Erschrocken über diesen Befehl, erhob Jarvie eine Beschwerde, die wahrscheinlich die heftige Leidenschaft der Person, an die sie gerichtet, nur noch mehr entflammt hätte, als Dougal sich zwischen beide warf und in seiner Muttersprache, die er mit einer Schnelligkeit und Geläufigkeit redete, die sehr gegen die langsame, unvollkommne Weise abstach, wie er sich im Englischen ausdrückte, unsre Verteidigung übernahm.

Seine Herrin unterbrach ihn in englischer Sprache, als wenn sie uns die Bitterkeit des Todes im voraus hätte wollen fühlen lassen: »Elender Hund und Abkömmling eines Hundes, Du lehnst Dich gegen meinen Befehl auf? Sollt ich Dir gebieten, ihnen die Zungen auszuschneiden und sie in andere Hälse zu setzen, damit wir sehen, wer am besten Sächsisch spräche, oder ihnen die Herzen auszureißen und sie in andere Leiber zu setzen, damit wir sehen, wer die besten Anschläge gegen Mac Gregor ersinnen könne? – und dergleichen geschah vor alters in den Tagen der Rache, wenn unsre Väter Unrecht zu vergelten hatten! Wie kannst Du Dich erkühnen, zu säumen, wenn ich befehle?«

»Gewiß, gewiß, Euer Wille sollte geschehen,« erwiderte er, »und das wäre nur recht. – Aber man sollte meinen, wenn Ihr einen Hauptmann von den Rotröcken und einen Korporal und noch ein paar Rotröcke in den See werfen ließet, so dürfte das für Euren Grimm eine bessere Genugtuung sein, als wenn Ihr zwei wackern, höflichen Herren Leid antun wollt. Es sind Freunde von Gregarach, sie sind auf des Häuptlings Zusage hier und nicht, um Verrat auszuführen, wie Ihr selbst bezeugen könnt.«

Die Frau wollte antworten, als einige wilde Töne einer Sackpfeife von der Straße nach Aberfoil herauf schallten, wahrscheinlich dieselben, welche Thorntons Nachhut gehört hatte. Das Gefecht war von so kurzer Dauer gewesen, daß die bewaffneten Männer, welche diesen kriegerischen Tönen folgten, nicht zeitig genug eintrafen, um an dem Kampfe teilzunehmen, und sie kamen jetzt nur, den Triumph ihrer Landsleute zu teilen.

Die neuen Ankömmlinge unterschieden sich auffallend von denjenigen, die unsre Bedeckung überwunden hatten. Unter den Hochländern, welche die Gebieterin umringten, befanden sich Greise, Knaben, selbst Weiber, kurz Menschen, die nur die dringendste Not bewaffnet hatte; die dreißig bis vierzig Hochländer, die jetzt zu den andern stießen, waren aber lauter rüstige, kampfgewohnte Leute, in der Blüte der Jugend oder des männlichen Alters, deren kurze Strümpfe und gegürtete Plaids ihre nervigen Glieder prächtig hervorhoben. Auch in ihrer Bewaffnung waren sie dem ersten Haufen ebenso überlegen, wie in Kleidung und Ansehen; die Begleiter der Frau trugen Aexte, Sicheln und andre alte Waffen neben ihren Gewehren, und einige bloß Keulen, Dolche und lange Messer, die andern aber führten meistens Pistolen im Gürtel. Jeder hatte ein gutes Gewehr in der Hand und ein Schwert an der Seite, außer einer starken, runden Tartsche von leichtem Holz, die mit Leder überzogen und mit kupfernen Buckeln, nebst einer eingeschraubten stählernen Spitze in der Mitte, versehen war.

Aber ihre Haltung und die klagenden Töne, die ihr Dudelsack zuweilen anstimmte, verrieten, daß dieser Trupp von keinem Siegeszuge kam. Mit traurigen, gesenkten Blicken traten sie vor die Frau ihres Häuptlings, die auf sie zuschritt. Ihr Gesicht drückte Unwillen und Besorgnis aus, sie fragte den Spielmann: »Was bedeutet das, Allaster? Warum eine Klage im Augenblicke des Sieges? – Robert! Hamish! Wo ist Mac Gregor? Wo ist Euer Vater?«

Ihre Söhne, die den Trupp anführten, näherten sich ihr langsamen, unsichern Schrittes und murmelten einige gälische Worte, worauf sie ein Geschrei ausstieß, daß die Felsen ertönten. Alle Weiber und Knaben stimmten ein, schlugen in die Hände und heulten, als ob ihr Leben in dem Tone hätte verlöschen sollen. Der Widerhall des Berges, der seit dem Ende des Kampfes geschwiegen hatte, antwortete auf dieses Jammergeschrei, das selbst die Nachtvögel aus ihren Höhlen trieb.

»Gefangen!« wiederholte Helene, als das Geschrei nachgelassen hatte. »Gefangen! – und Ihr lebt? Feigherzige Hunde! Hab ich Euch darum die Brust gereicht, daß Ihr Euer Blut schonen sollt gegen Eures Vaters Feinde? Daß Ihr ihn einfangen laßt von den Häschern und herkommt, es mir zu künden?«

Mac Gregors Söhne, an die dieser grimmige Verweis sich richtete, waren Jünglinge, von denen der ältere kaum sein zwanzigstes Jahr erreicht hatte. Er hieß Robert, und um ihn vom Vater zu unterscheiden, setzten die Hochländer: Og, »der Kleine«, hinzu. Dunkles Haar und düstre Züge, mit der Glut frischer Gesundheit und Lebenslust, und eine Gestalt, die über seine Jahre kräftig und untersetzt war, gaben ihm das echte Aussehen eines jungen Sohnes der Berge. Hamish, »Jakob«, war um einen Kopf länger und weit hübscher als sein Bruder; seine hellblauen Augen und das üppige schöne Haar, das unter der hochblauen Mütze hervorwallte, ließen ihn als idealen Typus des jugendlichen Hochschotten erscheinen.

Beide standen jetzt, tief bekümmert und tief beschämt, vor der Mütter und hörten ehrerbietig und unterwürfig die schweren Vorwürfe an. Als endlich ihr Unwille sich milderte, machte der ältere in englischer Sprache, wahrscheinlich um nicht von ihren Begleitern verstanden zu werden, einen Versuch zur Rechtfertigung. Ich stand ihm so nahe, daß ich ihn verstehen konnte, und da es mir wichtig war, über den seltsamen Vorgang Aufklärung zu erhalten, lauschte ich aufmerksam.

Mac Gregor war, wie der Sohn erzählte, zu einer Zusammenkunft mit einem Schotten aus dem Unterlande, der ein Zeichen brachte von – der Name wurde sehr leise gemurmelt, aber ich glaubte den meinigen zu hören – bestellt worden und war der Aufforderung gefolgt, hatte aber befohlen, den Sachsen, der die Botschaft gebracht hatte, als Geisel festzuhalten, um sich redlichen Verfahrens zu versichern. Bloß in Begleitung von Angus Breck und Rory und mit der ausdrücklichen Weisung, daß niemand ihm folgen sollte, war er an den Ort aufgebrochen, wo er erwartet wurde. Nach einer halben Stunde schon sei Angus Breck zurückgekommen mit der Nachricht, Mac Gregor sei von einer Abteilung Miliz unter Galbraith Garschattachin überfallen und gefangen genommen worden. Als er Galbraith gedroht hatte, daß an dem Bürgen Vergeltung geübt werden würde, hätte dieser verächtlich erwidert: »Wir hängen den Dieb und Eure Leute den Söldner, und das Land wird so zwei unerwünschte Dinge auf einmal los.«

»Und das erfuhrst Du, falscher Verräter,« sprach Mac Gregors Gattin, »und eiltest nicht, ohne Rücksicht auf Dein Leben, Deinem Vater zu Hilfe?«

Der Jüngling wies bescheiden auf die überlegene Macht des Feindes hin, der, wie er vernommen habe, in einem alten Schlosse am See liegen bleiben wolle, das zwar fest sei, aber mit ausreichender Mannschaft überrumpelt werden könne. Es wurden nun Boten ausgesandt, alles, was von Kriegern erreichbar sei, aufzubieten zum Angriff auf die verräterischen Niederschotten; und die Traurigkeit und Verzweiflung, die sich anfangs auf allen Gesichtern zeigten, wichen jetzt der Hoffnung, ihren Anführer zu befreien, und dem Durst nach Rache. Mac Gregors Frau ließ den Mann vor sich bringen, der als Geisel zurückbehalten worden war; und in dem armen Tropfe, der, schon halb tot vor Schrecken, herbeigeschleppt wurde, erkannte ich zu meinem Erstaunen und Entsetzen meinen alten Bekannten Morris.

Er fiel vor der Häuptlingsfrau nieder, um ihre Kniee zu umfassen; allein sie wich zurück, wie vor einem räudigen Tiere, und er konnte nur, als Zeichen der tiefsten Erniedrigung, den Saum ihres Plaids küssen. Totenbleich und krampfhaft die Hände ringend, jammerte er, er sei nur das Werkzeug andrer, und murmelte Rashleighs Namen. – Nur um sein Leben bat er – für sein Leben wollt er alles geben, was er in der Welt besaß – nur sein Leben verlangte er, wenn es auch unter Qualen und Entbehrungen verlängert werden sollte; nur den Atem begehrte er, und sollte er ihn in den Dünsten der tiefsten Berghöhle schöpfen müssen.

Den Hohn und Widerwillen und die Verachtung zu beschreiben, womit die Häuptlingsfrau auf den Menschen, der um sein Leben so kläglich winselte, niedersah, ist unmöglich.

»Elender!« schrie sie, »Du könntest durch die Welt kriechen, ungerührt von ihrer Schande, von ihrem unaussprechlichen Elend, von ihren Lastern, von ihrer Trübsal? – Du Schuft könntest leben, während der Edle verraten wird? während Schurken auf den Nacken des Tapfern den Fuß setzen? Nein! Krepieren sollst Du, wie ein Hund! krepieren, ehe die Wolke dort vor der Sonne vorüberzieht!«

Sie gab den Männern, die sie umstanden, einen kurzen Befehl in gälischer Sprache. Morris wurde ergriffen und an den Rand der Klippe, die über dem See hing, geschleift. Er stieß ein Geschrei aus, so furchtbar, so mark- und beinerschütternd, daß es noch jahrelang nachher meinen Schlummer gestört hat. Einige hielten ihn, daß er sich nicht rühren konnte; andre banden einen schweren Stein in einen Plaid und schlangen den Plaid um seinen Nacken; noch andre rissen ihm die Kleider vom Leibe. Dann stürzten sie ihn in den See, der hier zwölf Fuß tief war, und übertäubten sein letztes Angstgeschrei mit ihrem Freudengebrüll der befriedigten Rache. Die schwere Last sank in die Fluten des Sees, und die Wellen, die sein Fall gestört hatte, flossen ruhig darüber hin, und das Leben eines Elenden war für immer aus den Reihen des Daseins verschwunden.

Ich hatte an jenem Tage verschiedne Landsleute fallen sehen, aber bei aller Teilnahme, die meine Brust durchdrang, empfand ich doch nicht jenes qualvolle Entsetzen, das mich, befiel, als ich mit ansehen mußte, wie der unglückliche Morris in den Tod gejagt wurde. Ich sah Jarvie an. Sein Gesicht drückte dieselben Gefühle aus, wie das meinige. Er konnte sich nicht bezwingen, sondern murmelte, aber laut genug, um gehört und verstanden zu werden:

»Ich zeuge gegen diese Tat, es ist ein blutiger, grausamer Mord – eine verfluchte Tat, und Gott wird sie seinerzeit rächen.«

»Ihr fürchtet Euch also nicht davor, ihm nachzufolgen?« fragte die Häuptlingsfrau, indem sie einen Blick auf ihn schoß, wie der Falke auf seinen Raub, ehe er ihn ergreift.

»Base,« versetzte Jarvie, »niemand wird mit Willen seinen Lebensfaden abschneiden, ehe man das Ende des Knäuels gehörig auf die Garnwinde abgewunden hat. – Und ich habe noch viel zu verrichten in dieser Welt, Geschäfte kommunaler und persönlicher Art –«

»Ruhig!« herrschte das Weib ihn an – »ruhig von albernem Zeug, das nicht hergehört – antwortet kurz und bündig, wie würdet Ihr unser Verfahren gegen den sächsischen Hund nennen?«

Der Stadtvogt räusperte sich.

»Wenn Ihr gefragt würdet vor einem Gerichtshofe, wie Ihrs nennt, was würdet Ihr antworten?« fragte das Weib wieder mit verschärftem Tone.

Jarvie blickte dahin und dorthin, als ob er auf eine Ausflucht sinne, und antwortete sodann wie einer, der kein Mittel sieht, einen Rückzug zu bewirken, und sich entschließt, den Kampf zu bestehen: »Ich sehe, wohin Ihr mich treiben wollt. Ihr wollt mich zwingen, zu sprechen, wie es mein Gewissen verlangt. Zwar könnte Euer eigner Mann, den ich hierher gewünscht hätte, sowohl um seinet- als meinetwillen, und auch die arme hochländische Kreatur Dougal Euch sagen, daß Niklas Jarvie bei den Fehlern eines Freundes auch ein Auge zudrücken kann, so gut, wie irgend jemand sonst; aber dennoch sag ich Euch, Base, meine Zunge spricht nie, wovon mein Herz nichts weiß. Eh' ich sagte, der arme Tropf dort sei gesetzmäßig ums Leben gebracht, wollt ich mich lieber an seine Seite legen lassen. – Aber ich glaube, Ihr wäret die erste Hochländerin, die dergleichen gegen den Verwandten ihres Mannes täte.«

Wahrscheinlich war sein entschlossener Ton besser geeignet, auf das harte Herz des Weibes Eindruck zu machen. Sie ließ uns jetzt beide vor sich treten.

»Euer Name,« sprach sie zu mir, »ist Osbaldistone? – Der tote Hund, den Ihr sterben sahet, nannte Euch so.«

»So ist Rashleigh wohl Euer Vorname?« fuhr sie fort.

»Nein. Ich heiße Franz.«

»Aber Ihr kennt Rashleigh Osbaldistone? – Er ist Euer Bruder, wenn ich nicht irre, oder wenigstens Euer Verwandter und genauer Freund.«

»Mein Verwandter ist er, aber nicht mein Freund,« versetzte ich. »Vor kurzem standen wir uns im Zweikampf gegenüber. Soviel ich weiß, war es Euer Mann, der uns auseinander brachte. Mein Blut ist kaum noch trocken an seinem Schwerte, und die Wunde in meiner Seite noch nicht vernarbt. Ich habe wenig Ursache, den, welchen Ihr nennt, als Freund anzuerkennen.«

»Wenn Ihr nichts mit seinen Anschlägen zu tun habt,« erwiderte sie, »so könnt Ihr sicher und ohne für Eure Freiheit zu fürchten, zu Galbraith und seinen Leuten gehen und eine Botschaft von Mac Gregors Frau überbringen?«

Ich antwortete, daß mir kein Grund bekannt sei, warum die Mannschaft mich zurückhalten sollte, und daß ich für mich nichts zu befürchten haben dürfte. Könne es meinem Freunde und meinem Diener, als ihren Gefangenen, zum Schutz gereichen, wenn ich die Botschaft übernehme, so sei ich bereit, sogleich aufzubrechen. Ich sei in das Land gekommen, setzte ich hinzu, auf ihres Mannes Einladung und seine Versicherung, daß er mir in einer wichtigen Angelegenheit beistehen wolle, und mein Reisegefährte, Herr Jarvie, habe mich aus eben dieser Absicht begleitet.

»Ich wollte,« fiel der Stadtvogt ein, »in meinen Stiefeln wäre siedendes Wasser gewesen, als ich sie in dieser Absicht anzog.«

»In den Worten dieses jungen Menschen erkennt Ihr Euren Vater,« sagte Helene Mac Gregor zu ihren Söhnen. »Er ist nur klug, wenn er die Mütze auf dem Kopfe und das Schwert in der Hand hat; aber sobald er den Tartan mit dem Tuchkleide vertauscht, mischt er sich in die elenden Ränke der Niederländer und wird nach allem, was er schon gelitten hat, von neuem ihr Werkzeug, ihr Sklave.«

»Und ihr Wohltäter, setzet hinzu,« rief ich.

»Mag sein,« antwortete sie. »Doch genug davon! – Ich werde Euch zu den feindlichen Vorposten bringen lassen, fragt nach ihrem Anführer und bringt ihm diese Botschaft von mir, Helene Mac Gregor: Wenn sie ein Haar krümmen auf Mac Gregors Haupt, und ihn nicht binnen zwölf Stunden in Freiheit setzen, so soll, ehe Weihnachten kommt, keine Frau in Lennox sein, die nicht Totenklage anstimmt, – kein Pächter, der nicht ach und weh schreit über eine abgebrannte Scheune und einen leeren Stall – kein Laird, kein Erbe soll sein Haupt abends niederlegen auf sein Kissen mit der Zuversicht, daß er lebe am Morgen – und zum Anfange dessen will ich, sobald die Frist vorüber ist, ihnen diesen Stadtvogt von Glasgow, diesen sächsischen Hauptmann und alle übrigen Gefangenen, jeden in einen Plaid gebunden und in so viel Stücke zerhackt, als Würfel im Tartan sind, herüberschicken!«

Hamish, Mac Gregors jüngster Sohn, nebst zwei Gefährten begleiteten mich, sowohl um mir den Weg zu zeigen, als auch die Stärke und Stellung des Feindes zu erforschen. Um mir die Flucht unmöglich zu machen, vielleicht auch, um ein Unterpfand in Händen zu haben, zwang man mich, zu Fuße zu gehen. Dougal hatte mitgehen sollen, er wußte aber auszuweichen, und zwar, wie wir nachher erfuhren, um über Jarvie zu wachen, dem er, nach seinen rohen Begriffen von Treue, Dankbarkeit schuldig zu sein glaubte, weil er in gewisser Hinsicht einst sein Gönner oder Herr gewesen war.

Nachdem wir ungefähr eine Stunde sehr schnell marschiert waren, erreichten wir eine mit Buschholz bedeckte Anhöhe, wo wir eine umfassende Aussicht über das Tal hatten und die Stellung der Soldaten genau beobachten konnten. Da es meistens Reiterei war, hatte man sich weislich gehütet, gegen den Engpaß vorzudringen, wo Hauptmann Thornton den kürzeren zog. Die Stellung war ziemlich geschickt auf einer Anhöhe in der Mitte des kleinen Tales von Aberfoil genommen, durch welches sich der Forth schlängelt, das von zwei Hügelreihen eingeschlossen und in der Ferne von höheren Gebirgen begrenzt wird. Das Tal ist indes breit genug, um die Reiter gegen einen plötzlichen Angriff der Hochländer zu sichern, und sie hatten in gehöriger Entfernung von der Hauptschar nach allen Richtungen Schildwachen und Vorposten aufgestellt, um bei dem geringsten Alarm aufzusitzen und unter Waffen zu sein.

Die weidenden Pferde im Tale, die mannigfachen Kriegergruppen an dem schönen kleinen Flusse, die kahlen, romantischen Felsen, die sie einschlossen, während fern nach dem Morgen zu der Menteith-See hervorblinkte, und das Schloß Stirling, in dämmernder Ferne, längs der blauen Ochill-Gebirge sich zeigend, den Hintergrund schloß, das alles bot ein so seltsames, lebensvolles und schönes Bild, daß es sich mir so fest in Erinnerung geprägt hat, daß ich noch jetzt meine, es vor mir zu haben.

Hamish Mac Gregor riß mich aus meiner Versunkenheit, indem er mir zurief, ich solle zu den Kriegern hinabsteigen und meine Botschaft bei ihrem Anführer ausrichten, schärfte mir aber ein, weder zu sagen, wer mich zu diesem Orte geleitet, noch wo mich meine Begleitung verlassen habe. Ich machte mich auf den Weg und Andreas folgte mir. Von seiner englischen Tracht besaß er nur noch die Beinkleider und Strümpfe und trug Riemenschuhe, die ihm Dougal aus Mitleid gegeben hatte. Ein zerrissener Plaid mußte den Mangel der andern Kleidungsstücke ersetzen. Wir waren noch nicht weit gegangen, als eine Reiterwache auf uns zuritt und mir mit vorgehaltenem Gewehr Halt! zurief. Ich verlangte, vor den Kommandanten gebracht zu werden und wurde sogleich in einen Kreis von Offizieren geführt, die um einen Mann von höherem Range herum im Grase saßen. Mein Bekannter Galbraith und viele andre, teils in Uniform, teils in gewöhnlicher Kleidung, aber alle bewaffnet, schienen Befehle von ihm entgegenzunehmen.

Zum Sprechen aufgefordert, erzählte ich, wie ich unwillkürlich Zeuge der Niederlage geworden sei, die des Königs Soldaten von den Hochländern beim Passe vom Ard-See, wie man den Ort nannte, erlitten hätten, und wie die Sieger ihren Gefangenen und dem ganzen Niederlande alle Art von Unheil drohten, wenn nicht ihr Anführer ungekränkt ihnen zurückgegeben werde. Der Herzog, denn das war die Person, der ich rapportierte, hörte mich gelassen an und erklärte sodann, daß es ihm leid tue, die unglücklichen Gefangenen preiszugeben, allein es sei eine törichte Voraussetzung, daß er den wahren Urheber all dieser Gewalttaten freigeben werde. »Ihr könnt zurückkehren,« schloß er, »zu denen, die Euch sandten, und ihnen sagen, daß ich Robin Campbell, den Sie Mac Gregor nennen, mit Tagesanbruch unwiderruflich hinrichten lasse, als einen Geächteten, der mit den Waffen in der Hand ergriffen wurde und der den Tod für tausend Uebeltaten verdient. Sagt denen, die Euch sandten, ferner, daß man mich mit Recht meines Postens für unwürdig halten würde, wenn ich anders handeln wollte; daß ich das Land gegen ihre frechen Drohungen schützen werde, und daß, wenn sie den unglücklichen Männern, die ein böser Zufall in ihre Macht gegeben hat, ein Haar auf ihrem Haupte krümmen, ich eine Rache nehmen will, über die selbst die Steine in den Tälern hundert Jahre Weh schreien sollen!«

Ich erlaubte mir hinsichtlich des ehrenvollen Auftrags, den man mir auftrug, geltend zu machen, daß ich mich, wenn ich ihn ausführte, zunächst selbst in schwere Gefahr brächte, worauf der Herzog antwortete, daß ich in diesem Falle meinen Diener schicken möge.

»Der Teufel müßte mir in den Beinen stecken,« rief Andreas, ohne Rücksicht auf die Anwesenden und ohne zu warten, bis ich geantwortet hatte – »wenn ich nur einen Fuß dazu höbe. Denken die Leute, ich hätt' eine andre Kehle in der Tasche, wenn die Hochländer mir die hier abgeschnitten haben? Oder ich könnte untertauchen an der einen Seite des Sees und an der andern wieder raus kommen, wie ein wilder Enterich? Nicht doch! jeder für sich und Gott für uns alle. Mögen sich die Leute doch selbst bedienen und ihre eignen Boten sein, bis ihre Jungen groß sind. Robin der Rote hat nie ins Kirchspiel von Dreepdaily den Fuß gesetzt, um Aepfel oder Birnen zu stehlen.«

Mühsam gelang es mir, Andreas zum Schweigen zu bringen. Dann stellte ich dem Herzoge vor, welcher großen Gefahr Hauptmann Thornton und Jarvie gewiß ausgesetzt sein würden, und bat ihn, mich zum Ueberbringer von Bedingungen zu machen, durch die ihr Leben geschützt werden könnte. Ich versicherte ihm, daß ich keine Gefahr scheuen würde, wenn ich nützlich sein könnte, doch nach allem, was ich gehört und gesehen habe, dürfe ich kaum zweifeln, daß man die Gefangenen sogleich ermorden werde, wenn der Geächtete den Tod erleiden sollte. Der Herzog war sichtlich sehr bewegt. Es sei ein harter Fall, sprach er, und er fühle es, allein er habe eine höhere Pflicht gegen das Vaterland zu erfüllen – Robin müsse sterben!

