»Ja, ja,« rief Mordaunt, den lärmenden Tieren mit einem Gefühl von Erbitterung nachschauend, das er, so geringen Zusammenhang es auch mit ihr auswies, gern auf die gesamte Natur übertragen hätte; – »taucht, schreit, lärmt, soviel ihr wollt, weil euch was der Quere kam, das eure Ruhe störte – weil ein Ton euch schreckte, den ihr nicht gewöhnt seid! Ja, ja, auf diesem runden Erdenball gibt's viele wie euch; aber ihr sollt wenigstens lernen,« fügte er hinzu, die Flinte wieder ladend, »daß mit einem fremden Anblick, fremden Klange und fremder Bekanntschaft zuweilen auch Gefahr verbunden ist. – Doch, warum Zorn an harmlosen Tieren auslassen?« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »mit den Freunden, die mich vergaßen, mich vergessen konnten, haben doch sie nichts zu schaffen! Ach, und ich liebte sie alle so innig, – und nun müssen sie mich um des ersten besten Fremden willen, den ein Zufall an die Küste wirft, aus ihrer Erinnerung streichen – müssen sie mich so bald aufgeben und im Stiche lassen?«

Er stand, auf seine Flinte gestützt, versunken in diese schmerzvollen Betrachtungen, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Sich umdrehend, erblickte er die Norna vom Fitful-Head, in ihren dunklen weiten Mantel gehüllt. Vom Hügel aus hatte sie ihn gesehen, und war zum See durch eine kleine Felsschlucht herabgestiegen, die sie seinen Blicken entzog – war ihm mit unhörbaren Schritten so nahe gekommen, daß sie ihn berühren konnte.

Mordaunt war von Natur weder furchtsam noch abergläubisch, auch für sein Alter belesener, als man gewöhnlich findet; aber es wäre doch einem Wunder nahe gekommen, zumal auf Shetland und ausgangs des siebzehnten Jahrhunderts, wenn er schon jene Philosophie besessen hätte, die selbst in Schottland erst zwei Generationen später Eingang fand. Wohl fühlte er Zweifel an der Möglichkeit übernatürlicher Gaben, wohl hielt er Norna für kein anderes als menschliches Wesen mit menschlichen Schwächen und Tugenden – aber vom Zweifel zum Unglauben stieg auch er nicht; auch ihm galt Norna, trotz aller Vorbehalte seiner Vernunft, als eine Frau, begabt mit einer seltenen Geistesstärke und, dem Anscheine nach, enthoben aller Rücksicht auf irdischen Zwang. Von Jugend auf in dieser Meinung befangen, konnte er dieses geheimnisvolle Wesen, das jetzt so jäh vor ihm auftauchte und ihn so finster und ernst betrachtete, wie die Schicksals-, ihre Namens-Schwestern, die jungen Kämpen betrachteten, die sie auserwählt hatten, das Gastmahl Odins zu teilen, – nicht anders als mit banger Unruhe anstarren; und manch anderer als er, an seiner Stelle hier an dem einsamen Strande des grünen Seees, hätte gebebt und gezittert angesichts solcher bösen Prophetin, die ihm als ein Anzeichen des Unglücks erscheinen mußte.

»Ich bringe Dir kein Unglück, Mertoun,« sagte sie, denn sie mochte in den Blicken des jungen Mannes wohl etwas, wie abergläubische Ahnungen, lesen – »Ich habe Dir nie welches zugefügt und werde Dir nie welches zufügen.« »Das fürchte ich nicht,« entgegnete Mordaunt, einer Besorgnis Herr zu werden suchend, deren unmännliche Art er schmerzlich fühlte – »und warum sollte ich, Mutter, mich fürchten? Weiß ich denn nicht, daß Ihr mir immer freundlich gesinnt wart!«

