Zweiter Band

Erstes Kapitel

Die englischen Handelsleute lenkten nun ihre Schritte zum Hofe des Herzogs von Burgund, nachdem sie im Verein mit den Schweizern beschlossen hatten, der Gesandtschaft vorauszuziehen. Sie ritten dahin, gleich Männern, die tief in ihre eigenen Betrachtungen versunken sind, und redeten wenig miteinander. Der Adel in der Natur des älteren Philippson und seine Hochachtung vor der Redlichkeit des Landammannes, verbunden mit der Dankbarkeit für dessen Gastfreundschaft, hatten ihn bewogen, seine Sache nicht von der der Schweizer Abgeordneten zu trennen, auch bereute er keineswegs die Großmut, die in seiner Anhänglichkeit an diese ehrlichen Leute lag. Wenn er aber das Wesen und die Beschaffenheit der persönlichen Angelegenheiten erwog, die er selber mit einem hochfahrenden, herrschsüchtigen und reizbaren Fürsten abzumachen hatte, konnte er es nur beklagen, daß zu seiner für ihn und seine Freunde hochwichtigen Sendung nun noch die Botschaft von Männern hinzugekommen war, die dem Herzoge von Burgund verhaßt waren; und wie dankerfüllt er auch für die auf Geierstein genossene Bewirtung war, so beklagte er doch die Verhältnisse, die ihn sie anzunehmen genötigt hatten.

Die Gedanken Arthurs waren nicht minder beklemmend. Abermals sah er sich von dem Wesen getrennt, zu dem stets seine Gedanken, fast ganz wider Willen, zurückkehrten. Und diese zweite Trennung hatte stattgefunden, nachdem er Anna von Geierstein nur noch innigeren Dank schuldig geworden war, und dabei fand er von neuem nur noch geheimnisvollere Nahrung für seine erhitzte Einbildungskraft. Wie sollte er das Gemüt und die äußere Schönheit Annas, die er als ein so liebliches, redliches, reines und einfaches Mädchen kennen gelernt hatte, mit denen der Tochter eines Weisen und Elementargeistes vereinbaren, für die die Nacht gleich dem Tage und ein undurchdringlicher Kerker nichts anderes als eine rings offene Säulenhalle war? Konnten beide einunddasselbe Wesen sein? Oder, da sie sich genau an Gestalt und Gesichtszügen glichen, war die eine ein Geschöpf dieser Erde, die andere bloß ein gespenstisches Wesen, dem es gestattet ist, sich unter den Lebenden zu zeigen? Vor allem sollte er sie niemals wiedersehen, nie von ihren eigenen Lippen eine Erklärung der Geheimnisse vernehmen, die so mystisch mit seinen Erinnerungen an das Mädchen verflochten waren? Das waren die Fragen, die das Gemüt des jungen Reisenden beschäftigten und ihn hinderten, die Träumereien, in die sein Vater versunken war, zu unterbrechen.

Das linke Ufer des Rheines, das zum größten Teil zum Reiche Karls von Burgund gehörte, befand sich unter dem geregelten Schutze ordentlicher Obrigkeiten, die mit Hilfe großer Scharen von Söldnern ihres Amtes walteten. Diese wurden von Karl aus seinem Privatschatze besoldet; er sowohl als sein Nebenbuhler Ludwig, und andere Potentaten jener Zeit, hatten ausfindig gemacht, daß das Lehnswesen ihren Vasallen zur Unabhängigkeit verhalf, weshalb sie auf den Gedanken gerieten, an dessen Statt ein stehendes Heer zu errichten, das aus Freigenossen und Söldnern von Handwerk bestand. Italien lieferte die meisten dieser Scharen, die den Kern von Karls Truppen, mindestens denjenigen Teil ausmachten, auf den er das meiste Vertrauen setzte.

Unsere Reisenden setzten deswegen ihren Weg am Ufer des Rheins ungefährdet fort, bis endlich der Vater, nachdem er eine Weile die Person des von Arthur angenommenen Führers betrachtet hatte, plötzlich seinen Sohn fragte, wer oder was der Mann wäre. Arthur versetzte, in seinem Eifer einen Menschen zu finden, der des Weges genau kundig und gern bereit wäre, sie ehrlich zu führen, hätte er nicht sonderlich nach des Mannes Stand und Beschäftigung gefragt; dem Aeußern nach, sei er wohl einer jener wandernden Geistlichen, die mit Reliquien, Ablaß und anderen kirchlichen Nichtigkeiten durch das Land zögen, und die man im allgemeinen, das jüngere Volk ausgenommen, gering schätzte, weil diese Verkäufer von Gegenständen des Aberglaubens nicht selten sich grober Betrügereien schuldig machten.

Des Mannes Aeußere glich eher dem eines andächtigen Laien oder Pilgers, der auf seiner Wanderschaft verschiedenen Altären sich nahen mußte, als dem eines Almosen sammelnden Bruders oder Bettelmönches. Er trug den Hut, den Brotsack und das härene Gewand eines solchen. Sankt Peters Schlüssel, aus einem scharlachroten groben Stücke Zeuge, war auf dem Rücken seiner Kutte, und zwar, wie Wappenkundige es nennen, in Form eines Andreaskreuzes plump aufgenäht. Er schien ein Mann von fünfzig Jahren und darüber zu sein, wohl gebaut und rasch für sein Alter, mit einem Angesicht, das zwar nicht häßlich, jedoch auch nichts weniger als wohlgestaltet war. Seine Augen und Gebärden verkündeten Schlauheit und standen daher im Widerspruch mit dem scheinheiligen Benehmen, das sein Stand ihm auferlegte. Dieser Unterschied zwischen seiner Kleidung und seiner Gesichtsbildung war bei Leuten von seiner Art nicht selten, da oft fragwürdige Menschen die Kutte des Mönches mehr als Deckmantel räuberischen und müßigen Wandels, als aus irgend einem gottesfürchtigen Antriebe wählten.

»Wer seid Ihr, guter Mann,« fragte Philippson, »und bei welchem Namen habe ich Euch zu nennen, solange wir Reisegefährten sind?« – »Bartholomäus, Herr,« sagte der Mann, »Bruder Bartholomäus; wiewohl es einem armen Laienbruder kaum zusteht, einen so gelehrt klingenden Namen zu führen.« – »Und wohin führt Deine Reise, guter Bruder Bartholomäus?« – »Allwege dahin, wohin Euer Liebden ziehen wollen,« antwortete der Pilger, »vorausgesetzt, daß Ihr mir gestattet, meine Andacht an den heiligen Orten zu verrichten, durch die wir kommen.« – »Es kommt Dir also nicht darauf an, ein bestimmtes Ziel schnell zu erreichen?« fragte der Reisende. – »Meine Pilgerfahrt hat so viele Zwecke,« antwortete der Mönch, »daß es mir gleichgültig ist, welchen ich zuerst erreiche. Meine Gelübde legen mir auf, vier Jahre lang von Altar zu Altar, von Heiligenbild zu Heiligenbild zu wandern; allein ich bin nicht gebunden, sie in vorgeschriebener Reihenfolge zu besuchen.« – »Das heißt, Dein Pilgerschaftsgelübde hindert Dich nicht, Dich diesem oder jenem Reisenden als Führer zu verdingen?« erwiderte Philippson.

»Wenn ich die Andacht an den Altären der gottgesegneten Heiligen mit einem Dienste vereinigen kann, den ich einem wandernden Mitgeschöpfe erweise, das Führung auf seiner Reise von mir begehrt, so meine ich, daß beides sich miteinander vereinbaren läßt,« sagte Bartholomäus. In diesem Gespräch wurden sie unterbrochen, denn es kamen Fremde hinter ihnen her. Als erste überholte sie eine junge, höchst geschmackvoll gekleidete Dame auf einem spanischen Zelter, den sie mit seltener Anmut und Behendigkeit zu lenken wußte. Sie trug an ihrer rechten Hand einen jener Handschuhe, die man anlegt, wenn man einen Jagdfalken trägt, und ein Lerchenhabicht saß darauf. Ihr Kopf war mit einer Jagdmütze bedeckt, und sie trug, wie es zu jener Zeit häufig der Fall war, vorm Gesichte eine Art schwarzseidener Larve, die allerdings ihre Gesichtszüge verdeckte. Ungeachtet dieser Verhüllung klopfte Arthurs Herz in gewaltigen Schlägen, als er diese Fremde erblickte, denn er war sofort überzeugt, in ihr die unnachahmliche Form des Schweizermädchens zu erkennen, mit welcher seine Seele so unaufhörlich beschäftigt war. Ihre Begleiter waren ein Falkenierer mit seinem Jagdstecken und eine weibliche Person, die beide dem Anscheine nach zu ihrer Dienerschaft gehörten. Der ältere Philippson, dessen Erinnerungsvermögen nicht so lebendig war wie das seines Sohnes, sah in der schönen Fremden nur eine Dame oder ein Fräulein von Bedeutung, die sich auf der Falkenjagd befände, und fragte sie zur Erwiderung ihres schnellen Grußes bloß mit geziemender Höflichkeit, ob sie diesen Morgen gute Beute gemacht hätte.

»Unbedeutende, guter Freund,« sagte die Dame. »Ich darf meinen Vogel nicht so nahe an den breiten Strom fliegen lassen, sonst möchte er mir zum andern Ufer hinüber entwischen und ich mit ihm meinen Gefährten verlieren. Allein ich rechne darauf, ein besseres Wild zu finden, sobald ich die andere Seite der Fähre, der wir uns jetzt nähern, erreicht haben werde.« – »Dann mögt Ihr, edle Dame,« sagte Bartholomäus, »die Messe in der Kapelle hören und um gute Jagd bitten.« – »Ich wäre eine Heidin, wenn ich an dem heiligen Orte vorüberzöge, ohne solches zu tun,« versetzte die Fremde. – »Das, edle Dame, berührt gerade den Punkt, worüber wir eben sprachen,« sagte der Führer Bartholomäus, »denn ich kann diesen werten Herrn nicht überzeugen, wie wichtig es für das Gelingen seines Unternehmens ist, die Segnungen Unserer heiligen Mutter zur Fähre zu erlangen.«

»Der ehrliche Mann,« sagte die junge Dame ernsthaft, ja in etwas strengem Tone, »muß wenig vom Rheine wissen. Ich will diesem Herrn die Notwendigkeit erklären, Euren Rat zu befolgen.« – Nun ritt sie nahe an den jungen Philippson heran und sprach, während sie sich bisher einer rein hochdeutschen Aussprache bedient hatte, in schweizerischer Gebirgsmundart: »Erstaune nicht, sondern höre mich!« und die Stimme war die der Anna von Geierstein. – »Sei nicht bestürzt, sage ich – oder laß Dir mindestens nichts merken! Du bist von Gefahren umringt. Besonders auf dieser Straße ist Eure Absicht bekannt – Eurem Leben wird nachgestellt. Setze bei der Fährkapelle über den Strom.«

Hier drängte sich der Führer so nahe zu ihnen, daß sie es für unmöglich zu halten schien, die Unterredung fortzusetzen, ohne von ihm gehört zu werden. In demselben Augenblick flog eine Schnepfe aus dem nahen Gebüsch auf, und die junge Dame ließ ihren Habicht, den sie auf der Hand trug, hinter ihr her. – »Hussahoh! Hoho! Hoha!« schrie der Falkenierer in einem Tone, von dem rings die Gebüsche widerhallten, und ritt dann hinterdrein. Der ältere Philippson und selbst der Führer folgten mit lebhaften Blicken dem Jagdtiere, so anziehend war jene Jagdweise für Leute aus allen Ständen. Allein über des Mädchens Stimme hätte Arthur noch weit interessantere Dinge außer acht gelassen. »Setzt über den Rhein,« widerholte sie, »auf der Fähre nach Kirchhof. Nehmt Eure Wohnung im Goldenen Vließe, wo Ihr einen Führer nach Straßburg finden werdet. Ich darf hier nicht länger weilen.« – Indem die Dame so redete, erhob sie sich im Sattel, gab ihrem Rosse einen leichten Schlag mit dem locker gehaltenen Zügel, und das feurige Tier, das längst schon ungeduldig geworden war, sprengte mit einer Schnelligkeit davon, als wollte es den Habicht im Fluge einholen. – Die Dame und ihre Begleiter waren bald den Blicken unserer Reisenden entschwunden.

Ein tiefes Schweigen herrschte eine Zeitlang. Arthur sann nach, wie er seinem Vater die erhaltene Warnung mitteilen sollte, ohne den Argwohn ihres Führers zu erregen. Der Vater brach jedoch selbst das Schweigen, indem er zu dem Begleiter sprach: »Setze Deinen Gaul mehr in Bewegung und reite etliche Schritte weit voraus, ich möchte gern mit meinem Sohne allein reden.« – Der Führer gehorchte, und als wollte er die Meinung erwecken, daß sein Gemüt allzusehr mit himmlischen Dingen beschäftigt wäre, um irgend einen Gedanken an diese hinfällige Welt zuzulassen, brüllte er ein Psalmlied zum Preise des heiligen Wendelin, des Hirten, und das in so übelklingenden Tönen, daß die Vögel aus den Büschen aufflogen, an denen er hinritt.

»Arthur,« sagte inzwischen der ältere Philippson, »ich bin fest überzeugt, daß dieser heulende, heuchlerische Landstreicher einen Anschlag gegen uns im Schilde führt; und ich glaube, wir führen ihn am besten irre, wenn ich unsere Nachtherberge und unsere Reiseroute ganz allein bestimme, ohne ihn zu Rate zu ziehen.« – »Eure Folgerung ist richtig wie immer,« sagte sein Sohn, »ich bin ebenfalls überzeugt, daß er ein Verräter ist, denn die Dame, die eben hier war, hat mir zugeflüstert, wir sollten uns nach Straßburg an der Ostseite dieses Stromes wenden und vorerst nach dem gegenseitigen Ufer zu einem Orte übersetzen, der Kirchhof heißt. Und daß ihr Rat getreu ist, dafür will ich mein Leben verpfänden.« – »Wie!« sprach der Vater, »weil die Schöne zu Gaul sitzt und einen fehlerfreien Wuchs zeigt? Das heißt, wie ein Knabe folgern – und doch fühlt mein eigenes altes, vorsichtiges Herz sich geneigt, ihr zu trauen. Wenn unser Geheimnis in diesem Lande kund geworden ist, so gibt es ohne Zweifel viele, die sich ein Verdienst zu erwerben meinen, wenn sie mir den Zutritt zum Herzog von Burgund, selbst durch die gewalttätigsten Mittel, verwehren; und wohl weißt Du, daß ich mein Leben daranzusetzen habe, meine Botschaft auszurichten. Ich sage Dir, Arthur, daß ich mir innerlich Vorwürfe mache, bisher so wenig Sorgfalt auf mein Geschäft verwendet zu haben, indem ich dem natürlichen Wunsche folgte, Dich in meiner Gesellschaft zu wissen. Es liegen jetzt, den Hof des Herzogs zu erreichen, zwei Wege vor uns, die beide gefahrvoll und ungewiß sind. Entweder wir folgen diesem Führer und wagen es auf seine Treue, oder wir nehmen den Wink jenes Fräuleins an und setzen über nach dem andern Ufer, um bei Straßburg dann wieder über den Rhein zu fahren. Beide Wege sind vielleicht auf gleiche Weise gefahrvoll. Ich halte es für meine Pflicht, einem etwaigen Mißlingen meines Auftrages vorzubeugen, indem ich Dich hinüber an das rechte Ufer sende, während ich hier auf dieser Seite weiterziehe. So kann, wenn einer von uns aufgehalten wird, der andere doch wohl entrinnen, und die wichtige Botschaft, die er bei sich führt, genügend ausrichten. Die Pflicht gebeut es uns. Wir müssen uns trennen.«

»Nun denn,« versetzte der Sohn lebhaft, »so setze Du, mein Vater, über den Rhein und laß mich die Reise auf dem anfänglich bestimmten Wege fortsetzen.« – »Und warum, ich bitte Dich,« fragte der Kaufmann, »soll ich gerade diese Straße wählen?« – »Weil,« erwiderte Arthur, »ich mit meinem Leben dafür bürge, daß dieses Mädchen es ehrlich gemeint hat.« – »Schon wieder, junger Mann,« sagte der Vater, »und warum hegst Du soviel Vertrauen zu der Fremden? Kennst Du sie denn etwa näher?« – »Das tut ja doch nichts zur Sache, teuerster Vater,« antwortete der Sohn. »Ich schenke ihr Glauben, wie ich jeder ritterlichen Dame vertrauen würde. Drum nochmals! Setzt Ihr ans andere Ufer hinüber, denn dieses ist der sichrere Weg!« – »Und wäre es der Fall,« sagte der Vater im Tone zärtlichen Vorwurfs, »ist denn das ein Grund, meinen fast abgesponnenen Lebensfaden zu schonen und den Deinigen, mein lieber Sohn, der sich erst zu entwickeln begonnen hat, zu gefährden?«

»Ei, Vater,« entgegnete der Sohn mit Feuer, »wenn Ihr so redet, vergeßt Ihr, daß Ihr weit befähigter seid als ich, die Aufgabe zu erfüllen, der Ihr Euch so lange gewidmet habt und die sich jetzt ihrer Vollendung zu nähern scheint. Ich kenne ja auch den Herzog nicht und würde mich nicht ausweisen können.« – »Du brauchst bloß diese Edelsteine vorzuzeigen, so wird man Deiner Botschaft unstreitig Glauben schenken,« antwortete der Vater. »Ich brauche diese Diamanten minder nötig, da ich mich auf andere Umstände beziehen kann, unter denen ich Glauben finden werde. Sobald sich eine Gelegenheit darbietet, wirst Du also zum jenseitigen Rheinufer hinüberfahren und erst bei Straßburg wieder an dieses Ufer zurückkehren, wo Du Nachrichten von mir in der Herberge zum fliegenden Hirsch finden wirst. Hörst Du dort keine Kunde von mir, so ziehst Du weiter zum Herzog und übergibst ihm die Päckchen.«

Bei diesen Worten legte er so heimlich wie möglich das Kästchen mit dem diamantenen Halsgeschmeide in die Hand seines Sohnes. »Was außerdem noch Deine Pflicht ist,« fuhr der ältere Philippson fort, »das ist Dir wohlbekannt; nur beschwöre ich Dich, verzögere nicht durch müßige Nachfrage nach meinem Schicksale die Ausübung Deiner wichtigen Obliegenheiten! Und somit lebewohl, mein geliebter Sohn Arthur! Wollte ich mit dem Abschiede von Dir bis zu dem Augenblicke unserer Trennung warten, so würde mir nur kurze Frist verliehen sein, das Scheidewort auszusprechen, und kein Auge außer dem Deinigen darf die Träne sehen, die ich mir jetzt abwische.«

Hierauf rief er den gottesfürchtigen Bartholomäus zurück, um ihn zu fragen, wie weit sie sich noch von der Kapelle zur Fähre befänden. »Ein halbes Stündlein,« war die Antwort, und in dieser Zeit erreichten, sie denn auch die Fähre.

Zweites Kapitel

Am jenseitigen Ufer, an einer kleinen, von Wald und Buschwerk gelegenen Höhe lag der Flecken Kirchhof. Wenn das Fährschiff vom linken Ufer abging, wurde es selbst bei günstigen Verhältnissen stark vom Winde abgetrieben, bevor es die entgegengesetzte Seite des tiefen und vollen Rheines erreichen konnte, so daß es im schrägen Kurs nach Kirchhof gelangte. Andererseits mußte ein Kahn, der von Kirchhof abging, große Nachhilfe von Wind und Rudern haben, um mit seiner Ladung oder Mannschaft an der Kapelle zur Fähre anzulegen.

Als der ältere Philippson mit einem einzigen Blick sich von der Beschaffenheit der Fähre überzeugt hatte, sprach er standhaft zu seinem Sohne: »Zieh hin, mein lieber Arthur, und tue, wie ich Dir befohlen habe,« – Mit von kindlicher Besorgnis zerrissenem Herzen gehorchte der Jüngling und schlug seinen Weg nach den einsam gelegenen Hütten ein, neben denen die Kähne lagen, welche sowohl zur Ueberfahrt als gelegentlich zum Fischen benutzt wurden. – »Euer Sohn verläßt uns?« fragte Bartholomäus den älteren Philippson. – »Für den Augenblick, ja,« sagte der Vater, »da er in jenem Weiler gewisse Nachfragen zu halten hat.«

»Sollte diese Nachfrage,« entgegnete der Führer, »Eure Weiterreise betreffen, so kann ich, Preis sei den Heiligen! Eure Frage besser beantworten als jene Tölpel, die kaum Eure Aussprache verstehen.« – »Sollte ihre Auskunft uns unverständlich sein, so werden wir sie uns von Dir erläutern lassen,« sagte Philippson, »unterdessen führ mich zur Kapelle, wo mein Sohn wieder zu uns stoßen wird.«

Sie gingen auf die Kapelle zu, jedoch mit langsamen Schritten, indem beide ihre Blicke seitwärts nach dem Fischerdörfchen wendeten; der Führer, als wollte er erforschen, ob der junge Reisende zu ihnen zurückkehrte, der Vater, um mit Besorgnis wahrzunehmen, ob an der breiten Rheinbucht ein Kahn flott würde, seinen Sohn nach dem Ufer hinüberzutragen, das für das sicherere gehalten wurde. Etliche umher sich erhebende Bäume gaben dem Orte ein angenehmes, waldartiges Aussehen, und die Kapelle, die sich auf einer Erhöhung in einiger Entfernung von dem Weiler erhob, war in gefälliger Einfachheit, die der Gesamtumgebung völlig entsprach, erbaut worden. Ihre geringe Größe bestätigte die Sage, nach der sie ursprünglich eine Fischerhütte gewesen war; und nur ein mit Baumrinde belegtes Kreuz aus Tannenholz zeigte den Zweck an, dem sie jetzt gewidmet war. Die Kapelle, sowie die Umgebung atmeten Frieden und feierliche Ruhe, und das dumpfe Plätschern des gewaltigen Stromes schien jeder menschlichen Stimme, die sich mit dem ehrfurchtgebietenden Murmeln des Wassers hätte vermischen wollen, Stillschweigen zu gebieten.

Als Philippson dem Orte näher kam, benutzte Bartholomäus die Gelegenheit, die das Schweigen des Reisenden ihm darbot, um zwei Strophen zum Preise »Unserer lieben Frau zur Fähre« herzubrüllen, worauf er wie ein Verrückter zu schreien anfing: »Hierher, Ihr, die Ihr Schiffbruch fürchtet, hier ist Euer Hafen! Hierher Ihr, die Ihr verdürstend schmachtet, hier ist ein Gnadenbronn Euch geöffnet! Hierher Ihr, die Ihr müde und weither gereist seid, hier ist Euer Erquickungsort!« Und mehreres dergleichen würde er noch gesagt haben, allein Philippson gebot ihm ernsten Tones zu schweigen. – »Wären Deine Andachtsübungen aufrichtig,« sagte er zu dem Pilgrim, »so würdest Du dabei nicht so schreien; allein es ist wohlgetan, das zu tun, was an sich selbst gut ist, auch wenn ein Heuchler es uns rät. – Laß uns eintreten in diese heilige Kapelle und beten für einen gesegneten Ausgang unserer bedenklichen Reise.«

Der Ablaßkrämer fing die letzten Worte auf. – »Wußte ich doch gewiß,« sprach er, »daß Euer Gestrengen allzu wohl unterrichtet sein müßten, um an diesem heiligen Orte vorüberzugehen, ohne den Schutz und den Einfluß unserer lieben Frau zur Fähre anzuflehen. Verzeihet nur einen Augenblick, bis ich den Priester finde, der diesem Altare dient, daß er zu unserm Heil eine Messe lese.«

Da öffnete sich plötzlich die innere Tür der Kapelle, und ein Geistlicher erschien auf der Schwelle. Philippson erkannte in ihm sofort den Pfarrherrn von St. Paul, den er diesen Morgen in La Ferette gesehen hatte. Auch Bartholomäus erkannte ihn, wie es schien; denn seine amtsmäßige heuchlerische Beredsamkeit versagte ihm für einen Augenblick, und er stand mit über die Brust geschlagenen Armen vor dem Priester, einem Menschen gleich, der sein Verdammungsurteil erwartet. – »Schändlicher!« sprach der Geistliche mit strengem Blick auf den Führer; »leitest Du einen Fremden in die Wohnung der gesegneten Heiligen, daß Du ihn erschlagen und berauben möchtest? Allein der Himmel wird Deine Gottlosigkeit nicht länger dulden. Zurück, Du Elender, zu Deinen verworfenen Gesellen, die hierher eilen. Sage ihnen, daß Deine Ränke nichts fruchteten und der unschuldige Fremde unter meinem Schutze stände. Wer ihm Unheil zufügen will, wird den Lohn erhalten, den Archibald, der Hagenbacher, empfing.« – Der Führer stand ganz bewegungslos, als der Pfarrherr ihn auf so drohende, gebietende Weise anredete; und nicht eher hörte letzterer auf zu reden, als bis Bartholomäus, ohne ein Wort der Rechtfertigung oder des Widerspruches zu wagen, sich wendete und schnellen Schrittes denselben Weg Zurückging, auf dem er zur Kapelle gelangt war.

»Und Ihr, würdiger Engländer,« sprach der Priester, »tretet her zu diesem Altäre und vollendet in Sicherheit die Andacht, unter deren Vorwand jener Heuchler Euch hier zurückhalten wollte, bis seine gottlosen Genossen herangekommen wären. Jedoch zuvor sprecht, warum Ihr allein seid? Ich will hoffen, es habe Euren jungen Reisegesellen kein Unfall betroffen.« – »Mein Sohn,« sagte Philippson, »geht über den Rhein auf jener Fähre, da wir am andern Ufer wichtiges Geschäft zu besorgen haben.«

Indem er so sprach, sah man einen Kahn vom Ufer stoßen und in den Strom schießen, der ihn fast hinwegriß, bis ein ausgespanntes Segel, ihn in den Stand setzte, in schräger Richtung den Fluß zu durchschneiden. – »Nun, Gott sei gelobt,« sagte Philippson, denn er erkannte, daß die Barke, die er im Auge hatte, nunmehr seinen Sohn außer dem Bereich der Gefahren brachte, von denen er selbst sich umringt sah. – »Amen!« setzte der fromme Priester hinzu. »Große Ursache habt Ihr, dem Himmel zu danken.« – »Des bin ich überzeugt,« versetzte Philippson, »aber dennoch hoffe ich von Euch die besondere Ursache der Gefahr zu vernehmen, der ich entronnen bin?« – »Zu solcher Auseinandersetzung ist hier weder Zeit noch Ort,« antwortete der Pfarrherr von St, Paul. »Es genügt zu sagen, daß jener Bursche, der wegen seiner Heuchelei und seiner Missetaten nur allzu bekannt ist, mit angesehen hatte, wie der junge Schweizer Sigismund den Schatz, der Euch von Hagenbach geraubt wurde, dem Scharfrichter wieder abnahm. Dadurch wurde die Habgier des Bartholomäus erregt. Er unternahm es, Euch als Führer bis Straßburg in der verbrecherischen Absicht zu dienen, Euch unterwegs so lange aufzuhalten, bis eine Rotte Meuchler heraufgekommen wäre, gegen die Widerstand vergebens sein würde. Allein, sein böser Plan ward vereitelt. Und jetzt, bevor Ihr irgend einem weltlichen Gedanken, so der Hoffnung, wie der Furcht, Raum gebt, tretet zum Altar, Herr, und sendet Gebete zu dem, der Euch Beistand lieh, sowie für die, deren er sich zu solchem Zwecke als Werkzeug bediente!« – Philippson trat mit seinem neuen Führer zum Altar und dankte dem Höchsten für die Errettung, die ihm zu teil geworden war.

Als diese Pflicht getan war, äußerte Philippson seine Absicht, weiter reisen zu wollen, worauf der schwarze Priester erwiderte, daß, weit entfernt, ihn in einer so gefährlichen Gegend zu verlassen, er selber ihn vielmehr einen Teil des Wegs geleiten wollte, da auch er an den Hof des Herzogs von Burgund zu ziehen hätte.