Ich gestehe, daß ich dieses Todesurteil gegen meinen Bekannten Campbell, der sich wiederholt gegen mich willfährig und dienstfertig gezeigt hatte, nicht ohne tiefe Bewegung hörte. Mehrere Männer im Gefolge des Herzogs wagten, dem Gefangenen das Wort zu reden. Es wäre doch rätlicher, meinten sie, ihn nach Schloß Stirling zu schicken und dort in engem Gewahrsam zu halten, als Unterpfand für die Unterwerfung und Zerstreuung seiner Rotte.

Major Galbraith ging noch weiter, auf des Herzogs Ehre vertrauend, obwohl er wußte, daß dieser aus besondern Gründen dem Gefangenen abgeneigt war. Robin, sprach er, sei zwar ein bedenklicher Nachbar, aber sonst ein gescheiter Kerl, der schon noch zur Vernunft zu bringen sei; sein Weib und seine Söhne hingegen wären ohne Furcht und Erbarmen und würden an der Spitze seiner Spießgesellen eine ärgere Landplage sein, als er es je gewesen.

»Oho! oho!« erwiderte der Herzog, »Klugheit und List haben lediglich die Herrschaft dieses Banditen so lang erhalten. Ein gewöhnlicher, hochländischer Räuber wäre in so vielen Wochen unterdrückt worden, als er nicht in Jahren. Ohne ihn ist seine Bande sicher nicht mehr zu fürchten, als eine Wespe ohne Kopf, die vielleicht noch einmal sticht, aber dann zerquetscht wird.«

Galbraith ließ sich nicht so leicht zum Schweigen bringen. »Mylord,« erwiderte er, »ich habe gewiß keine Freundschaft gegen Robin und er ebensowenig gegen mich, denn mir sind zweimal meine Ställe von ihm ausgeleert worden, den Schaden unter meinen Pächtern gar nicht zu nennen – aber dennoch –«

»Dennoch,« sprach der Herzog mit einem bedeutsamen Lächeln, »meint Ihr, eine solche Freiheit könne man dem Freund eines Freundes verzeihen, und man hält Robin für keinen Feind der Freunde Major Galbraiths über dem Wasser.«

»Wenns so wäre, Mylord,« versetzte Garschattachin in demselben scherzenden Tone, »so ist's nicht das Schlimmste; was ich von ihm höre. Aber ich wollte, wir hätten Nachricht von den Clans, worauf wir so lange warten. Ich möchte wetten, sie halten ihr Wort, wie es Hochländer zu halten pflegen – ich kannte sie nie anders.«

»Ich glaube das nicht,« sprach der Herzog. »Diese Herren sind als Männer von Ehre bekannt, und ich muß notwendig erwarten, daß sie ihr Versprechen einlösen werden. Es mögen noch ein paar Reiter nach unsern Freunden ausgesandt werden. Vor ihrer Ankunft können wir's nicht wagen, den Paß anzugreifen, wo Hauptmann Thornton sich überfallen ließ, und wo, wie ich weiß, zehn Mann Fußvolk gegen das beste Reiterregiment standhalten können. – Unterdessen laßt der Mannschaft Erfrischungen reichen.«

Auch ich zog Vorteil von diesem Befehle, denn ich hatte seit unserm eiligen Mahl am Abend vorher in Aberfoil nichts mehr genossen. Die ausgesendeten Reiter kehrten ohne Nachricht von den erwarteten Hilfsvölkern zurück, und die Sonne näherte sich dem Untergang, als ein Hochländer, der zu den Clans gehörte, mit einem Brief erschien, den er dem Herzog überreichte.

»Um einen Oxhoft Wein will ich wetten,« sprach Galbraith, »es ist die Botschaft, daß die verwünschten Hochländer, die wir hier unter so vielen Plagen und Beschwerden erwartet haben, sich zurückziehen und es uns überlassen, unsre Sache auszuführen, wenn wir können.«

»So ist es, Ihr Herren,« sprach der Herzog empört, als er den Brief gelesen hatte, der auf ein schmutziges Stück Papier geschrieben, aber mit sehr genauer Aufschrift versehen war. »Unsre Verbündeten haben uns verlassen und Frieden mit dem Feinde geschlossen.« Nach einer Pause, die von keiner Seite unterbrochen wurde, denn alle standen zu sehr unter der Wucht dieser Nachricht, fuhr er fort: »Unter diesen Umständen möchte es nicht klug sein, sich hier einem nächtlichen Ueberfall auszusetzen. Ich schlage deshalb vor, wir ziehen uns nach Duchray und Gartartan zurück; aber bevor wir uns trennen, will ich Robin in Eurer Gegenwart verhören, damit Ihr mit eignen Augen und Ohren Euch überzeugt, wie höchst unpassend es wäre, ihm Raum zu ferneren Gewalttätigkeiten zu lassen.

Der Gefangene wurde vorgeführt. Seine Arme waren über den Ellbogen befestigt und mit einem Sattelgurt scharf an den Leib geschnallt. Zwei Korporale führten ihn, und zwei Glieder Soldaten mit Karabinern und aufgepflanzten Bajonetts folgten.

Ich hatte diesen Mann noch nie in seiner Landestracht gesehen, die die Eigentümlichkeit seiner Gestalt in ein auffallendes Licht setzte. Ein Krauskopf von rotem Haar, das der Hut und die Perücke der niederländischen Tracht großenteils verborgen hatten, zeigte sich jetzt unter der hochländischen Mütze und rechtfertigte den Beinamen »der Rote«, unter dem er im Niederlande bekannt war und, wie ich glaube, noch immer in Erinnerung steht. Auch war der Beiname noch weiterhin berechtigt insofern, als seine Beine, vom Saume des Schurzes bis zum Rande der kurzen Strümpfe hinab, nach hochländischer Sitte unbedeckt, vorzüglich um die Kniee mit einem dichten, rothaarigen Felle überzogen waren, das ihnen den Anschein von Schenkeln des im Hochlande heimischen roten Bullen gab.

Sein Betragen war kühn und ungezwungen und, so weit ihn seine Bande nicht hinderten, stolz und sogar würdevoll. Er verbeugte sich vor dem Herzoge, nickte verschiednen andern zu und zeigte sich verwundert, auch mich hier zu finden.

»Wir haben uns lange nicht gesehen, Campbell,« sagte der Herzog.

»So ist es, Mylord! Ich wünschte, wir hätten uns wiedergesehen, wenn ich besser imstande gewesen wäre, Euch die schuldige Höflichkeit zu bezeigen,« versetzte Robin und blickte auf seine gefesselten Arme. – »Aber es wird schon wieder gute Zeit kommen.«

»Keine Zeit, wie jetzt, Campbell,« erwiderte der Herzog; »denn die Stunden entfliehen schnell, wo Ihr Eure letzte Rechnung mit den irdischen Dingen abzuschließen habt. Ihr wißt selbst, daß Ihr den Tod verdient, und müßt Euch dazu bereiten.«

»Mylord,« antwortete Robin, »obwohl ich mein Unglück Euer Gnaden vor die Tür legen könnte, werde ich dennoch niemals sagen, daß Ihr mit Wissen und Willen sein Urheber gewesen seid. Hätt' ich das geglaubt, Mylord, so hieltet Ihr heute nicht über mich Gericht; denn Ihr waret dreimal in schußgerechter Ferne von mir, wo Ihr nur ans rote Wild dachtet, und wenig Leute haben es erlebt, daß ich mein Ziel verfehlte. Aber man hat mich bei Euch verleumdet und Euch aufgebracht gegen einen Mann, der so friedlich war, wie irgend einer im Lande, und in Eurem Namen ward ich aufs Aeußerste getrieben. Ich habe ja einige Vergeltung genommen, und ich hoffe es zu erleben, auch das zu vergelten, was Ihr jetzt sagt.«

»Ich weiß,« sprach der Herzog mit steigendem Unwillen, »daß Ihr ein entschlossener, vermessener Schurke seid, der sein Wort hält, wenn er Unheil zu stiften schwört; aber ich werde sorgen, Euch daran zu verhindern. Ihr habt keine Feinde, als Eure bösen Taten. Sorgt nun wenigstens, daß die Unglücklichen, die in die Hände der Eurigen geraten sind, vor dem schlimmsten Lose bewahrt bleiben, und verbietet den Eurigen, Hand an sie zu legen!«

»Mylord,« gab Rubin zur Antwort, »keiner von meinen Feinden kann sagen, daß ich ein blutdürstiger Mann gewesen bin, und wär ich jetzt unter meinen Leuten, ich könnte vier oder fünfhundert wilde Hochländer so leicht regieren, als Eure Gnaden diese acht oder zehn Lakaien. Aber wenn Ihr einem Hause sein Haupt nehmen wollt, so könnt Ihr darauf rechnen, daß es Unordnung unter den Gliedern gibt. – Indessen komme, was da will, ein wackrer Mann ist drüben im Lager der meinigen, ein Vetter von mir, und ihm darf kein Leid geschehen! Ist jemand hier, der für Mac Gregor einen Gang tun will? – er kanns vergelten, obgleich seine Hände jetzt gefesselt sind.«

Der Hochländer, der dem Herzoge den Brief überbracht hatte, erwiderte: »Ich will für Euch handeln, Mac Gregor, und zurück ins Tal gehen.«

Er trat hinzu, und der Gefangene gab ihm einen Auftrag an seine Frau, der mir, da er gälisch sprach, zwar unverständlich blieb, sich aber, wie ich nicht zweifelte, auf Jarvies Sicherheit bezog.

»Hört Ihr den Unverschämten?« sprach der Herzog. »Er beträgt sich, wie seine Herren, die uns einluden, gemeine Sache gegen diese Freibeuter zu machen, und uns verlassen haben, sobald diese die Ländereien überliefern wollten, worüber sie im Streite lagen. Es ist weder Treu noch Glauben unter den Leuten, die Plaid und Tartan tragen.«

»Euer Ahnherr sprach nicht so, Mylord,« antwortete Galbraith, »und mit Erlaubnis, auch Ihr würdet nicht Ursache haben, so zu reden, wenn Ihr nur gerecht gegen den Anführer werden wolltet.«

»Still, Garschattachin!« sprach der Herzog; »Ihr führt gefährliche Reden; aber ich glaube, Ihr meint ein Vorrecht zu besitzen. Seid so gefällig, mit Euren Leuten nach Gartartan aufzubrechen; ich selbst will den Gefangenen nach Duchray begleiten und werde Euch morgen weitere Befehle schicken. Es bekommt keiner von Euren Reitern Urlaub. Verstanden?«

»Befehl und Gegenbefehl,« murmelte Galbraith zwischen den Zähnen. »Aber Geduld! Wir werden bald Stuhlwechsel spielen, wenn der König kommt.«

Die beiden Reiterhaufen rüsteten sich zum Aufbruche, um noch bei Tageslicht ihr Nachtquartier zu erreichen. Ich erhielt weniger die Einladung als die Weisung, die Truppen zu begleiten, und sah, daß ich zwar nicht mehr als Gefangener, aber doch als verdächtig angesehen wurde. Ich fügte mich, so gut ich konnte, in mein Schicksal, und tröstete mich mit der Hoffnung, von dem gefangenen Freibeuter einige Nachrichten über Rashleigh und seine Anschläge zu erhalten.

Dreizehntes Kapitel

Die Felsen und Schluchten an jeder Seite des Tales hallten jetzt von den Tönen der Trompeten wider, als die Reiter, in zwei Haufen geteilt, langsam abzogen. Galbraiths Schar wandte sich bald rechts und ging über den Forth, um ein altes Schloß in der Nähe zum Aufenthalt für die Nacht einzunehmen.

Wir hingegen setzten unsern Zug in ziemlich guter Ordnung fort. Der Herzog hatte den Gefangenen hinter einem Reiter seines Gefolges aufsitzen lassen, namens Ewan Brigglands, der der längste und stärkste Mann von der ganzen Schar war. Ein Sattelgurt war beiden um den Leib gelegt und vorn auf des Reiters Brust geschnallt, so daß es Robin unmöglich war, sich in Freiheit zu setzen. Ich erhielt eines der Handpferde und bekam Weisung, mich dicht neben dem Paare zu halten. Wir hatten immer wenigstens einen, wenn nicht zwei Mann mit Pistolen in der Hand an der Seite. Andreas, den man auf einen erbeuteten hochländischen Klepper gesetzt hatte, durfte unter dem Troß reiten, der dem Zuge folgte.

So kamen wir bis an den Forth, der als Ausfluß eines Sees selbst an seinen schmalen Teilen noch immer von beträchtlicher Tiefe ist. Der Weg zur Furt senkte sich durch eine steile, zerrissene Schlucht, in der nur ein Reiter auf einmal passieren konnte. Wählend die vordern Glieder nach und nach hinunter ritten, mußten die andern am Ufer halten. Da hörte ich, wie Robin dem Manne, hinter dem er ritt, die Worte zuflüsterte: »Euer Vater, Ewan, hätte, und wenns alle Herzöge in der Christenheit gewollt hätten, einen alten Freund nicht wie ein Kalb zur Schlachtbank geführt.«

Ewan antwortete nicht, zuckte aber die Achseln, um zu verstehen zu geben, daß ers doch nicht ändern könne.

»'s ist ein gar traurig Ding,« sprach Robin weiter, flüsterte aber seine Worte so leise in Ewans Ohr, daß niemand sie hören konnte, außer mir, der sich gewiß nicht veranlaßt fühlte, ihn in seinen Bemühungen zur Flucht zu stören; – »'s ist ein traurig Ding, daß Ewan Brigglands, dem Robin Mac Gregor mit Hand, Schwert und Beutel geholfen hat, eines vornehmen Herrn Unmut höher achten will, als eines Freundes Leben.«

Ewan schien schmerzlich bewegt, aber schwieg. Da hörten wir den Herzog vom jenseitigen Ufer her rufen: »Schafft den Gefangenen herüber!«

Ewan setzte sein Pferd in Bewegung, und eben, als ich Robin sagen hörte: »Ist nicht das Blut eines Mac Gregor mehr wert als ein zerrissener Ledergurt? es wird wohl einst schärfere Rechenschaft abzulegen sein,« ritten sie schnell an mir vorüber ins Wasser.

Auf der andern Seite sah ich, wahrend die Dämmerung schnell sank, den Herzog beschäftigt, die gelandete Mannschaft wieder ins Glied treten zu lassen. Da verriet mir heftiges Geplätscher im Wasser, daß Mac Gregors Beredsamkeit über Ewan gesiegt hatte. Auch der Herzog hörte den Schall und erriet im Nu, was derselbe zu bedeuten hatte. »Hund! Wo ist Dein Gefangener?« rief er Ewan zu, als derselbe ans Land heraufstieg; und ohne die Entschuldigung abzuwarten, die der erschrockene Vasall zu stottern begann, feuerte er seine Pistole auf ihn ab.

»Teilt Euch und verfolgt den Schurken!« rief er. »Hundert Guineen dem, der Robin den Roten fangt!«

Die Ufer des Stromes wurden nun ein Schauplatz ärgster Verwirrung. Robin, den Ewan ohne Zweifel durch Lösung des Sattelgurts freigemacht hatte, war herabgeglitten, untergetaucht und unter dem Bauch des Pferdes hinweggeschwommen. Als er aber auf einen Augenblick an die Oberfläche kommen mußte, um Atem zu schöpfen, verriet ihn der Schimmer seines bunten Plaids. Einige Reiter stürzten in den Strom, ohne Rücksicht auf die eigne Sicherheit; andre sprengten an den Ufern auf und nieder, um den Flüchtling, wenn er ans Land steigen sollte, zu stellen. Das Geschrei an beiden Ufern und im Strome, das Echo der Schüsse, der Anblick der vielen Reiter, die an den Ufern auf und ab sprengten, dazu die wilde Gegend und das unsichere Zwielicht des Herbstabends: es war ein Bild, das an den tollsten Hexensabbat hätte erinnern können.

Einem so geschickten Schwimmer wie Robin konnte, nachdem er die ersten Hindernisse überwunden hatte, die Flucht nicht schwer fallen. Einmal sah ich ihn hart bedrängt, und mehrere Hiebe fielen rings um ihn her ins Wasser, was mich an die Ottern-Jagden erinnerte, die ich in Osbaldistone-Hall gesehen hatte. Mac Gregor war indes listiger als die Otter; denn als man ihn am ärgsten verfolgte, löste er unbemerkt seinen Plaid auf und ließ ihn von dem Strome forttreiben, wo er schnell die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Viele Reiter wurden dadurch auf eine falsche Spur geleitet, und mancher Schuß oder Hieb von der Person abgelenkt, der er hatte gelten sollen.

Sobald es ihm erst einmal gelungen war, sich aus dem Sehbereich zu bringen, schwand allmählich die Möglichkeit, seiner habhaft zu werden, denn die steilen Ufer machten den Fluß an vielen Stellen unzugänglich, und Erlen-, Pappeln- und Birkendickichte wehrten den Zutritt zum Wasser. Die anbrechende Nacht nahm dem Unternehmen mit jedem Augenblicke mehr die Aussicht auf Gelingen. Einige der Verfolger gerieten in Stromwirbel und schrien um Beistand; andre, die in der Verwirrung einen Schuß, Hieb oder Stich abbekommen hatten, drohten Rache, und zu wiederholten Malen kam es bei solchen Vorfällen zu blutigen Händeln.

Die Trompeten bliesen zum Sammeln. Der Kommandant hatte, so ungern es auch geschehen mochte, die Hoffnung aufgegeben, der ihm so unerwartet entrissenen Beute wieder habhaft zu werden. Die Reiter standen in düstern Gruppen am südlichen Ufer des Stromes, dessen Gemurmel, lange übertäubt von dem lauten Geschrei rachgieriger Verfolgung, sich nun dumpf vermischte mit mißmutigen, schmähenden Stimmen.

Bis jetzt war ich nur Zuschauer, wenn auch nicht gleichgültig, bei dem seltsamen Schauspiel gewesen. Allein nun hörte ich plötzlich schreien: »Wo ist der Engländer? Er ists gewesen, der Robin das Messer gab, um den Gurt loszuschneiden.«

Und nun riefen mehrere Stimmen nacheinander: »Haut ihn in Stücke!« »Jagt ihm ein paar Kugeln durch den Kopf!« »Stoßt ihm das Schwert in die Kaldaunen!« – Und ich hörte, wie verschiedne Reiter hin und her sprengten, ohne Zweifel in der Absicht, diese Drohungen auszuführen. Ich durchschaute im Nu meine Lage, sprang vom Pferde, das ich laufen ließ, und retirierte in ein Erlengebüsch, hinter dem ich bei der wachsenden Dunkelheit nicht leicht entdeckt werden konnte. Als der Lärm nachzulassen anfing, und der Hufschlag der Pferde sich seltner in der Nähe meines Zufluchtsortes hören ließ, war mein erster Gedanke, den Herzog aufzusuchen, wenn alles ruhig sein würde, und mich ihm zu überliefern als ein treuer Untertan, der nicht die Gerechtigkeit zu fürchten, und als ein Fremder, der allen Anspruch auf Schutz und Gastfreundschaft zu machen hatte. Mit diesem Vorsatze kroch ich aus meinem Aufenthalte hervor und blickte umher.

Die Dämmerung war nun beinahe in Dunkelheit übergegangen, kaum noch einige Reiter waren auf dem linken Ufer des Flusses, und von denen auf der andern Seite hörte ich nur den Hufschlag der Pferde und die gezogenen Töne der Trompeten, die durch die Wälder schallten, um Nachzügler herbeizurufen. Ich befand mich daher in einer ziemlich schwierigen Lage. Ohne Pferd ließ sich nicht daran denken, den Strom zu passieren; blieb ich aber auf dem linken Ufer, so hatte ich keine andre Aussicht, als nach allen erduldeten Mühseligkeiten und Strapazen der Nacht an der Seite eines Berges zuzubringen.

Nach kurzem Bedenken beschloß ich deshalb, nach dem kleinen Wirtshause in Aberfoil zurückzukehren, in welchem ich die vorige Nacht zugebracht hatte. Vor Robin brauchte ich mich nicht zu fürchten, und für ihn auch nichts mehr. Er war nun frei, und falls ich unter seine Leute fiel, so verschaffte mir sicher die Botschaft von seiner Rettung ihren Schutz.

Ein scharfer Frostwind teilte die Nebelwolken und jagte sie in verworrene, wechselnde Massen zusammen, die bald um die Häupter der Berge schwebten, bald mit dichten, gewaltigen Nebelmassen die tiefen Küsten füllten. Der Mond goß sein Licht auf die Windungen des Flusses, die Felsenspitzen und jähen Abhänge. Unter dem belebenden Einfluß der kalten Atmosphäre stählten sich meine Nerven. Unwillkürlich pfiff ich vor mir hin, und stolzer und höher schlugen meine Lebenspulse, je mehr mein Vertrauen auf die Stärke, den Mut und die Hilfsmittel in mir selbst zunahm. Ich war so verloren in meine Gedanken und in die Empfindungen, die sie weckten, daß mich ein Reiterpaar einholte, dessen Annäherung ich erst gewahr wurde, als es mir zur Seite war.

»Heda! Freund, wohin so spät?« sprach mich der eine auf englisch an.

»Zum Nachtlager nach Aberfoil,« versetzte ich.

»Sind die Wege offen?« fragte er mit derselben gebieterischen Stimme.

»Ich weiß es nicht,« war meine Antwort. »Aber wenn Ihr Engländer seid, so rate ich Euch, bis es Tag wird, zurückzukehren. Ich möchte nicht behaupten, daß es für Fremde sonderlich sicher hier sei.«

»Die Soldaten haben eine Schlappe bekommen – nicht wahr?« fragte der Reiter.

»Jawohl! ein Offizier ist mit seinen Leuten teils aufgerieben, teils gefangen genommen worden.«

»Wißt Ihr das gewiß?« war die Antwort.

»So gewiß, als ich Euch sprechen höre. Ich war wider Willen Zeuge des Kampfes.«

»Wider Willen? Ihr waret also nicht dabei?«

»Gewiß nicht,« gab ich zur Antwort. »Ich wurde von dem Offizier gefangen gehalten.«

»So? – Wer seid Ihr? – Wie heißt Ihr? –«

»Fürwahr, Herr,« antwortete ich, »ich sehe nicht ein, warum ich einem Fremden solche Menge Fragen beantworten sollte. Ich hab Euch gesagt, daß Ihr in gefährlicher und unruhiger Gegend reist. Wollt Ihr weiter gehen, so ist es Eure Sache. Aber da ich Euch nicht nach Eurem Namen und Geschäfte frage, werdet Ihr besser tun, mich mit solchen Fragen zu verschonen.«

»Herr Franz Osbaldistone,« sagte der andre Reiter mit einer Stimme, die durch alle meine Nerven bebte, »sollte doch nicht seine Lieblingsmelodien pfeifen, wenn er unerkannt zu bleiben wünscht.«

Und Diana Vernon – denn sie war es, in einen Reitermantel gehüllt, die jetzt sprach – pfiff lustig den andern Teil der Melodie, die ich gepfiffen hatte, als sie herbeikamen.

»Gott im Himmel!« rief ich, wie vom Donner gerührt, »solltet Ihr es sein, Fräulein Vernon, an solchem Orte, – zu solcher Stunde, in solchem wilden Lande – in solcher –«

»In solcher männlichen Tracht, wollt Ihr sagen. Aber was ist zu tun! – Am Ende bleibt die Philosophie des vortrefflichen Korporal Nym doch die beste – es geht, wie's gehen kann – pauca verba

Während sie dies sprach, nützte ich begierig den hellern Mondschein aus, um den Begleiter Dianas zu betrachten. Daß es mich lebhaft wundern, ja in heftige Erregung setzen mußte, das Mädchen an solch einsamem Orte, auf solch gefahrvollem Ritte, unter dem Schutz eines einzigen Mannes so unvermuteterweise zu treffen, werde ich Dir nicht erst zu sagen brauchen. Der Reiter sprach nicht mit Rashleighs tiefer, melodischer Stimme, sondern höher und gebieterischer; überdies war er größer von Figur, als dieser mir in so hohem Maße verhaßte Mensch. Ebensowenig glich der Fremde in seiner Rede einem andern von meinen Vettern; denn an jedem Worte, das der Fremde sprach, erkannte man den Mann von Verstand und Bildung.

Er schien meinen forschenden Blicken ausweichen zu wollen.

