

»Nimm Dich in acht, Sarazene,« sagte er, »mich dünkt, unser Wirt ist in Namen so konfus wie in anderen Dingen. Du nennst Dich Scharfhaupt, und gleichwohl nannte er Dich vorhin ganz anders.«

»Als ich noch in meines Vaters Zelte war, hieß ich Ilderim,« entgegnete der Kurdistane, »und so nennen mich noch viele. Im Felde und unter den Soldaten bin ich als Löwe des Berges bekannt. Doch still! Hamako kommt! ich kenne seine Art – er will zur Ruhe, denn beim Nachtgebet läßt er sich nicht belauschen.«

Der Anachoret trat ein. Die Arme über der Brust verschränkend, sprach er feierlich: »Gepriesen sei der Name dessen, der die ruhige Nacht dem geschäftigen Tage folgen läßt.« Beide Krieger sprachen: »Amen!« standen auf und begaben sich zu ihrem Lager, und nachdem sie, jeder nach seinem Glauben und Ritus ihr Gebet verrichtet hatten, waren sie bald von tiefem Schlaf umfangen.

Viertes Kapitel

Kenneth, der Schotte, hatte keine Ahnung, wie lange seine Sinne in tiefer Ruhe befangen gewesen waren, da wurde er durch eine Empfindung, als wenn ihm eine schwere Last auf der Brust läge, munter. Zuerst war es ihm, als wenn er im Kampfe mit einem gewaltigen Gegner läge, dann aber fand er das Bewußtsein vollständig wieder. Er wollte gerade fragen, wer da sei, da schlug er die Augen auf und erblickte die Gestalt des Eremiten, der, wild und verstört, wie wir ihn geschildert haben, an seinem Lager stand, die Rechte auf Kenneths Brust drückend, während er in der Linken ein kleines Lämpchen hielt.

»Sei still,« sagte der Eremit, als der auf sein Lager gestreckte Ritter verstört aufblickte; »was ich Dir zu sagen habe, soll jener Ungläubige nicht hören.« Er sagte es in französischer, nicht in fränkischer Sprache, jenem Gemisch von morgenländischen und europäischen Mundarten, deren sie sich bisher untereinander bedient hatten. »Steh auf,« fuhr er fort, »wirf Deinen Mantel um, sprich nicht, und folge mir leise.« Kenneth stand auf und nahm sein Schwert. »Das brauchst Du nicht,« flüsterte der Einsiedler, »dort, wohin wir uns begeben, gelten geistige Waffen viel, fleischliche aber sind wie Rohr und welker Kürbis.«

Der Ritter legte sein Schwert wieder neben sein Lager, behielt nur den Dolch, von dem er sich in dieser gefährlichen Gegend nie trennte, und schickte sich an, seinem geheimnisvollen Wirte zu folgen. Sie schritten langsam und leise wie Schatten in das äußere Gemach, ohne den heidnischen Emir, der noch in tiefem Schlafe lag, zu stören. Vor dem Kreuz und Altar brannte noch eine Lampe, ein Meßbuch war aufgeschlagen, und am Boden lag eine Geißel aus kurzen Schnüren und Drähten, an der noch Blut klebte, zum sicheren Zeichen der strengen Buße des Einsiedlers. Hier kniete Theodorich nieder und bedeutete dem Ritter, auf den harten Kies zu knien, der zu dem Zwecke, die Andachtsübung recht zu erschweren, auf den Boden gestreut zu sein schien. Der Ritter folgte der Aufforderung mit frommem Eifer und gewann von seinem Wirte eine so völlig andere Meinung, daß er nicht wußte, ob er ihn nicht selbst für einen Heiligen halten sollte. Als sie aufstanden, blickte er ihn ehrfürchtig an, wie ein Zögling seinen Meister. Der Eremit aber blieb ein paar Minuten, still und in sich gekehrt.

»Blick in die Ecke dort, mein Sohn, dort wirst Du einen Schleier finden. Bring ihn hierher.«

Der Ritter gehorchte. Als er den Schleier ans Licht brachte, sah er, daß er zerrissen war und an mehreren Stellen dunkle Flecke hatte. Der Einsiedler blickte auf den Schleier mit tiefer Rührung, ehe er das Wort an den Ritter richten konnte, bezwang sich wohl, mußte jedoch seinem Herzen durch tiefes Stöhnen Luft machen.

»Du sollst jetzt den reichsten Schatz der Erde sehen,« sagte er dann; »wehe mir, daß meine Augen dessen nicht würdig sind. Ach, ich bin das schlechte, verachtete Schild, das dem müden Wanderer eine sichere Ruhestätte weist, aber selbst immer auf der Straße bleiben muß. Vergebens habe ich mich in die Felsenklüfte und in den Schoß der dürren Wüste geflüchtet. Mein Feind hat mich gefunden – gerade der, den ich verleugnete, hat mich bis in meine Feste verfolgt.«

Wieder schwieg er eine Weile, dann wandte er sich zu dem Ritter und sagte fester und bestimmter als bisher: »Ihr bringt mir einen Gruß von Richard von England?« – »Ich komme aus dem Rate christlicher Fürsten,« entgegnete der Ritter; »da aber der König sich nicht wohl befand, ward mir die Ehre nicht zuteil, die Befehle Sr. christlichen Majestät zu vernehmen.« – »Euer Zeichen?« fragte der Einsiedler.

Ritter Kenneth zauderte. Sein früherer Argwohn und die Spuren von Wahnsinn, die der Eremit gezeigt hatte, schossen ihm in den Sinn. Aber warum sollte er Mißtrauen hegen gegen einen Mann mit so heiligem Wesen? – »Meine Parole,« sagte er endlich, lautet, so: Könige bettelten bei einem Bettler.« – »Sie ist richtig,« versetzte der Eremit innehaltend. – »Ich kenne Euch wohl; aber die Schildwache auf ihrem Posten – und der meinige ist wichtig – ruft Freund wie Feind an.« Er ging hierauf mit der Lampe vorwärts, dann den Ritter in das Gemach zurück geleitend, aus dem sie eben getreten waren. Der Sarazene lag noch auf seinem Lager in tiefem Schlafe. Der Einsiedler blieb neben ihm stehen und sah eine Zeitlang schweigend auf ihn nieder. »Er schläft im Dunkeln,« sagte er, »und soll nicht geweckt werden.«

Die Haltung des Emirs weckte wirklich die Vorstellung von tiefer Ruhe. »Er schläft im Dunkeln,« wiederholte der Eremit so leise wie vorhin, »aber auch für ihn wird es Tag werden. – O Ilderim! wenn Du wachst, sind Deine Gedanken noch ebenso eitel und wild, wie diejenigen, die in Deinem schlummernden Gehirn ihren Wirbeltanz aufführen; aber die Drommete wird erschallen und Dein Traum verschwinden.«

So sprechend, winkte er dem Ritter, ihm zu folgen, begab sich hinter den Altar und drückte eine Springfeder, die sich geräuschlos öffnete und eine kleine eiserne Tür bloß legte, die seitwärts in der Höhle angebracht und, wenn man nicht genau hinsah, fast nicht zu sehen war. Ehe er sie ganz öffnete, tröpfelte er etwas Oel aus seiner Lampe auf die Angeln. Dann zeigte sich eine kleine, in den Felsen gehauene Treppe. »Nimm den Schleier hier,« sagte der Eremit schwermütig, »und verbinde mir die Augen; denn, ich darf den Schatz nicht sehen, den Du jetzt erblicken sollst, ohne mich der Sünde und Vermessenheit schuldig zu machen.« Ohne zu antworten, verhüllte der Ritter hastig den Kopf des Eremiten mit dem Schleier, worauf dieser die Treppe hinauf stieg, wie jemand, der den Weg zu genau weiß, um Licht zu brauchen, leuchtete aber dabei dem Schotten, der ihm über viele Stufen auf der engen Stiege folgte. Endlich blieben sie in einem kleinen Gewölbe von unregelmäßiger Form stehen. In dem einen Winkel desselben verlief sich die Treppe, während in einem andern eine andere gotische Tür sich befand, die den Schmuck, aber in roher Arbeit, der gewöhnlichen Zutaten zu Säulen zeigte und durch ein stark mit Eisen und großen Nägeln beschlagenes Gitter abgesperrt war. Dorthin lenkte der Einsiedler die Schritte, die, als er naher heran gelangte, unsicher zu werden schienen. »Zieh die Schuhe aus,« sagte er zu seinem Gefährten; »der Boden, auf dem Du stehst, ist heilig. Verbanne aus Deinem Innersten jeden weltlichen und fleischlichen Gedanken; denn solchen hier nachzuhängen, wäre Todsünde.« Der Ritter tat, wie ihm befohlen, während der Eremit, wie im stillen Gebet, mit seinem Herzen abzurechnen schien. Die Tür öffnete sich darauf von selbst. Wenigstens sah Kenneth niemand, aber ihn blendete ein Strom hellsten Lichtes und ein starker, fast betäubender Duft reinsten Wohlgeruchs strömte ihm entgegen. Ein paar Schritte trat er zurück, aber es vergingen Minuten, ehe er sich von der überwältigenden Wirkung des plötzlichen Ueberganges aus der Finsternis zum Licht erholte.

Als er in das Gemach trat, worin sich dieser helle Glanz verbreitete, bemerkte er, daß das Licht von einer großen Menge silberner Lampen herrührte. Sie hingen an silbernen Ketten vom Dache einer kleinen gotischen Kapelle herab, die, wie so ziemlich die ganze merkwürdige Einsiedelei, aus der harten Felsenmasse gehauen war. Aber so roh und einfach die Arbeit an sich war, so zeugte sie doch von der Hand eines geschickten Architekten. Die geäderten Decken erhoben sich zu beiden Seiten auf sechs, mit seltener Kunst gearbeiteten Säulen, und die Art, wie die Bogen untereinander durch passenden Zierat verbunden waren, verriet überall den vornehmsten Stil der Baukunst des Zeitalters. Mit der Pfeilerreihe standen auf jeder Seite sechs künstlich gearbeitete Nischen in Beziehung, die Statuen der zwölf Apostel bergend.

Am oberen, östlichen Ende der Kapelle stand der Altar. Ein prächtiger, reich mit Gold gestickter Vorhang von persischer Seide verhüllte eine hinter ihm befindliche Nische, die wahrscheinlich ein Heiligenbild oder eine noch heiligere Reliquie enthielt, der zu Ehren diese merkwürdige Andachtsstätte errichtet worden war. Kenneth trat zu dem Heiligenschrein, kniete vor ihm nieder und wiederholte sein Gebet mit Inbrunst. Plötzlich aber hob sich der Vorhang, ohne daß der Ritter sah, wie oder durch wen, und in der Nische erblickte er einen Schrank von Silber und Ebenholz, mit doppelter Flügeltür, eine gotische Kirche im kleinen darstellend. Gleich darauf flogen die beiden Flügeltüren auf, und ein großes Stück Holz mit der Inschrift: Vera Crux [Wahres Kreuz] wurde sichtbar, zu gleicher Zeit sang ein Chor weiblicher Stimmen Gloria Patri [Ruhm (Gottes) des Vaters]. Als der Gesang schwieg, schloß sich der Schrein wieder, der Vorhang senkte sich wieder, und der Ritter konnte nun ungestört seine Andacht fortsetzen. Es währte geraume Zeit, bis er sich wieder erhob und sich nach dem Eremiten umsah, der ihn an diesen heiligen, geheimnisvollen Ort geführt hatte. Er sah ihn, den Kopf noch immer vom Schleier verhüllt, vor der Tür der Kapelle liegen, wie jemand, den die Last seiner Schuld zu Boden wirft.

Kenneth näherte sich ihm, als ob er ihn anreden wollte, allein der Einsiedler, seine Absicht erratend, murmelte hinter der Hülle, die seinen Kopf bedeckte, in halb erstickten Tönen: »Bleib, und wohl Dir, daß Du sehen darfst – das Gesicht ist noch nicht zu Ende.« Hierauf erhob er sich, trat hinter die Schwelle zurück und verschloß die Tür der Kapelle, die so genau mit dem Felsen zusammenhing, daß Kenneth nur mit Mühe die Oeffnung entdecken konnte. Er befand sich jetzt allein in der erleuchteten Kapelle, ohne andere Waffe als seinen Dolch, allein mit seinen frommen Gedanken, doch im Bewußtsein unverzagten Mutes.

Entschlossen, den Verlauf der Begebenheiten abzuwarten, wanderte der Ritter in der einsamen Kapelle bis zum ersten Hahnenschrei umher. Um diese stille Zeit, wo Nacht und Morgen einander begegnen, drang plötzlich, ohne daß er unterscheiden konnte, aus welcher Richtung, der silberne Klang eines Glöckchens, wie sie bei der Erhebung der Hostie oder bei dem Meßopfer geläutet wurden, an sein Ohr. Gleich darauf lüftete der seidene Vorhang sich wieder, und die Reliquie zeigte sich seinen Blicken wieder. Ehrfurchtsvoll sank er auf die Knie und vernahm den Klang der Lobgesänge, wie vorher von weiblichen Stimmen. Der Ritter ward bald inne, daß die Stimmen sich langsam der Kapelle näherten und verstärkten – da öffnete sich ebenso unbemerkbar wie die, durch die er eingetreten war, eine zweite Tür. Atemlos vor Spannung heftete der Ritter sein Auge auf die Oeffnung, und während er, wie es Ort und Handlung erheischten, auf den Knien liegen blieb, harrte er der weiteren Dinge. Zuerst traten vier schöne Knaben, barfuß und nackt bis zum Gürtel, paarweise in die Kapelle; die bräunliche Haut des Orients bildete einen eigentümlichen Kontrast zu ihren schneeweißen Gewändern. Das erste Paar schwenkte Räucherpfannen, das zweite Paar streute Blumen.

Auf die Knaben folgten die den Gesangchor bildenden Mädchen in lieblicher Ordnung. Sechs von ihnen waren, nach den schwarzen Skapulieren und dunklen Schleiern über den weißen Gewändern zu schließen, Nonnen vom Berge Karmel, sechs andere kennzeichnete der weiße Schleier als Novizen. Mit Kränzen von roten und weißen Rosen in den Händen, zogen sie in Prozession um die Kapelle, ohne von dem Ritter dem Anschein nach die geringste Notiz zu nehmen, obgleich sie ihm so nahe kamen, daß ihre Gewänder ihn fast berührten. Auf den Ritter machten Ort und Stunde, und die plötzliche Erscheinung der Nonnen wie nicht minder die geisterhafte Weise, wie sie an ihm vorüberzogen, einen solchen Eindruck, daß es ihm kaum glaublich schien, der hehre Zug, den er erblickte, könne aus Geschöpfen dieser Welt bestehen, schienen sie doch in dem Dämmerlichte, das die Lampen durch die Weihrauchwolken warfen, mehr zu schweben als zu gehen.

Als sie aber auf ihrem zweiten Rundgange um die Kapelle dort anlangten, wo er kniete, pflückte eines der weißgekleideten Mädchen eine Rosenknospe aus ihrem Kranze und ließ sie, vielleicht unwillkürlich, zu Kenneths Füßen niederfallen. Der Ritter erschrak, wie wenn ihn ein Pfeil träfe; aber er unterdrückte die Bewegung, die ihn ergriff, durch den Gedanken, daß ein so unbedeutender Zufall leicht möglich sei. Als sich aber der Zug zum drittenmal um die Kapelle bewegte, wandten sich die Gedanken und Augen des Ritters ausschließlich zu derjenigen unter den Novizen, die die Rosenknospe hatte fallen lassen. Sie war im Schritt, in der Gestalt, im Aussehen den übrigen Sängerinnen völlig ähnlich, und doch pochte Kenneth das Herz, wie etwa einem Vogel, der seinen Käfig durchbrechen will, als ob es ihm fühlbar machen wollte, das Mädchen am rechten Flügel der zweiten Reihe sei ihm nicht nur teurer als alle übrigen Choristinnen, sondern als alle Frauen der Erde; und so kurze Zeit auch verging, bis ein dritter Umzug in der Kapelle stattfand, dem Ritter dünkte es doch eine Ewigkeit. Endlich kam die Gestalt, der seine ganze Aufmerksamkeit gehörte, näher; es war, wie gesagt, kein Unterschied zwischen dieser und den anderen verhüllten Figuren, mit denen sie sich gleichförmig bewegte. Als sie indes zum drittenmale bei dem knieenden Kreuzfahrer vorüberzog, schimmerte ihre kleine, wohlgebildete, schöne Hand durch die Falten des durchsichtigen Schleiers hervor, wie der Strahl des Mondes durch lichte Sommernachtswolken, und abermals fiel eine Rosenknospe dem Ritter vom Leoparden zu Füßen ... Dies zweite Zeichen konnte nicht zufällig sein, auch nicht die Aehnlichkeit der nur halb sichtbaren, schönen, weiblichen Hand mit einer anderen, die seine Lippen einst berührt, und bei deren Berührung er der holden Dame, der die Hand gehörte, ewige Treue geschworen hatte. Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, so mußte er ihn finden im Glanze des unvergleichlichen Rubins an dem schneeweißen Finger, wie der dunklen Flechten, die jetzt Zufall oder Absicht hinter dem Schleier sichtbar machte, und von denen ihm jedes Härchen teurer war als eine Kette von gediegenem Golde. Ja, es war die Geliebte seines Herzens! Aber, daß sie hier weilen sollte – in der wilden, öden Wüste – unter Nonnen, die sich in diese Höhlen geflüchtet hatten, um heimlich zu, ihrem Gotte zu beten, dem sie nicht öffentlich dienen durften – das schien unglaublich – das mußte ein Traum sein, ein Täuschungsbild der Phantasie.

Während der Ritter diesen Gedanken nachging, verschwand die Prozession wieder durch dieselbe Tür, durch die sie hereingekommen war. Endlich kam auch sie, von der er dies doppelte Zeichen erhalten hatte; und im Vorbeigehen wandte sie den Kopf, wenn auch kaum merklich, nach der Stelle, wo er unbeweglich wie eine Bildsäule stehen geblieben war. Er sah noch, wie ihr Schleier wehte. Dann sank Dunkelheit auf seine Seele, so dicht fast wie die, die jetzt die Kapelle füllte; denn mit lautem Geräusch schloß sich hinter der letzten Sängerin die Tür, und die Lichter der Kapelle erloschen. Doch für Kenneth bedeuteten Einsamkeit und Dunkel und die Gewißheit seiner geheimnisvollen Lage nichts; er fragte nicht danach, kümmerte sich um nichts in der Welt, als um die liebliche Erscheinung, die eben an ihm vorbeigeschwebt war, als um die Zeichen der Gunst, die sie ihm gespendet hatte – er dachte nur an sie wie an eine Gottheit, die ihren brünstigen Verehrer der Gunst ihrer Erscheinung gewürdigt hatte, und die zurückgekehrt war in das Dunkel ihres Heiligtums.

Fünftes Kapitel

Weit über eine Stunde herrschte tiefes Schweigen und dichte Finsternis in der Kapelle, in welcher der Ritter vom Leoparden noch immer auf den Knien bald dem Himmel, bald seiner Geliebten für alle ihm zuteil gewordene Güte dankte. Sicherheit und Schicksal – Dinge, um die er sich von jeher wenig bekümmert, wogen jetzt in seinen Gedanken kaum schwerer als ein Sandkorn. Er war in Lady Ediths Nähe; er hatte Zeichen ihrer Gunst empfangen; er befand sich an einem durch die heiligsten Reliquien geheiligten Orte. Ein christlicher Krieger, ein treuer Liebhaber kannte keine Furcht, hatte keinen Gedanken als an seine Pflicht gegen den Himmel und seinen Gehorsam gegen die Dame.

Da ertönte plötzlich ein Pfiff, ähnlich demjenigen, mit dem der Falkner seine Falken ruft. Schrill hallte er durch die Gewölbe der Kapelle, den Ritter an die Notwendigkeit erinnernd, auf seiner Hut zu sein. Er sprang auf und legte die Hand an seinen Dolch. Ein knarrender Ton wurde laut, als wenn eine Schraube gedreht würde, dann drang ein Lichtschein aus der Tiefe herauf, aus einer Oeffnung im Fußboden, und verriet, daß eine Falltür gehoben oder gesenkt worden sei. Kaum eine Minute verging, so zeigte sich ein langer, hagerer Arm, halb nackt, halb mit einem rotseidenen Aermel bekleidet, aus der Oeffnung, der eine Lampe, so hoch er reichen konnte, emporhielt. Die Gestalt, der dieser Arm gehörte, stieg Stufe für Stufe bis zur gleichen Fläche mit dem Fußboden der Kapelle. Was hier herausstieg, war ein furchtbarer Zwerg mit großem Kopfe, den eine mit drei Pfauenfedern phantastisch geschmückte Mütze bedeckte, in einem Kleide von rotem Atlas, dessen Pracht die Häßlichkeit dieses Gnomen stärker hervorhob, mit goldenen Spangen und einer silbernen Schärpe, in der ein Dolch mit goldenem Hefte saß. Die wunderliche Gestalt hielt in der linken Hand ein Ding wie einen Besen. Aus der Oeffnung emporgelangt, blieb der Zwerg stehen und bewegte, als ob er sich besser in Sicht setzen wollte, die Lampe langsam über die wilden phantastischen Züge seines Gesichts und die mißgestalteten, aber kräftigen Gliedmaßen seines Leibes.