»Ihr? ehrwürdiger Vater, Ihr?« fragte der Handelsmann mit einigem Erstaunen. – »Und weshalb seid Ihr verwundert?« entgegnete der Pfarrer. »Ist es so seltsam, daß einer meines Standes eines Fürsten Hoflager besucht? Glaubt mir, es werden deren nur allzu viele daselbst gefunden.« – »Ich spreche nicht in Beziehung auf Euren Stand,« sagte Philippson, »sondern mit Rücksicht auf das Amt, das Ihr heute bei der Hinrichtung des Archibald von Hagenbach verwaltet habt. Kennt Ihr so wenig den heftigen Herzog von Burgund, daß Ihr Euch einbildet, mit seinem Zorn sicherer spielen zu können als mit der Mähne eines schlafenden Löwen?« – »Ich kenne seinen Grimm wohl,« sagte der Priester, »und nicht um den Tod des Hagenbachers zu entschuldigen, sondern um mich deswegen zu verteidigen, begebe ich mich in die Nähe des Herzogs. Karl von Burgund mag seine Knechte und Dienstmannen nach Gefallen behandeln, jedoch auf meinem Leben ruht ein Zauber, der fest ist gegen all seine Macht. Doch laßt mich die Frage zurückgeben – Ihr, Herr Engländer, der Ihr die Verhältnisse des Herzogs so genau kennt, Ihr, der Ihr erst jüngst der Gast und Reisegenoß der unwillkommensten Besucher waret, die jemals dem Herzoge sich nahen können; Ihr, dem Anscheine nach mindestens verwickelt in den Aufruhr zu La Ferette, – was bürgt Euch dafür, seiner Rache zu entgehen? Und weshalb wollt Ihr Euch freiwillig seiner Macht überliefern?« »Würdiger Vater,« sagte der Kaufmann, »laßt jeden von uns, ohne dem andern wehe tun zu wollen, sein Geheimnis für sich behalten. Ich besitze freilich keinen Zauber, um mich gegen des Herzogs Zorn zu schützen. – Ich habe Gliedmaßen, um Folter und Kerkerhaft zu erdulden, und Hab und Gut, das mir genommen werden kann. – Allein ehedem hatte ich manches mit dem Herzoge zu schaffen, ich kann sogar sagen, daß ich ihn mir verpflichtete, und hoffe, mein Ansehen bei ihm wird nicht nur mich vor den Folgen der Ereignisse dieses Tages schützen, sondern auch meinem Freunde, dem Landammann, nützlich sein.« – »Aber so Ihr wirklich an den Hof des Herzogs von Burgund als Kaufmann zieht,« sagte der Priester, »wo sind denn die Waren, mit denen Ihr handelt? Habt Ihr deren keine, als die, welche Ihr an Eurem Leibe führt? Ich hörte von einem beladenen Saumrosse. Hat jener Schurke Euch dessen beraubt?«

Dies war eine verfängliche Frage für Philippson, welcher, bekümmert über die Trennung von seinem Sohne, keine Weisung gegeben hatte, ob das Gepäck bei ihm bleiben oder nach dem andern Rheinufer hinübergebracht werden sollte. So kam es, daß er, durch die Frage des Priesters verwirrt, etwas Unzusammenhängendes darauf antwortete, –»Ich glaube, mein Gepäck ist im Weiler – das heißt, wenn mein Sohn es nicht mit über den Rhein nahm.« – »Das wollen wir bald erfahren,« sagte der Priester. – Auf seinen Ruf erschien aus der Sakristei der Kapelle ein Novize und erhielt Befehl, im Weiler nachzuforschen, ob Philippsons Warenballen mitsamt dem Rosse, das dieselben trug, dort gelassen oder mit übergesetzt worden wären.

Nach kurzer Abwesenheit kehrte der Novize hurtig mit dem Saumrosse zurück, das zusamt seiner Last von Arthur, aus Rücksicht auf seines Vater Bequemlichkeit, am westlichen Stromufer zurückgelassen worden war. Aufmerksam schaute der Priester ihn an, als Philippson sein Pferd bestieg, den Zügel in die Hand nahm und dem schwarzen Pfarrer mit folgenden Worten Lebewohl sagte: »Und nun, Vater, gehabt Euch wohl! Ich muß fürbaß ziehen mit meinem Gepäcke, ehe die Nacht hereinbricht; wäre das nicht, so würde ich mit Eurer Erlaubnis gern zögern, um Eure Gesellschaft unterwegs zu genießen.« – »Wolltet Ihr das wirklich, wie ich es in der Tat Euch eben anbieten wollte,« sagte der Priester, »so sollt Ihr drum Eure Reise nicht verzögern. Ich habe hier ein gutes Pferd; und Melchior, der sonst hätte zu Fuß gehen müssen, kann Euer Saumroß besteigen. Ich schlage dies um so mehr vor, da es übereilt von Euch gehandelt sein dürfte, bei Nacht zu reisen. Ich kann Euch zu einer etwa einer halben Stunde Weges von hier entlegenen Herberge führen, die wir bei Tage erreichen können. Dort seid Ihr für gutes Geld gar wohl aufgehoben.«

Der englische Kaufmann hielt einen Augenblick inne. Er hatte keine Lust zu einem neuen Reisegefährten, und obgleich das Angesicht des Pfarrers für sein Alter eher hübsch als häßlich war, so war doch der Ausdruck darin keineswegs vertrauenerweckend. Im Gegenteil, auf des Mannes Stirn lag etwas Geheimnisvolles und Düsteres, und ein ähnlicher Ausdruck sprach sich in seinen matten grauen Augen aus und deutete auf Strenge, ja auf Härte des Gemüts. Doch hatte der Priester unserem Philippson einen bedeutenden Dienst erwiesen, indem er die Verräterei jenes heuchlerischen Führers aufdeckte, und der Kaufmann war kein Mensch, der sich durch irgend eine Voreingenommenheit beeinflussen ließ. Er nahm daher des Pfarrers Anerbieten, ihn an einen Ort der Erholung und Ruhe zu geleiten, höflich an.

Nachdem man also einig war, führte der Novize den Gaul des Priesters vor, den dieser gewandt bestieg, und der Neophyt, der wahrscheinlich derselbe war, dessen Person Arthur bei seiner Flucht aus La Ferette hatte darstellen müssen, übernahm auf seines Vorgesetzten Befehl die Leitung des Saumrosses und schritt, nachdem er sich in gebückter Stellung bekreuzt hatte, als der Priester an ihm vorübergeschritten war, hinter dem Zuge her, wo er, gleich wie der tückische Bruder Bartholomäus, sich die Zeit dadurch zu vertreiben suchte, daß er mit einem Ernst, der mehr erzwungen, als aus wirklicher Frömmigkeit entstanden sein mochte, seinen Rosenkranz anbetete. Nach einem Blicke zu urteilen, den der schwarze Pfarrer von St. Paul auf seinen Novizen warf, schien er die Förmlichkeit in der Andacht des jungen Mannes geringschätzig anzusehen. Er ritt auf einem starken, schwarzen Gaule, der mehr dem Roß eines Kriegsmannes als der langsam einherschreitenden Stute eines Priesters glich, und die Art und Weise, wie er das Pferd lenkte, war frei von aller Angst und Unbeholfenheit. Sobald Philippson von Zeit zu Zeit seinen Begleiter betrachtete, wurde sein prüfender Blick durch ein hochmütiges Lächeln erwidert, das zu sagen schien: »Ihr starrt meine Gestalt und meine Gesichtszüge wohl an, jedoch das Geheimnisvolle, das mich umgibt, vermögt Ihr nicht zu durchschauen.«

Die Blicke Philippsons, die noch nie vor einem sterblichen Menschen den Boden gesucht hatten, schienen gleich hochmütig zu erwidern: »Ebensowenig sollst Du, stolzer Pfaff, wissen, daß Du jetzt ein Begleiter dessen bist, der ein Geheimnis von ungleich größerer Wichtigkeit besitzt, als das Deine sein kann,«

Nach einem halbstündigen Ritt gelangten sie in ein Dorf, und der schwarze Priester bemerkte, dies sei der Ort, wo er die Nacht zuzubringen gedächte. – »Der Novize,« sagte er, »wird Euch die Herberge zeigen, die in gutem Rufe steht, und wo Ihr sicher ruhen möget. Was mich betrifft, ich habe ein Beichtkind hier im Orte zu besuchen, das meines geistlichen Beistandes begehrt; vielleicht sehe ich Euch noch diesen Abend, vielleicht erst morgen früh. – Auf jeden Fall, gute Nacht für jetzt!«

Drittes Kapitel

Der Novize ritt ein Stück mit Philippson, zeigte ihm ein halbverfallenes Gebäude, gab ihm dann den Zügel des Maultieres in die Hand und verschwand in der Dunkelheit. Da sich am Tore der Herberge niemand blicken ließ, fing unser Engländer an, durch lautes Rufen und endlich durch Klopfen seine Gegenwart kund zu geben; jedoch bekam er lange Zeit hindurch keine Antwort. Endlich steckte ein graubärtiger Aufwärter den Kopf durch ein kleines Fenster und fragte mit einer Stimme, die eher Verdruß über erfahrene Störung, als Hoffnung auf Gewinn von einem ankommenden Gaste auszudrücken schien, nach des Klopfenden Begehr. – »Ist dies eine Herberge?« versetzte Philippson.– »Ja!« erwiderte grob der Dienende und war im Begriff, sich vom Fenster zurückzuziehen, als der Reisende fortfuhr: »Und wenn es eine ist, kann man hier unterkommen?« – »Kommt herein!« war die kurze, dürre Antwort, – »Schickt jemanden heraus, die Pferde zu besorgen,« sagte Philippson. – »Niemand hat Zeit,« war die einladende Antwort, »Ihr müßt Euren Pferden selbst, so gut es geht, die Streu bereiten.«

»Wo ist der Stall?« fragte der Kaufmann, der bei aller Klugheit und Gelassenheit gegenüber diesem mehr als holländischem Phlegma fast die Geduld verlor. – Der Bursch, der mit Worten so sparsam zu sein schien, als hätte er, wie die Prinzessin im Feenmärchen, mit jedem derselben einen Dukaten zu verschütten, zeigte auf eine Tür im Nebengebäude, das mehr einem Keller als einem Stalle glich, und zog sodann, als wäre er der Zwiesprache überdrüssig, den Kopf zurück, indem er das Fenster vor dem Gaste zuschlug, als wenn er einen zudringlichen Bettler abzufertigen hätte.

Philippson machte aus der Not eine Tugend, führte die beiden Gäule nach der als Stalltür bezeichneten Pforte und war hocherfreut, als er Licht durch die Ritzen schimmern sah. Er trat mit seinen Tieren in den Raum ein, der so ziemlich das Kerkergewölbe eines alten Schlosses zu sein schien und mit einigen Krippen dürftig versehen war. Dieser sogenannte Stall war von bedeutender Länge, und am unteren Ende waren zwei oder drei Männer beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren, zu bedecken und ihnen Futter vorzuwerfen.

Das letztere wurde von dem Stallknechte, einem sehr alten verlahmten Manne gereicht, der die Hand weder an die Striegel, noch an den Mähnenkamm legte, sondern sich begnügte, das Heu abzuwägen und, wie es schien, den Hafer körnchenweise zu zählen, so besorgt, beugte er sich bei dem Scheine eines dünnen Lichtchens in einer hörnernen Laterne über seine Arbeit. Bei dem Geräusche, das der Engländer machte, als er mit seinen beiden Gäulen eintrat, wendete er nicht einmal den Kopf und schien nicht daran zu denken, sich um den Fremden zu kümmern oder ihm den geringsten Beistand zu leisten.

»Laßt die Gäule hier stehen, oder nehmt sie mit, wie Ihr wollt,« brummte er, als Philippson ihn um Auskunft bat.

Wahrend der Mann des Hafers sich also vernehmen ließ, schloß er seine orakelreichen Kinnbacken und konnte durch keine einzige Frage, die der Gast noch vorbringen mochte, bewogen werden, dieselben wieder zu öffnen.

Im Verlaufe dieses kalten und widerwärtigen Empfanges bedachte Philippson die Notwendigkeit, sich als kluger und vorsichtiger Handelsmann zu zeigen, welches er an diesem Tage schon einmal zu tun vernachlässigt hatte, und indem er dem Beispiele der andern folgte, die gleich ihm beschäftigt gewesen waren, für ihre Gäule zu sorgen, nahm er sein Gepäck auf und schaffte es, nebst seiner eigenen Person in die Herberge. Hier war er eher geduldet als zugelassen: denn man gestattete ihm in die Gaststube oder in das allgemeine Versammlungsgemach einzutreten.

Als Philippson seine Pferde versorgt hatte, trat er in die Gaststube, die sogenannte »Stove«, ein. Hier pflegten sich alle Reisenden, jedes Alters und Standes, zu versammeln, hier wurden sonder Scham und Scheu die Oberkleider zum Trocknen oder Auslüften rings umhergehängt – und die Gäste selbst sah man sich waschen und dergleichen Handlungen verrichten, die in neuerer Zeit gewöhnlich in die Zurückgezogenheit eines Ankleidezimmers verwiesen worden sind.

Die verfeinerten Gefühle des Engländers hegten Widerwillen gegen diesen Auftritt, und es ekelte ihn an, sich unter diese Gesellschaft zu mischen. Aus diesem Grunde fragte er den Wirt, ob er ein von dem Gewühl abgelegenes Quartier erhalten könne, wo er für sich allein speisen und ruhen wolle. Der Wirt aber, ein sauertöpfischer Alter, schlug ihm dies rundweg ab, trotzdem gute Bezahlung dafür geboten wurde, und erklärte, daß in seinem Gasthause niemand eine besondere Wurst gebraten würde.

»Herr Reisender,« sprach der Wirt, »wer immer in dieses Haus kommt, muß essen, was alle hier essen, trinken, was alle hier trinken, an dem Tische mit allen übrigen Gästen sitzen und schlafen gehen, wenn die Gesellschaft aufgehört hat zu zechen. Bleibt Ihr hier, so sollt Ihr mit gleicher Aufmerksamkeit, wie alle die andern, bedient werden – seid Ihr nicht gewillt, Euch zu verhalten wie die andern, so verlaßt mein Haus und sucht eine andere Herberge!«

Nach diesem abweisenden Bescheid kehrte Philippson in die überfüllte Stove zurück. Etliche von den Gästen schliefen und schnarchten, derweil sie des Abendessens harrten, andere schwatzten über Landesangelegenheiten, andere spielten Würfel oder trieben sonstwelchen Zeitvertreib. – Die Gesellschaft war aus verschiedenen Ständen zusammengesetzt: von denen herab, die dem Anscheine nach wohlhabend und angesehen waren, bis zu denen, an deren Kleidung und Sitten zu erkennen war, daß sie noch gerade von der Armut unangetastet blieben.

Ein Bettelmönch, ein Mann von anscheinend fröhlicher und heiterer Gemütsart, näherte sich unserm Philippson und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Der Engländer war bekannt genug mit dem Weltlauf, um einzusehen, daß er Stand und Vorhaben am besten unter einem geselligen und offenen Benehmen verbergen könne. Er nahm deswegen des Mönchs Annäherung gefällig auf und plauderte mit ihm über den Zustand Lothringens und darüber, wie man wohl den Versuch des Herzogs von Burgund, sich dieses Krongutes zu bemächtigen, in Frankreich wie in Deutschland aufnehmen möchte. Er begnügte sich damit, über diese Gegenstände die Meinung seines Gegenübers, zu vernehmen, indem er mit der eigenen Ansicht zurückhielt. Während er sich so in ein Gespräch einließ, das am meisten seinem Gewerbe zuzusagen schien, trat der Wirt plötzlich in das Gemach, bestieg eine alte Tonne, warf den Blick langsam auf das mit Menschen gefüllte Gemach und rief, nachdem er sattsam umhergeschaut hatte, in gebietendem Tone: »Schließt die Tore – macht den Tisch zurecht!«

»Sankt Antonius sei gelobt!« sprach der Mönch, »Unser Wirt hat die Hoffnung aufgegeben, heute noch mehr Gäste für diese Nacht zu erhalten. Nun gibt's endlich was zu essen. Ha! hier kommt das Tischtuch, die alten Pforten des Hofraumes sind jetzt fest genug verriegelt, und wenn Johann Mengs einmal gesagt hat: »Schließt die Tore!« so mag der Fremde draußen klopfen, so lange er will, wir können versichert sein, daß ihm nicht aufgemacht wird.« – »Herr Mengs hält strenge Zucht in seinem Hause,« sagte Philippson.

»Ebenso unbedingt Strenge und unumschränkte Zucht wie der Herzog von Burgund,« antwortete der Mönch. »Nach zehn Uhr keine Aufnahme! Wer draußen ist, bleibt draußen, und wer drinnen ist, muß drinnen bleiben, bis mit Tagesanbruch die Pforten geöffnet werden. Bis dahin gleicht das Haus einer belagerten Feste, Johann Mengs ist Vogt.« –

Während sie so schwatzten, hatte der betagte Aufwärter unter Seufzen und Murren etliche Anschiebsel hervorgeholt, mittelst welcher ein in der Mitte stehender Tisch vergrößert wurde, so daß die Gesellschaft daran Platz finden konnte. Dann wurde ein Tuch darauf gedeckt, das sich weder durch besondere Reinlichkeit noch durch Feinheit des Gewebes auszeichnete. Als so der Tisch zur Aufnahme sämtlicher Gäste geordnet war, wurden vor jeden Gast ein hölzerner Plattteller, ein hölzerner Löffel und ein Trinkglas hingestellt, indem man annahm, daß mit einem Messer jeder selbst versehen sei. Was die Gabel anbelangte, so war dieselbe erst zu viel späterer Zeit bekannt, und alle Europäer bedienten in jenen Tagen sich der Finger, um, wie die Asiaten es noch jetzt tun, sich die Bissen auszuwählen und zum Munde zu führen.

Kaum war die Tafel geordnet, als auch die hungrigen Gäste eilten, ihre Plätze einzunehmen. Die Schlafenden wurden geweckt, die Würfler entsagten ihrem Spiele, und die Müßigen und Plaudernden hielten inne mit ihren weisen Abhandlungen. Die Gäste saßen bald in Reih und Glied, jeder mit gezogenem Messer, der Speisen harrend, die sich noch unter den Händen des Kochs befanden. Mit verschiedenen Graden von Geduld hatten die Hungernden eine volle halbe Stunde gewartet, als endlich der alte Aufwärter mit einer Kanne Moselwein eintrat, der so leicht und so sauer war, daß Philippson seinen Becher niedersetzte, indem ihm, wie wenig er auch davon verschluckt hatte, doch jeder Zahn im Munde stumpf geworden war. Der Wirt, Johann Mengs, der am oberen Ende des Tisches einen erhöhten Sitz innehatte, verfehlte nicht, diesen Beweis von Insubordination zu rügen.

»Der Wein schmeckt Euch wohl nicht, mein Herr?« sagte er zu dem englischen Kaufmann«, – »Als Wein, nein!« antwortete Philippson, »doch käme eine Speise, die gesäuert werden möchte, so würde ich schwerlich bessern Essig bekommen können.« – Dieser Scherz, wiewohl äußerst ruhig und gelassen vorgebracht, schien den Herbergsvater in Wut zu bringen. »Schweigt, Ihr boshafter Spötter!« rief er, »und legt sogleich bei mir und dem Weine, den Ihr verleumdet habt, ein gutes Wort ein; sonst gebe ich Befehl, das Abendessen bis Mitternacht zu verschieben.«

Hier erhob sich ein allgemeiner Aufstand der Gäste, indem alle miteinander beteuerten, in Philippsons Tadel nicht einzustimmen. Die meisten schlugen vor, Johann Mengs sollte sich lieber an dem wirklich Schuldigen rächen, indem er ihn sofort zur Türe hinauswürfe, statt soviel schuldlose und hungrige Männer die Ungezogenheit eines einzelnen büßen zu lassen. Während Johann Mengs von allen Seiten mit Bitten und Vorstellungen bestürmt wurde, war der Mönch, gleich einem weisen Ratgeber und zuverlässigen Freunde, bemüht, den Zwist dadurch zu enden, daß er unserm Philippson riet, sich der Gewaltherrschaft des Wirtes zu unterwerfen. – »Würdige Gäste,« sagte Philippson, »es tut mir leid, unsern verehrten Wirt erzürnt zu haben, und ich bin soweit entfernt, den Wein zu verachten, daß ich eine Doppelkanne bezahlen will, damit sie in dieser ehrenwerten Gesellschaft herumgereicht werde, – nur darf man nicht verlangen, daß ich mittrinken soll.« – Diese letzten Worte wurden beiseite gesprochen; allein der Engländer erkannte an den verzerrten Mäulern etlicher Gäste, die mit einem zarteren Gaumen begabt waren, daß ihnen ebenso vor einem zweiten Schlucke des essigsauren Gesöffs graute.

Der Mönch machte hierauf der Gesellschaft den Vorschlag, daß der fremde Handelsmann, statt mit einer Doppelkanne des von ihm geschmähten Weines gestraft zu werden, lieber zur Buße ein gleiches Maß eines feineren Weines zahlen solle, wie sie nach geendeter Mahlzeit gereicht zu werden pflegten. Hierin fanden so Wirt wie Gäste ihren Vorteil; und da Philippson sich des nicht weigerte, so wurde der Vorschlag einstimmig angenommen, und Johann Mengs gab von dem Sitze seiner Würde herab das Zeichen, die Speisen aufzutragen.

Die langerwarteten Gerichte erschienen endlich, und die Gesellschaft fiel eifrig darüber her, Schüsseln voll Suppe und Gemüse, Teller voll geschmorten und gebratenen Fleisches machten die Runde um die Tafel, so daß jeder der Reihe nach davon nehmen konnte. Schwarze Klöße, gedörrtes Fleisch und getrocknete Fische gingen ebenfalls herum mit verschiedenem Eingemachten, Bortago, Caviar und dergleichen, die mit starken Gewürzen versehen und ganz darauf berechnet waren, Durst zu erwecken und zu rüstigem Trinken anzuregen. Weinkannen begleiteten diese aufreizenden Leckerbissen, und das darin enthaltene Getränk übertraf den zuvor gereichten Wein an Stärke, so daß binnen kurzem die ausgelassenste Laune an der Tafel herrschte. Philippson allein verhielt sich still, und Johann Mengs begann sich bereits darüber aufzuhalten, indem er Worte wie »Störenfried«, »Spaßverderber« fallen ließ, die alle auf den Engländer gemünzt waren und wohl bald die Mehrzahl der Gäste gegen den einsilbigen Genossen aufgehetzt hätten, der sich weigerte mitzuzechen und Miene machte, im Stuhl einzuschlafen; als plötzlich laut und anhaltend an das Tor des Gasthauses geklopft wurde.

»Was gibt's denn da?« fragte Mengs, dessen Nase der Unwille noch höher rötete. »Welch böser Geist schlägt an die Pforte des Goldenen Vließes zu solcher Stunde, und das mit einer Gewalt, als donnere er an die Tür eines Freudenhauses? Hinaus einer an das Turmfenster – Gottfried, Du Schuft von einem Stallknecht, oder Du, alter Timotheus, sagt dem heftigen Manne, daß zu so ungehöriger Zeit niemand mehr herein darf.«

Die beiden taten, wie ihnen befohlen war, und man konnte in der Stube hören, wie sie miteinander wetteiferten, dem Manne draußen, der durchaus eingelassen werden wollte, die Tür zu weisen. Doch kehrten sie bald zurück und berichteten ihrem Herrn, sie seien nicht imstande, die Hartnäckigkeit des Fremden zu beschwichtigen, der einfach nicht gehen wolle, bis er Mengs selbst gesprochen hätte.

Der Gebieter im »Goldenen Vließ« fuhr von seinem Sessel auf, packte einen derben Knüttel, der sein gewöhnliches Scepter oder sein Herrscherstab zu sein schien, murmelte etwas in den Bart von Prügeln und Eimern kalten Wassers und stürzte zu dem Fenster, das auf den Hof hinausging.

Es kam ganz anders, als die Gäste erwarteten; denn nachdem einige unhörbare Worte gewechselt worden waren, wurden zur allgemeinen Verwunderung die Tore der Herberge aufgeschlossen, und gleich darauf ließen sich Tritte zweier Männer auf der Stiege hören; dann trat mit allen Zeichen plumper Höflichkeit der Wirt herein und bat die Versammelten, einem verehrten Gaste Platz zu machen, der, wenn zwar spät, ihre Gesellschaft zu vermehren käme. Eine lange, düstere Gestalt, in einen Reisemantel gehüllt, folgte ihm; der Mantel fiel, und in dem Ankömmling erkannte Philippson sofort den schwarzen Priester von St. Paul.

Dieser Umstand hatte an und für sich nichts Staunenerregendes, da es sehr natürlich war, daß ein Wirt, wie grob und frech er gegen gewöhnliche Gäste auch sein mochte, doch Rücksicht auf einen Geistlichen nehmen mußte. Philippson wunderte sich denn auch weniger darüber, als vielmehr über den Eindruck, den das Erscheinen dieses unerwarteten Gastes machte. Ohne weiteres setzte dieser sich an den obersten Platz der Tafel und ließ sein mattes graues Auge langsam und schleichend über die Gesellschaft schweifen, gleich als beabsichtigte er, in aller Herzen zu lesen.

An Philippson sah er rasch vorüber und schien ihn nicht wiederzuerkennen; und trotz alles Mutes, der unserm Engländer zu eigen war, beschlich ihn doch ein Gefühl des Unbehagens, solange er sich unter den Augen dieses geheimnisvollen Mannes befand, so daß ihm wohler wurde, als dessen steinerner Blick von ihm ließ und auf einem andern in der Gesellschaft ruhte, der dann ebenfalls unter den eiskalten Blicken zu erbeben schien. Das Getöse berauschter Lust und trunkenen Streites, das lärmende, gellende Gelächter – alles war sofort verstummt, als ob das Festmahl in ein Leichenbegängnis, jeder Gast aber plötzlich in einen Stummen verwandelt worden wäre. Alle waren so gespannt darauf, was nun folgen würde oder was der Unheimliche zu sagen hätte, daß bei dem Schalle der Dorfglocke, die die erste Stunde nach Mitternacht verkündigte, die Gäste erstarrten, gleich als ob der dumpfe Klang ihnen den Ansturm eines Feindes oder den Ausbruch einer Feuersbrunst verkündigt hätte. Der schwarze Priester, der hastig etwas Speise zu sich genommen hatte, womit der Wirt ihn bereitwilligst versorgte, faßte den Glockenruf als Zeichen zum Dankgebet und zur Aufhebung der Abendtafel auf.

»Wir haben gegessen,« sprach er, »um unser Leben zu fristen, lasset uns beten, daß wir tüchtig sein mögen, dem Tode zu begegnen, der dem Leben so zuverlässig folgt wie die Nacht dem Tage oder wie der Schatten dem Sonnenstrahle, obwohl wir nicht wissen, von wannen oder zu welcher Stunde er uns ereilen werde.«

Wie mechanisch beugte die Gesellschaft das unbedeckte Haupt, während der Priester mit tiefer und feierlicher Stimme ein Gebet in lateinischer Sprache hersagte, worin er Gott für den am verflossenen Tage gewährten Schutz dankte und ihn anflehte, auch diesen Schutz während der zaubervollen Stunden zu verleihen, die noch bis zum Anbruch des neuen Tages verrinnen müßten. Als die Zuhörer wieder aufsahen, war der schwarze Priester mit dem Wirte zum Gemache hinausgegangen, wahrscheinlich um sich in die ihm als Schlafgemach angewiesene Kammer zu begeben. Kaum waren sie gewahr geworden, daß er fort war, so flüsterten sie miteinander und wechselten verstohlene Gebärden, doch keiner sprach laut, so daß Philippson nichts Deutliches verstehen konnte. Er selbst wagte, jedoch auch nur mit gedämpfter Stimme, den neben ihm sitzenden Klosterbruder zu fragen, ob der würdige Geistliche, der soeben hinausgegangen, nicht der Priester von St. Paul in dem Grenzorte La Ferette wäre.