»Diana,« sprach er mit einem Tone, der Güte und Befehl ausdrückte, »gib Deinem Vetter sein Eigentum, und laß uns hier keine Zeit verlieren.«

Diana hatte unterdessen ein Päckchen vorgezogen, beugte sich vom Pferde zu mir nieder und sagte mit einer Stimme, die das Bestreben, ihre gewöhnliche feine Leichtigkeit des Ausdrucks anzunehmen, verriet, und mit einem tiefern, ernstern Tone der Empfindung kämpfte:

»Ihr seht, lieber Vetter, ich bin zu Eurem Schutzengel geboren. Rashleigh ist genötigt worden, seine Beute herzugeben, und hätten wir vorige Nacht, wie es unsre Absicht war, das Dorf Aberfoil erreicht, so hätte ich sicher einen hochländischen Sylphen gefunden, der Euch diese Dokumente des Handelsreichtums zugeweht hätte. Aber Riesen und Reiter hatten den Weg versperrt, und irrende Ritter und Fräuleins unserer Tage, so kühn sie auch sein mögen, dürfen nicht, wie vor alters, sich in unnütze Gefahren stürzen. – Tut Ihr das lieber auch nicht, lieber Vetter!«

»Diana,« sprach ihr Begleiter, »ich muß noch einmal erinnern, daß die Nacht vorrückt, und wir sind noch weit vom Hause.«

»Ich komme, ich komme – erwäget,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu, »wie spät ich an Beschränkung gewöhnt worden bin; überdies hab ich meinem Vetter das Päckchen noch nicht gegeben und ihm Lebewohl gesagt – für immer! – Ja, Franz,« fuhr sie fort, »für immer! Es liegt ein Abgrund zwischen uns – ein Abgrund gewissen Verderbens. – Ihr dürft uns nicht folgen, wohin wir gehen – an dem, was wir tun, dürft Ihr keinen Anteil nehmen. – Lebt wohl! – Seid glücklich!«

Indem sie sich von ihrem hochländischen Klepper herabbeugte, berührte ihr Gesicht, vielleicht nicht ganz wider Willen, das meinige. – Sie drückte meine Hand, während die Träne, die in ihrem Auge zitterte, auf meine Wange fiel. Es war ein unvergeßlicher Augenblick – unaussprechlich bitter, und dennoch vermischt mit einem so tief ergreifenden, süßen Wonnegefühl, daß auf einmal alle Empfindungen meines Herzens sich ergossen. Es war nur ein Augenblick, gleich darauf rief sie ihrem Gefährten zu, daß sie bereit sei, ihm zu folgen; und ihre Pferde in scharfen Trab setzend, waren sie bald weit von der Stelle entfernt, wo ich stand.

Der Himmel weiß, es war nicht Unempfindlichkeit, was auf mir lag und meine Zunge so sehr fesselte, daß ich Dianas halbe Umarmung nicht erwidern, noch ihr Lebewohl beantworten konnte. Das Wort erstarb auf meinen Lippen – Ueberraschung und Schmerz betäubten mich fast. Mit dem Paket in der Hand, blickte ich unbeweglich ihnen nach, als ob ich die Funken hätte zählen wollen, die unter den Hufen ihrer Pferde sprühten. Ich blickte ihnen noch nach, selbst als die Funken nicht mehr zu sehen waren, und lauschte noch auf die Töne des Hufschlags, als schon der letzte entfernte Laut in meinen Ohren verhallt war. Endlich quollen Tränen aus meinen Augen, die ich mechanisch zu trocknen suchte, fast ohne zu wissen, daß ich sie vergoß, aber sie flossen stärker und stärker; am Wege mich niedersetzend, weinte ich die ersten und bittersten Tränen, die seit der Kindheit mein Auge getrübt hatten.

Vierzehntes Kapitel

Kaum hatte ich meinen Gefühlen in dieser Stimmung nachgegeben, als ich meiner Schwäche mich schämte. Ich erinnerte mich, daß ich seit einiger Zeit bemüht gewesen war, Diana Vernon, wenn ihr Bild in mir aufstieg, als eine Freundin zu betrachten, an deren Wohl ich zwar immer lebhaften Anteil nehmen würde, mit der ich aber ferner wenig Verbindung unterhalten könnte. Aber die kaum unterdrückte Zärtlichkeit ihres Benehmens, das Romanhafte unsres plötzlichen Zusammentreffens an einem Orte, wo es sich doch gar nicht vermuten oder erwarten ließ, waren Umstände, die mich gänzlich aus der Fassung brachten. Ich erholte mich indessen eher, als ich es für möglich gehalten hätte, und ohne mir Zeit zur Erwägung der Gründe hierfür zu lassen, verfolgte ich wieder meinen Weg.

Wenn ich nun auch meines Vaters Eigentum wieder erlangt hatte, so lag es mir doch noch immer ob, meinen Freund Jarvie aus einer Lage zu befreien, in die er um meinetwillen sich verwickelt hatte, und wo anders könnte ich überdies, dachte ich bei mir, ein Nachtlager finden, als in dem kleinen Wirtshause von Aberfoil? Und weiter dachte ich, die beiden müssen doch auch da verweilen, denn wie könnten sie zu Pferde weiter kommen? – »Wir werden uns also wiedersehen –«, sprach ich bei mir, »vielleicht zum letztenmal – allein ich werde erfahren, wer der Glückliche ist, der das Ansehen eines Gemahls über sie behauptet; ich werde erfahren, ob ich in der bedenklichen Lage, in die sie verwickelt zu sein scheint, etwas tun kann, meine Dankbarkeit auszudrücken für ihre Großmut – für ihre uneigennützige Freundschaft.«

Während ich so mit mir selber sprach, fühlte ich plötzlich einen Schlag auf die Schulter und vernahm die tiefe Stimme eines Hochländers, der noch schneller ging als ich, einen so guten Schritt ich auch zu halten glaubte. »Eine feine Nacht, Herr Osbaldistone! – Haben uns schon eine Stunde vorher getroffen!« rief die Stimme, und sie war nicht zu verkennen! Er war seinen Verfolgern entkommen und in voller Flucht zu seiner Wildnis und seinen Anhängern begriffen. Auch hatte er sich wieder bewaffnet, wahrscheinlich in dem Hause eines heimlichen Freundes; denn er trug ein Gewehr auf der Schulter und die ständige Dolchwaffe der Hochländer an der Seite. Unter gewöhnlichen Umständen wäre es mir nicht angenehm gewesen, mich mit solchem Manne, in solcher Lage und zu so später Stunde allein zu sehen; denn wenn ich mich auch gewöhnt hatte, Robin in gewissem Grade als Freund zu betrachten, so bekenne ich doch offen, daß ich ihn nie reden hörte, ohne ein gewisses Gruseln zu fühlen. Die Aussprache der Hochländer gibt ihren Worten gewöhnlich einen tiefen, hohlen Ton, sowohl wegen der häufigen Kehllaute ihrer Sprache, als weil sie insgemein mit besonderm Nachdrucke sprechen. Zu diesen Volkseigenheiten gesellte sich bei Robin eine rauhe Gleichgültigkeit gegen Betonung und Sitte; denn sein Gemüt war weder zu entmutigen, noch zu ergreifen, oder gar zu überraschen, ganz gleich, was ihm das Schicksal brachte. Gewohnheit der Gefahr und unbegrenztes Vertrauen auf eigne Kraft und die Klugheit hatten jene Empfindung, die wir Furcht nennen, vollständig in ihm ertötet, und das gesetzlose, unsichre Leben, das er führte, hatte ihn gegen seine Mitmenschen abgestumpft, wenn auch nicht gänzlich rücksichtslos gemacht. Obendrein war ich eben erst Zeuge der grausamen Ermordung eines Wehrlosen durch seine Frau und seine Parteigänger gewesen. ... In meiner jetzigen Stimmung aber, und in der seltsamen Lage, in der ich mich zurzeit befand, mußte mir die Gesellschaft des Geächteten als eine Linderung meiner eignen quälenden Gedanken eher willkommen sein als nicht, und ich nährte die Hoffnung, daß ich mit seiner Hilfe einen Faden durch das Labyrinth erhalten könnte, in welches mein Schicksal mich verwickelt hatte. Herzlich erwiderte ich daher seine Begrüßung und wünschte ihm Glück zu seiner Rettung unter Verhältnissen, wo Flucht unmöglich geschienen hatte.

»Ei nun,« erwiderte er, »die Spanne zwischen Hals und Galgen ist wohl eben so weit oder kurz, wie zwischen Becher und Mund. Meine Gefahr war jedoch geringer, als Ihr denken mögt, da Ihr fremd hier im Lande seid. Unter den Männern, die mich fangen und festhalten und wieder fangen sollten, war ein Teil, der gar nicht wollte, daß man mich fangen und festhalten oder wiederfangen sollte, und von dem andern Teile war wieder die Hälfte, die sich fürchtete, mich zu reizen, und so hatt' ichs nur mit einem verhältnismäßig sehr geringen Teil eigentlicher Widersacher zu tun.«

Er erkundigte sich darauf nach meinen Abenteuern seit unsrer Ankunft im Hochland und lachte herzlich über meine Erzählung von dem Gefecht im Wirtshause und Jarvies Heldentaten mit dem glühenden Eisen.

»Glasgow soll leben!« rief er aus. »Meiner Treu! keinen bessern Spaß hätte ich sehen können, als wie Vetter Niklas dem Iverach das Plaid versengte. Aber mein Vetter,« setzte er ernster hinzu, »hat ein bißchen edles Blut in den Adern, wenn er auch dummerweise zu einem gemeinen Gewerbe erzogen worden ist, das eines wackern Mannes Geist nur abstumpfen kann. – Ihr werdet nun einsehen, warum ich Euch in Aberfoil nicht treffen konnte, denn die Brüder in Glasgow hatten mir eine feine Schlinge gedreht, als ich ein paar Tage in Königs Angelegenheiten mich dort herumtrieb – aber ich denke, ich hab einen Riß in den Bund gemacht, und sie werden so leicht nicht wieder einen Clan gegen den andern hetzen können, wie sie es getan haben. Hoffentlich erlebe ich den Tag noch, wo alle Hochländer für einen Mann stehen. – Aber was gabs weiter?«

Ich erzählte nun, wie nach Hauptmann Thorntons Ankunft der Stadtvogt und ich als verdächtige Subjekte festgenommen wurden, und daß Thornton geäußert habe, beauftragt zu sein mit der Festnahme eines ältern und eines jüngern Mannes, deren Beschreibung auf uns paßte. Das weckte von neuem Robins Lachlust.

»So wahr ich lebe,« sprach er, »sie haben meinen Freund Jarvie für die Exzellenz und Euch für Diana Vernon genommen. – O diese Nachteulen!«

»Fräulein Vernon?« fragte ich zögernd und erwartete zitternd die Antwort. – »Führt sie noch diesen Namen? Sie ritt eben hier vorüber mit einem Manne, der eine Art von Gewalt über sie zu haben schien.«

»Ja, ja!« antwortete Robin; »sie steht jetzt unter rechtmäßiger Gewalt, und es war hohe Zeit für einen solchen Wildfang. Aber ein herzhaftes Mädel ists! Schade, daß die Exzellenz ein bißchen ängstlich ist. So einer wie Ihr oder Robert oder Hamish hätte besser in den Jahren gepaßt.«

Hiermit fielen also die Kartenhäuser gänzlich zusammen, die meine Phantasie, meiner Vernunft zum Trotz, so oft und so gern gebaut hatte. Obwohl ich kaum anders erwarten konnte, als daß Diana, in einem solchen Lande und zu einer solchen Stunde nur mit einem Manne reisen konnte, der rechtmäßigen Anspruch besaß, als ihr Beschützer aufzutreten, fühlte ich doch den Streich, als er mich traf, nicht weniger schmerzlich, und Robins Worte, die mich aufforderten, weiter zu erzählen, klangen in mein Ohr, ohne daß ich ihren Inhalt genau gefaßt hätte.

»Ihr seid krank,« sprach er endlich, nachdem er sich zweimal an mich gewendet, ohne Antwort zu erhalten. »Das Tagwerk ist zu schwer für einen Jüngling gewesen, der an dergleichen Dinge nicht gewöhnt ward.«

Der leutselige Ton dieser Worte brachte mich wieder zu mir und erinnerte mich an das, was meine Lage verlangte. Ich fuhr in meiner Erzählung fort, so gut ich konnte, und Robin äußerte große Freude über das glückliche Gefecht im Engpasse.

»Es heißt,« bemerkte er, »des Königs Spreu sei besser, als andrer Leute Korn; aber von des Königs Soldaten läßt sich das nicht sagen, wenn sie die Waffen strecken vor ein paar alten Kerlen, die nicht mehr fechten können, vor Buben, die es erst lernen müssen, und vor Weibern mit Rocken und Spindel. – Aber wer hätte bei unserm Dougal so viel Verstand gesucht, dessen Kopf doch nie anders bedeckt ist, als mit dem eignen zottigen Haar? – Erzählt weiter, bitte – wenngleich ich fürchte, was nun kommen wird. – Meine Helene ist ein eingefleischter Teufel, wenn ihr das Blut warm wird. Das arme Ding! Ursache dazu hat sie freilich übergenug!«

So schonend wie möglich suchte ich ihm zu erzählen, wie wir empfangen worden waren, allein ich sah deutlich, daß ihm die Erzählung großen Schmerz verursachte.

»Tausend Mark gäbe ich darum, wenn ich daheim gewesen wäre,« sprach, er. »Fremde zu mißhandeln, und dazu meinen eignen Vetter, der mir so viel Freundschaft erzeigt hat! – Ich wollte lieber, sie hätten das halbe Lennox in ihrer Torheit verbrannt! Aber das kommt davon, wenn man Weibern und Jungen traut, die kennen weder Maß noch Vernunft in ihrem Tun. An allem jedoch ist der Schurke von Zöllner schuld, der mich betrog, indem er vorgab, er bringe Botschaft von Eurem Vetter Rashleigh, den ich in des Königs Angelegenheiten treffen sollte. Ich glaubte schon, Galbraith und ein Teil von Lennox wolle eintreten für König Jakob. – Meiner Treu, aber ich wußte, daß man mich betrogen hatte, als ich hörte, der Herzog sei da, und als sie mir den Sattelgurt um die Arme legten, da erriet ich, was meiner wartete, denn Euern Vetter, mit Verlaub, kenn ich als aalglatten Wicht schon zur Genüge. Wenn er nur nicht selbst dabei zu grunde gehen möchte! Morris machte ein gar wunderliches Gesicht, als ich mir ausbedang, er solle bis zu meiner Rückkehr als Geisel bleiben. Aber ich bin zurückgekommen, ohne es ihm, oder denen, die ihn brauchten, Dank zu wissen, und die Frage ist nun, wie dieser Einnehmer selbst zurückkommen wird. Ohne Lösegeld nicht, das versprech ich ihm.«

»Morris,« sprach ich, »hat bereits das letzte Lösegeld bezahlt, das ein Mensch entrichten kann.«

»Was,« rief mein Gefährte hastig, »aber doch im Gefecht getötet?«

»Er ward mit kaltem Blut ermordet, als der Kampf vorüber war, Herr Campbell.«

»Mit kaltem Blute? – Verdammt!« murmelte er zwischen den Zähnen. – »Wie kam das, Herr? Redet, und bleibt mir mit dem Herrn und dem Campbell weg. Ich stehe wieder auf meinem Heimatsland, und mein Name ist Mac Gregor.«

Er war sichtlich in leidenschaftlicher Erregung; allein ohne auf seinen rauhen Ton zu achten, erzählte ich ihm kurz und deutlich, wie Morris starb. Er stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und brach in die Worte aus: »Bei Gott! nach solcher Tat möchte man Verwandten, Clan, Vaterland, Weib und Kind abschwören! – Und dennoch hats der Schurke lange verdient. Was ist übrigens für ein Unterschied, ob man mit einem Stein um den Hals unter dem Wasser kämpft oder mit einem Strick um denselben in der Luft zappelt? Am Ende ists doch nur Ersticken, und er hat den Tod erlitten, den er mir zudachte. Dennoch wünschte ich, sie hätten ihn lieber mit einer Kugel oder einem Dolche umgebracht, denn die Art seines Todes wird viel unnützes Gerede machen. – Nun, jeden Menschen trifft sein Los, und, wir müssen alle sterben, wenn unser Tag kommt. – In Abrede stellen kann niemand, daß Helene Mac Gregor schweres Unrecht zu rächen hat.«

Mit diesen Worten schien er sich den Gegenstand aus dem Sinne zu schlagen und fragte weiter, wie ich von den Soldaten losgekommen sei, in deren Gewalt er mich gesehen hatte.

Meine Erzählung war bald zu Ende, und ich fügte hinzu, wie ich die Papiere meines Vaters wieder erhalten habe, wagte es aber nicht, Dianas Namen über die Lippen zu bringen.

»Daß Ihr sie wieder kriegen würdet, wußte ich,« versetzte Mac Gregor. »Der Brief, den Ihr mir brachtet, enthielt die diesbezüglichen Wünsche und Weisungen der Exzellenz, und ich wäre gewiß auch dazu behilflich gewesen. War doch dies der Grund für mich, Euch ins Gebirge einzuladen. Vermutlich hat die Exzellenz mit Rashleigh früher verhandelt, als ich rechnete.«

Der erste Teil dieser Antwort fiel mir besonders auf.

»War denn der Brief, den ich Euch brachte, von dem Manne, den Ihr Exzellenz nennt? Wer ist er? Was ist sein Stand und eigentlicher Name?«

»Meiner Meinung nach,« versetzte Mac Gregor, »kann Euch dies ziemlich unwichtig sein, da Ihr bis heute noch nichts davon wißt; und ich werde darum nichts von diesen Dingen sagen. Aber wohl wußte ich, daß der Brief von seiner eignen Hand war, denn da ich, wie Ihr seht, gerade genug für mich selbst zu tun habe, hätte ich mir sonst wohl nicht so viel Müh' um die Sache gegeben.«

Ich erinnerte mich nun des Lichts, das ich im Büchersaal gesehen hatte, der verschiednen Umstände, wodurch meine Eifersucht erregt worden war, des Handschuhs, der Bewegung der Tapete, die den geheimen Gang zu Rashleighs Zimmer verdeckte, und vor allem, daß Diana sich entfernte, um, wie ich damals dachte, den Brief zu schreiben, der im äußersten Notfalle meine Zuflucht sein sollte. Ihre Stunden wurden also nicht in Einsamkeit zugebracht, sondern sie hörte auf die Anträge irgend eines verwegnen Agenten der Jakobiten-Verräterei, der heimlich in ihres Oheims Wohnung lebte. Andre junge Mädchen ließen sich durch Gold gewinnen oder durch Eitelkeit von ihrer ersten Liebe ableiten; aber Diana hatte meine und ihre Neigung geopfert, um das Schicksal eines vermessenen, Abenteurers zu teilen, um durch mitternächtliche Wildnisse die Schlupfwinkel der Freibeuter auszunehmen, ohne Hoffnung, etwas zu gewinnen, als die Nachäffung von Rang und Glück, die der Scheinhof des Prätendenten in Saint-Germain gewähren konnte.

»Ich will sie, wenn möglich, noch einmal sehen,« dachte ich. »Ich will als Freund, als Verwandter mit ihr reden über die Gefahr, der sie sich aussetzt, und will ihr die Flucht nach Frankreich zu erleichtern suchen, wo sie bequemer, anständiger und sicherer den Erfolg der Unruhen abwarten kann, die der politische Betrüger, mit dem sie ihr Schicksal vereint hat, ohne Zweifel zu erregen vorhat.«

Nachdem wir beide einige Minuten geschwiegen hatten, wandte ich mich an meinen Begleiter ... »Ich muß also glauben,« sagte ich, »daß Seine Exzellenz, wie ich diesen Mann in Ermanglung eines andern Namens nennen muß, zu gleicher Zeit mit mir in Schloß Osbaldistone wohnte?«

»Gewiß, gewiß – und in des Fräuleins Zimmer, wie es doch auch am schicklichsten war.« – Diese Mitteilung freiwilliger Natur fügte Galle zu Bitterkeit. »Aber wenige,« fuhr Mac Gregor fort, »wußten, daß er dort war, mit Ausnahme von Rashleigh und Herrn Hildebrand; denn von Euch konnte die Rede nicht sein, und die jungen Burschen haben nicht Verstand genug, eine Katze von der Milch zu jagen. – Aber 's ist ein prächtiges altes Gebäude, und vornehmlich bewundre ich die vielen Höhlen und Löcher und Zufluchtsörter. Ihr könnt da zwanzig bis dreißig Mann in einen Winkel stecken, und eine ganze Woche mag wohl hingehen, ehe die Bewohner sie entdecken – was bei Gelegenheit von großem Nutzen werden kann. Ich wollte, wir hätten ein solches Schloß hier bei uns, – aber wir armen Hochländer müssen uns statt solcher Bequemlichkeit der Wälder und Höhlen bedienen.«

»Vermutlich wußte Seine Exzellenz,« sprach ich, »um den ersten Anfall von –«

»Morris, wollt Ihr sagen,« sprach Robin kalt, als ich innehielt; denn er war zu sehr an gewaltsame Tat gewöhnt, als daß die Bewegung, die er anfangs verriet, von langer Dauer hätte sein sollen. »Ich pflegte herzlich über den Tropf zu lachen, hätte aber schwerlich das Herz gehabt, es noch einmal zu tun, seit der unglücklichen Begebenheit am See. – Nein, nein, die Exzellenz wußte nichts von diesem Streich – es ward alles zwischen mir und Rashleigh abgemacht. Aber was nachher kam, wie Rashleigh den Verdacht von sich auf Euch zu lenken wußte, da er Euch von Anfang an nicht besonders leiden mochte – wie Fräulein Diana haben wollte, daß wir unsre Spinnwebe wieder wegfegen und Euch der Gerechtigkeit aus den Klauen reißen sollten – und der feige Mensch, der Morris, aus Furcht vor seinen fünf Sinnen nichts wußte, als er eben den rechten Mann sah, wo er einen unschuldigen anklagte. – O! darüber hab ich noch oft lachen müssen. – Und nun kann ich für den armen Teufel nichts weiter tun, als daß ich ein paar Messen für seine Seele lesen lasse.«

»Darf ich fragen, wodurch Fräulein Diana so viel Einfluß auf Rashleigh und seine Teilnehmer erlangt hat, daß sie Eure Pläne zerstören konnte?«

»Meine Pläne? Ich hatte keinen Teil daran. Von mir kann niemand sagen, daß ich je meine Last auf andrer Leute Schultern legte – es war einzig und allein Rashleighs Angelegenheit. Aber freilich hat sie großen Einfluß auf uns beide, wegen der Zuneigung Seiner Exzellenz, und weil sie auch viele Geheimnisse weiß, die uns angehen. – Der Henker hol den!« rief er als Schluß, »der Weibern ein Geheimnis zu bewahren oder die Macht, es zu mißbrauchen, gibt! – Toren soll man keine Stöcke in die Hände geben.«

Wir waren jetzt dem Dorfe sehr nahe, als drei bewaffnete Hochländer auf uns zusprangen und mit vorgehaltenem Gewehr uns befahlen, zu stehen und unser Gewerbe anzugeben. Das einzige Wort Gregarach, das mein Begleiter mit der tiefen, gebieterischen Stimme aussprach, wurde mit einem Ruf, oder vielmehr Geschrei freudigen Erkennens beantwortet. Der eine warf sein Gewehr hin, umfaßte die Kniee seines Häuptlings und ergoß sich in einen Strom gälischer Glückwünsche, die sich zuweilen zu einem Freudengeschrei erhoben. Die beiden andern eilten, nachdem der erste Rausch vorüber war, buchstäblich flink wie Rehe voran, weil jeder der erste sein wollte, der dem Dorfe die Nachricht von Robins Flucht und Rückkehr brächte. Die Kunde erregte so lauten Jubel, daß die Gebirge widerhallten; und jung und alt, Weiber und Kinder, ohne Unterschied des Geschlechts und Alters, eilten das Tal hinab uns entgegen, schnell und tosend wie ein Bergstrom. Als ich das ungestüme Geräusch und Geschrei der freudigen Menge vernahm, hielt ich es für angemessen, den Häuptling zu erinnern, daß ich ein Fremder und unter seinem Schutze sei. Er hielt mich demzufolge fest bei der Hand, während die Versammlung unter wahrhaft rührenden Aeußerungen inniger Ergebenheit und Freude über seine Rückkehr uns umgab, und nicht eher reichte er seinen Anhängern die Hand, bis er ihnen zu verstehen gegeben hatte, daß ich freundlich und aufmerksam behandelt werden sollte.

