Neuntes Kapitel

Nach diesem Rückblick auf das zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund bestehende Verhältnis zur Zeit, als Ludwig wohl nicht zum wenigsten durch seinen Glauben an die Macht der Gestirne, vielleicht aber auch durch das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit über Karl bewogen, den außerordenlichen, auf andere Weise durchaus unerklärlichen Entschluß gefaßt hatte, sich selbst der Treue und dem Glauben eines stolzen und erbitterten Feindes zu überantworten, wollen wir dem weiteren Gange unserer Erzählung folgen. Herzog Karl, von Natur rauh, stolz, ungestüm und hart, fand es nicht für nötig, dem Könige mehr Höflichkeit zu erweisen, als die Gesetze der Gastfreundschaft ausdrücklich forderten; andererseits aber legte er auch durchaus keine Absicht an den Tag, ihre geheiligten Schranken zu verletzen. Am nächsten Morgen nach des Königs Ankunft wurde eine allgemeine Heerschau der burgundischen Truppen veranstaltet, die so zahlreich und so trefflich ausgerüstet waren, daß es ihm vielleicht ganz recht war, sie seinem großen Nebenbuhler vorzuführen. Während er seinem Souverän das Vasallenkompliment machte, daß diese Truppen nicht ihm, sondern dem Könige gehörten, verriet das Zucken seiner Oberlippe und der stolze Blick seines Auges, daß diese Worte bloße Höflichkeit seien, und daß dieses schöne stattliche Heer auf seinen Befehl direkt gegen Paris vorrücken werde, ohne sich im geringsten an den König von Frankreich zu kehren. Das mußte Ludwig um so angenehmer berühren, als er unter den Burgundern allerhand französische Fähnlein erblickte, die aus mancherlei Gründen des Mißvergnügens mit dem Herzog von Burgund gemeinschaftliche Sache gemacht hatten.

Seinem Charakter getreu, schien indes Ludwig von diesen Reisläufern aus seinen Provinzen kaum Notiz zu nehmen, während er hin und her auf Mittel dachte, wie er sie Burgunds Fahnen abwendig machen und sie seinen eigenen wieder einverleiben könnte. Zu diesem Behufe beschloß er, durch Oliver und andere Agenten insgeheim die Gesinnung der Vornehmsten unter ihnen ausforschen zu lassen.

Er selbst bestrebte sich angelegentlich, jedoch mit großer Vorsicht, sich unter den vornehmsten Beamten und Räten des Herzogs beliebt zu machen, und während einer Eberjagd fand Ludwig, ungehindert durch Karls Gegenwart, der in diesem Sport so völlig aufging, daß er für nichts andres Sinn hatte, Mittel und Wege, einzeln und insgeheim sich mit manchen von Karls Edeln zu besprechen, unter welchen Hymbercourt und Argenton nicht vergessen wurden.

Einen einzigen Mann vermißte der König, den er vor allen andern gern für sich gewonnen hätte, nämlich Graf Crevecoeur, dessen Festigkeit als Abgesandter in Plessis, weit entfernt, Ludwigs Unwillen zu erregen, ihm vielmehr lebhaft imponiert hatte. Es war ihm nicht besonders angenehm, zu hören, daß der Graf an der Spitze von hundert Lanzen an die Grenzen von Burgund aufgebrochen sei, um den Bischof gegen Wilhelm von der Mark zu unterstützen.

Der Hof speiste, wie es bei allen großen Jagdpartien Brauch war, im Forste; was diesmal dem Herzog besonders angenehm war, da er sich der formellen Feierlichkeit, womit er den König Ludwig sonst hätte empfangen müssen, enthoben sah. Indessen mußte die Abendmahlzeit infolgedessen mit desto größerer Feierlichkeit gehalten werden, und bei der Rückkehr nach Peronne fand König Ludwig ein Bankett mit einem Glanze und einer Pracht zubereitet, wie man es bei dem Reichtum eines gefürchteten Vasallen, der im Besitze der ganzen Niederlande, damals des reichsten Landes in Europa, sich befand, nur immer erwarten konnte. Oben an der langen Tafel, die unter der Last des goldnen und silbernen Tischgeräts fast brach und bis zum Ueberfluß mit den ausgesuchtesten Leckerbissen besetzt war, saß der Herzog, ihm zur Rechten auf einem etwas höheren Sitze sein königlicher Gast. Hinter ihm stand auf einer Seite der Sohn des Herzogs von Geldern, als sein Obervorschneider, auf der andern Seite sein Hofnarr le Glorieux, der ihm selten von der Seite kam; denn, wie die meisten Leute von seiner heftigen und rohen Gemütsart, trieb Karl den allgemeinen Geschmack dieses Zeitalters an Hofnarren und Possenreißern aufs äußerste und fand an ihrer Sonderbarkeit und ihren wunderlichen Einfällen ein Vergnügen, das sein schärfer blickender Nebenbuhler freilich nicht teilte. Heute versäumte Ludwig jedoch nicht, dem Lieblingsnarren des Herzogs seine Aufmerksamkeit zu widmen und seinen Einfällen Beifall zu schenken. Tiel Wetzweiler, gemeiniglich le Glorieux genannt, war übrigens durchaus nicht ein Spaßmacher von der gewöhnlichen Art, sondern ein großer, wohlgebildeter Mann, der sich in manchen Leibesübungen auszeichnete, die sich mit geistiger Minderwertigkeit insofern nicht vertragen hätten, als zu ihrer Uebung Geduld und Ausdauer nötig waren. Er folgte dem Herzoge gewöhnlich sowohl auf der Jagd als in die Schlacht, und als dieser bei Monthlery in großer persönlicher Gefahr schwebte, war er dem Ritter, der seinen Herzog bedrohte, gar kraftvoll zu Leibe gegangen und hatte nicht eher geruht, als bis er ihn aus dem Sattel geworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit erwarb er sich auf die Dauer seines Lebens den Beinamen »le Glorieux« (Prahlhans).

An diese wichtige Person des burgundischen Hofes wandte sich Karl und nach seinem Beispiele auch Ludwig zu wiederholten Malen während des Mahles, und beide schienen durch ein herzliches Lachen ihre Freude an seinen Antworten an den Tag zu legen.

»Für wen sind jene leeren Sitze dort bestimmt?« fragte Karl den Spaßmacher. – »Einer davon wenigstens sollte vermöge des Rechts der Erbfolge mir gehören,« antwortete der Narr. – »Wieso, närrischer Kerl?« fragte Karl. – »Sie sind für die Herren Hymbercourt und Argenton bestimmt, die, um ihre Falken fliegen zu lassen, sich soweit entfernt haben, daß sie ihr Abendessen darüber vergaßen. Wer lieber einen Habicht in der Luft, als einen Fasanen auf der Schüssel sieht, ist der Gevatter des Narren, und er sollt' ihnen auf ihrem Stuhle am Tische, als einem Teil ihrer beweglichen Habe, succedieren dürfen.« – »Das ist ein schaler Witz, Freund Tiel,« sprach der Herzog, »aber – Narren oder Weise – hier kommen die Säumigen,«

Wie er so sprach, traten Argenton und Hymbercourt in das Gemach und nahmen, nachdem sie den beiden Fürsten ihre Ehrfurcht bezeigt hatten, stillschweigend die für sie leer gelassenen Plätze ein. – »Nun, ihr Herren,« rief ihnen der Herzog zu, »eure Jagd muß entweder sehr gut oder sehr schlecht gewesen sein, da sie euch so weit führte und so lange ausbleiben ließ. Herr Philipp von Comines, Ihr seid ja recht niedergeschlagen, – hat etwa Hymbercourt gegen Euch eine bedeutende Wette gewonnen? – Ihr seid doch aber Philosoph und dürft Euch ein Unglück nicht so zu Herzen nehmen ... Beim heiligen Georg, Hymbercourt sieht ganz ebenso sauer drein als Ihr ... Was soll das, meine Herren? Habt ihr kein Wild gefunden, oder sind euch eure Falken drauf gegangen? Bei meiner Ehre, ihr seht aus, als ob ihr zu einem Leichenzuge und nicht zu einem Feste kämet ...« Aller Augen waren auf Hymbercourt und Argenton gerichtet, denn man war von ihnen nicht gewöhnt, sie so zu sehen. »Was bedeutet euer Stillschweigen, meine Herren?« fragte der Herzog, seine von Natur rauhe Stimme verschärfend; »wenn ihr kein vergnügtes Gesicht schneiden könnt, so wäre es klüger gewesen, im Sumpfe zu bleiben und Reiher oder Schnepfen und Nachteulen zu pirschen.« – »Gnädigster Herr!« sagte Argenton, »gerade als wir aus dem Forste heraustraten, trafen wir den Grafen Crevecoeur.« – »Wie?« sagte der Herzog, – »ist er schon aus Brabant zurück? Er hat doch alles gut angetroffen?« »Der Graf wird Euer Gnaden sogleich Bericht erstatten,« sagte Hymbercourt, »wir haben ihn nur deshalb gehört.« – »Aber wo bleibt denn der Graf?« fragte der Herzog. – »Er wechselt bloß die Kleider, um Ew. Hoheit aufzuwarten,« antwortete Hymbercourt. – »Mord und Brand!« rief der ungeduldige Fürst. »Was gehen mich seine Kleider an? ich glaube, ihr habt euch verschworen, mich toll zu machen!« – »Oder vielmehr, um es gerade herauszusagen,« fiel Argenton ein, »er läßt Euch bitten, was er zu melden hat, Euch in Privataudienz zu melden.« – »Teufel auch, mein Herr König,« rief Karl, »so machen es unsere Räte mit uns, – wenn sie etwas haben, das sie als recht wichtig für unsere Ohren erachten, so sehen sie so ernsthaft drein und sind so stolz auf ihre Last, wie der Esel auf einen neuen Packsattel ... Graf Crevecoeur soll sogleich vor uns erscheinen; er kommt von der Lütticher Grenze, wo wir wenigstens (er legte auf das Wort wieder einigen Nachdruck) keine Geheimnisse haben, die wir nicht der ganzen Welt offenbaren dürfen.«

Der Herzog, dessen ungestümer Sinn durch den vielen Weingenuß erheblich gesteigert worden war, blickte unaufhörlich nach der Tür, als ob er das, was da kommen sollte, nicht erwarten könnte, und die Gäste hefteten beklommen die Augen auf die Tafel, als ob sie ihre Neugier und ihre Aengstlichkeit zu verbergen suchten. Ludwig allein behielt seine vollkommene Fassung und setzte abwechselnd mit dem Obervorschneider und dem Spaßmacher seine Unterhaltung fort. Endlich trat Crevecoeur ein, von seinem Herrn mit der hastigen Frage empfangen: »Nun, Herr Graf, was gibt's Neues in Lüttich und Brabant? Das Gerücht von Eurer Ankunft hat Lust und Freude von unserer Tafel verscheucht. Eure Gegenwart wird sie uns hoffentlich wieder zurückbringen.« – »Mein Herr und Gebieter,« antwortete der Graf in einem festen, aber schwermütigen Tone, »die Neuigkeiten, die ich bringe, eignen sich mehr für eine Ratsversammlung als für eine festliche Tafel.« – »Heraus damit, Mann, und kämen sie vom Antichrist,« rief der Herzog, »aber ich kann sie schon erraten – die Lütticher sind wieder im Aufstande begriffen.« – »Allerdings, mein Gebieter,« antwortete Crevecoeur sehr ernst.« – »Seht doch, ich habe es gleich erraten, was Du so ungern mir mitteilen wolltest. Aber das paßt sich ja insofern gut, als uns Herr Ludwig, unser Oberlehnsherr, sagen kann, wie man mit solchen Meuterern am besten umspringt. Hast Du noch mehr Neuigkeiten in Deinem Bündel? Heraus damit, und dann verantworte Dich, warum Du nicht vorgerückt bist, um dem Bischof beizustehen?« – »Mein Fürst, es wird schwer, Euch die weitern Nachrichten mitzuteilen, die Euch sehr erschüttern werden. – Weder ich noch die ganze lebende Ritterschaft hätte dem trefflichen Bischof helfen können. Wilhelm von der Mark hat in Verbindung mit den empörten Lüttichern sein Schloß Schönwald genommen und ihn in seiner eigenen Halle ermordet.«

»Ermordet!« wiederholte der Herzog mit tiefer, gedämpfter Stimme, die man jedoch von einem Ende der Halle bis zum andern vernehmen konnte. »Du hast Dich von irgend einem schrecklichen Gerüchte täuschen lassen, Crevecoeur – es ist nicht möglich!« – »Leider, gnädigster Herr!« versetzte der Graf, »hab ich es aus dem Munde eines Augenzeugen, eines Bogenschützen von der schottischen Garde des Königs von Frankreich, der in der Halle war, als der Mord auf Wilhelm von der Marks Befehl verübt wurde.« – »Und der ohne Zweifel bei dieser schrecklichen und gotteslästerlichen Tat den Helfershelfer und Aufreizer machte,« sagte der Herzog, indem er aufsprang und mit solcher Wut mit dem Fuße stampfte, daß er den Schemel vor ihm in Stücke zertrat. »Verriegelt die Saaltüren, Ihr Herren, verschließt die Fenster, – laßt keinen Fremden bei augenblicklicher Todesstrafe sich von der Stelle bewegen! – »Ihr meine Hofkavaliere, zieht Eure Schwerter!« Und nun wandte er sich zu Ludwig und legte die Hand langsam und entschlossen an den Griff seines Schwertes, indes der König, ohne die mindeste Furcht zu zeigen oder sich zur Wehr zu setzen, bloß die Worte sprach: »Diese Neuigkeiten, mein lieber Vetter, haben Euren Verstand verwirrt.« – »Nein!« rief der Herzog in einem furchtbaren Tone, »aber sie haben ein gerechtes Gefühl der Rache in mir erweckt, das ich nur zu lange durch eitle Rücksicht auf Ort und Umstände in mir habe unterdrücken lassen. Mörder Deines Bruders! Rebell gegen Deinen Vater! Tyrann gegen Deine Untertanen! Verräterischer Bundesgenosse! Meineidiger König! Mann ohne Ritterehre! Du bist in meiner Gewalt und ich danke Gott dafür!« – »Dank's vielmehr meiner Torheit,« sprach der König; »denn als wir uns unter gleichen Verhältnissen bei Monthlery trafen, dünkt mich, wünschtet Ihr Euch viel weiter von mir entfernt, als wir jetzt sind.«

Der Herzog hielt die Hand noch immer am Griffe seines Schwertes, aber ohne es aus der Scheide zu ziehen, weil sich Ludwig auf keine Weise zum Widerstande rüstete. Im Saale herrschte ein beispielloser Wirrwarr. Die Türen waren auf des Herzogs Befehl verschlossen worden, und einige von dem französischen Adel sprangen von ihren Sitzen auf und rüsteten sich zur Verteidigung ihres Gebieters. Ludwig hatte weder mit Orleans noch mit Dunois ein Wort gesprochen, seit sie aus ihrer Haft in Loches entlassen worden waren. Gleichwohl war Dunois' Stimme die erste, die das Getümmel übertönte. »Herr Herzog,« rief er, »habt Ihr vergessen, daß Ihr ein Vasall von Frankreich seid, und daß wir, Eure Gäste, Franzosen sind? Erhebt Ihr Eure Hand gegen unsern Monarchen, werden wir uns ebenso in Burgunds Blute sättigen, wie wir's in seinem Weine getan haben ... Mut, Herr Herzog von Orleans! ... und ihr, Ritter und Edle Frankreichs, sammelt euch um Dunois, und tut, was er tut!«

In einem solchen Augenblick kann ein König erkennen, auf wen er sich verlassen darf. Die wenigen unabhängigen Edeln und Ritter in Ludwigs Begleitung, die fast sämtlich nur Beweise von Kälte und Ungnade von ihm erhalten hatten, scharten sich, ohne sich durch die unendlich überlegene Macht im geringsten schrecken zu lassen, um Dunois und drängten sich unter seiner Leitung nach dem obern Ende der Tafel, wo die beiden streitenden Fürsten saßen. An ihrer Spitze stand der ehrwürdige Lord Crawford, der sich mit einer Gewandtheit, die niemand von seinen Jahren erwartet hätte, zwischen den König und den Herzog warf, seine Mütze, unter der sein weißes Haar in aufgelösten Flechten herabfloß, auf die Seite rückend, während sich seine bleichen Wangen und seine welke Stirn färbten. Sein altes Auge sprühte noch ganz das Feuer eines jungen Kriegers, der eine verzweifelte Tat vollbringen will; sein Mantel hing über die Schultern und seine Bewegungen deuteten an, daß er bereit sei, ihn zum Schutze um den linken Arm zu wickeln, indes er mit der Rechten sein Schwert entblößte. »Ich habe für seinen Vater und für seinen Großvater gefochten!« rief er, »und beim heiligen Andreas, die Sache ende, wie sie wolle, ich verlasse ihn nicht in dieser Not!«

Der Herzog von Burgund, noch immer mit der Hand am Schwerte, schien jeden Augenblick das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff geben zu wollen, der notwendigerweise mit der Niedermetzelung des schwächeren Teils endigen mußte; da drang plötzlich Crevecoeur vor und rief mit einer Stimme, laut wie eine Trompete: »Mein Lehnsherr von Burgund, bedenkt, was Ihr tut! Dies ist Eure Halle – Ihr seid des Königs Vasall, – vergießt nicht das Blut Eures Gastes an Eurem Herde! nicht das Blut Eures Souveräns an dem Throne, den Ihr ihm selbst errichtet habt und den er unter Eurem Geleite bestiegen hat. Um der Ehre Eures Hauses willen, rächt nicht einen schrecklichen Mord durch einen zweiten noch schrecklicheren!« – »Aus dem Wege, Crevecoeur!« rief der Herzog, »laß meiner Rache freien Lauf! Aus dem Wege, sag' ich! Der Zorn der Könige ist furchtbar, wie der des Himmels!« »Nur dann, wenn er, wie der des Himmels, gerecht ist,« antwortete Crevecoeur mit Entschlossenheit; »laßt Euch bitten, mein Gebieter, die Heftigkeit Eures Gemüts zu bezähmen, wenn Ihr auch mit allem Rechte Euch beleidigt fühlt ... Und Ihr, Ihr französischen Kavaliere, vergeßt, wo Widerstand nichts helfen kann, alles, was zu Blutvergießen führen möchte.« – »Er hat recht,« sagte Ludwig, dessen Kaltblütigkeit ihn auch in diesem furchtbaren Augenblick nicht verließ; »Vetter Orleans, lieber Dunois, und Ihr, mein treuer Crawford, führt nicht durch voreilige Erbitterung Verderben und Blutvergießen herbei! Unser Vetter, der Herzog, ist durch die Nachricht von dem Tode eines nahen und geliebten Freundes entrüstet, dessen Ermordung wir ebenso tief beklagen, als er. Aeltere und unglücklicherweise auch neuere Mißverständnisse verleiten ihn zu dem Verdacht, als hätten wir einem Verbrechen Vorschub getan, das unser Herz verabscheut. Sollte unser Gastfreund uns auf dieser Stelle ermorden – uns, seinen König und Verwandten, auf die Beschuldigung hin, als hätten wir bei dieser unglücklichen Geschichte mitgewirkt, so wird unser Schicksal durch Euern Widerstand nicht erleichtert, sondern im Gegenteil nur noch verschlimmert werden. – So tretet denn zurück, Crawford! – und wäre es mein letztes Wort, ich spreche es als König zu seinem Offizier und verlange Gehorsam – tretet zurück und gebt, wenn es verlangt wird, Eure Schwerter ab. Ich befehle Euch, also zu tun, und Euer Eid legt Euch Gehorsam auf.«

»Wahr, sehr wahr, mein Gebieter,« sprach Crawford, indem er zurücktrat und die halbgezogene Klinge in die Scheide zurückstieß, »das mag alles ganz wahr sein, aber bei meiner Ehre, ständ ich an der Spitze von siebenzig meiner braven Leute, statt mit ebenso vielen Jahren belastet zu sein, so wollt ich versuchen, ob ich nicht gegen diese Herren da mit ihren goldenen Ketten und verbrämten Mützen, mit den bunten Farben und Sinnsprüchen daran, Recht erhalten könnte.«

Der Herzog stand lange Zeit, die Augen auf den Boden geheftet, da und sprach endlich im Tone bittern Spotts: »Ihr habt recht, Crevecoeur, und unsere Ehre fordert es, daß wir unsere Verpflichtungen gegen diesen großen König, gegen unsern geehrten und lieben Gast, nicht so schnell aus den Augen setzen, als wir es im ersten Ausbruch unseres Zornes beschlossen hatten. Wir wollen so handeln, daß ganz Europa die Gerechtigkeit unseres Verfahrens anerkennen soll, – »Ihr Herren aus Frankreich, ihr müßt eure Waffen meinen Offizieren abgeben! Euer Herr hat den Waffenstillstand gebrochen und kann fernerhin keine Ansprüche auf dessen Wohltaten machen. Indes aus Rücksicht auf euer Ehrgefühl, – und aus Achtung für den Rang, den er entehrt hat, fordern wir unserm Vetter Ludwig sein Schwert nicht ab.« – »Keiner von uns wird seine Waffen abgeben,« rief Dunois, »oder diese Halle verlassen, bis uns wenigstens zugesichert wird, daß unserem Könige an Leib und Leben kein Leid geschieht.« – »Auch kein Mann von der schottischen Leibwache legt die Waffen nieder, wenn nicht der König von Frankreich oder sein Großconnetable es befiehlt,« rief Crawford. »Wackerer Dunois,« sprach Ludwig, »und Ihr, mein treuer Crawford! Euer Eifer wird mir mehr schaden als nützlich sein ... Ich vertraue,« setzte er mit Würde hinzu, »mehr meiner gerechten Sache als vergeblichem Widerstand, der nur meinen besten und wackersten Untertanen das Leben kosten würde. – Gebt eure Schwerter ab! Ich befehle es euch!«

So zeigte Ludwig in diesem furchtbaren Moment jenen Scharfblick, der allein sein Leben retten konnte. Er vermied es zwar, den Zorn des Herzogs bis zur tobenden Wut zu steigern, allein er ließ sich weder zu Bitten herab, noch schien er den Zorn zu fürchten, sondern blickte dem Herzoge fortwährend fest und ruhig ins Auge, wie ein wackerer Mann, die drohenden Gebärden eines Wahnsinnigen betrachtet, überzeugt, daß Festigkeit und Fassung unmerklich, aber mächtig, auch die Wut der Tollheit hemmen.

Crawford warf auf des Königs Befehl Crevecoeur sein Schwert hin mit den Worten: »Nehmt es! und möge es Euch der Teufel segnen – es ist für den rechtmäßigen Besitzer keine Schande, es abzugeben, denn es galt keinen rechtlichen Kampf.«

»Halt, ihr Herren!« rief der Herzog mit schwerer Zunge, wie wenn ihn die Leidenschaft deren Gebrauchs beraubt hätte, »behaltet eure Schwerter! Mir genügt euer Versprechen, sich ihrer nicht zu bedienen, – Ihr aber, Ludwig von Balois, müßt Euch als mein Gefangener betrachten, bis Ihr Euch von dem Verdachte gereinigt habt, Mord und Schändung des Heiligtums angestiftet zu haben. Bringt ihn nach dem Schlosse – nach dem Hubertusturm; er soll sechs Herren seines Gefolges zu seiner Bedienung haben, die er sich selbst wählen mag. – Lord Crawford, Eure Wache muß das Schloß verlassen und soll anderswo ehrenvoll untergebracht werden. – Zieht alle Zugbrücken auf und laßt die Schutzgatter herab. – Laßt die Stadttore dreifach besetzen, – die schwimmenden Brücken auf das rechte Ufer bringen. – Meine schwarzen Wallonen umringen das Schloß, und die Schildwachen werden auf jedem Posten verdreifacht! Ihr, Hymbercourt, sorgt dafür, daß Streifwachen zu Pferde und zu Fuß, während der Nacht halbstündlich, und stündlich am folgenden Tage, um die Stadt die Runde machen, falls noch nach Tagesanbruch eine solche Bewachung nötig sein sollte; denn wir gedenken, die Sache schnell zu Ende zu bringen. Habt acht auf die Person Ludwigs, so lieb Euch Euer Leben ist!« Hier erhob er sich voll Zorn und Unmut von der Tafel, warf einen Blick tödlicher Feindschaft auf den König und stürmte aus dem Gemache.

»Ihr Herren,« sprach der König, indem er mit Würde um sich blickte, »der Kummer über den Tod seines Bundesgenossen hat eurem Fürsten den Verstand verwirrt. Ihr kennt hoffentlich eure Pflicht als Ritter und Edle besser, als daß ihr ihn in seiner verräterischen Gewalttat an der Person seines Lehnsherrn unterstützen solltet.« In diesem Augenblicke hörte man auf den Straßen Trommelschlag und Hörnerklang, die die Soldaten nach allen Richtungen hin auf ihre Posten riefen. – »Wir sind Untertanen von Burgund,« versetzte Grevecoeur, der das Marschallamt an des Herzogs Hofe versah, »und müssen als solche tun, was unseres Dienstes ist; unsere Hoffnungen und Bitten, sowie alle unsere Bemühungen sollen dahin gehen, Friede und Eintracht zwischen Ew. Majestät und unserm Lehnsherrn zu stiften. Vor der Hand müssen wir seinen Befehlen Gehorsam leisten. Diese andern Herren und Ritter werden es sich zur Ehre rechnen, für die Bequemlichkeit des erlauchten Herzogs von Orleans, des tapfern Dunois und des wackern Lord Crawford, Sorge zu tragen. Ich selbst muß Ew. Majestät Kämmerer sein und Euch nach Euern Zimmern begleiten, die anders beschaffen sind, als ich wohl wünschen möchte, wenn ich Eurer Gastfreiheit zu Plessis gedenke. Ihr habt freie Wahl Eurer Diener, deren Zahl des Herzogs Befehl auf sechs beschränkt hat.« – »Nun denn,« sprach der König, indem er umherblickte und sich einen Augenblick bedachte – »so wünsche ich Oliver le Dain, einen Mann meiner Leibwache, Balafré genannt, der, wenn Ihr wollt, unbewaffnet sein mag, Tristan l'Hermite nebst zweien seiner Leute, und meinen ergebenen, treuen Philosophen, Martius Galeotti, bei mir zu haben.« – »Ew. Majestät Wille soll in allen Stücken erfüllt werden,« versetzte Crevecoeur; »Galeotti,« setzte er hinzu, »speist, wie ich höre, jetzt eben in einer lustigen Gesellschaft zu Nacht; es soll aber gleich nach ihm geschickt werden. Die übrigen werden auf der Stelle zu Eurer Majestät Befehlen sein.« – »Nun, vorwärts denn, nach der neuen Wohnung, die die Gastfreundschaft unseres Vetters für uns bereit hat,« sagte der König. »Sie ist, wie wir wissen, fest, und wir wollen bloß hoffen, daß sie ebenso sicher sein möge.«

»Habt Ihr die Wahl gehört, die König Ludwig unter seinen Leuten getroffen hat?« fragte le Glorieux beiseite den Grafen Crevecoeur, als sie Ludwig aus der Halle begleiteten. – »Allerdings, mein lustiger Gevatter,« versetzte der Graf, »was hast Du denn da dagegen einzuwenden?« – »Nichts, gar nichts! Ich bewundere nur die seltene Wahl! – Ein spitzbübischer Barbier, – ein gedungener, schottischer Gurgelabschneider, – der oberste Krawattenschneider nebst seinen beiden Adjutanten und ein diebischer Marktschreier. – Ich will mit Euch gehen, Crevecoeur, und eine Lektion in der Schurkerei nehmen, wie auch Eure Geschicklichkeit bei Einführung dieser Schufte in ihre Wohnung beobachten. Der Teufel selbst hätte keine bessere Synode zusammengebracht, noch einen besseren Präsidenten dabei abgeben können.«

Der Possenreißer, der sich alles erlauben durfte, faßte demzufolge vertraulich Graf Crevecoeur und ging ihm zur Seite, während dieser den König unter starker Bedeckung, ohne jedoch gegen die Ehrerbietung zu verstoßen, nach seiner neuen Wohnung geleitete.