»Und so Ihr wisset, daß er es ist,« sagte der Mönch mit einem Blicke und einem Tone, aus denen jegliche Spur seines Rausches – denn er hatte trotz seines heiligen Standes wacker getrunken – plötzlich verschwunden war, »warum fragt Ihr mich denn?« – »Weil ich gern den Zauber kennen lernen möchte,« sagte der Kaufmann, »der so plötzlich all die lustigen Zecher in enthaltsame Männer und ein fröhlich Gelag in einen Konvent von Mönchen verwandelt hat.« – »Freund, wonach Du fragst,« sagte der Pater, »scheint Dir schon wohlbekannt zu sein. Doch ich bin kein Dummkopf, der sich so leicht fangen läßt. So Du den schwarzen Priester kennst, so mußt Du wissen, welchen Schrecken seine Gegenwart einflößt.« Mit diesen Worten zog er sich von Philippson zurück.

In demselben Augenblick kam der Wirt wieder herein und befahl mit weit mehr feiner Sitte, als er bisher gezeigt hatte, der Gesellschaft den Nachttrunk zu reichen, der in einem Becher gewürzten Branntweins bestand; ein Getränk, wie es Philippson selten besser bekommen hatte. Unterdessen schrieb der alte Timotheus auf jeden Teller mit Kreide den Betrag, den ein jeder zu zahlen hatte, was durch herkömmliche Schriftzeichen kurz angedeutet wurde, während auf einem andern hölzernen Teller die Gesamtsumme verzeichnet wurde, die die Einzelzahlungen bringen würden, worauf er von jedem den Anteil einkassierte. Als der böse Teller, auf welchem das Geld geopfert werden mußte, an den lustigen Klosterbruder kam, schien dessen Gesicht sich ein wenig zu verwandeln. Er warf einen kläglichen Blick auf Philippson, von dem er am ersten Beihilfe erhoffte; und unser Kaufmann, wie unzufrieden er auch mit der Verschlossenheit des Mönches war, wollte doch in einem fremden Lande und in der Hoffnung, eine ihm vielleicht nutzbringende Bekanntschaft gemacht zu haben, eine kleine Ausgabe nicht scheuen und zahlte daher mit seiner eigenen Zeche auch zugleich die des Mönches. Der arme Pater stattete seinen Dank mit einem in gutem Deutsch und schlechtem Latein ausgesprochenen Segen ab, allein der Wirt fiel ihm dabei in die Rede; denn indem er sich Philippson mit einem Lichte näherte, bot er ihm seine Dienste an, um ihn in sein Schlafgemach zu führen; ja er hatte sogar die Herablassung, des Engländers Felleisen oder Mantelsack eigenhändig aufzuheben und fortzutragen.

»Ihr gebt Euch zu viel Mühe, mein Herr Wirt,« sagte der Kaufmann etwas betroffen über die Veränderung in dem Benehmen dieses Johann Mengs, der ihn bisher so unfreundlich behandelt hatte, – »Ich kann nicht Sorge genug für einen Gast tragen,« war seine Antwort, »den mein ehrwürdiger Freund, der Priester zu St. Paul, ganz besonders meiner Obhut empfahl.«

Dann öffnete er die Tür einer für einen Gast hergerichteten Schlafkammer und sagte zu Philippson: »Hier mögt Ihr ruhen bis morgen und bis zu welcher Stunde es Euch beliebt, und so viele Tage es Euch gefällt. Der Schlüssel wird Eure Habe gegen jeglichen Raub oder Diebstahl sichern. Ich tue das nicht für all und jeden; denn wenn von meinen Gästen jeder ein Bett für sich allein haben wollte, so würde jeder gleich auch an einem Tisch für sich essen wollen; und vorbei wäre es dann mit den guten alten deutschen Sitten, und wir würden ebenso läppisch und lüstern werden, wie unsere Nachbarn es sind. Ich hoffe, es herrscht kein Mißverständnis zwischen uns, mein werter Gast,« setzte er hinzu. »Wir deutschen Wirte tun uns nun einmal was zu gute darauf, nicht so höflich zu sein wie die französischen oder italienischen Wirte. Doch wenn auch unser Benehmen rauh ist, so sind doch unsere Forderungen billig, und was wir liefern, ist gut.« – In diesen Worten schien er seine ganze Beredsamkeit erschöpft zu haben; denn als sie gesprochen waren, drehte er sich kurz herum und verließ das Gemach.

So hatte Philippson abermals keine Gelegenheit, nachzufragen, wer oder was dieser Geistliche sein könnte, der solchen Einfluß auf alle hatte, die sich ihm näherten. Er lechzte danach zu wissen, wer der Mann wäre, der die Macht besaß, durch ein einziges Wort den Mordstahl elsässischer Straßenräuber abzuwehren, die doch wie alle Grenzdiebe an Raub und Plünderung gewöhnt sein mußten, und der imstande war, die beispiellose Grobheit eines deutschen Herbergsvaters sofort in Höflichkeit umzugestalten.

Viertes Kapitel

So anstrengend und aufreibend der Tag für den älteren Philippson auch gewesen war, so vermochte er nun doch nicht die ersehnte Ruhe zu finden. Er war zu aufgeregt, die Adern pulsierten ihm viel zu fieberisch, seine Besorgnis um den Sohn, seine Befürchtungen über den Ausgang seiner Sendung an den Herzog von Burgund, und tausend andere Gedanken, die ihn an frühere Erlebnisse erinnerten oder ihm künftige Erlebnisse vorspiegelten, fuhren ihm durch die Seele gleich Wogen eines aufgeregten Meeres und verscheuchten jede Hingebung zur Ruhe. Schon eine Stunde lang hatte er schlaflos im Bette gelegen, da fühlte er plötzlich, daß das Feldbett, auf dem er lag, unter ihm sank und mit ihm hinabglitt, ohne daß er wissen konnte, wohin. Das Knarren von Wirbeln und Stricken ließ sich, wenn auch undeutlich, vernehmen, als wenn man sich Mühe gäbe, sie so geräuschlos wie möglich arbeiten zu lassen, und der Reisende erkannte bald, daß das Bett, das ihn trug, auf einer Falltür gestanden haben müßte, mit welcher es in die unteren Gewölbe oder Gemächer hinabgelassen werden konnte.

Furcht ergriff ihn; denn wie konnte er einen glücklichen Ausgang von einem Abenteuer hoffen, das so seltsam begonnen hatte? Jedoch seine Besorgnisse waren die eines tapferen, entschlossenen Mannes, der selbst in der dringendsten Gefahr die Geistesgegenwart nicht verlor. Obgleich an Jahren vorgeschritten, war er doch ein Mann von großer Körperstärke und Behendigkeit, und zu furchtbarer Gegenwehr entschlossen. Doch sollte ihm jeder Widerstand vereitelt werden; denn kaum erreichte er den Boden des Gewölbes, in das er hinabgelassen worden war, so legten von beiden Seiten zwei Männer, die sein Hinabsinken abgewartet zu haben schienen, Hand an ihn und warfen ihm einen Strick über die Arme. So war er gezwungen, sich widerstandslos dreinzugeben, und den Ausgang dieses fürchterlichen Abenteuers abzuwarten. Gebunden oder geschnürt, wie er war, konnte er nur den Kopf von einer Seite zur andern wenden; und mit Freuden erblickte er endlich schimmernde Lichter, die jedoch in weiter Ferne von ihm sichtbar wurden.

Nach der Unregelmäßigkeit zu schließen, in der die einzelnen Lichter sich näherten, indem sie manchmal in gerader Linie sich bewegten, manchmal sich untereinander mischten oder durchkreuzten, mußte das Gewölbe, worin sie erschienen, von bedeutendem Umfange sein. Auch wuchs ihre Zahl immer mehr, und als mehrere an einem Punkt beisammen waren, konnte Philippson erkennen, daß der Lichtschein von vielen Fackeln ausging, die von Männern in schwarzen Mänteln getragen wurden. Sie schritten einher, gleich den Trägern einer Leiche, und hatten die Kappen über den Kopf gezogen, um ihr Gesicht zu verbergen. Sie schienen emsig beschäftigt zu sein, einen Teil der düsteren Kluft auszumessen, und dabei sangen sie in altdeutscher Sprache folgende Reime, die viel zu dumpf und fremdartig klangen, als daß Philippson sie hätte verstehen können.

»Bringt, den Platz hier anzuweisen,


Richtscheit, Schnur und Winkeleisen,


Grube grabt und Altar setzt,


Beide dann mit Blut benetzt,


Sechs Schuh lang von Eck zu Ecken,


Muß die Schreckensbank sich strecken,


Sechs Schuh querbreit zwischen Richter


Und verklagte Bösewichter –


Das Gericht im Ost sich hebt,


Wenn im West der Schuld'ge bebt.


All und Einer saget an.


Ob der Form genug getan?«

Ein dumpfer Chor schien auf die Frage zu antworten. Nach den vielen Stimmen zu urteilen, war eine große Zahl bereits im unterirdischen Gewölbe, viele aber auch noch draußen in den mancherlei Zugängen, die mit demselben in Verbindung standen. Der Gesang der Antwort erklang folgendermaßen:

»Bei Leib und Seele, bei Blut und Gebeinen,


Einer für alle und alle für einen,


Wird unser Tun wohl als recht erscheinen?


Noch ist es Nacht.


Im breiten Rhein


Spiegelt sich der Sterne Schein,


Kein Morgenlicht glänzt weit und breit.


Nur eine Stimm' ist hörbar auf der Flut,


Der finstre dumpfe Ruf nach Blut für Blut,


Ihm zu gehorchen, ist's nun an der Zeit!«

Der Chor erwiderte darauf in zahlreich vermehrten Stimmen:

»Auf denn! Ging der Tag zur Rüst,


Ist es Zeit für uns, zu wachen.


Auf! daß zum Gericht wir taugen;


Rache hat nicht Schläfers Augen –


Rach' und Nacht Gemeinschaft machen!«

Der Inhalt dieser Strophen brachte unsern Philippson bald zu der Erkenntnis, daß er sich in der Nähe der Femrichter befände, der berühmten Richter des heimlichen Gerichts, das zu jener Zeit in Schwaben, Franken und andern Gegenden des östlichen Deutschlands bestand. Philippson hatte gehört, daß insgeheim sogar auf dem linken Rheinufer ein Oberrichter dieses furchtbaren Tribunals seinen Sitz hatte, dessen Macht sich selbst über das Elsaß ausbreitete, obgleich Herzog Karl von Burgund, sie zu brechen, bemüht gewesen war. Aber die Dolche dieser geheimen Verbindung arbeiteten so furchtbar, daß es selbst für ein gekröntes Haupt gefährlich war, einen Vernichtungszug gegen die Feme zu versuchen.

Diese Erwägungen klärten Philippson auch gleich über Stand und Rang des schwarzen Priesters von St. Paul auf, und er vermutete in diesem einen Präsidenten oder Oberrichter des heimlichen Gerichtes. Nun konnte er sich nicht mehr darüber wundern, daß dieser Mann es voller Zuversicht auf sich genommen hatte, die Hinrichtung des Hagenbachers zu rechtfertigen, daß sein Erscheinen jenen Bartholomäus, den er auf der Stelle hätte verurteilen und töten lassen können, in Schrecken versetzte und daß seine Anwesenheit an der Abendtafel zum »Goldenen Vließe« alle Gäste erblassen machte; denn obwohl alles, was das heimliche Gericht, dessen Tun und Treiben und dessen Richter und Beisitzer betraf, durchaus geheim gehalten wurde, so wußte man doch auch von dem und jenem, daß er einer der Richter wäre und gar hohe Gewalt bei dem Bundestribunal besäße. Solche Männer waren sehr gefürchtet, und niemand wagte, ihnen Achtung und Gehorsam zu verweigern.

Alles dies ging dem Engländer durch den Kopf. Er fühlte, daß er in die Hände eines schonungslosen Gerichtes gefallen war, und daß es für einen freundlosen Fremdling, wie unschuldig er sich auch fühlen mochte, bloßer Zufall sein mußte, wenn ihm vor diesem Tribunal Gerechtigkeit zuteil würde. Zu gleicher Zeit beschloß er aber auch, seiner Sache nichts zu vergeben, sondern sich auf das beste zu verteidigen.

So lag er da, während die Männer, die er im Lichtschimmer vor sich sah, wie Phantome eines Fieberkranken erschienen. Endlich versammelten sie sich im Mittelpunkte des Gewölbes und stellten sich in Reih und Glied. Eine Menge schwarzer Fackeln wurde nach und nach angezündet, bis der Ort völlig erleuchtet war. In der Mitte konnte Philippson jetzt einen der Altäre wahrnehmen, die sich bisweilen in alten, unterirdischen Kapellen befinden.

Hinter dem Altar, der den Mittelpunkt zu bezeichnen schien, auf welchen aller Blicke gerichtet waren, befanden sich, gleichlaufend hingestellt, schwarzbehangene Bänke. Jede derselben war mit einer Anzahl Personen besetzt, welche Richter zu sein schienen. Allein die, welche auf der vordersten Bank saßen, waren minder zahlreich und schienen höheren Ranges als diejenigen, die die übrigen Sitze innehatten. Erstere schienen durchweg Männer von Bedeutung, hohe Geistliche, Ritter und Adelige zu sein, und obschon unter allen Anwesenden eine gewisse Gleichheit zu herrschen schien, so wurde doch auf die Meinung und das Zeugnis der ersteren ein größeres Gewicht gelegt. Sie hießen Freiritter oder Freigrafen, während die Richter der geringeren Klasse den Namen Beisitzer führten.

Außer denen, die die Bänke besetzt hielten, standen andere umher, schienen die verschiedenen Eingänge zur Gerichtssitzung zu bewachen oder verhielten sich hinter den Sitzen ihrer Oberen, bereit, die Befehle der letzteren auszuführen. Auch diese waren Mitglieder des Ordens, jedoch von niedrigerem Range. Gewöhnlich wurden sie Frei- oder Femschöffen, also Diener des heimlichen Gerichtes, genannt, dem sie geschworen hatten, Gutes wie Böses zu berichten, auch wenn es ihre nächsten geliebtesten Verwandten betraf. Die Missetat selbst einer Mutter vor dem Tribunal zu verheimlichen, wäre ebenso strafbar gewesen, als hätte der betreffende Schöffe oder Beisitzer das Femverbrechen selber begangen.

Als die Richter versammelt waren, wurde ein Strick und ein bloßes Schwert, die wohlbekannten Sinnbilder der heiligen Feme, auf dem Altar niedergelegt, wobei das Schwert, gewöhnlich mit einem Griff in Form eines Kreuzes versehen, als das geheiligte Emblem der christlichen Erlösung, der Strang aber als Zeichen des Rechtes, des Urteils auf Leben und Tod, anzusehen war. Dann erhob sich der Vorsitzer oder Freigraf, der den mittelsten Platz auf der ersten Bank einnahm, legte seine Hand auf die Symbole und sprach laut die Eidesformel der Richter aus, die von allen Beisitzern und Schöffen mit dumpfer und tiefer Stimme nachgesagt wurde.

»Ich gelobe und schwöre bei der heiligen Dreifaltigkeit, sonder Erlaß den Dingen fördersam zu sein, die die heilige Feme betreffen, deren Grundsätze und Wahrsprüche gegen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weib und Kinder durchzuführen, auch gegen Feuer, Wasser, Luft und Erde, gegen alles, was die Sonne bescheint, gegen alles, was der Tau benetzt, gegen alle erschaffenen Dinge im Himmel und auf Erden oder in den Wassern und unter der Erde; und ich schwöre, dem heiligen himmlischen Gerichte alles kundzutun, was ich für wahr halte oder durch glaubwürdiges Zeugnis als wahr angeben höre und was nach den Satzungen der heiligen Feme Tadel oder Strafe verdient; schwöre, daß ich nichts bemänteln oder verhehlen will, wovon mir Kunde wird, weder um der Liebe, noch um der Freundschaft willen, noch um Goldes, Silbers und aller Edelsteine willen; auch will ich nicht Bündnis schließen mit den Verfemten, das heißt, ich will keinem Schuldigen einen Wink geben von der ihm drohenden Gefahr, will ihm nicht Rat erteilen zur Flucht, ihm weder mit Hilfe noch mit Hilfsmitteln dazu an die Hand gehen; will solchen Schuldigen weder Feuer noch Bekleidung, weder Nahrung noch Obdach reichen, ja, sollte auch mein Vater von mir einen Becher Wassers bei der Glut eines Sommertages erbitten oder mein Bruder in der bitterkältesten Winternacht an meinem Herde zu sitzen begehren. Und endlich gelobe und schwöre ich, den Bund der heiligen Feme zu ehren und dessen Geheiß vorzugsweise vor jedem Spruch eines andern Gerichtes rasch, getreu und standhaft auszuführen. – So wahr mir Gott helfe und seine heiligen Evangelisten!«

Nachdem dieser Amtseid geleistet worden war, redete der Oberrichter oder Freigraf die Versammelten als Männer an, die gleich der Gottheit im verborgenen richten und strafen, und forderte sie auf, ihm zu sagen, warum dieser Sohn des Stranges[R1] gebunden und hilflos vor ihnen läge? Einer der Richter erhob sich auf einer der entferntesten Bänke und erklärte in einer Stimme, die, obschon sie verstellt wurde, Philippson doch zu erkennen glaubte, er erscheine vor dem heiligen Gerichte, dem er durch seinen Eid verpflichtet wäre, als Kläger gegen den vor ihnen liegenden Gefangenen oder Sohn des Stranges.

»Bringt den Gefangenen heran!« sagte der Freigraf. Sechs der Schöffen trugen sofort das Feldbett, auf dem Philippson lag, vor den Altar. Als dies geschehen war, entblößte jeder von ihnen seinen Dolch, während zwei ihn von seinen Banden lösten und ihn leise warnten, daß er beim geringsten Versuch, Widerstand zu leisten oder zu fliehen, niedergestochen würde,

»Erhebe Dich,« sagte der Freigraf, »höre auf die Klage, die gegen Dich vorgebracht werden wird, und glaube, daß Du in uns eben so gerechte wie unbeugsame Richter finden wirst.«

[F1: Sohn – oder Kind des Stranges hieß der vor der Feme Angeklagte.] Philippson, der noch Unterwams und Beinkleider anhatte, richtete sich auf dem Lager zu sitzender Stellung auf, so daß er den vermummten Oberrichter des entsetzlichen Tribunals ins Auge fassen konnte. Selbst unter diesen fürchterlichen Umständen blieb der unerschrockene Engländer gefaßt und zuckte mit keiner Wimper, sein Herz pochte nicht stärker als sonst, obwohl er, wie es in der Schrift heißt, ein Pilgrim im Schatten des Todes zu sein schien, umgarnt von Schlingen und umringt von dichter Finsternis, da, wo Licht zu seiner Sicherheit so nötig war. –

Der Freigraf fragte ihn nach seinem Namen, seinem Geburtslande und seiner Beschäftigung. – »John Philippson,« war die Antwort, »von Geburt ein Engländer, von Gewerbe ein Kaufmann.« – »Habt Ihr jemals einen anderen Namen geführt und ein anderes Gewerbe betrieben?« fragte der Richter. »Ich bin Kriegsmann gewesen – und war damals unter einem andern Namen im Heere bekannt,« – »Wie nanntet Ihr Euch da?« –

»Ich habe den Namen zusammen mit dem Schwerte abgelegt und will unter diesem Namen nie wieder gekannt sein. Ueberdies führte ich ihn damals da, wo Euer Gericht nichts zu sagen hat,« antwortete der Engländer. – »Weißt Du, vor wem Du stehst?« fuhr der Richter fort. – »Ich glaube, ich befinde mich vor dem heimlichen Gericht der Feme.«

»Ganz richtig,« versetzte der Richter, »dann weißt Du auch, daß Du Dich sicherer fühlen würdest, hingst Du an einem Haare über dem Rheinfall bei Schaffhausen, oder lägest Du unter einem Henkerbeil, das nur durch einen seidenen Faden am Fallen gehindert wird. Was hast Du verbrochen, daß Du hier stehst?« – »Darauf mögen die antworten, die mich dem Gerichte überliefert haben,« antwortete Philippson mit eben der Gelassenheit wie vorher.

»Sprich, Kläger,« sagte der Freigraf, »sprich zu allen vier Winden des Himmels! sprich zu den Ohren der freien Schöffen dieses Gerichtes und zu den getreuen Spruchvollstreckern! sprich in das Angesicht dieses Sohnes des Stranges, der seine Schuld verhehlt oder leugnet, rechtfertige also Deine Klage!«

»Höchstgefürchteter!« redete der Kläger den Freigrafen an; »dieser Mann hat sich dem Boden genaht, der die rote Erde heißt – ein Fremdling unter falschem Namen und erlogenem Gewerbe. Als er noch auf der Ostseite der Alpen zu Turin in der Lombardei und an anderen Orten weilte, hat er zu mehrerenmalen von der heiligen Feme in Worten des Hasses und der Verachtung gesprochen und erklärt, wäre er Herzog von Burgund, so würde er ihr nicht gestatten, sich aus Westfalen und Schwaben in seine Staaten zu verpflanzen. Auch klage ich ihn an, daß er die Absicht geäußert hat, an den Hof des Burgunderherzogs zu ziehen, um seinen Einfluß daselbst gegen das heilige Gericht geltend zu machen, der, wie er vorgibt, bedeutend genug sein wird, ein Verbot gegen die Sitzungen der Feme in den burgundischen Landen auszuwirken und die Richter und Schöffen des Gerichtes mit denjenigen Strafen belegen lassen, die an Räubern und Meuchlern vollzogen zu werden pflegen.«

»Das ist eine schwere Anklage, mein Bruder,« sagte der Freigraf, als der Kläger zu reden aufhörte. »Wie gedenkst Du, sie zu rechtfertigen? Welches sind Deine Beweismittel? Du sprichst zu heiligen und wissenden Ohren.« – »Ich beweise meine Anklage,« sprach der Kläger, »durch das Geständnis des Beklagten und durch meinen Eid auf die heiligen Zeichen des Bundes, auf Schwert und Strang.«

»Ein rechtmäßiger Beweis,« sprach einer der andern auf den Bänken sitzenden Richter. »Dieser Herzog von Burgund hat eine Menge Fremder in seine Heerscharen aufgenommen, die er leicht gegen diesen heiligen Gerichtshof führen kann; besonders wenn diese Fremdlinge Engländer, ein kühnes Inselvolk, sind, die blind an ihres Landes Gebräuchen hängen und die Gebräuche aller andern Völker hassen. Nicht unbekannt ist es uns, daß der Herzog von Burgund bereits zum Widerstand gegen die heilige Feme in mehr als einer seiner deutschen Besitzungen aufrief. So es sich ergibt, daß der Angeklagte einer von denen ist, welchen dergleichen Grundsätze eingeimpft wurden, so sage ich, lasset Schwert und Strang ihr Werk an ihm vollführen!«

Ein allgemeines Murmeln schien das, was der Sprecher gesagt hatte, zu billigen; denn alle erkannten die Notwendigkeit, die Furcht vor der Feme durch gelegentliche Beispiele schwerer Strafe wach zu halten, und wohl keiner konnte bereitwilliger geopfert werden als ein unbekannter und wandernder Fremdling. –

Alles das hätte unserm Philippson wohl den Mut nehmen mögen, doch hinderte es ihn nicht, standhaft auf die Anklage zu antworten: »Ritter, Herren und Bürger,« sprach er, »wisset, daß ich in früheren Jahren weit größeren Gefahren gegenüber gestanden habe, als mir jetzt drohen, und daß ich noch nie in meinem Leben zur Rettung meines Lebens die Flucht ergriff. Strang und Dolch sind nicht geeignet, demjenigen Schrecken einzuflößen, der Schwerter und Lanzen hat blinken sehen. Meine Antwort auf die Anklage lautet, daß ich ein Engländer bin, also einem Volke angehöre, das gewohnt ist, offenes und unverhohlenes Recht bei hellem Lichte des Tages zu geben und zu empfangen. Dennoch weiß ich, daß ich ein Reisender bin, der nicht das Recht hat, sich den Satzungen und Regeln anderer Völker zu widersetzen, weil dieselben nicht den Gesetzen seines Landes gleichen. Der Kläger beschuldigt mich, daß ich zu Turin oder andern Orten Norditaliens mich tadelnd über das Gericht ausließ, vor welchem ich mich gegenwärtig befinde. Ich will nicht leugnen, daß ich mich dessen erinnere; allein, es geschah, weil ich mit Fragen darüber von zwei Gästen, die zufällig mit mir an der Tafel saßen, bestürmt wurde. Ich ließ mich lange und eindringlich auffordern, ehe ich meine Meinung äußerte.«

»Und wie lautete diese Meinung?« fragte der Vorsitzende, »war sie dem Stuhle der heiligen Feme günstig oder nicht? Laßt Wahrheit Eure Zunge lenken, – bedenkt, das Leben ist kurz, das Gericht dauert ewig.« – »Ich würde nie mein Leben auf Kosten einer Lüge zu verlängern suchen. Meine Meinung war nachteilig. Ich drückte mich folgendermaßen aus: Kein Gesetz noch gerichtliches Verfahren kann gerecht noch anratungswert sein, das auf geheimer Anordnung beruht und nach derselben verfährt. Ich sage, die Gerechtigkeit vermag sich nur dann zu behaupten, wenn sie öffentlich geübt und verkündet wird. Sowie sie aufhört, öffentlich zu sein, artet sie in Haß und Rache aus,«

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so brach unter den Richtern höchst ungünstiges Murren aus, – »Er lästert die heilige Feme! Schließt ihm den Mund für immer!«

»Hört mich,« sagte der Engländer, »sowie Ihr eines Tages wünschen werdet, gehört zu werden! Ich sage, das war meine Meinung, und so sprach ich sie aus – ich sage auch, daß ich ein Recht hatte, diese Meinung auszusprechen, mochte sie nun verständig oder irrig sein; denn ich befand mich in einem Lande, wo dieses Gericht weder Anerkennung fordern, noch Gewalt ausüben konnte. Meine Gesinnungen sind noch dieselben. Ich würde das bekennen, wenn dieses Schwert in meiner Brust wühlte, jener Strang mir um den Hals gelegt würde. Allein ich leugne, daß ich jemals gegen die heilige Feme und deren Satzungen in einem Lande sprach, wo sie als landesübliches Gericht ihren Sitz hat. Weit kräftiger noch, wenn möglich, widerspreche ich der Lächerlichkeit der falschen Bezichtigung, die von mir, einem wandernden Fremdling, aussagt, als sei ich beauftragt, mit dem Herzoge von Burgund über so hohe Gegenstände zu verhandeln oder ihn zu einem Kriegszug gegen die Feme zu bestimmen. Davon ist gar keine Rede.«

»Kläger,« sprach der Freigraf: »Du hast den Beklagten gehört. Wie lautet Deine Erwiderung?« – »Den ersten Teil der Anklage,« sagte der Aufgeforderte, »hat er in Deiner hohen Gegenwart eingestanden, namentlich, daß seine schändliche Zunge unsere heiligen Mysterien höhnend entweiht hat; wofür er verdient, daß sie ihm aus dem Halse gerissen werde. Daß der übrige Teil der Anklage ebenso wahr ist, wie das, was er nicht abzuleugnen vermocht hat, das will ich auf meinen Richtereid nehmen.«

»Vor Gericht,« sagte der Engländer, »wird in Ermangelung triftigen Beweises der Eidschwur dem Beklagten auferlegt, doch wird dem Kläger nicht gestattet, durch einen Eid seine lückenhafte Anklage zu stützen.« – »Fremdling,« erwiderte der Freigraf, »wer unter diesen ehrwürdigen Richtern sitzen will, muß von untadelhaftem Charakter sein. Der Eidschwur eines solchen Richters würde daher die feierlichste Behauptung eines Jeden aufwägen, der nicht in unsere heiligen Geheimnisse eingeweiht ist. Die Aussage des Kaisers selbst, so dieser nicht zur Feme gehört, würde in unserm Kreise nicht soviel Gewicht haben, wie die des Geringsten dieser Schöffen. Die Behauptung des Klägers kann nur durch den Eid eines Beisitzers höheren Ranges zurückgewiesen werden.«