»Und doch, Mordaunt, bist Du kein Shetländer, kein Mann von unserer Flur – aber selbst denen nicht, Mordaunt, die um Magnus Troils Herd herum sitzen, selbst jenen nicht vom Blute des edlen Abkömmlings der alten Jarls von Orkney – will ich wohler als Dir, wackerer, hochherziger Jüngling ... – Als ich Dir die Zauberkette um den Hals hing – die, wie auf den Inseln alle wissen, von keiner irdischen Hand verfertigt wurde, sondern von den Draus in den geheimen Werkstätten ihrer Höhlen – zähltest Du kaum fünfzehn Jahre, und standest doch schon auf der Jungfrauen-Klippe von Northmaven, die vor Dir nur der gehäutete Fuß der Sturmmöwe betrat, – hattest Deinen Nachen doch schon in die tiefste Höhle von Brinnastir gelenkt, wo der Haafefisch [Der große Seehund oder das Seekalb, das die einsamsten Schluchten zu seinem Aufenthalt wählt] vorher in Finsternis schlummerte. Darum, Mordaunt Mertoun, gab ich Dir jenes edle Geschenk, damit Dich jedes Auge auf diesen Inseln als seinen Sohn oder Bruder betrachte, hochbegabt vor allen andern Jünglingen, und als den Günstling jener Frau, deren Stunde der Macht erscheint, wenn Tag und Nacht sich vermählen.«

»Ach, Mutter,« sagte Mordaunt, »Eure freundliche Gabe mag mir wohl Gunst verschafft haben, aber sie hat sie mir nicht zu erhalten vermocht, wenn ich selbst nicht schuld trage an ihrem Verluste – aber was ist gelegen an Menschengunst? Ich will lernen, mich ebensowenig auf andere zu stützen, wie sie auf mich. Mein Vater sagt, ich solle diese Inseln bald verlassen, darum Mutter Norna, will ich Euch Eure Zauberkette zurückgeben, die einem andern wohl besseres und dauernderes Glück bringen mag als mir.«

»Verachte die Gabe nicht, wenn sie auch stammt vom namenlosen Geschlecht,« sagte Norna zürnend, ging aber sogleich aus dem Mißmut, der sie erfüllte, zu wehmütigem Ernst über und setzte hinzu: »Verachte sie nicht, Mordaunt, doch vergöttere sie auch nicht! Setz Dich auf jenen grauen Stein! und ich will, so viel ich vermag, ablegen, was mich von der großen Menge scheidet, und zu Dir reden wie eine Mutter zu ihrem Kinde.«

Das Zittern ihrer Stimme, verursacht durch den Kummer, der ihr Herz erfüllte, im Verein mit der erhabenen Weise ihrer Sprache und ihrer Haltung, konnte nicht anders, als Mordaunts Gemüt tief ergreifen; er setzte sich auf den Felsblock, auf den sie gezeigt hatte, und der zusammen mit andern von gleicher Größe von dem Felshange, an dessen Fuße er lag, bis an den Wasserrand geschleudert worden war. Norna setzte sich ihm gegenüber, knapp drei Fuß von ihm entfernt, auf einen andern Block, legte ihren Mantel so über den Kopf, daß fast nur Stirn, Augen und eine Locke ihres grauen Haares sichtbar blieben, und nahm nun in einem Tone, aus dem jene eingebildete Wichtigkeit, worin sich verworrene Geister so oft gefallen, aber auch ein ungewöhnlicher tief eingewurzelter Seelenschmerz sprach, wieder das Wort...

»Ich war,« hub sie an, »nicht immer, was ich jetzt bin; war nicht immer die Weise, Mächtige, Gebietende, vor der die Jugend Scheu, das Alter Achtung hegt. Es hat auch eine Zeit gegeben, wo Frohsinn nicht verstummte, wenn ich mich zeigte – wo ich der menschlichen Leidenschaften, menschlicher Freude und menschlichen Kummers, teilhaftig war – eine Zeit, da auch mir Beistand und Hilfe lieb und wert war – da ich Freude fand an müßigem Tand, an müßigem Lachen und müßigem Weinen – ach! was gäbe die Norna vom Fitful-Head darum, wieder das glückliche, harmlose Mädchen zu sein, das sie in jenen Tagen war! Mordaunt, sei nachsichtig mit mir; denn Du hörst Klagen aus meinem Munde, die nie ein sterbliches Wort vernahm, die kein sterbliches Ohr wieder vernehmen soll...« Und ihren magern, verdorrten Arm ausstreckend, rief sie: »Ha! Ich will sein, wozu die Göttin des Schicksals mich bestimmte: Königin und Schirmherrin über diese wilden, vernachlässigten Inseln, – ich will Norna sein, deren Fuß keine Woge netzen darf, ohne ihre Erlaubnis, deren Gewand der Wirbelwind schont, während er die Dächer von den Sparren reißt. Mordaunt Mertoun, sei mir Zeuge! – Du vernahmst meine Worte in Hafra – Du sahst, wie der Sturm vor ihnen wich, Mordaunt, sprich und sei mir Zeuge!«