Das Gebot eines Sultans von Delhi hätte nicht schneller vollzogen werden können, und mir ward jetzt ihre wohlgemeinte Aufmerksamkeit fast ebenso lästig, wie früher ihre rauhe Behandlung. Sie wollten dem Freunde ihres Anführers kaum erlauben, auf eignen Füßen zu gehen, so eifrig waren sie, mir auf dem Wege Hilfe und Beistand zu leisten, und als ich über einen Stein stolperte, den ich im Gedränge übersah, hoben sie mich auf und schleppten mich auf ihren Armen triumphierend ins Dorf.

Bei der Ankunft vor dem Wirtshause fand ich, daß Ansehen und Volksgunst in den Hochlanden ihre Beschwerlichkeiten haben, wie überall. Ehe Mac Gregor in das Haus gelangen konnte, wo er Ruhe und Erfrischung genießen wollte, mußte er die Geschichte seiner Flucht wenigstens zwölfmal erzählen. Endlich entfernte sich eine Gruppe nach der andern, um auf der Heide oder in einer benachbarten Hütte das Nachtlager zu suchen. Manche verwünschten den Herzog und Garschattachin, andre beklagten das Mißgeschick Ewans; aber alle stimmten darin überein, daß Robins Flucht sich mit jeder Tat ihrer Häuptlinge vergleichen könne, seit den Tagen des Dougal-Ciar, des Gründers seines Stammes.

Der Geächtete faßte nun meinen Arm und führte mich in das Innere der Hütte. Ich blickte umher in den rauchigen Winkeln, um Diana und ihren Begleiter zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen, und ich fühlte, daß ich durch weitere Erkundigung geheime Beweggründe verraten möchte, die besser verborgen blieben. Ich fand kein bekanntes Gesicht, als den Stadtvogt Jarvie, der auf einem Stuhl am Feuer saß, und eine gewisse stolze Zurückhaltung annahm, als Robin ihn bewillkommnete, Entschuldigungen wegen der geringen Bequemlichkeiten machte und nach seinem Befinden fragte.

»Ich bin ziemlich wohl, Vetter,« sprach der Stadtvogt, »ganz leidlich, ich dank Euch. Und was die Bequemlichkeit betrifft, so kann man ja den Salzmarkt nicht mit sich schleppen, wie die Schnecke ihr Haus – aber es freut mich, daß Ihr den Händen der Leute, die wahrlich nicht Eure Freunde sind, entkommen seid.«

»Gut also,« erwiderte Robin. »Was fehlt Euch? – Ende gut, alles gut. – Kommt, nehmt einen Becher Branntwein. Euer Vater, der Vorsteher, schlugs nie aus.«

»Außer wenn er müde war, Robin, und das bin ich heute auf mehr als eine Art geworden. Aber,« fuhr er fort und füllte langsam einen kleinen hölzernen Becher, der drei Gläser halten konnte, »er war ein mäßiger Mann, und das bin ich auch! Auf Eure Gesundheit, Robin, und auf Euer Wohlsein hier und dort! Auch meine Base Helene soll leben, und Eure beiden hoffnungsvollen Söhne. Aber davon bald mehr!«

Als der Stadtvogt den Becher niedersetzte, erkannte er auch mich und begrüßte mich herzlich, lehnte aber weitre Mitteilungen für den Augenblick ab.

»Ich will Eure Sache nachher besprechen,« sagte er; »jetzt muß ich, wie billig, mit den Angelegenheiten meines Vetters anfangen. – Ich hoffe, Robin, es ist niemand hier, der das, was ich sagen will, weitertragen könnte, zu dem Stadtrat, oder sonst wohin, zu meinem und Eurem Nachteile?«

»Seid deshalb unbesorgt, Vetter Niklas,« antwortete Mac Gregor. »Die Hälfte von ihnen versteht nicht, was Ihr sagt, und die andern bekümmern sich nicht darum. – Ueberdies risse ich allen die Zunge aus, die sichs herausnehmen wollten, von dem zu schwatzen, was man in ihrer Gegenwart zu mir redet.«

»Gut, Vetter, in diesem Fall, und da Herr Osbaldistone hier ein verständiger Jüngling und treuer Freund ist, will ich Euch gerade heraussagen, Ihr erzieht Eure Familie für böse Wege.« – Nachdem er sich hierauf geräuspert hatte, verwandelte er sein vertrauliches Lächeln in einen ernsten tadelnden Blick und fuhr fort: »Ihr wißt selbst, wie es mit Euch und der Gerechtigkeit steht – und meine Base Helene – ich will nichts von ihrem heutigen Empfange sagen, der gewiß nicht freundlich war, denn ich halt es ihrer Gemütsbewegung zu gute; aber diesen persönlichen Grund der Klage beiseite setzend, hab ich von Eurer Frau zu sagen –«

»Sagt nichts von ihr,« fiel Robert in strengem und ernstem Tone ein, »als was sich für einen Freund zu sagen und für einen Mann zu hören geziemt. Von mir hingegen könnt Ihr alles sprechen, was Euch beliebt.«

»Gut, gut,« versetzte Jarvie, nicht ohne Verlegenheit, »wir wollen das übergehen. Aber ich erachte es nicht für recht, in Familien Unheil zu stiften. Was hingegen Eure beiden Söhne betrifft, so liegen die Dinge doch eigentlich recht schwer, denn Robin und Hamish besitzen nicht die gewöhnlichen Anfangsgründe einer guten Erziehung. Nicht einmal das Einmaleins, die Wurzel aller nützlichen Kenntnisse, kennen sie, und sie lachten und spotteten mich nur aus, als ich ihnen über ihre Unwissenheit meine Meinung sagte. Ich glaube, sie können weder lesen, schreiben, noch rechnen, wenn man so etwas von seinen eigenen Verwandten in einem christlichen Lande noch glauben darf.

»Wenn sie es könnten, Vetter,« sprach Mac Gregor sehr gleichgültig, so müßten sie's von selbst gelernt haben, denn wie zum Henker hätt' ich einen Lehrer für sie beschaffen sollen? Sollt ich etwa ans Tor Eurer Schule in Glasgow anschlagen lassen: Robin der Rote braucht einen Lehrmeister für seine Knaben?«

»Nein, Vetter,« versetzte Jarvie, »aber Ihr hättet die Jungen dahin schicken sollen, wo sie Gottesfurcht und die Gebräuche gesitteter Leute hätten lernen können. Sie sind ja so unwissend wie das Vieh, das Ihr sonst zu Markte treibt, oder wie die englischen Bauern, die es Euch abkaufen.«

»Hm!« antwortete Robin; »Hamish kann einen Birkhahn im Fluge mit einer einzigen Kugel herabschießen, und Rob stößt einen Dolch durch ein Brett, das zwei Zoll dick ist.«

»Desto schlimmer für sie, Vetter!« rief der Kaufmann von Glasgow mit großer Entschiedenheit. ... »Wenn sie nichts Besseres können, als das, so möchten sie lieber gar nichts verstehen. Sagt mir selbst, Robin, was Ihr mit all diesem Hauen und Stoßen und Schießen gewonnen habt? Waret Ihr glücklicher, als Ihr hinter Eurem Vieh herzöget, in ehrlichem Gewerbe, oder seid Ihrs jetzt, an der Spitze Eurer hochländischen Landstreicher und Gaudiebe?«

Ich bemerkte, daß Mac Gregor, während sein wohlmeinender Vetter auf diese Weise mit ihm sprach, sich drehte und krümmte, wie einer, der Schmerz erduldet, aber den Entschluß gefaßt hat, keinen Seufzer seinen Lippen entfliehen zu lassen, und ich wartete auf eine Gelegenheit, den wohlgemeinten, aber offenbar verfehlten Ton, worin Jarvie mit diesem ungewöhnlichen Manne sprach, zu unterbrechen. Das Gespräch kam indes zu Ende ohne meine Einmischung.

»Und seht,« sprach der Stadtvogt, »nun hab ich gedacht, Robin, da Ihr zu sehr im schwarzen Buche steht, als daß Ihr auf Pardon rechnen dürftet, und zu alt seid, Euch zu ändern, wär es doch ein Jammer, wenn so ein Paar hoffnungsvolle Jungen zu dergleichen gottlosem Gewerbe auferzogen würden, wie das Eurige, und ich wollte sie gern als Lehrlinge an den Webstuhl setzen, wie ich selbst angefangen habe, und mein Vater, der Vorsteher, vor mir, obwohl ich jetzt, dem Geber sei Dank, im großen handle – und –«

Er sah, wie sich ein Wettersturm auf Robins Stirn zusammenzog, und das bestimmte ihn wahrscheinlich, seinem Vorschlage, der so geringen Beifall zu finden schien, einen bessern Anstrich dadurch zu geben, daß er ihm durch Großmut gewissermaßen die Krone aufsetzte. »Robin,« sagte er, »Ihr braucht nicht so finster dreinzuschauen; denn ich verzichte aufs Lehrgeld und will Euch auch nie wegen der tausend Mark plagen.«

»Hunderttausend Teufel!« rief Robin und schritt durch die Hütte. »Meine Söhne Weber! Tausend noch einmal! Eher wollt ich alle Weberstühle in Glasgow, Weberbaum und Weberschiffe im Höllenfeuer brennen sehen!«

Nicht ohne Mühe machte ich dem Stadtvogt, der antworten wollte, begreiflich, wie ungeziemend und bedenklich es sei, unserm Wirt über diesen Punkt zuzusetzen; aber nach wenigen Augenblicken hatte Robin seine heitre Stimmung wiedererlangt.

»Na, Ihr meints gut – Ihr meints gut,« sprach er, »gebt mir die Hand, Niklas, und wenn ich je meine Söhn' in die Lehre gebe, so sollt Ihr die Wahl haben. – Und was die tausend Mark anbetrifft, die noch zwischen uns offen stehen – Heda! Eachin Analeister, gib mir meine Tasche.«

Ein langer, rüstiger Hochländer, der Robins Leutnant zu sein schien, brachte aus irgend einem verborgnen Ort eine große Tasche aus Seeotterfell, reich mit silbernen Verzierungen und Buckeln besetzt, wie sie vornehme Hochländer im vollen Staate vor sich zu tragen pflegen.

»Ich will niemand raten, diese Tasche zu öffnen, der nicht das Geheimnis kennt,« sprach Robin der Rote, während er einen Knopf in dieser, den andern in jener Richtung drehte, eine Buckel aufhob, die andre niederdrückte, bis die Oeffnung des Säckels, die mit einer Silberplatte verschlossen war, aufsprang. Er machte mir eine kleine verborgne Pistole bemerkbar, deren Drücker mit der Oeffnung zusammenhing und einen Teil des Kunstwerks ausmachte, so daß sie gewiß losgehen und wahrscheinlich den Unkundigen treffen mußte, der sich das Schloß zu öffnen bemühte. »Dies,« sprach er, »die Pistole berührend, »ist mein Schatzmeister.«

Der Stadtvogt setzte seine Brille auf, um die Einrichtung zu untersuchen, und nachdem ers getan hatte, gab er die Tasche lächelnd und mit einem Seufzer zurück. »Ach, Robin!« sagte er dann, »hielten alle Leute ihre Beutel so wohl verwahrt wie Ihr, dann möchte wohl Eure Tasche nicht so gefüllt sein, wie sie es, dem Gewichte nach zu schließen, heute wohl sein dürfte.«

»Sorgt nicht, Vetter!« antwortete Robin lachend, »sie ist immer offen für eines Freundes Not, oder um eine gerechte Schuld zu bezahlen. – Hier sind Eure tausend Mark,« fuhr er fort und langte eine Geldrolle heraus. »Zählt sie und seht, daß die Summe stimmt!«

Jarvie nahm schweigend das Geld, und nachdem er es einen Augenblick in der Hand gewogen hatte, legte er es auf den Tisch und erwiderte: »Ich kanns nicht nehmen, Robin, mag nichts damit zu tun haben, es kann kein Segen dabei sein. – Ich habe heute zur Genüge gesehen, auf welchem Wege Ihr zu Eurem Geld kommt. Unrecht Gut gedeihet nicht. Gerade heraus gesagt, ich will nichts damit zu tun haben – es sieht aus, als ob Blut daran wäre.«

»Meiner Treu!« sprach der Geächtete mit einer Gleichgültigkeit, die er vielleicht nicht ganz so empfand, »es ist gutes französisches Gold, und war vorher nie in eines Schottländers Beutel. – Seht es an – es sind lauter Louisdor, schön und glänzend, wie aus der Münze.«

»Desto schlimmer, desto schlimmer – eben darum viel schlimmer, Robin,« versetzte Jarvie, seine Augen von dem Gelde abwendend, obgleich ihm die Finger danach zu jucken schienen, wie Cäsar nach der Krone. – »Empörung ist schlimmer, als Hexerei oder Räuberei; das steht in der Bibel.«

»Kümmert Euch nicht darum, Vetter,« sprach der Freibeuter; »Ihr kommt ehrlich zu dem Gelde. Kommt's von dem einen König, so könnt Ihrs dem andern geben, wenn Ihr Lust habt. Es wird grade dienen, einen Feind zu schwächen, und in dem Punkte, wo der arme König Jakob schon der Schwächere ist; denn Gott weiß es, Hände und Herzen hat er genug, aber am Gelde mags ihm wohl fehlen.«

»Dann wird er wohl nicht viele Hochländer auf seine Seite bekommen,« sprach Jarvie, indem er seine Brille wieder aufsetzte und den Inhalt der geöffneten Rolle zu zählen anfing.

»Und Unterländer wohl nicht mehr,« erwiderte Mac Gregor, die Augenbrauen emporziehend. Er sah mich an und blinzelte nach dem Stadtvogt, der, ohne den Spott zu bemerken, mit gewohnter Vorsicht jedes Goldstück wog. Nachdem er die Summe zweimal überzählt hatte, Kapital und Interessen, gab er drei Goldstücke zurück zu einem Kleide für seine Base, wie er sagte, und noch ein paar für die beiden Buben, wofür sie sich nach Gefallen kaufen könnten, nur kein Schießpulver. Der Hochländer erstaunte über seines Vetters unerwartete Großmut, nahm aber freundlich die Gabe an, die er in seine wohlverwahrte Tasche steckte. Jarvie zog darauf den Schuldschein hervor, auf dessen Rückseite er eine Quittung geschrieben hatte, die er, nach Beifügung seines eignen Namens, vor mir als Zeugen unterschreiben ließ. Er sah sich ängstlich nach einem andern um, da die schottischen Gesetze in dergleichen Fällen zwei Zeugen verlangen. »Ihr werdet hier drei Meilen in der Runde schwerlich jemand finden, der schreiben kann, uns drei ausgenommen,« sprach Robin; »aber ich will die Sache leicht abmachen.« Er nahm die Schrift und warf sie ins Feuer, worüber der Stadtvogt nun seinerseits erstaunte. Allein sein Vetter fuhr fort: »Dies ist unsre Art im Hochlande, Rechnungen zu tilgen. –Es könnte die Zeit kommen, Vetter, wo derlei Verschreibungen und Quittungen, wenn ich sie aufbewahren wollte, Freunde in Ungelegenheit bringen könnten, weil sie mit mir zu tun haben.«

Jarvie erhob keinen Einwurf gegen diesen Grund, und unser Abendessen wurde aufgetragen, reichlicher, auch besser und feiner, als man an diesem Ort erwarten konnte. Die meisten Speisen waren kalt, woraus wir sehen konnten, daß sie weit von hier zubereitet sein mochten; ein paar Flaschen guter Franzwein würzten die mancherlei Wildbretpasteten und andern Gerichte aufs angenehmste. Mac Gregor machte gastfreundlich den Wirt und bat um Entschuldigung, daß eine besondre Pastete, die man uns vorsetzte, schon angebrochen sei. »Ihr müßt nämlich wissen,« sagte er zu Jarvie, ohne mich anzublicken, »daß Ihr in dieser Nacht nicht die einzigen Gäste in Mac Gregors Lande seid; sonst wäre meine Frau mit den beiden Jungen auch hier zu Eurem Empfange, wie es sich gebührt.«

Der Stadtvogt schien recht froh darüber zu sein, und ich wäre sicher auch seiner Meinung gewesen, wenn Robins Worte nicht die Vermutung in mir wachgerufen hätten, daß jetzt Diana und ihr Gefährte, den ich mir als ihren Gemahl nun einmal nicht zu denken vermochte, von Robins Familie bewirtet werde.

Aber meine Gedanken wurden durch Robin abgelenkt, der sich jetzt Mühe gab, uns ein besseres Nachtlager zu verschaffen, als wir in der vorigen Nacht gehabt hatten. Zwei leidlich erhaltene Bettstellen, die sich an den Wänden der Hütte befanden, waren mit Heidekraut, das eben in voller Blüte stand, angefüllt, das, mit den Blüten nach oben gekehrt, eine elastische und duftige Matratze abgab. Mäntel und was man an Betten auftreiben konnte, wurden darüber gebreitet und machten es weich und warm. Jarvie schien todmüde zu sein. Ich beschloß darum, meine Mitteilungen bis auf den nächsten Morgen zu sparen, und ließ ihn zu Bett gehen, sobald er reichlich zu Abendbrot gegessen hatte. Obwohl müde und erschöpft, fand ich doch keinen rechten Schlaf, sondern wurde von einer seltenen Unruhe und Angst geplagt, die zu weiterer Unterhaltung zwischen mir und Mac Gregor führte.

Fünfzehntes Kapitel

»Ich weiß nicht, was ich mit Euch machen soll, Herr Osbaldistone,« sagte Robin, als er mir die Flasche zuschob. »Ihr eßt nicht, scheint keine Lust zum Schlaf zu haben, und trinkt auch nicht, obwohl dieser Bordeauxwein aus Sir Hildebrands eignem Keller stammen dürfte. Wäret Ihr immer so enthaltsam gewesen, so hättet Ihr den tödlichen Haß Eures Vetters Rashleigh sicher vermieden.«

»Wäre ich immer so vorsichtig gewesen,« erwiderte ich, errötend über den Auftritt, an den er mich erinnerte, »so hätt' ich wohl noch schlimmeres Uebel vermieden – den Vorwurf meines Gewissens.«

Mac Gregor warf einen scharfen und grimmigen Blick auf mich, als hätte er erforschen wollen, ob der Verwurf, den er offenbar fühlte, mit Absicht erteilt worden sei. Aber er sah, daß ich an mich selbst, nicht an ihn dachte, und wendete das Gesicht tief seufzend nach dem Feuer. Ich folgte seinem Beispiel, und wir blieben ein paar Minuten lang, in peinliche Gedanken vertieft, liegen. Alles in der Hütte schlief jetzt oder war doch still, uns beide ausgenommen.

Mac Gregor brach zuerst das Schweigen in einem Tone, als sei er willens, über einen Gegenstand zu sprechen, über den er lieber schwiege. »Mein Vetter Niklas meints gut,« sagte er; »aber er setzt einem Manne von meiner Gemütsart viel zu hart zu, wenn er davon spricht, was ich war, was ich habe werden müssen, und vor allem, was mich gezwungen hat, das zu werden, was ich jetzt bin.«

Er schwieg, und obwohl ich fühlte, wie heikel die Unterhaltung werden konnte, so konnte ich doch nicht umhin, zu antworten, daß ohne Zweifel seine gegenwärtige Lage vieles enthalten dürfte, was ihm zuwider sei. »Mich würde es gewiß freuen,« setzte ich hinzu, »wenn Ihr Euch auf ehrenvolle Weise herausreißen könntet.«

»Ihr redet wie ein Knabe,« erwiderte Robin in einem Tone, der wie seiner Donner klang, »wie ein Knabe, der sich denkt, eine alte knorrige Eiche lasse sich so leicht biegen wie ein junger Zweig. Kann ich wohl vergessen, daß ich gebrandmarkt bin als vogelfreier Wicht, – entehrt als Verräter – daß man einen Preis auf meinen Kopf setzte, wie auf einen Wolf, und meine Familie behandelt hat, wie die Füchsin und ihre Jungen, die jedermann quälen, verachten und beschimpfen kann? Selbst mein Name, den ich von einer langen und edlen Reihe tapferer Ahnherren erhielt, ist verrufen, gleich einem Zauber, den Teufel zu beschwören!«

Ich sah deutlich, daß er sich durch solche Aufzählung der ihm widerfahrenen Kränkungen selbst zur Wut aufregte, um für die Verirrungen, in die er sich hatte hetzen lassen, in den eignen Augen eine Rechtfertigung zu finden. Und das gelang ihm; denn seine hellen grauen Augen schienen Flammen zu sprühen, während er den Fuß vorwärts stieß und zurückzog, den Griff seines Dolches faßte, den Arm ausstreckte, die Faust ballte und endlich aufsprang.

»Und erfahren sollen sie,« rief er in demselben tiefen Tone erstickter Leidenschaft, »daß der Name Mac Gregor, den sie zu ächten wagten, ein Zauber ist, der den wilden Teufel bannt. Von meiner Rache sollen sie hören! Der elende Viehhändler, dem sie alles genommen, den sie entehrt und niedergehetzt haben, weil Habsucht mehr verlangte, als er bezahlen konnte, er wird in furchtbarer Gestalt über sie herstürzen. Doch warum spreche ich hiervon?« fuhr er in ruhigerm Tone fort, indem er sich wieder setzte. »Ihr könnt mir glauben, Herr Osbaldistone, es reizt mich zur Ungeduld, wenn ich gejagt werde wie ein Otter oder wie ein Lachs in Untiefen, und das von meinen Freunden und Nachbarn! Ein Heiliger würde die Geduld verlieren, wenn man ihn mit so vielen Schwertstreichen und Pistolenschüssen bedroht hätte, als heute mich im Strom; wieviel mehr ein Hochländer, der um seiner Geduld willen wahrlich nicht berühmt ist, wie Ihr wohl wißt. – Aber eins liegt mir im Sinne von dem, was Vetter Niklas sagte. – Meine Jungen machen mir Kummer, wenn ich daran denke, daß sie vielleicht einmal leben sollen, wie ihr Vater hat leben müssen.« – Und trauernd stützte er das Haupt auf die Hand.

Ich war tief ergriffen, und der Wunsch, ihm zu helfen, erfüllte mein Gemüt.

»Wir haben gute Verbindungen im Auslande,« sagte ich; »könnten nicht Eure Söhne mit einiger Unterstützung, die sie von meines Vaters Hause doch erwarten dürfen, Anstellung in fremden Diensten finden?«

Mein Gesicht, glaube ich, verriet aufrichtige Rührung; allein mein Gefährte, ohne mich weiter reden zu lassen, nahm meine Hand und erwiderte: »Ich dank Euch – dank Euch! Aber laßt uns nichts mehr davon sprechen! Ich hätte nicht geglaubt, daß jemand noch eine Träne in Mac Gregors Augenwimpern sehen werde.« – Er trocknete das feuchte Auge unter den dichten roten Brauen mit dem Handrücken. »Morgen früh,« sagte er, »wollen wir darüber sprechen, und auch von Euren Angelegenheiten – denn wir brechen früh auf: Wollt Ihr mir nicht in einem Becher Bescheid tun?« Ich lehnte ab.

»Dann muß ich mir selbst Bescheid tun!« rief er und stürzte wenigstens ein halbes Maß Wein hinunter.

Ich legte mich nieder, entschlossen, mit den Fragen, die ich an ihn stellen wollte, zu warten, bis er sich in ruhigerer Gemütsstimmung befände. Wirklich erfüllte dieser sonderbare Mann meine Einbildungskraft in solchem Maße, daß ich nicht umhin konnte, ihn noch ein paar Augenblicke zu beobachten, ehe ich mich auf meinem Heidekrautlager auf die andre Seite drehte. Er ging auf und nieder, bekreuzte sich von Zeit zu Zeit und murmelte ein lateinisches Gebet; dann hüllte er sich in seinen Plaid, sein nacktes Schwert an der einen Seite, die Pistole an der andern, und die Falten seines Mantels so geordnet, daß er bei jedem Alarm gleich aufspringen konnte. In wenigen Minuten verriet sein tiefes Atmen, daß er fest eingeschlafen war. Von Müdigkeit erschöpft und betäubt von den ungewöhnlichen Ereignissen des Tages, erlag auch ich bald der Gewalt eines tiefen Schlummers und erwachte, trotz aller Gründe zur Wachsamkeit, nicht eher als bis am andern Morgen.