»So sei denn Gott mir gnädig! Ich habe keine Hoffnung als nur im Himmel!« sprach der Engländer in feierlichem Tone: »doch will ich nicht fallen, ohne den letzten Versuch gemacht zu haben. So rufe ich denn Dich an, Du finsterer Geist, der Du in dieser Todeshalle den Vorzug hast! Ich rufe Dich auf, bei Ehre und Glauben, zu erklären, ob Du mich für schuldig hältst dessen, warum mich jener boshafte Verleumder verklagt! Ich beschwöre Dich bei dem heiligen Namen, den Du –« – »Halt!« versetzte der Freigraf. »Der Name, unter welchem wir in freier Luft bekannt sind, darf vor diesem unterirdischen Gerichtsstuhle nicht ausgesprochen werden.« Dann fuhr er, zu dem Gefangenen, den Richtern und Schöffen gewendet, in folgenden Worten fort: »Ich, der ich zur Beweisführung aufgerufen bin, erkläre, daß die Anklage gegen Dich insofern wahrhaft ist, als Du sie selbst eingestandest, namentlich daß Du in andern Ländern leichtfertig von den Satzungen der heiligen Feme sprachest. Allein ich glaube in meiner Seele, und ich will es mit meiner Ehre bezeugen, daß der übrige Teil der Klage unglaubwürdig und falsch ist. Und dies schwör ich, indem ich die Hand auf Dolch und Strang lege. – Was ist Euer Urteil, meine Brüder, über diesen also verhandelten Fall?«

Einer der Richter in der Vorderreihe, anscheinend ein hochbetagter Mann, erhob sich mühevoll und sprach mit zitternder Stimme: »Der Sohn des Stranges, der hier vor uns ist, war der Torheit und Uebereilung schuldig, unsere heiligen Satzungen gelästert zu haben. Allein er äußerte seine Torheit vor Ohren, die nimmer von unseren heiligen Statuten gehört hatten. Durch unwidersprechliches Zeugnis ist er davon freigesprochen worden, an machtlosen Umtrieben zum Sturze unserer Gewalt oder an der Aufhetzung von Fürsten gegen unsern heiligen Stuhl beteiligt zu sein. So ist er zwar ein Tor, jedoch kein Verbrecher; und da die heilige Feme keine andere Strafe als die Todesstrafe kennt, so schlage ich den Spruch vor, das Kind des Stranges unverletzt der menschlichen Gesellschaft und der Oberwelt zurückzugeben, sobald es gehörig wegen seiner Irrtümer ermahnt worden sei.«

»Sohn des Stranges,« nahm jetzt der Freigraf das Wort. »Du hast Deine Freisprechung vernommen. Allein so Du wünschest, in einem blutlosen Grabe zu schlummern, so laß mich Dich warnen: Bewahre die Geheimnisse dieser Nacht gegen Vater und Mutter, Gattin, Sohn oder Tochter, versprich nie davon zu sprechen, weder laut noch leise, noch in Andeutungen, Gebärden, Zeichen oder Gleichnissen! Gehorche diesem Geheiß, und Dein Leben ist gesichert. Laß Dein Herz fröhlich sein in Dir, allein laß es fröhlich sein mit Zittern! Nie mehr laß Eitelkeit Dich verleiten, Dir einzureden, Du seiest sicher vor den Richtern und Dienern der heiligen Feme, ob Du auch tausend Meilen Weges lägen zwischen Dir und uns, ob Du auch in einem Lande weiltest, wo man unsere Macht nicht kennt, ob Du auch auf Deiner heimatlichen Insel Dich geschützt wähntest durch das Weltmeer, von dem sie rings umgeben ist. Ich warne Dich, schlag ein Kreuz, sooft Du des heiligen, unsichtbaren Femgerichtes gedenkst, und verschließ Deine Gedanken fest in Deiner Brust! Geh von hinnen, sei weise und fürchte stets die heilige Feme!«

Am Schlusse dieser Rede erloschen zischend alle Lichter zu gleicher Zeit. Philippson wurde leise auf seine Lagerstatt hinabgedrückt und wieder an den Ort getragen, von dem aus man ihn an den Fuß des Altars gebracht hatte. Das Strickwerk wurde wieder angelegt, und Philippson fühlte, wie etliche Minuten lang sein Bett sich immer höher hob, bis ein leichter Stoß ihn belehrte, daß es wieder auf dem Fußboden des Schlafgemaches stand, in das man ihn in der vorigen Nacht oder, besser gesagt, an diesem Morgen geführt hatte.

Er erwog, was er erlebt hatte, und fühlte, zu wie großem Dank er dem Himmel für seine Befreiung verpflichtet war. Endlich siegte die Müdigkeit über seine Bekümmernis, und er verfiel in einen tiefen und festen Schlaf, aus dem er erst bei hellem Tage wieder erwachte. Augenblicklich beschloß er, einen so gefährlichen Ort zu verlassen, und ohne einen einzigen Bewohner, den alten Stallknecht ausgenommen, zu sehen, setzte er seine Reise nach Straßburg fort und erreichte diese Stadt ohne ferneren Unfall.

Fünftes Kapitel

Als Arthur Philippson seinen Vater verlassen hatte, um sich an Bord eines Kahnes zu begeben, der ihn über den Rhein tragen sollte,, nahm er nur wenig Rücksicht auf seine eigenen Bedürfnisse, da er des Glaubens war, daß sie nur auf kurze Zeit voneinander getrennt sein würden. Ein paar Kleider und eine Handvoll Goldstücke war alles, was er vom gemeinsamen Vorrat für sich abnahm; das übrige Gepäck sowie alles Geld ließ er mitsamt dem Saumtier zurück. Als er sich samt seinem Pferde und seinem leichten Bündel auf das Fährboot begeben hatte, richtete dieses sogleich seinen Mast, breitete seine Segel aus, und vom Winde getrieben, fuhr es in schräger Richtung über den Rhein nach dem Dorfe Kirchhof. Die Ueberfahrt ging so gut von statten, daß sie das jenseitige Ufer nach wenigen Minuten erreichten.

Arthur entschloß sich, nicht in Kirchhof zu verweilen, sondern so schnell wie möglich seinen Weg nach Straßburg fortzusetzen und, wenn Dunkelheit ihn zwänge anzuhalten, in einem der Dörfer oder Flecken zu übernachten, die er auf seiner Reise an der deutschen Seite des Rheins vorfinden würde. Zu Straßburg, so hoffte er in dem feurigen Geiste, der der Jugend eigen ist, würde er seinen Vater wiederfinden; und vermochte er auch nicht sogleich alle Bekümmernis über ihre Trennung zu unterdrücken, so nährte er doch die fröhliche Zuversicht auf glückliches Wiedersehen.

Arthur erfreute sich an den in diesem Teile herrlichen Landschaften des Rheins, bis das erblassende Tageslicht ihn daran erinnerte, daß ein allein reisender Jüngling, der wertvolle Gegenstände bei sich führte, besser daran täte, eine Nachtherberge zu suchen. Er hatte eben den Entschluß gefaßt, bei den nächsten Wohnungen den Weg zu einem Gasthaus zu erfragen, als er plötzlich ein unerwartet schönes Landschaftsbild vor Augen hatte. Umrahmt von hohen Bäumen, lag eine Wiese vor ihm. Sie war von einem breiten Gewässer durchflossen, das in den Rhein mündete.

Dieses Gewässer umspülte ein halbes Stündlein weiter eine felsige Anhöhe, die mit Seitenwällen und gotischen Türmchen geziert war – den Teilen einer Ritterburg ersten Ranges. Das ebene Land am Ufer des Flusses war zum Teil mit Weizen bepflanzt, von dem nur noch die Stoppeln standen, zum Teil war es eine weite Wiesenfläche. Ein Bursch in ländlicher Kleidung war beschäftigt, mit Hilfe eines abgerichteten Wachtelhundes Rebhühner zu jagen, während eine junge Frauensperson, anscheinend die Zofe einer Edeldame, auf dem Stumpfe eines abgestorbenen Baumes saß und diesem Treiben zuschaute. Der Wachtelhund, dessen Amt es war, die Rebhühner unter das Netz zu treiben, ließ davon ab, als er den Fremden erblickte, und hätte seine Aufgabe ganz vergessen, wenn nicht das Mädchen sich unserm Arthur genähert und ihn gebeten hätte, etwas mehr zur Seite zu reiten, um ihnen das Vergnügen nicht zu stören.

Willig erfüllte der Reisende ihre Bitte. – »Ich will reiten,« schönes Mädchen,« sagte er, »so weit weg es Dir gefällt. Zum Ersatz dafür erlaube mir zu fragen, ob das Gebäude dort ein Kloster, eine Burg, oder sonst eine Wohnung guter Menschen ist, wo ein Fremder, der sich verspätet hat und müde ist, auf eine Nacht Gastfreundschaft finden kann?«

Die Dirne, deren Gesicht er bis jetzt noch nicht deutlich gesehen hatte, schien ein Gelüst zum Lachen zu unterdrücken, indem sie erwiderte: »Sollte jene Burg denn keinen Winkel haben, der einem Fremden Obdach bieten könnte? Ich selbst gehöre zur Besatzung jener Burg, und gewiß werdet Ihr Euch vor solch einem Soldaten fürchten. Ich bürge Euch dafür, daß Ihr Aufnahme findet. Doch da Ihr mich in so kriegerischer Weise anredet, so werde ich, wie es unter Bewaffneten üblich ist, mein Visier herunterlassen.«

Indem sie dies sagte, verbarg sie ihr Antlitz unter einer der Halblarven, die zu jener Zeit viel von Frauen getragen wurden, wenn sie sich außer dem Hause befanden, teils um den Teint zu schützen, teils um sich vor zudringlichen Beobachtern zu sichern. Allein, ehe sie dies zustande bringen konnte, hatte Arthur bereits die schalkhaften Mienen Anneli Veilchens entdeckt, eines Mädchens, das er als Dienerin Annas von Geierstein kennen gelernt hatte. Sie war eine kecke Dirne, stets bereit, zu lachen, zu scherzen und mit den Jünglingen des Landammanns, in dessen Familie sie sehr lieb und wert gehalten wurde, ihre Neckereien zu treiben. Dies fiel nicht sonderlich auf, indem die Sitten der Berggegenden zwischen Herrin und Dienerin wenig Unterschied machen.

Arthur selbst war sehr aufmerksam gegen Anneli Veilchen gewesen, da er bei seiner Leidenschaft für Anna von Geierstein natürlich von Herzen wünschen mußte, sich die gute Meinung ihrer Zofe zu sichern, was er durch kleine Geschenke an Schmuck und Kleidungsstücken, wie sie jede Zofe gern annimmt, mit Leichtigkeit erreicht hatte.

Das Bewußtsein, sich in Anna von Geiersteins Nähe zu befinden, die Hoffnung, vielleicht die Nacht mit ihr unter einunddemselben Dache zuzubringen, worauf des Mädchens Anwesenheit und ihre Aeußerungen deuteten, ließen das Blut rascher durch Arthurs Adern kreisen. Voll Verlangens, von Annas Verhältnissen soviel wie möglich aus Annelis Munde zu vernehmen, ließ er die Zofe nichts von seiner Freude merken und tat so, als habe er sie noch nicht erkannt. Er war entschlossen, zu warten, bis sie selbst es für gut finden würde, die Maske abzulegen.

Während diese Gedanken ihm rasch durch den Kopf fuhren, befahl Anneli dem Burschen, die Netze einzuziehen, zwei der besten und fettesten Rebhühner von der Brut zu nehmen und sie in die Küche zu schaffen, die übrigen aber wieder in Freiheit zu setzen. – »Ich muß für ein Abendessen sorgen,« sagte sie zu dem Reisenden, »da ich unerwartete Gesellschaft heimbringe.« »Ich möchte Deiner Herrin keine Ungelegenheiten verursachen,« antwortete Arthur. – »Schau, schau!« sagte Anneli Veilchen; »ich habe nichts von einem Herrn und einer Herrin gesagt, und dieser arme verirrte Reisende hat schon bei sich selbst ausgemacht, daß er in der Wohnung einer Dame Herberge finden werde!« – »Wie? sagtest Du mir nicht,« sprach Arthur etwas verwirrt, sich verschnappt zu haben, »daß Du eine Person zweiter Bedeutung in der Burg wärest? Doch wie heißt dieses Schloß?«

»Die Burg führt den Namen Arnheim,« sagte das Mädchen. – »Eure Besatzung muß bedeutend sein,« sagte Arthur, indem er das weitläufige Gebäude anblickte, »so Ihr imstande seid, solch ein Labyrinth von Mauern zu bemannen.« – »In diesem Punkt,« versetzte Anneli, »sind wir schlimm beraten, wie ich gestehen muß. Jetzt verbergen wir uns mehr in der Burg, als daß wir sie bewohnen, und doch ist sie mehr als geschützt durch das Gerücht, das von ihr im Umlauf ist und jeden abschreckt, der ihre Ruhe stören möchte.« – »Und dessen ungeachtet wagt Ihr, darin zu wohnen?« fragte der Engländer, der sich dessen erinnerte, was Rudolf von Donnersberg ihm einst von dem Freiherrn von Arnheim und dem düsteren Schicksale seiner Familie erzählt hatte.

»Vielleicht,« versetzte seine Führerin, »haben wir Mittel in Händen, dem uns angedichteten Schrecken zu widerstehen – vielleicht auch haben wir keinen besseren Zufluchtsort finden können. Das scheint auch Euer Geschick zu sein, Herr, denn die Spitzen der fernen Hügel verschwinden schon in der Dunkelheit, und wenn Ihr nicht auf Arnheim befriedigt oder unbefriedigt einkehrt, so möchtet Ihr Gefahr laufen, in der nächsten Stunde keine andere Herberge zu finden.«

Während sie dies sprach, trennte sie sich von Arthur, indem sie den Vogelsteller, der sie begleitete, mit sich nahm und mit ihm einen steilen, jedoch kurzen Fußpfad einschlug, der gerade hinauf zur Burg führte. Dem jungen Engländer hatte sie die Weisung gegeben, einer Spur von Pferdehufen zu folgen, die auf einem weitern, doch bequemeren Wege zu demselben Ziele führte,

Arthur machte bald Halt vor dem südlichen Eingange der Feste Arnheim, die ein weit größeres Gebäude war, als er es sich aus Rudolfs Beschreibung vorgestellt hatte. Es war zu verschiedenen Zeiten daran gebaut worden, und ein bedeutender Teil war weniger im streng gotischen, als vielmehr im sogenannten maurischen Stil errichtet. Diese seltsame Feste trug zwar im allgemeinen Spuren der Verwüstung und Zertrümmerung; allein Rudolf von Donnersberg war falsch berichtet, als er erzählte, sie wäre in Ruinen zerfallen. Im Gegenteile trug man, als die Burg in die Hände des Kaisers fiel, Sorge, das Gebäude in gutem Zustande zu erhalten, und es wurde von Zeit zu Zeit von einem Beauftragten des kaiserlichen Kanzlers regelmäßig besichtigt. Der Besitz des Grundgebietes um die Burg her war wertvoller Ersatz für die Bemühungen dieses Abgeordneten, der es sich deshalb angelegen sein ließ, die Einkünfte daraus nicht durch Vernachlässigung seiner Pflicht zu verscherzen. Vor kurzem war dieser Beamte an den Hof gerufen worden, und nun traf es sich, daß die junge Freiin von Arnheim in den verödeten Türmen ihrer Vorfahren einen Zufluchtsort gefunden hatte.

Das Schweizer Dirnchen ließ unserm jugendlichen Reisenden nicht Zeit, die Außenseite des Schlosses genau in Augenschein zu nehmen oder die Bedeutung der dem Anscheine nach morgenländischen Sinnbilder und Inschriften zu entziffern, die sich auf dem Mauerwerk befanden. Arthur hatte kaum einen flüchtigen Blick auf das ganze Gebäude geworfen, so rief ihm auch schon das Mädchen von einem Mauerwinkel herab zu, von dessen Vorsprung ein langes Brett über einen ausgetrockneten Graben führte, »Habt Ihr Eure Schweizer Lehrstunden schon wieder vergessen?« sagte sie, als sie bemerkte, daß Arthur ziemlich furchtsam über die schwankende und äußerst schmale Brücke daherschritt.

Der Gedanke, daß Anna von Geierstein dieselbe Bemerkung machen möchte, verlieh dem jungen Reisenden die nötige Beherztheit. Er schritt über das Brett mit eben dem kalten Blick, womit er gelernt hatte, die weit fürchterliche Klippe neben den Trümmern des Geiersteins zu betreten. Kaum war er in der Burg angelangt, so nahm Anneli ihre Larve ab und bewillkommte ihn in ihrem und im Namen alter Freunde mit neuem Namen auf deutschem Boden.

»Anna von Geierstein,« sagte sie, »ist nicht mehr; allein Ihr sollt sofort die Freiin von Arnheim erblicken, die ihr außerordentlich ähnlich sieht, und ich, die ich im Schweizerlande Anneli Veilchen, die Magd einer Jungfrau war, die eben nicht höher geschätzt war als ich, bin jetzt die Zofe jener Freiin und weiß meinem Stande Ehre zu machen.« – »So sage Deiner jungen Herrin,« erwiderte der junge Philippson, »als ich mich dieser Feste nahte, hatte ich keine Ahnung, daß sie darinnen weilte, sonst hätte ich mich ihr nicht aufgedrängt.« – »Weg, weg!« versetzte das Dirnchen lachend, »ich weiß was Besseres zu Eurem Vorteile zu sagen. Ihr seid nicht der erste arme Mann und Handelskrämer, der die Gunst einer vornehmen Dame gewann. – Doch wenn Ihr von Entschuldigungen und ahnungslosem Eintritt schwatzt, erreicht Ihr gar nichts. Von Liebesglut will ich ihr erzählen, die der ganze Rheinstrom nicht löschen kann, und die Euch hierher trieb, indem Ihr keine andere Wahl hattet, als entweder hieher zu kommen oder zu sterben.«– »Nicht doch, Anneli, Anneli!« – »O, was Ihr für ein Narr seid – macht einen kürzeren Namen daraus, ruft Anna! Anna! und Ihr habt mehr Aussicht auf Antwort!«

Mit diesen Worten rannte die wilde Dirne weg, entzückt über den Gedanken, daß sie es trefflich eingefädelt hätte, zwei Liebende zusammengeführt zu haben, die schon die Trennung auf ewig befürchtet hatten. In dieser selbstzufriedenen Stimmung hüpfte Anneli eine kleine Wendeltreppe hinan – zu einem Kabinett oder Ankleidegemach, wo sich ihre junge Gebieterin befand, rief mit lachendem Munde: »Anna von Gei – – Fräulein, wollt ich sagen, sie kommen, sie kommen!«

»Die Philippsons?« fragte Anna halb atemlos. – »Ja – nein –,« versetzte die Dirne, »doch ja; denn der Beste ist gekommen, nämlich Arthur.« – »Was sprichst Du, Mädchen? Ist der Vater nicht bei seinem Sohne?« – »Nicht doch,« sagte die Veilchen, »auch habe ich gar nicht daran gedacht, nach ihm zu fragen. Er war eben nicht mein Freund, denn er hatte immer nur Sprichwörter im Munde und Sorge auf der Stirn.« – »Ungefällige, unbedachtsame Dirne! Was hast Du angerichtet?« fragte Anna von Geierstein. »Befahl ich Dir nicht angelegentlich, beide hieher zu führen; und nun hast Du den jungen Mann allein hieher zu uns in diese Einsamkeit gebracht? Was wird – was kann er von mir denken?«

»Ei, was hätte ich denn tun sollen?« versetzte Anneli. »Er war allein; hätte ich denn ihn hinabschicken sollen ins Dorf, daß die Landsknechte des Rheingrafen ihn erschlügen? Traun, ist doch alles Fisch, was ihnen ins Netz läuft, und wie sollt' er sich durch dieses Land finden, das mit umherziehenden Reisigen, Raubrittern und schurkischen Welschen angefüllt ist?« – »Still! Laß uns erwägen, was zu tun ist. Um unseretwillen, um seinetwegen muß dieser junge Mann sogleich die Burg verlassen.« – »So mögt Ihr ihm diese Botschaft selbst überbringen, Anna – um Verzeihung, hochedles Fräulein – es mag sich wohl für eine Edeldame besser schicken, dergleichen Bescheid zu erteilen, wie es wohl in den Romanzen der Meistersänger vorzukommen pflegt; allein für ein offenherziges Schweizermädchen ist solcher Auftrag nicht geeignet. Jetzt aber keine Torheit mehr! sondern bedenkt, wenn Ihr auch ein hochgeborenes Fräulein von Arnheim seid, so wurdet Ihr doch im Schoße der Schweizerberge erzogen und solltet Euch wie ein Mädchen mit biederem Herzen und freiem Sinn benehmen. Hört mich an!«

»So rede denn,« sagte Anna, indem sie schmollend das Gesicht abwendete, um der Zofe zuzuhören; »allein hüte Dich, daß Du nichts sagst, was ich nicht anhören darf.« – »Ich will natürlich und vernünftig sprechen, und wenn Eure edlen Ohren das nicht hören und verstehen mögen, so liegt die Schuld an den Ohren, nicht aber an meiner Zunge. Schaut! Ihr habt diesen jungen Mann zweimal aus großer Gefahr errettet – einmal bei dem Erdsturz auf Geierstein, ein anderesmal heut, wo sein Leben bedroht war. Und rund heraus, er ist ein hübscher Mann und wohl geeignet, einer Dame Gunst zu verdienen. Bevor Ihr ihn saht, waren die Schweizer Jünglinge Euch mindestens nicht verhaßt. Ihr tanztet mit ihnen – Ihr scherztet mit ihnen – Ihr wart der allgemeine Gegenstand ihrer Bewunderung – und Ihr hättet, wie Ihr recht wohl wißt, im ganzen Kanton die Wahl haben können, ja sogar Rudolf von Donnersberg hätte Euer Liebster werden können.« – »Niemals, niemals!« rief Anna von Geierstein. – »Seid Eurer Sache nicht so überaus gewiß, mein Fräulein! Hätte er sich nur gehörig bei dem Ohm zu empfehlen gewußt, so würde er in irgend einem günstigen Augenblicke wohl die Nichte gewonnen haben. Aber seitdem wir diesen jungen Engländer kennen lernten, nimmt man an Euch geradezu Geringschätzung, Verachtung und bisweilen etwas dem Hasse Aehnliches gegen alle die Männer wahr, die Ihr sonst recht wohl leiden konntet.«

»Wart nur, ich will Dich,« sagte Anna, »noch mehr als irgend einen von ihnen hassen und verabscheuen, wenn Du mit Deinem Geschwätze nicht bald zu Ende kommst.« – »Edles Fräulein, laßt uns langsam, sanft und freundlich weitergehen. Aus all dem geht hervor, daß Ihr den jungen Mann liebt, und mögen diejenigen, die an der Sache etwas Wunderbares finden, sagen, daß Ihr unrecht habt. Es läßt sich gar vieles dafür, nichts aber dagegen sagen,« – »Wie, törichtes Mädchen! Meine Geburt verbietet mir, einen Mann von geringer Herkunft zu lieben – mein Stand verbietet mir, einen armen Mann zu lieben – meines Vaters Gebot befiehlt mir, nur mit seiner Zustimmung zu wählen – vor allem aber verbietet mir mein Mädchenstolz, meine Neigung jemandem zuzuwenden, der sich aus mir nichts macht, – ja, der vielleicht völlig gegen mich eingenommen ist.«

»Das ist ein schöner Grundtext,« sagte Anneli, »aber ich kann jeden Satz darin ebenso leicht widerlegen, wie der Pater Franziskus seine Textworte in einer Festtagspredigt zu entwickeln versteht. Eure Geburt ist ein törichter Traum, den Ihr seit zwei oder drei Tagen erst hegt, denn seitdem Ihr deutschen Boden betreten habt, begann etwas von dem alten deutschen Unkraute, Familienstolz genannt, in Eurer Brust zu keimen. Denkt über solche Torheit so, wie Ihr darüber dachtet, als Ihr zu Geierstein als vernünftiges Mädel lebtet, und dies gewaltige Vorurteil wird in nichts versinken. Was den Stand betrifft, so dünkt mich, Ihr versteht darunter Vermögen. Nun, Philippsons Vater, der freigebigste Mann von der ganzen Welt, wird seinem Sohne gewiß soviel Goldstücke geben, daß Ihr Euch eine Meierei pachten könnt. Ihr versteht die Wirtschaft, und Arthur kann schießen, jagen, fischen, pflügen, eggen und ernten. Drum geht hinab in das Gemach, redet mit Eurem Liebsten oder laßt ihn zu Euch reden; laßt Eure Hände zusammengehen, zieht ruhig als Mann und Weib gegen Geierstein und bringt alles in Bereitschaft, Euren Ohm bei seiner Rückkehr zu empfangen. Das ist der Weg, den eine schlichte Schweizerdirne einschlägt, um dem Roman einer deutschen Freiin ein Ende zu machen.«

»Dein Plan ist nichtig, Dirne,« sagte Anna, »ist der kindische Traum eines Mädchens, das vom Leben weiter nichts weiß, als was es hinter der Milchbutte darüber vernommen hat. Bedenke, daß mein Ohm von jedem Kinde den weitgehendsten Gehorsam fordert, und daß ich durch eine Handlung gegen meines Vaters Willen mir seine gute Meinung verscherzen würde. Warum bin ich sonst hier? Weshalb hat er der Aufsicht über mich entsagt? Und warum bin ich genötigt, die Sitten abzulegen, die mir so wert sind, und mich Gebräuchen zu unterziehen, die mir fremd und lästig sind? Was den jungen Mann betrifft, so hätte ich ihn wohl lieben können. Er wäre dessen wert, ich will's nicht leugnen, sein Betragen gegen mich war jederzeit ehrenwert und aufrichtig – hätte nicht ehrerbietiger, nicht rechtschaffener sein können. Aber,« hier legte das Fräulein die Hand an die Stirn, und Tränen flossen zwischen ihren zarten Fingern hindurch, »er hat noch nie von Liebe zu mir gesprochen. Wenn er mich wirklich liebt, so hält ihn gewiß ein unüberwindliches Hindernis ab, sie zu gestehen,«

»Ein Hindernis?« fragte die Schweizer Zofe und setzte hinzu: »irgend ein törichter Begriff von Eurer Geburt, als stündet Ihr zu hoch für ihn – irgend eine kindische Verschämtheit – irgend ein Traum von übertriebener Bescheidenheit – das werden die Hindernisse sein. Diese Verblendung wird durch eine einzige Ermutigung schwinden, und dieses Geschäft will ich, teuerste Anna, um Euch das Rotwerden zu ersparen, über mich nehmen,« – »Nein, nein, um Himmels willen, Anneli!« rief die Freiin, »Du kannst gar nicht wissen, was es für Hindernisse sind, die es ihm verbieten, an das zu denken, was Du gern befördern möchtest. Ich bin fest überzeugt, diese Philippsons sind Männer von Stande, denn ihre Sitten, ihr Benehmen sind weit über ihr scheinbares Gewerbe erhaben. Der Vater ist ein Mann von tiefem Beobachtungsgeiste, von hohen Gesinnungen und von einer Freigebigkeit, die sich kein Handelsmann erlauben könnte.«

»Das ist wahr,« sprach Anneli, »denn ich muß sagen, die Silberkette, die er mir schenkte, ist zehn Krontaler wert, und das Kreuz, das Arthur mir dazu gab, soll noch mehr wert sein. Doch was dann weiter? Die Philippsons sind also reich und vornehm wie Ihr. Um so besser!« –

»Ach, Anneli, Du weißt nicht, wie oft es unter Leuten vornehmer Geburt Brauch ist, ihre Kinder schon von der Wiege ab mit dem Kinde eines andern Adeligen zu verloben. Was denn, wenn der Vater Philippsons in seiner Heimat ein Mann von hohen Würden ist und seinen Sohn aus diplomatischen Rücksichten schon zum Gatten eines englischen Edelkindes ausersehen hat? Und welchen andern Grund, als daß er schon versprochen ist, sollte die Zurückhaltung des jungen Mannes haben?« – »O weh, Fräulein,« antwortete Anneli. »Was ist dann zu tun? Ich habe diesen jungen Mann hierhergeführt, indem ich, Gott weiß es, Eurem Zusammentreffen einen glücklicheren Ausgang wünschte. Allein es ist klar, Ihr könnt ihn nicht heiraten, wenn er Euch nicht zur Ehe begehrt. Trotzdem dürfen wir ihn aber jetzt nicht wieder ziehen lassen, er könnte gar leicht den Kehlabschneidern des Rheingrafen in die Hände fallen.«

»So mag der Willibald ihn hereinführen, und Du sorge dafür, daß es ihm an nichts fehle. Es ist am besten, wenn ich ihn nicht sehe,« – »Gut,« sagte Anneli; »was soll ich aber Euretwegen sagen? Unglücklicherweise ließ ich ihn wissen, daß Ihr hier wäret.« – »O, unverständiges Mädchen! Doch wie sollt' ich Dich tadeln,« sagte Anna von Geierstein, »da der Unverstand auch auf meiner Seite so groß war? Ich selbst habe mir das eingebrockt, indem ich mich in Gedanken zu sehr mit dem jungen Mann und seinen Vorzügen beschäftigte. Doch nun will ich diese Torheit besiegen und trotzdem die Pflichten der Gastfreundschaft erfüllen. Fort, Anneli, laß Erfrischungen besorgen! Du sollst mit uns zu Abend essen und darfst uns nicht verlassen. Du sollst sehen, daß ich mich nicht nur wie ein deutsches Edelfräulein, sondern auch wie ein Schweizer Mädchen zu benehmen weiß. Schaffe mir jedoch erst Licht, meine Liebe; denn ich muß meine Kleider ordnen und auch diese Verräter, meine Augen, waschen.«

Sechstes Kapitel

Trepp ab, trepp auf, trippelte Anneli Veilchen, als die Seele von allem, was in dem einzigen bewohnbaren Winkel der weitläufigen Arnheimer Feste vorging. Sie taugte zu jeglichem Dienste und steckte deswegen ihr Köpfchen in den Stall, um sich zu überzeugen, ob Willibald gehörig für Arthurs Pferd sorgte, guckte in die Küche, um nachzusehen, ob Märten, der alte Koch, die Rebhühner zu gehöriger Zeit würde geschmort haben (eine Einmischung, für die sie wenig Dank erntete), holte etliche Krüge Rheinwein von dem großen Faß im Keller und lugte endlich in das Vorgemach, um nachzuschauen, wie es um Arthur stünde. Da hatte sie denn die Freude zu sehen, daß dieser seine Person auf das beste herausstaffiert hatte, und so versicherte sie ihm, er solle ihre Gebieterin bald erblicken, die zwar unpaß wäre, sich's jedoch nicht versagen könnte, herabzukommen, um einen so werten Bekannten zu begrüßen.