Wahrend Kenneth diesen widerwärtigen Ankömmling betrachtete, pfiff der Zwerg abermals und ein andrer Zwerg stieg aus der Tiefe herauf, an Häßlichkeit mit ihm wetteifernd; aber kein Mannes-, sondern ein Frauenarm wars, der jetzt die Lampe aus der Tiefe heraufbewegte, und eine Zwergin, dem Zwerge ganz ähnlich, gleich ihm in ein Kleid aus rotem Atlas gehüllt, phantastisch im Schnitt und Ausputz, an die Tracht von Gauklern und Possenreißern erinnernd, wurde sichtbar. Auch sie hielt die Lampe über ihre Gestalt und ihr Gesicht, und ihre Häßlichkeit wetteiferte mit derjenigen des Zwerges in allen Hinsichten.

Wie durch Zauber gebannt, stand der Ritter, während das greuliche Paar zusammen in der Kapelle zu hantieren anfing, dem Anschein nach mit Auskehren beschäftigt, wobei sie aber jeder nur eine Hand verwandten, was ihren Bewegungen ein groteskes Aussehen verlieh. Als ihre Arbeit sie dem Ritter näherte, stellten sie einen Augenblick ihre Besen beiseite und traten nebeneinander vor ihm hin, ihre Lampen dabei so haltend, daß er ihre Gesichter, die in der Nähe nicht schöner wurden, deutlich sehen konnte. Als sie sahen, daß der Ritter den Blick auf sie lenkte, stimmten sie ein so schrilles Gelächter an, daß es ihm durch Mark und Bein ging. Er prallte zurück und beschwor sie voll Entsetzen, ihm zu sagen, wer sie seien und was sie an diese heilige Stätte führe.

»Ich bin Zwerg Nectabanus,« sagte die männliche Mißgeburt mit einer Stimme, die an das Geschrei des Nachtraben erinnerte. – »Und ich bin Genievra, sein Weib und Schätzchen,« setzte die Zwergin hinzu mit noch schrillerem Tone als der Zwerg. – »Warum seid Ihr hier?« fragte der Ritter, kaum zu glauben fähig, daß menschliche Wesen vor ihm ständen. – »Ich bin der zwölfte Imam,« entgegnete der Zwerg mit Ernst und Würde, »ich bin Muhamed Mohaddi, der Führer und Wegweiser der Gläubigen. Hundert Pferde stehen schon für mich gesattelt in der heiligen Stadt, und ebenso viele in der Stadt der Zuflucht. Ich bin derjenige, welcher Zeugnis abgeben soll, und diese hier ist eine meiner Huris.« – »Du lügst!« rief die Zwergin mit noch schrillerem Tone. »Ich bin keine von Deinen Huris, und Du bist kein so verworfener Ungläubiger wie der Mohammed, von dem Du sprichst. Mein Fluch ruht auf seinem Sarge! Ich sage Dir, Du Esel von Issachar, Du bist König Arthur von Britannien, den die Feen aus dem Gefilde von Avalon raubten, und ich bin Frau Genievra, berühmt durch ihre Schönheit.« – »Um Euch die Wahrheit zu sagen, edler Ritter,« bemerkte der Zwerg, »wir sind Prinzen in Not und Pein, die unter dem Schutze des Königs Guido von Jerusalem standen, bis er durch die argen Ungläubigen aus seinem Neste vertrieben ward. – Mögen die Donnerkeile des Himmels sie erschlagen!« – »Still!« rief eine Stimme von der Seite her, wo der Ritter hereingetreten war. »Still, Ihr Narren! Packt Euch! Euer Dienst ist zu Ende!«

Kaum hatte das Zwergenpaar den Befehl vernommen, als es unter kauderwelschem Geflüster die Lampen auslöschte und den Ritter wieder in Dunkelheit versetzte. Als ihre Tritte verhallt waren, trat eine dem Ritter sehr willkommne gänzliche Stille ein. Aber nach wenigen Minuten öffnete sich leise die Tür, durch die er hier Zugang gefunden hatte. Aus einer auf die Schwelle gesetzten Laterne fiel ein matter Schein auf eine dunkle, neben dem Eingang liegende Gestalt, in der er, als er sich näherte, den Eremiten erkannte. Er war ohne Zweifel in derselben demütigen Stellung, wie vorher die ganze Zeit draußen vor der Kapelle geblieben, die der Ritter in ihrem Innern zugebracht hatte.

»Alles ist nun vorbei!« sagte er, als er des Ritters Tritte vernahm, »und der elendeste unter den Sündern der Erde muß diesen Ort ebenso gut verlassen, wie derjenige, welcher sich vielleicht für den Glücklichsten unter den Sterblichen hält. Nimm das Licht und führe mich hinab; denn nicht eher darf ich die Binde von meinen Augen lösen, als bis ich fern von dieser geheiligten Stätte bin.«

Der schottische Ritter gehorchte schweigend; denn ein feierliches Gefühl, fast an Verzückung reichend, erstickte selbst die Regungen der Neugier. Er begleitete den Eremiten durch die mancherlei geheimen Gänge und Treppen, bis sie sich endlich wieder in der äußeren Zelle der Einsiedelei befanden.

»Der verdammte Verbrecher ist wieder in seinem Kerker, wo er das elende Leben so lange fristen muß, bis endlich sein furchtbarer Richter das verdiente Urteil an ihm vollstreckt.« Nach diesen Worten entfernte der Eremit den Schleier, der seine Augen verhüllt hatte, und betrachtete ihn, tief aufseufzend, legte ihn wieder an den Ort, woher ihn der Schotte geholt hatte, und sagte dann schnell und ernst zu seinem Gefährten: »Jetzt geht – geht, sage ich – zur Ruhe! Ihr dürft schlafen – Ihr könnt schlafen. Ich kann es nicht; ich darf es nicht.«

Der Ritter zog sich, der Ergriffenheit des Eremiten wohl achtend, nach der inneren Zelle zurück. Der Einsiedler riß mit wahnsinniger Hast das zottige Fell von den Schultern, und ehe Kenneth die dünne Tür zwischen beiden Gemächern verschließen konnte, hörte er die Geißelhiebe, die sich der Unglückliche gab. Kalter Schauer überfiel ihn, andächtig betete er seinen Rosenkranz ab, dann warf er sich auf sein rauhes Lager. Von den Erlebnissen des Tages und der Nacht ermüdet, schlief er bald fest und ruhig wie ein Kind.

Am andern Morgen beriet er sich mit dem Eremiten über allerhand wichtige Gegenstände, und kam zu dem Entschluß, noch zwei Tage länger in der Höhle zuzubringen.

Sechstes Kapitel

Die Szene wandelt sich: aus der Gebirgswüste des Jordan treten wir in das Lager des Königs von England, zwischen Saint, Jean d'Acre und Askalon. Richard Löwenherz erhoffte von dort aus mit seinem starken Heere einen siegreichen Zug nach Jerusalem, der ihm auch wahrscheinlich geglückt wäre, hätte sich nicht die Eifersucht der mit gleichem Vorhaben befaßten christlichen Fürsten ihm entgegengestellt, die sich mit dem maßlosen Stolze des englischen Königs umsoweniger abfinden mochten, als er ihnen an Mut und Kühnheit, wie auch an Feldherrntalent weit überlegen war. Durch solche Mißhelligkeiten, die besonders zwischen Richard von England und Philipp von Frankreich zu offenem Zwiste führten, verminderte sich die Zahl der Kreuzfahrer von Tag zu Tag, indem sich nicht bloß einzelne Ritter, sondern ganze Kommandos unter ihren Lehnsherren aus einem Kampfe zurückzogen, von dem kein glücklicher Erfolg mehr zu erhoffen war. Dazu kamen die bösen Wirkungen des Klimas, die zufolge der ausschweifenden Lebensweise der Kreuzfahrer viele Opfer hinwegrafften. Die Schwerter der Feinde taten zudem auch das ihrige, die Reihen der Kreuzfahrer zu lichten. Saladin, der größte Herrscher, den die morgenländische Geschichte kennt, hatte die schlimme Erfahrung gemacht, daß seine leichtbewaffneten Krieger im Nahkampf den gepanzerten Franken nicht gewachsen waren. Aber wenn auch seine Heere wiederholt geschlagen wurden in den größeren Treffen, so errang er doch mit seinen flüchtigen Scharen in den leichteren Scharmützeln manchen Vorteil. Als das Heer seiner Feinde sich verminderte, wurden seine Angriffe zahlreicher und kühner. Das Lager der Kreuzfahrer wurde von den leichten Reiterschwärmen umringt, und durch ihre ewigen Angriffe ging manches teure Leben zu Grunde, ohne daß Vorteile von Bedeutung errungen wurden. Bedeckungen wurden aufgefangen, Verbindungen abgeschnitten, der Lebensunterhalt mußte mit dem Leben selbst erkauft werden, und Wasser, wie das vom Brunnen zu Bethlehem, nach dem weiland König David schmachtete, wurde wie damals nur durch Blut gewonnen. Das Klima warf schließlich auch Richard Löwenherz aufs Krankenlager, und die schlimmste Folge hiervon war die allgemeine Untätigkeit, die im Lager der Kreuzfahrer eintrat, sobald seine Krankheit eine üble Wendung zu nehmen schien. Die Hoffnungen des Heeres waren im Verhältnis zu seiner Krankheit gesunken, und da die Zeit des Waffenstillstands nicht zur Ergänzung der Mannschaft, zur Wiederbelebung des Mutes, zu schleunigem Vorrücken in die heilige Stadt benützt wurde, sondern zur Sicherung ihres schwachen Lagers durch Laufgräben, Palisaden und andere Befestigungen, ging dem Kreuzzuge der stolze Charakter eines Eroberungs- und Offensivzuges mehr und mehr verloren. Richard tobte, als er hiervon auf seinem Krankenlager Kunde bekam, wie der gefangene Löwe, der durch das Eisengitter seines Käfigs seine Beute erblickt. Von Natur heftig und ungestüm, verzehrte die Reizbarkeit seines Charakters ihn selbst. Seine Diener fürchteten ihn, und selbst sein Arzt scheute sich, sein Ansehen geltend zu machen. Thomas von Multon, ein einziger von seinen treuen Baronen, dem König im Temperament ähnlich, wagte sich zwischen den Drachen und seinen Grimm, weil ihm das Leben und die Ehre des Königs mehr am Herzen lag als seine Gunst.

Sir Thomas war Herr von Gilsland in Cumberland; die Normannen nannten ihn aber zumeist Lord von Baux, während die an ihrer Muttersprache hängenden Sachsen, stolz auf diesen berühmten Krieger ihres Stammes, ihn nie anders als Thomas von Gils oder vom Engen Tale nannten, von dem seine weitläufigen Besitzungen ihren Namen führten.

Dieser Baron hatte sich in fast allen Kriegen zwischen England und Schottland, wie unter den verschiedenen Fehden der einheimischen Parteien, von denen das Vaterland zerrissen war, durch Geschick und Mut hervorgetan. Er war ein rauher Soldat, plump im Benehmen, verschlossen im Verkehr, unbekannt mit Weltklugheit und Lebensart. Manche behaupteten freilich auch von ihm, er sei zum mindesten ebenso schlau und ehrgeizig, wie plump und grob; aber es fiel niemandem ein, ihn in seinen Plänen zu stören oder mit ihm in gefahrvoller Pflege eines Patienten zu wetteifern, dessen Krankheit für ansteckend gehalten wurde, obendrein eines so hohen Kranken, wie Richard Löwenherz, der vor Ungeduld, in den Kampf zu ziehen und seine fürstliche Autorität zu betätigen, aus einem Wutanfall in den andern stürzte.

Es war am Abend eines heißen Tages, als Richard auf seinem ihm ebenso verhaßten wie schmerzvollen Krankenbette lag. Sein helles blaues Auge, das stets einen ungemein lebhaften Glanz hatte, flammte förmlich vor Fieberglut und blickte unter seinen langen blonden Locken so scharf wie die letzten Strahlen der Sonne durch das Gewölk eines im Nahen begriffenen, durch ihren Glanz noch vergoldeten Ungewitters. Seine männlichen Züge verrieten die Fortschritte der verzehrenden Krankheit, und der vernachlässigte, ungepflegte Bart bedeckte Lippen und Kinn. Während er sich von einer Seite zur andern warf, bald die Decke über sich zerrend, bald sie ungeduldig wegstrampelnd, stand Thomas von Vaux, an Gesicht, Anstand und Benehmen der schärfste Kontrast zu dem leidenden Monarchen, vor seinem Lager. Ein Mann von riesenhafter Größe, behaart wie Samson, mit derbem, kraftvollem, durch zahlreiche Narben entstelltem Gesicht, die Oberlippe nach Normannen-Sitte von einem dicken Knebelbarte bedeckt, der sich im Haupthaare verlor, so lang war er; von einem Körper, so muskulös und ausdauernd, daß er dem Klima und all den Strapazen Trotz bieten konnte, galt er im Heere der Kreuzfahrer als der rührigste, tüchtigste, wichtigste Kämpfer. Das Zelt, worin er sich mit dem Könige befand, zeigte, dem Charakter des letzteren entsprechend, keine Spur von Luxus. Allerhand Waffen lagen oder standen umher, Häute von Jagdtieren bedeckten den Boden oder hingen an den Wänden. Dazwischen kauerten drei gewaltige Windhunde mit schneeweißem Fell. An einem Tische in der Nähe des Bettes lehnte ein dreieckiger Schild von gewundenem Stahl, auf dem sich die drei wandelnden Löwen befanden, die der ritterliche Monarch in sein Wappen aufgenommen hatte, darüber der einer Herzogskrone ähnliche Goldreif, der mit der die Krone einfassenden gestickten Tiara aus purpurnem Sammet damals das Sinnbild von Englands königlicher Herrschaft bildete. Neben dem königlichen Symbol, gleichsam zu seiner Wehr, lag eine gewaltige Streitaxt, für jeden als König Richards Arm zu schwer.

In einem äußeren Abteil des Zeltes warteten einige Beamte des königlichen Haushaltes, in tiefer Unruhe über den Gesundheitszustand ihres Gebieters, nicht weniger auch über ihre eigene Sicherheit im Fall seines Todes.

»Du hast mir nichts Besseres zu berichten, Sir Thomas?« fragte der König nach langem, düsterem Schweigen in fieberhafter Aufregung. »Alle unsere Ritter sind zu Weibern geworden? und all unsere Weiber zu Betschwestern? nirgends mehr sprüht ein Funke von Mut und Tapferkeit in einem Lager, das den Kern der Ritterschaft Europas enthält! Ha!«

»Der Waffenstillstand,« erwiderte Thomas von Vaux wohl schon zum zwanzigsten Male mit Ruhe und Gelassenheit, »hindert uns an Taten; und was die Damen betrifft, nun, so bin ich kein Freund von Gelagen und vertausche Stahl und Leder selten gegen Gold und Samt. Doch, soviel ich weiß, warten unsere schönsten Schönen auf Ihre Majestät die Königin und die Prinzessin, um nach dem Kloster von Engaddi zu wallfahrten, wo sie Gelübde für die Genesung Eurer Hoheit erfüllen wollen.« – »Wir sind also dahin gekommen,« versetzte Richard mit fieberhafter Ungeduld, »daß königliche Frauen und Jungfrauen sich in einer Gegend in Gefahr begeben, wo die herumstreifenden Hunde dem Menschen so untreu sind, wie das Volk seinem Gott!« – »Mylord,« sagte, Thomas von Vaux, »Saladins Wort ist ihnen doch Bürgschaft genug.« – »Hm, hm!« entgegnete Richard, »ich habe dem heidnischen Sultan Unrecht zugefügt und bin ihm Genugtuung schuldig. Wollte Gott, ich könnte sie ihm in Person zwischen den beiden Heeren anbieten – vor den Augen des Christen- und des Heidentums!«

Richard streckte bei diesen Worten den rechten Arm, bis an die Schulter entblößt, aus dem Bette, richtete sich mühsam in die Höhe und schüttelte die geballte Faust, als ob er Schwert oder Streitaxt über dem mit Juwelen besetzten Turban des Sultans schwenkte. Nicht ohne Anwendung von Gewalt, die der König schwerlich von einem anderen geduldet hätte, nötigte Thomas von Vaux seinen fürstlichen Gebieter, sich ins Bett zurückzulegen, und deckte den nervigen Arm mit Hals und Schulter fürsorglich wie eine Mutter zu. »Du bist ein rauher Wärter, aber Du meinst es gut, Thomas!« rief der König, bitter lachend, während er sich dem stärkeren Manne fügte... »Mich dünkt, eine Haube müßte Deinem grämlichen Gesicht so gut stehen, wie dem meinigen ein Häubchen. Kind und Amme müßten wir sein, zum Schrecken für alle.« – »Es sind auch schon Männer durch uns erschreckt worden, mein König,« sagte Thomas von Vaux, »und ich erlebe es wohl auch wieder. Was hat ein Fieberanfall zu bedeuten?« – »Fieberanfall?« rief Richard ungestüm. »Bei mir magst Du recht haben; aber wie stehts bei den übrigen christlichen Fürsten, bei Philipp von Frankreich, bei jenem dummen Oesterreicher, bei dem von Montserrat, bei den Hospitalitern, bei den Tempelrittern, wie stehts bei diesen? Ich will Dir sagen, was es bei ihnen ist: Lähmung, Schlaf oder Starrsucht ists, eine Krankheit, die ihnen Sprache und Tätigkeit raubt, ein Krebs, der ihnen am Herzen frißt! Das hat sie ihrem Rittergelübde untreu gemacht, das hat sie gleichgültig gemacht gegen Ruhm, das hat sie von ihrem Gott abwendig gemacht!«

»Um Gottes Willen. Lehnsherr, nicht so heftig!« entgegnete Thomas von Vaux. »Man hört Euch ja draußen, und solche Aeußerungen sind schon zu verbreitet unter den gemeinen Soldaten und wecken Streit und Zwietracht unter dem christlichen Heere. Bedenkt, daß eben Eure Krankheit hauptsächlich ihre Tätigkeit lähmt!«

»Du schmeichelst Deinem König, Thomas,« erwiderte Richard, und, für Lob nicht unempfindlich, legte er, bedächtiger als vordem, den Kopf auf das Kissen zurück. Aber Thomas von Vaux war kein Höfling und wußte nicht, wie er das Thema weiter ausspinnen sollte, um den König in der ruhigeren Stimmung zu erhalten. Drum schwieg er, bis Richard, wieder in seine düsteren Betrachtungen fallend, scharf sagte: »Fürwahr, das sind angenehme Worte, einen Kranken zu besänftigen. Entschwindet denn einem Fürstenbunde und der ganzen Ritterschaft Europas Mut und Kraft, wenn ein einziger erkrankt – und wäre dieser einzige auch zufällig König von England? Warum sollte Richards Krankheit oder Tod den Zug von dreißigtausend Mann aufhalten, die ebenso tapfer sind wie er? Warum treten die Fürsten nicht zusammen und wählen einen Stellvertreter zur Heerführung?« – »Mit Verlaub, Eure Majestät,« entgegnete Thomas von Vaux, »wie ich höre, sind hierüber Beratschlagungen unter den königlichen Befehlshabern gepflogen worden.« – »Ha!« rief Richard, dessen Eifersucht wach wurde und seinen Gedanken eine andere Richtung gab, »bin ich schon vergessen bei meinen Bundesgenossen, ehe ich noch das letzte Sakrament empfangen habe? Halten Sie mich schon für tot? Doch nein, nein! Sie haben recht. Und wen erwählten Sie denn zum Anführer des christlichen Heeres?« – »Wahrscheinlich den, König von Frankreich,« versetzte Thomas. – »Ei, versteht sich!« entgegnete der englische Monarch, »Philipp von Frankreich und Navarra, Seine allerchristlichste Majestät! wenn er bloß nicht » en avant« mit » en arrière« verwechselt und uns statt nach Jerusalem nach Paris zurückführt.« – »Man könnte vielleicht auch den Erzherzog von Oesterreich wählen,« meinte Thomas von Vaux. – »Er ist allerdings so dick und stark wie Du, Thomas, wohl auch so dickköpfig, doch nicht so gleichgültig gegen Gefahr und Beleidigung. Ich sage Dir, der Oesterreicher hat bei aller seiner Fleischmasse nicht mehr Mut als ein Zaunkönig. Fort mit ihm! Er ein Anführer der Ritterschaft zu ruhmvollen Taten? Eine Flasche Rheinwein laßt ihn saufen mit seinen schmutzigen Bärenhäutern und Landsknechten!« – »Wie denkt Ew. Majestät vom Großmeister der Tempelritter als Heerführer?«

»Ei, Beau-Séant?« erwiderte der König. »Nun, gegen den läßt sich nichts sagen! Er versteht sich auf die Anordnung der Schlacht und kämpft, wenn sie beginnt, in den vordersten Reihen. Aber wäre es recht, dem heidnischen Saladin, der so ausgezeichnet an Tugenden ist, wie es nur ein Heide sein kann, das heilige Land zu entreißen, um es dem Giles Amaury zu geben, dem ärgsten aller christlichen Heiden, einem Götzendiener, Teufelsanbeter, Geisterbeschwörer?« – »Des Hospitaliter-Großmeisters Ruf ist frei von Tadel,« sagte Thomas von Vaux.