Als ich die Augen aufschlug und mich besinnen konnte, wo ich war, sah ich, daß Mac Gregor die Hütte bereits verlassen hatte. Ich weckte den Stadtvogt, der nach schweren Klagen über Gliederschmerz endlich im stande war, die frohe Nachricht zu erfassen, daß die von Rashleigh mitgenommenen Papiere und Dokumente glücklich wieder in meinem Besitze seien. Sogleich stand er geschäftig auf und verglich den Inhalt meines Pakets mit Owens Verzeichnis, wobei er murmelte: »Recht, recht – die wahre Sache – Baillie und Whittington – wo ist Baillie und Whittington – siebenhundert, sechs und acht. – Genau bis auf den Bruch. – Pollack und Peelmann – achtundzwanzig – sieben – genau. – Dem Himmel sei Dank! – Grub und Grinder, – bessre Männer kanns nicht geben – dreihundertundsiebenzig. – Gliblad – zwanzig, hier zweifle ich an Zahlung. – Slipprytongue – Slipprytongue hat aufgehört – aber das sind Bagatellen – und alles andre stimmt – Gott sei Dank! Nun können wir dies traurige Land verlassen. An den Hard-See aber werde ich nie ohne Grausen denken!«

»Es tut mir leid, Vetter,« sagte Mac Gregor, der in die Stube hereintrat, als Jarvie diese letzten Worte sprach, »daß die Umstände mir nicht erlaubt haben, Euch zu bewillkommnen, wie ich es gewünscht hatte. Wenn Ihr aber meine bescheidne Wohnung besuchen wollt –«

»Sehr verbunden, sehr verbunden,« erwiderte Jarvie schnell. »Aber wir müssen aufbrechen – wir müssen fort, Herr Osbaldistone und ich – Geschäfte können nicht warten.«

»Gut, Vetter,« versetzte der Hochländer, »Ihr kennt unsre Sitte: speise den Gast, der kommt; und sei ihm behilflich, wenn er gehen muß. Aber Ihr könnt nicht über Drymen heimkehren; ich muß Euch über den See fetzen zur Fähre von Balloch und Eure Pferde dahin vorausschicken. Ein kluger Mann kehrt nie auf der gleichen Straße zurück, wenn er eine andre frei hat«

»Ja, ja, Rob, das ist eine von den Regeln, die Ihr gelernt habt, als Ihr den Viehhandel triebt. Ihr hattet keine Lust die Pächter wiederzusehen, denen Euer Vieh das Gras abgeweidet hatte – und ich glaube, jetzt hinterlaßt Ihr noch schlimmere Spuren wie damals.«

»Desto notwendiger ists jetzt, Vetter, mit dem Wege zu wechseln,« antwortete Robin; »aber Dougal soll die Pferde hinführen; er wird jetzt als Bedienter des Stadtvogts erscheinen, doch nicht von Aberfoil oder aus Robins Land, sondern vom Schlosse Stirling. – Aber seht, da ist er ja.«

»Ich hätte die Kreatur nicht gekannt,« meinte Jarvie, und es war in der Tat nicht leicht, den wilden Hochländer wiederzuerkennen, als er vor der Tür der Hütte erschien, in Hut, Perücke und Reitrock, die einst Andreas gehört hatten, auf des Stadtvogts Pferde, mit dem meinigen am Zaume. Er bekam von seinem Herrn Weisung, gewisse Orte zu vermeiden, wo er Verdacht erwecken konnte, unterwegs alle mögliche Kundschaft einzuziehen und uns an einem bestimmten Ort, unweit der Fähre von Balloch, zu erwarten.

Mac Gregor lud uns nun ein, mit ihm uns auf den Weg zu machen, und da wir nach seiner Versicherung noch vor dem Frühstück ein paar Meilen wandern müßten, meinte er, wir sollten doch lieber nicht unterlassen, uns für diesen Marsch mit einem Schlucke Schnaps zu stärken. Der Stadtvogt tat ihm Bescheid, meinte aber, er tue es nur, um den Magen, der bei ihm nicht allzu gut bestellt sei, gegen den Morgennebel zu schützen, und in solchem Falle hätte auch sein Vater, der Vorsteher, durch Lehre und Beispiel einen Schluck gutgeheißen.

»Sehr richtig, Vetter,« versetzte Robin; »aus diesem Grund haben auch wir, die Kinder des Nebels, ein Recht, von früh bis Abend Branntwein zu trinken.«

Jarvie bestieg nach dieser Labung einen kleinen hochländischen Klepper, mir ward ein andrer angeboten, den ich aber ausschlug, und unter solch andrer Begleitung und Aussicht zogen wir zum andern Male den Weg, den wir tags vorher gezogen waren.

Unser Geleit bestand aus Mac Gregor und etwa einem Halbdutzend der stattlichsten, bestbewaffneten und rüstigsten Hochländer seiner Schar. Als wir uns dem Engpasse näherten, der mir als Schauplatz des Gefechts vom verwichnen Tage noch in trüber Erinnerung war, beeilte sich Mac Gregor, das Wort zu nehmen, wohl mehr, um meinem Gemüt gerecht zu werden, als daß er einer Aeußerung von mir hätte zuvorkommen wollen.

»Ihr müßt Arges von uns denken, Herr Osbaldistone, und es kann natürlich nicht anders sein. Aber erwägt wenigstens, man hat uns herausgefordert. Wir sind ein rohes, unwissendes, auch wohl ein heftiges, leidenschaftliches, aber kein grausames Volk. Frieden und Gesetze würden im Lande nicht durch uns gestört werden, wenn man uns den Segen eines friedlichen Rechts wollte genießen lassen. – Aber wir sind schändlich verfolgt und gehetzt worden.«

»Und das macht kluge Leute toll,« meinte Jarvie.

»Und wohin mußten wir auf solche Weise gelangen, da wir doch noch leben, wie unsre Väter vor tausend Jahren lebten, und kaum mehr Wissen und Einsicht haben als sie? Können wir bessre Behandlung gewähren, als Feinde von Feinden erhalten? Ich bin in zwanzig Gefechten gewesen und habe nie einen Menschen verletzt, außer wenn mein Blut erhitzt war; und dennoch wollte man mich verraten und aufhängen, wie einen herrenlosen Hund, an das Tor des ersten besten vornehmen Herrn, der einen Groll gegen mich hat.«

Ich erwiderte, daß auch mir als Engländer die Aechtung seines Namens und Geschlechts als sehr grausam und willkürlich erscheine, und erneuerte meinen Vorschlag, ihm selbst, wenn er es wollte, und seinen Söhnen Anstellung in fremden Kriegsdiensten zu verschaffen. Mac Gregor drückte mir herzlich die Hand und hielt mich zurück, als wenn er beabsichtige, Jarvie auf dem schmalen Pfade vorausreiten zu lassen.

»Ihr seid ein gutherziger, wackrer Jüngling,« sprach er, »der recht gut weiß, was man den Gefühlen eines Mannes von Ehre schuldig ist. – Aber die Heide, die mein Fuß betreten hat, als ich lebte, muß über mir blühen, wenn ich tot bin. Mein Mut würde sinken und mein Arm würde zusammenschrumpfen und verwelken wie Farnkraut im Froste, wenn ich die Berge meiner Heimat nicht mehr sehen sollte; und die Welt hat keine Gegend, mich für den Verlust dieser Felsen und Klippen, die Ihr hier seht, so wild sie sind, zu trösten. – – Und Helene – was sollte aus ihr werden, wenn ich sie neuen Beleidigungen, neuen Grausamkeiten aussetzte? oder wie könnte sie diese Gegenden verlassen, wo die Erinnerung an ihre Kränkungen versüßt wird durch die Erinnerung an ihre Rache? Ich bin einst so hart von meinem großen Feinde, wie ich wohl sagen kann, bedrängt worden, daß ich dem Sturme nachgeben mußte, und mit den meinigen unsre Heimat verlassen habe und auf einige Zeit in Mac Callummore's Land gezogen bin. Da hat Helene ein Klagelied auf unsern Wegzug aus der Heimat gedichtet, wie es besser kein Mac Rimmon hätte dichten können, so rührend und wehmütig, daß uns das Herz fast brach, als sie es sang!

»Aber Eure Söhne,« sagte ich, »sind jetzt in dem Alter, in welchem Eure Landsleute doch wohl gern die Welt sehen?«

»Ich wär's freilich zufrieden,« erwiderte er, »wenn sie ihr Glück in französischen oder spanischen Diensten versuchten, wie schottische Edelleute zu tun pflegen, und gestern abend kam mir Euer Plan auch ganz ausführbar vor. – Aber ich habe Seine Exzellenz heute morgen gesehen, ehe Ihr aufgestanden waret.«

»Hat er denn so nahe bei uns die Nacht zugebracht?« fragte ich mit ängstlich klopfendem Herzen.

»Näher als Ihr glaubt,« war die Antwort. »Aber er schien eifersüchtig zu sein auf die Unterhaltung, die Ihr mit der jungen Dame geführt habt, und da seht Ihr –«

»Gelegenheit zur Eifersucht habe ich ihm nicht gegeben,« erwiderte ich, nicht ohne Stolz; »ich hätte seine Einsamkeit gewißlich nicht gestört.«

»Aber Ihr müßt doch nicht gleich unter Euren Locken hervorblicken wie eine Wildkatze aus einem Efeubusch; denn Ihr müßt doch nicht verkennen, daß er Euch aufrichtig wohl will, und das doch auch bewiesen hat. Gerade das ists ja immer, was die Heide in Feuer setzt, und ists auch jetzt wieder!«

»Die Heide in Feuer?« fragte ich. »Ich verstehe Euch nicht.«

»Nun,« versetzte Robin, »Ihr wißt doch, daß Weiber und Geld an allem Unheil in der Welt schuld sind. Ich habe Eurem Vetter Rashleigh nicht mehr getraut, seit er merkte, daß Diana Vernon nicht seine Liebste werden sollte; und ich glaube auch, er hat vorzüglich deshalb einen Widerwillen gegen die Exzellenz gefaßt. Nun kam die Herausgabe Eurer Papiere dazu – und jetzt ist es denn auch bewiesen, daß er, sobald er sie fahren lassen mußte, flugs nach Stirling geritten ist, und der Regierung alles offenbart hat, was in der Stille in unsern Gebirgen vorging, und manches noch dazu. Das ist ohne Zweifel Grund und Ursach gewesen, daß man das Land besetzte, um die Exzellenz und die Lady zu fangen, und gleichzeitig einen Angriff gegen mich zu machen. Der arme Teufel Morris, dem er alles weis machen konnte, hat sich gewiß von ihm und einigen niederländischen Edelleuten bestimmen lassen, mich in die Falle zu locken. – Aber war auch Rashleigh Osbaldistone der letzte und beste seines Geschlechts, sollten wir je wieder zusammentreffen, will ich des Todes sein, wenn nicht, ehe wir scheiden, mein Dolch und sein Herzblut bekannt miteinander werden.«

Er sprach diese Drohung mit schrecklich finsterm Blick aus und legte die Hand an den Dolch.

»Ich könnte mich fast freuen über das Geschehene,« sagte ich, »wenn sich hoffen ließe, daß, durch Rashleighs Verräterei, die tollkühnen Anschläge verhindert würden, deren Hauptanstifter er, wie ich längst argwöhnte, gewesen ist.«

»Glaubt das nicht,« sprach Robin der Rote. »Eines Verräters Wort hat noch nie eine gute Sache verdorben. Er wußte freilich viel von unsern Geheimnissen, und wäre das nicht gewesen, so wären die Schlösser in Stirling und Edinburg jetzt in unsrer Gewalt, oder würden bald an uns fallen, was jetzt kaum noch zu hoffen ist. Aber unsre Sache ist zu gut, als daß sie um eines Verräters willen aufgegeben werden sollte, wie man in kurzem sehen und hören wird. Und darum nehmt, was ich Euch vor allem sagen wollte, meinen besten Dank für Euer Anerbieten wegen meiner Söhne entgegen, das ich gestern für sie anzunehmen gedachte. Aber ich sehe, durch dieses Elenden Verräterei werden unsre Großen die Ueberzeugung gewinnen, daß sie nicht länger säumen dürfen, wenn sie nicht in ihren Häusern festgenommen, wie Hunde gekoppelt und nach London getrieben werden wollen, gleich den wackern Herren und Edelleuten anno 1707. Bürgerkrieg ist ein Basilisk; wir haben auf dem Ei, das ihn barg, zehn Jahre lang sitzen können, aber da kommt Rashleigh, der die Schale entzwei schlägt, und heraus kommt das Wundertier und ruft zu Feuer und Schwert. Bei dermaßen bestellten Sachen brauche ich alle Hände, die ich erlangen kann, und ohne Geringschätzung der Könige von Frankreich und Spanien, denen ich alles Gute wünsche, muß ich doch meinen, König Jakob sei ebensogut wie sie und besitze das nächste Anrecht auf meine Söhne, seine gebornen Untertanen.«

Ich begriff leicht, daß diese Worte einen allgemeinen Volksaufstand andeuteten; da es aber so nutzlos als gefährlich gewesen sein würde, die politische Meinung meines Führers an solchem Ort und in solchem Augenblicke zu bestreiten, begnügte ich mich, die Verwirrung und das Unglück zu beklagen, die aus solchem Werke hervorgehen mußten.

»Laßt's nur kommen, Herr,« versetzte Mac Gregor. »Ich habe nie gesehen, daß schlechtes Wetter sich ohne Regenschauer aufklärt; und wenn in der Welt das Unterste zu oberst gekehrt ist, haben ehrliche Leute die beste Gelegenheit, sich ein Stück Brot zu schneiden.«

Ich suchte wieder das Gespräch auf Diana zu bringen, aber so frei er sich über die meisten Dinge äußerte, die für mich nichts Erfreuliches hatten, beobachtete er doch über diesen Gegenstand allein, der für mich am anziehendsten war, eine gewisse Zurückhaltung, und begnügte sich, anzudeuten, daß die Lady, wenn ihn seine Hoffnung nicht trüge, bald in einem ruhigeren Lande leben werde, als Schottland für absehbare Zeit sein dürfte. Mit dieser Antwort mußte ich mich zufrieden geben, und mit der Hoffnung, daß der Zufall mich wieder, wie früher, begünstigen und mir wenigstens das traurige Vergnügen gestatten werde, einem Wesen Lebewohl zu sagen, das meine Neigung in einem höhern Grade besaß, als ich geglaubt hatte, ließ ich das Gespräch fallen.

Wir gingen ungefähr sechs englische Meilen weit am Rande des Sees auf einem wilden und reizvoll abwechselnden Pfade, bis wir einen hochländischen Meierhof erreichten, der an dem klaren Wasserspiegel lag und, wie ich glaube, Lediart hieß. Hier fanden wir auch einen ansehnlichen Haufen von Mac Gregors Leuten.

Wir stiegen am Ufer des Sees aufwärts, am Ufer eines rauschenden Baches entlang. Rechts blieben einige hochländische Hütten liegen, umgeben von Stücken urbaren Landes, das gleichsam aus den anliegenden Gebüschen ausgehauen war, und Gerste und Hafer trug. Von da ab ward der Hügel steiler, und auf seinem schroffen Lande trafen wir wieder auf ungefähr fünfzig Männer von Mac Gregors Gefolge. Sie standen auf einer Stelle, deren ich mich immer noch mit Bewunderung erinnere. Der Bach fand hier in seinem Lauf eine Felsenwand, über die er sich in zwei Fällen hinabstürzte. Der erste Fall, über den sich eine prächtige alte Eiche, aus dem jenseitigen Ufer hervorsprossend, wölbte, als ob sie die herniederschießenden dunklen Gewässer beschirmen wollte, mochte zwölf Fuß hoch sein. Der gebrochene Strom fiel in ein schönes Felsenbecken, fast so regelmäßig, wie mit dem Meißel gehauen, und stürzte, nachdem er sich auf dem steinigen Rande herumgedreht hatte, steil, wenigstens fünfzig Fuß tief, durch eine dunkle enge Schlucht, und eilte dann in ruhigerem Laufe dem See zu.

Hier hatten Robins Frau und Anhänger unser Frühstück bereitet, in der wohl berechneten Absicht, bei ihrem Gaste durch das erhabene Naturbild, das er ihrem Gaste bot, ein Gefühl von Ehrfurcht zu wecken. Die Hochländer sind von Natur ernst und stolz, und wie roh sie uns auch erscheinen mögen, so gehen sie doch in ihren Begriffen von Form und Höflichkeit so weit, daß man es für übertrieben hielte, wäre nicht der Ausdruck überlegener Kraft damit verbunden, und ihre gemessene Ehrerbietung und strenge Förmlichkeit, die bei einem gewöhnlichen Landmanne lächerlich erscheinen, gibt dem kriegerisch gerüsteten Hochländer eine stolze Würde. Daher war auch unser Empfang nicht ohne Feierlichkeit.

Die Hochländer, die auf der Höhe zerstreut gewesen waren, zogen sich bei unserer Annäherung zusammen, und standen bewegungslos in geschlossenen Gliedern hinter drei Gestalten, in denen ich bald Helene Mac Gregor und ihre beiden Söhne erkannte. Robin ordnete seine Begleiter, und wo die Anhöhe steil ward, bat er Jarvie abzusteigen, und führte uns langsam an der Spitze des Trupps hinauf. Als wir uns näherten, hörten wir die wilden Töne des Dudelsacks, die, mit dem Rauschen des Wasserfalls vermischt, ihren natürlichen Mißklang verloren. Mac Gregors Frau kam uns einige Schritte entgegen. Ihr Anzug war sorgfältig in weiblicherm Geschmack als am vorigen Tage geordnet, allein ihre Züge trugen denselben stolzen, unbeugsamen, entschlossenen Charakter, und als sie meinen Freund Jarvie mit einer unvermuteten, ihm sichtlich nicht eben willkommenen Umarmung begrüßte, verriet mir die Bewegung seiner Perücke, seines Rückens und seiner Beine, daß ihm ungefähr zu Mute war, wie einem, der sich plötzlich von einer Bärin ergriffen fühlt, ohne unterscheiden zu können, ob das Tier freundlich oder grimmig ist.

»Vetter,« sprach sie, »Ihn seid willkommen – und auch Ihr, Fremdling,« fügte sie, zu mir gewandt, hinzu und ließ meinen erschrockenen Gefährten los, der unwillkürlich zurücktrat und sich die Perücke zurecht setzte. – »Ihr seid auch willkommen. – Ihr kamt in unser unglückliches Land, als unser Blut heiß und unsre Hand locker war. Entschuldigt den rauhen Empfang und schreibt ihn der bösen Zeit zu, nicht uns.«

Alles dies sprach sie mit dem Benehmen einer Fürstin und mit Anmut, Geläufigkeit und Nachdruck. Sie lud uns zu einer Erfrischung ein, die auf dem Rasen zubereitet wurde, und das Beste bot, was ihre Berge liefern konnten; allein der Genuß wurde gestört und getrübt durch den finstern, unwandelbaren Ernst, der auf ihrer Stirn ruhte, und durch unsre bangen Erinnerungen an die Ereignisse des verwichenen Tages. Vergebens suchte der Häuptling uns fröhlicher zu stimmen. Ein Schauder erfüllte unsre Gemüter, als ob wir bei einem Leichenmahle gewesen wären, und jede Brust fühlte sich erleichtert, als es zu Ende war.

»Lebt wohl, Vetter!« sprach sie zu Jarvie, indem wir aufstanden. »Der beste Wunsch, den Helene Mac Gregor einem Freunde geben kann, ist, daß er sie nie wiedersehen möge.«

Der Stadtvogt suchte eine Antwort hervorzubringen, vermutlich mit irgend einem moralischen Gemeinspruch verbrämt; allein der ruhige, traurige Ernst ihres Gesichts brachte den Beamten mit seiner förmlichen Wichtigkeit ganz aus der Fassung. Er hustete, räusperte, bückte sich und – schwieg.

»Für Euch, Fremdling,« sprach sie zu mir, »hab ich ein Andenken von einer Person, die Ihr –«

»Helene!« fiel Mac Gregor mit lauter und ernster Stimme ein, »was soll das heißen? Hast Du den Befehl vergessen?«

»Mac Gregor,« erwiderte sie, »ich habe nichts vergessen. Hände wie diese,« fuhr sie fort, und streckte ihre langen, nervigen, nackten Arme aus, »passen nicht zur Uebermittelung von Liebeszeichen, sie müßten denn mit Jammer verbunden sein. – Jüngling,« sprach sie, mir einen Ring reichend, den ich als einen der wenigen Zieraten erkannte, die Diana zuweilen trug, »dies kommt von einer Person, die Ihr nie wiedersehen werdet. Ist es ein freudloses Andenken, so paßt es gut dazu, durch die Hände einer Frau zu gehen, die Freude nie mehr kennen wird. Ihre letzten Worte waren: Er mag mich für immer vergessen.«

»Und kann sie dies für möglich halten?« sprach ich, kaum meiner Worte mir bewußt.

»Alles kann vergessen werden,« versetzte die seltsame Frau, »alles – bloß nicht Schande und Rache.«

»Aufgespielt!« rief Mac Gregor, stampfend vor Ungeduld. Die Sackpfeifen ertönten, und ihre trillernden, schnarrenden Klänge machten der Unterhaltung ein Ende. Wir nahmen mit stummen Gebärden von unserer Wirtin Abschied, und ich entfernte mich mit einem neuen Beweise, daß Diana mich liebte, und auf immer von mir getrennt war.

Sechzehntes Kapitel

Unser Weg führte durch eine wüste, aber trotz allem romantische Gegend, die ich aber in dem Kummer meiner Seele nicht genauer betrachten konnte. Der hohe Gipfel des Ben Lomond, hier der hervorragende Herrscher der Gebirge, lag uns zur Rechten und diente zum auffallenden Grenzzeichen. Ich ward nicht eher aus meiner Unempfindlichkeit gegen alles Aeußere erweckt, bis wir nach einer langen, beschwerlichen Wanderung aus einer Bergschlucht traten und der Loch Lomond vor uns lag. Ich will nicht zu beschreiben versuchen, was sich kaum vorstellen läßt, ohne es gesehen zu haben. In der Tat bildet dieser herrliche See mit seinen zahllosen lieblichen Eilanden eine der überraschendsten, schönsten und erhabensten Szenerien. Das östliche, besonders rauhe und wilde Uferland war zu jener Zeit Hauptsitz des Clans Mac Gregor, und zwischen Loch Lomond und einem andern See lag eine kleine Garnison, deren Aufgabe es war, den kühnen Häuptling in Schach zu halten. Das Land war aber von Natur so befestigt, hatte so zahlreiche Engpässe, Moräste, Höhlen und andre Unterschlupfe und Bollwerke, daß das kleine Fort, in welchem die Garnison lag, kaum als Ort gelten konnte, der vor Gefahren schützt. Bei mehr als einer Gelegenheit hatte auch die Besatzung den verwegenen Mut Robins des Roten und seiner Anhänger empfunden.

Unter einem hohen Felsen in einer Bucht erwartete uns ein Boot, das mit vier muntern hochländischen Ruderern bemannt war, und unser Wirt nahm mit Herzlichkeit von uns Abschied. Wir stießen vom Ufer ab und steuerten nach der südwestlichen Ecke des Sees, wo der Fluß Leven austritt. Robin blieb noch einige Zeit am Ufer stehen, kenntlich noch in weiter Ferne an seinem langen Gewehr, an dem wehenden bunten Gewand und an der einzelnen Feder auf der Mütze, wodurch in jenen Zeiten der hochländische Krieger sich auszeichnete. Endlich sahen wir ihn langsam den Berg hinanschreiten, begleitet von den Männern, die seine Leibwache bildeten.

Wir setzten unsre Fahrt lange fort unter Schweigen, das nur durch das gälische Lied unterbrochen wurde, das einer von den Ruderern in leisen, unregelmäßigen Rhythmen sang und dann in einen wilden Chor überging, in den die andern einfielen.

So traurig ich gestimmt war, so gewährte mir der Anblick der prächtigen Landschaft, die uns umgab, doch einige Linderung, und in der Schwärmerei des Augenblicks kam mir der Einfall, daß es sich für einen Katholiken auf einem der anmutigen Eilande, zwischen denen unser Boot dahinglitt, als Einsiedler herrlich leben und sterben ließe.