Arthur errötete, als das Mädchen so sprach, und erschien dabei der Zofe so hübsch, daß sie unterwegs, als sie wieder hinaufsprang in das Gemach ihrer Gebieterin, zu sich selbst sprach: »Wenn treue Liebe trotz aller Hindernisse es nicht dahin bringen kann, dieses Pärchen zusammenzuführen, so will ich nimmermehr glauben, daß es überhaupt ein Ding wie wahre Liebe auf der Welt gibt, mag Martin Springer auch sagen, was er will, und mag er es noch so hoch und teuer auf das Evangelium beschwören.«

Als sie das Gemach des jungen Fräuleins erreicht hatte, fand sie, daß Anna, statt alles anzutun, was sie an Schmuck besaß, das einfache Gewand angezogen hatte, das sie an dem Tage trug, wo Arthur zum erstenmale auf Geierstein zu Tische saß. Betroffen und zweifelhaft sah die Zofe anfänglich ihre Gebieterin an; dann aber erkannte sie das feine Gefühl, das sie bewog, dieses Kleid zu wählen, und rief aus: »Ihr habt recht! – Ihr habt recht – am besten ist es, Ihr tretet ihm als das freiherzige Schweizermädchen entgegen!«

Auch Anna lächelte und erwiderte: »Doch muß ich in den Mauern von Arnheim zu gleicher Zeit auch gewissermaßen als die Tochter meines Vaters erscheinen. Hier, Mädchen, hilf mir diesen Edelstein auf das Band heften, das in mein Haar geflochten ist.«

Es war ein Kopfputz, der aus zwei von einem Opal zusammengehaltenen Geierfedern bestand, diese Edelsteine funkelten in so reichen Farben, daß die Schweizerdirne, die in ihrem Leben dergleichen Dinge noch nicht gesehen hatte, den Schmuck entzückt bewunderte. – »Traun, gnädiges Fräulein Anna,« sprach sie, »wenn das hübsche Ding wirklich als ein Zeichen Eures Standes getragen wird, so ist es an all Eurer Würde das einzige, wonach mich gelüsten könnte; denn es schimmert und schillert gar wunderlieblich.« – »Ach, Anneli,« sagte die Freiin, indem sie mit der Hand über die Augen fuhr, »von allem Geschmeide, das die Ahnfrauen meines Hauses ihr eigen nannten, ist dieser Stein seinen Besitzerinnen vielleicht der verhängnisvollste gewesen.«

»Und warum tragt Ihr ihn dann?« fragte Anneli; »warum vor allen andern Tagen im Jahre gerade heute?«

»Weil er am besten mich an die Pflicht erinnert, die ich gegen meinen Vater und meinen Stamm zu erfüllen habe. Und jetzt, Mädchen, sage ich Dir, daß Du hübsch mit uns bei Tische sitzest und keinen Augenblick das Gemach verläßt, daß Du mir nicht geschäftig hin und her rennst, um dies oder das herbeizuschaffen, sondern ruhig auf Deinem Sessel bleibst und alles durch Willibald besorgen läßt! Ich weiß nicht, ob ich recht oder unrecht tue, wenn ich diesen jungen Mann sehe, wäre es auch das letzte Mal! Wenn mein Vater käme? Wenn Itel Schreckenwald heimkehrte?« –»Euer Vater ist zu sehr vertieft in irgend eines seiner düstern, geheimnisvollen Geschäfte,« sagte die plappernde Schweizerdirne, »und reitet vielleicht nach dem Blocksberge, wo die Hexen Sabbat halten, oder macht mit dem wilden Jäger einen Jagdzug.« – »Pfui, Anneli, wie kannst Du so von meinem Vater sprechen?« – »Nun, weil ich eigentlich wenig von ihm weiß,« sprach die Zofe, »und Ihr selbst wißt nicht viel mehr von ihm. Und wie sollte das unwahr sein, was alle Welt für wahr erklärt?« – »Was, Du Törin, erklärt alle Welt für wahr?«

»Ei, daß der Freiherr ein Hexenmeister ist, daß Eure Großmutter ein Irrwisch war, und daß Itel Schreckenwald ein eingefleischter Teufel ist.« – »Wo ist Itel?« – »Hinabgegangen, die Nacht im Dorfe zuzubringen, die Mannschaft des Rheingrafen zu quartieren, und sie, womöglich, ein wenig in Ordnung zu halten; denn die Kriegsmänner sind unzufrieden, weil sie den versprochenen Lohn nicht erhalten haben.« – »So laß uns gehen, Mädchen, vielleicht ist für viele Jahre diese Nacht die letzte, die wir in Freiheit verbringen.«

Wer möchte die Verlegenheit schildern, mit der Arthur Philippson und Anna von Geierstein einander begegneten; als sie sich begrüßten, erhoben sie weder ihre Blicke, noch sprachen sie vernehmbar, und das Mädchen konnte nicht höher erröten als ihr bescheidener Liebhaber; während die frohgelaunte Schweizerdirne, deren Ansichten über Liebe weit freier und ungezwungener waren, die Augenbrauen ein wenig in die Höhe zog und ziemlich geringschätzend auf ein Liebespaar blickte, das nach ihrer Meinung sich so unnatürlich und förmlich benahm. Tief war die Verbeugung und hoch das Erröten, womit Arthur dem jungen Fräulein die Hand bot, und sie erwiderte diese Höflichkeit mit ebensolcher Verschämtheit. Arthur führte, wie es die Sitte der Zeit und der Wohlanständigkeit mit sich brachte, die Dame in das Nebengemach, wo der Tisch zum Abendessen gedeckt war; und Anneli, die mit seltener Aufmerksamkeit alles, was vorging, beobachtete, erstaunte über alle die Zeremonien, deren ihre Herrin sich befleißigte, seit sie den höheren Ständen angehörte.

Allem Anscheine nach sahen sich die jungen Leute durch die Verhältnisse, in denen sie sich hier befanden, veranlaßt, die Sitten eines höheren Standes zu beobachten, an die sie beiderseits in früheren Jahren gewöhnt gewesen waren; und während die Freiin es für nötig hielt, den strengsten Anstand zu wahren, um den Empfang Arthurs in den innersten Gemächern ihrer Burg zu rechtfertigen, so war er dagegen bemüht, durch die tiefste Ehrerbietung zu zeigen, daß er unfähig wäre, die Güte zu mißbrauchen, mit der er stets von Anna behandelt worden. Sie setzten sich zu Tische, indem sie gewissenhaft die Entfernung innehielten, die die Sitte zwischen einem tugendhaften Jüngling und einem sittenreinen Mädchen forderten. Der Bursch Willibald wartete mit Höflichkeit und Hurtigkeit auf, gleich einem, der an dergleichen gewöhnt ist, und Anneli, die zwischen den Liebenden saß, verhielt sich so artig, wie man es von der Zofe eines gnädigen Fräuleins erwarten konnte. Dennoch machte sie dabei manche Schnitzer. Ihr Benehmen im allgemeinen glich etwa dem eines Windspiels an der Leine, das jeden Augenblick bereit ist, durchzugehen.

Andere Punkte der feinen Sitte wurden nach dem Essen verletzt, als der Aufwärter Willibald sich zurückgezogen hatte. Da fiel es der Zofe ein, ohne alle Umstände sich in das Gespräch zu mischen, ihre Gebieterin bei ihrem Taufnamen Anna zu nennen, ja sogar Philippson mit dem traulichen »Du« anzureden, was damals ein grober Verstoß gegen die Etiquette war. Anna und Arthur machten die Torheiten der Zofe zum willkommenen Anlaß, darüber zu scherzen und ein Lächeln gegeneinander auszutauschen. Es währte nicht lange, so bemerkte Anneli dies, und indem sie geschickt die Gekränkte spielte, sprach das Mädchen mit vielem Scharfsinn: »Ihr seid fürwahr recht lustig auf meine Kosten, und das bloß, weil ich lieber aufgestanden wäre und das Erforderliche selbst geholt hätte, statt daß ich wartete, bis der arme Willibald, der zwischen Tafel und Kredenztisch umhertraben mußte, Zeit fand, es mir zu bringen. Jetzt lacht Ihr mich aus, weil ich Euch bei den Namen nenne, die Euch bei der Taufe im Gotteshause beigelegt wurden, und weil ich Du und Dir und Dich zu Euch sage und den gnädigen Junker und das gnädige Fräulein so anrede, als ob ich auf meinen Knien mit Gott im Himmel spräche. Doch trotz all Euerm geschnörkelten Wesen kann ich sagen, daß Ihr nichts als ein paar Kinder seid, die ihr eigenes Gemüt nicht erkennen und die kurze Mußezeit hinwegspötteln, die ihnen gelassen ist, für ihr eigenes Glück zu sorgen. Nun, runzelt die Stirn nicht, gnädiges Fräulein, ich habe zu oft zum Pilatusberge aufgeblickt, als daß ich mich vor einer düstern Stirn fürchten möchte.« – »Still, Anneli,« sagte ihre Gebieterin, »oder ich gehe hinaus.«– »Hätte ich Euch nicht ebenso lieb wie mich selbst,« sagte die kecke, unerschrockene Dirne, »so würde ich das Gemach und die Burg obendrein verlassen und Euch allein hier wirtschaften lassen, mit Eurem liebenswürdigem Vogt, dem Itel Schreckenwald.« – »Wenn nicht aus Liebe zu mir, so schweige aus Scham und aus Mitleid; oder geh hinaus.« – »Nun,« sprach Anneli, »mein Riegel ist schon vorgeschoben, und ich habe nur auf das angespielt, was alle zusammen auf dem Rasen zu Geierstein an jenem Abend sagten, wo der Buttisholzer Bogen gespannt ward. Ihr wißt, was die alte Sage spricht? Diese meine gnädige Herrin, mein Herr Arthur, bedürfte wohl einer Zofe, die aus Herbstflocken gewoben und mit dem Atem eines Luftgeistes beseelt ist. Könnt Ihr's glauben? Viele meinen ganz ernstlich, sie gehöre zu einem Geschlechte von Elementargeistern.«

Anna von Geierstein schien geneigt zu sein, die Unterhaltung von dem Gegenstand, auf den das Mädchen sie gebracht, abzulenken und von gleichgültigeren Dingen zu reden. Zuvor jedoch sagte sie: »Herr Arthur denkt vielleicht, es läge wirklich Grund zu einem seltsamen Argwohn vor, den einige Toren in Deutschland wie in der Schweiz verbreitet haben. Gesteht es, Arthur, Ihr dachtet sonderbar von mir, als ich an der Brücke zu Grafenlust, wo Ihr Wache standet, an Euch vorüberschritt?«

Die Erinnerung an diese Erscheinung, die ihn damals so gewaltig ergriffen hatte, ergriff noch jetzt unsern Arthur so tief, daß er nur mit Mühe sich beherrschen konnte, um eine Antwort zu finden, und was er erwiderte, war abgebrochen und unzusammenhängend. »Ich hörte – ich muß gestehen – Rudolf von Donnersberg erzählte – doch daß ich etwa glaubte, Ihr wärt, schönes Fräulein, etwas anderes als ein christliches Mädchen.–« – »Nun, wenn Rudolf der Erzähler war,« nahm Anneli das Wort, »so ist es gewiß, daß Ihr nur das Schlimmste über meine Gebieterin und deren Verwandtschaft hörtet. Sicherlich erzählte er Euch ein hübsches Gespenstermärchen, nicht wahr, von meines Fräuleins Großmutter? und fürwahr, die Umstände trafen damals so zusammen, daß Ihr das Märchen so ziemlich für wahr halten konntet.« – »Nicht so, Anneli,« versetzte Arthur; »was auch von Deinem Fräulein Seltsames und Wunderliches gesagt werden mochte, es fiel als unglaubwürdig zu Boden.« »Herr Arthur Philippson,« ergriff Anna das Wort: »wahr ist es, mein Großvater mütterlicher Seite, der Freiherr von Arnheim, war ein Mann von großen Kenntnissen in dunklen und geheimnisreichen Wissenschaften. Auch war er Oberrichter eines geheimen Tribunals, von dem Ihr gehört haben müßt, und das die heilige Feme heißt. Eines Nachts kam ein Fremder, der von jenem geheimen Gericht verfolgt wurde, in die Burg und flehte meinen Ahnherrn um Schutz und Gastfreundschaft an. Mein Großvater, der den Fremden als großen Alchimisten kannte, verlieh ihm Schutz, und sie studierten zusammen ein Jahr und einen Tag lang und drangen in die Geheimnisse der Natur soweit ein, wie es dem Menschen überhaupt vergönnt ist. Als der Tag näher kam, an dem der dem Fremden gewährte Aufschub verflossen war und er von seinem Wirte scheiden mußte, bat er um die Erlaubnis, seine Tochter in die Burg kommen zu lassen, um ihr das letzte Lebewohl zu sagen. Dem Mädchen, dessen Vater einem ungewissen Schicksal entgegenging, gewährte der Freiherr von Arnheim eine Zuflucht in der Feste, wobei er vielleicht hoffte, auch durch sie seine Kenntnisse in den morgenländischen Sprachen und Wissenschaften zu bereichern. Danischmende, ihr Vater, verließ diese Burg, um sich zu Fulda dem Femgerichte zu überliefern. Welchen Ausgang das Verfahren nahm, blieb unbekannt. Vielleicht wurde Danischmende durch das Zeugnis des Freiherrn gerettet, vielleicht wurde er dem Dolch und dem Strange überliefert. Wer wagt es, solche Gegenstände zu besprechen? Die schöne Perserin wurde die Gattin ihres Hüters und Beschützers. Neben vielen Vorzügen besaß sie besonderen Hang zur Unvorsichtigkeit. Sie benützte ihre ausländische Kleidung, ihre fremdartigen Sitten, ihre Schönheit, die wundersam gewesen sein soll, und ihre fast unglaubliche Beweglichkeit, die unwissenden deutschen Weiber in Erstaunen und Schrecken zu setzen, so daß letztere, da sie überdies die Freifrau von Arnheim Persisch und Arabisch sprechen hörten, sie wohl für eine, mit gottlosen Künsten vertraute Frau hielten. Hermione, meine Großmutter, war exzentrisch und phantastisch und fand daran Vergnügen. Sie förderte sogar diesen lächerlichen Argwohn. Der Geschichten, die über sie verbreitet wurden, war keine Ende. Ihr erstes Erscheinen in der Burg soll höchst malerisch gewesen sein und an das Wunderbare gegrenzt haben. Da sie von Standesvorurteilen ganz frei war, geriet sie mit einigen Verwandten über Rang und Vorrang in Zwist; und dies kostete sie das Leben; denn am Morgen des Tauftages meiner armen Mutter starb die Freiin Hermione von Arnheim plötzlich, eben als eine zahlreiche Gesellschaft in der Burg zur Feier versammelt war. Man glaubt, sie sei an Gift gestorben, das die Freifrau von Steinfeld ihr beizubringen wußte, weil sie mit dieser wegen einer Freundin und Gefährtin, der Gräfin Waldstetten, in einen erbitterten Zank geraten war.«

»Und der Opal? und warum wurde er mit Weihwasser besprengt?« fragte Arthur. – »Aha, ich merke, Ihr wollt,« versetzte die junge Freiin, »die volle Wahrheit von meiner Familiengeschichte hören, von der Ihr nur die romantische Sage vernommen habt. – Sie mit Wasser zu besprengen, war wohl nötig; denn sie war in Ohnmacht gefallen. Was den Opal anbelangt, so habe ich freilich auch gehört, daß sein Feuer dabei erloschen wäre; doch kam dies, wie Sachkundige behaupten, nur daher, weil die Natur dieses Edelsteins es mit sich bringt, blind zu werden, sobald man ihn mit giftigen Stoffen in Berührung bringt. Alle diese Dinge wurden durch die Volkssage anders gestaltet und in ein Feenmärchen verwandelt.«

»Aber Ihr sagt mir nichts,« fiel Arthur Philippson ein, »über – über –« – »Ueber was?« fragte seine Wirtin. – »Ueber Euer Erscheinen in jener Nacht.«

»Ist es möglich,« versetzte Anna, »daß ein Mann von Verstande sich das nicht selbst klar machen kann? Mein Vater ist ein vielbeschäftigter Mann in einem unruhigen Lande gewesen und hat sich den Groll mancher machtbegabten Personen zugezogen. Er sieht sich deswegen genötigt, oft im geheimen zu handeln und lästigen Beobachtungen auszuweichen. Ueberdies wollte er vermeiden, mit seinem Bruder, dem Landammann, zusammenzutreffen. Bei meinem Eintritt in Deutschland wurde mir also Kunde, eines Zeichens zu harren, durch das mir mitgeteilt würde, wann und wo ich meinen Vater finden sollte. Dies Zeichen war ein kleines metallenes Kruzifix, das meiner guten Mutter gehört hatte. In meinem Gemach zu Grafenlust fand ich dieses Zeichen mit der Weisung meines Vaters. Er beschrieb mir eine geheime Pforte, durch die ich die Jagdfeste verlassen könnte, und so gelangte ich zu dem Tor, über die Brücke und in den Wald, wo ich an einem bestimmten Platz meinen Vater traf.«

»Ein wildes und gefahrvolles Abenteuer,« sagte Arthur. – »Ich war nie so sehr betroffen,« fuhr Anna fort, »wie in dem Augenblicke, wo ich seine Weisung erhielt. Er zwang mich dadurch, mich von meinem gütigen, liebreichen Ohm wegzustehlen, ohne daß ich wußte, was aus mir werden würde. Doch Gehorsam war unerläßliche Pflicht. Der Ort der Zusammenkunft war genau bestimmt. Ein mitternächtlicher Gang, wo Schutz mir nahe war, konnte für mich nicht viel auf sich haben; aber die Vorsicht, daß Schildwachen an die Tore gestellt worden waren, hätte meinem Vorhaben hinderlich werden können, wenn ich nicht einigen meiner älteren Vettern, den Biedermanns, mich anvertraut hätte, die gern bereit waren, mich ungehindert gehen und kommen zu lassen. Nur Sigismund durfte ich nichts davon sagen, und da sie immer ihren Spaß mit dem schlichten Burschen zu treiben pflegen, so verlangten sie, ich sollte so an ihm vorüberschreiten, daß er mich für eine Geistererscheinung halten müsse. Ueber seine Furcht vor Gespenstern gedachten sie sich dann weidlich lustig zu machen. Ich mußte Ihnen wohl oder übel zu Willen sein, da ich ohne ihre Mithilfe gar nicht hätte gehen können. Doch groß war mein Erstaunen, als ich ganz gegen meine Erwartung an Sigismunds Stelle Euch auf der Brücke fand. Ich will gar nicht erst wissen, was Ihr darüber gedacht habt.«

»Meine Gedanken waren die eines Toren,« sagte Arthur, »eines doppelten Toren. Wäre ich etwas Besseres gewesen, so würde ich Euch meine Begleitung angeboten haben. Mein Schwert – «– »Ich hätte Euer Anerbieten nicht annehmen können,« versetzte Anna gelassen, »Mein Gang mußte in jeder Hinsicht geheim bleiben. Ich traf meinen Vater – er war von Rudolf von Donnersberg behindert worden, seinen Vorsatz auszuführen und mich noch in eben der Nacht mitzunehmen. Doch gelangte ich am frühen Morgen wieder zu ihm, indem Anneli eine Zeitlang meine Rolle bei den Schweizern spielte. Mein Vater wollte nicht wissen lassen, wann und mit wem ich meinen Oheim und dessen Gefolge verließ. Ich brauche Euch kaum zu sagen, daß ich Euch im Kerker sah.«

»Ihr wart die Erhalterin meines Lebens,« sagte der Jüngling – »die Wiederherstellerin meiner Freiheit –« – »Fragt mich nicht danach, warum ich mich in Schweigen hüllte. Ich mußte ganz nach Vorschrift handeln. Ihr wurdet nur zu dem Zweck befreit, eine Verbindung zwischen den Bürgern innerhalb der Feste und den Schweizern außerhalb zustandezubringen. Nach der Bestürmung von La Ferette erfuhr ich von Sigismund Biedermann, daß eine Rotte Buschklepper Euch und Euren Vater verfolgte, um Euch zu plündern. Mein Vater hatte mich mit den Mitteln versehen, das Schweizermädchen Anna von Geierstein in ein deutsches Edelfräulein umzugestalten. Ich setzte mich sofort zu Pferde, und es freut mich, Euch einen Wink gegeben zu haben, der Euch wohl der Gefahr entrissen haben wird.«

»Aber mein Vater?« fragte Arthur. – »Ich habe alle Ursache, zu hoffen, daß er sich gesund und wohl befindet,« antwortete das Fräulein. »Und nun, mein Freund, nachdem diese Rätsel aufgeklärt sind, ist es Zeit zu scheiden, und zwar für immer.« – »Scheiden! Und für immer!« wiederholte der Jüngling mit einer Stimme, die einem verhallenden Echo glich. – »Unser Geschick will es,« sagte das Mädchen, »Ich fordere Euch auf, Euch zu prüfen, ob es nicht Eure Pflicht ist, wie es die meinige ist. Ihr werdet mit Anbruch des Tages nach Straßburg gehen und – nimmer sehen wir uns wieder.«

Mit einer Glut der Leidenschaft, die er nicht unterdrücken konnte, warf Arthur sich zu den Füßen des Mädchens, deren zitternde Stimme deutlich zu erkennen gab, was sie bei diesen Worten empfand. Sie sah sich nach der Zofe um, allein Anneli war in diesem bedenklichen Augenblicke verschwunden, und nach ein paar Sekunden war die Gebieterin vielleicht nicht mehr ungehalten über die Abwesenheit ihrer Zofe.

»Steht auf,« sagte sie, »Arthur – steht auf. Ihr müßt keinen Empfindungen Raum geben, die Euch und mir verderblich werden können.« – »Hört mich, Fräulein, bevor ich Euch Lebewohl sage für immer – einem Missetäter selbst wird das Wort vergönnt, auch wenn er die schlimmste Sache verteidigen möchte. Ich bin ein schwertumgürteter Ritter, Sohn und Erbe eines Grafen, dessen Name in England, Frankreich und überall bekannt ist, wo Tapferkeit ihren Lohn findet –« – »Ach,« seufzte Anna, »ich habe nur zu lange schon geahnt, was Ihr mir jetzt sagt. – Steht auf, ich bitte Euch, steht auf!« – »Nicht eher, als bis Ihr mich hörtet,« sagte der Jüngling, indem er eine ihrer Hände ergriff, die in der seinigen zitterte, doch ohne sich ihr zu entziehen. – »Hört mich,« sprach er mit aller Schwärmerei der ersten Liebe, sobald diese die Hindernisse der Verschämtheit überwunden hat; »mein Vater und ich, ich gestehe es, haben einen gefährlichen Auftrag übernommen. Ihr werdet bald hören, ob das Geschäft gut oder böse abläuft. Glückt es, so werdet Ihr bald von mir unter meinem wahren Namen hören; gehe ich zu Grunde, so möchte ich. daß Anna von Geierstein mir eine Träne nachweine!«

»Steht auf, steht auf,« wiederholte das Mädchen, deren Tränen heftig zu fließen begannen und, als sie versuchte, ihren Geliebten vom Boden zu erheben, ihm auf Stirn und Angesicht fielen. »Ich habe,« setzte sie hinzu, »genug gehört; noch mehr zu hören, wäre Wahnsinn für Euch und mich.« – »Nur noch das eine Wort,« sagte der Jüngling: »solange Arthur ein Herz hat, schlägt es für Euch – so lange Arthur eine Waffe schwingen kann, geschieht es für Euch und um Euretwillen.« – Anneli stürzte in das Gemach. – »Fort! Fort!« rief sie, »Schreckenwald ist aus dem Dorfe mit einigen scheußlichen Nachrichten heimgekehrt, und ich fürchte, er wird hierherkommen.«

Arthur hatte sich sofort vom Boden erhoben. – »So Deiner Gebieterin Gefahr nahe ist, Anneli,« sprach der Engländer, »so ist mindestens ein treuer Freund ihr zur Seite.« – Anneli blickte ängstlich auf ihre Gebieterin, »Aber Schreckenwald,« sprach sie – »Schreckenwald, Eures Vaters Vogt – sein Vertrauter, – Erwägt das! Ich kann Arthur irgendwo verbergen.« –

Die edelherzige Anna von Geierstein hatte all ihre Fassung wiedererlangt und versetzte mit Würde: »Ich habe nichts getan, was meinen Vater beleidigen könnte. Ist Schreckenwald meines Vaters Vogt, so ist er auch mein Untertan. Um seinetwillen verstecke ich keinen Gast. Setzt Euch,« fuhr sie zu Arthur gewendet fort, »und laßt uns diesen Mann empfangen. Führe ihn sofort herein, Anneli, und laß uns hören, was er zu melden hat. – Auch gib ihm zu bedenken, daß, wenn er zu mir spricht, es seine Herrin ist, mit der er redet.«

Arthur nahm seinen Sitz wieder ein und war noch stolzer auf seine Wahl, als er edlen und furchtlosen Mut in einem Mädchen wahrnahm, das vor kurzem sich so empfänglich für die zartesten Empfindungen des weiblichen Geschlechtes gezeigt hatte.