»Ist er aber nicht ein schmutziger Geizhals?« rief Richard heftig. »Hat man ihn nicht in Verdacht, daß er den Ungläubigen Vorteile verschachert, die sie durch eigene Kraft nie errungen hätten? Still, Freund! Besser, das Heer venetianischen Schiffern und lombardischen Krämern zu überantworten als solchem Großmeister!« – »Wohlan, noch einen anderen Vorschlag,« entgegnete Thomas von Vaux. »Was sagt Ew. Majestät zu dem tapfern Marquis von Montserrat? dem weisen, stolzen, wackeren Kriegsmann?«

»Weise? listig? meinst Du,« erwiderte Richard; »stolz? im Boudoir der Damen, ja! Konrad von Montserrat! wer kennt nicht diesen Papagei? er ändert ja seine Vorsätze, wie die Fransen an seinem Wams! Der ein Krieger? Eine schöne Figur, wenn er zu Pferde sitzt, ja! Auf dem Turnierplatz und vor den Schranken, auf stumpfe Schwerter und Pappschilder, steht er seinen Mann! aber um Jerusalem zu erobern?...« – »Nun, ich sehe schon, wie die Sachen stehen. Wir werden eben erst hoffen dürfen, am heiligen Grabe zu beten, wenn der Himmel König Richard wieder genesen läßt.«

Richard brach in Lachen aus, zum erstenmal seit langer Zeit. »Es ist doch wunderlich bestellt mit dem Gewissen,« sagte er, »wenn selbst ein so schwerfälliger Patron, wie Du, seinem Fürsten das Geständnis seiner Torheit ablocken kann! Wahrlich, läge es nicht in ihrer Absicht, meinen Feldherrnstab zu führen, so früge ich nicht viel danach, den Puppen, die Du mir der Reihe nach zeigtest, ihre seidenen Zierate abzureißen. Was kümmert mich der Flitterstaat, worin sie einherstolzieren, falls sie nicht als Nebenbuhler in dem ruhmvollen Unternehmen auftreten, dem ich mich gewidmet habe! Ja, Thomas, ich gestehe meine Schwäche und meinen eigensinnigen Ehrgeiz. Ohne Zweifel enthält das christliche Lager manchen besseren Ritter als Richard von England; und klug und geziemend wäre es, dem besten unter ihnen die Führung des Heeres zu vertrauen; aber,« fuhr er fort, sich im Bette aufrichtend, und die Decke hastig von sich werfend, während sein Auge, wie am Vorabend einer Schlacht, funkelte, »wenn solch ein Ritter das Kreuz-Panier auf den Zinnen von Jerusalem aufpflanzen sollte, und ich könnte zu dem edlen Werke das meinige nicht beitragen, so forderte ich ihn, sobald ich wieder die Lanze führen könnte, auf Leben und Tod! Doch, horch! was ertönen dort in der Ferne für Trompeten?« – »Vermutlich König Philipps Trompeten,« entgegnete der tapfere Engländer. – »Du hörst schwer, Thomas,« rief der König, indem er versuchte, sich aufzurichten. »Hörst Du nicht das Klirren und Klingeln? Bei Gott, die Türken sind im Lager. Ich höre ihr Kriegsgeschrei!« Er versuchte von neuem, sich aufzurichten, und Thomas von Vaux mußte alle Kraft aufbieten, um ihn zurückzuhalten. – »Du bist ein treuloser Verräter, Thomas von Vaux,« rief der Monarch entrüstet, als er erschöpft auf sein Lager sank. »O, wenn ich doch nur Kräfte genug hätte, Dir mit meiner Streitaxt das Gehirn zu zerschmettern!« – »Ich wünschte, Ihr besäßet sie, edler Lehnherr,« entgegnete Thomas von Vaux, »denn für die Christenheit war es ein großer Vorteil, wenn Thomas Multon tot und Richard Löwenherz gesund wäre.« – »Mein wackerer Diener,« versetzte Richard, die Hand ausstreckend, die der Baron ehrerbietig küßte. »Vergib Deinem Herrn die Ungeduld und Heftigkeit! Es ist das brennende Fieber, das Dich schilt, und nicht Dein Dir wohlgesinnter Herr, Richard von England. Aber geh, bitte! und bringe mir Nachricht, was für Fremde im Lager sind; denn dieses Getöse rührt nicht von Christen her.«

Thomas von Vaux verließ das Zelt, befahl aber den Pagen und Dienern des Kämmerers, während seiner Abwesenheit ein doppelt wachsames Auge auf ihren Gebieter zu haben.

Siebentes Kapitel

Schottische Krieger hatten sich in beträchtlicher Zahl dem Heere der Kreuzfahrer angeschlossen, natürlich unter dem Befehl des englischen Monarchen, da sie, wie seine einheimischen Truppen vom sächsischen und normannischen Stamme, die gleiche Sprache redeten, einige unter ihnen sowohl in Schottland als England Güter besaßen, ja mitunter durch Bande des Mutes mit Engländern verwandt waren. Es war eben noch die Zeit vor Eduard dem Ersten, dessen unersättlicher Ehrgeiz den Haß zwischen diesen beiden Völkern ein und derselben Insel säen sollte. Zudem war König Richard jederzeit redlich bemüht, zwischen den ihm unterstellten Truppen eine versöhnliche Stimmung zu erhalten. Aber während seiner Krankheit und infolge der ungünstigen Lage, in welcher sich die Kreuzfahrer befanden, wuchs Zwietracht unter den verschiedenen Völkern empor, die sich zu dem Kreuzzuge zusammengeschart hatten. Schotten und Engländer, gleich eifersüchtig und gleich stolz, wie gleich empfindlich gegen Beleidigungen, nützten den Waffenstillstand, der ihnen Rache an den Sarazenen zu nehmen wehrte, zu Fehden und Streitigkeiten unter sich. Und wie unter ihnen, verhielt es sich zwischen Franzosen und Engländern, Italienern und Deutschen, selbst zwischen Dänen und Schweden. Unter den englischen Rittern, die ihrem Könige nach Palästina gefolgt waren, wollte Thomas von Vaux am wenigsten von den Schotten, wissen. Als ihr Nachbar war er von jeher mit ihnen in Fehden verwickelt gewesen, hatte manches Unheil über sie gebracht, auch nicht wenig von ihnen erlitten. Soviel es anging, mied er allen Umgang mit seinen schottischen Waffenbrüdern, verhielt sich ihnen gegenüber mürrisch und maß sie, wenn er sie auf dem Marsche oder im Lager traf, in der Regel mit verächtlichen Blicken. Die schottischen Barone und Ritter mochten sich das nicht gefallen lassen, und es kam so weit, daß er als der erklärte Feind ihres Volkes galt.

Thomas von Vaux stand nur wenige Schritte vom Eingang zum königlichen Zelte, als er die Musik vernahm, die von den Pfeifen, Schallmeien und Trommeln der Sarazenen herrührte, und die das schärfere Öhr des englischen Königs schon minutenlang früher vernommen hatte. Bald nachher sah er im Hintergrunde einer Reine von Zelten, die einen breiten Weg zu Richards Pavillon bildeten einen Haufen müßiger Landsknechte um den fast im Mittelpunkte, des Lagers befindlichen Platz versammelt, woher die Töne drangen. Erstaunt sah er unter den Helmen von mancherlei Form, welche die Kreuzfahrer der verschiedenen Völker trugen, weiße Turbane und lange Spieße: sichre Anzeichen für die Anwesenheit bewaffneter Sarazenen, sowie mit ihren langen Hälsen über die Menge hinwegragend, große, ungestalte Köpfe von Kamelen und Dromedaren. Betroffen von einem so unerwarteten und seltsamen Anblick – denn es war Brauch, während der Dauer des Waffenstillstandes alle Waffen und Merkzeichen an einem bestimmten Orte, fern vom Feinde, außerhalb der Schranken zu lassen – sah sich der Baron ängstlich nach Aufklärung um. Der Ritter, der zuerst auf ihn zukam, war an seinem gravitätischen, stolzen Gange als Spanier oder Schotte auf den ersten Blick kenntlich... »Es ist doch ein Schotte,« murmelte Thomas von Vaux, als der Rittet näher herankam, »und zwar der Ritter vom Leoparden. Für einen Schotten sah ich ihn die Lanze gar nicht übel führen.« Aber er fühlte sich nicht gestimmt, das Wort an den schottischen Ritter zu richten und war schon im Begriff, ihn mürrisch vorübergehen zu lassen, als der Schotte auf ihn zuritt und ihn anredete: »Mein Herr Baron von Gilsland,« sagte er, »ich soll mit Euch sprechen.« – »Mit mir?« entgegnete der englische Baron. »Nun, so sagt, was Euch beliebt, so kurz wie möglich, ich bin hier im Auftrag des Königs.« – »Meine Botschaft geht König Richard noch näher an,« versetzte Ritter Kenneth... »ich bringe ihm hoffentlich Gesundheit.«

Lord Gilsland maß den Schotten mit ungläubigem Blicke und antwortete: »Ihr seid doch kaum Arzt, Herr Schotte – eher hätte ich geglaubt, Ihr brächtet dem König von England Schätze?«

Ritter Kenneth, so wenig ihm auch die Antwort des Barons gefiel, entgegnete ruhig und fest: »Richards Gesundheit ist Ruhm und Reichtum für die Christenheit... Doch die Zeit drängt; ich bitte Euch, kann ich den König sprechen?« – »Durchaus nicht eher, werter Herr,« sagte der Baron, »als bis Ihr Eure Botschaft deutlicher erklärt habt. Die Krankenzimmer der Fürsten öffnen sich nicht für jeden, wie eine nordische Schenke.« – »Mylord,« entgegnete Kenneth, »das Kreuz, das ich mit Euch gemeinsam trage, und die Wichtigkeit meiner Botschaft sind Ursache, weshalb ich mich über ein Benehmen hinwegsetze, das ich mir sonst nicht bieten ließe. Mit einem Worte: ich bringe einen maurischen Arzt mit, der König Richard in die Kur nehmen will.« – »Einen maurischen Arzt!« rief Thomas von Vaux. »Wer ist dafür Bürge, daß er nicht statt der Arzenei Gifte reicht?« – »Sein Kopf, Mylord, den er zum Unterpfande bietet!« – »Ich habe manchen verwegenen Räuber gekannt,« sagte Thomas von Vaux, »der sein eigenes Leben gering schätzte und fröhlich nach dem Galgen hüpfte, als wollte er mit dem Henker ein Tänzchen machen.« – »Aber die Sache verhält sich folgendermaßen: Saladin, dem niemand den Ruhm eines großmütigen, tapferen Feindes streitig machen wird, hat den Arzt mit ehrenvollem Geleit hierher gesandt, wie dies der hohen Achtung geziemt, in der El Hakim bei dem Sultan, steht. Er wünscht Richard von seinem Fieber hergestellt zu sehen, um ihm mit dem Säbel in der Faust und hundert Reitern im Gefolge seinen Besuch zu machen. Beliebts Euch als geheimem Rat des Königs, diese Kamele abladen zu lassen?«

»Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux für sich. »Aber, wer bürgt uns für Saladins Ehre, wenn Treulosigkeit ihn auf einmal von seinem mächtigsten Gegner befreien könnte?« – »Ich selbst will dafür bürgen mit meiner Ehre, meinem Leben und Hab und Gut.« – »Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux abermals zu sich selbst. »Der Norden verbürgt sich für den Süden, der Schotte für den Türken! – Darf ich fragen, Herr Ritter, auf welche Weise Ihr in diese Angelegenheit verwickelt wurdet?« – »Ich war auf einer Pilgerfahrt,« erwiderte Ritter Kenneth, »mit Botschaft an den heiligen Eremiten von Engaddi.« – »Darf ich den Inhalt der Botschaft und die Antwort des frommen Mannes erfahren, Herr Ritter?« – »Leider nicht,« erwiderte der Schotte. – »Ich gehöre zum geheimen Rate Englands,« sagte der Engländer stolz.

»Gegen England habe ich keine Untertanenpflicht,« versetzte Kenneth. »Zwar bin ich dem Rufe des englischen Monarchen freiwillig in diesen Krieg gefolgt, doch ward ich abgesandt von der Ratsversammlung der Könige, Fürsten und Oberfeldherren der Armee des heiligen Kreuzes, und an sie allein habe ich meine Botschaft auszurichten.« – »Was Du sagst!« erwiderte der stolze Baron. »So wisse denn: magst Du immerhin Botschafter von Königen und Fürsten sein, so soll doch kein Arzt sich dem Krankenbette Richards von England nahen, ohne Einwilligung des Lords von Gilsland; und der wird übel ankommen mit seiner Botschaft, der es wagt, sich ohne dieselbe einzudrängen.«

Er war im Begriff, sich stolz hinwegzuwenden, als der Schotte, sich nähernd, ihm gegenüber trat und in ruhigem Tone, doch nicht ohne einen gewissen Ausdruck von Stolz, die Frage an ihn stellte, ob der Herr von Gilsland ihn für einen Edelmann und wackeren Ritter halte. – »Alle Schotten sind durch das Recht ihrer Geburt geadelt,« antwortete Thomas von Vaux etwas ironisch; doch seine eigene Unbilligkeit fühlend und Kenneths Erröten bemerkend, fügte er hinzu: »Daran zu zweifeln, daß Ihr ein wackerer Ritter seid, wäre Sünde, wenigstens für den, der Euch so brav und redlich Eure Pflicht erfüllen sah. Doch sagt mir, Herr Ritter vom Leoparden, tue ich recht, in einem Lande, wo Gift solche Rolle spielt, einen unbekannten Arzt zu einem Monarchen zu lassen, dessen Gesundheit der Christenheit so unschätzbar ist?« – »Mylord,« entgegnete der Schotte, »ich kann darauf nur antworten: Mein Knappe, der einzige, den Krieg und Krankheit mir von meinem Gefolge übrig gelassen haben, hat vor kurzem gefährlich an demselben Fieber gelitten, das König Richard befallen hat. Dieser Arzt, dieser El Hakim, hatte ihn noch keine zwei Stunden behandelt, als er schon in einen erquickenden Schlaf fiel. Daß er die Krankheit; die sich so verderblich gezeigt, heilen kann, weiß ich; daß er den Vorsatz hat, es zu tun, dafür bürgt uns, dünkt mich, seine Sendung von dem königlichen Sultan.«

»Kann ich Euren kranken Schildknappen sehen, edler Ritter?« fragte der Engländer nach einer Weile.

Der schottische Ritter verfärbte sich; endlich antwortete er: »Gern, Mylord; doch muß ich Euch bitten, bei dem Anblick meines armseligen Quartiers nicht zu vergessen, daß die Ritter und Edlen Schottlands nicht so köstlich speisen, nicht so weich schlafen, und nicht so glänzend wohnen, wie ihre südlichen Nachbarn.«

Sie hatten bald den Platz erreicht, wo die aus Aesten gezimmerte, mit Palmblättern gedeckte Hütte des Ritters vom Leoparden stand, vor den andern kenntlich durch die wie ein Schwalbenschwanz geformte Fahne, die, an einer Speerspitze befestigt, schlaff herabhing, beinahe verbrannt von den Strahlen der asiatischen Sonne.

Ritter Kenneth sah sich schwermütig um, aber er bezwang sich und trat ein, dem Lord winkend, ihm zu folgen.

Das Innere der niedrigen Hütte wurde durch zwei Betten fast ausgefüllt. Das eine leere bestand aus einem Holzgestell, das mit gesammeltem Laube gefüllt und mit einem Antilopenfelle bedeckt war. In dem andern lag ein starker Mann von rauhen Gesichtszügen, dem äußeren Anschein nach über das mittlere Alter hinaus. Sein Lager war weicher als das seines Herrn eingerichtet, und dessen feine Gewänder, der lange Wappenrock, den die Ritter in Friedenszeit trugen, sowie die anderen zur Rittertracht gehörigen Kleidungsstücke dienten jetzt dazu, das Lager des kranken Knappen bequemer zu machen.

Neben dem Bett saß auf einem von Tierhäuten verfertigten Kissen der maurische Arzt nach orientalischer Sitte mit übereinandergeschlagenen Füßen. Außer seinem schwarzen Bart, der bis über die Brust reichte, seiner hohen Tatarentmütze aus schwarzer Astrachanwolle und seinem ebenfalls dunklen weiten Kaftan war bei dem unvollkommenen Lichte nichts von ihm zu sehen, außer den durchdringenden Augen von fast magischem Glanze.

Der Lord stand schweigend da; und eine, Zeitlang hörte man nichts, als das schwere und regelmäßige Atmen des Kranken, der von tiefem Schlummer umfangen schien.

»Er hat sechs Nächte nicht geschlafen,« sagte Kenneth. – »Edler Schotte,« versetzte Thomas von Vaux, die Hand des Ritters herzlicher drückend, als er durch Worte verraten wollte, »Euer Knappe wird zu, schlecht gepflegt.«

Bei den letzten Worten verstärkte er die Stimme, so daß der Kranke sich unruhig hin und her warf... Da erhob sich der Arzt, hob die Hand des Kranken auf, um seinen Puls zu befühlen, und trat dann zu den beiden Rittern... »Ich beschwöre Euch,« sagte er, »stört nicht die Wirkung der gesegneten Arzenei, die er genossen hat. Ihn jetzt zu wecken, hätte Tod oder geistige Umnachtung zur Folge. Kehrt aber zu der Stunde zurück, wo der Muezzin vom Minaret zum Abendgebet in die Moschee ruft; und bleibt der fränkische Krieger bis dahin ungestört, so verspreche ich Euch, daß er, ohne seiner Gesundheit zu schaden, ein kurzes Gespräch mit Euch führen und Euch antworten soll auf alles, worüber Ihr ihn fragt.«

Darauf zogen die beiden Ritter sich zurück. Am Eingang zur Hütte blieben sie stehen, und Lord Gilsland verabschiedete sich mit dem Versprechen, zur Vesperzeit zurückzukehren, um dann mit dem maurischen Arzte zu sprechen, zuvor sich aber Instruktionen vom König Richard einzuholen.

Achtes Kapitel

»Eine seltsame Geschichte, Ritter Thomas,« sagte der kranke Monarch, als er den treuen Lord von Gilsland angehört hatte. »Glaubt Ihr, daß dieser Schotte ein aufrichtiger Mann ist?« – »Darüber kann ich nichts sagen,« entgegnete der eifersüchtige Grenzer; »ich habe die Schotten als Nachbarn bald redlich, bald falsch gefunden. Allein dieser Schotte benimmt sich wie ein ehrlicher Mann, das kann ich mit gutem Gewissen sagen.« – »Und sein Verhalten als Ritter, was sagt Ihr dazu?« fragte der König. – »Man hat zu seinen Gunsten gesprochen,« erwiderte Lord Gilsland ausweichend. – »Und mit Recht, Thomas,« sagte der König. »Wir sind wiederholt Zeuge seines ritterlichen Verhaltens gewesen und er hätte sich unserer Huld schon längst zu versehen gehabt, wenn wir nicht auch seinen Dünkel und seine Anmaßung bemerkt hätten. Aber Du sagtest doch, der Schotte habe jenen gelehrten Heiden in der Wüste getroffen?« – »Nicht doch, mein Lehnsherr. Wie der Schotte sagt, ist er zu dem alten Einsiedler von Engaddi, von dem die Leute soviel sprechen, gesandt worden.« – »Tod und Hölle!« unterbrach ihn Richard. »Von wem und weshalb? Wer hat es gewagt, jemand dorthin zu schicken, da unsere Gemahlin sich in dem Kloster von Engaddi befand, auf ihrer Wallfahrt für unsere Genesung?« – »Er ist von der Ratsversammlung des Kreuzzuges abgesandt worden,« antwortete Thomas von Vaux; »hat sich aber geweigert, mir mitzuteilen, zu welchem Zwecke. Ich glaube, es ist kaum bekannt im Lager, daß Eure königliche Gemahlin auf einer Wallfahrt begriffen ist. Ich zum wenigsten wußte es nicht, und selbst die Prinzen mögen es auch nicht wissen, denn die Königin wurde auf Euren Befehl aller Gesellschaft fern gehalten, um sie gegen Ansteckung zu schützen.« – »Wohlan, die Sache soll untersucht werden. In der Grotte von Engaddi also hat dieser schottische Gesandte einen fahrenden Arzt getroffen? War es nicht so?«

– Nein, mein Lehnsherr. Aber er traf, dünkt mich, in der Nähe des Ortes einen Sarazenen-Emir, mit dem er, nach Rittersitte, einen Zweikampf ausfocht; und als er ihn des Umgangs tapferer Männer würdig fand, zogen sie miteinander, wie es fahrende Ritter zu tun pflegen, nach der Grotte von Engaddi.«

Hier hielt Thomas von Vaux inne; denn er gehörte nicht zu denen, die eine lange Geschichte in einem Atem erzählen können. – »Trafen sie dort den Arzt?« fragte Richard ungeduldig. – »Nein, mein Lehnsherr,« erwiderte Thomas von Vaux. »Als der Sarazene die schwere Krankheit Ew. Majestät erfuhr, versprach er, daß Saladin seinen Leibarzt zu Euch senden werde, dessen große Geschicklichkeit er rühmte. Daraufhin kam der Arzt zur Grotte, wo der schottische Ritter über einen Tag auf ihn gewartet hatte. Er hat ein fürstliches Gefolge von Dienern zu Pferde und zu Fuß, mit Trommeln und Atabalen, und bringt Saladins Beglaubigungsschreiben mit.« – »Ist es von Giacomo Loredani untersucht worden?« fragte der König. – »Ich zeigte es dem Dolmetscher, ehe ich herkam, ich bringe Euch die Uebertragung in englischer Sprache.«

Richard nahm das Pergament und las: »Der Segen Allahs und seines Propheten Mohammed...« – »Hinaus mit dem Hunde!« rief Richard, verächtlich ausspuckend – »Saladin, König der Könige, Sultan von Aegypten und Syrien, das Licht und die Zuflucht der Erde, entbeut dem großen Richard von England seinen Gruß. – Da uns berichtet worden, daß die Hand der Krankheit schwer auf Dir, unserem königlichen Bruder, ruht, und daß Du nur Nazarener und jüdische Aerzte bei Dir hast, die ohne den Segen Allahs und unseres heiligen Propheten wirken« – »Verderben über sein Haupt!« murmelte abermals der englische Monarch – »so haben wir zu Deiner einstweiligen Wartung und Pflege unseren eignen Leibarzt El Hakim zu Dir gesandt, vor dessen Antlitz der Engel Asrael seine Flügel ausbreitet und aus dem Krankenzimmer weicht. Indem wir dies tun, bitten wir Dich herzlich, seine Geschicklichkeit zu ehren und davon Gebrauch zu machen, und zwar nicht nur, damit wir Deinem Werte uns dienstlich erweisen und Deiner Tapferkeit, die allen Nationen Frangistans zum Ruhme gereicht, sondern damit der Streit, der jetzt zwischen uns obwaltet, beendigt werde, sei es durch schickliches Uebereinkommen oder durch Kampf im offenen Felde; denn wir fühlen, daß es weder Deinem Range und Deinem Mute geziemt, den Tod eines Sklaven zu sterben, noch daß es unserem Ruhme förderlich ist, daß ein tapferer Gegner durch eine solche Krankheit unseren Waffen entzogen werde. Und möge daher der heilige – «

»Genug! genug!« rief Richard. »Ich will nichts mehr hören von diesem Hunde von Propheten! Es kränkt mich, wenn ich denke, daß der tapfere, ehrenwerte Sultan an einen toten Hund glaubt! – Aber ich will seinen Arzt sehen. Ich will mich diesem Hakim anvertrauen. Ich will dem edlen Sultan seine Großmut vergelten und ihm entgegengehen im Felde, wie er so rechtlich vorschlägt, und er soll keine Ursache haben, Richard von England undankbar zu nennen. – Eile, Thomas von Vaux! Warum zögerst Du bei einem so willkommenen Beschlusse? Hole den Hakim her!« – »Bedenkt,« sagte der Lord, in diesem Uebermaße von Zuversicht eine Wirkung des Fiebers befürchtend; »bedenkt, daß der Sultan ein Heide ist und daß Ihr sein furchtbarster Feind seid;« – »Umsomehr ist er genötigt, mir solchen Dienst zu leisten, damit nicht ein armseliges Fieber den Streit zwischen zwei Fürsten beendige. Ich sage Dir, er liebt mich, wie ich ihn liebe, wie edle Feinde stets einander lieben. Bei meiner Ehre! – Es wäre Sünde, Zweifel in seine Aufrichtigkeit zu setzen.« – »Nichtsdestoweniger wäre es gut, erst die Wirkung dieser Arzeneien auf den schottischen Knappen abzuwarten,« entgegnete Thomas von Vaux. »Mein eigenes Leben hängt daran; denn ich wäre wert, wie ein Hund zu sterben, verführe ich zu rasch in dieser Sache.«

»So gehe denn, Du argwöhnischer Mensch, und beobachte die Wirkung dieser Arznei. Fast möchte ich wünschen, sie brächte mir, wenn nicht Gesundheit, den Tod. Denn ich habe es satt, wie ein an Klauenseuche verreckender Stier hier zu liegen, indes draußen Trommeln wirbeln, Rosse stampfen und Trompeten erklingen.«

Der Lord eilte fort, aber mit dem Vorbehalt, seinen Auftrag zuvor einem Geistlichen mitzuteilen, weil sein Gewissen ihm Vorwürfe machte, daß sein Gebieter sich von einem Ungläubigen behandeln lassen wollte.