Der Stadtvogt hing auch seinen Betrachtungen nach, die aber von den meinigen recht verschieden waren, denn nach einem langen Stillschweigen, das er benützt hatte, um allerhand Berechnungen anzustellen, versuchte er den Beweis zu liefern, daß es möglich sei, den See auszutrocknen, und für Pflug und Egge viele hundert, ja viele tausend Morgen Landes zu gewinnen.

Endlich näherten wir uns dem Landungsplatze, nicht weit von den Trümmern einer alten Feste, wo der See in den Leven abfließt. Hier trafen wir Dougal mit den Pferden.

Ich drückte dem wackern Bergschotten ein paar Goldfüchse in die Hand, die ihn zu wahren Bockssprüngen der Freude bestimmten; und während er sich hierauf wieder in die Berge schlug, bestiegen wir unsre Pferde und ritten die Straße nach Glasgow. Als wir den See mit seinem prächtigen Amphitheater von Bergen aus dem Gesichte verloren, konnte ich nicht unterlassen, mit Begeisterung von dessen Naturschönheiten zu sprechen, obwohl ich wußte, bei Jarvie keinerlei Verständnis dafür zu finden.

»Ihr seid ein junger Mann und ein Engländer,« erwiderte er; »und damit erklären sich wohl solche Anschauungen; aber ich bin ein schlichter Mann, der bloß für den Nutzwert der Ländereien Verständnis hat, und gebe gern die schönste Aussicht, die wir im Hochlande gesehen haben, für den ersten Blick der Dächer von Glasgow. Bin ich erst einmal wieder dort, dann will ich nicht um jedes Narren willen – nichts für ungut, Herr Franz – der Stadt wieder den Rücken drehen.«

Der wackre Mann sah diesen Wunsch rasch erfüllt, denn ein Dauerritt, den Tag und die Nacht hindurch, brachte uns am andern Morgen vor sein Haus. Nachdem ich meinen wackern Reisegefährten der Obhut seiner bedachtsamen und dienstfertigen Mathilde überliefert hatte, begab ich mich nach meinem Wirtshaus, wo ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde noch Licht antraf. Die Tür ging auf, und kein andrer als Andreas, der Gärtner, war es, der beim ersten Klang meiner Stimme vor Freude schrie und, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe hinauf nach dem Zimmer im zweiten Stock lief, aus dessen Fenstern das Licht schimmerte. In der Erwartung, daß er meine Ankunft dem bekümmerten Owen melden wollte, folgte ich ihm auf dem Fuße. Owen war nicht allein – es war noch ein andrer im Zimmer – mein Vater.

In der ersten Minute versuchte er, seine gewöhnliche Würde zu behaupten. »Franz, es freut mich, Dich zu sehen.« – In der nächsten Minute aber lag er in meinen Armen und rief: »Mein lieber, lieber Sohn!« Owen umfaßte meine Hände, die er mit Tränen benetzte, während er mir zu meiner Rückkehr Glück wünschte.

Nachdem die erste Aufwallung der Freude vorüber war, erfuhr ich, daß mein Vater kurz nachher, als sich Owen auf den Weg nach Schottland gemacht hatte, aus Holland zurückgekehrt war. Entschlossen und rasch in allen seinen Bewegungen, verweilte er nur, die Mittel zur Erfüllung aller Verbindlichkeiten herbeizuschaffen, die sein Kaufhaus zu erfüllen hatte. Mit seinen reichen Hilfsmitteln und, da es ihm gelungen war, in den Niederlanden alle Geschäfte gut abzuwickeln, gestärkt an Kapital und Kredit, gelang es ihm leicht, Verhältnisse, die vielleicht nur seine Abwesenheit geschaffen oder erschwert hatte, zu ordnen, und sobald ihm dies gelungen war, reiste er auf der Stelle nach Schottland, um Rashleigh zur Rechenschaft zu ziehen und zugleich seine Angelegenheiten auch dort wieder in Ordnung zu bringen. Seine Ankunft unter solchen Umständen war ein Donnerschlag für Mac Vittie und Compagnie, die geglaubt hatten, sein Stern sei für immer untergegangen. Aufs äußerste aufgebracht über die Behandlung, die sein Geschäftsführer Owen erfahren hatte, wies mein Vater alle Entschuldigungen und gütlichen Vergleiche zurück, berichtigte die laufende Rechnung und erklärte dann dem schottischen Handelshause, daß hiermit zwischen ihnen und ihm aller geschäftlicher Verkehr als aufgehoben anzusehen sei. Unterdes war er meinetwegen nicht wenig in Sorgen. Owen hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Reise von fünfzig bis sechzig Meilen, von London aus in jeder Richtung schon damals ein Kinderspiel, mit solchen Gefahren verbunden sein könnte. Aber mein Vater kannte das Land und die gesetzlosen Bewohner besser, und so stiegen die Besorgnisse der beiden wackern Männer zur Angst, als wenige Stunden vor meiner Ankunft Andreas erschien, und eine übertriebene Schilderung der bedenklichen Lage gab, in der er mich zurückgelassen hatte.

Owen wäre, wenn er allein gewesen und von niemand beraten worden wäre, ganz ohne Frage in die hellste Verzweiflung geraten über all das Schlimme, das er über mein Schicksal aus dem Munde des Gärtners vernahm; aber mein Vater, bei seiner Menschenkenntnis, war besser im stande, die Sinnesart des Erzählers zu durchschauen und den wahren Verlauf seiner Nachrichten zu würdigen. Immerhin waren sie beunruhigend genug, auch wenn ein gewisses Maß von Uebertreibung dabei obwaltete. Und so faßte mein Vater ohne weiteres den Entschluß, sich selbst auf den Weg zu machen, um meine Freilassung durch ein Lösegeld oder im Wege der Unterhandlung zu bewirken, und war mit Owen noch in später Nachtstunde mit der Durchsicht von Briefen und Erledigung andrer Geschäfte beschäftigt, die während seiner Abwesenheit vollendet werden sollten. So traf es sich, daß ich sie noch munter fand.

Es war spät, als wir auseinandergingen. Viel zu ungeduldig, mich langer Ruhe hinzugeben, stand ich beizeiten wieder auf. Andreas meldete sich pflichtgemäß zu seinem Dienst, und an Stelle der Vogelscheuche, zu der die Hochländer ihn gemacht hatten, zeigte er sich jetzt in tiefer Trauerkleidung. Nach verschiedenen Fragen, die der Schelm erst gar nicht verstehen wollte, brachte er endlich heraus, daß er gemeint habe, um meinetwillen Trauer anlegen zu sollen, und da der Trödler, in dessen Bude er sich ausgestattet, den Anzug nicht habe wiedernehmen wollen, und er doch in meinen Diensten um seine Kleider gekommen sei, so rechne er darauf, daß sowohl ich als mein Vater, zumal ihm ja Gottes Segen in so reichem Maße zuteil geworden sei, nicht leiden würden, daß ein so armer Bursche wie er, besonders ein alter und treuer Diener des Hauses, solchen Verlust aus eigner Tasche trüge. Da seine Beschwerde insoweit begründet war, als ihn sein Verlust tatsächlich in meinen Diensten getroffen hatte, so gelang ihm seine List, und er kam zu einem guten Anzug.

Sobald mein Vater aufgestanden, besuchte er den Stadtvogt. Mit wenigen, aber männlichen und kräftigen Worten dankte er ihm, tief ergriffen über alle Güte, die er ihm und mir erwiesen hatte, und bot ihm, nachdem er ihn über die Ordnung seiner Angelegenheiten genügend Aufklärung gegeben, unter sehr vorteilhaften Bedingungen den Anteil an seiner Firma an, den bisher Mac Vittie besessen hatte. Jarvie gratulierte meinem Vater und Owen herzlich zu dem Umschwung der Verhältnisse, meinte, wenn er auch nicht leugnen wolle, sein Bestes getan zu haben, doch schließlich über seine Pflicht nicht hinausgegangen zu sein, und erklärte, sich zu der Erweiterung der geschäftlichen Beziehungen gern zu verstehen; hätten Mac Vitties sich als wackre Leute erwiesen, so wäre er ihnen nicht gern ins Gehege gekommen; so aber müßten sie den Schaden hinnehmen, den sie sich selbst gestiftet hätten.

Jarvie zog mich darauf in eine Ecke, und nach nochmaligem herzlichen Glückwunsche fügte er, nicht ohne Verlegenheit, hinzu: »Ich möchte gern, Herr Franz, daß von den seltsamen Dingen, die wir im Hochlande erlebten, so wenig als möglich gesprochen werde. Und wird man nicht gerichtlich zu einer Aussage über den schrecklichen Vorfall mit Morris genötigt, möchte es kaum gut sein, darüber viel verlauten zu lassen; und daß es im Ratskollegium nicht gerade als rühmlich gelten möchte, daß einer aus ihrer Mitte mit Hochländern gefochten und ihnen ein Plaid angesengt hat, brauche ich wohl auch nicht erst zu sagen; noch weniger, daß einer von ihnen ohne Hut und Perücke am Strauche gehangen hat.«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Der gutmütige Mann wurde verlegen, lächelte aber gleichfalls, indem er mit Kopfschütteln sagte: »Ich sehe, wie's steht – ich sehe, wie's steht. Aber redet nicht davon, und sagts auch Eurem geschwätzigen und eingebildeten Diener, daß er den Mund zu halten habe. Ich möchte nicht einmal, daß die Mathilde was davon erführe. Das Gerede darüber nähme sicher kein Ende.«

Wir verlebten noch einen Tag im gastfreien Hause des Glasgower Stadtvogts. Dann nahmen wir von ihm Abschied. Da er in dieser Erzählung nicht mehr auftreten wird, sei noch kurz bemerkt, daß er in Wohlstand und Ehre sein Leben weiterführte und noch zu den höchsten Würden in seiner Vaterstadt aufgestiegen ist. Nach ungefähr zwei Jahren wurde er des Junggesellenlebens überdrüssig und erhob die sorgsame Mathilde von ihrem Platz am Küchenfeuer auf den ersten Rang an seiner Tafel, als ehrsame Frau Jarvie.

Siebzehntes Kapitel

An dem Morgen, an welchem wir Glasgow verlassen wollten, stürzte Andreas wie ein Wahnsinniger in meine Stube, tanzte herum, hüpfte hin und her und sang und schrie, daß mir die Ohren gellten. Endlich gelang es mir, ihn zum Schweigen zu bringen und zu sagen, was vorgefallen sei. Die Hochländer hätten losgeschlagen, und Robin der Rote würde mit seiner hosenlosen Bande in 24 Stunden in Glasgow sein.

»Schweigt!« rief ich, »Ihr Tropf! Ihr müßt betrunken oder toll sein.«

»Betrunken oder toll?« versetzte Andreas keck. »Wenn man mal was sagt, was vornehme Leute nicht hören mögen, dann heißts gleich, man sei toll oder habe was im Kopfe!«

Ich stand schnell auf und fand meinen Vater und Owen gleichfalls auf den Füßen und in großer Unruhe.

Die Kunde meines Dieners erwies sich nur allzu wahr. Der große Aufstand, der Großbritannien im Jahre 1715 erschütterte, war bereits ausgebrochen. Der unglückliche Graf von Mar hatte in einer schlimmen Stunde die Fahne der Stuarts erhoben, um über viele angesehene Geschlechter in Schottland und England Jammer und Elend zu bringen. Verrat war im Werke gewesen, ihm hatte mein Vetter Rashleigh nicht fern gestanden, und so hatten Georgs des Ersten Räte rechtzeitig Wink von den Dingen bekommen, die im Werke waren, und ihre Gegenmaßregeln treffen können. Dadurch waren die Empörer genötigt worden, früher loszuschlagen, als sie willens waren, früher als alle Vorbereitungen getroffen waren.

Wir berieten uns über die Maßregeln, die uns diese bedenkliche Lage aufnötigte, und stimmten meinem Vater bei, uns sogleich Pässe zu verschaffen und gerades Weges nach London zu reisen. Ich äußerte den Wunsch, in einem der freiwilligen Heerhaufen, die bereits gebildet wurden, dem Staate meine Dienste anzubieten. Mein Vater sagte ohne weiteres Ja hierzu; denn wenn er auch den Krieg als ein Gewerbe mißbilligte, so wäre doch niemand schneller bereit gewesen, sein Leben zur Verteidigung der bürgerlichen und religiösen Freiheit in die Schanze zu schlagen, als er. Wir reisten schnell durch Dumfriesshire und die angrenzenden Grafschaften von England. In der ganzen Gegend waren die Torys bereits in Bewegung, Soldaten und Pferde musternd, wahrend die Whigs sich in den Hauptstädten versammelten, die Einwohner bewaffneten und sich zum Bürgerkriege vorbereiteten. Oft waren wir in Gefahr, angehalten zu werden, und genötigt, Umwege zu machen, um den zusammengezogenen Truppen auszuweichen.

Nach unsrer Ankunft in London schlossen wir sogleich mit Privatbanken und angesehenen Kaufleuten ein Abkommen, die Regierung zu unterstützen und dem Andrang auf die königl. Bank ein Paroli zu bieten, worauf die Verschworenen es hauptsächlich angelegt hatten, in der Hoffnung, einen Staatsbankerott herbeizuführen. Es gelang schnell, Käufer für eine Anzahl von Staatspapieren zu finden, die beim Ausbruche des Aufstandes einen jähen Sturz erlitten hatten. Ich war auch nicht müßig, sondern warb auf meines Vaters Kosten gegen zweihundert Mann, mit denen ich zu General Charpenters Armee stieß.

Unterdessen hatte sich der Aufstand in England verbreitet. Der unglückliche Graf von Darwentwater ergriff die Waffen, mit dem General Foster. Mein armer Oheim, dessen Vermögen durch seine eigne Sorglosigkeit und die Verschwendung seiner Söhne und seines Haushalts fast bis auf nichts herabgekommen war, ließ sich leicht bewegen, der unglücklichen Fahne zu folgen. Ehe er aber diesen Schritt tat, traf er eine Vorsichtsmaßregel, die man ihm nicht zugetraut haben würde – er machte sein Testament!

Nach dessen Wortlaut sollten seine Besitzungen auf seine Söhne, von einem zum andern, und auf ihre männlichen Nachkommen forterben, bis auf Rashleigh, gegen den er zufolge seiner Abtrünnigkeit einen maßlosen Haß hegte: er fertigte ihn mit einem Schilling ab und setzte mich zum nächsten Erben nach seinen Söhnen ein. Gerne hatte mich der alte Herr ja immer gehabt, immerhin ist es nicht unwahrscheinlich, daß er, im Vertrauen auf die Zahl und Körperkraft seiner jugendlichen Söhne, die mit ihm unter die Waffen traten, diese letzte Verfügung für ein totes Wort gehalten hat, vorzüglich darum hinzugefügt, um sowohl öffentlich als privatim seinen Unwillen über Rashleighs Verräterei auszudrücken. Auch vermachte er der Nichte seiner verstorbenen Gemahlin, Diana Vernon, jetzt Lady Diana Vernon Beauchamp, einige Diamanten, die ihrer Tante gehört hatten, und ein großes silbernes Becken, worauf die verschränkten Wappen der Familien Vernon und Osbaldistone eingegraben waren.

Dem Ratschlusse des Himmels gemäß sollte aber sein zahlreicher und rüstiger Stamm schneller untergehen, als er höchstwahrscheinlich vermuten konnte. Bei der ersten Musterung der Verschworenen zu Green Rigg geriet Thorncliff mit einem Edelmann aus Northumberland, der eben so heftig und starrsinnig war als er, über den Vorrang in Streit. Ungeachtet aller Vorstellungen gaben sie ihrem Kommandanten eine Probe, inwieweit er sich auf ihre Manneszucht verlassen konnte; sie fochten ihren Streit mit dem Schwert aus, und mein Vetter blieb auf dem Platze. Sein Tod war ein empfindlicher Verlust für Ritter Hildebrand, da Thorncliff, trotz seiner rohen Gemütsart, ein Paar Gran Verstand mehr hatte, als die übrigen Brüder zusammen, ausgenommen natürlich Rashleigh.

Percival, der Trunkenbold, starb gleichfalls in seinem Beruf. Er ging, als Jakob der Dritte von den Insurgenten zum König ausgerufen wurde, mit einem andern Edelmann eine Wette ein, wer den größten Becher voll starken Branntweins austrinken könnte. Die Aufgabe ging ins Ungeheure. Ich habe das eigentliche Maß, um welches es sich dabei gehandelt hat, vergessen; allein Percival fiel infolge dieser sinnlosen Wette in ein starkes Fieber, und unter dem fortwährenden Rufe: »Wasser! Wasser!« starb er nach drei Tagen.

Richard brach an der Warrington-Brücke den Hals als er mit einem abgerittenen Pferde, das er einem zu den Insurgenten übergetretenen Kaufmann aus Manchester aufschwatzen wollte, über einen Zaun zu setzen versuchte. Das Tier stürzte, und der unglückliche Jockey kam dabei um.

Wilfred, der Narr, hatte, wie es sich zuweilen bei seinesgleichen zuträgt, das meiste Glück in der Familie. Er fiel in der Schlacht bei Preston, in der er mit großer Tapferkeit focht, obwohl er nie recht begriffen haben soll, weshalb gekämpft wurde, und sich nicht immer besinnen konnte, auf welches Königs Seite er die Waffen führte. Auch Johann hielt sich in derselben Schlacht tapfer, war aber nicht so glücklich, auf dem Walplatz zu sterben, sondern wurde nur schwer verwundet.

Der alte Hildebrand, dem diese so schnell aufeinander folgenden Unglücksfälle das Herz gebrochen hatten, geriet, als seine Partei sich nach dem Verluste der Schlacht ergeben mußte, in Gefangenschaft und wurde mit seinem Sohne Johann nach Newgate gebracht. Meines Vaters Einfluß und die allgemeine Teilnahme, die ein Vater erregte, der in so kurzer Zeit so viele Söhne verlor, hätte wohl meinem Oheim und meinem Vetter die Anklage des Hochverrats erspart oder zum wenigsten stark gemildert; aber ihr Urteil wurde von einem höhern Richterstuhle gefällt. Johann starb im Gefängnisse an seinen Wunden. Mein armer Oheim war tief gebeugt durch das Unglück, das ihn betroffen hatte, konnte sich unmöglich darin finden, daß alles um ihn her zusammenstürzte und daß, er, statt auf seinem schönen Herrensitze, in einer elenden Gefängniszelle hausen mußte. Er starb nach einigen Wochen im eigentlichen Sinne des Wortes am gebrochenen Herzen.

Merkwürdig war mir nun, daß mein Vater, nachdem er seinem Bruder die letzten Pflichten erwiesen, plötzlich den lebhaften Wunsch hegte, daß ich dem Testament gemäß handeln und das Erbe meines Oheims antreten solle. Es kam mir so vor, als sei in dem Kaufherrn der alte Stolz auf sein edles Geschlecht nicht völlig ausgerodet gewesen, als hätte er bisher nur, gleich dem Fuchs in der Fabel, verachtet, was er nicht erreichen konnte. Uebrigens sprach hierbei wesentlich wohl seine heftige Abneigung gegen Rashleigh mit, der laut drohte, seines Vaters Verfügung angreifen zu wollen; denn er sei von seinem Vater ungerechterweise enterbt worden, aber das Testament seines Bruders habe die Kränkung, wenn auch nicht das Unrecht vergütet, und den Ueberrest des Stammguts dem rechtmäßigen Erben hinterlassen. Dieses brüderliche Vermächtnis gedenke er auch zu behaupten. Rashleigh war indes als Gegner nicht gering zu schätzen, denn was er der englischen Regierung über den im Werke befindlichen Aufstand verraten hatte, war so rechtzeitig und schnell gekommen und so listig und ausführlich gewesen, daß es ihm bei den Ministern viele Gönner erworben hatte. Deshalb befolgte mein Vater den Rat seines Rechtsbeistandes, eine Anzahl von Hypotheken, die auf dem Schlosse Osbaldistone lasteten, aufzukaufen, und auf mich überschreiben zu lassen. Mit den Urkunden ausgestattet, beauftragte er mich, nach dem Schlosse Osbaldistone zu reisen und es als Erbe und Vertreter der Familie in Besitz zu nehmen. Von dem Richter Inglewood sollte ich die Urschrift des Testaments erhalten, das mein Oheim gemacht hatte, und zur Sicherung meiner Rechte alle die Maßregeln ergreifen, die mir den Vorteil des »beatug possidens« sicherten.

In jeder andern Zeit hätte eine solche Veränderung meiner Lage mir aufrichtige Freude bereitet; jetzt aber konnte Schloß Osbaldistone mir nur schmerzliche Erinnerungen wecken. Indes glaubte ich, nur in dieser Gegend Nachrichten von Dianas Schicksal erhalten zu können. Ich hatte allen Grund zu fürchten, daß es ganz anders sich gestaltet haben möge, als es meinen Wünschen nach hätte sein sollen. Ich konnte nichts über sie erfahren. Vergebens bemühte ich mich, das Vertrauen einiger entfernten Verwandten zu gewinnen, die sich unter den Gefangenen in Newgate befanden. Ein Stolz, den ich nicht verdammen konnte, und ein natürlicher Argwohn gegen den Whig, Franz Osbaldistone, den Vetter des zweifachen Verräters Rashleigh, verschlossen jedes Herz und jeden Mund, und ich erhielt nur kalten, erzwungenen Dank für die Wohltaten, die ich ihnen erweisen konnte. Nach und nach minderte sich auch ihre Zahl; gruppenweis wurden sie nacheinander zum Tode geführt, und die, denen das Gesetz noch Frist gönnte, verloren alles Interesse an der Menschheit und am Leben, weil sie wußten, daß auch sie an die Reihe kämen.

Ich war daher froh, London und Newgate den Rücken wenden und die freie Luft von Northumberland atmen zu können. Andreas war in meinem Dienste geblieben; vorderhand konnte mir seine Ortskenntnis von Schloß und Gegend nützen. Wir legten die Reise ohne Abenteuer zurück und fanden das Land, in welchem vor kurzem wilder Aufruhr getobt hatte, jetzt in Frieden und Ordnung. Je näher wir dem Schlosse Osbaldistone kamen, desto enger schnürte sich mir das Herz zusammen bei dem Gedanken, den Fuß in diese verödete Wohnung setzen zu sollen; und um den gefürchteten Augenblick hinauszuschieben, beschloß ich, zuerst den Richter Inglewood aufzusuchen. Das erste, was mir der wackre Mann mitteilte, war, daß er seinen Schreiber Jobson los sei, der als Gehilfe eines Friedensrichters jetzt seinen Eifer für König Georg und die protestantische Erbfolge betätigte.

Richter Inglewood empfing mich sehr freundlich und händigte mir bereitwillig meines Oheims Testament aus, an dem kein Fehler zu bemerken war. Anfangs in sichtlicher Verlegenheit mir gegenüber, taute er langsam auf, und so hatten wir bereits einige Humpen geleert, als er mich plötzlich aufforderte, einen vollen Becher einzuschenken auf das Wohl der guten, lieben Diana Vernon, der »Rose in der Wildnis«, der »Glockenblume von den Sheviot-Burgen«, die in ein verwünschtes Kloster verpflanzt werde.

»Ist denn Fräulein Vernon nicht verheiratet?« rief ich im höchsten Erstaunen. »Ich glaubte, Seine Exzellenz –«

»Pah! Pah! Seine Exzellenz und Seine Herrlichkeit ist alles Schnickschnack jetzt, wißt Ihr – leere Titel von St. Germain. Graf von Beauchamp! Botschafter von Frankreich! – weiß doch der Herzog-Regent von Orleans kaum, daß solch ein Monsieur lebt. Aber Ihr müßt doch den alten Sir Friedrich Vernon im Schlosse gesehen haben, wo er die Rolle des Pater Vaughan spielte!«

»Gerechter Himmel! Also war Vaughan ihr Vater?«

»Ja freilich,« erwiderte der Richter gleichgültig. »Es ist jetzt ohne Nutzen, das Geheimnis zu bewahren, denn er muß nun aus dem Lande sein, – sonst wärs freilich meine Pflicht, ihn gefangen zu nehmen. – Kommt, leert Euer Glas aufs Wohl meiner lieben, verlorenen Diana!«

»Ich war, wie sich denken läßt, nicht aufgelegt, in des Richters Fröhlichkeit einzustimmen. Der Kopf schwindelte mir. »Ich habe nie gehört, daß ihr Vater noch lebe,« sagte ich.