Zehntes Kapitel

Vierzig Bewaffnete, von denen die einen nackte Schwerter, die andern brennende Fackeln trugen, dienten dem König Ludwig zur Bedeckung oder vielmehr zur Wache auf seinem Wege von der Halle des Stadthauses von Peronne bis zu dem Schlosse; und als er in diese dunkle, finstere Wohnung trat, war es ihm, als riefe ihm eine Stimme die Dantesche Warnung ins Ohr: »Ihr, die Ihr eintretet, laßt alle Hoffnung draußen!«

In diesem Augenblicke hätten vielleicht Gewissensbisse den König ergreifen können, wenn er an die Hunderte, ja Tausende gedacht hätte, die er ohne Grund oder auf den leisesten Verdacht hin in den Kerker geworfen hatte, wo sie, aller Hoffnung auf Freiheit beraubt, selbst das Leben verwünschten, woran doch jedes Geschöpf instinktartig hängt. Der breite Glanz der Fackeln, heller als der im Abnehmen begriffene Mond, und der rote, halb vom Rauch verdunkelte Schein, den sie rings um das alte Gebäude warfen, gaben dem gewaltigen Hubertusturme ein düsteres Ansehen. Auf dem Schloßhof lagen ein paar Leichen, über die man in der Eile Soldatenmäntel geworfen hatte. Es waren schottische Bogenschützen, die sich dem Befehle, den Posten vor des Königs Gemächern zu verlassen, widersetzt hatten; hierüber war es zwischen ihnen und der wallonischen Leibwache des Herzogs zum Handgemenge gekommen.

»Meine treuen Schotten!« rief der König, in den traurigen Anblick versunken; »wäre Mann gegen Mann gestanden, ganz Flandern und Burgund hätte ihnen keine gleichen Kämpfer entgegenstellen können.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sprach Balafré, der dicht hinter dem König herschritt, »viele Hunde sind des Hasen Tod; wenig Männer können es mit mehr als zweien zugleich aufnehmen.« – »Bist Du auch da, alter Freund?« fragte der König, sich umblickend. »Nun, so hab' ich doch noch einen treuen Untertanen bei mir.« – »Und auch einen treuen Diener, sowohl bei Euern Beratungen, als bei dem Dienste um Eure königliche Person,« flüsterte Oliver le Dain ihm zu. – »Wir sind alle treu,« sprach Tristan l'Hermite mürrisch, »denn sollten sie Ew. Majestät das Leben nehmen, so würden sie auch uns nicht lange mehr am Leben lassen, wenn wir auch Lust dazu hätten.« – »Nun, das nenne ich eine echt leibliche Bürgschaft für die Treue,« sagte der burgundische Hofnarr, der sich in ihre Gesellschaft eingedrängt hatte.

Mittlerweile bemühte sich der eiligst herbeigerufene Seneschall, den gewichtigen Schlüssel umzudrehen, der das widerstrebende Tor des gewaltigen gotischen Gebäudes schloß, sah sich aber genötigt, einen von Crevecoeurs Leuten zu Hilfe zu nehmen. Hierauf schritten sechs Männer mit Fackeln durch das Tor und einen engen krummen Gang entlang, der auf verschiedenen Punkten von Schießscharten, die man in den Wölbungen und Fenstern der massiven Mauern angebracht hatte, bestrichen wurde. Am Ende dieses Ganges erhob sich eine Treppe von ebenso plumper Bauart, die aus gewaltigen Steinblöcken bestand, und von ungleicher Höhe mit dem Hammer aus dem Groben gearbeitet war. Auf ihr gelangte man durch eine starke, mit Eisen beschlagene Tür in das Gemach, das man die große Turmhalle nannte. Sie war auch am Tage nur spärlich erleuchtet; denn die Oeffnungen in der dicken Mauer glichen mehr Spalten als Fenstern, so daß ohne den Schein der Fackeln dichte Finsternis in der Halle geherrscht haben würde. Ein paar Fledermäuse flogen gegen die Lichter. Der Seneschall entschuldigte sich mit großer Förmlichkeit bei dem Könige, daß die Staatshalle nicht in Ordnung gebracht worden sei, allein der Befehl sei ihm zu eilig gekommen und das Gemach sei seit zwanzig Jahren nicht mehr gebraucht worden, überhaupt nur selten, wie er gehört habe, seit den Zeiten König Karls des Einfältigen.

»König Karls des Einfältigen!« wiederholte Ludwig, »nun fällt mir die Geschichte des Turmes bei; – hier wurde er von seinem verräterischen Vasallen, dem Grafen Herbert von Vermandois, ermordet, wie unsere Jahrbücher berichten.« – »Nicht eigentlich auf dieser Stelle, mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sagte der alte Seneschall, indem er mit der geschäftigen Eile eines Cicerone, der die Merkwürdigkeiten eines Platzes zu zeigen hat, weiter ging; »nicht hier, sondern in dem Seitenzimmer etwas weiterhin, das an Ew. Majestät Schlafgemach stößt.« Er öffnete schnell eine kleine Tür am obern Ende der Halle. Sie führte in ein Schlafzimmer, das, wie man es in solchen alten Gebäuden häufig trifft, sehr klein, aber eben darum auch heimlicher war als die weite Halle, durch die sie soeben gegangen waren.

Man hatte hier in der Eile einige Anstalten zu des Königs Bequemlichkeit getroffen: Tapeten aufgehangen, in dem rostigen Kamine ein Feuer angezündet und ein Feldbett für diejenigen Leute aufgeschlagen, die nach damaliger Sitte die Nacht in dem königlichen Schlafzimmer zubringen sollten.

»Wir werden für Euer übriges Gefolge in der Halle Betten herrichten lassen – wär' es Ew. Majestät gefällig, einen Blick auf das kleine Pförtchen hinter der Tapete zu werfen? es führt zu dem kleinen Kabinett, wo Karl ums Leben gebracht wurde. Hier ist ein geheimer Zugang von unten, durch den die Leute heraufkamen; Ew. Majestät Augen sind hoffentlich noch besser als die meinigen, so daß sie die Blutflecken auf dem eichenen Boden noch sehen können, obgleich schon fünfhundert Jahre seit diesem Ereignisse verflossen sind.« Dabei tappte er umher, das Pförtchen zu öffnen, bis der König sagte: »Laß es gut sein, alter Mann; warte noch ein Weilchen, dann kannst Du vielleicht eine neuere Geschichte erzählen und frischere Blutflecken aufzuweisen bekommen. Was meint Ihr, Herr Graf Crevecoeur?« – »Ich kann Euch bloß versichern, Sire, daß diese zwei inneren Gemächer ebenso zu Ew. Majestät Verfügung sind, wie die in Eurem eigenen Schlosse zu Plessis, und daß Crevecoeur, ein Name, der nie durch Verräterei oder Meuchelmord befleckt ward, mit der äußeren Wache beauftragt ist.« – »Aber der geheime Gang in das Kabinett, von dem der alte Mann spricht?« fragte König Ludwig in leisem, ängstlichem Tone, indem er mit der einen Hand Crevecoeurs Arm ergriff und mit der andern auf das Pförtchen deutete. – »Das hat Mornay geträumt,« sagte Crevecoeur, »oder es ist eine alte abgeschmackte Sage von dem Orte; – aber wir wollen die Sache untersuchen.«

Er wollte eben die kleine Tür öffnen, als Ludwig ihn mit den Worten zurückhielt: »Nein, Crevecoeur, nein! – Eure Ehre ist mir hinlänglich Bürge. – Allein was will Euer Herzog mit mir vornehmen, Crevecoeur? Er wird mich doch nicht lange gefangen halten wollen? Mit einem Wort – saget mir Eure Meinung hierüber, Crevecoeur.« – »Sire!« versetzte der Graf, »wie der Herzog von Burgund diese schreckliche, an seinem nahen Verwandten und Verbündeten verübte Greueltat aufnehmen muß, kann Ew. Majestät selbst beurteilen; mit welchem Rechte er sie durch Euch oder vielmehr Eure Sendlinge angestiftet wähnt, könnt nur Ihr wissen. Mein Gebieter besitzt indessen ein edles Gemüt und ist selbst im heftigsten Zorne jeder hinterlistigen Handlung unfähig; – was er auch immer tun mag, er wird es am hellen Tageslicht und angesichts der beiden Nationen tun, und ich kann nur hinzufügen, daß es der Wunsch aller seiner ihn umgebenden Räte – einer vielleicht ausgenommen – ist, daß er in dieser Angelegenheit mit Milde und Großmut sowie mit Gerechtigkeit verfahren möge.« – »Ach, Crevecoeur,« sagte Ludwig, indem er seine Hand faßte, als werde er von peinlichen Erinnerungen bestürmt, »wie glücklich ist doch der Fürst, der Ratgeber um sich hat, die ihn gegen die Ausbrüche der eigenen Leidenschaften bewahren! O, wäre es mir vom Schicksal vergönnt gewesen, Männer, wie Du bist, um mich zu haben!« – »Es wäre ja immer Ew. Majestät Bestreben, solche Männer schnell wieder los zu werden,« bemerkte der Hofnarr. – »Aha! ist die Weisheit auch da?« sagte Ludwig, indem er sich umwandte und den pathetischen Ton, in welchem er mit Crevecoeur gesprochen hatte, plötzlich mit einem humoristischen vertauschte; – »Bist Du uns hier gefolgt?« – »Ja, Sire,« antwortete le Glorieux, »die Weisheit muß in bunter Narrentracht folgen, wo die Torheit in Purpur vorangeht.« – »Wie soll ich das verstehen, Herr Salomo?« antwortete Ludwig, – »willst Du mit mir tauschen?« – »Nein, bei allem was heilig ist,« sprach le Glorieux, »und wolltet Ihr mir auch noch fünfzig Kronen in Kauf geben.« – »Wie, warum denn nicht? – mich dünkt, wie die Fürsten heutzutage sind, könnte ich wohl zufrieden sein, Dich zu meinem Könige zu haben.« – »Ja, Sire,« erwiderte le Glorieux, »aber die Frage ist die, ob ich, nach Ew. Majestät jetziger Wohnung zu urteilen, mich nicht schämen müßte, einen so dummen Narren zu haben.« – »Schweig, Bursche,« sagte Graf Crevecoeur, »Deine Zunge geht mit Dir davon.« – »Laßt ihn gewähren,« sagte der König; »ich kenne keinen besseren Gegenstand des Spottes, als die Torheiten derer, die bessere Einsicht haben sollten. – Hier, mein kluger Freund, nimm diese Geldbörse und mit ihr meinen Rat, niemals ein so großer Narr zu sein, daß Du Dich weiser dünkst als andere Menschenkinder. Jetzt aber sei so gut und erkundige Dich nach meinem Sterndeuter Martius Galeotti. Sobald Du ihn gefunden, schicke ihn zu mir.« – »Auf der Stelle, gnädigster Herr,« antwortete der Spaßmacher; »ich wette zehn gegen eins, der sitzt beim Jan Doppelthur; denn Philosophen wissen so gut wie Narren, wo man den besten Wein feil hat.« – »Vergönnt gefälligst diesem hochgelehrten Manne den freien Zutritt zu mir, Graf Crevecoeur,« sagte Ludwig. – »Sein Zutritt zu Euch hat keine Schwierigkeiten,« antwortete der Graf, »aber es tut mir leid, hinzufügen zu müssen, daß ich, meinen Instruktionen gemäß, niemand gestatten kann, Euer Majestät Gemächer wieder zu verlassen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht und werde sogleich in der äußeren Halle Anstalten treffen lassen, um den Herren, die sie bewohnen sollen, größere Bequemlichkeit zu verschaffen.« – »Gebt Euch deshalb keine Mühe, Herr Graf,« erwiderte der König, »sie sind gewohnt, mit Beschwerlichkeit sich abzufinden, zudem möchte ich außer Galeotti heute nacht niemand um mich sehen.«

Graf Crevecoeur beurlaubte sich, und kurz darauf konnte man das Geräusch der Schildwachen vernehmen, die auf ihre Posten zogen. Endlich war alles still, so daß nur das leise Gemurmel der unter den Mauern des Schlosses träge schleichenden Somme zu hören war. »Geht in die Halle, Freunde,« sagte Ludwig zu seinem Gefolge, »aber legt euch nicht zum Schlafe nieder. Haltet euch bereit, denn es gibt heute nacht noch Arbeit für euch, und zwar augenblicklich!« Oliver und Tristan zogen sich demzufolge in die Halle zurück, wo Balafré mit den beiden Unterbeamten des Generalprofoßen geblieben war, hüllten sich in ihre Mäntel und warfen sich auf die Dielen. Mittlerweile empfand ihr Gebieter in der Abgeschiedenheit seines einsamen Schlafgemachs Qualen, die man als Strafe für all das Ungemach ansehen konnte, das er anderen so oft schon zugefügt hatte. Mit kurzen, ungleichen Schlitten wandelte er in dem Zimmer auf und nieder, stand oft still, schlug die Hände zusammen und gab sich einer Gemütsstimmung hin, die er vor den Augen der Welt meisterhaft zu verbergen gewußt hatte. Endlich blieb er, die Hände ringend, vor dem Pförtchen stehen, das ihm der alte Mornay als Eingang zu dem Schauplatz der Ermordung eines seiner Vorfahren bezeichnet hatte, und machte allmählich seinen Empfindungen in einem abgebrochenen Selbstgespräche Luft ... »Karl der Einfältige! – Karl der Einfältige! – Wie wird die Nachwelt Ludwig XI. nennen, dessen Blut wahrscheinlich die Flecken des seinigen auffrischen wird? Ludwig der Tor – der Alberne – Ludwig der Betörte – alles Ausdrücke, noch viel zu schwach, meine grenzenlose Dummheit zu bezeichnen! – Dieser Blödsinn, die hitzköpfigen Lütticher, denen Empörung so notwendig ist als das tägliche Brot, würden ruhig bleiben; – dieser Irrwahn, das wilde Tier der Ardennen lasse sich auch nur einen Augenblick in seiner viehischen Mordlust hemmen – diese Narretei, bei Karl von Burgund würden irgend einmal Gründe der Vernunft und Klugheit anschlagen, dreifacher Tor, der ich war! – Aber der niederträchtige Martius soll mir nicht entschlüpfen! – Er ist an allem schuld – er und der schändliche Priester, der verabscheuungswürdige Balue! Sollt ich je wieder dieser Gefahr entkommen, so will ich ihm den Kardinalshut vom Kopfe reißen, und sollt' auch das Gehirn dran hängen bleiben! Allein den andern Verräter hab ich in den Händen. – Noch bin ich König genug, um an einem Quacksalber, einem lügenhaften Sterngucker, einem schändlichen Betrüger Strafe zu nehmen, der mich mit einemmal zum Narren und zum Gefangenen gemacht hat! Die Konjunktur der Konstellationen – ja, die Konjunktur! Unsinn schwatzt er, der kaum einen dreifach gesottenen Schafskopf hinters Licht geführt hätte, und ich muß Narr genug sein, mir einzubilden, ich verstände ihn! Allein wir wollen bald sehen, was die Konjunktur der Konstellationen wirklich bedeutet! – Doch zuvor muß ich meine Andacht verrichten.« Ueber der kleinen Tür befand sich, vielleicht zur Buße der Untat, die hinter ihr verübt worden, eine kleine Nische, in der ein in Stein gehauenes Kruzifix angebracht war. Auf dieses Bild heftete der König sein Auge, wie wenn er niederknien wollte; aber plötzlich hielt er inne, als hielte er es für unbesonnen, sich dem Bilde zu nähern, ehe er sich der Fürsprache irgend eines ihm günstigen Heiligen versichert hätte, wandte sich von dem Kruzifix ab und wählte von den Bildern um seinen Hut das der heiligen Jungfrau von Clery aus, kniete vor ihm nieder und betete: »Süße Frau Clery! gebenedeite Mutter der Gnaden, die Du allmächtig bist mit dem Allmächtigen, habe Mitleid mit mir armen Sünder! Zwar hab ich Dich oft verabsäumt über Deiner gebenedeiten Schwester von Embrun; allein ich bin der König, – meine Macht ist groß, mein Reichtum unermeßlich. Wäre es auch anders, eher würde ich meinen Untertanen doppelte Kopfsteuer auflegen, als daß ich Euch beiden meine Schuld nicht abtragen sollte. Zerbrich diese eisernen Türen – fülle sie aus, diese furchtbaren Gräben und leite mich, wie eine Mutter ihr Kind leitet, aus dieser drohenden Gefahr! Hab ich Deiner Schwester den Oberbefehl über meine Garden gegeben, so soll die große, reiche Provinz Champagne Dein sein, und ihre Weinberge sollen ihren Ueberfluß in Deine Klöster ergießen. Zwar hatte ich die Champagne meinem Bruder Karl versprochen; aber der ist, wie Du weißt, jetzt tot – vergiftet von dem schändlichen Abte von Angely, den ich, wenn ich das Leben behalte, zur Strafe ziehen will! Ich versprach Dir dies schon einmal, aber diesmal will ich gewiß Wort halten. Wenn ich Kenntnis von diesem Verbrechen hatte, so glaube, teuerste Schutzfrau, daß es bloß deshalb verübt wurde, weil ich keine bessere Art und Weise kannte, die Unruhen in meinem Reiche zu dämpfen. Rechne mir also die alte Schuld nicht heute zu, sondern sei, wie Du immer warst, mild, wohlwollend und zur Versöhnung geneigt. Süßeste Frau, bitte für mich bei Deinem Sohne, daß er mir alle vergangenen Sünden vergebe, und eine – eine kleine Tat, die ich diese Nacht noch begehen muß – eine Sünde ist es nicht, teuerste Frau von Clery, – keine Sünde, sondern eine im stillen vollzogene Handlung der Gerechtigkeit; denn der Bösewicht ist der größte Betrüger, der je einem Fürsten Falschheit ins Ohr geflüstert hat. Er ist Deines Schutzes nicht würdig; denn er ist ein Heide! überlaß ihn mir und betrachte das, was ich vor habe, als ein gutes Werk. Sieh! Hier knüpf ich mein königliches Siegel an Dein Bild, zum Zeichen, daß ich betreffs der Grafschaft Champagne Wort halten werde, und daß ich Dich wegen einer Blutschuld nie wieder angehen will, da ich weiß, daß Du ein so mildes, sanftes und weiches Herz hast.«

Als der König solchermaßen sein Gewissen erleichtert oder vielmehr gleich einem Grabe übertüncht hatte, steckte er seinen Kopf zur Tür hinaus und rief Balafré ins Zimmer. »Mein wackrer Krieger,« sagte er, »Du hast mir lange gedient und Du bist nur wenig befördert worden. Heute handelt es sich hier für mich um Leben und Tod; aber ich möchte doch nicht gern als Undankbarer sterben und einen Freund unbelohnt, wie einen Feind ungestraft zurücklassen. Nun habe ich einen Freund zu belohnen – und das bist Du – und einen Feind gebührendermaßen zu züchtigen, und das ist der schändliche, verräterische Martius Galeotti, der mich durch seine Betrügereien und Vorspiegelungen hierher in die Gewalt meines Todfeindes gebracht hat, mit dem festen Vorsatze, mich zu verderben, wie ein Fleischer ein Stück Vieh zur Schlachtbank treibt.« – »Dafür will ich ihn zum Zweikampf herausfordern,« versetzte Balafré, »und Ihr sollt sehen, wie ich für Euer Recht fechten und an diesem Philosophen Rache nehmen will.« – »Ich lobe Deine Tapferkeit und Dienstergebenheit,« sagte der König, »aber dieser verräterische Bube weiß auch die Waffen gut zu führen, und ich möchte nicht gern Dein Leben aufs Spiel setzen, tapferer Krieger.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, ich wäre wohl kaum ein tapferer Krieger,« sagte Balafré, »wenn ich nicht wagte, es mit einem Manne, wie diesem, aufzunehmen.« – »Und dennoch,« sagte der König, »ist es nicht unser Wille, Dich einer Gefahr auszusetzen. Der Verräter kommt auf unsern Befehl hierher. Wir wünschen, daß Du, sobald Du Gelegenheit finden kannst, Dich an ihn machst und ihm eins unter die fünfte Rippe versetzest. – Verstehst Du mich?« – »Wohl versteh ich Euch,« antwortete Balafré; »aber mit Ew. Majestät Erlaubnis, auf solche Sache verstehe ich mich gar nicht. Ich könnte keinen Hund töten, der mich nicht selbst angefallen hätte.« – »Du wirst doch nicht auf Zartgefühl Anspruch machen?« sagte der König; »nachdem Du bei Sturm und Belagerung immer der erste gewesen?«

»Gnädigster Herr,« antwortete Balafre, »nie habe ich, das Schwert in der Hand, Eure Feinde gescheut noch geschont. Ein Sturm ist ein verzweifelt Ding und bringt Gefahren mit sich, die einem das Blut erhitzen, daß es, beim heiligen Andreas, immer ein paar Stunden zur Abkühlung braucht. Doch Gott wird armen Soldaten gnädig sein, denen die Gefahr den Kopf verrückt, und die dann der Sieg vollends gar von Sinnen bringt. Allein was Ew. Majestät verlangt, liegt außer meinem Wege; drum laßt den Sterndeuter, wenn er ein Verräter ist, den Tod eines Verräters sterben – aber damit mag ich nichts zu tun haben. Ew. Majestät hat hierfür den Generalprofoß, der taugt besser dazu, diese Sache abzumachen, als ein schottischer Edelmann von meiner Herkunft.« – »Du hast recht,« sagte der König, »laß das also ruhen. Sobald aber hinter Galeotti sich die Tür geschlossen hat, so trittst Du unter Waffen und bewachst den Eingang des Zimmers. Laß keinen Menschen herein, – das ist alles, was ich von Dir verlange. So gehe, schicke mir den Generalprofoß.«

Balafré verließ das Zimmer, und Tristan l'Hermite trat sogleich ein.

»Willkommen, Gevatter,« sagte der König, »was hältst Du von unserer Lage?« – »Was ich von Leuten halte, die dem Tode geweiht sind,« versetzte der Generalprofoß, »wenn nicht noch einiger Aufschub von dem Herzog kommt,« – »Aufschub oder nicht! Der uns in die Falle gelockt hat, soll uns als Fourier vorangehen in die andere Welt, um dort Quartier für uns zu machen,« versetzte der König mit hämischem, grinsendem Lächeln. »Tristan, Du hast schon manchen Akt der Gerechtigkeit für mich vollzogen – Du mußt mir bis ans Ende treu bleiben.« – »Das will ich auch, gnädigster Herr,« sagte Tristan; »ich bin zwar nur ein schlichter, einfacher Mensch, aber ich bin dankbar. Ich werde meine Schuldigkeit innerhalb dieser Wände so gut tun, als anderswo; und solange ich lebe, soll Ew. Majestät leisestes Wort ebenso kräftig ein Todesurteil sprechen, und dasselbe ebenso buchstäblich erfüllt werden, als säßet Ihr noch auf Eurem eignen Throne. Mögen sie in der nächsten Stunde mit mir machen, was sie wollen, das gilt mir gleich.« – »So habe ich's von Dir erwartet, lieber Gevatter,« sagte Ludwig, »aber hast Du denn auch Leute, die Dir an die Hand gehen? – Der Verräter ist stark und gewandt und wird ohne Zweifel um Hilfe rufen. – Der Schotte will nichts weiter tun, als die Tür bewachen, und ich war froh, daß ich ihn hierzu durch Schmeichelei und gute Worte vermochte. Oliver taugt zu nichts, als zum Lügen, Schmeicheln und gefährliche Pläne schmieden; und ich glaube, er kommt wohl einst leichter selbst dazu, den Strick zu verdienen, als daß er ihn einem andern anlegen sollte. Glaubst Du Leute und Mittel genug zu haben, um ein sicheres Werk zu vollenden?«

»Ich habe Trois-Echelles und Petit-André bei mir,« sagte er – »Leute, die ihr Geschäft gut verstehen. Aber wen haben wir, mit Ew. Majestät Erlaubnis, diesmal zu bedienen? Ich bin immer gern meines Mannes sicher; denn Ew. Majestät geruht mitunter, mich daran zu erinnern, daß ich dann und wann den Verbrecher verfehlt und an seiner Statt einen ehrlichen Landmann habe aufknüpfen lassen, der Ew. Majestät nichts zuleide getan hatte.« – »Sehr wahr,« sprach der König. »So wisse denn, Tristan, daß der Verurteilte niemand anders ist, als Martius Galeotti. Du staunst, und doch ist es so, wie ich sage. Der Bube hat uns alle durch falsche, verräterische Vorspiegelungen hierher gelockt, um uns wehrlos in die Hände des Herzogs von Burgund zu liefern.« – »Aber nicht ungerächt!« sprach Tristan, »und wäre es die letzte Handlung meines Lebens; mein Stich soll ihn treffen, und sollt ich auch im nächsten Augenblicke in Stücke zertreten werden.« – »Ich kenne Deine treue Seele,« versetzte der König, »und weiß, daß Du, wie andere Leute, in der Erfüllung Deiner Pflicht Dein Vergnügen findest. So gehe und halte die Priester bereit, denn das Opfer naht.« – »Wollt Ihr es in Eurer eignen Gegenwart abgetan sehen, gnädigster Herr?« fragte Tristan.

Ludwig lehnte das Anerbieten ab, trug aber dem Generalprofoß auf, alles zur pünktlichen Vollziehung seiner Befehle für den Augenblick in Bereitschaft zu halten, wenn der Sterndeuter sein Gemach verlassen würde; »denn,« fügte er hinzu, »ich will den Bösewicht noch einmal sehen, bloß um zu erfahren, wie er sich gegen seinen Herrn, den er in solches Unglück gebracht hat, benehmen wird.«

Der Generalprofoß verließ das Gemach und berief seine Gehilfen in eine Fenstervertiefung der großen Halle, wo Trois-Echelles eine Fackel an die Wand gestellt hatte, um ihnen zu leuchten. Sie flüsterten zusammen, unbeobachtet von Oliver Dain, der in Niedergeschlagenheit versunken dasaß, sowie von Balafré, der fest eingeschlafen war.