Der Erzbischof von Tyrus war der erste, an den er sich wandte, weil er wußte, daß dieser einsichtsvolle Prälat viel bei Richard galt. »Aerzte,« sagte der Bischof zu Thomas von Vaux, »stiften, gleich den Arzneien, die sie verordnen, oft heilsamen Nutzen, und die Menschen mögen in ihrer Not auch zu dem Beistande von Heiden und Ungläubigen ihre Zuflucht nehmen. Aber ich kann meinen Verdacht gegen den listigen Sarazenen nicht unterdrücken, denn sein Volk ist geschickt in der Kunst, Gifte zu mischen; sie können Tuch und Leder, ja selbst Papier und Pergament mit dem feinsten Gifte sättigen – Heilige Maria, vergib mir! warum hielt ich, da ich dies Volk so gut kenne, dies Kreditiv so nahe an mein Gesicht? Thomas, nehmt es geschwind!«

Hier reichte er es mit weit ausgestreckten Armen hastig dem Baron. »Kommt,« sagte er, »wenden wir uns nach dem Zelte des kranken Knappen, um zu sehen, ob der Hakim wirklich die Kenntnisse in der Heilkunde besitzt, deren er sich rühmt, und laßt uns dann erwägen, ob er sie an König Richard von England ausüben soll.«

Als sie vor der armseligen Hütte stillstanden, in welcher Kenneth mit seinem Knappen hauste, sagte der Bischof: »Das muß man diesen schottischen Rittern lassen: sie sorgen schlechter für ihre Knappen, als wir für unsere Hunde.« – »Ein Herr handelt gegen seinen Diener gut genug, wenn er ihn nicht schlechter als sich selbst beherbergt,« versetzte Thomas und ging in die Hütte.

Mit sichtbarem Widerwillen folgte ihm der Bischof. Der maurische Arzt saß noch mit verschränkten Füßen auf jener Matte von geflochtenen Blättern, auf der ihn Ritter Thomas schon beim ersten Besuch gesehen hatte, neben dem im tiefen Schlummer liegenden Kranken, dem er auch jetzt noch dann und wann an den Puls griff.

»Bist Du ein Arzt, Ungläubiger?« fragte der Bischof, nachdem er eine Weile stumm dagestanden, in empfindlichem Tone. »Ich wollte mit Dir über Deine Kunst sprechen.« – »Verständest Du etwas von Medizin,« entgegnete El Hakim, »so wüßtest Du, daß Aerzte keine Beratung in der Krankenstube führen. Komm aus dem Zelte,« sagte er, indem er aufstand und den Weg zeigte, »wenn Du etwas mit mir zu sprechen hast.«

Ungeachtet seiner einfachen Kleidung und geringen Größe im Vergleich zu der hohen Gestalt des Prälaten und der Riesenfigur des Barons lag doch im Antlitz und Benehmen des maurischen Arztes ein Ausdruck von Höhe, der den Bischof abhielt, seinem Unmut über die unhöfliche Abfertigung, die er von ihm erlitten hatte, Luft zu machen. Als sie sich außerhalb der Hütte befanden, betrachtete er den Arzt ein paar Minuten lang und brach endlich, durch sein jugendliches Aussehen befremdet, das Schweigen durch die Frage nach seinem Alter. – »Die Jahre gewöhnlicher Menschen,« sagte der Sarazene, »werden nach ihren Runzeln gezahlt, die der Weisen nach ihren Studien. Aelter als hundert Perioden der Hedschra wage ich mich nicht zu schätzen.« Er wollte damit sagen, seine Kenntnisse seien so reich, daß man hundert Jahre zu ihrer Erlernung bedürfe. Der Baron aber nahm die Rede buchstäblich, daß der Arzt sich ein Alter von hundert Jahren beimesse, und sah den Bischof mit bedenklicher Miene an. Dieser verstand zwar El Hakims Meinung besser, antwortete indes nur durch ein geheimnisvolles Kopfschütteln. Thomas von Vaux fragte nun, sich ein wichtiges Ansehen gebend, den Arzt, welches Zeugnis er für sein ärztliches Wissen aufzuweisen habe... »Ihr habt das Wort des mächtigen Saladin,« erwiderte der Weise, zum Zeichen der Ehrfurcht seine Mütze berührend – »ein Wort, das gegen Feind oder Freund noch nie gebrochen ward... Was verlangst Du mehr, Nazarener?« – »Einen greifbaren Beweis Deiner Kunst,« versetzte der Lord. »Ohne einen solchen darfst Du Dich dem Krankenlager König Richards nicht nahen.«

»Der Ruhm des Arztes,« sagte der Araber, »ist die Wiedergenesung seines Kranken. »Sieh diesen Waffenträger! Sein Blut war verdorrt durch das Fieber, das Euer Lager mit Gerippen bedeckt hat und das keiner von Euren Aerzten zu heilen vermochte. Blick her auf diese Finger und Arme, die so hager sind, wie die Klauen des Kranichs. Schon heute morgen streckte der Tod seine Fänge nach ihm aus, doch war Asrael auf der einen, ich auf der anderen Seite des Lagers, und so konnte seine Seele nicht vom Körper abgeschieden werden. Störe mich nicht durch fernere Fragen, sondern warte den kritischen Zeitpunkt ab, und beobachte den Erfolg.«

Der Arzt wandte sich jetzt zu seinem Astrolabium, dem Orakel morgenländischer Wissenschaft, bis die Zeit des Abendgebetes gekommen war. Da sank er auf die Knie, wandte das Gesicht gen Mekka und sagte die Gebete her, die den Arbeitstag der Moslemim beschließen. Der Bischof und der englische Lord blickten sich indes gegenseitig mit Zeichen der Verachtung und des Unmutes an. Doch hielten sie es nicht für schicklich, El Hakims Andacht zu unterbrechen, so unheilig sie ihnen auch scheinen mochte. Dieser erhob sich, als er zu Ende war, vom Boden und ging in die Hütte des Kranken, nahm aus einer silbernen Kapsel einen Schwamm, tauchte ihn in Spiritus und hielt ihn dem Schlafenden an die Nase. Darauf nieste derselbe mehrmals hintereinander, dann erwachte er und blickte erstaunt umher. Es war ein grausiger Anblick, dieses ausgedörrte Knochengerippe mit dem langen, runzligen Gesicht, in welchem die Augen wild umherrollten.

»Kennt Ihr uns?« fragte der Baron. – »Nicht genau, Mylord,« entgegnete der Schildknappe matt und leise. »Ich habe lange geschlafen und schwer geträumt. Aber ich weiß, daß Ihr ein großer englischer Lord seid, wie das rote Kreuz zeigt, und dieser Herr da ein heiliger Prälat, um dessen Segen ich, armer Sünder, bitte.« – »Du hast ihn – Benedictio Domini sit vobiscum!« [Der Segen des Herrn sei mit Euch!] entgegnete der Bischof, das Zeichen des Kreuzes machend, ohne sich jedoch dem Bett zu nähern.

»Ihr seid Zeugen,« sagte der Araber, »das Fieber ist bezwungen – er spricht klar und mit Bewußtsein, sein Puls geht so ruhig wie der Eurige. Untersucht ihn selbst!« Der Prälat lehnte es ab; aber Thomas von Vaux war resoluter und überzeugte sich durch einen Griff an den Puls des Patienten, daß das Fieber vorüber war. – »Höchst wunderbar,« sagte der Ritter, zum Bischof hinübersehend. »Der Kranke ist so gut wie hergestellt! Ich muß den Arzt sogleich zum König Richard bringen. Was meint Ew. Hochwürden dazu? – »Laßt mich erst die eine Kur vollenden, ehe ich die andere anfange,« sagte der Araber. »Ich will mit Euch gehen, sobald ich meinem Patienten den zweiten Becher dieses köstlichen Elixiers gereicht habe.« Mit diesen Worten zog er ein silbernes Geschirr hervor, füllte es aus einer am Bett stehenden Kürbisflasche mit Wasser, nahm einen kleinen netzförmig gestrickten, mit Silber umsponnenen seidenen Beutel, dessen Inhalt weder der Prälat noch der Ritter erkennen konnte, tauchte ihn in den Becher und verweilte nun fünf Minuten lang still und ruhig. Es kam dem Ritter wie dem Prälaten so vor, als wenn sich in dem Getränk eine Art Gärung vollzöge; aber sie war schnell vorbei.

»Trink,« sprach der Arzt zu dem Kranken, »schlafe und erwache gesund.« – »Und mit diesem einfachen Trunk willst Du einen Monarchen kurieren?« fragte der Bischof von Tyrus. – »Ich habe einen Bettler kuriert, wie Ihr seht,« erwiderte der Weise. »Sind die Könige von Frangistan aus anderem Stoff?« – »Wir wollen ihn auf der Stelle zum König bringen,« sagte der Ritter von Gilsland. »Er hat gezeigt, daß er im Besitz des Mittels ist, das die Gesundheit des Königs wiederherstellen kann. Sollte König Richard es nicht gebrauchen, so halte auch ich alle Macht der Arznei an ihm verloren.«

Sie wollten eben die Hütte verlassen, als der Patient mit schwacher, aber vernehmlicher Stimme bat, ihm zu sagen, was aus seinem teuren Herrn geworden sei.

»Euer Herr ist auf einer weiten, ehrenvollen Reise, Freund,« erwiderte der Prälat, »die ihn noch einige Tage fernhalten dürfte.« – »Nein,« sagte der Lord von Gilsland, »warum den armen Menschen täuschen? – Freund, Dein Herr ist schon zurück, Du wirst ihn gleich sehen.«

Der Kranke hielt seine welken Hände dankbar zum Himmel empor, und der einschläfernden Wirkung des Elixiers nicht länger widerstehend, sank er in sanften Schlummer.

»Sir Thomas, Ihr sagtet,« nahm der Bischof mit sichtbarer Unruhe das Wort, »der Herr des Knappen sei zurück, der Ritter vom Leoparden?« – »Jawohl,« sagte Thomas von Vaux. »Ich habe ihn vor wenigen Stunden gesprochen. Unser gelehrter Arzt befand sich in seiner Gesellschaft.« – »Heilige Jungfrau! Warum sagtet Ihr mir das nicht früher?« entgegnete der Bischof mit sichtbarer Bestürzung. – »Ich sagte doch, der Ritter vom Leoparden sei in Gesellschaft des Arztes zurückgekehrt!« erwiderte Thomas von Vaux gleichgültig. »Doch was hat seine Rückkehr mit dem Arzte oder mit der Kur des Königs zu schaffen?« – »Viel, sage ich Euch, viel!« rief der Bischof, die Hände ringend, mit dem Fuße aufstampfend und durch allerhand unwillkürliche Zeichen seine Ungeduld verratend. »Doch wo mag der Ritter jetzt sein? Gott helf uns! Das kann zu schlimmen Irrtümern führen.« – »Vielleicht kann uns der Bursche draußen, der die Wache zu halten scheint, sagen, wohin sich der Ritter begeben hat,« meinte Thomas von Vaux, nicht wenig verwundert über die Unruhe des Bischofs.

Der Bursche wurde gerufen und gab ihnen in einer fast unverständlichen Sprache endlich zu verstehen, der Ritter sei in das königliche Zelt bestellt worden, kurze Zeit vor ihrer Ankunft. Die Unruhe des Bischofs fiel selbst dem Lord auf, der doch weder ein scharfer Beobachter noch von Natur argwöhnisch war. Aber von dem Wunsche beseelt, sich schnell Klarheit zu schaffen, verabschiedete sich der Prälat von dem Ritter, der ihm verwundert nachblickte, ein paar mal mit den Achseln zuckte und dann den arabischen Arzt nach dem Zelt des Königs führte.

Neuntes Kapitel

Lord Gilsland begab sich langsamen Schrittes, aber mit unruhiger Miene nach dem königlichen Zelte. Außer in der Schlacht traute er seinem Wissen nicht eben viel zu und pflegte deshalb sich wohl über Geschehnisse laut zu verwundern, nicht aber mit ihrer Erwägung sich viel zu befassen. Aber daß die Aufmerksamkeit des Bischofs von der merkwürdigen Kur, die sie mit angesehen hatten, so plötzlich abgelenkt wurde durch die Mitteilung über einen armseligen Ritter, der gegenüber dem englischen Adel eine ziemlich unbedeutende Rolle spielte, das kam ihm doch so eigentümlich vor, daß er, seiner Gewohnheit, nur einen untätigen Zuschauer vorübergehender Ereignisse abzugeben, völlig zuwider, sich über den Grund solch auffallender Erscheinung in allen möglichen Mutmaßungen erging.

Schließlich kam er auf den Gedanken, daß innerhalb des Lagers der Verbündeten eine Verschwörung gegen König Richard im Gange sei, an der vielleicht auch der Bischof, nach mancher Meinung ein weltkluger Mann mit weitem Gewissen, Anteil habe. Er wußte recht gut, daß es seinem König immer beschert gewesen war, durch seinen Charakter sich Freunde und Feinde in ungefähr gleichem Maße zuzuziehen, und daß es selbst im Lager unter den durch ihren Eid verpflichteten Fürsten manche gab, die es gar nicht übel aufgenommen hätten, wenn Richard von England ins Verderben geraten oder wenigstens gedemütigt worden wäre.

»Warum sollte nicht dieser El Hakim,« sagte er zu sich selbst, »mit seiner Kur an dem schottischen Knappen nur einen listigen Streich gespielt haben, an welchem der Ritter vom Leoparden mit dem Bischof ihren Anteil hatten?« – Diese Vermutung ließ sich freilich nicht recht mit der Bestürzung vereinigen, die den Bischof befallen hatte, als er hörte, der Ritter sei ins Lager zurückgekehrt; Thomas von Vaux stand aber bloß unter dem Einfluß allgemeiner Vorurteile, und diese bestärkten ihn in der Annahme, daß ein schlauer Priester, ein falscher Schotte und ein heidnischer Arzt sich zu solch bösem Werke zusammengetan hätten. Er nahm sich vor, dem König seine Besorgnis vorzutragen, denn von dessen Urteilskraft hielt er fast ebenso viel, wie von seiner Tapferkeit. Unterdessen waren aber ganz andere Dinge vorgegangen, als Thomas von Vaux vermutete. Er hatte kaum das königliche Zelt verlassen, als Richard aus Ungeduld, die noch durch das Fieber gesteigert wurde, über sein Ausbleiben zu murren anfing und lebhaft wieder nach ihm verlangte. Er plagte seine Wärter, nahm zu dem Brevier des Priesters, ja selbst zur Harfe seines Lieblingssängers seine Zuflucht, ohne jedoch Ablenkung von seinen Schmerzen zu finden. Endlich schickte er ein paar Stunden vor Sonnenuntergang, lange vor der Zeit, da er Nachricht über den Fortgang der Kur des arabischen Arztes erwarten konnte, einen Boten nach dem Ritter vom Leoparden ab, um genaueren Bericht über die Ursache seiner Entfernung vom Lager, wie über die Umstände seiner Zusammenkunft mit dem berühmten Arzte zu erhalten.

Der schottische Ritter war dem Monarchen kaum von Ansehen bekannt, obgleich er bei solchen Gelegenheiten, wo Englands Gastfreundschaft allen Rittern Zutritt zum königlichen Hofe gewährte, niemals gefehlt hatte. Der König faßte den Ritter, der sich seinem Bette näherte, scharf ins Auge; der Ritter beugte ehrerbietig das Knie, wie es einem Krieger in Gegenwart seines Fürsten geziemte.

»Dein Name ist Kenneth vom Leoparden,« sagte der König. »Wer schlug Dich zum Ritter?« – »Wilhelm, der Löwe von Schottland,« entgegnete Kenneth – »Wir haben gesehen,« sagte drauf der König,»daß Du Dich im Schlachtgewühl tapfer und ritterlich geführt hast. Du hast noch nicht vernommen, daß uns Deine Dienste bekannt sind, weil Du Dir in anderer Hinsicht Dinge anmaßest, die Dir nicht zustehen, – darum können wir Deine Dienste nicht angemessen belohnen ... Was sagst Du, he?«

Kenneth wollte sprechen, fand aber die rechten Worte nicht, weil ihn das Bewußtsein seiner ehrgeizigen Liebe verwirrte und der scharfe Blick Richards, der sein Innerstes zu durchdringen schien, in Unruhe und Bange setzte.