Ihr zu widersprechen, jetzt, wo die höchste Begeisterung sie zu dem höchsten Begriffe von ihrer Höhe trug, wäre Mordaunt, selbst wenn er noch fester, als tatsächlich, überzeugt gewesen, daß nicht eine mit übernatürlicher Gewalt begabte, sondern eine von Wahnsinn geschlagene Frau vor ihm stände, nicht möglich gewesen, weil es ihm zu hart, zu grausam bedünkt hätte. Drum antwortete er: »Ja, Norna – ich hörte Deinen Sang und sah, wie der Sturm sich legte.«

»Wie der Sturm sich legte?« rief Norna aus, mit ihrem Stab aus schwarzem Eichenholz ungeduldig den Boden stampfend – »Mordaunt, Du sprichst nur halbe Wahrheit; der Sturm schwieg plötzlich – schwieg in kürzerer Zeit als das Kind, das die Wärterin beschwichtigt. Indessen, – Mordaunt – Du kennst wohl meine Macht, weißt aber nicht, und kein Sterblicher weiß es und soll es je erfahren, welchen Preis diese Macht mich kostete! Nein, Mordaunt, nicht um der hohen Gewalt willen, die die alten Norweger besaßen, als ihre Banner noch von Nordlands Bergen bis Palästina wehten, nicht um all dessen willen, was der gesamte Erdball birgt, vertausche Deinen Seelenfrieden gegen solche Größe, wie sie Norna eigen!«

Bei diesen Worten setzte sie sich wieder auf den Felsen, zog den Mantel über das Gesicht, stützte den Kopf auf die Hand und schien, nach den krampfhaften Bewegungen ihrer Brust zu schließen, bitterlich zu weinen.

»Norna, Mutter,« rief Mordaunt, hielt aber inne, denn er wußte nicht, was er zum Tröste der unglücklichen Frau sagen sollte, – »gute Norna,« hub er wieder an, »sollte auf Eurem Gemüte Schweres lasten, das Euch beunruhigt, – wäre es dann nicht besser, Ihr ginget zu dem Pfarrer von Dunroßneß? Die Leute sagen, Ihr seiet seit vielen Jahren in keiner christlichen Gemeinde gewesen, – das ist nicht gut und nicht recht, Norna! – Ihr seid um Eurer Kunst willen, körperliches Leid zu heilen, auf der ganzen Inselflur bekannt; wenn aber die Seele krank ist, dann sollen wir uns auch an den Seelenarzt wenden.«

Norna hatte sich langsam aus der gebückten Stellung, in der sie bisher gesessen, aufgerichtet, warf jetzt den Mantel zurück und rief mit schäumender Lippe, blitzendem Auge und weit ausgestrecktem Arme – in einem Tone, der keiner menschlichen Stimme, sondern dem Schrei eines geängstigten Tieres glich: »Ich soll zu einem Priester gehen? mit einem Priester sprechen? ... Soll denn der fromme Mann vor Schrecken des Todes sein? Soll, wenn ich in eine christliche Gemeinde trete, das Dach auf sie niederstürzen? soll ihr Blut sich mit ihrer Andacht mischen?«