»Kameraden,« sprach der Profoß zu seinen Helfershelfern, »Ihr dachtet vielleicht, unser Beruf habe seine Endschaft erreicht, oder daß wir jetzt wahrscheinlicher andern Arbeit machen, als unsererseits noch etwas zu schaffen finden würden. Aber Mut gefaßt, Kameraden, unser gnädigster Herr hat uns noch ein Stück Arbeit aufgespart, und dabei müssen wir rüstig Hand anlegen, als Männer, die in der Geschichte einen Namen haben wollen.« – »Ha! ich errate schon, wo es hinaus will!« sagte Trois-Echelles, »unser Herr will es mit den alten römischen Kaisern halten, die im Drange der Umstände, oder wenn es mit ihnen, wie wir sagen würden, an den Fuß der Leiter kam, sich aus ihren eigenen Dienern der Gerechtigkeit irgend einen erfahrenen Mann zu wählen pflegten, der ihren geheiligten Personen die linkischen Versuche eines Neulings oder Stümpers in unseren Geheimnissen ersparte. Dies war für die Heiden eine recht hübsche Sitte, aber als guter Katholik würde ich doch meine Bedenken haben, an den allerchristlichsten König Hand anzulegen.« – »Ei, Bruder, Du bist immer gar zu bedenklich,« versetzte Petit-André. »Wenn er Befehl oder Vollmacht zu seiner Hinrichtung gibt, so seh ich nicht ein, wie uns da irgend ein Aber kommen darf. Wer zu Rom lebt, der muß dem Papst gehorchen' die Leute des Profoßen müssen den Willen ihres Meisters tun, und dieser den seines Herrn.« – »Still, ihr Schelme!« sprach der Generalprofoß, »hier handelt es sich nicht um des Königs Person, sondern bloß um die des christlichen Ketzers, des heidnischen, muhammedanischen Hexenmeisters, Martius Galeotti.« – »Galeotti! ei, das kommt mir sehr natürlich vor. Ich habe von diesen Gauklern, die, sozusagen, ihr ganzes Leben lang auf dem Seile tanzen, noch keinen gekannt, der nicht am Ende noch gebaumelt hätte.« – »Mein einziger Kummer ist,« sagte Trois-Echelles, den Blick gen Himmel gewandt, »daß der arme Schelm ohne Beichte sterben muß.« – »Ei was!« versetzte der Generalprofoß, »er ist ein Erzketzer und Schwarzkünstler! Eine ganze Priestersynode könnte ihn nicht von der verdienten Verdammnis lossprechen. Uebrigens hast Du ja die Gabe, ihm, wenn er Lust dazu bekäme, mit geistlichem Beistande zu dienen, Trois-Echelles. Doch, was mehr zur Sache gehört, Kameraden, ich fürchte, ihr werdet eure Dolche brauchen müssen, denn ihr habt hier nicht alles bei der Hand, was zur Ausübung eures Geschäftes nötig ist.« – Nun, das wolle unsere liebe Frau von Paris verhüten,« sagte Trois-Echelles, »daß des Königs Befehle mich nicht im Besitze meiner Werkzeuge finden sollten! Ich trage immer den Strick des heiligen Franziskus vierfach um den Leib geschlungen, mit einer ordentlichen Schlinge am Ende; denn ich gehöre zur Brüderschaft des heiligen Franziskus und kann noch seine Kapuze tragen, wenn ich in extremis bin, – Gott und den heiligen Vätern von Saumur sei Dank dafür.« – »Und was mich betrifft,« sagte Petit-André, »so führe ich immer einen tüchtigen Kolben mit einer starken Schraube in der Tasche, um ihn zu befestigen, wo ich Lust habe, falls wir wo reisen sollten, wo es wenig Bäume gibt, oder wo die Aeste zu hoch vom Boden sind. Ich habe das immer sehr bequem gefunden.« – »Nun, das wird uns jetzt zustatten kommen,« sagte der Generalprofoß, »Ihr dürft nur Euren Kolben an jenem Balken über der Tür befestigen und den Strick darüber ziehen. Ich werde den guten Mann dicht an der Stelle im Gespräch halten, bis Ihr ihm die Schlinge unter das Kinn bringt, und dann ...« – »Dann aufwärts mit ihm,« sprach Petit-André, »und unser Sterndeuter ist insofern im Himmel, als er keinen Fuß mehr auf der Erde hat.« – »Aber diese Herren dort,« sprach Trois-Echelles, indem er nach dem Kamin hinblickte, »leisten uns vielleicht Beihilfe, um sich ein Handgeld in unserm Berufe zu verdienen?« – »Hm! nein,« antwortete der Profoß, »der Bartscher sinnt nur Unheil und läßt es andere anrichten, und der Schotte bewacht die Tür, wenn die Tat geschieht, ... jeder bleib bei seinem Leisten!«

Mit ungemeiner Gewandtheit und mit einem gewissen Vergnügen, das ihnen das Gefühl ihrer eignen mißlichen Lage milderte, befestigten die würdigen Vollzieher der Befehle des Profoßen Strick und Kolben, um das Urteil in Kraft zu setzen, das der gefangene Monarch gegen Galeotti ausgesprochen hatte, – sehr zufrieden, daß ihre letzte Handlung mit ihrem vergangenen Leben also im Einklang stehe.

Tristan l'Hermite sah ihren Vorbereitungen mit Wohlgefallen zu, während Oliver sie unbeachtet ließ, Ludwig Leslie dagegen die Sache auffaßte, als ob sie mit seiner Dienstpflicht in gar keinem Zusammenhange stehe, ihn also auch keine Verantwortung dafür treffe.

Elftes Kapitel

Als le Glorieux, der Narr, Ludwigs Wunsch – denn zu befehlen war der König von Frankreich nicht mehr in der Lage, – Martius Galeotti zu ihm zu schicken, erfüllte, hatte er weiter nichts nötig, als sich nach der besten Schenke in Peronne zu begeben, die er selbst ziemlich oft besuchte. Dort fand er den Sterndeuter in einer Ecke in vertrautem Gespräch mit einem Weibe begriffen, das eine sonderbare, einer maurischen oder asiatischen Tracht ziemlich ähnliche Kleidung trug und, als er herantrat, in der Absicht, sich zu entfernen, aufstand. »Auf diese Nachrichten,« sagte die Fremde, »könnt Ihr Euch vollkommen verlassen.« Und mit diesen Worten verschwand sie unter der Menge von Gästen, die an verschiedenen Tischen umhersaßen.

»Gevatter Philosoph,« richtete der Narr das Wort an den Sterndeuter, »der Himmel löste keine Schildwache ab, ohne eine andere zu senden, die ihren Platz einnehmen soll. Ein Narr geht, der andere kommt, um Euch in die Gemächer Ludwigs von Frankreich zu führen.« – »Und Du bist der Bote?« sagte Martius, indem er ihn argwöhnisch anblickte und gleich für den, der er war, erkannte. – »Ja, Herr,« antwortete le Glorieux, »mit Verlaub Eurer Weisheit. Wenn die Macht die Narretei absendet, um die Weisheit herbeizuholen, so ist dies ein sicheres Zeichen, wo den Patienten der Schuh drückt.« – »Wie aber, wenn ich mich zu kommen weigere, da ich zu so später Stunde und von einem solchen Boten geholt werde?« fragte Galeotti. – »In diesem Falle werden wir Euch führen,« versetzte le Glorieux. »Ich habe ein halbes Dutzend handfester Burgunder vor der Tür, die mir Graf Crevecoeur mit auf den Weg gegeben hat. Denn wisse, mein Freund Karl und ich haben unserm Vetter Ludwig die Krone, die er eselhafterweise in unsere Gewalt gegeben, nicht ganz genommen, sondern nur ausgefeilt und beschnitten. Kurz und gut, er ist noch immer Herr und Gebieter über seine eigenen Leute, Euch selbst mit eingeschlossen, und allerchristlichster König über den großen Eßsaal auf dem Schloß zu Peronne, wohin Ihr Euch, als sein Untertan, unverzüglich verfügen werdet.« – »Ich folge Euch,« erwiderte Galeotti und machte sich mit dem Narren auf den Weg, da er vielleicht sah, daß kein Entrinnen möglich sei. – »Da tut Ihr wohl daran,« sagte der Narr auf dem Wege zum Schlosse, »denn wir behandeln unsern Vetter, wie man einen alten ausgehungerten Löwen in seinem Käfig behandelt, dem man von Zeit zu Zeit ein Kalb hinwirft, damit er seine alten Kinnbacken in Uebung erhält.« – »Glaubt Ihr denn,« fragte Martius, »daß der König mir nach dem Leben zu trachten im Sinne hat?« – »Ei, das werdet Ihr besser erraten können als ich,« erwiderte der Possenreißer, »denn wenngleich der nächtliche Himmel etwas umwölkt ist, so wette ich doch, Ihr könnt die Sterne durch den Nebel sehen. Ich verstehe mich nicht auf die hohen Dinge; meine Mutter sagte aber, man müsse einer alten Ratte, die in der Falle sitzt, nicht zu nahe kommen, denn da beißen sie immer am ehesten.«

Der Sterndeuter stellte keine weiteren Fragen, und der Narr fuhr fort, nach der Sitte seines Schlags, sich in regellosen Sarkasmen und drolligen Späßen zu ergehen, bis er den Philosophen an die Wache am Schloßtor zu Peronne abgeliefert hatte, wo dieser von Posten zu Posten gebracht und endlich in den Hubertusturm eingelassen wurde.

Die Winke des Spaßmachers waren für Galeotti nicht verloren gegangen, und als er von Tristan mit einer düstern, unglückverheißenden Miene in das Schlafgemach des Königs geführt wurde, fiel ihm auch der Kolben mit dem Stricke sogleich ins Auge. Er bot nun all seinen Scharfsinn auf, der ihm drohenden Gefahr zu entgehen, mit dem Entschlusse, wenn dies ihm unmöglich würde, sich gegen jeden, der ihm zu nahe käme, aufs äußerste zu verteidigen. In solcher Stimmung trat Martius vor Ludwig.

»Mögen alle guten Planeten Ew. Majestät gnädig sein!« sprach er mit einer Verbeugung, wie sie tiefer kein Orientale vor seinem Herrscher hätte machen können, »und alle bösen Konstellationen dem Sterne meines königlichen Gebieters fern bleiben!« – »Mich dünkt,« erwiderte der König, »wenn Ihr Euch in diesem Gemach umseht, und bedenkt, wo es liegt, und wie es bewacht wird, so kann es Eurer Weisheit nicht entgehen, daß meine günstigen Gestirne sich untreu bewiesen und daß die schlimmen Konstellationen bereits bei bester Arbeit sind. Schämst Du Dich nicht, Martius, mich hier als Gefangenen zu sehen, wenn Du an die Versicherungen denkst, die mich hierher gelockt haben?« – »Und schämst Du Dich nicht, mein königlicher Gebieter,« entgegnete der Sterndeuter, »trotz aller Fortschritte in der Wissenschaft vor dem ersten finstern Blick des Schicksals zurückzubeben wie ein Feigling vor dem ersten Waffengeklirr?« – »Schamloser Mensch!« rief der König, »ist dies nur Einbildung? – Sind die Wachen des Herzogs von Burgund, deren Waffen Du an der Tür klirren hörst, Schatten? Was sind dann wahre Uebel, Verräter, wenn nicht Gefangenschaft, Entthronung und Lebensgefahr?« – »Unwissenheit, mein Bruder, und Vorurteil!« versetzte der Weise mit Festigkeit, »das sind die einzig wahren Uebel. Glaube mir, daß Könige im Vollgenusse ihrer Macht, wenn sie in Unwissenheit und Vorurteil versinken, weit unfreier sind, als Weise im Kerker. Zu dieser wahren Glückseligkeit Dich zu führen, ist mein Beruf.« – »Ich wollte,« rief der König im Tone bittern Hohns, »Du hättest mich zu Plessis gelehrt, daß die mir so freigebig versprochene Herrschaft sich allein über meine Leidenschaften erstreckte; daß der glückliche Erfolg, dessen Du mich versichertest, sich nur auf meine Fortschritte in der Philosophie bezöge, und daß ich so gelehrt und weise werden müßte, wie ein heimatloser italienischer Marktschreier, und zwar auf Kosten der schönsten Krone der Christenheit und um einer Behausung im Schloßturme zu Peronne willen! So geh denn hin und entgehe der wohlverdienten Strafe nicht! – Es gibt einen Himmel über uns!« – »Ich überlaß Euch nicht Eurem Schicksal,« versetzte Martius, »bis ich in Euren Augen, so verdunkelt sie auch jetzt sind, jenen Ruf gerettet habe, der ein glänzender Edelstein ist, als der glänzendste in Eurer Krone, und den die Welt noch nach Jahrhunderten anstaunen wird, wenn Capets ganzes Geschlecht in der Gruft von Saint-Denis längst vermodert ist.« – »Sprich,« sagte der König, »Deine Schamlosigkeit kann weder meine Vorsätze noch meine Meinung ändern – doch da ich vielleicht nie wieder als König ein Urteil fällen werde, so will ich Dich nicht ungehört verdammen.«

»Kennst Du denn,« erwiderte kühn der Sterndeuter, »den geheimen Einfluß jener gesegneten Himmelslichter? Du sprichst ihnen den Einfluß auf die Gewässer ab und weißt doch nicht, daß selbst der schwächste, weil er unserer armen Erde am nächsten, nicht bloß solch ärmliche Ströme, wie diese Somme hier, sondern die Fluten des mächtigen Ozeans unter seiner Herrschaft hält, die, je nachdem sich seine Scheibe füllt oder abnimmt, sich senken und heben und auf seinen Einfluß harren, wie eine Sklavin auf den Wink der Sultanin wartet? Und nun, Ludwig von Valois, antworte einmal auf dies mein Gleichnis! – Bekenne! Gleichst Du nicht dem törichten Reisenden, der dem Lotsen zürnt, daß er das Schiff nicht in den Hafen bringen kann, ohne es der Gewalt widriger Winde und Strömungen auszusetzen? Ich konnte Dir allerdings den wahrscheinlichen Ausgang Deiner Unternehmungen als glücklich verkündigen, allein dem Himmel blieb es vorbehalten, Dich zum Ziele zu geleiten; und wenn der Pfad rauh und gefährlich ist, stand es in meiner Macht, ihn zu ebnen und sicherer zu machen? Wo ist denn Deine Weisheit von gestern geblieben, die Dich mit Grund erkennen ließ, daß die Wege des Schicksals, wenn sie auch unseren Wünschen zuwiderlaufen, uns doch oft zu unserm Heile führen?« – »Du erinnerst mich – Du erinnerst mich,« fiel der König hastig ein, »namentlich an eine Deiner Falschheiten. Du sagtest mir, jener Schotte würde seinen Auftrag zu meinem Vorteil und meiner Ehre beendigen; und Du weißt doch, es hat sich so geendigt, daß nichts in der Welt für mich verderblicher sein konnte, als der Eindruck, den die Sache, wie sie jetzt steht, auf das erhitzte Gehirn des tollen Stiers von Burgund machen wird. Dies ist eine unleugbare Falschheit! – Hier kannst Du mir nicht entschlüpfen – kannst Dich nicht auf eine entfernte günstige Wendung von Ebbe und Flut berufen, auf die ich ruhig warten soll, wie ein dummer Teufel am Ufer, bis das Wasser abgelaufen. – Hier ließ Dich Deine List im Stiche. – Du warst schwach genug, eine bestimmte Weissagung zu wagen, die sich nun geradezu als falsch bewiesen hat.« – »Und die sich als wahr und richtig erweisen wird,« erwiderte der Sterndeuter zuversichtlich. »Ich möchte mir keinen größeren Triumph der Kunst über die Unwissenheit wünschen, als diese Weissagung und ihre Erfüllung mir gewähren wird. – Ich sagte Dir, daß der Schotte bei Erfüllung eines jeden ehrenvollen Auftrages treu befunden werden würde – traf es nicht zu? – Ich sagte Dir, er würde Bedenken tragen, zu irgend einem bösen Anschlage seine Hand zu leihen – war dem nicht so? Zweifelst Du noch daran, so frage den Zigeuner Hayraddin Maugrabin.« – Der König erglühte vor Scham und Aerger. – »Ich sagte Dir,« fuhr der Sterndeuter fort, »daß die Konjunktur der Planeten, unter welchen er abreiste, für seine Person Gefahr bedeute – ist nicht sein Pfad mit Gefahren umringt gewesen? Ich sagte Dir, seine Reise verspreche dem Absender Vorteil, und diesen Vorteil wirst Du bald ernten.« – »Den Vorteil ernten?« rief der König aus; »ist nicht das Resultat Schmach und Gefangenschaft?« – »Nein,« antwortete der Sterndeuter, »das Ende ist noch nicht da. Ueber ein kleines soll Deine eigene Zunge bekennen, welch eine Wohltat Dir durch die Art und Weise zuteil geworden ist, wie der Bote seine Sendung ausrichtete.« – »Diese Frechheit geht zu weit,« rief der König, »einen in einem Atem so betrügen und verhöhnen wollen! – Aber fort mit Dir! – Allein ich glaube nicht, daß, was Du an mir verschuldet hast, so ungerächt Dir hingehen soll! – Es gibt einen Himmel über uns!« – Galeotti wandte sich um, um sich zu entfernen. – »Bleib! Du hast Deine Betrügerei wacker durchgeführt. – Antworte mir nur noch auf eine Frage; aber überlege wohl, ehe Du sprichst. – Kann Dir Deine vorgebliche Weisheit die Stunde Deines Todes verkündigen?« – »Nur in Beziehung auf das Schicksal eines andern,« erwiderte Galeotti. – »Ich verstehe Deine Antwort nicht,« sagte der König. – »So wisse denn, o König,« sprach Martius, »daß ich nur mit Gewißheit von meinem Tode sagen kann, daß er genau vierundzwanzig Stunden vor dem Deinigen erfolgen wird.« – »Ha! Was sagst Du?« rief Ludwig, die Farbe wechselnd. – »Halt – halt, – geh noch nicht – warte noch einen Augenblick. – Mein Tod, sagtest Du, werde so schnell dem Deinen folgen?« – »Innerhalb vierundzwanzig Stunden,« wiederholte Galeotti mit Festigkeit; »sofern nur ein Funke Wahrheit in jenen glänzenden, geheimnisvollen Verkündigern wohnt, die ohne Zunge zu uns sprechen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht!«

»Halt – halt – geh nicht,« rief der König, ihn unter dem Arme fassend und von der Tür zurückführend. »Martius Galeotti, ich bin stets ein gütiger Herr gegen Dich gewesen, habe Dich bereichert, habe Dich zu meinem Freunde, zu meinem Gesellschafter, zum Lehrer in meinen Studien gemacht. – Sei offen gegen mich, ich bitte Dich darum. Ist etwas Wahres an dem, was Deine Kunst weissagt? Soll dieses Schotten Sendung in der Tat mich zu einem guten Ende führen? Martius, nicht wahr? Du wolltest mir nur einen Streich spielen. – Gestehe, ich bitte Dich, ich bin bei Jahren – bin ein Gefangener – werde, nach allem zu schließen, ein Königreich verlieren; – in meiner Lage ist Wahrheit Königreiche wert, und von Dir, teurer Martius, muß ich dies unschätzbare Kleinod erwarten.« – »Und ich habe es Ew. Majestät dargereicht,« antwortete Galeotti, »und zwar auf die Gefahr hin, daß Ihr in wilder Leidenschaft Euch gegen mich wenden und mich vernichten könntet.« – »Wer? Ich, Galeotti?« fragte der König mild; »ach, Du verkennst mich! Bin ich nicht gefangen, und sollte ich nicht geduldig sein, da mein Zorn nur meine Ohnmacht offenbaren kann? Sag mir also aufrichtig – Du hast mich zum besten gehabt, oder ist Deine Wissenschaft redlich, und sagst Du mir Wahrheit?« – »Ew. Majestät wird mir verzeihen,« erwiderte Martius Galeotti, »wenn ich hierauf antworte, daß nur die Zeit – die Zeit und der Erfolg den Unglauben besiegen können. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so kann ich Euch bloß auf den Verlauf der Ereignisse verweisen. Ein paar Tage Geduld wird bewahrheiten oder widerlegen, was ich in Hinsicht des jungen Schotten behauptet habe; und ich will auf dem Rade sterben und mir Glied für Glied zerbrechen lassen, wenn nicht das unerschrockene Benehmen Quentin Durwards Ew. Majestät einen wichtigen Dienst leisten wird.«

Ludwig hielt noch immer Galeotti am Kleide, als er ihn nach der Tür führte, und sprach, indem er sie öffnete, mit lauter Stimme: »Morgen sprechen wir davon. Geht in Frieden, mein gelehrter Vater – geht in Frieden, geht in Frieden!« Er wiederholte diese Worte dreimal und führte den Sterndeuter in die Halle, ihn fest beim Gewande haltend, als ob er fürchte, er könne ihm entrissen und vor seinen Augen umgebracht werden.

Der Generalprofoß betrachtete, während seine Leute sich nach der Entfernung des Königs zur Ruhe anschickten, die stattliche Gestalt des Sterndeuters mit dem Blicke eines Bullenbeißers, der ein Stück Fleisch, das der Koch ihm aus den Zähnen gerissen, mit den Augen verfolgt, während seine Gehilfen ihren Gedanken in kurzen Sätzen Luft machten. So verfloß die Nacht in dem Hubertusturme des Schlosses zu Peronne. Als der erste Strahl des Tages in das alte gotische Gemach drang, rief der König Oliver zu sich, der den Monarchen in seinem Schlafrocke sitzend fand und über die Veränderung erstaunte, die eine Nacht, in Todesangst zugebracht, in den königlichen Gesichtszügen hervorgebracht hatte. Er wollte eben seine Besorgnisse hierüber äußern, allein der König gebot ihm Stillschweigen und setzte ihm die verschiedenen Wege auseinander, die er versucht hatte, sich am Hofe von Burgund Freunde zu erwerben, und die Oliver, sobald ihm gestattet würde, auszugehen, weiter verfolgen sollte.

Nie aber war dieser schlaue Minister über die Einsicht des Königs und seine Bekanntschaft mit allen Triebfedern menschlicher Handlungen erstaunter, als während dieser merkwürdigen Unterredung. Zwei Stunden darauf erhielt Oliver vom Grafen Crevecoeur die Erlaubnis, auszugehen und die Aufträge auszurichten, die ihm sein Herr und Meister anvertraut hatte. Ludwig ließ dann den Sterndeuter wieder holen, dem er aufs neue sein volles Vertrauen zu schenken schien, und hielt mit ihm ebenfalls eine lange Beratung, woraus er allem Anschein nach mehr Mut und Vertrauen schöpfte, als er anfangs gezeigt hatte.

Zwölftes Kapitel

Wie Ludwig, so hatte, nur in noch höherem Grade, auch Karl von Burgund, denn er besaß durchaus nicht die gleiche Herrschaft über seine Leidenschaften, die Nacht in Angst und Unruhe verbracht. Nach der Sitte der Zeit brachten zwei seiner vornehmsten Räte, Hymbercourt und Argenton, die Nacht im Zimmer des Fürsten zu, auf Lagerstätten, die dicht am Bett ihres Gebieters für sie bereitet waren. Ihre Gegenwart war auch nie notwendiger als in dieser Nacht, wo des Herzogs Gemüt, zerrissen von Kummer, Leidenschaft, Begierde nach Rache und Ehrgefühl, einem Vulkan in seinem Ausbruche glich, der die verschiedenen Stoffe, die der Berg in sich verschließt, in eine Masse verschmolzen, auswirft.

Er mochte sich weder auskleiden noch zu Bett legen, sondern brachte die Nacht in leidenschaftlichster Erregtheit zu. In Anfällen von Wut sprach er unaufhörlich und so verworren und schnell, daß die beiden Adelinge befürchteten, er möchte den Verstand verlieren; er sprach von den Verdiensten und der Herzensgüte des ermordeten Bischofs von Lüttich, und rief sich dabei alle die Beweise wechselseitiger Freundschaft, Zuneigung und Vertraulichkeit ins Gedächtnis, bis sich endlich sein Schmerz so gesteigert hatte, daß er sich mit dem Gesicht aufs Bett warf; dann sprang er auf, schritt in dem Zimmer auf und ab, stieß unzusammenhängende Drohungen aus und verschwor sich beim heiligen Andreas und wen er sonst noch für heilig hielt, daß er blutige Rache an dem von der Mark, dem Volke von Lüttich und an demjenigen nehmen werde, der der Urheber des Ganzen sei.

In anderen Augenblicken, wenn seine Wut erschöpft war, saß er unbeweglich mit starrer, düsterer Miene da, als wenn er über einer verzweifelten Tat brüte, zu der er sich aber noch nicht entschließen könne. Unstreitig hätte es nur eines hinterlistigen Winkes von seiten eines seiner Räte bedurft, um ihn zu einem verzweifelten Schritte zu vermögen. Allein die Edeln Burgunds stimmten aus Ehrfurcht gegen die geheiligte Person des Königs, ihres Oberlehnsherrn, und aus Achtung für Treue und Glauben, sowie für die Ehre ihres Herzogs, die auf dem Spiele stand, weil Ludwig im Vertrauen darauf sich in seine Gewalt begeben hatte, einmütig für mildere Maßregeln.

Am dritten Tage langte Graf Campobasso an, und es war sehr gut für Ludwig, daß dieser rachsüchtige Italiener nicht schon da war, als der Herzog noch in seiner ersten Wut war. Unmittelbar nach seiner Ankunft wurden die Räte zu einer Sitzung berufen, um über die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten.

Campobasso gab seine Meinung in Form der Fabel vom Wanderer, der Otter und dem Fuchse ab. Er erinnerte den Herzog an den Rat, den Reinecke dem Manne gab, seinen tödlichen Feind, der durch Zufall in seine Gewalt geraten, zu zertreten. Argenton beeilte sich geltend zu machen, daß Ludwig an der zu Schönwald verübten blutigen Tat unbeteiligt sein könnte, daß er sich von der Anschuldigung reinigen könnte, daß er für die Unbilden, die der Herzog auf sein Anstiften in seiner und seiner Verbündeten Besatzung erlitten habe, Genugtuung geben könnte. Er äußerte ferner, daß eine an dem König verübte Gewalttat unfehlbar für Frankreich und Burgund die unglücklichsten Folgen haben müßte, worunter nicht die letzte wäre, daß die Engländer die Erschütterungen und bürgerlichen Zwistigkeiten, die sich notwendig ergeben müßten, wahrnehmen würden, sich wieder in den Besitz der Normandie und Guyennes zu setzen und alle die furchtbaren Kriege zu erneuern, die mit Mühe und einzig nur durch die Vereinigung von Frankreich und Burgund gegen den gemeinschaftlichen Feind beendigt worden seien.

Der Herzog hörte diese Vernunftgründe mit gesenkten Blicken an, seine Augenbrauen zogen sich so fest zusammen, daß sie zu einer buschigen Masse wurden. Als aber Crevecoeur behauptete, er glaube nicht, daß Ludwig Teilnehmer oder auch nur Mitwisser der in Schönwald verübten Greueltat sei, erhob Karl sein Haupt, warf einen stolzen Blick auf seinen Rat und rief: »Habt auch Ihr, Crevecoeur, französisches Geld klimpern hören?« – »Mein gnädigster Herr,« entgegnete Crevecoeur, »meine Hand ist immer mit Stahl, selten mit Gold vertraut gewesen; und daß Ludwig die Unruhen in Flandern veranlaßt hat, steht so fest bei mir, daß ich ihn noch vor kurzem in Gegenwart von seinem ganzen Hofe des Treubruchs beschuldigte und ihn in Eurem Namen in die Schranken forderte. Allein ich glaube keineswegs, daß er die Ermordung des Erzbischofs gutgeheißen, denn ich weiß, daß sogar einer seiner Abgesandten förmlich sich dagegen erklärte, und könnte Euch den Mann zur Stelle schaffen, wenn es Ew. Gnaden gefällig ist.« – »Wir wollen Ludwig von Frankreich selbst sprechen,« erklärte der Herzog, »und selbst die Genugtuung namhaft machen, die wir erwarten und verlangen. Wird er als unschuldig an diesem Morde befunden, so wird die Buße für andere Unbilden leichter werden. Ist er aber schuldig, wer sollte dann nicht behaupten, daß ein Leben, der Buße in einem abgelegenen Kloster gewidmet, eine wohlverdiente und dabei gnädige Strafe sei? Wir wollen uns vormittags auf das Schloß begeben. Einige Artikel sollen aufgesetzt werden, die er annehmen muß, oder wehe seinem Haupte! Die Sitzung ist aufgehoben, und Ihr seid entlassen. Euer Zeuge, Crevecoeur, soll vor uns erscheinen.« Darauf stand er auf und verließ das Gemach.

»Ludwigs Sicherheit, und, was noch schlimmer ist, die Ehre Burgunds hängt an einem Haare,« sagte Hymbercourt zu Crevecoeur und Argenton. »Eile auf das Schloß, Argenton – Du kannst besser reden als Crevecoeur oder ich. Sage Ludwig, welch ein Sturm gegen ihn im Anzuge ist – er wird am besten zu steuern wissen. Hoffentlich sagt sein Leibgardist nichts aus, was ihm zum Schaden gereicht.« – »Der junge Mann,« sagte Crevecoeur, »scheint zwar keck, aber klüger und besonnener, als sich von seinen Jahren erwarten läßt. In allem, was er mir sagte, schonte er den Charakter des Königs, als des Herrn, dem er dient. Ich bin überzeugt, er wird in Gegenwart des Königs ebenso handeln. Ich muß fort, um ihn, wie auch die junge Gräfin von Croye, aufzusuchen.« – »Die Gräfin! Sagtet Ihr uns nicht, Ihr hättet sie in dem St. Brigittenkloster gelassen?« – »Ja, aber ich mußte sie,« sagte der Graf, »auf des Herzogs ausdrücklichen Befehl durch einen Eilboten hierher entbieten lassen; und man hat sie, da sie nicht anders reisen konnte, auf einer Sänfte hergebracht. Sie war äußerst bekümmert, sowohl wegen der Ungewißheit über das Schicksal ihrer Verwandten, der Gräfin Hameline, als auch über das, was ihr bevorsteht, da sie sich dem Schutze ihres Lehnsherrn, des Herzogs Karl, entzogen hat, der unter allen Leuten auf der Welt eine Beeinträchtigung seiner oberherrlichen Rechte am wenigsten nachsieht.«

Die Nachricht, daß sich die junge Gräfin in Karls Händen befinde, gab Ludwigs Betrachtungen einen neuen Dorn. Er besprach sich über die Gegenstände mit großem Ernst mit Herrn von Argenton, dessen Scharfsinn und politische Talente dem Könige weit mehr zusagten, als der offene, militärische Freisinn Crevecoeurs oder der Vasallenhochmut Hymbercourts.