»Doch genug davon,« rief der König; »jetzt sagt mir, Herr Ritter, weshalb und auf wessen Antrieb Ihr Eure letzte Reise nach dem Toten Meere und nach Engaddi unternommen habt?« – »Im Auftrage der hohen Ratsversammlung der Fürsten,« entgegnete der Ritter. – »Wie durfte es jemand wagen, Euch einen solchen Auftrag zu geben, da ich – offenbar nicht der geringste im Bunde der Fürsten, nichts davon wußte?« – »Euer Hoheit wolle bedenken, daß es mir nicht zukam, mich nach solchen Umständen zu erkundigen. Ich bin ein Soldat des Kreuzes unter dem Banner Eurer Majestät, demungeachtet verbunden, den Befehlen der Fürsten und Heerführer zu gehorchen, die das heilige Unternehmen leiten.« – »Gut,« versetzte Richard, »der Tadel trifft nicht Dich, sondern gewisse Bundesfürsten, mit denen ich, wenn mich der Himmel von diesem verwünschten Lager erlösen sollte, strenge Abrechnung zu halten hoffe. Worauf richtete sich Deine Sendung?« – »Mich dünkt, Majestät, diese Frage würde am besten an diejenigen Fürsten gerichtet, die mich absandten. Ich kann nur von der äußeren Beschaffenheit meiner Sendung sprechen.« – »Betrügt mich nicht, Herr Schotte – das könnte Euch das Leben kosten,« entgegnete der reizbare Monarch. – »Mein Leben,« erwiderte der Ritter, »war mir immer gleichgültig, seit ich mich dem Kreuzzuge weihte.« – »Du bist ein wackrer Bursche!« rief der König: »ich liebe das schottische Volk, die Schotten sind kühn und ehrlich, wenn auch mürrisch und dickköpfig. Mir seid Ihr vielleicht zu einigem Dank verpflichtet, denn ich bin immer bestrebt gewesen, mir unabhängige Freunde zu verschaffen, während frühere Könige Englands sich nur trotzige Vasallen erzwangen.« – »Alles dies,« versetzte Ritter Kenneth, sich verbeugend, »habt Ihr vollzogen durch fürstlichen Vertrag mit unserem Herrscher zu Canterbury. Darum sind Euch viele schottische Männer in den Krieg gegen die Ungläubigen gefolgt, während sie sonst vielleicht die Grenzen Englands verheert hätten.« – »Das gebe ich zu,« sagte der König; »Doch laßt mir als Hauptglied des christlichen Bundes die Gerechtigkeit widerfahren, mir mitzuteilen, was ich zu wissen berechtigt bin, und was ich offenbar, sicherer von Euch als irgend einem andern erfahre.« »Mein gnädigster König,« entgegnete der Schotte, »vernehmen also Ew. Majestät, daß ich durch den Einsiedler von Engaddi, einen heiligen, von Saladin selbst geehrten und beschirmten Mann, den Auftrag empfing, Vorschläge zur...« – »Zur, Verlängerung des Waffenstillstandes zu machen« unterbrach ihn Richard schnell; »nicht wahr?« – »Nein, beim, heiligen Andreas! sondern zu einem dauerhaften Frieden, und Bedingungen festzustellen über den Abzug unserer Heere aus Palästina.«

»Heiliger Georg!'« rief Richard erstaunt; »nie hätte ich mir träumen lassen, daß sie sich so tief erniedrigen würden. – Wie nahmt Ihr eine solche Botschaft auf, Ritter?« – »Sie war mir willkommen, mein König,« entgegnete Kenneth, »weil wir unseres edlen Anführers verlustig gingen, unter dessen Leitung ich allein auf Sieg hoffte« – »Und auf welche Bedingungen hin sollte dieser Friede geschlossen werden?« fuhr Richard fort, kaum imstande, den Unmut zu unterdrücken, der ihm fast die Brust sprengte. – »Ich übergab sie versiegelt dem Einsiedler.« – »Und für wen haltet Ihr diesen Einsiedler?« fragte Richard. »Für einen Narren, Tollhäusler, Verräter oder Heiligen?« – »Nach meinem Dafürhalten, Sir,« entgegnete der schlaue Schotte, »ist seine Narrheit bloße Maske, um sich in Gunst und Ehrfurcht bei den Heiden zu setzen, denn sie halten Wahnsinnige für gottbegnadete Personen.« – »Und was hältst Du von seinen Kasteiungen?« fragte der Monarch, sich wieder auf sein Lager zurückwerfend, von dem er sich leicht erhoben hatte. – »Seine Bußübungen,« erwiderte Kenneth, »haben mir den Eindruck der Aufrichtigkeit gemacht – sie rühren wohl her aus Gewissensbissen über ein furchtbares Verbrechen, das ihn in ewige Verdammnis, wenigstens nach seiner Anschauung, gestürzt hat.« – »Und wie denkt er über die politische Lage?« fragte Richard. – »Mich dünkt, er zweifelt an der Sicherheit Palästinas ebenso wie an seiner eigenen Seligkeit, wenn nicht ein Wunder geschieht – wenigstens seit Richards Arm aufgehört hat, für dies Land zu kämpfen.« – »Und darum deckt sich die feige Politik dieses Eremiten mit jener dieser kläglichen Fürsten, die ihr Rittertum und ihre Treue vergessen konnten und nur Entschlossenheit entwickeln, wenn es den Rückzug gilt.« – »Verzeiht mir, gnädigster König,« sagte der schottische Ritter, »diese Unterredung setzt Euch wieder in Fieber; und aus Eurer Krankheit erwächst der Christenheit größerer Schaden als aus den Scharen der Heiden.« – »Ihr versteht zu schmeicheln, Ritter,« sagte Richard, »aber Ihr entschlüpft mir nicht. Ich muß noch mehr von Euch erfahren. Sahet Ihr meine königliche Gemahlin zu Engaddi?« – »Meines Wissens nicht,« entgegnete Kenneth bestürzt; denn ihm fiel die mitternächtliche Prozession in der Felsenkapelle ein – »Ich frage Euch,« fuhr der König ernster fort, »ob Ihr nicht in der Kapelle der Karmeliter-Nonnen zu Engaddi waret und dort Berengaria sahet, die Königin von England, nebst ihren Hofdamen, die dorthin wallfahrteten?« – »Gnädigster König,« antwortete Ritter Kenneth, »ich will die Wahrheit sprechen, wie im Beichtstuhle. In einer unterirdischen Kapelle, zu der mich der Anachoret führte, sah ich einen Chor von Damen einer heiligen Reliquie ihre Verehrung erweisen. Allein, da ich ihr Antlitz nicht sah und ihre Stimmen nicht hörte, außer in den Hymnen, die sie sangen, kann ich nicht sagen, ob die Königin von England sich in ihrer Mitte befand.« – »Kanntet Ihr keine dieser Damen?« fragte Richard . . . Kenneth schwieg. – »Ich frage Euch,« fuhr der König fort, sich auf den Ellbogen stützend, »als Ritter und Edelmann, – und Eure Antwort soll mich lehren, wie Ihr beides schätzt, – kanntet Ihr eine Dame unter dieser andächtigen Versammlung?« – »Ich möchte nicht Nein sagen,« sagte Kenneth in großer Verlegenheit. – »Auch ich kann nur mutmaßen,« unterbrach ihn Richard, finster die Stirne runzelnd. »Doch genug davon. Als Leopard, Herr Ritter, hütet Euch, den Leu zu reizen, versteht Ihr? Sich in den Mond zu verlieben, wäre nur Torheit; aber von der Zinne eines hohen Turmes zu springen, in der ungereimten Hoffnung, zu ihm hinauf zu gelangen, wäre Selbstmord.«

In diesem Augenblicke ward Geräusch im äußeren Gemache laut, und der König, schnell wieder seine gewöhnliche Weise annehmend, sagte: »Genug davon. Eilt zu Thomas von Vaux und schickt ihn her mit dem arabischen Arzte. Ich stehe mit meinem Leben für des Sultans Redlichkeit. Wollte er nur seinen falschen Glauben abschwören, so hülfe ich ihm mit meinem Schwerte diesen Abschaum von Franzosen und Österreichern aus seinem Gebiete vertreiben.«

Der Ritter vom Leoparden entfernte sich, und gleich darauf wurden durch die Kämmerer Abgesandte der Ratsversammlung angemeldet, die dem Könige ihre Aufwartung machen wollten.

»Gut, daß sie wenigstens meinen, ich sei noch am Leben,« war seine Antwort. »Wer sind die Abgesandten?« – »Der Großmeister des Templerordens und der Marquis von Montserrat.«. – »Unser Bruder von Frankreich liebt keine Krankenbetten,« sagte Richard; »und gleichwohl, wäre Philipp krank gewesen, ich hätte schon längst an seinem Lager gestanden. – Jocelyn, bring das Bett in Ordnung; es ist zusammengeschüttelt, wie von stürmischer See. Kämme mir auch Haar und Bart, die einer Löwenmähne tatsächlich ähnlicher sehen als Christenlocken. Gib mir auch Wasser!« – »Majestät,« sagte der Kämmerling zitternd, »die Aerzte sagen, kaltes Wasser sei gefährlich.« – »Hol sie der Teufel, diese Aerzte!« entgegnete Richard. »Wenn sie mich nicht kurieren können, will ich mich auch nicht von ihnen schinden lassen. So!« fuhr er fort, nachdem er sich gewaschen hatte, »jetzt laß die würdigen Gesandten herein!«

Der Großmeister der Tempelherren war ein langer, hagerer Mann mit müdem, doch durchdringendem Auge, und einer Stirn, der tausend schwarze Intriguen ihren Stempel aufgeprägt hatten. Er stand an der Spitze jenes seltsamen Ordens, dem die Körperschaft alles, das Individuum aber nichts galt. Er trug das lange, weiße Feiertagsgewand und den Abacus, jenen geheimnisvollen Amtsstab, dessen eigentümliche Form zu dem Argwohne führte, daß diese Brüderschaft christlicher Ritter sich unter den ärgsten Symbolen des Heidentums verbunden habe.

Konrad von Montserrat dagegen zeigte ein viel gefälligeres Aeußere als jener finstere, geistliche Krieger, der sich in seiner Begleitung befand. Er war ein schöner Mann im mittleren Alter, kühn in der Schlacht, einsichtsvoll im Rat, fröhlich bei Festlichkeiten: doch zeihte man ihn einer veränderlichen Sinnesart, der Engherzigkeit, Selbstsucht und Ehrsucht.

Nach den üblichen gegenseitigen Begrüßungen erging sich der Marquis in der Auseinandersetzung der Gründe ihres Besuches.. »Erkundigung einzuziehen über das Befinden ihres hohen Bundesgenossen, des tapferen Königs von England,« sagte er, »ist der Hauptzweck, der die hohen Fürsten vom Rate der Kreuzfahrer bestimmte, uns zu entsenden...« – »Wir wissen, welchen Wert die Fürsten auf unsere Gesundheit legen,« erwiderte der König; »aber wäre es Euch gefällig, Ihr Herren, Euch in das anstoßende Zelt zu verfügen? Ihr sollt dort auf der Stelle sehen, wie wir das Wohlwollen und die Fürsorge unserer fürstlichen Bundesgenossen zu schätzen wissen.«

Kaum standen sie in dem Außenzelte, als El Hakim, der morgenländische Arzt, in Begleitung des Barons von Gilsland und Kenneths eintrat. Der Arzt verneigte sich vor dem Marquis und dem Großmeister nach orientalischer Sitte. Der Großmeister erwiderte seinen Gruß mit Kälte, der Marquis dagegen mit freundlicher Höflichkeit. Es entstand eine Pause, in welcher der Großmeister den Muselman fragte: »Ungläubiger, Du hast den Mut, Deine Kunst an der Person eines gesalbten Fürsten der Christenheit zu versuchen?« – »Die Sonne Allahs,« antwortete der Weise, »leuchtet für den Nazarener wie für den wahrhaft Gläubigen, und sein Diener macht keinen Unterschied zwischen ihnen, wenn er zur Ausübung seiner Heilkunde gerufen wird.« – »Irrgläubiger Hakim,« sagte der Großmeister, »weißt Du, daß Du von wilden Pferden zerrissen wirst, wenn König Richard unter Deiner Behandlung stirbt?« – »Das wäre harte Rechtspflege,« antwortete der Arzt, »insofern ich nur menschliche Mittel gebrauchen kann, und der Ausgang im Buche des Lichts geschrieben steht.« – »Ehrwürdiger Großmeister,« sagte der Marquis von Montserrat, »bedenkt, daß dieser gelehrte Mann nicht bekannt ist mit unserer christlichen Vorschrift, die in der Furcht Gottes und zum Heil seines Gesalbten dekretiert wurde. Wisse denn, ehrwürdiger Arzt, daß Du am besten tust, Dich vor den hohen Rat unseres heiligen Bundes zu stellen, und in Gegenwart christlicher Gelehrten Rechenschaft zu legen über die Mittel, die Du zur Kur solches erlauchten Kranken anzuwenden gedenkst. Auf diese Art entgehst Du aller Gefahr, durch zu rasche Bereitwilligkeit Dich in schwere Verantwortung zu stürzen.«

»Ihr Herren,« erwiderte El Hakim, »ich verstehe Euch wohl. Aber Sultan Saladin, mein gnädiger Fürst, hat mir befohlen, diesen Nazarener-König zu heilen, und mit dem Segen des Propheten werde ich diesem Befehle gehorchen. Gelingt mir es nicht, so biete ich meinen Leib Euren Schwertern dar. Aber Gespräche führen mit Ungläubigen über die Heilkraft von Arzneien, die ich durch die Gnade des Propheten kennen lernte, werde ich nun und nimmer. Darum haltet mich nicht länger auf.« – »Wer spricht von dergleichen?« sagte Thomas von Vaux, der jetzt ins Zelt eintrat. »Wir wurden schon zu lange aufgehalten. Ich grüße Euch, Marquis und Euch, Herr Großmeister; aber ich muß mich auf der Stelle mit diesem Arzte zum König verfügen.«

»Lord Gilsland,« sagte der Marquis in normannischem Französisch, »Ihr wißt doch, daß wir hier sind, um von seiten der Fürsten vorstellig zu werden, welche Gefahr die Gesundheit König Richards in den Händen eines heidnischen Arztes läuft?« – »Marquis,« versetzte der Engländer grob, »ich verstehe mich nicht auf viel Worte und höre auch nicht gern viel Worte. Aber ich glaube, was meine Augen gesehen, was meine Ohren gehört haben, und darum glaube ich, daß dieser Heide den König Richard zu heilen vermag, und glaube, daß er ihn auch heilen wird. Die Zeit ist kostbar; und somit Gott befohlen, Ihr Herren.« – »Nicht doch,« sagte Konrad von Montserrat, »der König selbst hat gewünscht, wir möchten bei der Behandlung zugegen sein.«

Thomas von Vaux besprach sich leise mit dem Kämmerer, dann sagte er: »Wenn Ihr Euch ruhig verhaltet, so seid willkommen, Ihr Herren; stört Ihr aber den Arzt in seiner Kur, so muß ich Euch ohne Rücksicht auf Euren hohen Rang aus Richards Zelt entfernen. Frisch vorwärts, El Hakim!«

Der Großmeister warf auf den unhöflichen Krieger einen grimmigen Blick; seine Stirn hellte sich aber auf, als sein Auge auf den Marquis fiel. Beide folgten dem Ritter und dem Araber in das königliche Zelt, wo Richard auf seinem Lager sie mit Ungeduld erwartete.

»Hoho!« rief er, »eine erlauchte Gesellschaft, die meinen Sprung ins dunkle Grab mit ansehen will. Seid gegrüßt als Stellvertreter unserer Bundesversammlung, Ihr Herren! Richard will wieder unter Euch der alte sein, oder Ihr sollt seine Ueberreste zu Grabe tragen. Wohlan, Herr Hakim, ans Werk!«

Der Arzt befühlte lange und aufmerksam den Puls, während alle in atemloser Erwartung umherstanden. Dann füllte er den Becher mit Quellwasser und tauchte den kleinen roten Beutel hinein, den er wie voriges mal aus seinem Busen nahm. Als er den Trank hierauf dem König reichen wollte, kam dieser ihm zuvor: »Einen Augenblick, Doktor! Du hast meinen Puls gefühlt, laß mich nun auch den Deinigen fühlen... Ich verstehe, wie es einem tüchtigen Ritter geziemt, auch einiges von Deiner Kunst.«

Der Araber reichte ihm die Hand ohne Bedenken, und einen Augenblick lang lagen seine langen, schmalen Finger in der großen Hand des Königs gleichsam begraben.

»Sein Blut geht ruhig,« sagte Richard. »So klopfen die Adern nicht bei einem Menschen, der einen König vergiften will. Thomas von Vaux, mag ich das Leben behalten oder sterben, so entlaß diesen Arzt in Ehren und Sicherheit. Empfiehl uns, Freund, dem edlen Saladin! bleibe ich am Leben, so werde ich ihm den Dienst danken, wie es sich einem Krieger gegenüber gebührt.«

Er richtete sich jetzt im Bette auf, nahm den Becher, leerte ihn bis auf den Boden, dann gab er ihn dem Araber zurück und sank erschöpft auf die Kissen. Der Arzt winkte den Rittern, sich zu entfernen; aber während die übrigen dem Winke folgten, ließ Thomas von Vaux sich durch keine Vorstellungen bewegen, das Zelt zu verlassen.

Zehntes Kapitel

Montserrat und der Großmeister des Tempelritter-Ordens sahen, als sie vor dem königlichen Zelt standen, in dem sich der im letzten Kapitel geschilderte Auftritt abgespielt hatte, daß eine starke Wache mit Streitäxten und Bogen davor aufzog. Die Krieger blickten so trübe, als folgten sie einem Leichenzuge, und schritten so behutsam, daß man kein Schild, kein Schwert klirren hörte. Vor den beiden hohen Herren senkten sie mit tiefer Ehrerbietung, doch unter demselben tiefen Schweigen die Waffen.

»Die Laune dieser insularen Köter hat sich recht geändert,« sagte der Großmeister zu Konrad von Montserrat, als sie an Richards Leibwache vorbei waren. »War hier sonst ein Lärmen und Toben! immer, als ob sie bloß Jahrmarkt und Kirmes zu feiern hätten.«

»Kettenhunde sind treu,« entgegnete Kunrad, »und der König, ihr Herr, hat ihre Anhänglichkeit dadurch gewonnen, daß er immer mit jubiliert hat, sobald ihm der Sinn danach stand.« – »Er ist aus lauter Launen zusammengesetzt,« erwiderte der Großmeister. »Habt Ihr wohl gehört, wie er uns, statt ein Gebet zu sprechen, beim Becher hochleben ließ?«

»Er hätte die Wirkung dieses Bechers schon empfunden,« antwortete der Marquis, »wäre Saladin ein Türke, wie jeder andere; er gibt sich aber den Anschein von Treue, Redlichkeit und Rittersinn, als ob solch ungetaufter Hund, wie er, das Recht dazu hätte... Es heißt ja sogar, er habe dem Könige von England das Ansinnen gestellt, ihn in den Schoß des Rittertums aufzunehmen.« – »Beim heiligen Bernhard,« rief der Großmeister, »da wäre es Zeit, Wehrgehenk und Sporen wegzuwerfen.«

Sie waren jetzt zu ihren Pferden gelangt, die in einigem Abstande vom königlichen Zelt, umringt von einer stattlichen Schar von Knappen und Pagen, auf einem Rasenflecke ästen. Konrad schlug nach einer kleinen Pause vor, Rosse und Gefolge zu entlassen und sich durch das ausgedehnte Christenlager zu Fuß nach ihrer Wohnung zu begeben. Der Großmeister war damit einverstanden. Sie machten sich auf den Weg durch die breite Esplanade zwischen den Zelten und den äußeren Festungswerken. Auf diesem verhältnismäßig einsamen Wege konnten sie sich heimlich und unbemerkt, ausgenommen von den Schildwachen, an denen sie vorbeikamen, unterhalten. Vom Lager und Kreuzzuge ging ihr Gespräch auf ein interessanteres Thema über... »Wenn es sich mit Eurer Tapferkeit und Frömmigkeit vertrüge, ehrwürdiger Ritter Giles Amaury,« sagte nach ziemlich langer Pause der Marquis mit einem Blick auf das düstere starre Angesicht des Templers, »so möchte ich Euch bitten, das dunkle Visier, das Ihr tragt, zu lüften und Euch Auge in Auge mit einem Freunde zu unterhalten.« – Der Templer lächelte. »Es gibt auch helle Masken,« sagte er, »die das Gesicht so gut wie dunkle Visiere verbergen.« – »Das will ich nicht bestreiten,« antwortete der Marquis, die Hand ans Kinn legend mit einer Bewegung, als ob er seine Maske abnehme; »sie ist gefallen, die helle Maske, die Euch störte... was haltet Ihr von den Aussichten dieses Kreuzzuges?« – »Ich will Euch,« sagte der Großmeister, »mit einer Parabel antworten, die mir ein Heiliger der Wüste erzählte: Ein Landwirt betete zum Himmel um Regen und murrte, als keiner fiel, über seine Not. Zur Strafe für seine Ungeduld sandte ihm Allah den Euphrat über Haus und Hof. Da hatte er Wasser genug, aber weder Haus mehr noch Hof, es zu brauchen, das war der Lohn für seine Ungeduld.«

»Wahr gesprochen!« antwortete der Marquis. »Hätte doch das Meer neun Zehntel von der Seemacht dieser christlichen Fürsten verschlungen! Das letzte Zehntel hätte den Plänen der Edlen Palästinas mehr genützt als das ganze lateinische Königreich Jerusalem.« – »Allerdings,« erklärte der Templer; »aber es kann den Kreuzfahrern doch gelingen, auf den Mauern Zions das Kreuz wieder aufzupflanzen.« – »Was wird das dem Templer oder Montserrat helfen?« meinte der Marquis. – »Euch könnte es schon helfen,« entgegnete der Großmeister, »Ihr könnt doch König von Jerusalem werden.« – »Das klingt ja sehr schön,« sagte der Marquis, »aber recht hohl. Gottfried von Bouillon wählte am besten die Dornenkrone als Wappenbild. Ich muß wohl sagen, Großmeister, die morgenländische Regierungsform ist mir durchaus sympathisch. Eine Monarchie sollte nur aus König und Untertanen bestehen, entsprechend dem Urbegriffe: ein Hirt und seine Herde. Ein König soll frei auftreten, Großmeister, nicht hier durch einen Graben, dort durch ein Festungswerk, hier durch ein Lehnsvorrecht, dort durch eine Baronie gehemmt werden. Um mich kurz zu fassen, so sehe ich wohl, daß die Ansprüche Guidos von Lusignan auf den Thron den meinigen vorgehen müßten, wenn Richard wieder genäse.« – »Genug,« erwiderte der Großmeister, »Du hast mich von Deiner Aufrichtigkeit überzeugt.« – »Du wirst doch nichts verraten?« fragte Montserrat, ihn argwöhnisch musternd. »Verlaß Dich drauf, ich trete in die Schranken gleich dem besten Templer, der je eine Lanze einlegte.« – »Dennoch wirst Du scheu vor einem mutigen Rosse,« erwiderte der Großmeister: »immerhin schwöre ich Dir bei dem heiligen Tempel, dessen Verteidigung unser Orden gelobt hat, daß ich Dir als treuem Waffenbruder Verschwiegenheit bewahren werde.« – »Bei welchem Tempel?« sagte Montserrat, dessen Spottliebe seiner Klugheit oft ein Schnippchen schlug. »Schwörst Du bei jenem Tempel auf Zion, von König Salomo erbaut, oder bei dem symbolischen Gebäude, von welchem im Rate Deines mächtigen Ordens unter den Gewölben Eurer Pfründen die Rede gewesen sein soll?«