Die ungewöhnliche Heftigkeit der Unglücklichen brachte Mordaunt auf einen in diesem abergläubischen Lande, zu jener abergläubischen Zeit allgemein verbreiteten Glauben... »Unglückselige!« rief er, »Hast Du Dich wirklich mit den Mächten der Finsternis verbündet, warum solltest Du nicht bereuen können? Doch tue, was Du willst, als Christ kann und darf ich nicht länger in Deiner Nähe weilen. Da, nimm Deine Gabe wieder zurück,« setzte er hinzu, indem er ihr die Kette wiedergeben wollte; »ist mir vielleicht auch nicht Böses schon durch sie entstanden, – auf Gutes werde ich nie durch sie rechnen dürfen!«

Norna hatte, vielleicht durch den Ausdruck des Schreckens, der aus Mordaunts Gesicht sprach, ihre Ruhe wieder gefunden ... »Törichter Knabe,« sprach sie, »höre, was ich Dir jetzt sage – zu denen, die mit dem Freunde des Menschengeschlechtes einen Bund geschlossen oder durch seine Hilfe Wissen und Macht erhalten, gehöre ich nicht – und obgleich die überirdischen Mächte durch ein Opfer gewonnen wurden, das die menschliche Zunge nie aussprechen kann, so ist doch, Gott weiß es, meine Schuld an diesem Ort nicht größer als die des Blinden, der von dem Abhang stürzt, den er weder sehen, noch meiden konnte. Mordaunt Mertoun, verlaß mich nicht in dieser schwachen Stunde! Bleibe bei mir, bis die Versuchung gewichen ist, oder ich stürze mich in jenen See, um meiner Gewalt und meinem Elende zugleich ein Ende zu machen.«

Mordaunt, der dieses seltsame Weib nie anders als – zufolge des Wohlwollens, das sie ihm schon früh erwiesen – mit Zuneigung betrachtet hate, ließ sich leicht bestimmen, ihr weiter zuzuhören, hoffte er doch, daß sie ihrer Bewegung nach und nach Herr werden würde! Und diese Hoffnung sollte ihn nicht trügen, denn früher, als er gedacht, schien sie den Sieg über sich errungen zu haben und redete jetzt wieder in ihrer sonstigen festen, gebietenden Weise.

»Nicht von mir, Mordaunt, wollte ich mit Dir sprechen, als ich von dem Gipfel jenes grauen Felsens dort zu Dir herniederstieg, steht doch mein Schicksal unabänderlich fest in Freud und Leid – habe ich für mich selbst doch wenig noch zu wünschen oder hoffen: aber für die, die sie liebt, hegt Norna vom Fitful-Head noch immer die Empfindungen, die sie an das Menschengeschlecht ketten. Höre mich, ich kenne einen Adler, den stolzesten, der in luftigen Höhen baut, und in dieses Adlers Horst hat sich ein Otter geschlichen... Willst Du den Wurm zertreten und die edle Brut des Gebieters der nordischen Himmel retten?«

»Du mußt deutlicher sprechen, Norna, wenn ich Dich verstehen soll,« sagte Mordaunt. »Denn Rätsel kann ich nicht lösen.«

»Wohl denn, ohne Gleichnis – Du kennst die Familie von Burgh-Westra – die lieblichen Töchter des wackern alten Udallers – Minna und Brenda – meine ich. Du kennst und liebst sie...«

»Ich kenne sie, Mutter,« erwiderte Mordaunt; »und ich habe sie geliebt, niemand weiß das besser als Ihr.« »Sie einmal gekannt haben,« sagte Norna mit Wärme, »heißt, sie immer gekannt haben; und wer sie einmal geliebt hat, der liebt sie für immer.«

»Sie einmal geliebt haben, Mutter, heißt, ihnen Gutes für immer wünschen,« erwiderte der Jüngling; »nichts weiter. Wenn ich offen mit Dir reden soll, Norna, so haben mich die Leute von Burgh-Westra jüngst völlig vernachlässigt. Aber gib mir Mittel, ihnen zu helfen, und ich will Dir beweisen, wie dankbar ich bin für erwiesenes Wohlwollen, wie rasch ich Kälte vergesse, die auf das Wohlwollen folgte.«

»Wohl gesprochen,« sagte Norna; »und ich will Dich auf die Probe stellen; Magnus Troil nährt eine Schlange an seinem Busen, und seine lieblichen Töchter werden den Künsten eines Niederträchtigen zur Beute fallen.«

»Ihr meint den Fremden – den Cleveland?« fragte Mordaunt.