Argenton, ein hellsehender Mann, fühlte sich durch den Beifall des scharfsinnigsten Fürsten in Europa geschmeichelt und konnte sein innerlichstes Wohlgefallen nicht so verbergen, daß nicht Ludwig den auf ihn gemachten Eindruck hätte wahrnehmen sollen ... »Einen solchen Diener wünscht' ich zu haben,« sagte Ludwig, »dann wäre ich nicht in dieser unglücklichen Lage.«

Argenton erwiderte, daß die Fähigkeiten, die er besitze, Sr. allerchristlichsten Majestät zu Diensten ständen, soweit er nicht seine Pflichttreue gegen den Herzog Karl von Burgund, seinen rechtmäßigen Herrn, dadurch verletze.

»Und ich sollte der Mann sein, der Euch von dieser Pflicht verlockt?« sprach Ludwig pathetisch. »Droht mir nicht eben jetzt Gefahr, weil ich zu großes Vertrauen auf meinen Vasallen gesetzt habe? Nein, Philipp von Comines, fahrt fort, Karl von Burgund zu dienen, und am besten tun werdet Ihr es, wenn Ihr ihn zu einem billigen Vergleich mit Ludwig von Frankreich bewegt. Bewirkt Ihr dies, so leistet Ihr uns beiden einen Dienst, und einer wenigstens wird dafür dankbar sein. Ich bin ein schlichter Mann, Herr von Argenton, und ich bitte Euch, mir zu sagen, was erwartet Euer Herzog von mir?« – »Ich bin kein Ueberbringer von Vorschlägen, Sire,« sagte Comines; »der Herzog wird Euch bald seine Willensmeinung selbst eröffnen; indes fallen mir einige Punkte bei, die den Vorschlägen wohl zugrunde gelegt werden dürften. So zum Beispiel, die gänzliche Abtretung der Städte hier an der Somme.« – »Das erwartete ich,« versetzte Ludwig. – »Daß Ihr Euch lossagt von den Lüttichern und Wilhelm von der Mark.« – »Ebenso gern, als von der Hölle und dem Satan,« sagte Ludwig. – »Man wird hinlängliche Sicherheit durch Geißeln, Besetzung von Festungen oder auch andere Weise verlangen, damit Frankreich sich in Zukunft enthalte, unter den Flamändern Aufruhr und Empörung anzustiften.« – »Es ist etwas neues,« antwortete der König, »daß ein Vasall von seinem Lehnsherrn Unterpfänder fordert; doch sei es drum. Ist das Verzeichnis Eurer Winke nun zu Ende?« – »Noch nicht ganz,« antwortete der Ratgeber; »es wird auf jeden Fall gefordert, daß Ew. Majestät dem Herzog von Bretagne, wie dies erst kürzlich geschah, nicht länger beschwerlich falle und ihm nicht länger das Recht streitig mache, das ihm, wie allen großen Lehensträgern, zusteht, Münzen zu schlagen und sich Herzog und Fürst von Gottes Gnaden zu nennen.« – »Mit einem Wort, Könige aus meinem Vasallen zu machen! Wollt Ihr, Herr Philipp, daß ich ein Brudermörder werden soll? – Ihr erinnert Euch wohl noch meines Bruders Karl – kaum war er Herzog von Guyenne, als er starb. Was bleibt den Nachkommen Karls des Großen übrig, wenn sie diese reichen Provinzen weggegeben haben, als sich zu Rheims mit Oel salben zu lassen und unter einem Thronhimmel ihr Mittagsmahl einzunehmen?« – »Wir wollen Ew. Majestät Besorgnis hierüber mindern, indem wir Euch einen Genossen bei dieser einsamen Erhöhung geben,« sprach Philipp von Comines. »Obgleich der Herzog von Burgund jetzt noch nicht auf den Titel eines unabhängigen Königs Anspruch macht, so wünscht er dennoch, für die Zukunft von den herabwürdigenden Zeichen der Unterwürfigkeit gegen die Krone Frankreichs befreit zu sein.« – »Und wie kann der Herzog von Burgund, laut seinem Eide Vasall Frankreichs,« rief der König in ungewöhnlicher Gemütsbewegung aufspringend – »seinem Oberherrn Bedingungen vorzuschlagen wagen, die nach allen Gesetzen in Europa die Verwirkung seines Lehens zur Folge haben müssen?«

»Die Strafe der Verwirkung möchte im vorliegenden Falle schwer vollstreckbar sein,« antwortete Argenton ruhig; »denn Ew. Majestät weiß, daß die buchstäbliche Auslegung des Lehensrechtes, selbst im heiligen römischen Reiche, außer Brauch zu kommen anfängt, und daß Lehnsherr und Vasall ihre Lage gegenseitig zu verbessern suchen, sowie sich Macht und Gelegenheit dazu bieten. Ew. Majestät Verbindungen mit des Herzogs Vasallen in Flandern werden das Verhalten meines Herrn entschuldigen, wenn er darauf bestehen sollte, daß durch Erweiterung seiner Unabhängigkeit Frankreich für die Zukunft eines jeden Vorwands, sich auf gleiche Weise gegen ihn zu verhalten, überhoben werde.« – »Argenton!« rief Ludwig aus, indem er abermals aufstand und gedankenvoll im Zimmer auf und ab schritt, »Ihr haltet mir eine furchtbare Vorlesung über den Text: Wehe den Besiegten! Es kann doch wohl nicht Eure Meinung sein, daß der Herzog auf allen diesen harten Bedingungen bestehen sollte?« – »Wenigstens wünschte ich, Ew. Majestät hielte sich bereit, solche sämtlich zu erörtern.« – »Aber Mäßigung, Argenton, Mäßigung im Glück, ist – niemand weiß es besser, als Ihr – notwendig, um alle Vorteile sich zu sichern.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, das Verdienst der Mäßigung wird, wie ich schon oft zu bemerken Gelegenheit hatte, stets am meisten von dem verlierenden Teile hervorgehoben. Der gewinnende Teil achtet die Klugheit höher, die ihn auffordert, keine Gelegenheit unbenützt zu lassen.« – »Nun, wir wollen's überlegen,« erwiderte der König; »aber nun bist Du doch wohl mit Deines Herzogs unvernünftigen Forderungen zu Ende? Es kann nichts mehr übrig sein – oder wenn es der Fall ist, wie ich in Deinen Blicken lese – was ist es – was kann es sein – wenn es nicht meine Krone ist, die, wenn ich alle diese Forderungen bewilligte, all ihren Glanz verlöre?« – »Was ich Euch, Sire, noch sagen wollte,« versetzte Argenton, »steht zum Teil – und zwar zum größten Teil – in des Herzogs eigener Macht, allein er wünscht doch, Ew. Majestät Einwilligung dafür zu haben, denn es geht Euch in Wahrheit sehr nahe an.«

»Was ist es? Sprecht, Herr Philipp,« rief der König voll Ungeduld, »welche Schmach hat er mir noch zugedacht?« – »Keine Schmach, Sire; aber da Ew. Majestät Vetter, der erlauchte Herzog von Orleans ...« – »Ha!« rief der König; aber Argenton fuhr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen – – »seine Neigung der jungen Gräfin, Isabelle von Croye, zugewandt hat, so erwartet der Herzog, Ew. Majestät werde von Ihrer Seite sowie er von der seinigen, die Einwilligung zu dieser Verbindung geben und das edle Paar mit einer solchen Apanage ausstatten, die, verbunden mit den Gütern der Gräfin, einem Sohne Frankreichs ein anständiges Auskommen zusichert.« – »Nimmermehr,« rief der König mit einer Heftigkeit, die er nur mit Mühe bisher unterdrückt hatte, und indem er mit großen Schritten und mit einer Hast im Zimmer auf und ab ging, die den grellsten Kontrast zu seiner sonstigen Selbstbeherrschung bildete; »laßt das Kloster oder das Grab vor mir sich auftun – laßt sie glühende Eisen bringen, um mir die Augen auszubrennen – Beil oder Schierling – was man will – aber Orleans soll nie meiner Tochter die geschworene Treue brechen, oder eine andere heiraten, solange sie am Leben ist.« – »Ew. Majestät wird aber,« versetzte Argenton, »bevor Ihr Euch so bestimmt gegen diesen Vorschlag erklärt, bedenken, daß es nicht in Eurer Macht steht, es zu verhindern. Jeder weise Mann wird, wenn er ein Felsstück weichen sieht, von dem fruchtlosen Versuch abstehen, den Sturz desselben verhindern zu wollen.« – »Aber ein tapferer Mann,« entgegnete Ludwig, »wird wenigstens sich unter ihm begraben. – Argenton, betrachte den großen Verlust – den gänzlichen Untergang, dem eine solche Heirat mein Reich entgegenführen muß. Bedenke, daß ich nur einen einzigen schwächlichen Knaben habe, und daß dieser Orleans der nächste Erbe ist. Erwäge, daß die Kirche in seine Verbindung mit Johanna gewilligt hat, wodurch das Interesse beider Zweige meiner Familie so glücklich vereinigt wird – bedenke alles dies, und rechne dazu, wie diese Verbindung der Lieblingsplan meines ganzen Lebens gewesen ist – wie ich darauf gesonnen, dafür gewacht, gefochten, gebetet – ja gesündigt habe! Philipp von Comines, ich will, ich kann ihn nicht aufgeben! Bedenke, Mann, bedenke! Erbarme Dich meiner in dieser Not – Dein erfindungsreicher Kopf wird gewiß bald irgend ein Ersatzmittel für dieses Opfer ersonnen haben. Habt Mitleid mit mir, Philipp! Ihr wenigstens solltet wissen, daß für den, der mit Ueberlegung in die Zukunft blickt, die Vereitlung eines Plans, über dem er lange gebrütet, um den er sich lange abgemüht hat, unaussprechlich bitterer ist als der Kummer gewöhnlicher Menschen, die ihre Befriedigung in irgend einer vorübergehenden Leidenschaft finden.« – »Mein Herr und König!« erwiderte Argenton, »ich nehme Anteil an Eurem Schmerz, insoweit die Pflicht gegen meinen Gebieter –« – »Erwähnt ihn nicht!« sagte Ludwig, wirklich oder scheinbar einem unwiderstehlichen Antriebe weichend, der seine gewöhnliche Vorsicht bemeisterte. »Karl von Burgund ist Eurer Anhänglichkeit nicht wert. – Hat er nicht seine Räte beschimpft und geschlagen – hat er nicht dem weisesten oder treuesten unter ihnen den schimpflichen Beinamen »Stiefelkopf« gegeben?«

Philipp von Comines hatte, trotz seiner großen Klugheit, doch einen hohen Begriff von persönlicher Wichtigkeit und war über die Worte, die dem Könige gleichsam in der Hitze der Leidenschaft entschlüpft waren, so betroffen, daß er nur das Wort »Stiefelkopf!« wiederholen konnte. – »Es ist unmöglich,« sagte er endlich, »daß mein Herr, der Herzog, einen Diener so genannt haben kann, der ihm, seitdem er ein Roß besteigen lernte, immer zur Seite war – und zwar in Gegenwart eines fremden Monarchen? – Nein, das kann nicht sein, kann unmöglich sein!«

Ludwig bemerkte augenblicklich den Eindruck, den er bewirkt hatte, und erwiderte einfach, aber mit Würde: »Mein Unglück läßt mich all meiner Höflichkeit vergessen; denn sonst hätte ich eine Aeußerung nicht getan, die Euch unangenehm zu hören ist. Aber Ihr habt mir in Eurer Antwort Schuld gegeben, ich hätte Dinge gesprochen, die nicht möglich seien; und das greift meine Ehre an. Wenn ich Euch nicht die Umstände erzählen wollte, unter denen dieses beleidigende Wort gefallen ist, so bliebe dieser Vorwurf auf mir sitzen. Die Sache trug sich folgendermaßen zu. Ihr wart auf einer Jagdpartie mit Eurem Herrn, dem Herzog von Burgund, und als er vom Pferde gestiegen, verlangte er, Ihr solltet ihm die Stiefel ausziehen. Da er in Euern Blicken Empfindlichkeit über diese herabwürdigende Zumutung gelesen haben mochte, erwies er Euch denselben Dienst, den er von Euch empfangen hatte. Aber beleidigt darüber, daß Ihr ihn so wörtlich verstanden hattet, hatte er Euch kaum einen Stiefel ausgezogen, als er ihn Euch zornig um den Kopf schlug, bis das Blut herabfloß, und dabei Euch unverschämt schalt, daß Ihr als Untertan die Anmaßung hattet, einen solchen Dienst von der Hand Eures Gebieters anzunehmen; seitdem pflegte er und sein privilegierter Narr, le Glorieux, Euch den abgeschmackten Beinamen Stiefelkopf zu geben, der nun einer der gewöhnlichsten Späße geworden ist.«

Während Ludwig so sprach, hatte er den doppelten Genuß, nicht nur denjenigen, zu dem er sprach, auf das empfindlichste zu verwunden, was ihm immer Vergnügen machte, auch wenn er nicht, wie im vorliegenden Falle, die Entschuldigung hatte, daß er bloß ein Vergeltungsrecht übe – sondern auch den, daß er in Argentons Charakter einen verwundbaren Punkt gefunden hatte, der ihn allmählich dahin bringen konnte, das Interesse Burgunds aufzugeben und sich für das von Frankreich zu entscheiden. Allein obgleich der tiefe Unwille, den der beleidigte Hofmann gegen seinen Gebieter faßte, ihn in der Folge wirklich bewog, Karls Dienste mit denen König Ludwigs zu vertauschen, begnügte er sich doch für jetzt damit, einige Winke über seine freundlichen Gesinnungen gegen Frankreich fallen zu lassen, von denen er wohl wußte, daß der König sie richtig deuten würde, und zwang sich, über die von Ludwig soeben erzählte Anekdote zu lachen. »Ich hätte nie gedacht, daß ein so unbedeutender Scherz dem Herzog solange im Gedächtnis bleiben würde, daß er ihn des Wiedererzählens für wert hielt,« erwiderte er nach einer Weile; »etwas Wahres ist ja an dieser Geschichte; und Ew. Majestät weiß, daß der Herzog einen derben Spaß liebt; allein er hat sie sehr aufgebauscht. Doch, lassen wir das!« – »Ja, lassen wir das!« sagte auch der König; »es wäre eine Schande, wenn wir uns länger dabei aufhalten sollten. Und jetzt, Herr Philipp, hoffe ich, seid Ihr französisch genug gesinnt, um mir in dieser schwierigen Lage nach Eurem besten Wissen zu raten. Ihr habt, wie ich wohl weiß, den Faden zu diesem Labyrinth, wenn Ihr ihn mir nur mitteilen wollt.« – »Ew. Majestät hat über meinen besten Rat und meine Dienste zu befehlen,« erwiderte Argenton; »unbeschadet jedoch der Pflichten, die ich gegen meinen Gebieter habe.«

Dies war so ziemlich dasselbe, was der Hofmann schon vorhin erklärt hatte; allein diesmal sprach er es in einem ganz andern Tone, so daß Ludwig, wenn er aus der ersten Erzählung abnehmen mußte, daß die vorbehaltene Treue gegen Burgund die einzige in Betracht kommende Rücksicht war, jetzt fand, daß er mehr Nachdruck auf den versprochenen Rat, als auf den Vorbehalt legte, der nur der Form und Schicklichkeit wegen beigefügt zu sein schien. Der König nahm seinen Sitz wieder ein und nötigte Argenton, Platz zu nehmen. In der Unterhaltung, die sich nun entspann, lieh Ludwig diesem Staatsmann mit einer Aufmerksamkeit sein Ohr, als ob seine Worte Orakelsprüche wären. Argenton sprach in dem leisen, eindringlichen Ton, der zugleich Aufrichtigkeit und große Vorsicht andeutet, dabei aber so langsam, als ob der König jedes einzelne Wort so abwägen und beachten solle, als habe es einen besondern und bestimmten Sinn.

»Das, was ich Ew. Majestät zur Erwägung vorgelegt habe, hat, so hart es in Euren Ohren tönen mochte, doch nur weit schlimmere Vorschläge verdrängt, die im Staatsrate des Herzogs zur Sprache gebracht wurden. Ich brauche wohl Ew. Majestät nicht in Erinnerung zu bringen, daß gerade die bösesten Ratschläge bei unserm Gebieter das geneigteste Gehör finden, der immer kurze, gefahrvolle Maßregeln mehr liebt als solche, die zwar sicherer, aber umständlicher sind.« – »Ja, ich erinnere mich,« versetzte der König, »daß ich ihn einst über einen Fluß mit Gefahr des Ertrinkens schwimmen sah, ob er gleich zweihundert Schritte davon über eine Brücke hätte reiten können.« – »Jawohl, Sire; und wer sein Leben an die augenblickliche Befriedigung einer ungestümen Leidenschaft setzt, der wird bei derselben Anregung die wesentliche Vermehrung seiner Macht nicht achten, wenn er nur seinen Willen durchsetzen kann.« – »Sehr wahr,« erwiderte der König; »ein Tor wird immer mehr nach dem Scheine als nach der Wirklichkeit des Ansehens haschen; ich weiß, daß alles dies bei Karl von Burgund zutrifft. Aber, Freund Argenton, was folgert Ihr aus diesen Vordersätzen?« – »Weiter nichts, gnädigster Herr,« antwortete Argenton, »als daß es klug sein möchte, wenn Ihr dem Herzog in denjenigen Stücken nachgebt, auf die er nach seinen Begriffen von Ehre und Rachgier erpicht ist.« – »Ich verstehe, Herr Philipp; aber an welchen von seinen trefflichen Stücken hängt Euer Herzog so, daß Widerspruch ihn nur aufbringen und unfügsam machen würde?« – »Ew. Majestät sollte, um meines vorigen Gleichnisses mich zu bedienen, auf der Hut sein und doch immer bereit, dem Herzoge, wenn er in einem Anfalle von Wut fortschießt, hinlänglich Schnur frei zu lassen. Sein Ungestüm ist schon bedeutend geschwächt und wird sich von selbst aufreiben, wenn er keinen Widerstand findet, und Ihr werdet bald sehen, daß er biegsamer und gefälliger wird.« – »Es müssen aber doch,« sagte der König nachsinnend, »unter den Vorschlägen, die mir mein Vetter macht, einige sein, die ihm vor andern am Herzen liegen. Wenn ich nur erst diese wüßte, Herr Philipp –« »Ew. Majestät kann die unbedeutendsten Forderungen in seinen Augen zu den wichtigsten machen, wenn Ihr Euch denselben widersetzt,« sagte Argenton; »doch kann ich, gnädigster Herr, soviel mit Gewißheit sagen, daß von irgend welchem Vertrag nicht im geringsten die Rede sein wird, wenn Ew. Majestät nicht Wilhelm von der Mark und die Lütticher aufgibt.« – »Ich habe bereits gesagt, daß ich mich von ihnen lossagen will,« sagte der König, »und sie haben es auch um mich verdient; die Schufte begannen ihren Aufruhr in einem Augenblicke, in welchem es mir leicht das Leben hätte kosten können.« – »Herzog Karl wird mehr als bloße Lossage verlangen; er wird auf Ew. Majestät Beistand zur Unterdrückung des Aufstandes und auf Eurer Gegenwart als Zeuge der über die Aufrührer verhängten Strafe bestehen.« – »Das wird sich schwerlich mit unserer Ehre vertragen, Argenton,« sagte der König. – »Es zu verweigern, wird sich aber kaum mit Ew. Majestät Sicherheit vertragen,« erwiderte Comines. »Karl ist entschlossen, dem Volke von Flandern zu zeigen, daß ihnen keine Hoffnung auf Beistand und Hilfe von seiten Frankreichs gegen den Zorn und die Rache Burgunds bleibt.« – »Aber, Argenton, um offen zu sprechen,« entgegnete der König, »sollten die Lütticher Schelme, wenn wir nur die Sache etwas aufschieben könnten, sich nicht gegen Herzog Karl halten können? Sie sind zahlreich und mutvoll.« – »Mit Hilfe der tausend französischen Bogenschützen, die Ew. Majestät ihnen versprach, hätten sie schon etwas ausrichten können: aber –« »Die ich ihnen versprochen?« fragte der König; »nein, guter Herr Philipp, Ihr tut mir wahrlich sehr unrecht.« – »Aber was können die Bürger ohne diese Unterstützung,« fuhr Argenton fort, ohne sich an die Worte zu kehren, »von einer Verteidigung ihrer Stadt erhoffen, in deren Mauern die großen Breschen, die Karl nach der Schlacht bei St. Trond gerissen, noch immer nicht ausgebessert sind, so daß die Lanzen von Hennegau, Brabant und Burgund zwanzig Mann hoch zum Angriffe anrücken können?«

»Die unvorsichtigen Dummköpfe!« rief der König – »wenn es ihnen so wenig um ihre eigene Sicherheit zu tun war, so verdienen sie auch meinen Schutz nicht. Fahrt fort – ich will mir ihretwegen keine Ungelegenheit machen.« – »Der nächste Punkt, fürchte ich, wird Ew. Majestät näher zu Herzen gehen,« sagte Comines. – »Ach!« rief der König, »Ihr meint die unselige Heirat! Ich werde nun und nimmermehr der Auflösung des Vertrages zwischen meiner Tochter Johanna und meinem Vetter Orleans meine Einwilligung geben; das hieße mir und meinen Nachkommen das Zepter von Frankreich aus den Händen winden; denn mein schwächlicher Knabe, der Dauphin, ist ein taube Blüte, die abfällt, ohne jemals Früchte zu tragen. Diese Verbindung zwischen Johanna und Orleans ist mein Gedanke bei Tag und mein Traum bei Nacht gewesen. Ich sage Dir, Argenton, ich kann sie nicht aufgeben! Ueberdies ist es unmenschlich, von mir zu verlangen, daß ich mit eigner Hand mein eigenes politisches Gebäude und zugleich das Lebensglück eines von Jugend auf füreinander erzogenen Paares zerstören soll.« – »Haben sie denn wirklich solche Zuneigung zueinander?« fragte Argenton. – »Von der einen Seite ist dies wenigstens der Fall,« versetzte der König, »und gerade von der Seite, die mir die meiste Sorge zur Pflicht macht. Aber Ihr lächelt, Herr Philipp – Ihr glaubt nicht an die Macht der Liebe.« – »Im Gegenteil,« sagte Argenton, »ich bin, mit Eurer Erlaubnis, in dieser Hinsicht so strenggläubig, daß ich Euch eben fragen wollte, ob Euch nicht die Versicherung, daß die Neigung der jungen Gräfin sich einem andern zugewandt habe, so daß es wahrscheinlich nie zu besagter Heirat kommen wird, bestimmen könnte, in die Vermählung des Herzogs von Orleans mit Isabelle von Croye zu willigen?«

König Ludwig seufzte. – »Ach, mein teurer Freund,« sprach er dann, »aus welchem Grabe habt Ihr solchen Trost für Tote geholt? – Ihre Neigung, ja freilich! – Wenn, in Wahrheit zu reden, Orleans auch meine Tochter Johanna verabscheute, so hätte er ohne dieses unselige Gewebe von Mißgeschick sie auf jeden Fall ehelichen müssen. Daraus könnt Ihr nun wahrnehmen, wie wenig Hoffnung vorhanden ist, daß dieses Jungferchen unter gleichem Zwange seine Hand ausschlagen wird, zumal er ein Sohn Frankreichs ist. – Nein, nein, Philipp! – es ist Wohl nicht zu besorgen, daß sie gegen die Bewerbungen eines solchen Freiers lange standhalten werde.«

»Ew. Majestät möchte im vorliegenden Falle den halsstarrigen Mut dieser jungen Gräfin doch zu gering anschlagen. Sie stammt aus einem eigenwilligen Geschlecht; und ich habe von Crevecoeur erfahren, daß sie eine romantische Neigung zu einem jungen Schildknappen hegt, der ihr allerdings auf der Reise manche Dienste geleistet hat.« – »Ha!« rief der König, »ein Bogenschütze meiner Garde, Quentin Durward?« – »Ich denke, ja!« sagte Argenton; »er wurde mit der Gräfin gefangen genommen, als er fast ganz allein mit ihr reiste.« – »Nun, gelobt sei Jesus Christ!« rief der König, »und Lob und Ehre dem gelehrten Galeotti, der in den Sternen las, daß dieses jungen Mannes Geschick mit dem meinigen verbunden sei! Ist das Mädchen ihm so zugetan, daß sie dadurch gegen Burgunds Willen sich widerspenstig zeigt, so ist dieser Quentin mir von großem Nutzen gewesen.« – »Nach dem, was mir Crevecoeur berichtet hat, ist allerdings einige Hoffnung vorhanden, daß sie auf ihrem Sinne beharren werde; überdies wird ohne Zweifel der edle Herzog ungeachtet der von Ew. Majestät geäußerten Vermutung schwerlich die Ansprüche auf die Hand seiner schönen Muhme, mit der er schon so lange verlobt ist, so bereitwillig aufgeben wollen.« – »Hm!« versetzte der König – »Ihr habt meine Tochter Johanna noch nie gesehen. – Eine Vogelscheuche, Mann! eine wahre Nachteule ist sie, deren ich mich schäme! Aber wenn er nur so klug ist, sie zu heiraten, so mag er meinetwegen sich bis über die Ohren in das schönste Kind in Frankreich verlieben. – Und nun, Philipp, habt Ihr Euch mit allen Falten des Gemüts Eures Gebieters vertraut gemacht?«

»Ich habe Ew, Majestät mit allem bekannt gemacht, worauf er zu bestehen jetzt willens ist. Allein Ew. Majestät weiß, daß des Herzogs Stimmung einem brausenden Gießbach gleichkommt, der nur dann in seinem Bette bleibt, wenn er keinen Widerstand findet; was aber noch sich zeigen könnte, ihn aufs neue in Wut zu bringen, läßt sich schwer berechnen. Würden sich noch nähere Beweise für Ew. Majestät Intriguen – verzeiht mir diesen Ausdruck, da jetzt so wenig Zeit für Zeremonien ist – mit den Lüttichern und Wilhelm von der Mark herausstellen, dann könnte es allerdings noch schlimmer werden. Es sind seltsame Nachrichten aus jener Gegend hier eingelaufen, – man erzählt sich, Wilhelm von der Mark habe Hameline, die ältere Gräfin von Croye, geheiratet.« – »Die alte Törin war ja so heiratslustig, daß sie des Satans Hand nicht ausgeschlagen hätte,« versetzte der König, »aber daß der von der Mark, so roh er auch ist, sie geheiratet haben sollte, würde mich noch mehr in Erstaunen setzen.« – »Ferner geht die Sage,« fuhr Comines fort, »daß ein Abgesandter oder Herold von seiten Wilhelms von der Mark unterwegs nach Peronne sei; – ein Umstand, der schon allein hinreichend wäre, den Herzog zur Raserei zu bringen – hoffentlich hat er nicht Briefe oder dergleichen von Ew. Majestät aufzuweisen?« – »Ich sollte an den wilden Eber schreiben?« antwortete der König. »Nein, nein, Herr Philipp, solcher Tor, Perlen vor die Schweine zu werfen, war ich nie; – mein geringer Verkehr mit dem wilden Tiere wurde durch Landstreicher und gemeines Gesindel gefühlt, deren Zeugnis nicht einmal bei einem Hühnerdiebstahl gelten möchte.« – »So kann ich denn Ew. Majestät nur noch empfehlen,« sagte Argenton, sich beurlaubend, »auf der Hut zu sein und vor allen Dingen Worte oder Beweise zu meiden, die mehr Eurer Würde, als Eurer jetzigen Lage angemessen sein dürften.«