Der Templer warf ihm einen giftigen Blick zu, antwortete jedoch ruhig und gelassen: »Bei welchem Tempel ich auch schwören mag, Marquis, so halte Dich überzeugt, daß mein Eid mir heilig ist. Ich möchte wohl wissen, wie ich Dich durch einen Eid von gleicher Kraft binden könnte.«

»Ich will die Wahrheit schwören,« sagte der Marquis lachend, »bei meiner kleinen Krone, die ich vor Ausgang dieses Krieges in etwas Besseres zu verwandeln hoffe. Ein Herzogshut böte ihr wärmeren Schutz gegen die Nachtluft, noch besser freilich wäre eine Königskrone, mit Hermelin und Sammet abgefüttert. Mit einem Worte, wir sind durch unser Interesse aneinander geknüpft, denn wähne nicht, Großmeister, daß diese verbündeten Fürsten, falls sie Jerusalem wieder erobern und einen König aus eigener Wahl einsetzen sollten, Deinem Orden oder meinem armen Marquisat die Unabhängigkeit ließen, deren sich beide jetzt erfreuen. Nein! Bei der heiligen Jungfrau! Dann müssen die stolzen Johanniterritter wieder in den Hospitälern Pflaster streichen, und Ihr hochmächtigen und ehrwürdigen Templer müßt wieder stramme Krieger werden, zu dritt auf einer Streu schlafen und zu zweit auf einem Pferde reiten, wie es noch jetzt auf Eurem Siegel zu lesen steht.« – »Rang, Vorrechte und Schätze unseres Ordens würden solcher Erniedrigung vorbeugen,« entgegnete der Templer stolz. – »Das ist eben Euer Verderben!« sagte Konrad von Montserrat! »Ihr wißt so gut wie ich, daß die erste Maßregel der christlichen Herrscher in Palästina, wenn es ihnen gut hier ginge, die Verkümmerung Eurer Ordensrechte wäre!« – »Es mag richtig sein, was Ihr sagt,« versetzte der Templer mit düsterem Lächeln. »Aber wie stände es mit unsern Hoffnungen, wenn die Verbündeten ihre Truppen zurückzögen und Palästina in der Gewalt Saladins zurückließen?« – »Der Sultan,« antwortete der Marquis, »würde große Provinzen hergeben, um eine geübte Schar fränkischer Lanzenträger in seinen Diensten zu halten. In Aegypten, in Persien würden Hunderte solcher Truppen zusammen mit seiner eigenen leichten Reiterei eine unüberwindliche Macht darstellen. Allerdings würde dieses Abhängigkeitsverhältnis nur eine gewisse Zeit dauern, vielleicht nur so lange, wie dieser Sultan lebte... aber im Orient wachsen Reiche wie Pilze. Seinen Tod angenommen, was dürften wir nicht, bei dem ständigen Nachwuchse kühner Geister in Europa, zu erreichen hoffen, wenn wir diese Macht von Fürsten nicht über uns hatten?«

»Diesen Worten, Herr Marquis,« sagte der Großmeister, »stimme ich von Herzen bei. Aber wir müssen auf unserer Hut sein, denn Philipp von Frankreich ist ebenso klug als tapfer.« – »Allerdings, aber um so leichter wird man ihn von einem Feldzuge ablenken, zu dem er sich in momentaner Begeisterung vorschnell verpflichtet hat. Er ist eifersüchtig auf König Richard, seinen natürlichen Feind, und sehnt sich wieder zurück nach Paris, das ihm für seine ehrgeizigen Plane weit näher liegt als Palästina. Er wird jeden Vorwand ergreifen, sich von einem Schauplatz zu entfernen, wo er nur die Kräfte seines Reiches vergeudet.« – »Und der Herzog von Oesterreich?« sagte der Templer. – »O, der gelangt durch seine Torheit und Selbsttäuschung zu denselben Schlüssen und sieht wohl lange schon ein, daß er undankbar behandelt wird. Keiner wohl fürchtet und haßt König Richard wie er, und keiner träte wohl mit Saladin in Friedensverhandlungen so gern wie er.«

»Ich gestehe« erwiderte der Templer, »man müßte blind sein, wenn man dies nicht bei ihren neulichen Beratungen gesehen hätte. Aber lüfte nun Deine Maske noch um einen Zoll höher und sage mir, weshalb Du jenen Schotten, oder was der Ritter vom Leoparden sonst sein mag, der Ratsversammlung zum Ueberbringer ihrer Vorschläge aufgedrungen hast?«

»Ich meinte,« antwortete der Italiener, »des Mannes Charakter als Brite müßte Saladin, der doch wußte, daß er zu Richards Truppen gehörte, genehm sein, während sein Charakter als Schotte es unwahrscheinlich machte, daß er bei seiner Rückkehr mit Richard in Berührung kam, denn Richard mochte von seiner Gegenwart nie viel wissen.« – »Eine fein gesponnene Politik!« entgegnete der Großmeister. »Doch laß Dir sagen, daß sich dieser ungeschorene Simson der britischen Insel nie durch italienische Spinnweben umgarnen lassen wird! Seht Ihr denn nicht, daß uns der so behutsam erwählte Gesandte in diesem Arzte das Medium gebracht hat, den löwenherzigen Engländer wiederherzustellen? und ist er erst wieder imstande, aufzubrechen, wer von diesen Fürsten soll ihn zurückhalten?« – »Beruhige Dich,« versetzte Konrad von Montserrat. »Ehe dieser Arzt Richards Kur vollendet, wird zwischen Frankreich oder wenigstens Österreich und seinen englischen Verbündeten der Bruch da sein, und zwar ein Bruch, bei dem von Versöhnung keine Rede sein kann! Richard wird, und wenn er zehnmal gesund wird, nie wieder das ganze Heer der Kreuzfahrer befehligen.« – »Du bist ein geschickter Bogenschütze,« sagte der Templer, »aber Dein Bogen ist zu schlaff, daß Dein Pfeil sein Ziel erreichen sollte.«

Hier brach er ab und warf einen argwöhnischen Blick umher, ob ihn jemand belausche. Dann nahm er die Hand des Marquis, drückte sie heftig, sah dem Italiener tief in die Augen und flüsterte: »Richard wieder gesund werden, sagst Du? Das darf nie sein, Konrad!« – Der Marquis stutzte. »Wie?« rief er, »sprecht Ihr von Richard von England? Von Richard Löwenherz, dem Helden der Christenheit?«

Seine Wange ward bleich, seine Knie zitterten, als er sprach; der Templer sah ihn an und verzog sein starres Gesicht zu einem höhnischen Lächeln . . . »Weißt Du, wem Du diesen Augenblick ähnelst, Konrad?« sagte er. »Nicht dem weltklugen, tapferen Marquis von Montserrat, der den Rat der Fürsten leiten, das Schicksal der Reiche bestimmen wollte, nein! einem Lehrbuben, der im Buche seines Meisters wider alles Erwarten eine Beschwörungsformel gefunden hat und sich vor Angst nicht zu raten weiß, als er nun den Teufel vor Augen hat.«

»Ich gebe zu,« versetzte Konrad, der seine Fassung wiederzufinden anfing, »daß Du, wenn nicht auf den sichersten, doch auf den Weg hingedeutet hast, der am geradesten zum Ziele führt. Aber, heilige Maria! wir werden den Fluch von ganz Europa auf uns laden, vom Papst auf seinem heiligen Stuhl an bis zum Bettler an der Kirchentür.« – »Nimmst Du es so,« sagte der Großmeister mit der Ruhe, die ihn wahrend dieses ganzen Gesprächs auszeichnete, »so laß uns tun, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen, als hätten wir nur im Schlafe gesprochen, wären erwacht, und das Traumgesicht wäre verschwunden.« – »Es kann doch nicht verschwinden,« entgegnete Konrad. – »Bilder von Herzogskronen und Diademen behaupten sich allerdings in der Einbildungkraft mit einiger Hartnäckigkeit,« versetzte der Großmeister. – »Wohlan,« entgegnete Konrad, »laß mich nur erst versuchen, den Frieden zwischen Oesterreich und England zu brechen.«

Sie trennten sich. Konrad blieb noch auf dem Platze stehen und sah dem wallenden weißen Mantel des Templers nach, bis er in dem schnell herabsinkenden Dunkel der orientalischen Nacht verschwand. »Ich habe, weiß Gott! den Teufel in Person herbeigerufen,« sagte er. »Wer hätte gedacht, daß dieser finstere, asketische Großmeister, dessen ganzes Sein mit seinem Orden verwachsen ist, bereit wäre, diesen wilden Kreuzzug zu hemmen? an die schnelle Art, die dieser Priester vorschlägt, habe ich freilich nie gedacht; und doch ist es der sicherste, vielleicht auch der gefahrloseste Weg.« Aus diesen Betrachtungen wurde der Marquis durch eine Stimme gerissen, die in geringer Entfernung von ihm im Heroldstone rief: »Gedenke des heiligen Grabes!«

Von Posten zu Posten hallte diese Mahnung wider, denn die Schildwachen mußten bei der Ablösung das Heer der Kreuzfahrer durch diesen Ruf an den Zweck seines Hierseins erinnern. Konrad kannte freilich diese Vorschrift, und doch traf diese mahnende Stimme jetzt mit seinen Gedanken so seltsam zusammen, daß sie ihm wie ein Ruf des Himmels vorkam, wie eine Warnung vor der Ungerechtigkeit, die er im Sinne hatte. Aengstlich blickte er sich um, und sein Auge fiel auf die breiten Falten der Fahne Englands, die auf einem künstlichen Wall fast in der Mitte des Lagers, den vielleicht weiland irgend ein hebräischer Heerführer sich als Ruhestätte erkoren hatte, schwerfällig in der dünnen Nachtluft flatterte. St. Georgenberg war der Wall von den Kreuzfahrern getauft worden. Ein lebhafter Verstand, wie der Konrads von Montserrat, faßt den Gedanken im Nu. Ein einziger Blick auf die Standarte, und alle Ungewißheit aus seinem Gemüte schien verschwunden. Mit dem raschen, festen Schritt eines Mannes, der einen einmal entworfenen Plan auszuführen gewillt ist, begab er sich nach seinem Zelte und entließ das beinahe fürstliche Gefolge, das zu seiner Aufwartung bereit stand.

»Morgen,« sagte er, »sitze ich an der Tafel des Erzherzogs von Oesterreich. Da wollen wir sehen, wie unser Ziel sich erreichen läßt, ehe wir den finsteren Eingebungen dieses Templers folgen.«

Elftes Kapitel

Leopold, Erzherzog von Oesterreich, war zur herzoglichen Würde im Deutschen Reiche durch seine nahe Verwandtschaft mit dem Kaiser Heinrich dem Ersten gelangt und herrschte über die schönsten Provinzen, welche die Donau durchfließt. Sein Charakter ist in der Geschichte durch seine Gewalttat befleckt, die ihren Grund in den Ereignissen im heiligen Lande hat, und doch fiel diese Schmach, Richard Löwenherz gefangen zu nehmen, als er in Verkleidung und ohne Begleitung durch Oesterreich den Weg zur Heimat suchte, nicht eigentlich auf Leopold selbst. Er war eher ein schwacher und eitler als ehrgeiziger und tyrannischer Fürst. Seine geistigen Kräfte entsprachen seiner körperlichen Beschaffenheit. Er war groß, stark und hübsch, lange blonde Locken umschlossen sein frisches, blühendes Gesicht; in seinem Gange war aber etwas Unbeholfenes, als fände er die Kraft nicht, eine solche Masse zu dirigieren. Auch schien ihm die reichste Kleidung nie zu passen, und nicht selten meinte er, durch Grobheit und unzeitige Heftigkeit zu ersetzen, was er durch seine geistige Schwerfälligkeit einzubüßen fürchtete.

Als er sich dem Kreuzzuge mit einem großen, fürstlichen Gefolge anschloß, hatte er sich eifrig um König Eduards Freundschaft bemüht. Aber er stand, wenn auch nicht an Tapferkeit, doch an Mut und Feuer dem englischen König so auffällig nach, daß ihn dieser bald gering achten lernte. Dazu kam, daß Richard, als ein an Mäßigkeit gewöhnter Fürst, Leopold seine starke Vorliebe für Tafelfreuden sehr verargte.

Dies alles war dem argwöhnischen Erzherzoge nicht entgangen, und die zwischen den beiden Fürsten herrschende Zwietracht wurde durch Philipp von Frankreich genährt, einen der umsichtigsten Monarchen seiner Zeit, der Richards feurigen, herrschsüchtigen Charakter fürchtete.

Auf diese tiefe Abneigung des Erzherzogs von Oesterreich gegen den englischen König Richard baute nun Konrad von Montserrat seinen Plan, der auf eine Lockerung des Kreuzfahrerbundes hinauslief. Er wählte die Mittagszeit zu seinem Besuche, unter dem Vorwande, dem Erzherzog eine vorzügliche Sorte Cypernwein zum Geschenk zu machen, die er vor kurzem erhalten hatte. Die Folge dieser Absicht war eine höfliche Einladung zur Tafel des Erzherzogs.

Zahlreiche Diener, alt und jung, warteten im Zelt auf; Lustigmacher, Zwerge und Minnesänger waren in ungewöhnlicher Zahl vorhanden: unter einem Geschrei und Getöse, das sich besser für eine deutsche Jahrmarktsschenke als für das Zelt eines regierenden Fürsten geschickt hätte, wurde dem Herzog aufgewartet, mit einem Zeremoniell, das sein ängstliches Streben, den Stand und Charakter seines hohen Ranges streng zu behaupten, deutlich verriet. Er wurde von knieenden Pagen bedient, speiste auf Silber und trank seinen Tokayer und Rheinwein aus goldenem Becher. Sein Herzogsmantel war mit Hermelin verziert, seine Herzogskrone kam an Wert einer Königskrone gleich, und seine Füße, die in Sammetschuhen steckten, deren Länge zwei Fuß betragen konnte, ruhten auf einem Schemel aus gediegenem Silber. Seine Aufmerksamkeit teilte er zwischen seinem fürstlichen Gaste, der zu seiner Rechten saß, und seinem »Spruchmeister«, der rechts hinter ihm stand.

Dieser Mann war mit einem Mantel und Wams aus schwarzem Sammet bekleidet. An dem kurzen Stabe, den er trug, waren wie am Wamse Silbermünzen befestigt, und wenn er die Aufmerksamkeit auf seine Rede lenken wollte, klingelte er mit all den Münzen, daß jedermann die Ohren weh taten. Diese Person nahm am Hofe des Erzherzogs einen Rang ein zwischen einem Minnesänger und einem Rat, war abwechselnd Schmeichler, Dichter und Redner; und wer bei dem Herzog gut zu stehen wünschte, pflegte sich deshalb um die Gunst seines Spruchmeisters zu bemühen.

Als Dämpfer der Weisheit dieser wichtigen Person stand auf der anderen Seite hinter dem Erzherzog sein Hofnarr Jonas Schwanker, der fast ebenso viel Geräusch mit seiner Narrenkappe, seinen Schellen und seiner Kolbe machte, wie der Spruchmeister mit seinem Münzenstabe.

Es währte nicht lange, so wurde die Politik mit ihren Trägern von dem Hofnarren in die Diskussion gezogen, der den englischen König nie anders als »Richard vom Ginster« titulierte. Als der Marquis ihn hierüber um Aufklärung bat, sagte er: »Der Ginster auch Besenpflanze genannt, ist das Sinnbild der Demut; es wäre gut, wenn alle, die solch Sinnbild zu dem ihrigen machten, sich auch dieser Tugend erinnerten.« Darauf meinte Jonas Schwanker, daß mancher, der sich selbst erniedrigt hätte, durch Rache erhöht worden wäre.

»Ehre, dem Ehre gebühret,« sagte der Marquis von Montserrat; »wir haben an diesen Heerzügen und Schlachten Anteil gehabt, und mich dünkt, auch andere Fürsten verdienten ihren Teil an dem Ruhme, dessen sich Richard unter den Minnesängern erfreut. Weiß kein Zunftgenosse der fröhlichen Kunst ein Lied zum Preise des königlichen Erzherzogs von Oesterreich, unseres fürstlichen Wirtes?«

Drei Minnesänger nahten sich wetteifernd mit Gesang und Harfenspiel. Zwei wurden vom Spruchmeister, der die Aufsicht über das Gelage führte abgewiesen; der dritte sang in hochdeutscher Sprache:

Welcher Held ists, der die Scharen,


Mit dem roten Kreuz geziert,


Als Feldmarschall wohl erfahren,


Hoch zu Roß ins Treffen führt?

Hier unterbrach der Spruchmeister mit seinem Stabe den Sänger, um der Gesellschaft begreiflich zu machen, was sie sonst nicht erraten hätten, daß ihr königlicher Wirt der Held sei, auf den die Strophe hinziele – und ein voller Becher machte mit dem lauten Rufe »Hoch lebe Herzog Leopold!« die Runde. – Eine zweite Strophe folgte:

Welcher Fürst ist's, dessen Banner


Ueber allen andern schwebt?


Dessen kühner Doppeladler


Sich zur Sonne stolz erhebt?

»Der Adler,« erklärte wieder der Spruchmeister, »ist das Sinnbild unseres edlen Herrn, des Erzherzogs, und der Adler fliegt am höchsten und steigt von allen gefiederten Geschöpfen der Sonne am nächsten.« – »Der Löwe hat einen Sprung über den Adler getan,« warf Konrad von Montserrat achtlos hin.

Der Erzherzog, errötend, heftete sein Auge auf den Marquis, während der Spruchmeister nach einigem Bedenken antwortete: »Der Herr Marquis werden verzeihen, aber ein Löwe kann nicht über einen Adler fliegen, weil er keine Flügel hat.« – »Ausgenommen der Löwe auf dem St. Markusplatze,« entgegnete der Narr.

»Ich meinte nicht den Löwen Venedigs,« entgegnete der Marquis, »sondern die drei wandernden Löwen Englands, die vor allem Getier der Erde den Vorrang haben. Wehe dem, der dagegen spricht!«

»Ist das Euer Ernst, Marquis?« fragte der Oesterreicher, den der Wein schon stark erhitzt hatte ... »Glaubt Ihr, Richard von England mache Anspruch auf Vorrang unter den freien Fürsten, die ihm freiwillig gefolgt sind?« – »Ich urteile nur nach dem Augenschein,« versetzte Montserrat. »Sein Banner hängt allein mitten in unserm Lager, als ob er König und Oberfeldherr unseres christlichen Heeres sei.« – »Und das ertragt Ihr so geduldig?« versetzte Leopold. – »Gnädiger Herzog,« entgegnete Konrad, »nicht dem armen Montserrat kommt es zu, wider ein Unrecht sich aufzulehnen, dem sich mächtigere Fürsten wie Philipp von Frankreich und Leopold von Oesterreich lammfromm gefügt haben. Ein Schimpf, den Ihr vertragt, kann für mich keine Schmach sein!« – Leopold schlug mit der geballten Faust auf die Tafel ... »Ich habe es Philipp schon oft gesagt,« antwortete er, »daß es unsere Pflicht sei, die geringen Fürsten gegen die Anmaßung dieses Inselkönigs zu schützen, allein er rückt immer die Rücksichten ins Treffen, die er auf seine Lehnsherrschaft dem Vasallen gegenüber zu nehmen habe, und hält es für unpolitisch, es jetzt zu einem Bruche kommen zu lassen.« – »Die Welt kennt ja Philipps Weisheit,« erwiderte Konrad, »und wird seine Mäßigung für Politik halten, Eure Unterwerfung aber, gnädiger Herr, könnt Ihr nur allein rechtfertigen; ohne Zweifel habt Ihr gute Gründe dazu.«

»Ich soll Gründe haben, mich dem Könige von England zu unterwerfen?« rief Leopold empört. »Ich, als Erzherzog von Oesterreich, als wichtigstes Glied des heiligen Römischen Reiches – ich soll mich diesem Fürsten einer Halbinsel, diesem Enkel eines normannischen Bastards unterwerfen? Nein, bei allen Heiligen! Die ganze Christenheit soll es erleben, daß ich mir Recht zu verschaffen weiß, daß ich dem englischen Kettenhunde nicht einen Zollbreit Land einräume. Auf, meine Vasallen und Leute! Folgt mir! Ohne zu säumen, wollen wir Österreichs Doppel-Adler dorthin bringen, wo er als Wahrzeichen von König und Kaiser höher schweben soll, als jegliches andere!«

Von seinem Sessel aufspringend, unter dem Jauchzen seiner Diener, eilte er nach der Zelttür und griff nach seinem Banner.

»Nicht so, gnädiger Herr!« rief Konrad, wie wenn er bemüht sei, zu vermitteln; »beginnt Ihr zu solcher Zeit im Lager Zwist, so werdet Ihr Eurer Weisheit schaden; es ist vielleicht besser, sich der englischen Anmaßung noch eine Weile zu unterwerfen, statt – «

»Nicht einen Augenblick länger!« unterbrach ihn der Herzog und schritt mit dem Banner in der Hand, von seinen jauchzenden Gästen und Dienern begleitet, nach der Anhöhe, wo Englands Fahne flatterte. Er packte deren Stange, als ob er sie aus dem Boden reißen wolle.

»Gnädigster Herr!« rief Jonas Schwanker, dem Erzherzog in die Arme fallend, »Löwen haben Zähne.« – »Adler haben Fänge,« versetzte der Erzherzog, die Fahnenstange noch immer gepackt haltend, aber im Zweifel, ob er sie aus dem Boden ziehen sollte.