Siebentes Kapitel

Arthur erwog hastig, wie er sich bei dem herannahenden Auftritt zu verhalten hätte, und beschloß klüglich, alle tätige und persönliche Einmischung zu vermeiden, bis er aus Annas Benehmen ermessen könne, daß ihr ein anderes Auftreten seinerseits angenehm sein dürfte. Er nahm also fern vom Tische Platz, indem er zu gleicher Zeit seine innere lebhafte Besorgnis unter einem Anstrich ehrerbietiger Zurückhaltung zu verdecken suchte, Anna dagegen schien auf eine heftige Szene gefaßt zu sein. Doch nahm sie eine weibliche Arbeit zur Hand und erwartete ebenfalls mit Ruhe den Ankömmling, über den ihre Zofe soviel Geschrei erhoben hatte.

Ein eiliger und ungleicher Schritt ließ sich auf der Treppe vernehmen, wie wenn sich jemand in Bestürzung näherte; die Tür flog auf, und Itel Schreckenwald trat ein.

Dieser Itel, der aus der Schilderung des Landammanns, dem Leser schon einigermaßen bekannt ist, war ein großer, wohlgebauter Mann von kriegerischem Aeußern. Seine Kleidung, gleich der eines Mannes vom Stande damaliger Zeit, war buntfarbig und geziert, aufgeschlitzt und benäht. Die nimmerfehlende Reiherfeder schmückte sein Barett und wurde von einer Goldmünze, die als Agraffe diente, gehalten. Auf der Brust trug er eine goldene Kette als Zeichen seines Ranges unter der Dienerschaft des Freiherr«. Er trat mit ziemlich eilfertigem Schritte und geschäftigem, finsterm Blicke ein, indem er etwas derb fragte: »Wie, nun, junges Fräulein? Was soll das heißen? Fremde in der Feste zu dieser nächtlichen Stunde?«

Obwohl Anna von Geierstein lange Zeit außerhalb ihres Geburtslandes gewesen war, so waren ihr doch dessen Sitten und Gebräuche genau bekannt, und sie wußte, mit welcher Hoffahrt alle Untergebenen daselbst von ihren Herrschaften behandelt wurden. »Seid Ihr ein Vasall der Arnheimer Herren, Itel Schreckenwald,« fragte sie, »und sprecht also zu dem Fräulein von Arnheim in ihrer eigenen Burg, und das mit so lauter Stimme, mit mürrischem Blick und obendrein bedeckten Hauptes? – Vergeßt nicht, wer Ihr seid, und wenn Ihr Eurer Frechheit wegen um Verzeihung bittet und Eure Botschaft in Ausdrücken vorbringt, die Eurem und meinem Stande gemäß sind, so will ich hören, was Ihr mir zu sagen habt.«

Wider Willen schob Schreckenwalds Hand sich nach dem Barette, und der stolze Vogt entblößte die Stirn. – »Edles Fräulein,« sagte er in etwas milderem Tone, »entschuldigt mich, wenn meine Hast sich etwas unziemlich zeigt; allein, die Unruhe ist arg. Das Kriegsvolk des Rheingrafen hat Meuterei angestiftet, die Banner seines Gebieters herabgerissen und ein Zeichen der Unabhängigkeit aufgesteckt. Sie nennen es das Fähnlein des heiligen Nikolaus und erklären unter diesem Panier, Frieden mit Gott und Krieg mit aller Welt haben zu wollen. Sie werden sicher, um zuvörderst in den Besitz eines festen Punktes zu kommen, diese Feste angreifen. Ihr müßt also aufbrechen und das mit dem ersten Morgenstrahle. Für den Augenblick sind sie mit den Weinschläuchen der Bauern beschäftigt; allein, wenn sie morgen früh erwachen, so werden sie ohne Zweifel hierherziehen, und leicht könntet Ihr in ihre Hände fallen, denn vor den Schrecken der Feste fürchten sie sich ebensowenig, wie vor dem Dunstgebilde eines Zaubermärchens.«

»Ist es nicht möglich, ihnen Widerstand zu leisten? Die Burg ist fest,« sagte das junge Fräulein, »und ungern verlasse ich das Haus meiner Väter, ohne eine Verteidigung auch nur versucht zu haben.« – »Fünfhundert Mann,« sagte Schreckenwald, »wären nötig, Arnheims Tore und Mauern zu besetzen. Mit geringerer Mannschaft wäre es Tollheit, die Verteidigung einer Burg, wie diese, zu versuchen; und ich weiß nicht, wie ich zwanzig Söldner zusammenbringen soll. So! da Ihr jetzt die ganze Geschichte wisset, so laßt mich Euch ersuchen, diesen Gast zu entlassen, der, wie mich dünkt, zu jung ist, um der Insasse einer Wohnung zu sein, in der eine Dame haust. Ich will ihm den nächsten Weg zeigen, der aus der Feste führt; denn, wie die Dinge jetzt liegen, hat jeder genug mit seiner eigenen Sicherheit zu schaffen.«

»Und wohin gedenkt Ihr zu gehen?« fragte die Freiin. – »Nach Straßburg, falls es Euch gefällt, und bis Tagesanbruch will ich versuchen, noch einige Geleitsmänner zusammenzubringen.« – »Und warum nach Straßburg?«

»Weil ich dort Euren hochedlen Vater, den edlen Freiherrn Albert von Geierstein, treffen werde.« – »Gut,« sagte das Fräulein. »Auch Ihr, Herr Philippson, nanntet, wie mich dünkt, Straßburg als Euer nächstes Ziel. Wenn es Euch angenehm ist, so mögt Ihr bis dahin unter dem Schutze meiner Geleitsmänner reisen, Ihr wollt ja dort auch mit Eurem Vater zusammentreffen.«

Man wird gern glauben, daß Arthur fröhlichen Herzens in einen Vorschlag einstimmte, der ihm Gelegenheit gab, noch länger in Annas Gesellschaft zu bleiben. Seine erhitzte Einbildungskraft spiegelte ihm vor, daß er vielleicht auf dieser mit Gefahren belagerten Straße seiner Geliebten einen Dienst würde leisten können.

Itel Schreckenwald versuchte, Einwendungen zu machen. – »Fräulein! Fräulein!« rief er mit Ungeduld. – »Schöpft Atem, und gönnt Euch Ruhe, Schreckenwald,« entgegnete ihm Anna, »und Ihr werdet besser imstande sein, Euch mit geziemender Höflichkeit auszudrücken.« – Der ungeduldige Vasall murmelte einen Fluch zwischen seinen Zähnen, und antwortete mit erzwungener Höflichkeit: »Erlaubt mir, zu bemerken, daß wir genug damit zu tun haben, für Euch allein Sorge zu tragen. Wir können nicht gestatten, daß ein Fremder mit uns ziehe.«

»Wenn ich wüßte,« sagte Arthur, »ich würde dieser jungen Dame und Euch nur schwerfallen, ohne Euch nützen zu können, Herr Vogt, so würde mich die ganze Welt nicht vermögen, des Fräuleins gütiges Anerbieten anzunehmen. Aber ich bin weder ein Kind noch ein Weib, sondern ein ausgewachsener Mann und bereit zu jeglichem ehrlichen Dienst, den ein beherzter Bursche leisten kann, Eure Herrin zu verteidigen.« – »Wenn wir auch Eure Tapferkeit und Euren Mut nicht in Zweifel ziehen, junger Herr,« sagte Schreckenwald, »wer bürgt uns für Eure Treue?« – »An jedem andern Orte, als hier, wäre es gefährlich, diese Frage zu tun,« entgegnete Arthur.

Anna warf sich ins Mittel. »Wir müssen schnell zur Ruhe und auf Störung vorbereitet sein, vielleicht noch vorm Morgenrot. Schreckenwald, ich vertraue Eurer Fürsorge, was Wachsamkeit und Hut betrifft. Hört und merkt es Euch! es ist mein Wunsch und Befehl, daß dieser Herr Wohnung für diese Nacht hier erhält und morgen mit uns zieht. Ich werde selbst meinem Vater dafür verantwortlich sein, und Ihr habt dabei nichts zu tun, als meinen Befehlen zu gehorchen. Ich kenne diesen jungen Mann wie seinen Vater seit längerer Zeit. Auf der Reise werdet Ihr dem Jüngling höflich begegnen.«

Itel Schreckenwald gab seine Zustimmung durch einen Blick voller Bitterkeit zu erkennen, der Trotz, Ingrimm, gedemütigten Stolz und widerstrebende Unterwürfigkeit ausdrückte. Dennoch unterwarf der Vogt sich und geleitete den jungen Philippson in ein anständiges Gemach, wo sich ein Bett befand, das dem Jüngling, nach der am verflossenen Tage ausgestandenen Aufregung und Erschöpfung höchst erwünscht war. Er schlief fest und tief, bis der Osten sich rötete und Schreckenwalds Stimme ihm zurief: »Auf, Herr Engländer, so Ihr Eure so prunkend angebotenen Dienste wahrmachen wollt. Es ist Zeit, im Sattel, zu sein, und auf Schlaftrunkene wird nicht gewartet,«

Arthur war wach und fast in demselben Augenblicke auch gekleidet, wobei er nicht vergaß, sein Stahlhemd anzulegen. Dann eilte er, sein Roß zu holen, und indem er in die unteren Gebäude der Feste hinabstieg, um einen Weg nach dem Stalle zu suchen, flüsterte ihm Annelis Stimme leise zu: »Hierher, Herr Philippson, mein Fräulein wünscht Euch noch auf eine Minute zu sprechen.« – Zu gleicher Zeit winkte ihm das Schweizerdirnchen, in ein kleines Zimmer zu treten.

Völlig zur Reise gerüstet, trat Anna von Geierstein herein.

»Ich bin überzeugt,« sagte sie, »Herr Philippson wird die Gesinnungen der Gastfreundschaft – ich will sagen der Freundschaft richtig würdigen, die mich bestimmten, ihn gestern abend aus meiner Burg nicht fortschicken zu lassen und an diesem Morgen seine Gesellschaft auf dem etwas gefährlichen Wege nach Straßburg anzunehmen. An dem Tore dieser Stadt scheiden wir voneinander, ich um zu meinem, Ihr, um zu Eurem Vater zu gelangen. Von dem Augenblick hört unser Umgang auf, und wir dürfen aneinander nur noch denken, wie an verstorbene Freunde. Noch ein Wort – redet unterwegs nicht mit mir! so Ihr dies tätet, würdet Ihr mich beleidigendem Verdacht aussehen, Euch selbst aber Zwist und Gefahren zuziehen. – Lebt wohl, unsere Begleitung sitzt auf.«

Sie verließ das Gemach, wo Arthur einen Augenblick in Schmerz und Betrübnis versunken stehen blieb, – »Ich kann nicht begreifen, was ihr zugestoßen ist,« sagte Anneli. »Gegen mich ist sie gütig wie immer, doch gegen alle andern spielt sie höchst nachdrücklich die Gräfin oder Freiin, und nun will sie gar noch ihre eigenen Gefühle tyrannisieren, – und – wenn dies Größe heißen soll, so will Anneli Veilchen lebenslänglich die pfennigarme Schweizerdirne bleiben; dann ist sie doch Herrin über ihre Freiheit und hat das Recht, mit ihrem Liebsten zu reden, wann sie will, so lange Religion und Mädchentugend nicht dabei vergessen werden. Doch fürchtet nichts, Arthur, denn ist sie grausam genug, Euch verlassen zu wollen, so könnt Ihr Euch auf eine Freundin verlassen, die, solange sie eine Zunge und solange Anna von Geierstein Ohren hat, ihr solche Gedanken austreiben wird.«

Indem Anneli dies sprach, trippelte sie von dannen, nachdem sie zuvor unserm Philippson den Weg gezeigt hatte, auf welchem er zu den unteren Gebäuden der Feste gelangen konnte. Dort stand sein Roß unter etwa zwanzig andern Gäulen, gesattelt und gezäumt. Zwölf dieser Pferde waren mit Kriegssätteln und eisernen Stirnbändern versehen und sollten für ebensoviele, zu dem Gefolge des Arnheimers gehörigen Reitersknechte dienen, die der Vogt in Eile noch hatte herbeischaffen können. Zwei Zelter, an besseren Decken kenntlich, waren für Anna von Geierstein und ihre Zofe bestimmt. Die andern Leute des Gefolges, größtenteils Hausgesinde, hatten Gäule geringerer Gattung. Auf ein gegebenes Zeichen ergriffen die Reitersknechte ihre Lanzen und standen neben den Gäulen, bis die Frauen und die Dienerschaft aufgesessen waren; dann sprangen auch sie in den Sattel und begannen sich langsam und mit großer Vorsicht fortzubewegen,

Schreckenwald führte den Vortrab, indem er Arthur Philippson neben sich reiten ließ, Anna und ihre Begleiterin befanden sich im Mitteltreffen der kleinen Schar, ihnen folgte der Zug der unbewaffneten Dienerschaft, während zwei oder drei erfahrene Reitersknechte den Nachtrab bildeten.

Als der Zug sich in Bewegung setzte, fiel es Arthur sofort auf, daß die Hufe der Rosse nicht den scharfen klingenden Ton vernehmen ließen, den Eisen auf dem Stein hervorruft und als das Tageslicht zunahm, nahm er wahr, daß die Hufe und Füße aller Pferde, das seinige nicht ausgenommen, sorgfältig mit Wolle umwickelt waren, damit jedes Geräusch vermieden würde.

So zogen sie dann den gewundenen Pfad von der Burg Arnheim nach dem naheliegenden Dorfe hinab, in dem jetzt die aufrührerischen Krieger des Rheingrafen hausten. Als die Arnheimer sich dem Eingange des Dorfes näherten, gab Schreckenwald ein Zeichen, Halt zu machen, dem seine Begleiter sofort Folge leisteten, dann ritt er, von Arthur Philippson begleitet, in Person voraus, um zu erspähen, ob Gefahr vorhanden sei. Beide bewegten sich mit der größten Vorsicht. Das tiefste Schweigen herrschte in den verödeten Gassen. Hie und da war ein Landsknecht zu sehen, der dem Anscheine nach Schildwacht stehen sollte, jedoch fest schlief.

»Die säuischen Meuterer!« sagte Schreckenwald. »Schöne Nachtwache halten sie, und lustig wollte ich ihnen Reveille blasen, müßte ich nicht diese launische Dirne geleiten. – Bleib hier halten, Fremdling, während ich zurückreite, um die andern nachzuholen – es ist hier keine Gefahr.«

Mit diesen Worten verließ Schreckenwald den Engländer, der allein in der Straße eines Dorfes, das mit Mordgesindel angefüllt war, wenn dieses vorderhand auch noch schlief, eben nicht Ursache hatte, seine Lage als angenehm anzusehen. Doch nach einigen Minuten traf Itel Schreckenwalds Schar ganz geräuschlos wieder mit ihm zusammen. Alles ging gut, bis sie das äußerste Ende des Dorfes erreichten. Der Soldat, der hier Wache stand, war zwar ebenso betrunken wie die andern, aber ein großer Pudel, der neben ihm lag, zeigte sich wachsamer. Als der kleine Zug sich näherte, erhob das Tier ein wildes Gebell, laut genug, alle Siebenschläfer im Dorfe zu erwecken. Der Posten fuhr auf und schoß, ohne recht zu wissen warum und wohin. Arthurs Pferd sank getroffen unter seinem Reiter, und als es fiel, stürzte der Reisige vor, um Arthur zu töten oder ihn zum Gefangenen zu machen,

»Fort! Vorwärts! Männer von Arnheim, vorwärts! Sorgt für nichts als Eures Fräuleins Sicherheit!« rief der die Schar führende Vogt. – »Halt, befehl ich Euch! Helft dem Fremden, so Euch Euer Leben lieb ist!« sagte Anna mit einer Stimme, die, sonst sanft und milde, jetzt allen ringsumher wie eine Silbertrompete erscholl. – »Ich weiche nicht, bevor er nicht gerettet ward.«

Schreckenwald hatte schon sein Roß zur Flucht gespornt: allein als er sah, daß Anna ihm nicht folgen wollte, sprengte er zurück, ergriff ein gesatteltes Pferd, das frei herumtrabte, und warf dem Engländer die Zügel zu, indem er zu gleicher Zeit seinen eigenen Gaul zwischen Arthur und den Landsknecht drängte und so den letzteren zwang, von seinem Vorhaben abzulassen. In einem Augenblick saß Philippson wieder im Sattel, ergriff eine Streitaxt, die am Sattelknopfe seines Pferdes hing, und schlug die halbtrunkene Schildwache nieder, die nochmals Hand an ihn legen wollte. Die ganze Schar galoppierte nun davon, denn es wurde im Dorfe Lärm gemacht, etliche Reisige sah man aus ihren Quartieren hervorkommen, und andere schwangen sich auf ihre Gäule. Bevor Schreckenwald und die Seinigen eine Viertelstunde Wegs zurückgelegt hatten, hörten sie den Schall von Kampfhörnern, und als sie an die Spitze eines Hügels gelangten, von wo aus man das Dorf überblicken konnte, machte der Führer, der sich jetzt zum Nachtrabe gesellt hatte, Halt, auszuschauen, was der Feind hinter ihnen vorhätte. Verwirrung und Getöse schien in den Gassen zu herrschen, jedoch setzte man ihnen nicht nach.

Als sie zwei Stunden und länger geritten waren, glaubte Itel sich soweit in Sicherheit, daß er es wagte, an einem lieblichen Haine Halt machen zu lassen, wo sie sich verbergen und Roß und Reiter sich erfrischen konnten. Zu diesem Zweck hatte man Futter und Speise mitgenommen. Nachdem Itel Schreckenwald Rücksprache mit der Freiin genommen hatte, fuhr er fort, gegen den englischen Reisegefährten eine Art sauertöpfischer Höflichkeit zu äußern. Er lud ihn ein, an seiner Schüssel teilzunehmen, deren Inhalt sich freilich wenig von dem unterschied, was den übrigen Reitern gereicht wurde, die jedoch mit einem Becher besseren Weins gewürzt war.

Nach kurzer Frist bestieg man wieder die Rosse und trabte so rüstig weiter, daß man lange vor Mitternacht die starke Festung Kehl auf dem östlichen Rheinufer, Straßburg gegenüber, erreichte.

Es mag Ortsbeschreibern überlassen bleiben, ausfindig zu machen, ob unsere Reisenden von Kehl nach Straßburg über die berühmte Schiffbrücke ritten, die jetzt über den Strom leitet, oder ob sie auf irgend eine andere Weise über den Rhein kamen. Genug, sie erreichten wohlbehalten das jenseitige Ufer, und als sie auf der andern Seite an das Land stiegen, näherte sich Anna sogleich dem jungen Engländer, der nur allzuwohl erriet, was sie ihm sagen wollte.

»Edler Fremdling,« sprach sie, »ich muß Euch Lebewohl sagen. Zuvor aber laßt mich wissen, wo Ihr Euren Vater aufzusuchen gedenkt?« – »In der Herberge zum fliegenden Hirsch,« warf Arthur hin; »allein, wo diese Herberge in dieser großen Stadt zu finden ist, weiß ich nicht,« – »Kennt Ihr sie, Itel Schreckenwald?« – »Ich, junges Fräulein? Ich? Nein! Ich weiß nichts von der Stadt Straßburg und deren Herbergen. Ich glaube, alle, die mit uns sind, wissen ebensowenig davon.« – »Ihr sprecht aber Deutsch, wie unsere Begleiter, meine ich,« sagte Anna von Geierstein trocken, »und könnt also besser Nachfrage halten als ein Fremder. Geht, Herr, und vergeßt nicht, daß Menschenliebe dem Fremdling zu erweisen eine Pflicht ist, die die Gotteslehre uns auferlegt.«

Mit jenem Achselzucken, an dem man einen unfreiwilligen Boten erkennt, machte sich Itel Schreckenwald auf den Weg, Erkundigungen einzuziehen, und während seiner kurzen Abwesenheit nahm Anna die Gelegenheit wahr, unserm Arthur zuzuflüstern: »Lebt Wohl! Lebt wohl! Nehmt dieses Andenken der Freundschaft und tragt es mir zu Ehren! Seid glücklich!« Ihre zarten Finger ließen ein kleines Päckchen in seine Hand gleiten. Arthur wollte ihr danken; doch schon war sie fortgeeilt, und Schreckenwald, der neben ihm hielt, sprach in seinem rauhen Tone: »Kommt, junger Herr, ich habe Eure Herberge gefunden, aber wenig Zeit, den Zeremonienmeister bei Euch zu machen,« – Dann ritt er fürbaß, und Philippson, der im Sattel seines Kriegshengstes saß, folgte ihm schweigend bis zu einer Stelle, wo eine Straße quer vor der vorüberlief, die sie vom Stromufer heraufgekommen waren. – »Dort weht der fliegende Hirsch!« sagte Itel, indem er auf ein übergroßes Aushängeschild zeigte, das, an einem riesigen Pfahl befestigt, fast die ganze Breite der Straße einnahm. »Euer Witz kann Euch kaum verlassen, wenn Ihr solchen Wegweiser im Auge habt.« – Mit diesen Worten wendete er sein Roß und sprengte, ohne weiter Lebewohl zu sagen, zurück zu seiner Gebieterin.

Achtes Kapitel

In der Herberge zum fliegenden Hirsch in Straßburg wurden, wie in allen Gasthäusern im deutschen Reiche zu jener Zeit die Gäste ebenso rücksichtslos behandelt, wie in der Herberge des Johannes Mengs, Allein die Jugend und das ehrliche Aussehen des jungen Philippson, Umstände, die selten oder niemals verfehlen, da ihre Wirkung zu tun, wo es Mädchen gibt, vermochten so viel über eine kurze, derbe, blauäugige, glattwangige Jungfrau, die Tochter des Wirtes zum fliegenden Hirsch (der selber ein fetter alter Mann war und im Eichenstuhle hinterm Stubenofen faulenzte), daß sie über den Vorhof trippelte, um unserm jungen Reisenden eine unbesetzte Stallung für sein Roß anzuweisen. Sie ließ sich ferner auf Arthurs Frage nach seinem Vater noch weiter herab, indem sie sich erinnerte, daß ein Gast, wie er ihn beschrieb, die vorige Nacht in der Herberge zugebracht und hier auf einen jungen Reisegefährten wartete.

»Ich will ihn Euch herausschicken, schöner Herr,« sagte die kleine Jungfer mit einem Lächeln, welches, wenn Dinge solcher Art nach ihrem seltenen Erscheinen zu würdigen sind, für unschätzbar hätte geachtet werden müssen.

Die Dirne hielt Wort. Nach wenigen Minuten trat der ältere Philippson in den Stall und schloß seinen Sohn in die Arme. »Mein Sohn, mein geliebter Sohn!« sagte er, indem er seine gewöhnliche Verschlossenheit ablegte und sich dem natürlichen Gefühl der väterlichen Zärtlichkeit hingab. »Willkommen mir zu allen Zeiten – willkommen zu einer Zeit des Zweifels und der Gefahr – höchst willkommen mir in einem Augenblicke, der unser Geschick zur Entscheidung bringt! In wenigen Stunden werde ich erfahren, was wir von dem Herzoge von Burgund zu erwarten haben. – Hast Du das Zeichen?«

Arthurs Hand überreichte seinem Vater das Kästchen, das zu La Ferette in so seltsamer Weise verloren gegangen und wieder herbeigeschafft worden war. »Es hat viel Gefahr überstanden, seit Ihr es nicht saht,« sagte er. »Ich fand Nachtherberge in einer Feste und sah, wie ein Troß Landsknechte in der Umgebung am Morgen wegen vorenthaltener Löhnung Meuterei anfingen. Die Bewohner der Burg entflohen, und als wir am frühen Morgen abzogen, schoß ein trunkener Bärenhäuter mir das Pferd nieder, und ich war gezwungen, dieses schwerfällige flamländische Roß mit seinem Stahlsattel und seiner groben Schabracke einzutauschen.«

»Unser Pfad ist von Gefahren umringt,« sagte sein Vater. »Auch ich habe meinen Teil bekommen, indem ich in einer Herberge, wo ich die verflossene Nacht weilte, große Drangsale erduldete. (Er beschrieb sie des Näheren nicht). Allein ich zog am folgenden Morgen sogleich weiter und langte wohlbehalten hier an. Nunmehr habe ich endlich ein sicheres Geleit bekommen, das mich in das Lager des Herzogs unsern Dijon führen wird, wo ich hoffe, noch am selben Abend eine Unterredung mit dem Burgunderfürsten zu haben. Schlägt dann unsere letzte Hoffnung fehl, so wollen wir den Seehafen von Marseille aufsuchen, nach Candia oder Rhodus segeln und unser Leben dem Kampf für die Christenheit weihen, wenn wir für England zu streiten nicht imstande sein sollten.«

Arthur hörte diese vielsagenden Worte, ohne darauf zu antworten, allein sie sanken ihm darum nicht minder schwer aufs Herz. In diesem Augenblick begannen die Glocken des Münsters zu läuten und erinnerten den älteren Philippson an die Pflicht, eine Messe zu hören. Wie aus innerem Antriebe folgte Arthur seinem Vater.

Als sie sich dem Portal der Hauptkirche näherten, fanden sie es von Bettlern beiderlei Geschlechts belagert, die den Andächtigen reichlich Gelegenheit gaben, die Pflicht des Almosenausteilens, einen wesentlichen Teil der kirchlichen Obliegenheiten, Zu erfüllen. Die Engländer entledigten sich der zudringlichen Menge dadurch, daß sie, wie man in solchen Fällen zu tun pflegt, denen eine kleine Gabe in Kupfergeld reichten, die deren am nötigsten zu bedürfen oder der Mildtätigkeit am meisten wert zu sein schienen. Eine lange, weibliche Gestalt stand an den Stufen nahe der Pforte und streckte ihre Hand dem älteren Philippson entgegen, der, betroffen über ihr Aeußeres, die Kupfermünze, die er auch den übrigen Bettelnden gereicht hatte, mit einem Silberstück vertauschte.

»Ein Wunder,« sagte die weibliche Gestalt in englischer Sprache, jedoch mit einer Stimme, die wohl nur von ihm allein gehört werden sollte, obwohl auch Arthur die Worte vernehmen konnte: »Ja, ein Wunder! Ein Engländer besitzt noch ein Silberstück und hat es übrig, um es einer Armen zu spenden!«

Arthur gewahrte, wie sein Vater über die Stimme oder die Worte zu erschrecken schien, die selbst auf ihn mehr Eindruck machten, als etwa die Bemerkung irgend eines gewöhnlichen Bettlers. Doch schritt sein Vater, nachdem er einen Blick auf das Weib geworfen hatte, das ihn so anredete, vorwärts in das Schiff der Kirche und war bald beschäftigt, teil an der Messe zu nehmen, die von einem Geistlichen am Altar in einer von dem Prachtgebäude abgesonderten Kapelle gelesen wurde. Die Feier begann und endete unter allen dabei üblichen Förmlichkeiten. Der zelebrierende Priester zog sich mit den Messedienern zurück, und obgleich etliche der wenigen Andächtigen, die der heiligen Handlung beigewohnt hatten, noch blieben, ihren Rosenkranz beteten und sich ihrer Privatandacht hingaben, so verließen doch die meisten die Kapelle, um entweder zu andern Altären sich zu wenden oder zu ihren weltlichen Geschäften zurückzukehren.