»Wenn meine Würde,« versetzte der König, »mir einen Spuk machen will – was selten der Fall ist, wenn ich an höhere Interessen zu denken habe, – so habe ich ein sicheres Mittel, zu verhindern, daß sie mir nicht das Herz aufbläht. – Ich brauche dann nur in das zerstörte Kabinett einen Blick zu werfen, Herr von Comines, und an den Tod Karls des Einfältigen zu denken; dies heilt mich, wie ein kaltes Bad das Fieber, – Und jetzt, mein Freund und Warner, mußt Du gehen? Wohl denn, Herr Philipp, es wird ja eine Zeit kommen, wo Du es müde werden wirst, dem Stier von Burgund Vorlesungen über Staatspolitik zu halten. – Wenn Ludwig von Valois dann noch lebt, so findest Du einen Freund an Frankreichs Hofe. Ich sage Dir, es wäre ein Segen für mein ganzes Reich, wenn ich Dich gewinnen könnte, denn bei aller tiefen Einsicht in die Politik hast Du noch ein Gewissen, Recht und Unrecht zu fühlen und zu unterscheiden. So wahr mir Gott helfe, Oliver und Balue haben Herzen so hart, wie Mühlsteine, und mein Leben ist mir durch Gewissensbisse und Reue über Verbrechen verbittert worden, zu denen sie mir rieten. Du aber, Philipp, vereinigst die Weisheit der Gegenwart und der Vergangenheit, Du kannst mich lehren, wie man groß wird, ohne Tugend zu verabsäumen!«

»Eine schwere Aufgabe, die nur wenige zu lösen wußten,« sagte Comines; »doch ist sie Fürsten, die nach ihr streben wollen, noch immer erfüllbar. Vor der Hand, Sire, haltet Euch bereit, denn der Herzog wird gleich hier erscheinen, um mit Euch zu unterhandeln.«

Ludwig sah Philipp lange nach, als er das Zimmer verließ, und brach endlich in bitteres Lachen aus. »Er dünkt sich tugendhaft, weil er die Börse nicht nahm, sondern sich mit Schmeicheleien, Versprechungen und dem Genuß abspeisen ließ, für gekränkte Eitelkeit Rache nehmen zu können! Nun, er ist um so viel ärmer, da er das Geld ausgeschlagen hat – und nicht um ein Jota ehrlicher. Gleichviel muß er mein sein, denn er ist der schlaueste Kopf unter allen. – Jetzt geht es an ein edleres Wild! Jetzt hab ich's mit dem Leviathan Karl zu tun. Gleich dem furchtsamen Schiffsmann muß ich ihm eine Tonne zum Spiel über Bord weisen, aber ich werde schon noch eines Tages die Gelegenheit erwischen, ihm eine Harpune in die Eingeweide zu bohren.«

Dreizehntes Kapitel

An dem Vormittag, welcher der wichtigen und nicht minder gefahrvollen Zusammenkunft zwischen den beiden Fürsten im Peronner Schlosse vorausging, war Oliver Le Dain seinem Herrn der geschäftigste, gewandteste Unterhändler, den König Ludwig sich nur irgend wünschen konnte. Er gewann ihm überall Freunde und Förderer, bald durch Geschenke, bald durch Versprechungen; wie schon in der Nacht vorher, schlich er von Zelt zu Zelt, von Behausung zu Behausung, und wie es von andern politischen Agenten geheißen hat, »war sein Finger in jedermanns Hand und sein Mund in jedermanns Ohr« – kurz und gut, er sorgte dafür, daß die Ansicht Oberwasser bekam, daß man nicht allzu lebhaftes Interesse hätte, sich aus dem Regen selbst in die Traufe zu bringen, und daß es der Burgunder Herzog wohl um so weniger an despotischem Gelüst fehlen lassen möchte, wenn er »allein Hahn im Korbe wäre«; daß es also in ihrem eigenen Interesse läge, nicht den einen Herrscher völlig zu ducken, um den andern allein auf den Schild zu heben, sondern daß sie besser dabei fahren würden, wenn sie nach wie vor darauf hielten, einen gegen den andern ausspielen zu können. Und so erreichte denn Oliver von dem Grafen Crevecoeur, wenn auch mit einiger Mühe, die Erlaubnis, in Gegenwart Balafrés und mit Einverständnis Lord Crawfords, des Korpskommandanten, eine Unterredung mit Quentin Durward zu führen, der seit seiner Rückkehr nach Peronne in einer Art von Ehrenhaft gehalten wurde. Um nun diese Erlaubnis zu erhalten, mußten allerdings Privatsachen herhalten; indes ist es doch nicht so unwahrscheinlich, daß sich Graf Crevecoeur, aus Besorgnis, sein Herr und Gebieter mochte sich durch seine Leidenschaftlichkeit zu irgend einer unverantwortlichen Handlung gegen Ludwig hinreißen lassen, ganz gern dafür entschied, Lord Crawford mit dem jungen Schotten verhandeln zu lassen, weil er annehmen durfte, daß es dabei ohne nützliche Verhaltungswinke für den letzteren nicht abgehen werde.

Die beiden Landsleute waren äußerst erfreut über dieses Wiedersehen, und Lord Crawford strich dem jüngern Freunde zärtlich mit der Hand durch das lange, blonde Haar. »Du bist doch wirklich ein wunderlicher Jüngling,« hub er an, »Du hast ja bei allem, was Du unternimmst, mehr Glück, als wenn Du mit einer Glückshaube zur Welt gekommen wärest,« – »Das kommt doch einfach bloß daher,« bemerkte Balafré zur Sache, . . »weil er als solch junger Grünschnabel schon in unser Korps eingestellt worden ist. Von mir ist nicht halb soviel die Rede, trotzdem ich schon über ein Vierteljahrhundert dabei bin.« – »Du warst aber auch das richtige Ungeheuer von Page, meiner lieber Ludwig,« erwiderte Crawford, »hattest einen Bart wie ein Jude, der sich drei Jahre lang nicht hat scheren lassen, und einen Rücken so breit wie ein Keiler.« – »Leider werde ich wohl nicht mehr lange Anspruch auf diese Ehre, Bogenschütze Seiner allerchristlichsten Majestät zu sein, erheben dürfen,« erwiderte Quentin mit zu Boden gesenktem Blicke .. »denn ich werde mich wohl entschließen müssen, diesen Dienst zu quittieren.«

Der Oheim Balafré war außer sich vor Erstaunen, und aus den Zügen des alten Lords sprach das tiefste Mißfallen... »Was fällt Dir ein,« rief endlich Balafré, »Du willst Deinen Dienst quittieren? wer hätte sich dergleichen träumen lassen? mir könnte das nicht passieren, und wenn ich Aussicht hätte, Großkonnetable von Frankreich zu werden,« – »Ruhig, Ludwig!« sprach Lord Crawford, »der Jüngling weiß besser als wir, wie man nach dem Winde steuern muß, denn ihm ist mehr Wind um die Ohren gestrichen, und wir fangen an, zum alten Register zu gehören. Auf seiner Tour wird er wohl manches über König Ludwig vernommen haben, was ihm nicht recht behagt; und wenn er daraufhin burgundisch wird und der Meinung ist, mehr herausschlagen zu können, wenn er den Herzog davon in Kenntnis setzt, nun, so läßt sich unsererseits doch nichts dagegen tun.« – »Wenn das seine Gedanken wären, Lord Crawford,« rief Balafré, »so schnitte ich ihm selber die Kehle durch, gleichviel ob er meiner Schwester Kind ist.« »Aber ohne zuvor zu untersuchen, ob ich solche Behandlung auch verdiene,« sagte Quentin Durward, »würdet Ihr mich solcher Prozedur doch Wohl nicht unterziehen, Ohm? Und Ihr, Mylord, wißt wohl, daß sich die Rolle eines Zuträgers für mich nicht schickt. Möchte mir während meines Dienstes bei König Ludwig auch das Schlimmste zu Ohren gekommen sein, so könnt's doch keine Folter über meine Lippen zerren! Insoweit weiß ich, was ich meinem Diensteide schuldig bin. Aber ich habe keine Lust, in einem Dienste zu verbleiben, in welchem ich nicht bloß den Streichen meiner Feinde im offenen Kampfe, sondern auch den verräterischen Tücken meiner Freunde ausgesetzt bin.« – »Wenn das der Fall sein sollte,« nahm Valafré das Wort, indem er auf seinen Kommandanten einen kummervollen Blick heftete, »dann muß ich freilich fürchten, Mylord, daß kein Rat mehr mit ihm sein wird. Ich hab ja selbst ein paar Dutzend Male gegen solche Hinterlist ankämpfen wollen, die leider unserm König nicht abzugewöhnen ist, denn sie bildet nun einmal seine beliebteste Kriegsmanier.« – »Freilich, Ludwig, freilich!« pflichtete ihm Lord Crawford bei, »aber schweigen wir lieber, kommt es mir doch so vor, als ob Du der Sache mehr auf den Grund blicktest als ich.« – »Aber trotzdem kann ich's nur schwer verwinden, Mylord,« sagte Balafré, »daß ich mir sagen muß, meiner Schwester Sohn habe Dampf vor Türken und Hinterhalten.«

»Mein Sohn,« wandte sich nun Lord Crawford an Quentin Durward, »ich glaube den Sinn Deiner Worte zu erraten: Du bist auf der Reise, die Du auf Befehl unternommen, hinter Dinge gekommen, die Dir als Verrat erscheinen, und als Urheber davon vermutest Du nun Deinen König?« – »Allerdings hat der König mir nachgestellt, während ich für ihn unterwegs war. Aber ich bin so glücklich gewesen, diesen Anschlägen zu entgehen. Wie Seine Majestät solches Verhalten vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann, das mag ihm überlassen bleiben. Er hat mich gespeist, als ich hungrig war, hat mich beherbergt, als ich ein irrender Fremdling war. In seinem Unglück ihn mit Anschuldigungen zu belasten, soll mir nie beikommen, denn es könnte sein, daß das, was mich dabei nicht persönlich angeht, nicht völlig auf Wahrheit beruht. Die Quellen, aus denen ich schöpfen mußte, sind schließlich nicht die allerreinsten.« – »Mein wackrer Sohn!« rief da Lord Crawford, den Jüngling in die Arme schließend, »das nenn' ich gesprochen, wie es eines echten Schotten würdig ist! Du denkst wie einer, der sich nur des Guten von dem Menschen erinnert, den er schon mit dem Rücken am Henkerpfahle stehen sieht.« – »Nun, da Mylord meinem Neffen solch herzliche Ehre antut,« rief Balafré, »hab ich wohl nicht nötig, sie ihm vorzuenthalten . . immerhin, Junge, solltest Du wissen, daß dem Soldaten der Dienst im Hinterhalt so wichtig ist und so nötig wie dem Priester sein Meßbuch.« – »Still, Ludwig!« wehrte ihm Lord Crawford, »Du weißt nicht, wie dankbar Du dem Himmel sein mußt, daß er Dir diesen wackern Burschen gesandt hat. Du aber, Quentin, sage mir, ob der König um Deine mannhafte, christliche Gesinnung weiß? es sollte dem unglücklichen Herrscher doch nicht vorenthalten bleiben, auf wen er in seinen Nöten bauen darf. Ach, hätte er doch nur sein ganzes Leibgardekorps mit hergeführt! Aber wer kann gegen Gottes Willen? Wie gesagt, Quentin, weiß der König um Deinen Entschluß?«

»Das zu sagen, Mylord, bin ich außerstande,« versetzte Quentin, »aber seinem Sterndeuter Galeotti habe ich die Versicherung gegeben, daß es mein fester Wille sei, über alles, was dem Könige nachteilig werden könnte, tiefstes Stillschweigen zu wahren gegenüber dem Herzoge von Burgund. Was mir als besonders verdächtig erschienen ist,« setzte er hinzu, »werde ich übrigens auch Euch nicht mitteilen, Mylord, und umsoweniger habt Ihr also Grund zu der Annahme, ich hätte Lust haben können, dem Philosophen mein Inneres zu erschließen.« – »Brav, mein Sohn! brav!« rief der Lord, »mir fällt ein, daß Oliver gesagt hat, der Galeotti habe prophezeit, wie Ihr Euch verhalten würdet; da bin ich nun freilich froh, daß er die Kunde aus einer sichereren Quelle geschöpft hat als aus einem Gestirn . . aber, Ludwig! wir müssen Deinen Neffen nun verlassen und wollen zu unsrer lieben Frau beten, daß sie ihn in seinem guten Sinne auch fürderhin bestärke, denn es liegt hier ein Fall vor, wo ein einziges ungeschicktes Wort größeres Unheil stiften könnte, als das ganze Parlament von Paris wieder gut zu machen vermöchte . . Nimm also meinen Segen, mein Sohn, und den Rat: beeile Dich nicht zu sehr, unser Korps zu verlassen, denn es wird bald tüchtige Wamse bei hellem Tage setzen, und nicht mehr in Hinterhalten.« – »Und meinen Segen, Junge, will ich Dir nicht vorenthalten,« sagte Ludwig Lesley, »denn wenn mein edler Hauptmann zufrieden mit Dir ist, dann darf ich keine Ursache mehr zur Unzufriedenheit finden.«

»Noch eine kurze Weile verzeiht, Mylord,« sagte Quentin, indem er den Korpskommandanten beiseite nahm, »ich darf nicht unerwähnt lassen, daß es noch jemand in der Welt gibt, der über die näheren Umstände von mir aufgeklärt worden ist, die jetzt um der Sicherheit des Königs Ludwig willen verschwiegen bleiben müssen. Diese Person dürfte vielleicht meinen, daß ihr nicht die gleiche Verpflichtung, zu schweigen, obliegt, wie mir als Dienstmann Ludwigs ...« – »Ihr, sagt Ihr?« rief Lord Crawford, »o weh! wenn's ein Frauenzimmer ist, die drum weiß, dann sei uns Gott gnädig! da säßen wir ja wieder ganz gehörig in der Tinte!« – »Das braucht Ihr nicht zu meinen, Mylord!« versetzte Durward, »doch macht Euren Einfluß bei dem Grafen Crevecoeur geltend, daß er mir eine Unterredung mit Gräfin Isabelle gestatte. Denn sie allein ist's, die um das Geheimnis weiß, und ich zweifle nicht, daß es mir gelingen werde, sie in gleicher Weise zum Stillschweigen zu bestimmen, wie das mir meinem eignen Ich gegenüber gelungen ist.«

Der alte Soldat stand einen Augenblick überlegend da, dann richtete er den Blick bald auf die Dielen, bald zur Decke hinauf, dann schüttelte er den Kopf – dann sagte er: »Weiß der Himmel! aber hinter dieser ganzen Geschichte steckt noch etwas, das ich nicht verstehe . . Gräfin Isabelle von Croye? und mit der wolltest Du Springinsfeld schottischer Herkunft eine Unterredung haben? mit einer Dame von ihrer Geburt, von ihrem Rang und Reichtum? Entweder hast Du zu hohes Vertrauen in dich, mein Sohn, oder Du hast unterwegs Deine Zeit vermaledeit gut verwendet! Immerhin will ich mit Crevecoeur in dieser Sache reden, und da er tatsächlich fürchtet, sein hitzköpfiger Herr könnte sich zu etwas Verdrießlichem von seiner Leidenschaft hinreißen lassen, so wird er wohl, denke ich, in Dein Begehren willigen, so seltsam und absonderlich es ihm auch, meiner Sixen, erscheinen wird.«

Hierauf verließ der Lord das Zimmer, achselzuckend und in Begleitung Balafrés, der nichts Besseres wußte, als ebensolche geheimnisvolle Miene aufzusetzen wie sein Kommandant.

Es dauerte nicht lange, so kehrte Lord Crawford wieder zurück, aber ohne seinen Schatten Balafré, und mit weit heitrerer Miene als vorhin. Ja er lachte und kicherte in sich hinein, auf eine Art, wie sie gar nicht recht zu seinem rauhen, runzligen Gesicht passen mochte. Dann wieder schüttelte er den Kopf, wie über eine Sache, die wohl seinen Tadel verdiente, die ihm aber nichtsdestoweniger außerordentlich albern vorkam. »Wirklich, Landsmann!« sagte er endlich, »blöde seid Ihr nicht, und aus Schüchternheit werdet Ihr sicherlich keine Schöne einbüßen. Crevecoeur kam mir vor wie einer, der Essig schluckt, als er Euren Vorschlag vernahm, und bei allen Heiligen Burgunds verschwor er sich, Euch keinen Schritt zu der Gräfin vergönnen zu wollen, wenn nicht gerade die Ehre der beiden Fürsten und der Friede der beiden Reiche auf dem Spiele stünde! Wäre er nicht schon verheiratet, so hätte ich, weiß Gott! gedacht, er wolle um der schönen Isabelle Hand selbst noch eine Lanze brechen! aber er denkt vielleicht an seinen Neffen, den Grafen Stephan? Seh einer an! Aber auf die Unterredung, das sage ich Euch, darf viel Zeit nicht verloren gehen, denn sonst möchte dem Grafen Crevecoeur die Geduld reißen! Hahaha! schmälen kann ich mit Euch, weiß Gott! nicht ob solcher Anmaßung, aber lachen, herzlich lachen muß ich darüber!«

Scharlachrot im Gesicht ob dieser Worte des alten Kriegers, aber schweigend, weil er sich sagte, daß jedes Wort die Sache nur verschlimmern würde, folgte Durward seinem Kommandanten in das Kloster, worin die Gräfin Zuflucht genommen hatte. Dort traf er im Sprechzimmer den Grafen Crevecoeur. . »Also, junger Schwerenöter,« sprach dieser in gemessenem Tone, »wie es scheint, müßt Ihr die holde Partnerin Eurer romantischen Spritzfahrt durchaus noch einmal sehen?« – »Allerdings, Herr Graf,« antwortete Durward kalt, aber fest, »und was noch mehr ins Gewicht fallen dürfte, ich muß sie unter vier Augen sehen und sprechen.« – »Das wird nimmermehr der Fall sein,« versetzte entschieden der Graf, »urteilt selbst, Lord Crawford! die junge Dame ist die Tochter meines ältesten und wertgeschätztesten Waffengefährten, dabei die reichste Tochter der burgundischen Lande, und sie hat zugegeben, daß sie eine – na, wie soll ich sagen? – na, eine Törin ist, Euer Kriegsmann dort aber ein anmaßender junger Geck . . kurz und gut, unter vier Augen dürfen sie einander nicht sehen . . auf keinen Fall!« . . »Nun, dann werde ich eben in Eurer Gegenwart kein Wort mit der Gräfin reden,« versetzte Quentin; »Ihr habt mir ja mehr bekannt gegeben, als ich bei aller mir eigentümlichen Anmaßung zu hoffen mich getraut hätte.« – »In Wahrheit, Freund,« nahm jetzt Lord Crawford das Wort, »Ihr seid mit Euren Reden nicht vorsichtig genug gewesen. Da Ihr Euch aber auf mich beruft, so möchte ich meinen, daß im Sprechzimmer ja doch ein ziemlich starkes Gitter den Klosterinsassen von dem Besucher absperrt. Ich denke, daraufhin könntet Ihr doch wohl ruhig es darauf ankommen lassen, was sie mit ihren Jungen anfangen werden? Wenn das Leben eines Königs und vieler seiner Edeln und Untertanen von der Unterredung solches jungen Menschen mit einer jungen Dame in gewissem Grade abhängt, dann meine ich, sollte man sie zusammen in aller Ruhe schwatzen lassen.«

Mit diesen Worten zog Lord Crawford den Grafen aus dem Zimmer. Er folgte, wenn auch nicht ohne Widerstreben, dem klügeren Greise, konnte aber nicht umhin, den jungen Bogenschützen noch mit recht zornigen Blicken zu messen. Gleich darauf trat Gräfin Isabelle ein, und zwar von der anderen Seite des Gitters. Kaum hatte sie den jungen Schotten allein in dem Sprechzimmer erblickt, als sie stehen blieb und ein paar Sekunden lang die Augen zu Boden geschlagen hielt ... »Aber warum sollte ich undankbar sein?« sagte sie schließlich? »weil andre mich mit ungerechtem Argwohn verfolgen? ... Mein Freund, mein – Retter, denn so muß ich Euch nennen – da ich von allen Seiten von Verrat umringt war – mein einzig treuer und aufrichtiger Freund!« Sie reichte ihm durch das Gitter die Hand und ließ sie in der seinen ruhen, ja, sie ließ es zu, daß er sie mit Küssen bedeckte.. Dann aber sagte sie: »Quentin Durward! sollten wir uns jemals wiedersehen, so würde ich diese Torheit Euch nie erlauben!« – Dann entzog sie ihm ihre Hand, trat einen Schritt vom Gitter weg und fragte Durward in einem ziemlich verlegenen Tone: was er eigentlich von ihr wolle? »Denn daß Ihr mich um etwas bitten wollt, hat mir der alte schottische Lord gesagt, der mit dem Grafen Crevecoeur bei mir war. Aber um eins möchte ich bitten: sprecht nichts, was uns beiden, denn es ist wohl anzunehmen, daß wir belauscht werden, zum Nachteil gereichen könnte.« – »Seid ohne Furcht, edles Fräulein,« erwiderte Quentin besorgt; »blickt nicht zurück, sondern vorwärts, standhaft vorwärts! wie alle tun müssen, die auf gefahrvollem Pfade wandeln, und höret mich an! König Ludwig hat es um Euch nicht besser verdient, als daß er öffentlich als hinterlistiger Ränkeschmied erklärt werde. Im gegenwärtigen Augenblick würde es aber, wenn nicht seinen Tod, so doch den Verlust seiner Krone bedeuten, wenn er angeklagt würde als derjenige, der Euch zu Eurer Flucht geraten, ja der den Plan ersonnen hat, Euch dem Eber von der Mark in die Hände zu liefern; und ganz ohne Zweifel dürfte feststehen, daß es infolge solcher öffentlichen Brandmarkung des Königs Ludwig zum blutigen Kriege zwischen Frankreich und Burgund kommen müßte.«

»Solches Herzeleid soll niemals durch mich über diese beiden herrlichen Länder gebracht werden,« erklärte Gräfin Isabelle in festem, doch freundlichem Tone, »sofern es sich irgend verhindern läßt. Dazu würde mich die leiseste Bitte aus Eurem Munde vermögen, denn ich bin nicht rachsüchtig. Also sagt mir, was ich tun soll? wenn mich der Burgunder Herzog vor sich ruft, soll ich schweigen oder die Wahrheit sagen? das erstere wäre Widerspenstigkeit, und das andere Lüge. Und dazu mich zu erniedrigen, werdet Ihr mir doch nicht zumuten?« – »Ganz gewiß nicht, edle Gräfin,« erwiderte Durward, »aber beschränkt Eure Aussage über König Ludwig auf das wenige, von dessen Wahrheit Ihr fest überzeugt seid . . und wenn Ihr erwähnt, was andre Euch berichtet haben, so tut es nur in dem Sinne, wie man sich Gerüchten gegenüber verhält, und nehmt Euch in acht, Dinge, die Ihr selbst nicht erlebt habt, als wahr unter Eurem Zeugnis zu sagen. Mag mithin, was Euch selbst nicht so bekannt ist, daß Ihr es auf Euer Zeugnis nehmen könnt, durch andre Beweismittel als bloße Gerüchte erhärtet werden.«

»Ich glaube, den Sinn Eurer Rede zu verstehen,« erwiderte die Gräfin. – »Ich will mich noch deutlicher auszudrücken suchen,« sagte Quentin und schickte sich eben an, das Gesagte noch weiter auszuführen, als die Klosterglocke erklang . . »Das ist das Zeichen,« sagte die Gräfin, »daß wir uns zu trennen haben . . zu trennen für immer! . . Aber vergeßt mich nicht, Durward . . denn ich werde Euch ... Eure treuen Dienste auch nimmer vergessen!« – Weiter konnte sie nicht sprechen, aber sie reichte ihm noch einmal die Hand und noch einmal drückte er sie an die Lippen, und ich weiß nicht, wie es kam, aber die Gräfin trat, als sie ihm ihre Hand zu entziehen suchte, so dicht an das Gitter heran, daß Quentin den Mut fand, ihr einen Abschiedskuß auf die Lippen zu drücken . . und sie schalt ihn deshalb nicht, vielleicht war keine Zeit mehr dazu – denn Graf Crevecoeur und Lord Crawford, die, wenn nicht Ohren-, so doch Augenzeugen, und zwar durch einen günstig gelegenen Spalt, vom ganzen Vorgange gewesen waren, stürzten in den Raum, der erstere wild vor Zorn, der andere berstend vor Lachen und umsonst bemüht, den andern in den Schranken der Vernunft zu halten.

»Auf Euer Zimmer, meine Dame!« rief der Graf der Gräfin zu, die ihren Schleier über das Gesicht zog und sich eilig entfernte, »und ich will Sorge tragen, daß Ihr es mit einer Zelle bei Wasser und Brot vertauscht. Ihr seiner Musje dagegen, Ihr werdet wohl demnächst in Verhältnisse kommen, wo das Interesse von Königen und Ländern nicht mehr von Euren Kenntnissen abhängig ist. Dann soll Euch die Strafe für solche Frechheit, Euer Bettlerauge zu einer Gräfin von Burgund zu erheben, noch hinterher zuteil werden!« – »Herr Graf,« nahm darauf Lord Crawford das Wort, »das sind der Worte von Eurer Seite nun wahrlich genug; Ihr dagegen, Quentin, verhaltet Euch still! ich befehl's Euch, verstanden? Graf Crevecoeur soll es durch mich erfahren, daß Ihr ein Edelmann seid so gut wie er, so gut wie der König, wenn auch nicht, wie es in Spanien heißt, so reich wie er . . Aber von einer Strafe zu reden Euch gegenüber, dazu hat er kein Recht! weiß Gott nicht! weiß Gott nicht!«

»Mylord,« erwiderte der Graf, »die Frechheit dieser Mietstruppen im französischen Lande ist schier zum Sprichwort geworden, und Ihr tätet wahrlich besser, sie nicht zu züchten, sondern einzudämmen.« – »Ich bin nun an fünfzig Jahre Kommandant des Bogenschützenkorps, Herr Graf,« erwiderte Lord Crawford, »ohne daß ich den Rat eines Franzosen, geschweige eines Burgunders gebraucht habe, um zu wissen, wie ich mich dabei zu verhalten habe . . und wenn Ihr nichts dawider habt, so denke ich es in Zukunft in dieser Hinsicht auch nicht anders zu halten.« – »Meinetwegen, Mylord,« versetzte Graf Crevecoeur, »beleidigen wollte ich Euch nicht; Rang und Alter geben Euch ja einiges Vorrecht, Euch gehen zu lassen, und was die beiden jungen Menschen angeht, nun, so will ich insofern mal fünf gerade sein lassen, als ich ja hinfort dafür Sorge tragen werde, daß sie einander nicht mehr vor die Augen kommen.« – »Darauf möcht ich an Eurer Statt denn doch lieber keinen bindenden Eid ablegen,« erwiderte der alte Schotte mit Lächeln, »so gut, wie Berge aufeinander zurücken, so können's menschliche Geschöpfe doch auch, zumal sie doch Beine haben, und Lust und Liebe, sie in Bewegung zu sehen, auch. Mir ist's wenigstens so vorgekommen, als sei es ein recht herzhafter Schmatz gewesen, den wir mitangehört haben; und so was, weißt's doch immer, vergißt sich im Leben nicht.«

»Lord Crawford,« antwortete Crevecoeur, »Ihr wollt abermals meine Geduld auf die Probe stellen, allein gelingen soll's Euch nicht! Doch da läutet die Glocke auf dem Schlosse . . da wird's eine wichtige Versammlung setzen, und was sie bringt, das weiß allein Gott! – »Was sie bringen wird,« sagte Lord Crawford, »will ich Euch voraussagen: der König wird, wenn ihm Gewalt angetan werden sollte, und mag er noch so wenig Freunde haben, mag er von Feinden noch so dicht umringt sein, nicht allein fallen, und auch nicht ungerächt fallen . . ich beklage nur, daß seine unmittelbaren Befehle es mir unmöglich gemacht haben, meine Maßregeln zu treffen und mich auf einen solchen Ausgang des tollen Einfalles beizeiten zu rüsten.«

»Mylord Crawford,« erwiderte der Burgunder, »solchem Uebel kommt man am sichersten zuvor, wenn man es herbeiführt. Gehorcht den Befehlen Eures königlichen Gebieters, und gebt keinen voreiligen Anstoß zu Gewalttaten, dann werdet Ihr finden, daß der Tag friedlicher endigen wird, als Ihr zurzeit vermutet.«

Vierzehntes Kapitel

Beim ersten Klange der Glocke, die die burgundischen Edlen mit den wenigen französischen Pairs, die zugegen waren, in die Versammlung rief, trat Herzog Karl, von einem Teil seines bewaffneten Gefolges begleitet, in die Halle des Herbertturms im Peronner Schlosse ein. König Ludwig, der diesen Besuch erwartet hatte, stand auf, trat dem Herzog ein paar Schritte entgegen und blieb dann mit einem würdevollen Anstande stehen, den er, wenn er es nötig fand, wohl anzunehmen wußte. Der Herzog hingegen trat ungestüm ein und wechselte, obgleich er sich zwang, im Aeußern und auch in der Sprache eine gewisse Höflichkeit anzunehmen, doch jeden Augenblick seine Farbe; seine Stimme stockte, die Stirn zog er in Falten und biß sich in die Lippe, bis sie blutete: kurz, jeder Blick, jede Bewegung deutete an, daß der leidenschaftlichste Fürst, der jemals lebte, unter der Herrschaft eines der heftigsten Anfälle von Wut stand.