Der Spruchmeister aber hatte trotz seinem Amte, Unsinn zu schwatzen, doch recht gesunden Verstand, ließ seinen Stab laut erklingen und rief: »Der Adler ist König unter den Vögeln, der Löwe unter den Tieren. Jeder hat sein Gebiet, und beide sind soweit voneinander, wie England und Deutschland – tue dem Löwen keinen Schimpf an, edler Aar, laßt Eure Banner lieber friedlich nebeneinander flattern.«

Leopold zog die Hand von der Fahnenstange zurück und sah sich nach Konrad von Montserrat um, erblickte ihn aber nicht, denn dieser hatte sich, sobald er das Unheil angestiftet hatte, vorsichtig aus dem Gewühl entfernt, um unparteiischen Personen zu sagen, daß der Erzherzog die Zeit nach dem Mittagessen gewählt habe, eine Beleidigung zu rächen, die er von England erlitten haben wollte.

Indes war die entscheidende Stunde herangerückt, wo der kranke König, wie sein Arzt bestimmt hatte, aufgeweckt werden sollte. El Hakim hatte erklärt, daß das Fieber den König verlassen habe, und er werde bei der starken Konstitution desselben keine zweite Dosis Arznei anzuwenden brauchen. Richard schien gleicher Meinung zu sein, richtete sich in seinem Bett auf und fragte Thomas von Vaux, wie es mit seiner Kasse beschaffen sei. Der Baron konnte ihm keine richtige Auskunft geben ... »Gleichviel,« sagte Richard, »gebt, was drin ist, diesem gelehrten Arzte, der mich wieder gesund gemacht hat. Was an tausend Byzantinen fehlen sollte, ergänzt durch Juwelen.« – »Die Weisheit, die mir Allah verliehen hat, ist mir nicht verkäuflich,« erwiderte der arabische Arzt, »denn die göttliche Arzenei, die Du gebraucht hast, würde ihre Wirkung in meiner unwürdigen Hand verlieren, wenn ich sie mir bezahlen ließe.« – »Er schlägt eine Belohnung aus!« sprach Thomas von Vaux für sich, »das geht ja noch über sein hundertjähriges Alter.«

»Thomas von Vaux,« sprach Richard, »dieser Araber könnte denen, die sich für die Zierde der Ritterschaft ansehen, zum Beispiel dienen.«

Die Arme kreuzweise über die Brust schlagend, versetzte der arabische Arzt: »Es ist mir Lohn genug, daß ich einen großen König des Abendlandes also von seinem Diener sprechen höre; aber ich muß Euch jetzt ersuchen, Euch wieder niederzulegen, denn wenn ich auch meine, daß es entbehrlich sei, Euch den göttlichen Trank zum andern Male zu reichen, so möchte doch zu frühe Anstrengung Euch nachteilig sein.« – »Ich muß Dir gehorchen, El Hakim,« sagte der König, »allein glaube mir, meine Brust fühlt sich frei von dem verzehrenden Feuer, und ich könnte sie gleich der Lanze eines Tapferen bloßstellen ... Doch horch! Was hat dieses Jauchzen im Lager zu bedeuten? Geh, Thomas, erkundige Dich!« – »Der Herzog Leopold,« versetzte der Abgesandte, sogleich zurückkehrend, »hält mit seinen Zechbrüdern einen Umzug.« – »Der trunkene Tor!« rief Richard. »Kann er seine Unmäßigkeit nicht hinter seinem Zelte verbergen? muß er die Schande der ganzen Christenheit offenbaren? Was ist Euer Wunsch, Herr Marquis?« fügte er hinzu, als Konrad von Montserrat in das Zelt trat.

»Ich freue mich, Euer Majestät soweit hergestellt zu sehen,« erwiderte der Marquis, »und das sind der Worte schon genug für jemand, der Gast des Erzherzogs gewesen ist.« – »Wie? Ihr habt bei dem teutonischen Weinschlauch gespeist?« sagte Richard. »Was hat ihn denn zu diesem Aufzuge bewogen? Herr Konrad, ich habe Euch stets für einen fröhlichen Gesellschafter gehalten, drum wundre ich mich, daß Ihr das Gelage schon jetzt verlassen habt.«

Thomas von Vaux hatte sich hinter dem Könige zurückgezogen und suchte dem Marquis begreiflich zu machen, daß er dem Könige nichts von den letzten Vorgängen melden möchte, aber Konrad verstand oder beachtete die Weisung nicht... »Was der Erzherzog tut,« sagte er, »ist für niemand von Bedeutung, für ihn selbst aber am wenigsten, weil er wahrscheinlich nicht weiß, was er tut. Immerhin ist es ein Jux, an dem ich keinen Teil haben möchte. Er vermißt sich, Englands Banner vom St. Georgenberg zu reißen und sein eigenes dort aufzupflanzen.« – »Was sagst Du?« rief der König in einem Tone, der Tote hätte wecken können. – »Erregt Euch nicht über Narreteien!« sagte der Marquis.

»Kein Wort mehr!« rief Richard, sprang von seinem Lager auf und warf sich mit einer ans Wunderbare grenzenden Geschwindigkeit in seine Kleider; »kein Wort, Marquis, kein Wort, Thomas von Vaux, Hakim, schweig, ich befehle es Dir!« Dann nahm er das Schwert, das am Pfeiler des Zeltes hing, und stürzte, ohne andere Waffen oder Begleitung zu verlangen, hinaus. Konrad hielt die Hände erstaunt empor und wollte mit Thomas von Vaux ein Gespräch beginnen; dieser aber rannte an ihm vorbei und rief einen Stallmeister: »Eile nach Lord Salisburys Quartier! sage ihm, er solle seine Leute zusammenrufen, und dann folge mir zum St. Georgenberg.«

Der Stallmeister eilte mit seinen Leuten in die Zelte der benachbarten Edelleute; die Soldaten fuhren aus ihrer Mittagsruhe auf, an die sie sich in dem heißen Klima schnell gewöhnt hatten. Einige dachten, die Sarazenen seien im Lager, andere, des Königs Leben sei in Gefahr, noch andere, er sei in der Nacht am Fieber gestorben, der Herzog von Österreich habe ihn umgebracht, und dergleichen wilde Gerüchte nahmen ihren Weg durchs Lager.

Der Lärm verbreitete sich schnell. Von den vielen christlichen Völkern, die hier versammelt waren, eilten Mannen über Mannen zu den Waffen. Zum Glück war Graf Salisbury mit seinen tüchtigsten Reisigen dem Könige auf der Stelle zu Hilfe geeilt, der ohne einen Augenblick auf das Geschrei und den Tumult zu achten, halb angekleidet, mit dem Schwert in der Scheide unter dem Arm, nur von Thomas von Vaux und einigen Dienern begleitet, den Weg zum St. Georgenberg hin rannte. Er wurde schnell inne, daß bis zum Quartier seiner tapferen Truppen von Poitou, Gascogne, Anjou und der Normandie noch nichts von dem Lärme gedrungen war. Der Ritter vom Leoparden allein hatte den König bemerkt. Schlimme Gefahr ahnend, griff er nach seinem Schild und Schwert und schloß sich an Thomas von Vaux an, der nicht ohne Mühe mit seinem feurigen Gebieter Schritt hielt. Der König kam bald in die Nähe des St. Georgenberges, gefolgt von herzoglichen Mannen sowie von Leuten der verschiedenen Völker, die unwillig über die Engländer oder neugierig auf den Ausgang des ungewöhnlichen Ereignisses waren. Durch dieses Menschengewühl drang Richard, unbekümmert, ob sich die rollenden Wogen desselben hinter ihm schließen oder über ihn hinwegbrausen würden. Oben auf der Anhöhe, auf einer kleinen ebenen Fläche, standen die beiden Banner aufgepflanzt, die sich um den Vorrang stritten, umringt von den Anhängern des Erzherzogs. Darunter stand dieser, dem Beifall lauschend, mit dem seine Mannen nicht geizten. Da schoß, nur von zwei Rittern gefolgt, in seiner tollkühnen Stärke aber einer unbezwinglichen Schar gleich, König Richard unter sie. »Wer hat es gewagt,« rief er mit donnerndem Tone, die Hand an die österreichische Standarte legend, »diesen elenden Lappen neben Englands Banner zu hängen?«

Dem Erzherzog fehlte es nicht an Mut, und solche Frage unbeantwortet zu lassen, war nicht möglich. Gleichwohl schien er durch Richards völlig unerwartete Ankunft so erschrocken und hatte, gleich allen Kreuzfahrern, vor dessen feurigem und trotzigem Charakter so großen Respekt, daß dieser die Frage zweimal wiederholen mußte, ehe der Erzherzog zu antworten vermochte: »Ich, Leopold von Oesterreich!« – »Dann soll Leopold von Oesterreich sehen, was sein Banner bei Richard von England gilt!« und er stieß den Fahnenstock um, zerbrach ihn und warf die Fahne auf den Boden. Dann setzte er den Fuß darauf... »So stampfe ich das österreichische Banner in Grund und Boden,« rief er. »Wer von Euren Rittern wagt es, mich meiner Tat anzuklagen?«

»Ich – ich – und ich!« hörte man von vielen Rittern aus dem Gefolge des Erzherzogs, und er selbst blieb nicht zurück... »Was zögern wir?« rief Graf Wallenrode, ein riesenhafter Krieger von Ungarns Grenze... »Edle Ritter und Waffenbrüder, laßt uns die Ehre des Vaterlandes schützen vor Schmähung durch englischen Stolz!«

Mit diesen Worten zog er sein Schwert und hätte König Richard sicher einen tödlichen Streich versetzt, hätte nicht Kenneth, der Schotte, ihn mit seinem Schilde aufgefangen.

»Ich habe geschworen,« rief König Richard, »niemals nach einem Ritter zu schlagen, dessen Schulter das Kreuz trägt. Drum sollst Du leben, Wallenrode, aber Richards von England gedenken!« Mit diesen Worten faßte er den Ungar um den Leib und schleuderte ihn mit unvergleichlicher Kraft und Gewandtheit so wuchtig nach rückwärts, daß er über den Kreis der erschreckten Ritter hinweg und den Abhang hinunter flog, wo er mit verrenkter Schulter wie ein Toter liegen blieb. Dieser Beweis von beinahe übernatürlicher Kraft ließ es weder dem Herzog noch jemand aus seinem Gefolge geraten erscheinen, den Kampf aufzunehmen. Zwar wurden noch Stimmen laut: »Haut den englischen Hund in Stücke!« Aber die meisten riefen, ob nun aus Furcht oder aus Achtung der Manneszucht: »Frieden! Frieden! im Namen des Kreuzes, der heiligen Kirche und des heiligen Vaters!«

In diesem Augenblick erschien Philipp von Frankreich, von einigen seiner Edlen begleitet, auf der Bühne, höchlich erstaunt, den König von England auf den Beinen und gegenüber dem Erzherzog von Oesterreich, ihrem gemeinschaftlichen Bundesgenossen, in drohender Stellung zu sehen. Richard errötete, von Philipp, dessen Klugheit er achtete, wenn ihm auch seine Person mißfiel, in einer Situation getroffen zu werden, die weder seiner Würde als Monarch noch seinem Charakter als Kreuzfahrer ziemte.

»Was bedeutet diese Zwietracht zwischen Kreuzrittern, die sich brüderliche Liebe gelobt haben?« fragte in strengem Tone König Philipp, »wie kann es geschehen, daß die edelsten Pfeiler dieses heiligen Unternehmens – «

»Mit Verlaub, König von Frankreich,« erwiderte Richard, empört darüber, daß er sich auf gleichen Fuß mit dem Erzherzog gesetzt sah. »Die Waffen ruhen zur Zeit im Lager und doch hat dieser Fürst oder Herzog oder Pfeiler, wenn Ihr wollt, ihn gebrochen aus Uebermut, und ich habe ihn dafür gezüchtigt.« »König Philipp,« versetzte der Erzherzog, »ich appelliere an Euch wegen des Schimpfes, den dieser Mann mir angetan, indem er mein Banner umstürzte, zerfetzte und mit Füßen trat.« – »Weil er so verwegen war, es neben das meinige zu pflanzen,« entgegnete Richard. – »Dazu hielt ich mich durch meinen Rang berechtigt,« rief der Erzherzog, durch Philipps Gegenwart ermutigt. – »Behauptest Du, mir gleich an Rang zu sein,« rief König Richard, »so will ich, beim heiligen Georg, Dich ebenso mit Füßen treten wie den gestickten Fetzen, den Du aus irgend einem Winkel frech hervorgeholt hast.«

»Geduld, mein Bruder von England,« antwortete Philipp, »ich will Leopold zeigen, daß er im Unrecht ist. Wähne nicht, edler Herzog,« fuhr er fort, »daß wir, die unabhängigen Fürsten des Kreuzzuges, dem königlichen Richard dadurch einen höheren Rang einräumen, daß wir dem Banner Englands den höchsten Standpunkt in unserem Lager vergönnen. Das wäre widersinnig, da selbst die Oriflamme, Frankreichs großes Banner, trotzdem der königliche Richard Frankreichs Vasall auf Grund seines in Frankreich gelegenen Besitzes ist, hier einen niedrigeren Platz einnimmt als Englands Löwen. Aber als Brüder des Kreuzes, als Pilger, die unter Verzicht auf alle Pracht und Eitelkeit dieser Welt mit dem Schwerte sich den Weg nach dem heiligen Grabe bahnen, haben wir in Rücksicht auf den hohen Ruhm und die großen Waffentaten König Richards ihm den Vorzug zugestanden, der ihm aus anderen Beweggründen nicht gewährt worden wäre. Ich bin überzeugt, daß Eure Königliche Hoheit in Erwägung dieser Umstände sich nicht besinnen werden, Bedauern darüber zu äußern, daß Ihr Euer Banner an dieser Stelle aufgepflanzt habt, und daß dann Englands königliche Majestät wegen der Euch zugefügten Schmach Euch die Genugtuung nicht verweigern wird.«

Der Herzog brummte, er wollte seine Beschwerde bei der Bundesversammlung vorbringen, und Philipp bewilligte dieses Vorhaben, weil solcher dem Ansehen der Christenheit nachteilige Zwist auf diese Weise am besten gehoben werde. König Richard ließ Philipp ruhig ausreden, rief aber dann: »Das Fieber hat mich noch nicht verlassen, Bruder von Frankreich, aber Du kennst mich und weißt, daß ich niemals viel Worte mache. So wisse, daß ich Englands Ehre weder durch Fürsten, noch durch den Papst, noch durch die Ratsversammlung herstellen lasse. Hier steht mein Banner – und wäre auch die Oriflamme, von der Du wohl eben sprachst, neben ihm aufgepflanzt worden, so sollte sie, das sage ich hier vor allen Anwesenden, keine andere Behandlung erfahren als dieser mit Schimpf beladene Lumpen.« – »Nun,« flüsterte der Hofnarr seinem Begleiter zu, »das ist ja Narrheit, wie aus meinem Munde; indessen dünkt mich, es gibt in dieser Sache vielleicht noch einen größern Toren als Richard selbst.« – »Und wer wäre das?« fragte der Spruchmeister. – »Philipp von Frankreich,« sagte der Hofnarr, »wenn nicht unser königlicher Herzog, sobald nämlich einer von ihnen auf die Herausforderung anbeißt... Aber, höchst weiser Spruchmeister, was hätten wir beide für Könige abgegeben, da doch Richard und Philipp uns als Narr und Sprecher so vollständig geschlagen haben?«

Unterdes erwiderte Philipp ruhig auf Richards maßlose Herausforderung: »Ich bin nicht gekommen, neuen Streit zu entzünden, der unserem heiligen Eidschwur und der heiligen Sache, der wir dienen, zuwider wäre. Ich scheide darum von meinem Bruder Richard, wie Brüder voneinander scheiden sollen, und zwischen uns soll kein anderer Wettstreit sein als der, wer von uns am tiefsten in die Reihen der Ungläubigen dringt.« – »So sei es, mein königlicher Bruder,« versetzte Richard, ihm seine Hand mit jener Offenheit reichend, die seinem heftigen, aber edelmütigen Charakter eigen war. »Vielleicht bietet sich bald Gelegenheit, daß wir uns in einem tapferen Ringen versuchen.«

»Laß den edlen Erzherzog an dem Glück dieses Augenblicks teilnehmen,« sagte Philipp.

Leopold trat, halb mürrisch, halb willens, sich zu vergleichen, näher.

»Toren haben für mich so wenig Erinnerungswert wie ihre Torheiten!« sagte Richard gleichgültig, worauf der Erzherzog ihm den Rücken wandte und sich entfernte. Richard sah ihm nach ... »Ein absonderlicher Mut, dessen Glut an Johanniswürmchen erinnert,« sagte er, »bloß in der Nacht sichtbar. – Ich darf dies Banner im Dunkel nicht unbewacht lassen; am Tage reicht der Blick der Löwen hin, es zu schützen. Thomas von Gilsland, Du sollst die Aufsicht über die Standarte führen. Bewache die Ehre Englands!« – »Englands Wohlfahrt ist mir noch teurer,« entgegnete Thomas von Vaux, »und Richards Leben ist Englands Heil und Sicherheit. Eure Königliche Hoheit muß sich daher wieder ins Zelt verfügen, und zwar ohne Aufschub.« – »Du bist ein rauher, gebieterischer Krankenwärter,« versetzte der König lächelnd und wandte sich hierauf zu Ritter Kenneth: »Tapferer Schotte, ich bin Dir eine Gnade schuldig und will sie Dir reichlich gewähren. Da steht das Banner Englands. Bewache es, wie ein junger Krieger seine Rüstung nachts vor dem Ritterschlage. Weiche nicht auf Speerweite von ihm, und verteidige es mit Leib und Leben gegen Schmach und Schimpf. Stoß in Dein Gifthorn, wenn mehr als drei zu gleicher Zeit Dich angreifen sollten. Uebernimmst Du dieses Amt?« – »Gern und willig,« versetzte Kenneth, »und ich stehe mit meinem Kopfe dafür, daß es treu und redlich verwaltet wird. Ich hole meine Waffen und kehre sogleich zurück.«

Die Könige von Frankreich und England verabschiedeten sich von einander, ihren Groll unter scheinbarer Höflichkeit verbergend. Richard grollte Philipp um seiner Einmischung willen, und Philipp grollte Richard um der geringschätzigen Art willen, wie er die Vermittlung aufgenommen hatte.

Diese Ereignisse wurden von den verschiedenen Völkern verschieden beurteilt, und während die Engländer den Erzherzog beschuldigten, die erste Veranlassung zum Zwiste gegeben zu haben, wälzten die Oesterreicher und andere Völker den Haupttadel auf den Hochmut Richards.

»Du siehst,« sagte der Marquis von Montserrat zum Großmeister des Templerordens, »daß seine Kunstgriffe mehr als Gewalt ausrichten. Ich habe die Bande gelockert, bald wirst Du sie reißen sehen.«

»Ich möchte Deinen Plan gutheißen,« erwiderte der Templer, »wenn es nur einen einzigen unter diesen kaltblütigen Oesterreichern gegeben hätte, der die Bande, von denen Du sprichst, mit seinem Schwerte trennte. Gelöste Knoten lassen sich wieder knüpfen; aber eine Schnur, wenn sie einmal zerhauen ist, nicht wieder zusammenfügen!«

Zwölftes Kapitel

Zur Ritterzeit galt ein gefährlicher Posten oder ein gefahrvolles Abenteuer als eine Belohnung kriegerischer Tapferkeit; aber solcher Ritter glich dann dem Kletterer, der einen steilen Hang bezwungen hat und sich vor weiteren schwierigen Punkten sieht.

Es war Mitternacht. Der Mond stand hell am Himmel, als Kenneth von Schottland seine Wache am St. Georgenberg bezog, nahe dem Banner Englands. Ein stolzer Gedanke jagte den andern in der Seele des Kriegers. Das Feuer seiner ehrgeizigen Liebe entflammte seinen kriegerischen Mut. König Richard hatte ihm die Auszeichnung zuteil werden lassen, Englands königliches Banner zu hüten, und so war er kein fahrender Ritter mehr von geringer Bedeutung; er war der Aufmerksamkeit der Prinzessin näher gerückt, wenn er ihr auch örtlich noch immer so fern stand wie früher. Er hatte jetzt reichlich Muße, seinen hochstrebenden Gedanken nachzuhängen. Die Natur ringsumher ruhte im stillen Mondschein oder tiefen Schatten. Die langen Zeltreihen lagen still wie die Gassen einer verödeten Stadt. Neben dem Fahnenstabe lag ein großer Windhund, sein einziger Kamerad; das edle Tier schien seine Aufgabe zu begreifen, denn es hob die Augen von Zeit zu Zeit nach den reichen Falten der schweren Fahne empor; und wenn der Ruf der Schildwachen von anderen Posten herüberklang, antwortete der Hund mit seinem Gebell, zum Zeichen, daß er auch auf seinem Posten wach sei. Dann und wann senkte er den schmalen Kopf und wedelte mit dem Schwanze, wenn sein Herr an ihm vorüberschritt oder, in Gedanken verloren, auf die Lanze gelehnt, zum Himmel emporsah. Dann schob er wohl auch, gierig nach einer Liebkosung, die große rauhe Schnauze in den Panzerhandschuh des Ritters.

Plötzlich ließ er ein grimmiges Knurren hören und schien willens, nach der im Schatten liegenden Seite zu springen.