Arthur Philippson nahm wahr, daß, während die Andächtigen nacheinander gingen, jene hohe weibliche Gestalt, die ein Almosen von seinem Vater erhalten hatte, noch immer am Altar kniete; und noch mehr erstaunte er, als er sah, daß auch sein Vater, der, wie er wußte, aus manchen Gründen nicht mehr Zeit in der Kirche zu verwenden hatte, als seine Andachtsübung notwendigerweise erforderte, dennoch auch auf den Knien liegen blieb und seine Blicke auf der Gestalt der Verschleierten haften ließ, als ob seine Bewegungen durch die ihrigen bestimmt werden sollten. Wie unser Arthur sich auch den Kopf zerbrechen mochte, so hatte er doch nicht die leiseste Ahnung von den Absichten seines Vaters. – Er wußte nur, daß er mit einer mißlichen, gefahrvollen Unterhandlung betraut war, die nur allzuleicht von mehreren Seiten her gestört werden konnte, und daß staatsklügelnder Argwohn sowohl in Frankreich und Italien wie in Flandern so allgemein erwacht war, daß die wichtigsten Botschafter häufig die undurchdringlichste Verkleidung anlegen mußten, um ohne Verdacht in die Länder zu gelangen, wo ihre Dienste verlangt wurden.

So dachte Arthur bei sich, dieses Weib könne vielleicht solch ein verkleideter Sendbote sein, und er nahm sich vor, seines Vaters Benehmen gegen diese sonderbare Bettlerin zu beobachten und sein eigenes Tun danach zu bestimmen. Neuer Glockenschall verkündete, daß eine noch feierlichere Messe vor dem Hochaltar des Münsters selbst gehalten wurde, und entzog vollends der Kapelle alle Beter, die vor dem Altäre des heiligen Georg gekniet hatten. Nur die Philippsons, Vater und Sohn, und die weibliche Gestalt blieben zurück. Als der letzte der Messehörenden sich entfernt hatte, erhob sich das Weib und näherte sich dem älteren Philippson, der die Arme über der Brust kreuzte, das Haupt beugte und in einer Stellung des Gehorsams stehen blieb, die sein Sohn früher nie an ihm wahrgenommen hatte. So schien er zu erwarten, was sie ihm zu sagen hätte, und nicht den Mut zu haben, sie anzureden.

Es entstand eine Pause.

Vier Ampeln, die vor dem Altarbild standen, verbreiteten matten Schein. Sonst war die Kapelle nur düster von der Herbstsonne erhellt, die kaum einen Weg durch das bunte gegitterte Fensterchen finden konnte. Das Licht fiel schaurig auf die etwas gebeugte, verkümmerte Gestalt des Weibes und auf den traurig und besorgt niederbückenden Vater und dessen Sohn, der mit allem Eifer der Jugend außerordentliche Ergebnisse von einer so seltsamen Begegnung erwartete und voraussah.

Die weibliche Gestalt trat dem Vater Philippson ganz nahe, als wollte sie sich ihm verständlich machen, ohne den leisen Ton ihrer Stimme zu erhöhen. – »Betet Ihr hier,« sprach sie, »zu dem heiligen Georg von Burgund oder zu dem Sankt Georg des fröhlichen Englands, der Blume der Ritterschaft?« – »Ich verehre,« sagte Philippson, indem er andächtig die Hände vor der Brust faltete, »den Heiligen, dem diese Kapelle geweiht ist, und die Gottheit bete ich an, bei welcher ich seine heilige Fürsprache so hier, wie in meinem Vaterlande hoffe.«

»Und auch Ihr,« sprach die weibliche Gestalt, »auch Ihr könnt vergessen – Ihr, eben Ihr, der Ihr zu der Blüte der Ritterschaft gezählt wurdet – Ihr könnt vergessen, daß Ihr in dem königlichen Tempel zu Windsor als kniegegürteter Ritter gebetet habt, wo Könige und Prinzen mit Euch beteten – Ihr könnt das vergessen – und hier an fremdem Altare Gebete zum Himmel schicken, gleich einem armseligen Bauer, der um Brot und Lebensunterhalt für den Tag fleht?«

»Lady,« versetzte Philippson, »in meinen stolzesten Stunden war ich vor dem Wesen, dem ich hier meine Gebete darbringe, nur ein Wurm im Staube. – In seinen Augen bin ich jetzt weder mehr noch minder, wie gering auch meine Mitmenschen von mir denken mögen.« – »Es ist gut, daß Du Dich damit trösten kannst,« sagte die Verhüllte. »Doch was ist auch Dein Verlust, verglichen mit dem meinigen?« – Sie legte die Hand an die Stirn und schien auf einen Augenblick von peinigenden Erinnerungen überwältigt.

Arthur drängte sich an seines Vaters Seite und fragte in einem teilnehmenden Ton, den er kaum zu unterdrücken vermochte: »Vater, wer ist die Dame? Ist es meine Mutter?«– »Nein, mein Sohn,« antwortete Philippson; »still bei allem, was Dir heilig und wert ist!«

Wie flüsternd Frage und Antwort auch gesprochen wurden, so hörte die sonderbare Gestalt doch beide: »Ja,« sprach sie, »junger Mann – ich bin – ich sollte sagen, ich sei – Eure Mutter; die Mutter, die Beschützerin alles dessen, was edel in England ist, ich bin Margaretha von Anjou,«

Arthur sank nieder auf seine Knie vor der hochherzigen Witwe Heinrichs VI., die so lange Zeit hindurch und unter so verzweifelten Umständen durch unerschütterlichen Mut und tiefe Staatsklugheit die verlorene Sache ihres schwachen Gemahls aufrecht erhalten hatte. Arthur war in inniger Anhänglichkeit an das jetzt entthronte Haus Lancaster auferzogen worden, dem sein Vater stets aufs treueste beigestanden, und im Kampfe für dieses Haus hatte er seine frühsten Waffentaten vollführt. Mit einer seinem Alter und seiner Erziehung völlig entsprechenden Schwärmerei warf er augenblicklich sein Barett auf das Steinpflaster und kniete zu den Füßen seiner unglücklichen Monarchin.

Margaretha zog den Schleier zurück, der ihre edlen, majestätischen Gesichtszüge verbarg, die – obschon Ströme von Tränen ihre Wangen gefurcht hatten – obschon Sorge, Mißgeschick, häuslicher Kummer und gedemütigter Stolz das Feuer ihrer Augen verlöscht und die sanfte Würde ihrer Stirne verwischt hatten, dennoch Spuren jener Schönheit zeigten, die einst in ganz Europa für unvergleichlich gegolten hatte. Die Niedergeschlagenheit, von der nach einer Reihe von Unglücksfällen und vereitelten Hoffnungen diese beklagenswerte Fürstin fast stets beherrscht war, schwand für einen Augenblick vor der schwärmerischen Ergebenheit des schönen Jünglings. Sie reichte ihm die Hand, die er mit Zähren und Küssen bedeckte, während sie ihm mit der andern voll mütterlicher Zärtlichkeit die Ringellocken streichelte. Mittlerweile warf sein Vater die Pforte der Kapelle zu und stellte sich mit dem Rücken dagegen, als wollte er es verhüten, daß irgend ein Fremder Zeuge eines so außerordentlichen Auftrittes würde.

»Du also,« sagte Margarethe in einem Tone, in welchem weibliche Zartheit seltsam mit dem ihrem Range natürlichen Stolze kämpfte und sich doch zugleich die ruhige, ergebungsvolle Gleichgültigkeit ausdrückte, die ihr nach so hartnäckigem Mißgeschick zu eigen geworden war – »Du also, wackerer Jüngling, bist der einzige Sprößling des edlen Stammes, von welchem so mancher schöne Ast für unsere hoffnungslose Sache fallen mußte? Ach! ach! Was kann ich für Dich tun? Margarethe hat nicht einmal einen Segen zu spenden; sie vermag nichts, als auf Dich hinzublicken und Dir Kraft zu wünschen, Deinen baldigen, völligen Untergang zu ertragen. Ich – ich bin der verhängnisvolle Giftbaum gewesen, dessen Aushauch all die schönen Pflanzen welken und hinsterben ließ, die neben mir und um mich her blühten; ich war es, die Tod über jeden brachte, und die doch selbst den Tod nicht zu finden vermag!« – »Edle und königliche Herrin! sagte der ältere der beiden Engländer, »laßt Euren fürstlichen Mut, der so Namenloses ertrug, nicht ermatten; jetzt nicht, wo die Not vorüber und mindestens Hoffnung auf bessere Zeit für Euch und England vorhanden ist!«

»Für England und für mich, edler Oxford?« fragte die unglückliche und verwitwete Königin. »Könnte die Sonne des morgenden Tages mich selbst wieder auf den Thron Englands setzen, vermöchte sie mir wohl damit zurückzugeben, was ich verlor? Nicht spreche ich von Reichtum und Macht – sie sind nichts im Vergleiche mit dem, was ich meine. – Nicht rede ich von den Anhängern und edlen Freunden, die zu meiner und ihrer eigenen Verteidigung fielen – nicht also von einem Somerset, einem Percy, Stafford und Clifford; sie haben ihren rühmlichen Platz in der Chronik des Vaterlandes gefunden; nicht erwähne ich meines Gemahls, denn er hat den Stand eines auf Erden duldenden Heiligen mit dem eines glorreichen Heiligen im Himmel vertauscht. – Aber o, Oxford! Mein Sohn! Mein Eduard! Ist es mir möglich, auf diesen Jüngling zu blicken und nicht daran zu denken, wie Deine Gattin und ich in einundderselben Nacht jede einen schönen Knaben das Licht der Welt erblicken ließen? Wie oft bemühten wir uns, der Söhne kommendes Geschick voraus zu erkennen und uns einzureden, daß das gleiche Gestirn, das auf ihre Geburt herabgeleuchtet habe und nun auf ihr folgendes Leben Einfluß haben müsse, sie in freundschaftlicher, gleichgestimmter Neigung einem glückseligen, ehrenvollen Ziele zuführen würde! Ach, Oxford, Dein Sohn Arthur lebt; aber mein Eduard, der unter den gleichen Zeichen geboren war, füllt ein blutiges Grab!«

Sie hüllte ihr Haupt in ihren Schleier, als ob sie die Klagen und Seufzer ersticken wollte, in die ihr Mutterherz bei diesen grausamen Erinnerungen ausbrach, Philippson, oder der verbannte Graf von Oxford, wie wir ihn jetzt nennen mögen, der sich in diesen wechselvollen Zeiten durch seine standhafte Vasallentreue gegen das Haus Lancaster auszeichnete, sah ein, daß es töricht wäre, der Schwäche seiner Monarchin noch Vorschub zu leisten. – »Königliche Herrin,« sprach er, »das Leben gleicht einem kurzem Wintertage und verrinnt, gleichviel, ob wir die Zeit, die es uns darbietet, benutzen oder nicht. Meine Monarchin, hoffe ich, ist zu sehr Beherrscherin ihrer selbst, als daß sie sich durch Klagen über das, was vorüber ist, der Macht berauben möchte, die Gegenwart zu nützen. Ich bin hier, um Eurem Befehl zu gehorchen; ich soll des ehesten den Herzog von Burgund sehen, und so ich ihn irgend dem Antrage geneigt finde, den ich ihm zu machen habe, so möchte wohl Eure gegenwärtige Trauer in Freude verwandelt werden. Doch müssen wir unsere Gelegenheit mit Eile und mit Eifer nützen. Laßt mich also wissen, meine Königin, um welcher Ursache willen Ew. Majestät verkleidet hierher kam und sich dadurch nicht geringer Gefahr aussetzte.« »Ihr spottet meiner, Oxford,« sagte die unglückliche Königin, »oder Ihr irrt Euch, wenn Ihr meint, Ihr dientet noch jener Margarethe, deren Wort nie ohne Grund gesprochen, deren kleinste Handlung nie ohne wichtige Ursache geschah. Ach! ich bin nicht mehr das nämliche feste, entschlossene Wesen. Der fieberhafte Zustand meines Kummers hat dem des Hasses bei mir weichen müssen und hat mich mit ohnmächtigem, ungeduldigem Grimm erfüllt. Meines Vaters Haus ist sicher, wie Du weißt, allein, kann eine Seele, wie die meinige sich damit zufrieden geben? Kann eine Frau, die des edelsten und reichsten Königreichs in Europa beraubt wurde, eine Frau, die ihre edelsten Freunde verlor – eine Frau, die eine verwitwete Gattin, eine kinderlose Mutter ist – eine Frau, über die der Himmel die volle Schale seines unversöhnlichen Zornes ausgeschüttet hat – kann sie es über sich vermögen, die Gefährtin eines Greises zu sein, der in Sonetten und Harfenklängen, in Mummenschanz und Torheit, in Zitherspiel und Reimgetön einen Trost für all das findet, was Armut Betrübendes hat, ja, was noch mehr ist, für all das, was lächerlich und verächtlich ist?« – »Mit Gunst, meine Königin,« sagte Oxford, »tadelt nicht den guten König René, weil er, verfolgt vom Geschick, imstande war, bescheidene Quellen des Trostes sich zu öffnen, die Euer stolzeres Gemüt verschmäht. Eine Blumenkrone, von seinen Troubadours geflochten und von ihren Sonetten geweiht, ist ihm genügender Ersatz für die Diademe von Jerusalem, Neapel und beiden Sizilien, von denen er nichts als den leeren Titel besitzt.« – »Redet mir nicht von dem bemitleidenswerten Greise,« sagte Margarethe. »Ich sage Dir, edler Oxford, fast wahnsinnig bin ich geworden in dem jämmerlichen Kreise, den er seinen Hof nennt! Mein Ohr, nur den Tönen der Betrübnis zugewendet, ist der klimpernden Harfen, der kreischenden Geigen, der klappernden Castagnetten müde; meine Augen sind der bettelhaften Hofhaltung überdrüssig. Aller Adel, alle Größe ist dahin, und die Nichtigkeiten, die an ihre Stelle traten, widern mich an. Nein, Oxford, ist es mein Geschick, auch noch den letzten Glückswurf zu verlieren, der sich mir günstig zu bieten scheint, so will ich mich in das ärmlichste Kloster auf den Pyrenäenbergen zurückziehen, um wenigstens nicht mehr die schwachsinnige Fröhlichkeit meines Vaters mitanzusehen. Möge er aus unserm Gedächtnis schwinden, wie er aus dem Buche der Geschichte schwindet, in das sein Name nimmer aufgenommen wird. Wichtigeres habe ich Euch zu sagen und von Euch zu hören. – Und jetzt, Oxford, was für Nachrichten habt Ihr aus Italien? Will der Herzog von Mailand uns mit seinem Rate oder mit seinen Schätzen beistehen?«

»Mit seinem Rate gern, edle Königin, allein wie Ihr denselben benutzen wollt, weiß ich nicht, da er uns anempfiehlt, uns unserm hoffnungslosen Geschicke zu unterwerfen und uns demutsvoll dem Willen der Fürsorgung zu fügen.«

»Der elende Italiener! Will er nicht einen Teil seines Reichtums vorstrecken oder einer Freundin Beistand leisten, der er früher so oft Treue geschworen hat?« – »Selbst nicht die Diamanten, die ich in seine Hände zu legen mich erbot,« versetzte der Graf, »vermochten ihn, seine Schatzkammer aufzuriegeln, um uns mit Goldstücken zu unserm Unternehmen zu versehen. Doch, sagte er, wenn Karl von Burgund ernstlich daran denken sollte, zu Euren Gunsten etwas zu unternehmen, so würde er bei seiner Hochachtung für diesen Fürsten und seinem Mitgefühl für Eure Majestät dem Gedanken, einen Vorschuß zu gewähren, vielleicht näher treten.« – »Doch wie steht es mit Burgund? Ich habe mich hierher gewagt, um Euch zu sagen, was ich erfuhr, und Euren Bericht zu vernehmen – ein treuer Wächter sorgt dafür, daß wir hier nicht unterbrochen werden. Meine Ungeduld, Euch zu sehen, trieb mich an, in dieser niedrigen Verkleidung hieherzukommen. Ich habe eine kleine Wohnung in einem Kloster unweit der Stadt. Ich ließ Eure Ankunft durch den treuen Lambert beobachten und komme jetzt, Eure Hoffnungen und Besorgnisse zu vernehmen, und Euch die meinigen mitzuteilen.«

»Königliche Frau,« sagte der Graf, »ich habe den Herzog nicht gesehen. Ihr kennt seine eigensinnige, heftige und unnahbare Gemütsart. Wenn er sich jener gelassenen, ausharrenden Staatsklugheit befleißigt, die in diesen Zeitläufen geboten ist, so zweifle ich nicht, daß er volle Entschädigung von Ludwig, seinem geschworenen Feinde, und selbst von Eduard, seinem ehrgeizigen Schwager erhalten wird. Doch wenn er übertriebenen leidenschaftlichen Aufwallungen freien Lauf läßt, so wird er in Zwist mit den armen, aber kühnen Helvetiern geraten, der leicht größeren Umfang annehmen kann. Er kann dabei durchaus nichts gewinnen, sondern läuft nur Gefahr, die schwersten Verluste zu erleiden.«

»Zuverlässig wird er,« sprach die Königin, »dem Usurpator Eduard nicht vertrauen, da dieser eben den größten Verrat an seinem Bündnisse begeht.« – »In welcher Hinsicht, edle Frau?« versetzte Oxford, »Die Nachricht, aus die Ihr anspielt, ist mir nicht kund geworden.« – »Wie, Lord? Soll ich denn die erste sein, die Euch sagt, daß Eduard von York mit einem größeren Heer herübergekommen ist, als selbst mein Schwiegervater, der berühmte Heinrich der Fünfte, jemals nach Frankreich oder Italien führte?« – »Wenigstens horte ich, daß man solches erwartete,« sagte Oxford, »und ich war sogleich der Meinung, daß dies unserer Sache nachteilig wäre.« – »Eduard ist angekommen,« sagte Margarethe, »und der Verräter und Usurpator hat Ludwig von Frankreich aufgefordert, ihm die Krone dieses Landes als sein Eigentum auszuliefern – eben die Krone, die auf dem Haupte meines unglücklichen Gemahls glänzte, als er als Kind noch in der Wiege lag.«

»So ist es denn entschieden, – die Engländer sind in Frankreich,« antwortete Oxford im Tone der schwersten Besorgnis. – »Und wer begleitet Eduard auf diesem Zuge?« – »Alle – alle bittersten Feinde unseres Hauses und unserer Sache. Der falsche, verräterische, ehrlose Georg, den er Herzog von Clarence nennt – der Blutsäufer Richard – die schwelgerischen Hastings – Howard – Stanley – kurz, all jene Verräter, die ich nicht nennen mag! es wäre denn, daß meine Verwünschung sie hinwegraffen könnte von der Oberfläche der Erde.«

»Und – ich zittre zu fragen,« sprach der Graf, – »bereitet Burgund sich, die Engländer als Kampfgenossen zu begrüßen und gemeinschaftliche Sache mit ihnen gegen Ludwig von Frankreich zu machen?« – »Meinen Nachrichten zufolge,« versetzte die Königin, »und diese sind so geheim wie zuverlässig und werden überdies durch das allgemeine Gerücht bestätigt, – nein, mein teurer Oxford, nein!«

»Mögen die Heiligen drob gepriesen sein!« antwortete der Graf. »Eduard von York, ich will auch dem Feinde nichts Uebles nachreden, – ist ein verwegener, furchtloser Feldherr – allein, er ist weder Eduard III., noch der heldenmütige schwarze Prinz. – Auch nicht jener fünfte Heinrich von Lancaster, unter welchem ich meine Sporen verdiente. Mag Eduard ohne den Beistand Burgunds, auf den er gerechnet hat, gegen Frankreich zu Felde ziehen! Ludwig ist zwar kein Held, aber er ist ein vorsichtiger, gewandter Heerführer und in diesen staatsklügelnden Zeiten vielleicht sehr zu fürchten. Doch welche Schritte tat Burgund?«

»Er hat Deutschland bedroht,« sagte Margarethe, »und seine Scharren überfluten jetzt Lothringen, wo er die bedeutsamsten Städte und Festen wegnahm.« – »Wo ist Ferrand de Vaudemont – ein Jüngling voll Mut und Unternehmungsgeist? Man sagte, er wolle im Namen seiner Mutter Yolanda von Anjou, Eurer Schwester, seine Rechte auf Lothringen geltend machen,« – »Entflohen,« versetzte die Königin, »nach Deutschland oder in die Schweiz.« – »Burgund mag vor ihm auf der Hut sein,« sagte der erfahrene Graf, »denn sollte der enterbte Jüngling Verbündete unter den kecken Schweizern finden, so dürfte dem Burgunder in ihm ein furchtbarer Feind erwachsen. Wir sind gegenwärtig nur stark durch des Herzogs Stärke, und wird diese in müßigen und schwankenden Anstrengungen vergeudet, so schwinden, ach! unsere Hoffnungen mit seiner Macht; selbst wenn wir ihn geneigt fänden, uns beizustehen. Meine Freunde in England sind entschlossen, nur mit Burgunds Beihilfe sich zu erheben,«

»Dies ist nicht das schlimmste,« sagte Margarethe. »Mehr fürchte ich die Staatsklugheit Ludwigs, der, so meine Späher mich nicht gröblich täuschten, wirklich schon dem Usurpator Eduard einen geheimen Frieden antrug! indem er große Summen anbot, um England für die Partei der Yorks zu erkaufen und eine siebenjährige Waffenruhe zu erlangen.« – »Es kann nicht sein,« sagte Oxford, »Er sollte, wo er ein so großes Heer befehligt, sich ans Frankreich zurückziehen wollen, ohne den Versuch zu machen, seine verlorenen Provinzen wiederzugewinnen.«

»Das tut diesem Eduard nichts,« sagte Margarethe, »der fälschlich Plantagenet genannt wird und wohl ebenso niedrig von Gemüt wie von Geblüt ist, da man sagt, daß sein wirklicher Vater ein Bogenschütz Blackburn aus Middleham war. Er wird nicht ruhig schlafen, bevor er nicht heimgekehrt sein wird nach England mit jenen Mordgenossen, die ihm die gestohlene Krone schützen sollen. Er wird sich in keinen Krieg mit Ludwig einlassen, und Ludwig wird nicht anstehen, seinen Stolz zu demütigen, seinen Geiz zu füttern und seine wollüstige Verschwendungssucht durch Goldsummen zu sättigen. So fürchte ich sehr, das englische Heer wird Frankreichs Buden mit dem eitlen Ruhme verlassen, sein Panier für etliche Wochen lang noch einmal in den Provinzen aufgepflanzt zu haben, die es vormals sein eigen nannte.« – »Um so mehr sei es an uns, den Burgunder rasch zur Entscheidung zu bringen,« versetzte Oxford, »und zu diesem Zweck eile ich nach Dijon. Ein Heer, wie die Scharen Eduards wird in Frankreich überwintern müssen, selbst wenn es Waffenstillstand mit dem König Ludwig schließt. Mit tausend hennegauischen Lanzen kann ich aber bald im Norden Englands sein, wo wir, außer der Zusicherung von Schottlands Hilfe, noch manche Freunde haben. Der treue Westen wird sich auf ein verabredetes Zeichen erheben – die Einwohner von Wales werden sich auf das Losungswort Tudor vereinen, die rote Rose erhebt noch einmal ihr Haupt, und somit erhalte Gott den König Heinrich!«

»Ach,« sagte die Königin – »aber nicht meinen Gemahl, nicht meinen Freund – nur den Sohn meiner Schwiegermutter von einem wallischen Häuptling – kalt, wie es hieß, und listig – allein es sei so! Wenn nur Lancaster triumphiert und sich an York rächt, so will ich zufrieden sterben!« – »So kann ich also die Anerbietungen machen, zu denen Ew. Majestät mich früher ermächtigten, um Burgund für unsere Sache zu gewinnen? Erfährt Karl etwas von der vorgeschlagenen Waffenruhe zwischen Frankreich und England, so wird der Stachel um so tiefer dringen.« – »Versprecht alles,« entgegnete die Königin. »Ich kenne das Innerste dieses Herzogs – es ist nur auf Besitzerwerb nach allen Seiten hin gerichtet. Deswegen hat er Gelder weggenommen – deswegen überflutet und besetzt er jetzt Lothringen – deswegen girrt er nach den armseligen Resten der Provence, die mein Vater noch die seinigen nennt. Bei so vermehrtem Besitztum gedenkt er seinen Herzogsmantel gegen die Krone eines unabhängigen Monarchen zu vertauschen. Sagt ihm, Margarethe könne seinen Absichten förderlich werden – sagt ihm, mein Vater René werde seine Staaten ihm in dem Augenblick abtreten, wo seine Hennegauer sich nach England einschiffen, so Karl nur ein mäßiges Jahresgehalt gewährt, um eine Anzahl Geiger und eine Schar Mohrentänzer zu unterhalten; denn diese bilden Renés sämtliche irdischen Bedürfnisse. Die meinigen sind noch geringer – Rache an York und ein Grab! Was das elende Gold betrifft, dessen wir bedürfen, so hast Du Juwelen zu verpfänden – was die übrigen Bedingungen anbelangt, so kann allenfalls Bürgschaft geleistet werden.«

»Was dies betrifft, hohe Frau, so kann ich zu Eurem Königsworte noch ein Ritterwort geben; und wird mehr verlangt, so soll mein Sohn als Geisel in Burgund bleiben.« – »O, nein, nein!« rief die Königin, vielleicht von dem einzigen zärtlichen Gefühle ergriffen, das in ihrem übermäßigen Unglück noch nicht ganz erstickt worden war. »Setzt nicht das Leben des edlen Jünglings aufs Spiel – er ist der letzte des treuen, anhänglichen Hauses De Vere – er sollte der Waffenbruder meines geliebten Eduard sein und wäre fast sein Genoß in einem frühzeitigen blutigen Grabe geworden! Verwickelt dieses arme Kind nicht in die Staatsränke, die seiner Familie so verhängnisvoll wurden. Laßt ihn mit mir ziehen! Ihn mindestens will ich schirmen vor Gefahr, so lange ich lebe, und ihn versorgt wissen, wenn ich nicht mehr sein werde,«

»Vergebt mir, Königin,« sagte Oxford, mit jener ihn stets auszeichnenden Bestimmtheit: »mein Sohn ist freilich ein De Vere, und vielleicht der Letzte seines Namens. In welche Gefahren Pflicht und Lebenstreue ihn auch rufen, seien es Gefahren vor Schwert und Lanze, vor Beil und Hochgericht – frei muß er ihnen die Stirn zeigen, wenn er seine Treue dadurch bewähren kann. Seine Ahnen haben ihm gezeigt, wie man allen solchen Gefahren Trotz bieten kann.« – »Wahr, wahr!« sagte die unglückliche Königin, indem sie heftig die Arme emporstreckte. »Alle mußten umkommen – alle, die das Haus Lancaster ehrten – alle, die Margarethe liebten, alle, die sie geliebt hat! Die Vertilgung muß allgemein werden – die Jünglinge müssen fallen, wie die Greise – kein einziges Lamm der zerstreuten Herde soll entrinnen.« – »Um Gottes willen, hochherzige Frau,« sagte Oxford, »beruhigt Euch! – Ich höre an die Tür pochen.«

»Das Zeichen zum Aufbruch,« sagte die verbannte Königin, indem sie sich sammelte. »Wir dürfen nicht zaudern. Laßt uns hier scheiden – Ihr geht nach Dijon, ich nach Aix, meinem ruhelosen Aufenthalte in der Provence. Lebt wohl! – Möchten wir uns zu besserer Stunde wiedersehen! – Hoffnung ist eine Pflanze, die aus einer edlen Brust nicht eher ausgerottet werden kann, bis das Brechen der letzten Herzensfiber sie vertilgt.«

Indem sie so sprach, schritt sie durch die Tür der Kapelle, und mischte sich in das Gewühl von Menschen, die teils beteten, teils ihre Neugier befriedigten, teils ihre müßigen Stunden in den Gängen des hohen Münsters verschlenderten.

Philippson und dessen Sohn, beide tief ergriffen von dem seltsamen Zusammentreffen, kehrten in ihre Herberge zurück, wo ihrer ein Knappe harrte, der Burgunds Farben und Zeichen trug und ihnen berichtete, daß, so sie die englischen Kaufleute wären, die wertvolle Waren an den Hof des Herzogs brächten, er den Auftrag hätte, ihnen Geleit und Unverletzlichkeit zuzusichern.