Der König sah diesem Kampfe der Leidenschaft ruhig zu; las er auch in den Blicken des Herzogs die bitterste Ankündigung des Todes, den er als sterblicher und sündhafter Mensch gleich sehr fürchtete, so war er dennoch entschlossen, sich gleich einem vorsichtigen, geschickten Steuermann weder durch Besorgnisse außer Fassung bringen zu lassen, noch auch vom Steuerruder zu weichen, so lange noch die Möglichkeit, das Schiff zu retten, vor»Händen blieb.

»Ich komme,« sprach der Herzog, »Ew. Majestät zu hohem Rate einzuladen. Dinge von hoher Wichtigkeit, die Wohlfahrt Frankreichs und Burgunds betreffend, sollen verhandelt werden. Ihr werdet Euch daher sogleich dahin verfügen – sofern es Euch beliebt natürlich ...« – »Lieber Vetter,« erwiderte der König, »treibt Eure Höflichkeit nicht so weit, daß Ihr um das bittet, was Ihr befehlen dürft ... also zur hohen Versammlung, wenn es Ew. Hoheit so beliebt! Wir sind,« fügte er mit einem Blick auf die wenigen hinzu, die sich zu seiner Begleitung anschickten, »in unserm Gefolge etwas geschmälert worden – drum, lieber Vetter, müßt Ihr für uns beide glänzen.«

Unter Vorantritt des ersten Herolds von Burgund, Toison d'Or, verließen die Fürsten den Herbertturm und traten in den Schloßhof, der mit des Herzogs Leibwache in prachtvoller Rüstung angefüllt war. Ueber den Hof gelangten sie in den Versammlungssaal, der in einem neueren Teile des Gebäudes sich befand. Zwei Prunksessel standen unter einem Thronhimmel; der für den König bestimmte zwei Stufen höher als derjenige für den Herzog. Ungefähr zwanzig Mitglieder des hohen Adels saßen der Reihe nach zu beiden Seiten, so daß, als sie Platz genommen hatten, König Ludwig, über den der hohe Rat zu Gericht sah, den Vorsitz zu führen schien. Herzog Karl machte nun eine leichte Verbeugung vor dem König und eröffnete die Versammlung hastig mit den Worten:

»Meine treuen Vasallen und Räte! Es ist Euch nicht unbekannt, welche Unruhen in Unseren Landen zu Lebzeiten meines Vaters, sowie unter Unserer Regierung durch den Aufstand von Vasallen gegen ihre Lehnsherren, von Untertanen gegen ihre Fürsten, stattgefunden haben. So haben wir erst kürzlich den schrecklichsten Beweis gehabt, bis zu welcher Höhe dieses Uebel bei Uns gestiegen ist, durch die schändliche Flucht der Gräfin Isabelle von Croye und ihrer Muhme, der Gräfin Hameline, um bei einer fremden Macht Schutz zu suchen, wodurch sie ihre Lehenspflicht verletzt und ihre Lehen verwirkt haben; und einen andern, noch furchtbarerern Fall erlebten Wir durch die ruchlose Ermordung Unseres geliebten Bruders und Bundesgenossen, des Bischofs von Lüttich, wie durch die Empörung der verräterischen Stadt. Wir haben Uns berichten lassen, daß diese traurigen Ereignisse nicht sowohl in dem Leichtsinn und der Torheit von Weibern oder in der Anmaßung übermütiger Bürger, sondern in den Umtrieben einer fremden Macht und der Einmischung eines mächtigen Nachbarn ihren Grund haben, von dem doch Burgund nichts als die aufrichtigste, treueste Freundschaft hätte erwarten sollen. Sollte dies alles als wahr befunden werden,« sagte der Herzog, indem er mit den Zähnen knirschte und mit dem Fuße auf den Boden stampfte, »welche Rücksicht sollte Uns abhalten, – da Wir die Mittel in den Händen haben, – diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die die Quelle aller dieser Uebel, die in jedem Jahre Uns treffen, an ihrem Ursprünge verstopfen?« Der Herzog hatte mit Ruhe zu sprechen begonnen, aber seine Stimme gegen das Ende derselben erhoben und die letzten Worte in einem Tone gesprochen, vor dem alle seine Räte erzitterten und selbst König Ludwig erblaßte. Der letztere sammelte sich jedoch gleich wieder und wandte nun seinerseits sich mit einer Anrede an die Versammlung, in welcher so viel Unbefangenheit und Fassung lagen, daß der Herzog, obgleich er oft versucht schien, ihn zu unterbrechen und dem Laufe seiner Rede Einhalt zu tun, dennoch keine schickliche Ursache dazu finden konnte.

Nach einer Weile indes fiel er ihm ungeduldig in die Rede ... »Gräfin Isabelle soll eintreten!« befahl er rauh. Als die Gräfin, unterstützt von der Gräfin Crevecoeur und von der Aebtissin der Ursulinerinnen, hereintrat, rief Karl barsch: »Nun, schöne Prinzessin – Was denkt Ihr denn von dem sauber« Werke, das Ihr zwischen zwei großen Fürsten und mächtigen Ländern angerichtet habt?«

Die Gräfin von Crevecoeur, eine Dame gleich geistvoll wie hochgeboren, hielt es für nötig, für die vor Schreck fast ohnmächtige Jungfrau das Wort zu nehmen. »Herr Herzog,« sprach sie, »meine schöne Cousine steht unter meinem Schutze. Ich weiß besser, als Ew. Gnaden, wie Frauen behandelt werden müssen, und wir werden uns sogleich entfernen, wenn Ihr nicht eine Sprache führen wollt, die unserm Geschlecht und unserm Range angemessener sind.«

Der Herzog brach in ein lautes Gelächter aus. »Crevecoeur,« sprach er, »Dein zahmes Wesen hat ja Deine Gemahlin zu einer recht herrischen Frau gemacht, allein das kümmert mich wenig! gebt dem einfältigen Mädchen einen Sessel: ich bin weit entfernt, feindselig gegen sie gesinnt zu sein; ich will nur, daß das Fräulein uns mit Muße erzählt, welcher böse Feind in sie gefahren ist, daß sie aus ihrem Heimatlande fliehen und ein irrendes Dämchen werden mußte.«

Mühsam und oft stecken bleibend, bekannte Isabelle, daß sie gegen eine ihr vom Herzoge angesonnene Heirat eine entschiedene Abneigung gehabt und an dem französischen Hofe habe Schutz suchen wollen ....« Bei dem französischen Monarchen,« fragte Karl, »fühltet Ihr Euch also sicherer?« – »Allerdings,« antwortete Gräfin Isabelle, »sonst hätte ich einen so entscheidenden Schritt nicht getan.« Hier warf Karl einen Blick auf den König mit unaussprechlich bitterm Lächeln, den dieser aber mit Festigkeit aushielt... »Aber meine Nachrichten über die Gesinnungen König Ludwigs gegen uns,« fuhr die Gräfin nach einer kleinen Pause fort, »rührten hauptsächlich bloß von meiner unglücklichen Muhme, der Gräfin Hameline, her, und ihre Meinung baute sie auf Einflüsterungen von Leuten, in denen ich nachher niederträchtige Verräter und treulose Wichte gefunden habe.« – Sie erzählte nun in aller Kürze, was sie von Marthons und Hayraddins Verräterei erfahren hatte.

Es entstand eine Pause; dann fuhr die Gräfin fort, alles von ihrer Flucht aus Burgund bis zur Erstürmung des Schlosses Schönwald zu erzählen. Alles blieb still, als sie geendigt hatte; der Herzog aber heftete seine flammenden Augen auf den Boden, als suche er einen Vorwand, seiner Leidenschaft freien Lauf zu lassen, ohne jedoch einen zu finden. »Ich möchte nun doch von König Ludwig wissen,« sagte er endlich, den Blick wieder aufhebend, »warum er die Damen an seinem Hof behielt, wenn sie nicht auf seine Einladung dahin gekommen waren?« – »Lieber Vetter,« antwortete der König, »aus Mitleid nahm ich sie insgeheim in einem Privathause auf, sorgte aber dafür, sie unter den Schutz des verewigten Bischofs, Eures Bundesgenossen, zu bringen, der, Gott hab' ihn selig! besser beurteilen konnte als ich oder irgend ein weltlicher Fürst, wie sich der Schutz, den man Flüchtlingen schuldig ist, mit den Pflichten vereinigen läßt, die ein König seinem Verbündeten schuldig ist, aus dessen Lande sie geflohen waren. Ich fordere diese Dame auf, zu erklären, ob ihr Empfang herzlich gewesen oder ob er nicht vielmehr von der Art war, daß die Damen bedauerten, meinen Hof zum Zufluchtsorte gewählt zu haben?« – »Er war so ganz aller Herzlichkeit bar,« versetzte die Gräfin, »daß ich zweifeln mußte, ob Ew. Majestät selbst wirklich die Einladung habe ergehen lassen, wie uns von denen, die sich für Eure Agenten ausgaben, versichert worden.«

»Mich dünkt, schone Dame,« sagte der Herzog, »Ihr habt bei Eurer Erzählung gewisse Liebesabenteuer vergessen. – Ei, ei! Ihr errötet ja schon? Ich meine gewisse Ritter vom Walde, die Eure Ruhe auf einige Zeit zu stören wagten. – Sagt, König Ludwig, wäre es nicht wohlgetan, ehe diese wandernde Helena von Croye noch mehrere Könige gegeneinander hetzt, eine passende Partie für sie ausfindig zu machen?«

König Ludwig wußte zwar, welch unangenehmer Vorschlag jetzt zur Sprache kommen würde. Allein Isabellens Mut war inzwischen aufs neue erwacht. Sie entwand sich dem Arme der Gräfin Crevecoeur, auf den sie sich bis jetzt gestützt hatte, kniete schüchtern, jedoch mit würdevollem Anstand, am Throne des Herzogs nieder und redete ihn also an: »Edler Herzog von Burgund, mein gnädigster Lehensherr! ich erkenne meinen Fehltritt, ohne Eure Erlaubnis mich aus Euren Landen entfernt zu haben, und unterwerfe mich in Demut jeder Strafe, die Ihr über mich zu verhängen für gut findet. Ich bitte einzig um die Gnade, daß Ihr um meines Vaters willen dem letzten Sprößling aus dem Stamme Croye ein mäßiges Einkommen bewilligen wollet, damit ich für den Rest meines Lebens in einem Kloster Aufnahme finde.« – »Was dünkt Euch, Sire, von dem Antrage dieser Person?« fragte der Herzog, sich an Ludwig wendend. – »Ich denke,« erwiderte der König, »es ist eine fromme demütige Bitte, der man nicht zuwider handeln soll.« – »Nun, wer sich selbst erniedrigt, soll erhöhet werden,« sprach der Herzog. »Erhebt Euch denn, Gräfin Isabelle! – Wir meinen es besser mit Euch, als Ihr selbst. Wir wollen weder Eure Güter einziehen, noch Eure Ehre schmälern, – im Gegenteil beides bedeutend erhöhen und mehren.« – »Ach, gnädigster Herr!« sagte die Gräfin, immer noch knieend, »eben diese wohlgemeinte Güte ist es, die ich mehr fürchte, als Ew. Hoheit Mißfallen, da sie mich nötigt –« – »Heiliger Georg von Burgund!« rief Herzog Karl, »soll denn jeden Augenblick Unserem Willen widersprochen und Unseren Befehlen zuwider gehandelt werden? Steh' auf, sag' ich, Püppchen, und entferne Dich für jetzt! – Wenn Wir Zeit haben, wieder an Dich zu denken, so werden Wir's schon so ordnen, daß Du entweder Uns gehorchen oder Dich noch schlechter befinden sollst.«

Gräfin Crevecoeur hob ihre junge Freundin auf und führte sie aus der Halle. Jetzt wurde Quentin Durward vor den Rat gefordert. Er erschien in der Bogenschützen-Uniform mit jenem freien Blicke, der, ebenso entfernt von schüchterner Zurückhaltung als von zudringlicher Dreistigkeit, einem edelgeborenen und wohlerzogenen Jünglinge geziemte. Seine große Jugend nahm alle Räte um so mehr zu seinem Vorteil ein, je weniger sie voraussetzen konnten, daß der scharfsinnige Ludwig einen so jungen Mann zum Vertrauten seiner politischen Händel gemacht haben sollte; und so genoß der König hier wie in andern Fällen einen bedeutenden Vorteil durch die seltsame Wahl seiner Bevollmächtigten, die er oft in einem Alter und in Ständen wählte, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Auf die Aufforderung des Herzogs, die Ludwig bekräftigte, begann Quentin die Erzählung seiner Reise mit den Gräfinnen von Croye bis in die Nähe von Lüttich, indem er der Verhaltungsbefehle des Königs voraus erwähnte, die dahin gingen, daß er die Damen wohlbehalten nach dem Schlosse des Bischofs zu geleiten habe. »Und Ihr seid also meinen Befehlen getreulich nachgekommen?« fragte der König. – »Ja, Sire,« war die Antwort des Schotten. – »Ihr übergeht einen Umstand,« sagte der Herzog. »Ihr wurdet ja in dem Walde von zwei irrenden Rittern angefallen.« – »Es kommt mir nicht zu, mich dieses Vorfalls zu erinnern, noch ihn namhaft zu machen,« sagte der Jüngling, bescheiden errötend. – »Aber mir kommt es zu, auf ihm zu bestehen,« sagte der Herzog von Orleans. »Dieser Jüngling entledigte sich mannhaft seines Auftrags und tat seine Pflicht auf eine Art, die mir noch lange im Andenken bleiben wird. – Komm auf mein Zimmer, Bogenschütze, wenn diese Angelegenheit abgetan ist, und Du sollst finden, daß ich Dein tapferes Benehmen nicht vergessen habe, da ich nun sehe, daß Deine Bescheidenheit Deinem Mute gleicht.« – »Komm auch zu mir,« sprach Dunois. »Ich habe einen Helm für Dich; denn ich glaube, daß ich Dir einen solchen schuldig bin.«

Quentin verbeugte sich tief, und das Verhör begann aufs neue. Aufgefordert vom Herzog Karl, wies er die geschriebenen Verhaltungsbefehle vor, die er hinsichtlich seiner Reise bekommen hatte. »... Befolgtet Ihr diese Verhaltungsbefehle buchstäblich, Soldat?« fragte der Herzog. – »Nein, gnädigster Herr,« antwortete Quentin. »Ich sollte ihnen zufolge bei Namur über die Maas gehen, hielt mich aber auf dem linken Ufer, das mir einen näheren, sicherern Weg nach Lüttich bot.« – »Und warum diese Abänderung?« fragte der Herzog. – »Weil mir die Treue meines Führers verdächtig ward,« antwortete Quentin. – »Merke jetzt auf die Fragen, die ich an Dich tun werde,« sprach der Herzog. »Beantwortest Du sie der Wahrheit gemäß, so fürchte Dich vor keines Menschen Zorn. Antwortest Du aber ausweichend und zweideutig, so werde ich Dich lebendig an einer eisernen Kette am Turme des Rathauses aufhängen lassen.«

Tiefes Stillschweigen folgte diesen Worten. Endlich verlangte der Herzog von Durward Auskunft, wer sein Führer gewesen, wer ihm solchen verschafft, und was ihn veranlaßt habe, gegen dessen Treue Verdacht zu schöpfen? Auf die erste dieser Fragen nannte Quentin Hayraddin Maugrabin, den Zigeuner; auf die zweite antwortete er, Tristan l'Hermite habe ihm den Führer zugewiesen, und als Antwort auf den dritten Punkt erzählte er das, was sich im Franziskanerkloster bei Namur zugetragen, wie der Zigeuner aus dem heiligen Haus ausgetrieben worden, wie er, sein Benehmen beargwöhnend, seine Zusammenkunft mit einem von den Landsknechten des Wilhelm von der Mark belauscht und mit angehört habe, wie sie einen Plan geschmiedet hätten, die seinem Schutze anvertrauten Damen zu überfallen.

»Nun höre weiter,« sagte der Herzog, »und bedenke abermals, daß Dein Leben von der Wahrheit Deiner Aussage abhängt. Erwähnten diese Bösewichter, daß sie von dem König – ich meine den König Ludwig von Frankreich, – beauftragt seien, die Bedeckung zu überfallen und die Damen zu entführen?«

– »Wenn solche schändlichen Subjekte auch etwas von der Art gesagt hätten,« versetzte Quentin, »so hätte ich es ihnen nicht glauben können, da ihre Worte den ausdrücklichen Befehlen des Königs entgegen lauteten.«

Ludwig, der bisher mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört hatte, konnte sich nicht enthalten, bei Durwards Antwort tief Atem zu holen, als ob er sich auf einmal von einer schweren Last befreit fühlte. Der Herzog blickte abermals verstört und finster drein; dann begann er wieder und fragte Quentin noch genauer, »ob er nicht aus dem heimlichen Gespräch jener Leute so viel verstanden habe, daß ihre Pläne wenigstens König Ludwigs Genehmigung hätten.« – »Ich wiederhole, daß ich nichts hörte, was mich ermächtigen könnte, dies zu bejahen,« antwortete der junge Mann; denn obgleich er für sich die Ueberzeugung hatte, daß der König um die Verräterei Hayraddins wußte, so hielt er es doch für pflichtwidrig, seinen Verdacht hierüber laut werden zu lassen; »und wenn ich auch dergleichen Aeußerungen von solchen Leuten gehört hätte, so hätte ich doch ihrer Aussage gegen die bestimmten Verhaltungsbefehle, die mir der König erteilt hatte, kein Gewicht beigemessen.« – »Du bist ein treuer Bote,« sagte der Herzog mit höhnischem Lachen; »und ich wette, daß Du, indem Du so des Königs Befehlen nachkamst, seine Erwartungen auf eine Weise getäuscht hast, die Dir vielleicht teuer zu stehen gekommen wäre, wenn nicht nachfolgende Ereignisse Deine blinde Treue hätten als guten Dienst erscheinen lassen.« – »Ich verstehe Euch nicht, gnädigster Herr,« antwortete Durward; »alles, was ich weiß, ist, daß mein Gebieter, der König von Frankreich, mich zum Schütze dieser Damen aussandte und daß ich diesen Auftrag sowohl auf der Reise nach Schönwald als während der nachherigen Auftritte erfüllt habe.«

»Aber höre, Bogenschütze, was waren das für Instruktionen, vermöge deren Du, wie einige unglückliche Flüchtlinge von Schönwald berichteten, in den Straßen von Lüttich an der Spitze der Meuterer einherstolziertest, die nachmals ihren weltlichen Herrn und geistlichen Vater ermordeten? Und was war das für eine Rede, die Du hieltest, nachdem der Mord begangen war, in der Du Dir herausnahmst, als Agent Ludwigs aufzutreten und Dir eine Gewalt über die Bösewichter anzumaßen, die eben ein großes Verbrechen verübt hatten?«

»Herr Herzog,« erwiderte Quentin, »es fehlt nicht an Leuten, die bezeugen können, daß ich mich in der Stadt Lüttich keineswegs für einen Agenten von Frankreich ausgab, sondern daß das beharrliche Geschrei des Volks, das durchaus sich nicht vom Gegenteil überzeugen lassen wollte, mich dazu gestempelt hat. Dies erzählte ich auch den Leuten des Bischofs, als ich aus der Stadt entkommen war, und empfahl ihnen Aufmerksamkeit auf die Sicherheit des Schlosses, wodurch vielleicht das Unglück und die Schrecknisse der folgenden Nacht abgewendet worden wären. Freilich ist es wahr, daß ich in der äußersten Gefahr mich des Einflusses, den mir mein vermeintlicher Charakter gab, bediente, um die Gräfin Isabelle zu retten und, soweit es mir möglich war, der Mordlust zu steuern, die sich bereits in einer so schrecklichen Handlung kund gegeben hatte. Ich wiederhole und kann mit meinem Leben dafür haften, daß ich von dem König von Frankreich keinen Auftrag hatte.« – »Und hierin,« fiel Crevecoeur ein, der nicht länger schweigen konnte, »hat mein junger Waffengefährte mit ebenso viel Mut als Besonnenheit gehandelt, und daß er es getan, kann König Ludwig nicht zum Vorwurf gemacht werden.«

Ein Gemurmel des Beifalls ließ sich unter den versammelten Edeln vernehmen, das freudig zu Ludwigs Ohr klang, indes es höchst widrig in Karls Ohren widertönte. Sein Auge rollte vor Zorn; und diese so allgemein ausgesprochenen Gesinnungen mancher seiner mächtigsten Vasallen und weisesten Ratgeber hätten ihn vielleicht nicht verhindert, sich der ganzen Heftigkeit seines despotischen Gemüts zu überlassen, hätte nicht Argenton, die Gefahr voraussehend, plötzlich einen Herold aus der Stadt Lüttich angekündigt.

»Ein Herold von Webern und Nagelschmieden,« rief der Herzog aus, – »man lasse ihn gleich eintreten! Bei unserer lieben Frau! Ich will von diesem Herold mehr herausbekommen, als dieser französisch-schottische Bogenschütze zu sagen Lust zu haben scheint.«

Fünfzehntes Kapitel

Die Anwesenden verrieten keine geringe Neugierde, den Herold zu sehen, den die aufrührerischen Lütticher an einen so stolzen Fürsten, wie der Herzog von Burgund, abzusenden wagten, während dieser in so hohem Grade gegen sie aufgebracht war. Er war mit einem Wappenrock angetan, gestickt mit dem Wappen seines Herrn, auf dem der Eberkopf sich besonders hervorhob. Seine übrige Tracht war mit Borden und Verzierungen aller Art überladen, und der Federbusch, den er trug, so hoch, als ob er damit die Decke des Zimmers abfegen wollte. Kurz, der gewöhnliche Flitterstaat der Heroldskleidung war hier durch Uebertreibung zur Karikatur geworden.

»Wer bist Du ins Teufels Namen?« war der Gruß, womit Karl der Kühne diesen sonderbaren Abgesandten empfing. – »Ich bin der rote Eber,« antwortete der Herold, »Wappenträger Wilhelms von der Mark, von Gottes Gnaden und durch die Wahl des Kapitels Fürstbischof von Lüttich.« – »Ha!« fuhr Karl plötzlich auf, gab ihm aber, seine leidenschaftliche Aufwallung bekämpfend, ein Zeichen, fortzufahren. – »Und kraft der Rechte seiner Gemahlin, der edlen Gräfin Hameline von Croye, Graf von Croye und Herr von Bracequemont.«

Das Erstaunen Herzog Karls über die grenzenlose Frechheit, mit der diese Titel in seiner Gegenwart angekündigt wurden, schien ihm die Sprache geraubt zu haben; der Herold aber fuhr fort, seine Botschaft auszurichten: »Ich tue Euch kund, Karl von Burgund und Graf von Flandern, im Namen meines Herrn, daß er vermöge einer Dispensation unseres heiligen Vaters zu Rom, die zur Stunde erwartet wird, willens ist, zugleich das Amt eines Fürstbischofs von Lüttich zu übernehmen und seine Rechte als Graf von Croye auszuüben.«

Der Herzog von Burgund stieß bei dieser und anderen Pausen in der Rede des Herolds bloß ein »Ha!« oder einen ähnlichen Ausruf aus, ohne zu antworten; und der Abgesandte fuhr daher kühn und unerschrocken fort: »Im Namen des Fürstbischofs von Lüttich und Grafen von Croye fordere ich Euch, Herzog Karl, hiermit auf, Euch aller Ansprüche und Beeinträchtigungen zu begeben, die Ihr Euch gegen die freie kaiserliche Stadt Lüttich im Einverständnis mit dem verstorbenen Ludwig von Bourbon, dem unwürdigen Bischof derselben, erlaubt habt, und Wilhelm von der Mark als gesetzlich im freien Kapitel gewählten Fürstbischof anzuerkennen.«

»Ha!« rief der Herzog, »seid Ihr zu Ende?« – »Noch eins!« fuhr der Herold fort, »hiergegen ist der edle und hochwürdige Fürst und Graf entschlossen, wenn alle Streitigkeiten zwischen Burgund und Lüttich beseitigt sind, der Gräfin Isabelle eine ihrem Stande gebührende Apanage auszusetzen.« – »Sehr groß»mutig und wohlbedacht,« sprach der Herzog.

»Nun, bei dem Gewissen eines armen Gauchs,« sprach Narr Glorieux beiseite zu dem Grafen Crevecoeur, »ich möchte lieber in der Haut der schlechtesten Kuh stecken, die je an der Seuche gestorben ist, als in dem buntscheckigen Rocke des Menschen dort! Dem armen Manne geht es wie einem Trunkenbold, der immer nur nach dem nächsten Kruge sieht und nicht auf die Zeche, die der Wirt hinter der Tür anschreibt.«

»Seid Ihr nun fertig?« fragte der Herzog den Herold. – »Nur ein Wort noch,« antwortete der rote Eber, »von meinem vorbesorgten edlen und hochwürdigen Gebieter in Betreff seines würdigen und treuen Bundesgenossen, des allerchristlichsten Königs.« – »Ha!« rief der Herzog, heftiger als bisher auffahrend, sich aber sogleich bezwingend. – »Welches allerchristlichsten Königs erhabene Person, wie die Sage geht, Ihr, Karl von Burgund, ganz gegen Eure Pflicht, als Vasall der Krone Frankreichs, und der Treue und dem Glauben zuwider, die zwischen christlichen Fürsten statthaben, in Gefangenschaft haltet. Deshalb verlangt mein besagter edler, hochwürdiger Gebieter durch meinen Mund von Euch, seinen königlichen allerchristlichsten Verbündeten von Stund an in Freiheit zu setzen oder die Aufforderung anzunehmen, die ich Euch zu erklären beauftragt bin.«

»Seid Ihr nun fertig?« sprach der Herzog. – »Ich bin's!« antwortete der Herold, »und erwarte Ew. Gnaden Antwort, – in der Hoffnung, daß sie von der Art sein werde, daß kein Christenblut vergossen wird.« – »Nun, beim Heiligen Georg von Burgund!« rief der Herzog. – Bevor er aber fortfahren konnte, erhob sich Ludwig und fiel mit einem so gebietenden Tone ein, daß Karl ihn nicht unterbrechen konnte ... »Mit Eurer Erlaubnis, lieber Vetter, Wir machen selbst Unser Vorrecht geltend, diesem schamlosen Menschen zu antworten. – Vernimm denn, Herold, oder was Du sonst bist, und bringe dem geächteten Wilhelm von der Mark die Botschaft, daß der König von Frankreich alsbald vor Lüttich erscheinen wird, um den frevelhaften Mörder seines geliebten Verwandten, Ludwigs von Bourbon, zu züchtigen und für die Unverschämtheit, daß er sich seinen Bundesgenossen nennt und seinen königlichen Namen durch den Mund eines niedrigen Boten entehrt, lebendig an den Galgen hängen zu lassen.«

»Setzt von meiner Seite alles übrige hinzu,« sprach Karl, »was ein Fürst einem gemeinen Diebe und Mörder schicklicherweise zu sagen haben kann. – Und nun fort! – Aber halt! – Nie hat ein Herold den Hof von Burgund anders verlassen, als mit der ihm zukommenden Ehrengabe ... Man peitsche diesen Hund bis auf die Knochen!« – »Nicht doch, wenn Ew. Gnaden erlauben,« riefen Crevecoeur und Hymbercourt zugleich, »er ist ein Herold und als solcher unverletzlich.« – »Seid Ihr so blöde, zu meinen,« entgegnete der Herzog, »der bunte Rock mache den Herold aus? Ich sehe an seinem buntscheckigen Anzüge, daß er ein Betrüger ist. Laßt Toison d'Or vortreten und ihn befragen!«

Der Abgesandte des wilden Ebers der Ardennen erblaßte sichtlich. Toison d'Or, der Oberherold des Herzogs, trat mit aller seinem Amte schuldigen Feierlichkeit vor und fragte den andern, auf welcher hohen Schule er die Wissenschaft erlernt habe, zu der er sich bekenne.