»Ich meine den Fremden, der sich diesen Namen gibt, den Fremden, den wir wie ein Bündel Seetang am Fuße des Vorgebirgs von Hafra fanden. Mir sagte die Stimme meines Herzens, ich solle ihn der Flut lassen – Du ersticktest die Stimme in mir – jetzt aber bereue ich, ihr nicht Folge geleistet zu haben.« »Ich aber,« sagte Mordaunt, »kann nicht bereuen, meine Schuldigkeit als Christ getan zu haben. Und welches Recht hätte ich zu wünschen, daß die Sache anders läge, als sie liegt? Wenn Minna, Brenda, Magnus und die übrigen den Fremden lieber haben als mich, so habe ich kein Recht, mich dadurch gekränkt, zu fühlen; wollte ich mich mit ihm vergleichen, verdiente ich ausgelacht zu werden.«

»Gut; ich glaube, sie sind Deiner uneigennützigen Freundschaft trotz allem auch wert.«

»Ich aber, Mutter, sehe bei dem allen nicht,« fuhr Mordaunt fort, »worin ich den Leuten nützlich sein kann. Eben habe ich von Bryce Snailsfoot erfahren, daß dieser Cleveland in Burgh-Westra alles gilt. Wo ich nicht willkommen bin, möchte ich mich weder eindrängen, noch mein bescheidenes Verdienst dem eines andern Mannes an die Seite stellen. Er kann ihnen von Schlachten erzählen, ich nur von Vogelnestern – er kann ihnen sagen, wieviel er Franzosen erschossen hat, ich nur, wieviel Seehunde – er trägt prächtige Kleider und hat ein männlich-schönes Gesicht; ich gehe schlicht und sehe schlicht aus.«

»Du tust Dir unrecht,« sagte Norna; »Dir selbst, und noch größeres den beiden Mädchen, Minna und Brenda; verlaß Dich nicht auf des Hausierers Rede, denn er ist wie der gierige Walfisch und taucht um der kleinsten Münze willen, die ein Fischer in das Meer wirft, unter. Gewiß ist aber, daß dieser schlimme Mensch daran schuld ist, daß Du bei Magnus Troil nicht mehr so gut angeschrieben stehst, wie früher. Er mag sich aber in acht nehmen, denn ich lasse ihn nicht außer acht!«

»Und warum,« – fragte Mordaunt – »sagt Ihr Magnus Troil nicht das, was Ihr mir soeben gesagt habt?«

»Weil die,« erwiderte Norna, »welche sich selbst weise dünken, nur durch Erfahrung klug werden. Erst gestern hab ich mit Magnus gesprochen, und was hat er mir zur Antwort gegeben? Gute Norna,du wirst alt! – Und das hab ich mir von jemand anhören müssen, der durch so viel so enge Bande an mich gefesselt ist –, hab's anhören müssen von dem Abkömmlinge der alten Norwegsgrafen – von Magnus Troil – und das hat er jemand zuliebe gesagt, den das Wasser wie Seegras ausspie! Da er den Rat der Alten verschmäht, mag er sich raten lassen von den Jungen; es ist aber nur recht und in Ordnung, daß er seiner eigenen Torheit nicht überlassen wird... Geh also an des Täufers Fest, wie sonst, nach Burgh-Westra.«

»Man hat mich nicht geladen – denkt nicht an mich – sieht mich vielleicht gar nicht einmal an, wenn ich komme; und doch war ich, Mutter, wenn ich die Wahrheit sagen soll, dorthin unterwegs.«

»Es war ein guter, vernünftiger Einfall von Dir,« sagte Norna; »wir besuchen den Freund, wenn er körperlich leidet; warum sollten wir ihn unbesucht lassen bei seelischem Leide? Geh hin nach Burgh-Westra! geh! Vielleicht treffen wir uns dort; jetzt aber scheiden sich unsere Wege... Gott befohlen! doch sprich zu niemandem von dieser Begegnung.«

Sie trennten sich. Mordaunt, die Augen auf Norna gerichtet haltend, blieb an dem See stehen, bis ihre hohe, dunkle Gestalt sich in den Krümmungen des Tales, das sie durchschritt, verlor; dann kehrte er, willens einen Rat zu befolgen, der mit seinen Wünschen in so völligem Einklänge stand, nach dem Vaterhause zurück.