»Wer da?« rief Kenneth, der dort etwas kriechen sah. – »In Merlins und Maugis Namen,« erklang eine heisere, widerwärtige Stimme, »binde Deinen vierbeinigen Satan an, oder ich komme nicht zu Dir.« – »Wer bist Du?« sagte Kenneth, ohne die Gestalt unterscheiden zu können. »Nimm Dich in acht – ich stehe hier auf Tod und Leben!« – »Halte Dein langbeiniges Vieh fest!« rief die Stimme, »oder ich beschwöre ihn durch einen Bolzen meiner Armbrust.«

Kenneth hörte in diesem Augenblick einen Ton, als ob eine Armbrust gespannt würde. – »Laß Deine Armbrust und tritt ins Mondlicht,« sagte der Schotte, »oder, beim heiligen Andreas, ich spieße Dich an den Boden, was oder wer Du seist!«

Mit diesem Rufe faßte er seine Lanze in der Mitte und schwang sie, als wolle er sie schleudern, schämte sich aber alsbald dieser Absicht und stieß sie wieder in den Boden. Da sah er ein verkrüppeltes Wesen aus dem Schatten heraustreten, und er erkannte einen der beiden Zwerge, die er in der Kapelle von Engaddi erblickt hatte. Er gab seinem Hunde ein Zeichen, der sich knurrend neben der Fahnenstange niederlegte. Der Zwerg kroch keuchend die Höhe herauf. Als er den Gipfel erreicht hatte, nahm er, sich in wichtige Positur setzend, seine Armbrust in die linke Hand und reichte dem Ritter vornehm die Rechte, wie zum Kusse. Da sich der Ritter aber zu keinem Kusse bequemte, fragte er in scharfem, ärgerlichem Tone: »Krieger, warum zollst Du dem Nectabanus nicht die Huldigung, die seiner Würde gebührt? oder hättest Du ihn etwa vergessen?« – »Großer Nectabanus,« entgegnete der Ritter, von dem Wunsche beseelt, die üble Laune des Kleinen zu besänftigen, »das möchte wohl jedem schwer fallen, der Dich einmal gesehen hat. Verzeihe indes, daß ich als Soldat auf Posten keinem erlauben kann, in den Bezirk meiner Wache zu treten.« – »Schon gut,« sagte Nectabanus. »Doch müßt Ihr mir sogleich zu denen folgen, die mich hergesandt haben, Euch zu rufen.« – »Auch darin kann ich Dir nicht willens sein,« erwiderte der Ritter, »denn bis zum Tagesanbruch muß ich bei diesem Banner bleiben.« Darauf schritt er wieder auf und ab, entging aber der Zudringlichkeit des Zwerges dadurch nicht ... »Ihr müßt mir gehorchen, Herr Ritter,« sagte er, ihm den Weg versperrend, »wie es Eure Pflicht ist, oder ich befehle es Euch im Namen einer Person, deren Hoheit den Unsterblichen gebieten könnte, wenn sie auf die Erde niederstiegen.«

Eine kühne Vermutung stieg in Kenneths Seele auf; er unterdrückte sie jedoch. Daß ihm die Dame seines Herzens solche Botschaft durch solchen Boten sende, hielt er für unmöglich und doch zitterte seine Stimme, als er antwortete: »Nectabanus, sage mir offen und ehrlich, ist die Dame, von der Du sprichst, auch nicht etwa die Houri, mit der ich Dich in die Kapelle kehren sah?« – »Anmaßender,« entgegnete der Zwerg, »wähnst Du, die Dame unserer Neigung, die unsere Größe und Ehren teilt, werde sich herablassen, solchem Vasallen, wie Dir, solchen Befehl zu senden? Nein, so hoch Dich die Menschen auch ehren mögen, so hast Du doch die Aufmerksamkeit der Königin Genievra, der Braut Arthurs, noch nicht auf Dich lenken können ... Doch sieh hier das Zeichen! Gehorche also derjenigen von Englands Damen, die es in Deine Hand legt.«

Er gab nun dem Ritter einen Rubinring, den dieser auf der Stelle als jener hohen Dame gehörig erkannte, deren Dienst er sich geweiht hatte. Stumm vor Erstaunen, dies Zeichen in solchen Händen zu erblicken, rief er: »Im Namen aller Heiligen, von wem empfingst Du diesen Ring?« – »Verliebter, törichter Ritter,« erwiderte der Zwerg, »was willst Du mehr wissen, als daß Dich eine Prinzessin beehrt mit Befehlen eines Königs? Zu weiterer Verhandlung mit Dir gelüstets uns nicht, aber wir befehlen Dir kraft dieses Ringes, uns zu der Dame zu folgen, der er gehört. Zögere nicht, denn Du versündigst Dich am Herzen derselben!« – »Guter Nectabanus,« sagte der Ritter, »weiß meine Dame, wo ich mich heute nacht befinde? Weiß sie, daß mein Leben und meine Ehre davon abhängen, daß ich dies Banner bis zu Tagesanbruch bewache? Kann es ihr Wunsch sein, daß ich es verlasse, um ihr meine Huldigung zu zollen? – Nein! nein! die Prinzessin beliebt mit ihrem Diener zu scherzen, und um so mehr muß ich das glauben, als sie solchen Boten gewählt hat.« – »Bleibt bei diesem Glauben!« entgegnete Nectabanus, sich umwendend, als ob er sich entfernen wollte. »Mich kümmerts wenig, ob Ihr gegen das königliche Fräulein als Verräter handelt oder nicht. Lebt wohl!« – »Bleib – bleib – ich bitte Dich, bleib!« rief Kenneth. »Beantworte mir nur eine einzige Frage! Befindet sich die Dame, die Dich schickt, hier in der Nähe?« – »Was liegt daran?« entgegnete der Zwerg. »Rechnet die Treue nach Entfernung? Demungeachtet, argwöhnische Seele, will ich Dir sagen, daß Deine Dame sich nicht weiter von hier befindet, als ein von meiner Armbrust abgeschossener Bolzen reicht.« – »Sage mir, Nectabanus,« fragte der Ritter, den Ring nochmals betrachtend, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung vorliege, »wird mein Besuch verlangt zu einer bestimmten Zeit und Stunde?« – »Zeit und Stunde?« entgegnete Nectabanus; »was nennt Ihr Zeit? was nennt Ihr Stunde? Könnt Ihr eins von beiden fassen? Wird Zeit und Stunde des Ritters anders als nach den Taten gemessen, die er für Gott und seine Dame verrichtet?« – »Nectabanus!« rief der Ritter; »fordert meine Dame wirklich eine Tat von mir in ihrem Namen, um ihrer selbst willen? und laßt sie sich nicht bis zum Tagesanbruch aufschieben?« – »Du sollst auf der Stelle kommen,« versetzte der Zwerg, »und darfst nicht so viel Zeit verlieren, als zehn Körner brauchen, durch die Sanduhr zu laufen. Vernimm, argwöhnischer, fischblütiger Ritter, ihre eigenen Worte: »Sag ihm, die Hand, die Rosen fallen ließ, kann Lorbeeren verleihen.««

Bei dieser Anspielung auf ihr Zusammentreffen in der Kapelle von Engaddi erwachten tausend Erinnerungen in der Seele des Ritters, und diese Worte des Zwerges überzeugten ihn von der Echtheit der Botschaft. Es fiel ihm schwer, eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, die ihm die Gunst der Dame seines Herzens verhieß. Der Zwerg trug das Seinige bei, seine Bedenken zu vernichten, denn er erklärte, daß er den Ring wiederhaben müsse, wenn ihn der Ritter nicht begleite ... »Halt, noch einen Augenblick!« rief dieser. Dann murmelte er vor sich hin: »Bin ich ein Untertan oder Sklave König Richards? Bin ich nicht ein freier Ritter, der geschworen hat, seine Dienste dem Kreuzzuge zu weihen? Zu wessen Ehren bin ich hier mit Lanze und Schwert? Allein um unserer heiligen Sache willen, und um meiner verehrten Dame willen.«

»Den Ring, den Ring!« rief der Zwerg ungeduldig, »gib ihn zurück, Du falscher, saumseliger Ritter! Du bist nicht wert, ihn zu berühren oder anzusehen.«

– »Einen Augenblick nur, Nectabanus,« sagte Kenneth, »Wenn nun die Sarazenen gerade jetzt einen Angriff machten? Ich beschwöre Dich noch einmal! sage mir, ist's weit von hier, wohin Du mich führen willst?« – »Nur nach jenem Zelt,« versetzte Nectabanus; »und wenn Ihr es einmal wissen müßt, der Mond glänzt auf der vergoldeten Kugel, die das Dach krönt und die ein königliches Vermögen wert ist.« – »Ich kann augenblicklich zurückkehren,« sagte der Ritter, sich alles Weitere aus dem Sinn schlagend. »Kann man dort das Bellen meines Hundes hören, wenn sich jemand dem Banner nähern sollte? Ich will der Dame zu Füßen fallen und sie bitten, daß sie mich auf meinen Posten zurückkehren lasse ... Roswal, hierher!« rief er dem Hunde zu, seinen Mantel neben das Banner werfend, »wache Du an meiner Statt und laß niemand heran.«

Der Hund sah seinen Herrn an, als wollte er ihm versichern, daß er den Befehl verstehe, setzte sich neben den Mantel, spitzte die Ohren und richtete den Kopf in die Höhe.

»Nun komm, Nectabanus,« sagte der Ritter, »laß uns eilen und den Befehlen, die Du überbringst, gehorchen.« – »Eile, wer will,« entgegnete der Zwerg mürrisch. »Du hast Dir Zeit genug gelassen, meiner Aufforderung zu folgen, ich kann mit Deinen langen Beinen nicht Schritt halten.«

Es gab nur ein Mittel, den Zwerg zu zwingen, der langsamer kroch als eine Schnecke. Der Ritter hob ihn vom Boden auf und trug ihn, ohne sich an seine Bitten zu kehren, bis zu hem Zelt mit dem vergoldeten Dache. Er sah eine kleine Schar von Kriegern dort auf der Erde lagern, die ihm durch die zwischenliegenden Zelte bisher verborgen geblieben war. Verwundert, daß das Klirren seiner Rüstung ihre Aufmerksamkeit nicht weckte, setzte er den Zwerg auf den Boden, um ihn Luft schöpfen zu lassen. So erschrocken und entrüstet derselbe auch über diese Behandlung war, so hütete er sich doch, den Ritter im geringsten aufzubringen, und führte ihn schweigend, ohne jede Klage, zur entgegengesetzten Seite des Zeltes, hob den unteren Teil der Leinwand hoch und winkte dem Ritter, darunter hinweg, und auf diese Weise in das Zelt hinein, zu kriechen.

Der Ritter war unschlüssig. Sich so heimlich in ein Zelt zu schleichen, das vermutlich edlen Damen als Behausung diente, erschien ihm ungehörig. Als er sich aber auf die untrüglichen Zeichen besann, die ihm der Zwerg überbracht hatte, meinte er, annehmen zu müssen, daß er nicht wider ihren Willen handle, und bückte sich. Da hörte er, wie der Zwerg ihm zuflüsterte: »Bleib da, bis ich Dich rufe!« – und dann sah er ihn verschwinden.

Dreizehntes Kapitel

Ein Paar Augenblicke blieb Ritter Kenneth allein und im Dunkel. Jetzt reute es ihn, daß er von seinem Posten gewichen War. Aber an eine Rückkehr, ohne Lady Edith gesehen zu haben, war nicht zu denken. Die Disziplin war nun einmal verletzt, und so war er entschlossen, wenigstens die Dame seines Herrschers zu sehen, die ihn zu solchem Verstoß verleitet hatte. Seine Lage war jedoch nicht die angenehmste. Kein Licht brannte in dem Raume, worin er sich befand. Lady Edith gehörte zum Gefolge der Königin von England, und wenn er hier entdeckt wurde, wenn er bekennen mußte, sich heimlich hier eingeschlichen zu haben, so konnte leicht gefährlicher Verdacht wach werden. Da fing sich der Wunsch in ihm zu regen an, sich wieder unbemerkt zu entfernen, als er auf einmal weibliche Stimmen vernahm. In einem anstoßenden Raume, von ihm nur durch eine Leinwand geschieden, schienen Damen zu lachen und flüstern. Wie er durch den Vorhang sah, brannten dort Lampen, und in ihrem Scheine konnte er einzelne Gestalten erkennen.

»Ruft sie – ruft sie, um unserer lieben Frau willen!« hörte er jetzt eine dieser unsichtbaren Lacherinnen rufen, »Nectabanus, Du müßtest Gesandter bei Hofe werden, denn Du weißt Botschaften auszurichten.«

Die gellende Stimme des Zwerges erklang jetzt, doch so gedämpft, daß Kenneth seine Worte nicht verstand. Er hörte nur einiges von Bier und Wein, womit sich die Wache belustigen solle. »Aber, wie werden wir den Geist wieder los, Mädchen, den Nectabanus zitiert hat?« – »Hört mich, königliche Frau,« sagte eine andere Stimme, »wenn der weise fürstliche Nectabanus nicht gar zu eifersüchtig ist auf seine erhabene Braut, so wollen wir uns ihrer bedienen, dem fahrenden Ritter begreiflich zu machen, daß edelgeborene Damen seine anmaßende, übermütige Tapferkeit nicht vonnöten haben.« – »Es wäre nicht mehr als billig,« entgegnete eine andere Stimme, »wenn Prinzessin Genievra dem Ritter, den die Weisheit ihres Mannes hergelockt hat, wieder zeigte, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.«

Tief beschämt und zornentbrannt über diese Worte, war Kenneth im Begriff, zu fliehen, als ihn folgende Worte hinderten.

»Nein, wahrlich,« sagte die, die zuerst gesprochen hatte, erst soll Muhme Edith erfahren, wie sich dieser prahlerische Wicht benommen, und wie er gegen seine Pflicht gefehlt hat. Das wird eine gute Lehre für sie sein, denn mir ist schon manchmal der Gedanke gekommen, Calista, daß sie den nordischen Abenteurer gegen alle Vernunft wirklich ins Herz geschlossen hat.«

Eine andere Stimme murmelte etwas von Klugheit und Einsicht. »Klugheit?« lautete die Antwort. »Eitler Stolz ists, und das Verlangen, für strenger zu gelten als wir andern. Ihr wißt doch, wenn sie an uns einen Fehler bemerkt, weiß niemand so höflich darauf hinzuweisen wie Lady Edith. – Aber da kommt sie schon.« Ein Schatten glitt langsam an der Wand hin und verlor sich unter den übrigen Personen.

Trotz der bitteren Täuschung, die er durch eine übermütige Laune der Königin Berengaria erlitten hatte – denn er schloß, daß die mit dem lauten gebieterischen Tone Richards Gemahlin sei, – beruhigte es doch den Ritter einigermaßen, zu wissen, daß Edith keinen Teil an dem Streiche hatte, der ihm mit solcher Hinterlist gespielt worden war. Seine Neugier wurde so lebhaft, daß er seinen Fluchtgedanken aufgab und unruhig durch eine kleine Spalte blickte, um Augen- und Ohrenzeuge dessen zu sein, was sich nun ereignen würde.

Es schien, als warte Edith auf die Befehle der Königin und als wolle diese nicht recht mit der Sprache heraus, aus Furcht vielleicht, daß weder sie noch ihre Gesellschafterinnen imstande sein möchten, ihr Lachen zu unterdrücken; denn Ritter Kenneth konnte halb unterdrücktes Kichern unterscheiden.

»Eure Majestät scheinen in recht fröhlicher Stimmung zu sein,« sagte Edith endlich. »Ich dagegen war schon willens, mich zu Bett zu begeben, als ich Befehl erhielt, Eurer Majestät aufzuwarten.« – »Ich will Dich nicht lange von Deiner Ruhe abhalten, Muhme,« erwiderte die Königin, »doch fürchte ich, Du wirst nicht gut schlafen, wenn ich Dir sage, daß Du Deine Wette verloren hast.« – »Meine Königin,« sagte Edith, »ich bin keine Wette eingegangen.«

»Nun, holde Muhme, der Böse spielt doch, unserer Wallfahrt gar nicht achtend, ein recht böses Spiel mit Dir! Kannst Du leugnen, daß Du Deinen Rubinring gegen mein goldenes Armband setztest, der Ritter vom Leoparden sei nicht von seinem Posten wegzubringen?«

»Eure Majestät,« entgegnete Edith; »diese Damen sind Zeuge, daß Königliche Hoheit mir den Ring vom Finger zog, als ich es nicht für sittsam hielt, auf so etwas zu wetten.«

»Aber, Lady Edith,« sagte eine andere Stimme, »mit Verlaub, Ihr müßt doch zugeben, daß Ihr großes Vertrauen in diesen Ritter setztet?« – »Und wenn das der Fall war,« entgegnete Edith unwillig, »ist das ein Grund für Dich, der Laune Ihrer Majestät das Wort zu reden? Ich habe kein Wort mehr von ihm gesprochen, als Ihr und alle, die ihn im Felde gesehen, und hatte kein höheres Interesse, ihn zu verteidigen, als Ihr, ihn herabzusehen.« – »Fräulein Edith,« sagte eine dritte Stimme, »hat es Calista und mir nie verzeihen können, daß wir Eurer Majestät erzählten, sie habe zwei Rosenknospen in der Kapelle fallen lassen.« – »Wenn Eure Majestät,« antwortete Edith, »mich nur zu dem Zwecke herbeschieden, daß ich mir die Sticheleien der Kammerfrauen anhören soll, so möchte ich bitten, mich wieder zu entlassen.« – »Still, Florisa!« sagte die Königin, »laßt Euch nicht durch unsere Güte verleiten, den Abstand zwischen Euch und einer Verwandten des Königs außer acht zu setzen. Du aber, liebe Muhme,« fuhr sie fort, wieder in ihren spöttischen Ton zurückfallend, »solltest uns Armen doch ein bißchen Lachen nicht mißgönnen, nachdem wir so viele Tage in Sack und Asche gebüßt haben.« – »Ich gönne Euch alle Freude, meine Königin,« erwiderte Edith, »doch werde ich wohl mein ganzes Leben lang nicht wieder lachen, ehe ich nicht – «

Sie brach ab, wahrscheinlich aus Ehrerbietung gegen die Königin, doch hörte Kenneth ihren Worten die starke Erregung an, die ihr Gemüt beherrschte.

»Verzeih mir,« sagte Berengaria, »verzeih der leichtsinnigen, aber lustigen Prinzessin aus dem Hause Navarra. Worauf läuft denn im Grunde der ganze Jux hinaus? Ein junger Ritter ist durch List hierher gelockt worden, hat sich von seinem Posten entfernt oder locken lassen, aber um Deinem Helden Gerechtigkeit zu lassen, meine Liebe, Nectabanus hat ihn nicht anders bestimmen können, als indem er ihn beschwor in Deinem Namen!« – »Gerechter Himmel, Majestät!« rief Edith bewegt, »das vertrüge sich weder mit Eurer noch meiner Ehre! Sagt, daß Ihr nur scherzet, und verzeiht, daß ich Eure Aeußerung auch nur einen Augenblick ernst nehmen konnte!« – »Lady Edith ists leid um den Ring, den wir ihr abgenommen haben,« sagte die Königin unmutig. »Wir wollen Dir das Pfand wiedergeben, liebe Muhme, das ihn bestimmte, herzukommen; es liegt uns wenig am Köder, nachdem der Fisch angebissen.« – »Eure Majestät wissen nur zu gut,« erwiderte Edith, »daß Sie nichts wünschen können, was Ihnen augenblicklich zu Gebote stände. Aber einen ganzen Scheffel Rubine opferte ich lieber als meinen Ring oder Namen, um einen wackeren Menschen zu einem Fehltritte zu verleiten, der ihm Ungnade und Strafe zuziehen muß.« – »O, also um das Wohl unseres treuen Ritters sind wir in Besorgnis?« sagte die Königin. »Du schätzest Unsere Macht zu gering, liebe Muhme, wenn Du von Strafe sprichst gegen jemand, mit dem Wir, Englands Königin, Unsern Scherz getrieben haben! auch für andere Damen schlagen Kriegerherzen,, nicht bloß für Dich! glaube mir, ich gelte genug bei Richard, um diesen Ritter, an dessen Schicksal Lady Edith so großen Anteil nimmt, vor Strafe zu schützen.«

»Königliche Gebieterin,« rief Edith, und Ritter Kenneth hörte tief ergriffen, daß sie sich der Königin zu Füßen warf – »um der heiligen Jungfrau willen, seid vorsichtig! Ihr kennt König Richard nicht, seid erst seit kurzem mit ihm vermählt! Eher könnte Euer Atem den wildesten Sturm hemmen, als Eure Zunge meinen königlichen Verwandten bewegen, einen Fehltritt im Dienste nachzusehen. Um Gottes willen, entlaßt den Ritter, wenn Ihr ihn wirklich hergelockt habt. Lieber litte ich die Schande, ihn gerufen zu haben, als die Unruhe, daß er noch nicht an den Ort zurückgekehrt, wohin ihn seine Pflicht ruft.« – »Steh auf, Muhme, steh auf!« sagte die Königin: »sei überzeugt, es wird alles besser gehen, als Du glaubst. Es tut mir leid, mit einem Ritter, an dem Du so lebhaften Anteil nimmst, Scherz getrieben zu haben. – Aber ringe doch nicht die Hände! Nectabanus soll den Ritter zu seinem Posten zurückführen: Wir aber wollen ihn künftig mit unserer Gnade beehren und bei unserm Gemahl alle Schuld auf uns nehmen... Ich wette, er wartet in irgend einem Nachbarzelt.« – »Bei meiner Lilienkrone und meinem Rohrszepter!« sagte Nectabanus, »Eure Majestät irren sich, er ist näher bei der Hand, als Ihr wißt. Er liegt hinter jener Scheidewand verborgen.« – »Und hätte jedes Wort mit angehört, das wir gesprochen haben?« rief die Königin zornig. »Hinaus, mit Dir, Du Ungeheuer von Narrheit und Bosheit!«

Nectabanus entfloh mit einem so gellenden Geschrei, daß es dem Ritter zweifelhaft blieb, ob Berengaria ihren Vorwürfen nicht noch einen Denkzettel angehängt hätte.

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