»An unsrer Regierung hats nicht gelegen, daß er noch lebt,« erwiderte Inglewood; »denn es hätte wohl nicht so leicht ein andrer Kopf so viel eingebracht, wie der seinige. Zu König Wilhelms Zeit wegen seiner Teilnahme an einer Verschwörung zum Tode verurteilt, hatte er sich in Schottland mit einer aus dem Hause Breadalbane verheiratet und besaß daher großen Einfluß bei allen Häuptlingen. Wie es heißt, hat er bei dem Frieden zu Ryswick ausgeliefert werden sollen, allein er rettete sich durch List, und sein jäher Tod wurde in den französischen Blättern öffentlich bekannt gemacht. Als er hierher zurückkam, kannten wir alten Leute ihn recht gut, – das will sagen, ich kannte ihn wohl; da aber keine Anzeige gegen ihn einkam, und mein Gedächtnis durch öftere Gichtanfälle litt, hätte ich doch nicht darauf schwören mögen.« Im Schlosse kannte ihn nur seine Tochter, der alte Ritter und Raghleigh, der hinter das Geheimnis gekommen war, wie er hinter alles kam, und es der armen Diana wie eine Schnur um den Nacken hielt. Ich habe ihr hundertmal angesehen, daß sie ihm ins Gesicht gespieen hätte, wäre es ihr nicht um den Vater gegangen, dessen Leben an einem Faden hing.«

Sir Friedrich Vernon, oder wie er unter den Jakobiten hieß, Seine Exzellenz Viscount Beauchamp, war mit seiner Tochter nicht ohne Schwierigkeit den Folgen von Rashleighs Verrat entgangen. Da man aber nicht vernommen hatte, daß Vernon in der Gewalt der Regierung sei, zweifelte er nicht daran, daß ihm die Flucht ins Ausland geglückt sei, wo seine Tochter, nach der bittern Uebereinkunft mit seinem Schwager, da sie keinen Osbaldistone heiraten wollte, ins Kloster werde gehen müssen.

Ich kann nicht sagen, – so groß ist der Eigensinn des menschlichen Herzens, – ob diese Nachricht mir Freude oder Kummer gewährte. Es schien mir, als ob mein Schmerz über Dianas Verlust stärker als schwächer wäre, seitdem ich wußte, daß sie nicht durch Verheiratung mit einem andern, sondern durch die Mauern eines Klosters auf ewig von mir getrennt war. Ich wurde trübsinnig, niedergeschlagen, zerstreut und unfähig, das Gespräch mit dem Richter fortzusetzen, der auf seiner Seite zu gähnen anfing und vorschlug, bald zur Ruhe zu gehen. Ich nahm von ihm Abschied, mit dem Entschlusse, am folgenden Morgen nach dem Schlosse hinüberzureiten.

Inglewood billigte meinen Vorsatz. Es werde gut sein, meinte er, wenn ich mich dort zeigte, bevor meine Ankunft in der Gegend bekannt geworden sei, umsomehr, da Rashleigh, wie er vernehme, in Jobsons Hause sich aufhalte, ohne Zweifel, um Unheil zu stiften. »Sie passen gut zu einander,« fügte er hinzu, »da Herr Rashleigh alles Recht verloren hat, sich unter ehrenwerte Männer zu mischen; aber unmöglich können zwei solche verdammte Schelme freundlich zusammentun, wenn nicht zum Schaden ehrlicher Leute.«

Achtzehntes Kapitel

Auf meinem Wege nach dem Schlosse traf ich dieselben Gegenstände, die ich an Dianas Seite auf ihrem mir unvergeßlichen Ritte von Inglewoods Wohnung gesehen hatte. Ihr Geist schien mich zu begleiten, und als ich an die Stelle kam, wo ich sie zum ersten Male erblickte, war es mir, als hörte ich Hundegebell und Jagdhornklänge, und ich starrte in den leeren Raum hin, als hätte es mich verlangt, die schöne Jägerin, gleich einer überirdischen Erscheinung, wieder vom Hügel herab kommen zu sehen. Aber alles war still und einsam. Als ich ins Schloß trat, frappierte mich der Gegensatz zwischen den geschlossenen Toren und Fenstern, den mit Gras überwachsenen Steinen, den öden Höfen und zwischen dem fröhlichen Leben und Treiben, das ich ehedem hier so oft mit angesehen hatte, wenn die muntern Jäger des Morgens auszogen oder abends heimkehrten, auf das lebhafteste, und der Gedanke, daß ich als Herr und Eigentümer hierher zurückkehrte, an diese Stätte, die ich als Flüchtling verlassen hatte, gewährte mir nur geringen Trost. Während ich meinen Gedanken nachhing, bemühte sich mein Begleiter, Andreas, den ganz andre Gefühle beherrschten, an alle Pforten zu donnern, und begehrte als Leibknappe des neuen Burgherrn Einlaß in einem Tone, der keinen Zweifel über die wichtige Meinung ließ, die er von sich hatte. Endlich zeigte sich Anton Syddall, meines Oheims alter Kellner und Haushofmeister, furchtsam und ungern an einem wohlvergitterten Fenster, und fragte, was wir begehrten.

»Wir kommen, Euch Euer Amt abzunehmen, alter Freund!« sprach Andreas. »Ihr könnt sogleich die Schlüssel herausgeben. Ihr habt nun ausgedient, Herr Syddall; aber jedes Ding hält eben auf Erden seine Zeit, und Ihr könnt ganz gut nun auch mal unten am Tische sitzen, wie seitdem Andreas.«

Ich setzte nun Syddall die neuen Verhältnisse auseinander, aber der alte Mann tat sehr bekümmert und war offenbar nicht willens, mich ins Schloß zu lassen, obwohl er sich demütig und unterwürfig verhielt. Ich hatte Nachsicht mit ihm, bestand aber auf meinem Verlangen.

»Wir kommen vom Richter Inglewood,« sprach Andreas, in der Absicht, meinem Verlangen mehr Nachdruck zu geben. »Wir haben jetzt Recht und Gesetz im Lande, Herr Syddall, und Eure Rebellen und Papisten können jetzt nicht mehr bloß tun und lassen, was ihnen beliebt.«

Diese Drohung erschreckte den Greis, der wohl wußte, daß er wegen seines Glaubens und wegen seiner Anhänglichkeit an den Ritter Hildebrand und seine Söhne nicht gut angeschrieben stand. Zitternd vor Furcht, öffnete er eine Nebenpforte, die mit vielen Riegeln und Stangen versehen war.

»Wo soll ich heizen, gnädiger Herr?« fragte er, mir demütig durch den Gang folgend. »Ich fürchte, es wird Euch recht traurig und öde im Schlosse vorkommen. Aber Ihr reitet vielleicht zum Mittagessen wieder zu dem Richter?«

»Macht Feuer im Büchersaal,« erwiderte ich.

»Im Büchersaal?« antwortete der alte Mann. »Dort hat die ganze Zeit niemand gesessen, und es raucht drin, denn die Dohlen haben im Frühjahr ihre Nester im Kamine gebaut, und junge Burschen, die sie hätten herabstoßen können, hatten wir nicht im Schlosse.«

Wie es schien, führte uns der Kellermeister ungern nach dem Büchersaal, und wider alle Erwartung sah es hier wohnlicher aus als sonst. Auf dem Rost brannte helles Feuer, das sich zu den Worten des Alten von Rauch und Dohlen im Kamine gar nicht recht vertrug. Er griff nach der Ofengabel, scheinbar in der Absicht zu schüren, wohl aber mehr, um seine Verlegenheit zu verbergen, und sagte, es wundre ihn, daß es jetzt so gut brenne, da es doch am Morgen tüchtig geraucht habe. Ich wollte allein sein, um mich von den ersten schmerzlichen Gefühlen zu erholen, die alles, was mich umgab, in mir hervorrief, und bat Syddall, den Renteneinnehmer, der in einiger Entfernung vom Schlosse wohnte, zu sagen, daß es mir lieb sei, wenn er im Laufe des Tages einmal vorspräche. Er entfernte sich sichtlich ungern. Dann hieß ich Andreas, sich nach ein paar starken Gesellen umzusehen, auf die er sich verlassen könne, denn weit und breit in der Gegend wohnten nur Katholiken, und Rashleigh, dem man eine verwegene Handlung wohl zutrauen konnte, hielt sich auch in der Nähe auf. Andreas übernahm den Auftrag mit großer Freude und versicherte, ein paar echte Presbyterianer zu bringen, die es mit dem Papste, dem Teufel und dem Prätendenten aufnehmen würden. – »Und gern will ich selbst ihnen Gesellschaft leisten,« sagte er; »denn noch in der letzten Nacht, die ich im Schlosse zubrachte, sah ich das Bild dort (auf das Bildnis in Lebensgröße von Dianas Großvater zeigend), im Mondschein durch den Garten wandeln! Ich sagte Euer Gnaden, daß ein Gespenst mich erschreckt habe; Ihr wolltet jedoch nicht darauf hören. Ich hab es ja immer gesagt, daß es unter den Papisten Hexerei und Teufelei gäbe, aber ich hab es mit leiblichen Augen erst gesehen in jener furchtbaren Nacht.«

»Trollt Euch!« gab ich ihm, zur Antwort, »und bringt mir die Leute; seht aber zu, daß es nicht Kerle sind wie Ihr, die vor ihrem eignen Schatten erschrecken.«

Er ging, ohne mir zu antworten, denn Wardlow, der Rentmeister, trat herein.

Wardlaw war ein verständiger, redlicher Mann, dessen Pünktlichkeit und Klugheit meinem Oheim zur Aufrechterhaltung seines Hauses nicht wenig geholfen hatte. Er prüfte meine Ansprüche genau und erklärte sie für durchaus in Ordnung. Es war im Grunde genommen eine recht mühselige Erbschaft, denn das Gut war mit Schulden und Hypotheken überlastet, und wer nicht, wie mein Vater, in der Lage war, die Schulden zu tilgen und eine Hypothek nach der andern abzulösen, hätte vor einer Sorgenlast gestanden, die ihm alle Freude an dem Besitze verleidet hätte.

Der Rentmeister blieb bei mir zum Essen. Da wir viel schriftliche Arbeiten mit zu besorgen hatten, wollte ich lieber gleich im Büchersaal essen, obwohl mir Syddall nachdrücklich die Steinhalle empfahl, die er dazu hatte herrichten lassen. Währenddessen kam Andreas mit seinen Angeworbenen zurück, die er als nüchtern, anständig, rechtgläubig und vor allem als löwenkühn pries. Ich wies Andreas an, für ihren Unterhalt zu sorgen, und sie verließen das Zimmer. Syddall sah ihnen mit Kopfschütteln nach. Ich begehrte die Ursache zu wissen.

»Je nun,« sagte er, »wenn Ihr mir glauben wollt, wirds wohl Euer Schade nicht sein, denn was ich Euch sage, ist die nackte Wahrheit. Was den alten Ambrosius Wingfield angeht, so ist er ein ehrlicher Mann; aber wenns einen falschen Kerl in der Welt gibt, so ists sein Bruder. – Das ganze Land weiß, daß er für Schreiber Jobson den Kundschafter gemacht hat, um die Edelleute in Ungelegenheit zu bringen. Aber er ist ein Presbyterianer, und weiter braucht man ja, wie es scheint, heutzutage nichts zu sein, um als was in der Welt zu gelten.«

Nachdem der alte Mann seinem Herzen auf diese Weise Luft gemacht und Wein auf die Tafel gesetzt hatte, entfernte er sich. Gegen Abend packte der Rentmeister seine Papiere zusammen und begab sich nach Hause. Ich blieb in jenem verworrenen Gemütszustände mit mir allein, in welchem wir kaum sagen können, ob uns Gesellschaft oder Einsamkeit lieber ist. Ich hatte aber nicht die Wahl zwischen beidem; denn, ich befand mich allein in dem Zimmer, das vor allem andern geeignet war, mich mit traurigen Gedanken zu erfüllen.

Bei der Dämmerung steckte Andreas den Kopf zur Tür herein, um zu fragen, ob ich Licht haben wolle; es sei doch schon aus Rücksicht auf Gespenster nicht gut, im Finstern zu sitzen. Ich hieß ihn mürrisch seines Weges gehen, schürte das Feuer an, setzte mich in einen der großen ledernen Armstühle, die an dem gotischen Kamine standen, und blickte träumend in die lodernde Flamme, die ich genährt hatte. »Und so,« sprach ich vor mich hin, »entstehen, wachsen und enden die Wünsche der Sterblichen! Lappalien wecken sie, die Phantasie entzündet sie, die Hoffnung nährt sie, bis sie verzehren, was sie entflammen, und der Mensch mitsamt seinen Hoffnungen, Leidenschaften und Wünschen in einem Aschenhaufen versinkt.«

Ein tiefer Seufzer aus dem andern Ende des Zimmers schien mir zu antworten. Erschrocken fuhr ich auf, und vor mir stand – Diana Vernon, auf den Arm eines Mannes gestützt, der dem oft erwähnten Großvaterbildnis so ähnlich war, daß ich schnell nach dem Rahmen blickte, in der Meinung, die Gestalt sei daraus herniedergestiegen. Dann beschlich mich der Gedanke, ich müsse wohl plötzlich wahnsinnig geworden sein, oder die Geister der Toten wären aus ihren Gräbern gestiegen. Ein Blick auf meine Gestalt überzeugte mich aber, daß ich bei Sinnen sei, und ein andrer Blick, es seien nicht Schemen, sondern lebendige Wesen, die vor mir ständen. Ja, es war Diana selbst, aber bleicher und magerer als sonst, und kein Bewohner des Grabes stand neben ihr, sondern Vaughan, oder vielmehr Sir Vernon, in einem Anzuge, der dem seines Ahnherrn glich, mit dessen Bild sein Gesicht Familienähnlichkeit hatte. Er sprach zuerst, denn Diana heftete ihre Augen fest auf den Boden, und mir fesselte Erstaunen die Zunge.

»Wir erscheinen als Bittsteller, Herr Osbaldistone,« sagte er, »und suchen Zuflucht und Schutz unter Eurem Dache, bis wir eine Reise fortsetzen können, wo Kerker und Tod auf jedem Schritt uns drohen.«

»Gewiß,« antwortete ich mit Anstrengung – »Fräulein Vernon kann nicht vermuten – Ihr, mein Herr, könnt nicht glauben, daß ich vergessen habe, welchen Anteil Ihr mir in meinen Bedrängnissen gezeigt habt, oder daß ich fähig wäre, jemand zu verraten, am wenigsten Euch.«

»Ich weiß es,« sprach Vernon; »dennoch setze ich mit unaussprechlichem Widerstreben ein Vertrauen in Euch, das vielleicht mißfällig, gewiß gefährlich ist, und das ich lieber jedem andern erteilen möchte. Aber mein Schicksal, das mich durch ein gefahrvolles Leben verfolgte, bedrängt mich jetzt hart, und es bleibt mir keine Wahl.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und die Stimme meines geschäftigen Dieners ließ sich hören: »Ich bringe die Lichter. Ihr könnt sie anstecken, wenn's Euch recht ist.«

Ich eilte zur Tür, um ihn am Eintritt zu verhindern. Hastig schob ich ihn hinaus, schloß die Tür hinter ihm zu und verriegelte sie – dann fielen mir plötzlich die beiden Gefährten ein, die er unten hatte; mit fiel ein, was Syddall über sie geäußert hatte, und daß man den einen für einen Spion halte, und schnell ging ich Andreas in die Dienstbotenstube nach, wo sie saßen. Andreas sprach laut, als ich die Tür öffnete, verstummte aber gleich, als er mich eintreten sah,

»Was ist Euch?« fragte ich, »Ihr seht ja aus, als ob Ihr einen Geist gesehen hättet.«

»M – mir ist g – gar nichts,« antwortete Andreas; »aber Ihr – Ihr hattets g – gar so eilig –«

»Eilig? – Ihr müßt nicht recht klug sein,« gab ich zur Antwort – »ich dächte doch, Ihr hättets sehen müssen, daß Ihr mich aus dem Schlafe wecktet – unmanierlich genug, das muß ich sagen, und möcht mirs verbitten fürs nächste Mal – aber Syddall sagt mir, er könne keine Betten für die Leute schaffen, und Herr Wardlaw hälts für unnötig, daß sie hier bleiben. Da ist eine Krone für Euch, Leutchen; ich danke für Euren guten Willen; aber Ihr könnt sogleich wieder gehen.«

Die Männer nahmen das Geld und gingen, zufrieden und, wie es schien, ohne Argwohn. Ich wartete, bis sie sich entfernt hatten und bis ich sicher war, daß sie für diesen Abend nicht mehr mit Andreas sprechen konnten. Dann begab ich mich, halbwegs beruhigt und in der Ueberzeugung, zunächst besser für die Sicherheit meiner Gäste nicht handeln zu können, in den Büchersaal zurück, um ihnen meine Maßregeln mitzuteilen. Sobald ich dies getan, unterrichtete ich sie noch, daß ich Syddall beauftragt hätte, niemand in den Büchersaal hinauf zu lassen, sondern was dort zu besorgen sei, selbst zu besorgen, weil ich annehmen müsse, daß sie die Zuflucht hier doch nur durch ihn gefunden hätten. Diana dankte mir durch einen freundlichen Blick für meine Vorsicht.

»Ihr versteht jetzt mein Geheimnis, Herr Franz,« sprach sie. »Ihr wißt, wie nah und teuer mir der Verwandte ist, der so oft hier Zuflucht gefunden hat, und werdet Euch nicht länger wundern, daß Rashleigh, der unser Mitwisser war, mich mit eiserner Rute beherrschte.«

Ihr Vater fügte hinzu, es sei ihre Absicht, mich nicht lange durch ihre Gegenwart zu beunruhigen.

Ich bat die Flüchtlinge, nur auf ihre Sicherheit Rücksicht zu nehmen und sich andernfalls versichert zu halten, daß meinerseits alles geschehen sollte, was ihre Flucht erleichtern könne.

»Rashleigh war mir immer verdächtig,« nahm Sir Vernon wieder das Wort, »aber die Art und Weise, wie er sich gegen meine Tochter betrug, und seine Treulosigkeit gegen Euren Vater haben ihn mir verhaßt und verächtlich gemacht.

Bei unsrer letzten Zusammenkunft vergaß ich die Klugheit und sagte ihm rundheraus meine Meinung, und die Folge war, daß er Glauben und Vaterland verriet. Damals hegte ich noch die Hoffnung, seine Abtrünnigkeit würde von geringer Bedeutung sein. Der Graf von Mar unterhielt ein tapferes Heer in Schottland; Lord Derwentwater, Foster, Kenmore, Winton und andre Edelleute sammelten Truppen an der Grenze. Meine ausgebreiteten Verbindungen mit den englischen Edelleuten in dieser Gegend ließen es für angemessen erscheinen, daß ich mich einer Abteilung anschloß, die über den Frith und Forth durch Niederschottland ging, um sich an der Grenze mit den englischen Insurgenten zu vereinigen. Meine Tochter begleitete mich auf diesem langen, gefahr- und mühevollen Zuge.«

»Und sie wird nie ihren treuen Vater verlassen!« rief Diana, sich zärtlich an seinen Arm schmiegend. »Kaum waren wir mit unsern englischen Freunden vereinigt, so sah ich, daß unsre Sache verloren war. Die Zahl der Streiter verminderte sich, anstatt zuzunehmen, und es verband sich niemand mit uns, als Anhänger unseres Glaubens. Die Torys der herrschenden Kirche verhielten sich unschlüssig, und endlich wurden wir von einer überlegenen Macht bei der kleinen Stadt Preston eingeschlossen. Wir verteidigten uns einen Tag lang tapfer. Am folgenden Tage aber sank unsern Führern der Mut, und sie beschlossen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Das hieß aber nichts anderes, als freiwillig das Haupt auf den Block legen. Ungefähr dreißig Edelleute dachten wie ich. Wir stiegen zu Pferde und nahmen meine Tochter, die durchaus mein Schicksal teilen wollte, in die Mitte. Betroffen durch ihren Mut und ihre kindliche Liebe, erklärten ihre Gefährten, lieber zu sterben, als sie zurückzulassen. Wir ritten über einen sumpfigen Wiesengrund, der sich bis zum Fluß Ribble ausdehnte, durch den uns einer von der Partei eine gute Furt zu zeigen versprach. Dieser Sumpf war von dem Feinde nicht stark besetzt worden, so daß wir nur einige Reiter fanden, die wir zerstreuten und niederhieben. Wir setzten über den Fluß, erreichten die Straße nach Liverpool und trennten uns, um an verschiedenen Orten Zuflucht zu suchen. Mein Schicksal führte mich nach Wales, wo ich noch manchen Anhänger habe. Dennoch fand sich keine sichere Gelegenheit, zur See zu entkommen, und ich mußte mich wieder nordwärts wenden. Ein erprobter Freund will mich hier treffen und mich zu dem Hafen von Solway geleiten, wo ein Schiff bereitliegt, das mich für immer aus meinem Vaterlande entfernt. Da das Schloß Osbaldistone leer und unbewohnt war und unter Syddalls Aufsicht stand, der schon früher unser Vertrauen besessen hätte, wählten wir es zum Zufluchtsort. Wir erwarteten von Tag zu Tag die Ankunft unseres freundlichen Führers. Da zwang uns Eure unerwartete Rückkunft, uns an Euch zu wenden und um Eure Hilfe zu bitten.«

Hiermit endigte Vernons Erzählung. Ich konnte mir kaum einreden, daß ich seine Tochter wirklich vor mir sah. Ihr Vater bemerkte es und fügte hinzu:

»Ja, ja, es ist mein Kind, meine teure Diana; aber sie hat Prüfungen erduldet, die einer Märtyrerin Ehre machen würden; sie hat Gefahren und Tod in allerhand Gestalten gesehen; sie hat Beschwerden und Entbehrungen getragen, vor denen Männer zurückbeben würden; sie hat den Tag in Finsternis, die Nacht mit Wachen zugebracht, und nie einen Laut der Schwäche oder Klage hören lassen. Mit einem Wort, Herr Osbaldistone, sie ist ein würdiges Opfer, das ich Gott darbringen will, als das Köstlichste, was mir geblieben ist.«

Nach diesen Worten folgte eine Pause. Ich verstand ihren traurigen Sinn allzu gut. Dianas Vater sorgte auch jetzt noch, meine Hoffnungen auf eine Vereinigung mit ihr zu zerstören.

»Wir wollen Herrn Osbaldistone nicht länger stören,« sagte er zu seiner Tochter, »nachdem wir ihm die Verhältnisse der unglücklichen Gäste geschildert, die seinen Schutz ansprechen.«

Ich erbot mich, das Zimmer zu verlassen, damit sie ungestört verweilen könnten; Sir Vernon meinte aber, das würde nur Verdacht bei den Dienern erregen, ihr Zufluchtsort sei durch Syddalls Sorgfalt mit allem versehen, was ihnen not täte.

»Ihr erlaubt wohl aber,« schloß er, »daß wir uns jetzt zurückziehen. Wir müssen der Ruhe genießen, da wir ja nicht wissen, wann wir unsre gefahrvolle Reise antreten müssen.«

Er nahm den Arm seiner Tochter und verschwand mit einer tiefen Verbeugung hinter der Tapete.

Neunzehntes Kapitel

Ich kam mir wie betäubt und erstarrt vor. Wenn die Einbildungskraft bei einem geliebten Gegenstand verweilt, zeigt sie denselben nicht allein in dem schönsten Lichte, sondern auch in demjenigen, worin wir ihn am liebsten erblicken. Dianas Bild schwebte mir vor, wie sie war, als ihre Abschiedsträne auf meine Wange fiel, als ihr Andenken, von Mac Gregors Frau überreicht, ihren Wunsch andeutete, die Erinnerung an meine Zuneigung in Verbannung und Einsamkeit mitzunehmen. Ich sah sie wieder, und ihr kaltes, hingebendes Wesen, das so viel stille Schwermut ausdrückte, täuschte meine Erwartung und verletzte mich beinah. In meinem selbstsüchtigen Gefühle beschuldigte ich sie der Gleichgültigkeit – der Unempfindlichkeit. Ich legte ihrem Vater Stolz, Grausamkeit, Fanatismus bei und vergaß, daß Vater und Tochter alles dem Götzen opferten. Vernon war ein eifriger Katholik, der es für eine Lästerung ansah, sich mit einem Ketzer persönlich einzulassen; und Diana, für die ihres Vaters Sicherheit seit Jahren die erste Triebfeder ihrer Gedanken, Hoffnungen und Handlungen war, erachtete es für Kindespflicht, nicht allein ihren weltlichen Besitz, sondern auch ihre Herzensneigung seinem Willen zu opfern.