»Zu Regensburg als Heroldsknappe,« antwortete der rote Eber, »ward ich erzogen und empfing von der dortigen gelehrten Brüderschaft das Diplom eines Ehrenherolds.« – »Ihr konntet es aus keiner würdigeren Quelle schöpfen,« antwortete Toison d'Or, sich noch tiefer als vorher verbeugend, »aber,« fuhr er fort, indem er ein Stück Pergament aus der Tasche zog, »hier ist eine Rolle, worauf ich zu gewissem Zwecke, soweit es meine geringe Kunst vermochte, ein altes Wappen gezeichnet habe. Ich Dieser Scherz erregte Gelächter, und das kam dem roten Eber insofern zustatten, als es Toison d'Or, der über die Mißdeutung seiner Zeichnung unwillig wurde, zu der Erklärung bewog, es sei das Wappen, das Gildebert, König von Frankreich, angenommen hätte, nachdem er Gandemar, den König von Burgund, zum Gefangenen gemacht, und stelle eine Tigerkatze hinter einem Gitter vor als Sinnbild eines gefangenen Fürsten, nämlich »einen schreienden Tiger im goldenen Felde.« – »Bei meiner Narrenkappe!« versetzte Glorieux, »wenn die Katze Burgund vorstellen soll, so steht sie heutzutage auf der rechten Seite des Gitters.«

»Getroffen, Freund!« rief Ludwig lachend, während die übrigen Anwesenden, Karl nicht ausgenommen, verlegen zu sein schienen: »Du sollst ein Goldstück dafür haben, daß Du eine Sache, die wie bittrer Ernst aussah, in einen Spatz verwandelt hast, worauf es, denk ich, hinauslaufen wird.« – »Still, Glorieux,« sagte der Herzog; »und Ihr, Toison d'Or, tretet ab, denn Ihr seid zu gelehrt, um verständlich zu bleiben. Der Schuft soll vortreten. – Höre, Schurke,« sprach er in seinem rauhesten Tone, »kennst Du den Unterschied zwischen einem silbernen und goldnen Felde?« – »Bloß für den gegenwärtigen Fall,« antwortete der Entlarvte. – »Nun, beim heiligen Georg!« sagte der Herzog, indem er Ludwig von der Seite ansah, »Uns ist kein König, ja kein Edelmann, außer einem, bekannt, der die edle Wissenschaft, auf der Königtum und Adel beruhen, also herabgewürdigt hätte, den König ausgenommen, der an Eduard von England einen Lakaien, als Herold verkleidet, absandte.« – »Eine solche List konnte man sich bloß an einem Hofe erlauben,« sprach Ludwig, »an dem es damals noch keine Herolde gab, und die Sache hatte Eile. Aber wenn dies auch noch bei einem plumpen, kurzsichtigen Insulaner anging, so würde doch niemand, der nicht so durchaus verrückt wie ein wilder Eber ist, darauf gekommen sein, dem gebildeten Hofe von Burgund einen solchen Streich zu spielen.« – »Mag ihn senden, wer da will,« entgegnete der Herzog zornig, »er soll ihm ordentlich heimgeschickt werden. – He da! – schleppt ihn auf den Marktplatz! – peitscht ihn mit Hundekarbatschen, bis ihm der Wappenrock in Fetzen vom Leibe fällt! – Auf also! auf den roten Eber! – Hallo! Hallo!« – Ein halbes Dutzend Hunde nahm den wohlbekannten Ruf auf, womit der Herzog schloß, und fing zu heulen und zu bellen an, als ob der Eber wirklich vor ihnen aus dem Lager aufgetrieben wäre. – »Beim heiligen Kreuze!« rief der König Ludwig, in seines Vetters gefährliche Laune einstimmend, »da der Esel die Eberhaut umgehängt hat, möchte ich ihn auch mit den Hunden wieder aus ihr heraushetzen.« »Vortrefflich!« rief Herzog Karl, dem der Einfall in seiner jetzigen Laune gelegen kam, »das soll geschehen! – man kopple die Hunde los! Heda, Talbot! heda! Beaumont! – wir wollen ihn vom Schloßtor bis zum östlichen Stadttor hetzen!« – »Ich denke, Ew. Gnaden werden mich dann auch wie ein ordentliches Jagdwild behandeln,« sprach der Bursche, zum bösen Spiel eine gute Miene machend, »mir also das Jagdrecht gestatten?« – »Du bist ein Wurm,« sagte der Herzog, »und hast kein Recht, die Weidmannsrechte anzusprechen; indessen sollst Du einen Vorsprung von hundertundsechzig Fuß haben, und wäre es auch nur um Deiner beispiellosen Unverschämtheit willen. Fort, fort, meine Herren! – wir wollen uns die Jagd mit ansehen!« – Und alle beeilten sich, die beiden Fürsten ihnen voran, um das vom König Ludwig angeregte menschenfreundliche Schauspiel voll zu genießen.

Der rote Eber spielte seine Rolle vortrefflich; vom Schrecken beflügelt, und gehetzt von zehn grimmigen Eberhunden, die durch Hörnerschall und Weidruf der Jäger noch wütender gemacht wurden, floh er mit Sturmeseile dahin und würde, hätte ihn sein Heroldsrock, die schlechteste Tracht, die es für einen Läufer geben kann, nicht gehindert, vielleicht wohlbehalten den Hunden entkommen sein; auch machte er mehr als einmal zur großen Zufriedenheit der Zuschauer einen Widerlauf; endlich vermochte ihn seine Schnelligkeit aber nicht länger vor den Fängen seiner Verfolger zu retten: sie packten ihn, rissen ihn zu Boden und hätten ihn wahrscheinlich in Stücke zerrissen, hätte nicht der Herzog gerufen: »Stock dazwischen! macht sie los von ihm! – Er hat sich so wacker im Laufen gezeigt, daß, obgleich die rechte Jagd noch nicht angefangen, Wir ihn doch nicht drauf gehen lassen wollen.«

Mehrere Hofbeamte waren sogleich beschäftigt, die Hunde von ihm loszureißen; man sah, wie sie einige zusammenkoppelten und andere verfolgten, die, durch die Straße laufend, die Fetzen des gestickten Wappenrocks, den der unglückliche Mann zur bösen Stunde angelegt hatte, im Triumph herumschleppten.

In diesem Augenblicke und während der Herzog mit dem, was vor seinen Augen vorging, zu sehr beschäftigt war, als daß er hätte darauf achten können, was hinter ihm geschah, schlich sich Oliver le Dain hinter den König und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist der Zigeuner Hayraddin Maugrabin! Es wäre nicht gut, wenn er mit dem Herzog zu sprechen käme.« – »Er muß sterben,« antwortete Ludwig in demselben Tone. »Tote sagen nichts.«

Einen Augenblick später trat Tristan l'Hermite, welchem Oliver einen Wink gegeben hatte, vor den König und den Herzog und sprach mit dem ihm eigenen Tone: »Mit Ew. Majestät und Ew. Hoheit Wohlvernehmen, dies Stück Wildbret ist mein – ich mache Anspruch darauf – er trifft mein Zeichen – die Lilie ist ihm auf der Schulter eingebrannt, wie jedermann sehen kann. Er ist ein bekannter Bösewicht, hat königliche Untertanen erschlagen, Kirchen beraubt, Jungfrauen geschändet, Wild in dem königlichen Tiergarten erlegt –«

»Genug, genug,« fiel Herzog Karl ein, »er ist aus vielen Gründen meines königlichen Vetters Eigentum. Was will Ew. Majestät mit ihm vornehmen?« – »Wenn er zu meiner Verfügung steht,« sagte der König, »so will ich ihm bloß eine Lektion in der Wappenkunde geben, in der er so unerfahren ist – ihm nur erklären, und zwar praktisch, was ein Kreuzbalken mit herabhängender Schleife zu bedeuten hat.« – »Den er nicht tragen, sondern der ihn tragen soll – laßt ihn unter Eurem Gevatter Tristan die Stufen nehmen, – er ist ein gründlicher Lehrer in solchen Geheimnissen.« So rief der Herzog mit einem grinsenden Gelächter über seinen eigenen Witz; und Ludwig stimmte so herzlich ein, daß sein Nebenbuhler sich nicht enthalten konnte, ihn freundlich anzusehen und zu sagen: »O Ludwig, Ludwig, wollte Gott, Du wärst ein ebenso zuverlässiger Monarch, als Du ein lustiger Gesellschafter bist! Ich muß mich oft noch der fröhlichen Zeit erinnern, die wir zusammen verlebten.« – »Die könnt Ihr wieder zurückbringen, wenn Ihr wollt,« sagte Ludwig; »ich will Euch so gute Bedingungen gewähren, als Ihr in meiner gegenwärtigen Lage nur immer von mir verlangen könnt, und will Euch die Erfüllung auf die heilige Reliquie schwören, die ich immer bei mir trage als ein Fragment des wahren Kreuzes.«

Hier zog er ein kleines goldenes Reliquienkästchen hervor, das er an einer goldenen Kette von seinem Halse herab gleich über dem Hemd hängen hatte, küßte es andachtsvoll und sagte dann: »Nie ward ein falscher Eid auf diese heiligste Reliquie geschworen, ohne daß er noch in demselben Jahre gerächt worden wäre.«

»Wohl denn, Vetter,« antwortete der Herzog, »wollt Ihr mit mir ausziehen, den Mörder von der Mark und die Lütticher zu züchtigen?« – »Ich will,« sagte Ludwig, »mit dem Bann von Frankreich und wehender Oriflamme.« – »Nein, nein,« sagte der Herzog, »das ist mehr, als nötig oder rätlich sein dürfte. Eure schottische Leibwache und zweihundert auserlesene Lanzen dürften hinreichen; ein großes Heer möchte –« – »Mich frei machen, wollt Ihr sagen, lieber Vetter?« sagte der König. »Wohl, Ihr sollt die Zahl meines Gefolges bestimmen.« – »Und um die schöne Unheilstifterin uns vom Halse zu schaffen, so willigt Ihr ein, daß sie sich mit dem Herzog von Orleans vermählt?«

– »Lieber Vetter,« sagte der König, »Ihr seht meine Nachgiebigkeit auf eine harte Probe. Der Herzog ist der verlobte Bräutigam meiner Tochter Johanna. Seid großmütig – gebt diesen Punkt auf, und laßt uns lieber von den Städten an der Somme sprechen.«

»Darüber wird mein Rat mit Ew. Majestät Rücksprache! nehmen; mir selbst liegt eine Gebietserweiterung weniger am Herzen, als erlittene Unbilden wieder gut zu machen. Ihr habt Einverständnis mit Vasallen unterhalten, und es muß Ew. Majestät zum Vergnügen gereichen, über die Hand einer burgundischen Mündel verfügen zu können. Vermählt sie denn mit einem Mitgliede Eurer eignen Familie, da Ihr Euch einmal in die Sache gemischt habt – dann sind wir wieder Vettern und Freunde; andernfalls sind unsere Verhandlungen angebrochen.« – »Danken wir dem Himmel!« sagte Ludwig, »der die Herzen der Fürsten lenkt, sie gnadenvoll zum Frieden und zur Milde hinneigt und das Vergießen von Menschenblut abwendet. – Oliver,« raunte er beiseite seinem Günstling zu, »sage Tristan, er solle mit dem Zigeuner schnell zu Ende kommen!«

Sechzehntes Kapitel

»Gott sei gelobt, daß er uns Kraft verlieh, zu lachen und andre mit unserm Lachen anzustecken, und Schimpf und Schande über den Tropf, der das Amt des Narren verachtet! da haben wir nun mal einen Jux, wenn auch gerade keinen großartigen! aber er mag hingehen, denn er hat zwei Fürsten amüsiert! – und es ist ihm doch besser als tausend Gründen der hohen Politik gelungen, einem Kriege zwischen Frankreich und Burgund vorzubeugen.«

So Narr Glorieux! und zwar in dem Augenblicke, als er die burgundischen Wachen von Peronne abziehen sah, nachdem die Versöhnung erfolgt war und der König aus dem verhängnisvollen Hubertusturme wieder ausziehen durfte . . Ja, die Freundschaft war, wenigstens nach außen, zwischen dem Herzoge Karl von Burgund und seinem Oberlehnsherrn wieder hergestellt; immerhin bemerkte der letztere, wenn er auch mit zeremonieller Ehrerbietung behandelt wurde, recht gut, daß er nach wie vor ein Gegenstand des Argwohns blieb, aber er besaß Klugheit genug, es nicht merken zu lassen und sich völlig unbefangen zu benehmen.

Mittlerweile sollte es eine der bei dieser Komödie mitwirkenden Nebenpersonen verspüren, daß es immer eine schlechte Sache ist, für große Herrn die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das war Hayraddin Maugrabbin, der von den herzoglichen Beamten dem königlichen Generalprofoßen überantwortet wurde, um ihn ohne Verzug vom Leben zum Tode zu bringen. Es dauerte nicht lange, so wurde eine Eiche ausfindig gemacht, die, wie Petit-André sich witzig ausdrückte, solche Eichel ganz gut zu tragen vermöge. Der Unglückliche mußte sich auf eine Bank setzen, während der Profoß mit seinen beiden Gehilfen die zur letzten Katastrophe notwendigen Anstalten traf. Da warf Hayraddin einen Blick auf die umherstehende Menge und begegnete Quentin Durwards Augen, der in den Zügen des entlarvten Verbrechers diejenigen seines treulosen Führers wiederzufinden meinte und sich dem Zuge angeschlossen hatte, um Zeuge von der Hinrichtung zu sein und sich von der Identität des Wichtes zu überzeugen... Als die beiden Henker ihm sagten, es sei nun alles bereit, er möchte sich auf die letzten Augenblicke vorbereiten, da bat sie der Delinquent noch um eine letzte Gefälligkeit ...

»Was sich mit unserer Pflicht verträgt, mein Sohn,« antwortete ihm Trois-Echelles, »das soll Dir werden.« – »Sehr gütig,« erwiderte der Zigeuner. – »Wir riskieren freilich, daß wir deshalb einen Wischer bekommen,« meinte Petit-André, »aber darauf soll's nicht ankommen. Für solchen fixen Kerl, der sich mit einem Schwung aus dem Leben befördert, könnt ich fast selber mein Leben lassen.« – »Solltet Ihr etwa einen Beichtvater wünschen,« meinte Trois-Echelles. – »Oder einen Pfiff Schnaps oder Vinum bonum ...« ergänzte Trois-Echelles' spaßiger Kamerad. – »Nichts von dem, meine dienstwilligen Freunde,« sagte der Zigeuner, »sondern ich möchte bloß ein paar Augenblicke mit dem schottischen Bogenschützen dort reden, wenn das nicht wider die Regeln verstößt.«

Einen Augenblick lang besann sich das Henkerpaar. Dann fiel dem einen ein, daß Quentin Durward sich der besonderen Gunst König Ludwigs zu erfreuen hätte, und er sagte zu seinem Kollegen, daß dem Wunsche unter solchen Umständen sehr wohl willfahrt werden könne. So wurde Quentin Durward benachrichtigt, und er näherte sich dem Verbrecher, jedoch nicht ohne eine Empfindung herben Mitgefühls. Was von seinem Heroldsausputz von den Fängen der Doggen und den Griffen der Schergen, die ihn den Doggen entrissen hatten, noch übrig war, gab ihm ein ebenso wunderliches wie jämmerliches Aussehen. Sein Gesicht war durch Schminke entstellt, wie auch durch die Reste des falschen Bartes, durch den er sich noch unkenntlicher zu machen gesucht hatte. Auf seinen Wangen stand Todesblässe, und seine Lippen waren kreideweiß, aber er befaß die ganze Standhaftigkeit seiner Rasse im Ertragen von Leid und Schmerz, und so schien er mit seinen spähenden Augen und dem verzerrten Lächeln, das seinen Mund umspielte, dem Tode, den er erdulden sollte, zu trotzen.

»Nur flotter heran, Herr Bogenschütze!« rief Petit-André, da Quentin sich, von Schauder wie auch von Mitleid ergriffen, zaghaft näherte, »viel Muße, auf Euch zu warten, hat der Herr nicht mehr. Ihr geht wie auf Eiern, und habt doch feste Steine unter den Sohlen.« – »Ich muß unter vier Augen mit ihm reden,« sagte der Delinquent mit gebrochener Stimme. – »Das wird sich nun freilich mit unserer Pflicht nicht recht vertragen, mein kleiner Spring-in-die-Luft,« erwiderte Petit-André, »denn wir wissen ja noch von anno dazumal, was für ein glatter Aal Ihr seid.« – »Ihr habt mich doch an Händen und Füßen gebunden,« sagte der Delinquent, »könnt mich doch auch aus gewissem Abstande unter Augen behalten. Bloß anhören sollt Ihr nichts von dem, was ich dem Schützen sagen werde, der ja übrigens beim Könige so gut angeschrieben steht, wie kaum Ihr beide. Außerdem will ich Euch gern zehn Gulden geben ...«

»Hm, wenn wir sie auf Messen verwenden,« meinte Trois-Echelles, »dann könnten sie seiner armen Seele noch zugute kommen.« – »Und in Wein oder Schnaps angelegt, werden sie meinen armen Leichnam stärken,« setzte Petit-André hinzu, »also heraus mit dem Mammon, Du Galgenvogel!« – »Durward,« sagte Hayraddin zu dem Bogenschützen, »gebt den beiden Bluthunden das Geld, denn mir haben sie den letzten Stüber abgeluchst, und ich sage Euch, Ihr sollt nicht dadurch in Schaden kommen!« – »Also so weit hat´s mit Dir kommen müssen?« sagte Quentin, nachdem er den beiden Schergen das Geld gegeben hatte, »so weit?« – »Ja doch,« versetzte Hayraddin, »dazu hab' ich weder Sterndeuter gebraucht noch Wahrsager. Das ist nun mal das Los meiner Familie!« – »Ein frühes Ende nach langer Reihe von Verrat und Missetat,« sagte Quentin. – »Nein, beim flammenden Aldeboran und seinen Lichtbrüdern!« erwiderte der Zigeuner, »bloß meine Torheit hat mich hierher gebracht, die Torheit nämlich, zu glauben, eines Franken blutdürstige Grausamkeit ließe sich in Schranken halten durch das, was er am heiligsten hält. Da hätte mir freilich ein Pfaffenkittel mehr genützt als dieses Heroldskostüm, so heilig auch Eure Beteuerungen von Gottesfurcht und Rittersinn sein mögen!« – »Ihr verschwendet Eure Zeit, Hahraddin,« sagte Quentin, »sofern Ihr mir noch etwas zu sagen habt, sagt's schnell, und dann tragt für Eure arme Seele Sorge!« – »Für meine Seele?« erwiderte der Zigeuner mit gräßlichem Lachen, »denkt Ihr, ein Aussatz, der zwanzig Jahre alt ist, sei im Handumdrehen zu kurieren? Falls ich ein solches Ding besitze, das Ihr Seele nennt, so ist sie von meinem zehnten Jahre ab so scharf in Atem gehalten worden, daß ich wenigstens vier Wochen brauchte, um mich auf alles das zu besinnen, was ich damit verbrochen habe ... und dann nochmal vier Wochen, sie zu beichten ... und sollte man mir solche Galgenfrist lassen, dann würde ich sie ganz gewiß zu ganz was anderem brauchen.« – »Lästere nicht, Du verstockter Bösewicht!« sagte Quentin Durward, »sage mir, weshalb Du mich hast rufen lassen, und dann überlasse ich Dich Deinem Schicksale.«

»Ich will Euch bloß um einen Dienst bitten, Euch aber zuvor dafür bezahlen, denn ich weiß ja, wie es von Euch heißt: kein Stüber, kein Schotte ...« – Durward fiel ihm ins Wort: »Spare Deine Stüber! Denn sie helfen Dir nichts. Sag', was Du von mir willst. Ich habe ja der Dienste bereits genug von Dir.« – »Nun, ich hab' immer was auf Euch gehalten, Durward,« sagte Hayraddin, »seit der Geschichte am Cher, und hätt' Euch gern zu einer reichen Frau verholfen ... habt Ihr doch ihre Schärpe bereits getragen! Aber das hat mich irre geführt, und ich habe wirklich gedacht, Hameline würde mit ihrem flüssigen Reichtum einen besseren Marktpfennig abgeben, als das unflügge Küchlein mit seinem Hühnerhaus in Bracquemont, das Herzog Karl in den Klauen hält, und wahrscheinlich auch halten wird.« – »Verliere doch Deine Zeit nicht mit hohlem Geschwätz!« mahnte ihn Durward. »Du siehst doch, daß die beiden Schergen schon ungeduldig werden.« – »Gebt ihnen weitere zehn Gulden für weitere zehn Minuten,« sagte Hayraddin; »Ihr dürft mir's wirklich glauben, Durward, daß ich es gut mit Euch meinte, und Hameline hätte sich Euch ganz gewiß auch als willige, fügsame Gattin erwiesen. Verträgt sie sich doch sogar mit dem wilden Ardennen-Eber, dessen Art, zu freien, doch gewiß rauh und unritterlich ist! Aber sie thront jetzt in ihrem Schweinekoben, als hätte sie ihr Lebtag weiter nichts gefressen als Kleie und Eicheln!« – »Halt' ein mit Deinen rohen Späßen, oder ich überlasse Dich Deinem Schicksale, ohne mich darum zu kümmern, was Du mir sagen wolltest.«

»Ihr habt recht,« erwiderte Hayraddin nach kurzer Pause, »aber dem, was sich nicht vermeiden läßt, muß man eben entgegensehen. Nun, so wisse denn, daß ich in dieser verwünschten Verkleidung bloß hergekommen bin, weil mir Mark eine gewaltige Belohnung verhieß, und weil ich von König Ludwig auf eine noch weit größere rechnete, nicht allein, um die Ausforderung zu bringen, von der Ihr wohl gehört habt, sondern auch, um dem Könige ein nicht unwichtiges Geheimnis in die Hände zu liefern.« – »Das hieß freilich viel gewagt!« sagte Durward. – »So ist es auch ausgegangen,« erwiderte Hayraddin. »Wilhelm von der Mark wollte erst durch Marthon sich mit dem Könige in Beziehung setzen, aber sie konnte, scheint's, bloß bis zum Sterndeuter gelangen, dem sie alles erzählte, was sich unterwegs und in Schönwald zugetragen hatte ... an Ludwig sind die Nachrichten aber sicher bloß in Gestalt von Prophezeiungen gelangt. Nun aber hört Ihr mein Geheimnis! Es ist wichtiger als alles, was sie ihm sagen konnte. Wilhelm von der Mark hat in Lüttich eine starke Truppenmacht zusammengebracht und mehrt sie täglich, just durch die Schätze des alten Kardinals. Aber er will es nicht auf eine Schlacht gegen die burgundischen Reiter ankommen lassen, auch will er keine Belagerung in der Stadt aushalten, sondern will den Burgunder Hitzkopf vor der Stadt ruhig Fuß fassen lassen und nächtlicher Weile einen Ausfall gegen ihn unternehmen. Er will viele Mannen aus dem Hennegau unter seiner Schar halten, die sollen in französischer Rüstung und mit dem französischen Schlachtrufe in die Schlacht rücken. Auf diese Weise will er Verwirrung unter die Burgunder bringen, und wenn dann König Ludwig ihn mit seiner Leibwache und seinem Gefolge unterstützt, so rechnet er, daß ihm der Sieg beschieden sein werde. So, nun wißt Ihr mein Geheimnis! Verkauft's, so hoch, wie Ihr wollt, an König Ludwig oder an den Burgunder, ganz, wie es Euch paßt, je nachdem Ihr den oder den verderben wollt! Mir tut's bloß leid, daß ich die Mine nicht hab' so springen lassen können, daß sie alle beide auf einmal zum Teufel gegangen sind!«

»Nun rede,« sagte Durward, »was ich Dir tun kann für dies Geheimnis, das allerdings sehr wichtig ist.« – »Na, das ist nicht eben viel verlangt,« versetzte der Zigeuner. »Eine Meile etwa von hier werdet Ihr meinen Klepper finden: bei einer verlassenen Köhlerhütte, drüben im Walde ... es ist das einzige lebende Wesen, das mich vermissen wird. Wenn Ihr mit diesem Pfiffe ruft (er pfiff ein paar Mal ein besonderes Signal), ihn auch mit dem Namen »Biest« anredet, wenn er herankommt, dann legt ihm den Zaum hier an. Ein Glück, daß ihn die Hunde nicht auch zerfetzt haben, denn Biest leidet keinen anderen Zaum. Nehmt das Tier mit und gebt ihm sein Futter! Wenn auch nicht um meinetwillen, sondern bloß darum, weil ich Euch das Geheimnis überantwortet habe ... verlassen wird Euch »Biest« nie, darauf könnt Ihr Euch verlassen ... in keiner Not, bei keinem Wetter ... dem Biest ist's ganz gleich, ob er unter winterlichem Himmel oder im warmen Stalle kampieren muß ... also sagt: wollt Ihr Euch des Kleppers annehmen?« – »Das gelobe ich Euch,« erwiderte Quentin, durch diesen Zug von Anhänglichkeit bei dem verstockten Menschen tief gerührt. – »Na, dann adieu!« sagte der Zigeuner, »doch halt, noch eins! Unhöflich gegen eine Dame will ich doch nicht vor meinem Ende noch sein. Das Briefchen hier hat mir die gnädige, wenn auch recht dämliche Gemahlin des wilden Ebers von der Mark übergeben: Ich sollt's ihrer Nichte einhändigen. In Euren Blicken kann ich ja lesen, daß Ihr's gern besorgen werdet. Im Polster meines Sattels werdet Ihr auch eine schwere Geldkatze finden. Der Inhalt kostet mich mein Leben, aber ich hab's gewußt, daß die Summe nicht leicht zu verdienen war ... nehmt sie, Ihr habt hundertfältigen Ersatz für die Gulden, die Ihr den Henkern dort gegeben habt, um noch zweimal zehn Minuten mit mir zu schwatzen. Ihr sollt mein Erbe sein!« – »Ich will das Geld zu Messen für Euer Seelenheil verwenden,« sagte Quentin.