Unter dem Schutze dieses herzoglichen Dieners brachen unsere Reisenden von Straßburg auf. Am Abend des zweiten Tages erreichten sie die Ebene von Dijon, wo die ganze Heeresmacht des Burgunder Fürsten, oder doch der größte Teil, ihr Feldlager aufgeschlagen hatte.

Neuntes Kapitel

Der altere Philippson war an den Anblick kriegerischen Glanzes gewöhnt; dennoch war er fast geblendet von dem Reichtum und der Pracht des burgundischen Lagers, in dem unweit der Mauern von Dijon Karl, der wohlhabendste Fürst Europas, seine Prachtliebe entfaltete. Die Zelte der geringsten Hauptleute waren von Seide und Samt, während die des Adels und der Oberanführer in Silber und Goldstoff erglänzten. Reiterei und Fußvolk hatte die reichsten, prunkendsten Rüstungen an. Ein schöner, überaus zahlreicher Geschützzug war nahe am Eingange aufgestellt, und in dem Befehlshaber dieses Zuges erkannte Philippson (um dem Grafen De Vere von Oxford seinen Reisenamen zu lassen, an den unsere Leser gewöhnt sind) einen Engländer von niederer Herkunft, Heinrich Colvin, der sich durch seine Geschicklichkeit in der Lenkung dieser furchtbaren, erst jüngst zum Kriegsgebrauch erfundenen Werkzeuge auszeichnete. Die Paniere und Fähnlein, die jeder Ritter aufgesteckt hatte, wehten über den Zelten, und die Einwohner dieser wandelbaren Behausungen saßen am Eingange halb gerüstet und schauten dem Ringen, Springen und anderen athletischen Uebungen der Söldner zu.

Lange Reihen der edelsten Rosse sah man stampfend und mähneschüttelnd dastehen, oder man hörte sie wiehern über den Krippen, die reich gefüllt vor ihnen standen. Die Kriegsknechte, bildeten heitere Gruppen um die Minnesänger und wandernden Gaukler her oder hielten Zechgelage vor den Zelten der Marketender.

Inmitten dieses blendenden Wirrwarrs kriegerischer Rüstungen erreichten die Reisenden endlich das Zelt des Herzogs. Im Abendscheine flatterte das breite, reiche Panier, auf dem die Wappenschild eines Fürsten erglänzten, der ein Herzog von sechs Provinzen, ein Herr von fünfzehn Grafschaften und vermöge seiner Macht, seiner Gesinnungen und seiner stets vom Glück begleiteten Unternehmungen, der allgemeine Schrecken Europas war. Die Engländer wurden sofort höflich aufgenommen, doch nicht in solchem Maße, daß die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt worden wäre. Man führte sie in das angrenzende Zelt eines Oberhauptmanns, das zu ihrem Aufenthalt bestimmt worden war und wo ihnen Erfrischungen aller Art geboten wurden.

Nicht lange währte es, so wurden sie vor den Herzog befohlen, und der ältere Philippson wurde durch einen Seiteneingang in das herzogliche Zelt geführt. Das Zelt war im Innern schlicht, fast armselig eingerichtet, so prunkvoll es auch von außen erschien. Auf dem Tische lagen ausgediente Bürsten und Kämme, abgetragene Hüte und Wämser, Hundekoppeln, Ledergürtel und andere dergleichen Dinge; dazwischen aber, wie zufällig, der große Diamant, Sanci genannt, die drei Rubinen, die die drei Brüder von Antwerpen hießen – noch ein großer Diamant, die sogenannte Leuchte von Flandern, nebst mehreren Edelsteinen von geringerem Werte und minder großer Seltenheit. Diese sonderbare Zusammenwürflung glich einigermaßen dem Charakter des Herzogs selbst, der Grausamkeit mit Gerechtigkeit, Seelengröße mit Kleinlichkeit, Sparsamkeit mit Verschwendung und Freigebigkeit mit Geiz paarte.

Der Herzog begrüßte den englischen Reisenden mit den Worten: »Willkommen, Herr Philippson, der Ihr von einer Nation seid, deren Handelsleute Fürsten und deren Krämer Mächtige dieser Erde sind. Mit welcher neuen Ware wollt Ihr uns jetzt prellen?« – »Keine neuen Waren, mein hoher Herr,« antwortete der Engländer, »bringe ich mit, sondern nur die, die ich Euer Hoheit schon vorigesmal zeigte. Ich lege Sie Euch nochmals vor, in der Hoffnung, sie möchten Euer Hoheit beim zweiten Anblick annehmlicher erscheinen.« – »Gut so, Sir – Philipville, glaub ich, nennt man Euch? Entweder seid Ihr ein einfältiger Kaufmann, oder Ihr haltet mich für einen törichten Käufer, daß Ihr mir eben die Waren aufzuhalsen gedenkt, die mir schon einmal nicht gefielen. Eure Lancasterwaren haben ihre Zeit hinter sich. York ist jetzt Mode.«

»Bei dem Pöbel muß es so sein,« sagte der Graf von Oxford, »allein für Seelen, wie Eure Hoheit, sind Treue, Ehre und Lehensanhänglichkeit Juwelen, die weder wechselnde Laune noch Wandelbarkeit des Geschmackes außer Mode bringen kann.« – »Nun, es mag sein, edler Oxford,« sagte der Herzog, »daß ich im Innersten meines Gemütes diese altmodisch gewordenen Gegenstände immer noch wertschätze. Doch meine Lage ist sehr heikel, und sollte ich in dieser Krisis einen falschen Schritt tun, so könnten die Pläne, denen ich mein ganzes Leben gewidmet habe, scheitern. Hört mir zu, Herr Handelsmann! Da ist hier Euer alter Nebenbuhler Blackburn herübergekommen, den einige Eduard von York und London nennen, mit einer Kriegerschar, wie man sie seit König Arthurs Zeiten in Frankreich nicht mehr gesehen hat, und ladet mich ein, gemeinsam mit ihm gegen meinen verächtlichsten, hartnäckigsten Feind, den König von Frankreich zu ziehen, mich loszumachen von den Ketten des Vasallentums und zum Range des unabhängigen Fürsten aufzusteigen. Ich frage nun Dich, als einen Ehrenmann, welche Einwürfe Du gegen den mir gemachten Vorschlag erheben kannst? Sage Deine Meinung frei heraus!«

»Ich weiß, Euer Hoheit hält alles für leicht ausführbar, was Ihr einmal beschlossen habt. Jedoch obwohl diese fürstliche Sinnesart in etlichen Fällen sehr förderlich sein mag, es auch oft schon gewesen ist, so ist manchmal doch solches Beharren auf einem Vorsätze, bloß um der Beharrlichkeit willen, Veranlassung nicht zum Siege, sondern zum Untergange. Betrachtet daher dieses englische Heer! der Winter nähert sich – wo soll es unterkommen? wie soll es sich ernähren? von wem soll es besoldet werden? Soll Eure Hoheit etwa alle Kosten und Mühseligkeiten der Ueberwinterung bis zum Sommerfeldzug tragen? Ich gebe zu, es sind Männer, die die besten Streiter der Welt abgeben; allein noch sind sie es nicht, erst müßten sie auf Eurer Hoheit Kosten dazu erzogen werden. Und was geschieht weiter? Ihr zieht nach Paris, verleiht der angemaßten Macht Eduards ein zweites Königreich, setzt ihn wieder ein in alle die Besitztümer, die England je in Frankreich sein nannte, die Normandie, Maine, Anjou und die Gascogne. Dürft Ihr diesem Eduard dann noch trauen, wenn Ihr ihn auf diese Weise stärker gemacht habt, als es bis jetzt Ludwig ist, den Ihr gemeinsam mit England zu Boden strecken wollt?«

»Beim St. Georg, ich will Dir reinen Wein einschenken! Ueber eben diesen Punkt hege ich auch mein Bedenken, Eduard ist zwar mein Schwager, allein ich bin ein Mann, der wenig Lust hat, den Kopf unter meines Weibes Gürtel zu verbergen. Und Familienliebe? – Possen! sie mag warm sitzen am Herde eines Bürgersmannes; jedoch auf die Schlachtgefilde, in die Halle der Fürsten, wo die Winde kalt wehen, kann sie nicht kommen. Nein, meine Verwandtschaft mit Eduard dürfte mir zur Zeit der Not wenig helfen. Aber er führt Krieg gegen König Ludwig, und wer von beiden auch siegen mag, ich werde durch ihre beiderseitige Schwächung stärker und ziehe stets den Vorteil daraus.«

»Und wenn mittlerweile Eure Hoheit sich herablassen will, die ehrenvollste Sache, für die jemals ein Ritter die Lanze einlegte, durch eine mäßige Geldsumme und tausend Hennegauische Landsknechte zu unterstützen, so möchten diese in ihrem Dienste Ruhm und Glücksgüter ernten und den geschmähten Erben von Lancaster wieder in sein angestammtes, rechtmäßiges Eigentum einsetzen.«

»Trefflich, Herr Graf,« sagte der Herzog, »kommt Ihr sofort auf den Hauptpunkt; aber wir haben so manchem Strauß zwischen York und Lancaster zugesehen und sind noch nie ins klare darüber gekommen, welcher Sache der Himmel und die Liebe des Volkes das Recht zusprechen. Ihr seid verschmitzte Gesellen, Ihr Engländer beider Parteien, doch weder York noch Lancaster, weder Bruder Blackburn noch Base Margarethe von Anjou und John de Vere als ihr Geleitsmann sollen mich hinter das Licht führen. Man lockt keinen Habicht mit leeren Händen. Wenn es sich darum handelt, Krontaler hinzuzählen und große Geschwader einzuschiffen, da müssen wir unseren Untertanen erkleckliche Gründe vorzulegen haben, da müssen wir selber Gründe haben, die das allgemeine Wohl oder, was dasselbe ist, unsern persönlichen Vorteil angehen. Das ist der Weltlauf, und, Oxford, die Wahrheit zu sagen, ich denke, diesem Laufe mich anzuschließen!«

»Der Himmel verhüte, daß ich erwarte, Eure Hoheit würden die Rücksicht auf Eure Untertanen und auf die Vermehrung Eurer eigenen Macht und Herrschaft außer acht lassen. Das Geld, das wir begehren, soll kein Geschenk, sondern eine Anleihe sein, und Margarethe ist bereit, diese Juwelen, deren Wert Eurer Hoheit bekannt sein wird, so lange dagegen zu verpfänden, bis die Summe zurückgezahlt ist, die Eure Freundschaft ihr in ihrer Bedrängnis zugestehen will.« – »Ha! Ha!« sagte der Herzog, »will meine Base einen Pfandverleiher aus uns machen, daß wir nachher mit ihr wie ein jüdischer Wucherer mit seinem Gläubiger zu verfahren hätten? – Doch in der Tat, Oxford, möchten wir dieser Diamanten bedürfen, denn ich muß vielleicht selbst Geld aufnehmen, um meiner Base in ihren Nöten beizustehen. Legt die Juwelen einstweilen auf den Tisch. Und dann sprecht, wird dieser irrende Ritterzug, den Ihr mir vorschlagt, mir nicht etwa Verlust bringen?« – »Verlust?« entgegnete Oxford. »Gewinn vielmehr! Hat Eure Hoheit noch nie an die Provence gedacht?«

»Die Provence?« versetzte der Herzog lebhaft, »kann ich doch keine Apfelsine verzehren, ohne mich an die duftenden Wälder und Haine voll Oliven und Zitronen und Granatäpfel in der Provence zu erinnern! Noch Schande wäre es, den alten König René, den harmlosen Greis, aufzuscheuchen; auch würde das einem nahen Verwandten übel anstehen. Dann ist er der Ohm Ludwigs und hat höchst wahrscheinlich, indem er seine Tochter hintansetzt, oder vielleicht weil er ihr Ludwig vorzieht, den König von Frankreich zu seinem Erben ausersehen.« – »Besseres Recht dürfte Eure Hoheit darauf haben,« sagte der Graf von Oxford, »sobald Ihr Margarethe von Anjou den durch mich erbetenen Beistand angedeihen laßt.« – »Nimm hin den Beistand, den Du begehrst,« erwiderte der Herzog, »nimm hin den doppelten Betrag in Kriegsvolk und in Gelde! Nur laß mich auf die Provence ein Recht haben, wäre es auch noch so klein wie ein einziges Haar auf dem Kopfe der Königin Margarethe, und gönne mir Muße, es zu einem vierfachen Kabeltaue zu drehen. Doch ich bin ein Tor, daß ich den Träumen eines Mannes Gehör gebe, der selbst zugrunde gerichtet ist und wenig dabei verlieren kann, wenn er andere in überspannte Hoffnungen wiegt.« – Karl atmete tief und wechselte die Farbe, als er sprach.

»Ich bin kein solcher Mann, mein Herr Herzog,« sagte der Graf. »Hört mich – René wird gebeugt von der Last der Jahre, liebt nichts als Ruhe und trägt Verlangen, seinem Lande zu entsagen, ja, allem, was er wirklich besitzt! das heizt auch, den weitläufigeren Staaten, die zu fordern er das Recht hat, die jedoch seinem Scepter entzogen wurden.« – »Ihr raubt mir den Atem!« sagte der Herzog. »René der Provence entsagen! Und was spricht Margarethe, die Stolze, hochherzige Margarethe dazu? Wird sie in ein so demütigendes Tun willigen?«

»Für das Glück, Lancaster in England triumphieren zu sehen, würde sie nicht bloß der Herrschaft, sondern dem Leben entsagen. Und in Wahrheit, das Opfer ist leichter, als es scheinen mag. Gewiß ist es, daß, wenn René stirbt, der König von Frankreich die Provence als männliches Lehen zurückbegehren wird, und keiner ist stark genug, dagegen Margarethens Ansprüche, wie rechtmäßig sie auch sein mögen, zu schützen.« –

»Sie sind rechtmäßig,« sprach der Herzog, »das ist unleugbar. Ich will nichts von einer Herausgabe hören – das heißt, wenn es dereinst in unsere Hände wird gegeben sein. Burgund mit der Provence vereinigt – ein Besitztum, das von der Nordsee bis zum Mittelländischen Meer reicht! Oxford, Du bist mein besserer Engel!« – »Eure Hoheit muß jedoch erwägen,« sagte Oxford, »daß dem König René ehrenvoller Unterhalt dafür – gewährt werden muß!«

»Gewiß, Mann! Er soll ihn haben! Soll ein Schock Fiedler und Gaukler haben, die ihm vom Morgen bis in die Nacht vorsingen. Er soll einen Hofhalt von Troubadours haben, die alle nichts tun sollen, als trinken und essen, pfeifen und geigen. Und auch Margarethe soll ehrenvoll bedacht werden, ganz wie Ihr festsetzen werdet.«

»Das wird bald getan sein,« antwortete der englische Graf. »Glückt unser Versuch in England, so wird sie keine solche Unterstützung von Burgund nötig haben. Mißlingt unser Vorhaben, so zieht Margarethe sich in ein Kloster zurück, und nicht lange Zeit wird sie alsdann des Unterhaltes bedürfen, den Euer Hoheit Großmut Ihr, wie ich überzeugt bin, gern anweisen wird.«

Mit diesen Worten legte der Graf von Oxford dem Herzog eine Schrift vor und erklärte ihm den Plan des Feldzuges, der durch einen allgemeinen Aufstand der Freunde des Hauses Lancaster unterstützt werden sollte: ein Plan, den man wohl kühn bis zur Verwegenheit nennen dürfte; doch war er so wohl ersonnen und so kunstvoll gefügt, daß er in jenen Zeiten flugschneller Umwälzungen und unter einem Heeerführer von Oxfords kriegerischer Geschicklichkeit und staatskluger Einsicht starke Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Ausganges in sich trug. –

Wählend Herzog Karl über die, Einzelheiten einer seiner eigenen Gesinnung zusagenden Unternehmung nachsann, während er im Geiste die Beleidigungen überzählte, die er von seinem Schwager Eduard IV. erlitten hatte, und die gegenwärtige günstige Gelegenheit erwog, ausgiebige Rache zu nehmen, zumeist aber des reichen Länderzuwachses gedachte, der ihm durch die Abtretung der Provence zuteil würde, ermangelte der Engländer nicht, eindringlich zu betonen, daß man keine Zeit verlieren dürfe.

»Die Ausführung dieses Planes,« sprach er, »verlangt die größte Eile. Um auf einen glücklichen Ausgang hoffen zu können, muß ich mit Eurer Hoheit Hilfskriegern in England sein, bevor Eduard von York aus Frankreich dahin zurückkehren kann.« – »Und da unser werter Bruder einmal herüber gekommen ist, wird er so hurtig nicht wieder umkehren. Er wird mit schwarzäugigen Französinnen und am rubinfarbenen Weine Frankreichs sich vergnügen.« – »Herr Herzog, laßt mich auch vom Feinde Wahrheit reden! Eduard ist träg und wollüstig, wenn alles gut steht; doch laßt ihn den Sporn der Notwendigkeit fühlen, so wird er eifrig wie ein stampfender Hengst. Auch Ludwig, dem es selten an Mitteln zu seinen Zwecken fehlt, wird den englischen König so bald wie möglich wieder über das Meer schaffen wollen – deswegen ist Hurtigkeit, edler Herr, Hurtigkeit die Seele Eures Unternehmens. Verzeiht, edler Herr, die Ungeduld eines Unglücklichen, der, dem Ertrinken nahe, dringend um Beistand nachsucht. – Wann ziehen wir zur Anordnung dieser wichtigen Maßregel gegen Flanderns Küste?«

»Nun, binnen vierzehn Tagen oder vielleicht binnen einer Woche, oder, mit einem Worte, sobald ich eine gewisse Rotte von Dieben und Wegelagerern gezüchtigt habe, die gleich dem Schaum auf dem Kessel stets oben schwimmen, sich aus ihren Bergfesten zwischen den Alpen hervorgemacht und von dort aus unsere Grenze mit Schleichhandel, Raub und Gewalttat verletzt haben.« – »Euer Hoheit meint die Schweizer Eidgenossenschaft?« – »Ei, die Bauernlümmel legen sich dergleichen Namen selbst bei. Sie sind freigelassene Sklaven von Oesterreich, und gleich einem Fanghunde, dessen Kette zerriß, benutzten sie ihre Freiheit, um niederzubeißen und zu zerzausen, was ihnen in den Weg kommt.«

»Ich reiste durch ihr Land, als ich Italien verlassen hatte,« sagte der verbannte Graf, »und wie ich hörte, hatten die Kantone die Absicht, Gesandte an Eure Hoheit zu schicken, um Frieden zu erbitten.« – »Frieden!« rief Karl, – »Eine eigene Art friedlichen Verfahrens haben diese sogenannten Abgesandten bewiesen! Sie benützten die Meuterei der Bürger zu La Ferette, der Grenzstadt meiner Lande, erstürmten die Wälle, ergriffen Archibald von Hagenbach, der an meiner Stelle dort befehligte, und töteten ihn auf öffentlichem Markt. Solche Schmachtat muß bestraft werden, Herr Johann de Vere, und ich habe schon Befehl erteilt, diese elenden Landstreicher, die sich Abgeordnete nennen, aufzuknüpfen.« – »Um Gottes willen!« rief der Engländer, indem er sich zu Karls Füßen warf. – »Um Eures eigenen Ranges willen, edler Herzog, um des Friedens der Christenheit willen widerruft solchen Befehl, wenn er wirklich schon erteilt wurde! hört mich, Herr Herzog! Ich bin eine Strecke weit mit diesen Männern zusammengereist,« – »Ihr!« sprach der Herzog; »Ihr ein Genoß der edlen Schweizerbauern? So hat Mißgeschick den Stolz des englischen Adels herabgebracht, daß er sich solche Reisegefährten sucht?« – »Der Zufall führte mich mit ihnen zusammen,« sagte der Graf. »Etliche unter ihnen sind edler Geburt und überdies Männer, für deren friedfertige Gesinnungen ich mich selbst zum Bürgen anzubieten wage.«

»Bei meiner Ehre, Mylord von Oxford, Ihr erzeigt ihnen, wie mir nicht minder, viele Gnade, daß Ihr Euch zum Vermittler zwischen den Schweizern und mir macht. Gestattet mir zu sagen, daß in Rücksicht auf frühere Freundschaft ich Euch von Euren eigenen englischen Angelegenheiten sprechen ließ. Doch dünkt mich, daß Ihr Eure Meinung über Gegenstände sparen könnt, die Euch nichts angehen!«

»Mein Herr Herzog von Burgund,« versetzte Oxford, »ich zog einst mit Euch nach Paris und hatte das gute Glück, Euch im Treffen bei Mont L'Hery zu befreien, als französische Gewappnete Euch hart bedrängten.«

»Wir haben es nicht vergessen,« sagte der Herzog Karl, »und des zum Zeichen haben wir Euch jetzt gestattet, so lange vor uns zu weilen. Doch geschah dies nicht, um Euch Gelegenheit zu lassen, eine Rotte von Schelmen zu verteidigen, die für den Galgen bestimmt sind.« – »Mein hoher Herr! Ich bitte um ihr Leben nur, weil sie in friedlicher Botschaft hierhergekommen sind und mindestens die Führer unter ihnen keinen Teil an dem Verbrechen haben, worüber Ihr Euch beklagt.«

Mit ungleichen Schritten ging der Herzog, heftig bewegt, auf und ab, die großen Brauen tief über die Augen herabgezogen, die Hände geballt, die Zähne zusammengebissen, bis er endlich seinen Entschluß gefaßt zu haben schien. Er läutete mit einer silbernen Handklingel, die auf dem Tische stand. »Hierher, Contay,« sagte er zu dem eintretenden Kämmerer. »Sind jene Schweizer schon hingerichtet?« – »Euer Hoheit, nein! allein der Henker wartet ihrer, sobald der Priester ihre Beichte gehört haben wird.« – »Laßt sie am Leben!« sagte der Herzog, »wir wollen morgen hören, auf welche Weise sie es anfangen, ihr Verfahren gegen uns zu rechtfertigen.«

Contay verbeugte sich und ging hinaus; dann sagte der Herzog, indem er sich an den Engländer wendete. »Wir haben nun unsere Verbindlichkeit gegen einander ausgeglichen, Mylord von Oxford – Ihr habt Leben für Leben – ja, sogar sechs Leben für ein einziges erhalten. Ich werde Euch also keine Aufmerksamkeit mehr schenken, so es Euch nochmals einfallen sollte, mir mein strauchelndes Pferd bei Mont L'Hery oder Eure Tat bei dieser Gelegenheit vorzuhalten. Die meisten Fürsten begnügen sich damit, im geheimen diejenigen Menschen zu hassen, die ihnen außerordentliche Dienste leisteten – ich hege solche Gesinnung nicht – ich verabscheue es nur, daran erinnert zu werden. Pah! ich bin halb erstickt über der Anstrengung, meinen einmal gefaßten Beschluß umzustoßen. Nun nichts mehr davon. Gute Nacht! Begebt Euch in Colvins Zelt. Er hat Auftrag, Euch zu bewirten. – Contay, führe diesen Engländer zu Colvin!«

»Haltet zu Gnaden, hoher Herr,« antwortete Contay, »ich ließ den Sohn des Engländers schon bei dem General.« – »Was, Deinen Sohn, Oxford? Und er ist mit Dir hier? Warum sprachest Du mir nicht von ihm? Ist er ein wackerer Sprößling des uralten Baumes?« – »Es ist mein Stolz, solches zu glauben, Herr Herzog. Er ist der treue Genoß aller meiner Fährlichkeiten und Wanderungen gewesen.« – »Glücklicher Mann!« rief Karl mit einem Seufzer aus. »Ihr, Oxford, habt einen Sohn, der Eure Armut und Eure Bedrängnis mit Euch teilen kann. Ich habe keinen, der Teilnehmer und Erbe meiner Größe sei.«

Zehntes Kapitel

Colvin, der englische Geschützhauptmann, dem der Herzog von Burgund bei glänzendem Sold und Unterhalt die Sorge für diesen Teil seiner Heeresmacht vertraute, empfing den Engländer mit all der Hochachtung, die dessen Range gebührte. Er selbst war ein Anhänger der Lancaster-Partei gewesen und folglich den Männern wohlgeneigt, die jenem Hause trotz aller Schicksalsschläge die Treue wahrten. Ein Mahl, an welchem der Sohn schon Anteil genommen hatte, wurde dem Grafen durch Colvin angeboten, dann geleitete der General seine Gäste in denjenigen Teil des Zeltes, der für sie allein bestimmt war.

»Und jetzt, Arthur,« sagte sein Vater, »laß mich Dir sagen, daß wir noch einmal scheiden müssen. Du mußt an den Hof des Königs René ziehen, wo unsere unglückliche Königin weilt. Ich wage es nicht, Dir in diesem Lande der Gefahr einen geschriebenen Bericht mitzugeben; allein sage ihr, der Herzog von Burgund sei nicht abgeneigt, sich mit ihr zu vereinbaren. Sage ihr, daß ich wenig Zweifel hege, er werde uns die begehrte Hilfe angedeihen lassen, jedoch nicht, ohne daß sie und der König René zu seinen Gunsten entsagen müssen. Sage ihr, ich würde nimmer solches Opfer angeraten haben, wenn es bloß den Sturz des Hauses York gälte; ich sei jedoch überzeugt, daß Frankreich oder Burgund nach ihres Vaters Tode doch die Besitzungen an sich reißen würden, die sie zu seinen Lebzeiten nur ungern noch verschonen. Fordere daher die Königin Margarethe auf, so sie ihre Willensmeinung nicht geändert hat, die förmliche Abdankung des Königs René zu erhalten, so daß er mit ihrer Majestät Zustimmung seine Staaten dem Herzoge von Burgund überläßt. Der notwendige Unterhalt des Königs, so wie seiner königlichen Tochter soll ganz nach Gefallen festgesetzt oder die Summe offen gelassen werden. Ich kann es der Großmut des Herzogs zutrauen, daß er diese Summe geziemend ausfüllen werde. Alles, was ich fürchte ist, daß Karl verwickelt ist in –«

»In irgend einen törichten Kriegszug, der zu seiner Ehre und zur Ehre seiner Untertanen notwendig ist,« rief eine Stimme hinter der Leinwand des Zeltes– »und darüber mehr auf seine Angelegenheiten als auf die unsrigen acht haben wird. Wie nun, Herr Graf?«

In demselben Augenblicke wurde der Vorhang zurückgezogen, und es trat ein Mann ein, der Wams und Mütze eines gemeinen Wallonen trug, in dem Oxford jedoch augenblicklich die scharfen Züge und brennenden Augen des Herzogs von Burgund erkannte.

Arthur, der den Herzog nicht kannte, starrte den Eindringenden an, und fuhr mit der Hand nach dem Dolche; doch sein Vater gab ihm ein Zeichen, innezuhalten. Er sah mit Verwunderung, mit welch feierlicher Ehrfurcht der Graf den zudringlichen Kriegsmann empfing. Das erste Wort setzte ihn über die Sache ins klare. »Wenn Ihr durch diese Verkleidung meine Treue prüfen wolltet, edler Herzog, so erlaubt mir zu sagen, daß es ganz überflüssig war.« – »Ei, Oxford,« entgegnete der Herzog, »ich war ein höflicher Spion, denn ich horte in dem Augenblicke auf, ein Horcher an der Wand zu sein, wo ich Ursache hatte zu vermuten, daß Ihr etwas Nachteiliges über mich sagen würdet.« – »So wahr ich ein echter Ritter bin, Herr Herzog, wärt Ihr hinter der Leinwand geblieben, so würdet Ihr nur dieselben Wahrheiten gehört haben, die ich in Eurer Hoheit Gegenwart zu wiederholen bereit bin.« – »So sprich sie denn aus! Die Leute lügen es in den Hals hinein, wenn sie sagen, daß Karl von Burgund sich jemals durch den Rat eines wohlmeinenden Freundes beleidigt gefühlt hätte.«

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