»Also verschmäht,« sprach ich zu mir selbst, als ich den Inhalt von Vernons Mitteilungen erwog, »verschmäht und abgewiesen, ja für unwürdig erachtet, mit ihr zu reden. Mag es sein! Das soll mich aber nicht abhalten, für ihre Sicherheit zu sorgen. Ich will hier Wache halten, und so lange sie unter meinem Dache ist, soll keine Gefahr ihr drohen, die der Arm eines, entschlossenen Mannes abzuwenden vermag.«

Ich rief Syddall herbei. Er kam, aber in Begleitung meines zudringlichen Dieners, der, seit ich das Haus in Besitz genommen, sich überall unentbehrlich zu machen suchte und, wie es bei Leuten seines Schlages oft der Fall ist, über das Ziel hinausschoß und sich, statt unentbehrlich, eher unangenehm machte. Seine Anwesenheit hinderte mich, offen mit Syddall zu sprechen; anderseits traute ich mir nicht, ihn wegzuschicken, aus Furcht, seinen Argwohn zu vermehren. Nach einer Weile sagte ich indessen, kurz entschlossen: »Ich werde hier schlafen; ich habe noch viel zu tun, und werde mich erst spät niederlegen.«

Syddall schien meinen Blick zu verstehen und erbot sich, mir Matratzen und Betten zu besorgen, ich entließ Andreas mit dem Bescheide, mich am Morgen vor sieben Uhr nicht zu stören, und sie entfernten sich. Ich suchte mein Gemüt zu beruhigen und von der sonderbaren Lage abzuziehen, in der ich mich befand. Aber ich kämpfte vergebens, denn die Nähe derjenigen, von welcher ich bald auf immer getrennt werden sollte, gönnte mir keine Ruhe; ihr Name stand in jedem Buche, das ich zu lesen versuchte, ihr Bild drängte sich in meine Gedanken, ich mochte mich befassen, womit ich wollte.

Ruhelos ging ich auf und nieder; ich warf mich auf das Lager und versuchte zu schlafen, allein vergebens; mein Mut wallte fieberhaft und schlug mir in den Adern gleich Strömen flüssigen Feuers.

Endlich stand ich auf, machte das Fenster auf und starrte in das helle Mondlicht; die stille schöne Nacht brachte mir wenigstens einige Erfrischung, und als ich dann meinen Platz auf dem Ruhebett wieder einnahm, da war, der Himmel ist mein Zeuge! mein Herz freilich nicht leichter, aber doch ruhiger. Und nun fand endlich der Schlummer den Weg zu meinen Lidern. Aber schreckliche Träume beunruhigten mich noch immer, und mit einemmal war mirs, als wenn es mir in den Ohren zu donnern anfinge ... aber es vergingen einige Minuten, ehe ich mich sammeln und unterscheiden konnte. Und nun hörte ich, daß der Lärm von heftigen Schlägen gegen das Tor herrührte. Zu Tode erschrocken sprang ich von meinem Lager auf, nahm den Degen unter den Arm und eilte hinaus, den Eintritt zu wehren. Als ich die Treppe erreichte, aus deren Fenstern man in den Eingangshof sah, hörte ich Syddall im Wortwechsel mit rauhen Stimmen, die auf grund königlicher Vollmacht Eintritt forderten für den Land- und Friedensrichter Standish, und dem alten Diener, wenn er nicht Gehorsam leistete, mit den schwersten Strafen drohten. Während sie noch sprachen, hörte ich zu meinem unsäglichen Verdruß, wie Andreas den Kellermeister auf die Seite schob, um selbst das Tor zu öffnen.

»Wenn sie in des Königs Namen kommen,« rief er, »so haben wir doch nichts zu fürchten – wir haben Gut und Blut für den König gelassen und brauchen uns nicht zu verstecken, wie manche Leute, Herr Syddall – denn wir sind weder Papisten noch Jakobiten.«

Umsonst flog ich die Treppe hinunter. Ich hörte, wie ein Riegel nach dem andern weggeschoben wurde; ich hörte, wie der Schwätzer Andreas fort und fort von Anhänglichkeit an König Georg faselte, und ich durfte nicht mehr zweifeln, daß die Häscher Zutritt erlangt hätten, ehe ich bis zur Tür kommen könnte. Ich lief zum Büchersaal zurück, verrammelte die Tür so gut ich konnte, und rief Diana. Sie öffnete sogleich. Sie war bereits angekleidet und verriet weder Unruhe noch Furcht.

»Mein Vater ist schon munter,« sagte sie; »er ist in Rashleighs Zimmer. Wir wollen in den Garten fliehen und dann in den Wald durch die Hintertür, zu der mir Syddall den Schlüssel gab für den Notfall – niemand kennt die Waldgründe besser als ich. haltet sie nur noch einige Minuten auf! – Lieber, lieber Franz, noch einmal, lebt Wohl!«

Sie war verschwunden, wie ein Luftgebilde – auf dem Wege zum Vater. Die Häscher versuchten die Tür zum Büchersaal zu sprengen, als ich wieder hineintrat.

»Räuber!« rief ich, mit Vorbedacht die Absicht ihres Lärms mißverstehend. »Räuber!... Syddall, Andreas! hierher! Weicht von der Tür, Gesindel – oder ich schieße!«

»Herr Gerichtsschreiber Jobson,« rief Andreas von draußen herein, »verlangt Zutritt auf grund gesetzlicher Vollmacht –«

»Zu suchen, zu greifen und zu verhaften,« fiel die Stimme des Zungendreschers ein, »die Leiber gewisser Personen, in meiner Vollmacht benannt, als des Hochverrats schuldig.«

Neuer Lärm an der Tür! »Ich stehe auf, Ihr Herren!« rief ich, um so viel Zeit wie möglich zu gewinnen. »Braucht nicht Gewalt! Zeigt mir Eure Vollmacht, und ist sie in Ordnung, so werde ich mich nicht widersetzen!«

»Gott segne den König!« rief Andreas. »Ich habs Euch ja gesagt, daß Ihr hier keine Jakobiten findet.«

Ich konnte sie nun aber nicht länger warten lassen, denn sie hätten sonst die Tür gesprengt. Wie ein Pfeil schoß Jobson herein, von mehreren Gehilfen begleitet, unter denen ich den jüngern Wingfield entdeckte, dem er ohne Zweifel seine Nachricht zu danken hatte. Er zeigte mir die Vollmacht, die nicht allein auf Friedrich Vernon, einen prozessierten und landflüchtigen Verbrecher, sondern auch gegen Diana Vernon und Franz Osbaldistone, wegen Mitwisserschaft des Verrats, lautete. Widerstand wäre hier Tollheit gewesen; ich bedang mir nur einige Minuten Aufschub, dann übergab ich mich als Gefangenen.

Jobson schritt in Dianas Kammer; ich hörte, wie er sich von dort in das Zimmer begab, in welchem Vernon geschlafen hatte. »Der Hase ist entwischt,« sprach er roh, »aber das Lager ist noch warm, und die Hunde werden ihn wohl schon beim Felle haben. –«

Wenig fehlte, so hätte ich den Wicht niedergeschlagen. Da erscholl vom Garten herauf ein angstvoller Schrei. Er sagte mir, daß der Wicht von Schreiber recht hatte, und nach fünf Minuten trat Rasleigh mit Vernon und Diana ins Zimmer.

»Der Fuchs,« sprach er, »kennt seinen alten Bau, aber er hat vergessen, daß ein achtsamer Jäger ihn verstopfen konnte. – Ich halte die Gartenpforte nicht vergessen, Sir Friedrich – oder, wenn Euch dieser Titel besser gefällt, Lord Beauchamp.«

»Rashleigh,« sprach Vernon, »Du bist ein elender Schurke!«

»Der Namen stand mir besser, Herr Ritter, oder Mylord, als ich unter der Leitung eines geschickten Lehrers den Bürgerkrieg in ein friedliches Land z« bringen suchte. Aber,« sprach er mit emporgewandtem Blick, »ich habe mein Bestes getan, meine Verirrungen wieder gut zu machen.«

Ich konnte mich nicht länger halten. Ich hatte mir vorgenommen, dem Vorgänge schweigend zuzusehen, aber ich fühlte, daß ich reden oder sterben müßte. »Wenn die Hölle eine Gestalt hat, die scheußlicher ist als die andre,« rief ich, »so muß es Niederträchtigkeit unter der Larve der Heuchelei sein.«

»Ei, ei, mein sanftes Vetterlein,« sprach Rashleigh, indem er ein Licht nach mir hinhielt und mich vom Kopfe bis zum Fuße musterte. »Recht willkommen im Schlosse! Euer Groll stört mich nicht! es ist recht hart, ein Gut und eine Braut in einer Nacht zu verlieren; denn sofern Ihr nichts dawider habt, werden wir Besitz nehmen von diesem armen Herrschaftshaus, im Namen des gesetzmäßigen Erben, Rashleigh Osbaldistone.«

Rashleigh suchte vergebens den Zorn zu verbergen, der aus seinem Gesichte mit Scham um die Herrschaft rang. Noch schärfer verriet sich dieser Kampf, als Diana jetzt das Wort an ihn richtete.

»Rashleigh,« sagte sie verächtlich, »Ihr tut mir leid, denn so groß das Unheil ist, das Ihr mir habt zufügen wollen, so groß auch das Böse ist, das Ihr wirklich verübt habt, so kann ich Euch doch nicht in dem Maße hassen, wie ich Euch verachte. Was Ihr jetzt getan habt, mag das Werk einer Stunde sein; aber es wird Euch Stoff zum Nachdenken geben für Euer ganzes Leben – und was für Stoff, das überlasse, ich Eurem eigenen Gewissen, das wohl kaum immer schlummern wird.«

Rashleigh ging ein paarmal durch das Zimmer, dann trat er zu dem Tische, auf dem noch Wein stand, und schenkte mit zitternder Hand ein volles Glas ein. Als er aber sah, daß wir seine Bewegung merkten, unterdrückte er sie mit starker Anstrengung, sah uns fest und trotzig an und führte den Becher zum Munde, ohne einen Tropfen zu vergießen.

»Es ist meines Vaters alter Burgunder,« sagte er, auf Jobson blickend. »Es freut mich, daß noch etwas davon da ist.

– Ihr werdet für Leute sorgen, die in meinem Namen für das Haus und mein Eigentum Sorge tragen, und diesen blöden Kellermeister zusammen mit dem noch blöderen Narren Andreas zum Tempel hinauswerfen. Unterdessen wollen wir diese andern Personen an schicklichem Ort in Verwahrsam bringen. Ich habe den alten Familienwagen in Bereitschaft setzen lassen,« fuhr er fort, »obwohl ich weiß, daß selbst das Fräulein zu Fuß oder zu Pferde der Nachtluft trotzen könnte, wenn ihr die Reise besser zu Sinne stände.«

Andreas rang die Hände. »Ich habe doch bloß erzählt, daß mein Herr mit einem Geist im Büchersaale sich zu unterhalten scheine – und dieser Schelm von Wingfield konnte einen alten Freund verraten, der zwanzig Jahre lang jeden Sonntag mit ihm aus demselben Psalmbuch gesungen hat!«

Ohne auf seine Wehklagen zu achten, wurde er zusammen mit dem alten Kellermeister, beide wie sie gingen und standen, aus dem Hause gejagt. Diese unfreundliche Handlung sollte jedoch merkwürdige Folgen zeitigen. Andreas war, in der Absicht, sich ein Nachtlager zu suchen, durch die Allee in den »alten Wald« gegangen, wie man das Stück Land nannte, obwohl es jetzt mehr als Weide gebraucht wurde, als er plötzlich auf eine schottische Viehherde stieß, die während der Nacht hier ruhen sollte. Da er die Gewohnheit seiner Landsleute kannte, ihre Herden auf den besten Grasplatz, den sie finden können, nachts über zu treiben und sich durch Aufbruch vor Tage der Zahlung für das Nachtquartier zu entziehen, so wunderte er sich nicht weiter über dieses Begegnis, geriet aber auf der Stelle in heftige Bestürzung, als ein Hochländer aufsprang und ihn mit der Anschuldigung, sein Vieh gestört zu haben, nicht eher ziehen lassen wollte, als bis er mit seinem Herrn gesprochen hätte. Der Hochländer führte ihn nun in ein Dickicht, wo sich noch andre Hochländer befanden. Hier merkte Andreas bald, daß es der Treiber zu viel für eine Herde waren, – und merkte an ihren Fragen, daß sie wohl andern Werg auf ihrem Rocken haben möchten.

Sie fragten ihn nun genau nach allem, was im Schlosse vorgegangen war und schienen sehr verwundert, über seine Nachrichten. Dann sprachen sie leise miteinander und trieben endlich ihr Vieh an den Eingang der Allee, in einiger Entfernung vom Hause. Hier schleppten sie gefällte Bäume zusammen, die in der Nähe lagen, und errichteten ein leichtes Verhau quer über den Weg. Der Tag fing jetzt an zu grauen, und ein matter Schein im Osten verschmolz mit dem verblassenden Mondlicht, so daß man die Gegenstände ziemlich genau unterscheiden konnte. Eine Kutsche, von vier Pferden gezogen und von sechs Mann zu Pferd begleitet, kam die Allee entlang gerasselt. Die Hochländer lauschten. In dem Wagen saß Jobson mit seinen unglücklichen Gefangenen. Das Gefolge bestand aus Rashleigh, mehreren Reitern und Gerichtsdienern. Kaum war die Kutsche zum Tore hinaus, so wurde es durch einen Hochländer, der zu diesem Zwecke dort postiert war, hinter den Reitern gesperrt. Im selben Augenblick geriet der Wagen in die Herde hinein und sah sich durch das Verhau aufgehalten. Zwei Reiter stiegen ab, die Baumstämme wegzuschaffen, die andern trieben das Vieh mit ihren Peitschen aus dem Wege.

»Wer nimmt sich heraus, unser Vieh zu mißhandeln?« rief da eine rauhe Stimme. – »Schieß, Angus!«

Darauf Rashleigh: »Verrat, Jobson, Verrat!« und feuerte seine Pistole auf den Mann ab, der zu schießen befohlen hatte.

»Zum Schwert!« rief der Anführer der Hochländer, und im Nu war man handgemein. Durch den plötzlichen Angriff in Schrecken gesetzt, zudem an sich nicht eben tapfer, suchten die Schergen den Weg zum Schlosse zurückzugewinnen. Als aber ein Schuß von dem Tore her dröhnte, glaubten sie sich umringt und rissen nach verschiedenen Richtungen aus. Inzwischen war Rashleigh abgestiegen und focht zu Fuß mit dem Anführer der Bande. Aber so verzweifelt er kämpfte, so unterlag er doch bald.

»Wollt Ihr um Pardon bitten, um Gottes, Königs Jakob und alter Freundschaft willen?« rief eine Stimme, die ich recht gut kannte. – »Nein!« antwortete Rashleigh entschlossen.

»Dann stirb, Verräter, in Deinem Laster,« versetzte Mac Gregor und durchbohrte den unter ihm liegenden Gegner mit dem Schwerte. Im nächsten Augenblick war er am Kutscherschlage, hob Fräulein Vernon heraus, half ihrem Vater und mir aussteigen, packte den Schreiber beim Schopf und warf ihn unter die Räder.

»Herr Osbaldistone,« sprach er leise, »Ihr habt nichts zu fürchten. – Eure Freunde werden bald in Sicherheit sein. – Lebt wohl, und gedenkt an Mac Gregor!«

Er pfiff – seine Leute versammelten sich um ihn, nahmen Vernon und Diana in die Mitte und verschwanden im Walde. Der Kutscher hatte die Pferde im Stiche gelassen und war beim ersten Schuß geflohen; allein die Tiere, von dem Verhau aufgehalten, blieben ruhig stehen, zum Glücke für Jobson; denn bei der geringsten Bewegung wären ihm die Räder über den Leib gegangen. Ich leistete ihm Beistand, denn er war vor Schreck so außer sich, daß er sich nicht selbst aufhelfen konnte. Ich machte ihm hierauf bemerklich, daß ich mich weder um die Gefangenen bekümmert, noch ihnen zur Flucht verholfen, noch selbst zu entfliehen versucht hätte, und fordere ihn auf, nach dem Schlosse zurückzugehen, und Leute zum Beistand für die Verwundeten zu rufen. Aber die Furcht hatte sich seiner in solchem Maße bemeistert, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Ich wollte den Gang deshalb selbst verrichten, stolperte aber über den Körper eines Menschen, den ich für tot hielt. Es war indessen niemand weiter als Andreas, der sich zu Boden bloß darum geworfen hatte, weil ihm so die durch die Luft schwirrenden Kugeln nichts antun konnten. Ich war so froh, ihn zu finden, daß ich nicht fragte, wie er dahin gekommen sei, sondern ihn sogleich mit dem Gange betraute, den ich selbst hatte verrichten wollen.

Ich wandte mich nun vor allem an Rashleigh. Er stöhnte tief, als er mich kommen sah, und zwar ebenso sehr aus Haß wie vor Schmerzen. – Dann blickte er zur Seite, willens, kein Wort mehr zu sprechen. Wir hoben ihn in den Wagen. Mit Mühe machte ich nun Jobson begreiflich, daß er mit einsteigen müsse, um Rashleigh beizustehen. Er gehorchte. Wir lenkten hierauf die Pferde um, öffneten das Tor der Allee und fuhren langsam nach dem Schlosse zurück.

Einige Flüchtlinge waren schon auf Umwegen dorthin gelangt und hatten die dort zurückgebliebenen Gerichtsschergen durch die Meldung in Angst gejagt, Rashleigh, Jobson und alle übrigen seien am Eingänge der Allee von einem Regiment wilder Hochländer in Stücke gehauen worden. Als wir an das Schloß herankamen, klang uns ein Summen entgegen, wie wenn Bienen in ihren Körben schwirrten. Alles war in wildem Aufruhr. Aber Jobson hatte sich inzwischen erholt und war um so ungeduldiger, aus dem Wagen erlöst zu werden, als einer von seinen Begleitern, der Gerichtsdiener, eben an seiner Seite verschieden war.

Rashleigh lebte noch, war aber so schwer verwundet, daß sein Blut den Boden des Wagens bedeckte und lange Spuren zurückließ vom Eingange bis in die Steinhalle, wo man ihn in einen Lehnstuhl setzte. Einige versuchten, das Blut zu stillen;

andre schrien nach einem Wundarzt, aber niemand schien Lust zu haben, einen Schritt zu tun.

»Quält mich nicht,« lallte der Verwundete nach einer Weile. »Ich weiß, mir kann kein Beistand helfen. Ich sterbe.« Er richtete sich im Lehnstuhl empor, obwohl der Todesschweiß schon auf seiner Stirn stand, und sprach mit einer Festigkeit, die seine Kräfte zu übersteigen schien: »Vetter Franz, tretet zu mir.« – Ich näherte mich. – »Ich will Euch bloß sagen, daß keine Todesqual in meinen Gesinnungen gegen Euch etwas ändern kann. Ich hasse Euch!« rief er, und der Ausdruck von Wut gab seinen Augen, die bald auf immer sich schließen sollten, einen grausigen Glanz.... »Ich hasse Euch, jetzt, da ich blutend vor Euch liege, so grimmig, als wenn mein Fuß auf Eurem Nacken stünde.«

»Ich habe Euch keine Ursache dazu gegeben,« versetzte ich; »um Euretwillen wünschte ich, Ihr wäret jetzt mildern Sinnes.«

»Ihr habt mir Ursache gegeben,« entgegnete er, »denn Ihr habt mich gehemmt in meinem Ehrgeize, seid mir hinderlich gewesen bei allem Gewinne, und habt mir die Geliebte abspenstig gemacht. ... Ich war berufen, die Ehre meines Hauses zu werden – ich bin ihm zur Schande geworden – alles durch Eure Schuld. Selbst mein Erbe mußte an Euch fallen. Nehmt es! möge der Fluch eines Sterbenden darauf ruhen!«

Nachdem er diesen furchtbaren Wunsch ausgestoßen hatte, sank er in den Lehnstuhl zurück. Sein Auge wurde starr, seine Glieder wurden steif, aber das Grinsen des Hasses entstellte sein Gesicht noch im Tode. Ich will nicht länger bei diesem grausen Bilde verweilen, und nur noch mitteilen, daß mein Erbteil mir nicht weiter bestritten wurde, sondern daß Jobson zugestehen mußte, die Anklage gegen mich sei nur zu Rashleighs Vorteil erhoben worden, um mich aus dem Schlosse zu entfernen. Jobsons Name wurde aus der Reihe der Sachwalter gestrichen, und er sank in Armut und Verachtung.

Sobald ich meine Angelegenheiten im Schlosse in Ordnung gebracht hatte, kehrte ich nach London zurück, glücklich, einen Ort zu verlassen, der so viel schmerzliche Erinnerungen weckte. Ich wartete nun mit Angst und Unruhe auf Nachrichten von Dianas und ihres Vaters Schicksal. Ein Kaufmann aus Frankreich, der Handelsgeschäfte in London hatte, brachte mir einen Brief von ihr, der mich über ihre Sicherheit beruhigte, aber mir auch mitteilte, daß ihr Vater infolge seiner letzten Strapazen und Entbehrungen einer verzehrenden Krankheit verfallen sei und dem Tode entgegengehe; seinem Willen gemäß sei sie willens, den Schleier zu nehmen.

Da hielt es mich nicht länger; ich machte meinen Vater offenherzig mit dem Zustande meines Herzens bekannt, und war er auch nicht wenig bestürzt über meine Absicht, eine Katholikin zu heiraten, so wünschte er doch, wie er sagte, daß ich im Leben »gefestigt« würde; und da ich, wie er jetzt recht gut einsähe, durch meine treuliche Teilnahme an seinen kaufmännischen Geschäften ihm von so großem Nutzen gewesen sei, wolle er mir in meiner Herzenssache auch nicht zuwider sein.... »Aber,« schloß er, »ich hätte mir nun und nimmer gedacht, daß mein Sohn Herr des Erbguts Osbaldistone werden, und noch weniger, daß er sich seine Braut aus einem französischen Kloster holen werde. Indessen muß eine so liebe Tochter auch eine liebe Gattin werden.«

Daß ich meine Verbindung nach besten Kräften beschleunigte, brauche ich Dir nicht zu sagen, Freund Tresham; Du weißt auch, wie lange und wie glücklich ich an Dianas Seite lebte, und wie tief ich um sie trauerte. Aber Du weißt nicht, – und kannst es nicht wissen, in welch hohem Maße sie den Schmerz ihres Gatten verdiente.

Romantische Abenteuer habe ich nicht mehr zu erzählen. Die weitern Ereignisse meines Lebens sind Dir ja bekannt. In Schottland war ich noch oft; den kühnen Hochländer, der auf die frühern Ereignisse meines Lebens so viel Einfluß hatte, habe ich aber nie wiedergesehen, indessen hin und wieder erfahren, daß er seinen mächtigen Feinden zum Trotze in den Gebirgen von Loch Lomond, sogar auf gewisse Weise von der Regierung beschützt, im hohen Alter, gegen das Jahr 1736, eines friedlichen Todes gestorben ist, was gewiß zu den höchsten Unwahrscheinlichkeiten des menschlichen Daseins gehören dürfte, aber mir so sicher verbürgt worden ist, daß sich nicht daran zweifeln läßt. Er ist noch heute in der Gegend von Lennox als der Robin Hood von Schottland, »die Furcht der Reichen, der Freund der Armen«, bekannt.

Der alte Andreas, dessen Du Dich ja gewiß noch erinnern wirst, pflegte zu sagen: es gäbe mancherlei Dinge, die zu bös seien, daß man sie segnen, und zu gut, daß man sie verdammen könne, und solch ein Ding sei Robin der Rote gewesen.

Ende

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