Da verzog sich das Gesicht des Zigeuners zu einer schrecklichen Fratze, und er zischte wütend: »Redet mir bloß nicht solchen Pafel, Mensch! Solchen Krempel gibt's nun doch einmal nicht! Kann's nicht geben und darf's nicht geben! Das ist weiter nichts als Ausgeburt von pfiffigem Pfaffengeschmeiß!« – »Unglücklicher Mensch!« sagte Durward, »willst Du wirklich ohne Buße zur Hölle fahren?« – »Wohin ich fahre,« erwiderte der Atheist, indem er seine gefesselten Arme gegen die Brust preßte, »das überlaßt mir! Ich kann's abwarten, und werd's mit ansehen! Das geheimnisvolle Gewebe, Mensch genannt, löst sich wieder einmal auf in die allgemeine Masse der Natur, um in anderer Gestalt wieder zu erscheinen, als täglicher Ersatz für das tägliche Verschwinden. Was Wasser ist, geht über in Regen, was Erde ist, wird wieder zu Erde, was Luft ist, fliegt auf, und was Feuer ist, nährt den Glanz Aldeborans und seiner Brüder. In diesem Glauben habe ich gelebt, und in diesem Glauben will ich sterben! Hinweg nun von mir! Störe mich nicht weiter! Das letzte Wort, das aus meinem Munde zu menschlichen Ohren dringen wird, habe ich gesprochen!«

Tief ergriffen von dem Schrecken der Lage dieses Unglücklichen, sah Quentin nichtsdestoweniger ein, daß es eitle Hoffnung gewesen wäre, ihn zur Erkenntnis seines grausigen Zustandes zu bringen. Deshalb nahm er Abschied von ihm, und zwar so kurz und schnell wie möglich; der Unglückliche aber erwiderte ihm mit düsterem Nicken, wie jemand, der sich von einer Gesellschaft, die seine Gedanken zerstreut, in tiefes Hinbrüten verloren, verabschiedet; dann richtete Quentin die Schritte nach dem Walde zu, ohne Mühe den Ort findend, wo der Klepper weidete. Das Tier kam auf seinen Ruf heran, mochte sich aber anfangs nicht fangen lassen, sondern sprang und schnob, wenn sich Quentin nähern wollte. Endlich gelang es ihm aber, es am Zügel zu fassen. Sein Herr aber war lange, bevor Quentin nach Peronne zurückkehrte, schon dahingegangen, wo die Nichtigkeit seines furchtbaren Glaubens sich erproben mußte: eine grausige Probe für den, der weder Reue über die Vergangenheit noch Furcht vor der Zukunft hatte blicken lassen.

Siebzehntes Kapitel

Als Quentin Durward in Peronne wieder eintraf, war dort eben ein geheimer Rat versammelt, der über die Dinge beschließen sollte, die für ihn wichtiger sein sollten, als er ahnen konnte. Und doch saßen so vornehme Herrschaften zu Rate, daß sich kaum hätte glauben lassen, ein junger Mann von Quentins Stande könne in Beziehungen zu ihnen stehen.

König Ludwig, der nach Wilhelms Zwischenspiel keine Gelegenheit versäumt hatte, das gute Vernehmen mit dem Herzog zu fördern, hatte dessen Meinung darüber eingeholt, wie viele und was für Truppen gegen Lüttich ins Feld rücken sollten, und ging Crevecoeurs Rat zufolge bereitwillig auf alles ein, was der Herzog vorschlug, ermangelte indessen nicht, sich für seine Nachgiebigkeit durch Rache an Balue zu entschädigen, dessen Rat ihn verleitet hatte, ein so überschwengliches Vertrauen auf den Herzog von Burgund zu setzen. Tristan, der den Befehl zum Aufbruche der Hilfsvölker überbrachte, hatte auch den Auftrag, den Kardinal nach Loches zu bringen und ihn dort in einen der Käfige einzusperren, die König Ludwig selbst ersonnen haben soll.

Vielleicht hoffte Ludwig, durch seine schnelle Bereitwilligkeit unangenehmeren Bedingungen zu entgehen, von denen der Herzog ihre Versöhnung abhängig gemacht hatte. Aber wenn er solche Hoffnungen hegte, so mißkannte er die Denkungsart seines Verwandten völlig; denn es konnte wohl niemand mehr auf seinem Sinne bestehen, als Karl von Burgund, der sich so leicht nicht hätte willens erklärt, von einer Bedingung abzulassen, die er aus Verdruß über eine vermeintliche Beleidigung oder aus Rachsucht gestellt hatte.

Die nötigen Eilboten waren kaum unterwegs, die Truppen zu beordern, als der König von ihm aufgefordert ward, öffentlich seine Zustimmung zu der Vermählung des Herzogs von Orleans mit der Gräfin Isabelle zu geben.

Mit schwerem Seufzer erfüllte der König dies Begehren, erklärte aber gleich darauf, daß es wohl doch nötig sei, den Herzog von Orleans um seine Wünsche hierbei zu befragen.

»Sie sind nicht außer acht gelassen worden,« erwiderte der Herzog, »Crevecoeur hat mit Monseigneur Orleans gesprochen, ihn aber, – sonderbar genug, – so gleichgiltig gegen die Ehre, eine königliche Braut heimzuführen, gefunden, daß er sich mit Gräfin Isabellens Hand so willig einverstanden hat, als ob ihm gar kein besserer Vorschlag von einem Vater gemacht werden könnte.« – »Desto undankbarer von ihm,« sagte Ludwig, »allein es soll alles geschehen, wie Ihr wollt, Vetter, wenn Ihr nur die Zustimmung beider Teile erhalten könnt. – »Darüber seid unbesorgt,« sagte der Herzog; und wenige Minuten später wurden der Herzog von Orleans und die Gräfin von Croye, letztere wieder in Begleitung der Gräfin Crevecoeur und der Aebtissin der Ursulinerinnen, vor die Fürsten geladen. Aus dem Munde Karls von Burgund vernahmen sie ohne einen Einwurf von seiten Ludwigs, daß die Vereinigung ihrer Hände nach der Weisheit beider Fürsten beschlossen sei, um das unauflösliche Bündnis zu besiegeln, das zwischen Frankreich und Burgund sich gründen sollte.

Der Herzog von Orleans hatte alle Mühe, die Freude zu unterdrücken, die er über diesen Vorschlag empfand, denn es widerstrebte ihm, sie in Gegenwart Ludwigs laut werden zu lassen.

»Lieber Vetter Orleans,« sagte Ludwig mit finsterem Ernst, »da ich bei einer so unangenehmen Veranlassung zu Euch sprechen muß, ist es unnötig, Euch daran zu erinnern, daß Euer Verdienst allein mich veranlaßt hatte, Euch eine Verbindung mit meiner eigenen Familie vorzuschlagen. Allein da mein Vetter von Burgund glaubt, daß eine andere Verfügung über Eure Hand das sicherste Pfand der Freundschaft zwischen seinen Staaten und den meinigen sei, so bringe ich meine eigenen Hoffnungen und Wünsche gern zum Opfer.« – Der Herzog von Orleans warf sich ihm zu Füßen, und küßte – zum ersten Male mit aufrichtiger Zuneigung – die Hand, die ihm der König mit abgewandtem Gesichte hinhielt. Karl wandte sich nun an die junge Gräfin und kündigte ihr rund heraus die beabsichtigte Verbindung als eine Sache an, die weder Aufschub noch Verzögerung zulassen.

»Herr Herzog und Lehensherr,« sprach Isabelle, ihren ganzen Mut zusammennehmend, »ich achte Ew. Hoheit Befehle und unterwerfe mich ihnen.« – »Genug, genug,« fiel der Herzog ein, »das übrige wollen wir schon machen. Ew. Majestät,« fuhr er fort, sich an den König Ludwig wendend, »hat diesen Morgen eine Eberjagd gehabt, – wie wär's, wenn wir nachmittags einen Wolf jagten?«

Die junge Gräfin erkannte die Notwendigkeit eines entscheidenden Schrittes. »Ew. Gnaden mißverstehen mich,« sprach sie in schüchternem Tone, jedoch laut und entschieden genug, um des Herzogs Aufmerksamkeit zu erregen. »Meine Unterwerfung,« sagte sie, »erstreckt sich bloß auf die Ländereien und Besitzungen, die Ew. Gnaden Vorfahren den meinigen verliehen haben, und die ich dem Hause Burgund zurückgebe, wenn mein Oberherr glaubt, mein Ungehorsam in dieser Sache habe mich des Besitzes derselben unwürdig gemacht.« – »Ha, beim heiligen Georg!« rief der Herzog, indem er wütend auf den Boden stampfte, »weiß die Törin denn, vor wem sie steht, – und zu wem sie spricht?« – »Gnädigster Herr,« erwiderte sie, immer noch unverzagt, »ich stehe vor meinem Souverän und glaube, vor einem gerechten Souverän! Wenn Ihr mich meiner Besitzung beraubt, so nehmt Ihr mir alles das, was Eure Vorfahren uns gegeben haben, und zerreißt die einzigen Bande, die uns verknüpften. Aber Ihr habt mir weder diese arme Gestalt, noch viel weniger den Geist gegeben, der mich beseelt, – und diese, bin ich entschlossen, dem Himmel in dem Kloster der Ursulinerinnen unter Leitung dieser heiligen Mutter Aebtissin zu weihen!«

Die Wut und das Erstaunen des Herzogs lassen sich kaum denken; man müßte ihn denn mit einem Falken vergleichen, dem eine Taube ihre Flügel zum Kampfe entgegenspreizt. »Wird die heilige Frau Euch ohne alles Besitztum aufnehmen?« fragte er mit zorniger Stimme. – »Wenn sie ihr Kloster auch anfangs dadurch in Schaden setzt,« entgegnete die Gräfin Isabelle, »so versehe ich mich doch der Milde der edlen Freunde unseres Hauses, die eine Waise des Hauses Croye nicht hilflos lassen werden.« – »Das ist falsch!« sagte der Herzog, »ist bloß ein elender Vorwand, irgend eine geheime, unwürdige Leidenschaft zu verbergen. Herr Herzog von Orleans, sie soll die Eurige werden, und müßte ich sie mit eigenen Händen zum Altare schleppen!«

Die Gräfin von Crevecoeur, eine Frau von hohem Geist, die volles Vertrauen auf ihres Gemahls Verdienste und Gunst setzte, konnte nicht länger schweigen. »Gnädigster Herr,« sprach sie, »Eure Leidenschaften reißen Euch zu einer höchst unwürdigen Sprache hin. Keines edelgeborenen Weibes Hand kann mit Gewalt vergeben werden.« – »Und es streitet gegen die Pflicht eines christlichen Fürsten,« fiel die Aebtissin ein, »den Wünschen einer frommen Seele zu widerstreben, die, der Sorgen und Verfolgungen der Welt müde, eine Braut des Himmels werden will.« – »Auch kann mein Vetter Orleans,« sprach Dunois, »keinen Vorschlag annehmen, gegen den die Dame sich so öffentlich erklärt hat.« – »Wäre mir vergönnt,« fiel Orleans ein, auf den die Schönheit Isabellens einen tiefen Eindruck gemacht hatte, »eine Zeitlang zu versuchen, meine Bewerbungen vor der Gräfin in einem günstigeren Lichte zu zeigen, so – –«

»Herr Herzog von Orleans,« versetzte Isabelle, deren Festigkeit nun durch die Ermunterung verstärkt wurde, die sie von allen Seiten erhielt, »das würde Euch nichts helfen, denn ich bin fest entschlossen, diese Verbindung abzulehnen, wie weit sie auch über mein Verdienst geht.« – »Auch ich hab' nicht Zeit,« sprach Herzog Karl, »zu warten, bis diese Grillen sich mit dem Mondwechsel geändert haben werden, – Orleans, sie soll in dieser Stunde lernen, wie notwendig es für sie ist, Gehorsam zu lernen.« – »Aber nicht meinetwegen, Sire,« antwortete der Prinz, der wohl fühlte, daß er von dem Eigensinne des Herzogs nicht mit Ehren Vorteil ziehen konnte, »einmal offen und bestimmt abgewiesen zu werden, ist genug für einen Sohn Frankreichs. Er kann seine Bewerbung nicht weiter fortsetzen.« Der Herzog warf einen wütenden Blick auf Orleans, einen anderen auf Ludwig; und als er in dem Gesichte des letzteren trotz aller Anstrengung, seine Gefühle zu verbergen, einen Ausdruck geheimen Triumphes las, geriet er vor Wut außer sich. »Schreibt,« sagte er zu seinem Sekretär, »unser Urteil gegen dieses ungehorsame, freche Geschöpf nieder! Sie soll ins Zuchthaus zu den gemeinen Kreaturen, mit denen sie an Frechheit wetteifert.«

Da erhob sich ein allgemeines Murren.

»Herr Herzog,« sprach Graf Crevecoeur, indem er für die übrigen das Wort ergriff, »das muß reiflich bedacht werden. Wir, Eure getreuen Vasallen, können nicht zugeben, daß dem Adel und der Ritterschaft Burgunds solcher Schimpf angetan werde. Hat die Gräfin unrecht gehandelt, so mag sie bestraft werden, – aber auf eine Weise, die sich für ihren Rang und den unsrigen geziemt, die wir mit ihrem Hause durch Bande des Blutes und der Verwandtschaft verbunden sind.«

Der Herzog hielt einen Augenblick inne und sah seinem Ratgeber mit dem Blicke eines Stiers in das Gesicht, der, wenn ihn der Hirt von dem Wege treibt, den er gehen will, überlegt, ob er gehorchen oder auf den Hirten losstürmen und ihn in die Luft schleudern soll. Die Klugheit trug indessen über die Wut den Sieg davon. Er sah, daß die Stimmung in seinem Rate allgemein gegen ihn war, und fürchtete die Vorteile, die Ludwig daraus ziehen möchte, wenn er Uneinigkeit unter seinen Vasallen bemerkte; und wahrscheinlich, – denn er war eher von roher und heftiger denn von bösartiger Gemütsart, – schämte er sich selbst seines unehrenhaften Vorhabens.

»Ihr habt recht, Crevecoeur,« versetzte er, »ich war zu vorschnell. Ihr Schicksal soll nach den Regeln des Rittertums entschieden werden. Ihre Flucht nach Lüttich hat das Zeichen zur Ermordung des Bischofs gegeben. Wer diese Untat am ehesten rächt und uns das Haupt des wilden Ebers der Ardennen bringt, soll berechtigt sein, ihre Hand von uns zu fordern.« – »Wie?« sagte die Gräfin, »bedenkt, daß ich die Tochter des Grafen Reinhold, – Eures alten, treuen Dieners, – bin. Wollt Ihr mich als einen Preis aussetzen für den, der die beste Klinge führt?« – »Eure Ahnfrau,« entgegnete der Herzog, »ward in einem Turnier gewonnen, und um Euch soll in offener Feldschlacht gefochten werden. Nur soll, um Graf Reinholds willen, ob reich, ob arm, der Ritter, der den Preis sich holt, ein Edelmann von untadelhafter Geburt und fleckenlosem Wandel sein. Das schwöre ich bei dem heiligen Georg, bei meinem Fürstenhut und dem Orden, den ich trage!«

Die Einrede der Gräfin wurde durch den jubelnden Beifall übertäubt, der sich von allen Seiten erhob und mehr als alles dazu beitrug, das Blut des ungestümen Brausekopfes zu besänftigen.

»Sollen wir, denen das Schicksal schon Frauen gegeben hat,« sagte Crevecoeur, »müßige Zuschauer bei diesem Kampfe sein? Dies verträgt sich nicht mit meiner Ehre; denn ich habe selbst noch ein Gelübde zu lösen auf Kosten dieses Stück Viehes mit seinen Hauzähnen, des Keilers von der Mark.« – »Schlage nur immer drein, Crevecoeur!« sagte der Herzog, »gewinnst Du sie, und kannst sie nicht behalten, so gib sie, wenn Du willst – dem Grafen Stephan, Deinem Neffen.« – »Großen Dank, gnädigster Herr!« sagte Crevecoeur, »ich will mein Bestes tun, und sollte ich so glücklich sein, den Sieg davonzutragen, so mag Stephan seine Beredsamkeit gegen die Frau Aebtissin versuchen.« – »Die französische Ritterschaft,« sagte Dunois, »wird doch hoffentlich von diesem Kampfe nicht ausgeschlossen sein?«

»Behüte der Himmel, wackerer Dunois,« antwortete der Herzog, »und wäre es auch nur, um zu erproben, wie Ihr Euer Aeußerstes tun werdet. Aber,« setzte er hinzu, »obgleich ich nichts dawider habe, wenn sich die Gräfin Isabelle mit einem Franzosen vermählt, so wird es doch nötig sein, daß der künftige Graf von Croye ein burgundischer Untertan werde.« – »Genug, genug,« sagte Dunois, »ich will als Franzose leben und sterben. Aber wenn ich auch die Ländereien preisgebe, für die Dame versuche ich den Kampf.« – »Niemand denkt an mich,« sprach le Glorieux, »und doch bin ich gewiß, Euch allen den Preis vor der Nase wegzuschnappen.« – »Ganz recht, weiser Freund,« sagte Ludwig, »wo ein Weib im Spiele ist, dort ist der Narr immer am ehesten Hahn im Korbe!«

Achtzehntes Kapitel

Wenige Tage waren vergangen, seit Ludwig die Nachricht erhalten hatte, sein Günstling und Ratgeber, Kardinal Balue, sitze in einem jener eisernen Käfige, die so eingerichtet waren, daß der arme Gefangene nur im Sitzen ruhen oder schlafen, sich also nicht ausstrecken konnte. Die vom Herzog verlangten Hilfstruppen waren angelangt; und ob er gleich das Unwürdige seiner Lage fühlte, daß er mit seinen edelsten Pairs unter den Fahnen seines eigenen Vasallen gegen ein Volk, dessen Sache er unterstützt hatte, ziehen sollte, ließ er sich doch durch diese Umstände vor der Hand nicht niederdrücken, in dem festen Vertrauen, daß die Zukunft ihn dafür reichlich entschädigen werde.

Mit solchen Empfindungen bestieg der König an einem schönen Tage in der letzten Hälfte des Erntemonats sein Pferd, und ohne sich darum zu kümmern, daß er eher jemand glich, der zum Triumphzuge eines Siegers gehört, als einem unabhängigen Fürsten, umgeben von seinen Garden und seiner Ritterschaft, ritt er aus dem gotischen Tore von Peronne, um zu dem burgundischen Heere zu stoßen, das zu gleicher Zeit seinen Zug gegen Lüttich begann.

Die meisten Damen, die sich in der Festung befanden, zeigten sich in ihrem besten Putze auf den Zinnen und Brustwehren des Tores, um den Zug der tapferen Krieger, die sich zu dieser Unternehmung in Bewegung setzten, mit anzusehen. Hierher hatte nun Gräfin Crevecoeur auch Isabelle geführt, die ihr nur ungern gefolgt war; allein es war Karls ausdrücklicher Befehl, daß die Dame, die dem Sieger im Turniere die Palme reichen sollte, auch den Rittern sichtbar sei, die um ihre Hand in die Schranken treten wollten.

Als sie sich aus dem Bogen des Tores hervordrängten, erblickte man manches Fähnlein und manchen Schild mit neuen Wahlsprüchen; und darunter befand sich einer, der es wagte, der Gräfin Isabelle ein Zeichen der Bekanntschaft zu geben, was selbst keiner der edelsten unter dem französischen Adel versucht hatte: und das war Quentin Durward, der, als er der Reihe nach bei den Damen vorüberritt, der Gräfin Isabelle an der Spitze seiner Lanze den Brief ihrer Muhme überreichte.

»Nun, bei meiner Ehre,« sagte Graf Crevecoeur,« das ist doch zu frech von solch einem unwürdigen Abenteurer!« – »Nennt ihn nicht so, Crevecoeur,« sagte Dunois, »ich habe guten Grund, seine Ritterlichkeit zu verbürgen – besonders in Beziehung auf diese Dame.« – »Ihr macht Worte um nichts,« sagte Isabelle, indem sie vor Scham und Unwillen errötete, »es ist ein Brief von meiner unglücklichen Muhme. Sie schreibt heiter, obgleich ihre Lage schrecklich sein muß.« – »Laßt hören, was die Ebersbraut schreibt!« sprach Crevecoeur.

Gräfin Isabelle las den Brief, worin ihre Muhme willens zu sein schien, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich über die Eilfertigkeit ihrer Vermählung durch das Glück zu trösten, mit einem der tapfersten Männer seiner Zeit vermählt zu sein, der soeben durch seinen Mut ein Fürstentum erkämpft habe. Sie beschwor ihre Nichte, ihren Wilhelm (so nannte sie ihn) nicht nach den Berichten anderer zu beurteilen, sondern zu warten, bis sie ihn persönlich kennen lerne. Er besitze vielleicht Fehler, allein es seien doch nur solche, wie sie Charakteren, die sie immer verehrt habe, eigen zu sein pflegen. Wilhelm sei dem Weine ergeben, allein das sei ja auch der tapfere Gottfried, ihr Großvater, gewesen. Er sei etwas heftig und blutdürstig; sei dies aber nicht auch ihr Bruder Reinhold gesegneten Andenkens gewesen? Er sei derb in seinen Reden; diesen Fehler teile er aber mit den meisten Deutschen. Er sei eigensinnig und durchgreifend, allein sie glaube, daran lasse es kein Mann fehlen ... Sie schloß mit der Hoffnung und Bitte, Isabelle möchte mit Hilfe des Ueberbringers dem Tyrannen von Burgund zu entrinnen suchen und an den Hof ihrer lieben Muhme nach Lüttich kommen, wo sich alle Streitigkeiten über ihre Erbfolgerechte heben ließen, wenn sie Karl Eberson heirate, – einen Bräutigam, der zwar jünger sei als die Braut, wogegen sie aber (Gräfin Hameline), vielleicht aus Erfahrung sagen könne, daß solche Ungleichheit sich weit leichter ertragen lasse, als Isabelle sich es vorstellen möchte.

Hier hielt die Gräfin inne; denn Graf Crevecoeur brach in die Worte aus: »Ei, über die verführerische Hexe! Dieser Rat riecht so ranzig wie gerösteter Käse in einer Rattenfalle! Pfui über die alte Kupplerin!«

Indem nun Isabelle den Brief ihren Freunden vorlas, hielt sie es nicht für nötig, eine Nachschrift mitzulesen, worin sie mitteilte, daß sie ihrem Manne einen Waffenrock sticke, mit den verschlungenen Wappen der Häuser Croye und von der Mark, weil sich ihr Mann aus Klugheitsgründen entschlossen habe, in dem ersten Gefechte andere in seinen Waffenrock zu kleiden und das Wappen von Orleans mit dem schiefen Balken, mit anderen Worten das von Dunois, mitzunehmen. Auf einem besonderen Stück Papier, dessen Inhalt die Gräfin ebenfalls nicht mitzuteilen für nötig fand, standen von anderer Hand folgende Worte: »Wenn Ihr nicht bald von mir hört, und zwar durch die Trompete der Fama, so schließt, daß ich gestorben, aber nicht unwürdig gestorben bin!«

Ein Gedanke, den sie bisher als unglaublich zurückgedrängt hatte, trat nun mit doppelter Lebendigkeit vor Isabellens Seele. Da es dem weiblichen Scharfsinne selten an Mitteln fehlt, so wußte sie es auch einzurichten, daß, ehe die Truppen in vollem Marsche begriffen waren, Quentin Durward von unbekannter Hand das Billett der Gräfin Hameline erhielt, mit drei Kreuzen der Nachschrift gegenüber, wo bloß folgende Worte standen: »Er, der das Wappen der Orleans nicht fürchtete, als es auf der Brust seines tapferen Eigentümers sich befand, wird sich auch nicht fürchten, wenn er es auf der eines Tyrannen und Mörders findet.«

Tausend und abertausend Mal drückte der junge Schotte diese Zeilen an seine Brust und küßte sie; denn sie zeigten ihm den Weg, wo Ehre und Liebe ihm den Lohn entgegenhielten und setzten ihn in den Besitz eines Geheimnisses, das keiner kannte, wodurch er aber denjenigen herausfinden konnte, dessen Tod allein seine Hoffnungen zu beleben vermochte.

Durward sah indessen die Notwendigkeit ein, sich betreffs der Nachricht, die ihm Hayraddin mitgeteilt hatte, ganz anders zu benehmen, da der von Wilhelm von der Mark beabsichtigte Ausfall, wenn man dagegen nicht sorgfältig auf der Hut war, die Vernichtung des gesamten Belagerungsheeres zur Folge haben konnte; so schwer war es, bei der unordentlichen Art, zu damaliger Zeit Krieg zu führen, sich gegen einen nächtlichen Ueberfall zu sichern. Nachdem er sich die Sache reiflich überlegt hatte, entschloß er sich, nur persönlich, und zwar nur beiden Fürsten zusammen die Nachricht mitzuteilen; denn er besorgte, daß ein so wohlangelegter und vielversprechender Plan den König Ludwig leicht verleiten möchte, den beabsichtigten Ueberfall eher zu unterstützen, als zu hintertreiben. Er entschloß sich daher, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, wo er Ludwig und Karl beisammen träfe, die aber, da sie sich nicht gern Zwang antaten, vielleicht lange auf sich warten lassen mochte. Unterdessen bewegte sich der Zug fort, und die Verbündeten betraten bald das Gebiet von Lüttich, marschierten, ohne ernstlichen Widerstand zu finden, durch das üppige Maastal und rückten vor die große, dicht bevölkerte Stadt Lüttich an. Das Schloß Schönwald war geschleift, da Wilhelm von der Mark sich mit seiner ganzen Heeresmacht in die Stadt geworfen hatte, entschlossen, ein Zusammentreffen mit der Reiterei von Burgund und Frankreich in offenem Felde zu vermeiden.

Ein Teil des burgundischen Vortrabes, in der Meinung, es brauche bloß durch die Breschen in die Stadt einzuziehen, drang mit dem Rufe: »Burgund! Burgund! Schlagt tot! Denkt an Ludwig von Bourbon!« in eine der Vorstädte. Aber im Nu brach ein starker Haufe aus der Stadt und richtete ein großes Blutbad unter ihnen an. Als Herzog Karl diese Nachricht erhielt, geriet er außer sich vor Wut und hätte sich auf der Stelle an die Spitze seiner Mannen gestellt, wenn nicht Hymbercourt und Crevecoeur ihn dringend ersucht hätten, diesen Posten eilig zu verlassen. Die beiden berühmten Anführer trieben die Lütticher alsbald zurück und machten nicht weniger als achthundert Mann Gefangene. Hymbercourt ließ, um weitere Ausfälle zu verhüten, zwei Feldschlangen vor dem Tore auffahren und kehrte dann zu dem zahlreichen burgundischen Heere zurück, das er aber in großer Unordnung traf. Das Hauptkorps und der Nachtrab desselben war nämlich fortwährend vorgerückt, indes der Vortrab infolge dieses Renkontres auf dem Rückzuge begriffen war, und so waren beide in großer Verwirrung aufeinandergestoßen. Hymbercourts Abwesenheit, dem alle Geschäfte eines Generalquartiermeisters oblagen, vermehrte noch die Unordnung: zudem brach eine rabenschwarze Nacht herein, es fiel ein starker Regen, und der Boden, auf welchem sich das Belagerungsheer notgedrungen bewegen mußte, war sumpfig und von vielen Kanälen durchschnitten. So hatte Hymbercourt bei seiner Rückkehr unglaubliche Schwierigkeiten vor sich, die ihm durch die Vorwürfe des Herzogs verbittert wurden, der die weit dringlichere Pflicht, die Hymbercourt eben zu erfüllen gehabt hatte, nicht berücksichtigen wollte; endlich machte der tapfere Krieger seinem Grolle über diese unbilligen Vorwürfe Luft, durch den verdrießlichen Ausruf: »Ich habe eben unter dem Vortrab leidliche Ordnung geschaffen, und finde nun das Hauptkorps unter Eurer Hoheit eigener Führung in einem Zustande, daß sich weder Fronte noch Flanke noch Nachtrab unterscheiden läßt.«

»Um so ähnlicher sind wir einem Fäßchen Heringe,« versetzte Narr Glorieux, »und das ist das natürlichste Bild für ein flamändisches Heer.«

Des Narren Rede brachte den Herzog zum Lachen und verhinderte eine weitere Diskussion zwischen ihm und seinem General. Mit großer Anstrengung wurde ein kleines Lusthaus eines reichen Lütticher Bürgers in Besitz genommen und für den Herzog und seine unmittelbare Begleitung hergerichtet; und Hymbercourts und Crevecoeurs Ansehen gelang es endlich, in der Nähe eine Wache von vierzig Waffenleuten aufzustellen.

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