Elftes Kapitel

Der festliche Tag nahte, und noch immer war keine Einladung nach Burgh-Westra gekommen für denjenigen Gast, ohne den noch vor kurzer Zeit auf der Insel kein Fest hätte begangen werden können. Dagegen war überall von nichts anderm die Rede als von dem Gerücht, daß Kapitän Cleveland bei den Leuten von Burgh-Westra in höchste Gunst gelangt sei: ein Wandel, über den die alte Haushälterin mit dem alten Ranzelmann den Kopf um die Wette schüttelte. Sie sowohl als er gaben Mordaunt durch Winke und Fingerzeige zu verstehen, daß er an diesem Wandel ganz allein schuld trage, da er nicht nötig gehabt hätte, den Fremdling auf Gefahr des eignen Lebens von der Klippe zu retten, von der ihn die nächste Flut doch weggespült hätte ...

»Es hat noch niemand Segen gebracht,« sagte Swertha, »dem Meere wider Willen zu sein; aber,« wandte sie sich an den Ranzelmann, »was sagt Ihr zu dem Kerl, dem Cleveland, der unserm Mordaunt so im Lichte steht? und zu Magnus Troil, der unserm Mordaunt noch am letzten Pfingsttage für die Zierde von Shetland erklärte?«

»Es kann ihm nicht von Vorteil sein, dieser Unbestand,« meinte der Ranzelmann mit weiser Miene; »es kommt mir aber vor, Swertha, daß auch die Klügsten – (und dazu rechne ich mich doch auch) – wie richtige Strohköpfe handeln und Sachen machen, ganz ebenso unnütz und überflüssig, als wenn ich versuchen wollte, über die Spitze vom Sumbourgh zu klettern. Es ist mir selbst im Leben ein paarmal so gegangen – aber was dabei herauskommt, werden wir bald sehen – was Gutes, wie gesagt, wird's schwerlich sein.«

»Nein, nein, was Gutes kann's nicht sein – da habt Ihr recht.«

Diese schlimmen Weissagungen, die sich von Zeit zu Zeit mit ziemlicher Regelmäßigkeit wiederholten, blieben auf Mordaunt nicht ohne Einfluß. Wenn er auch nicht meinte, daß die unliebsame Situation, in der er sich jetzt befand, seinem Liebeswerke unbedingt hätte folgen müssen, so war es ihm doch zu Mute, als ob ein Zauber von ungekannter Art und Macht auf ihm laste, als ob eine Gewalt, der er nicht gebieten könne, auf sein Schicksal in herber Weise einwirke. Trotzdem stand sein Entschluß, zum Johanis-Abend nach Burgh-Westra zu wandern, um so fester, als er die Ueberzeugung hatte, daß sich dort etwas Ungewöhnliches, mit seinen künftigen Aussichten und Lebensplänen in unmittelbarem Zusammenhange Stehendes ereignen müsse.

Da es sich aber traf, daß sein Vater zurzeit von seinen trüben Stimmungen verschont war, mußte Mordaunt ihn von dem Gange, den er nach Burgh-Westra vorhatte, benachrichtigen. Der Vater verlangte den Grund zu wissen, der ihn dazu bestimmte.

»Alles Inselvolk wird dort versammelt sein,« erwiderte der Jüngling.

»Und Du willst bei der Zahl der Narren und Toren nicht fehlen? Nun, dann geh, aber nimm Dich auf dem Wege, den Du vorhast, in acht. Ein Sturz von den Klippen von Fula könnte nicht gefährlicher sein.«

»Darf ich nach dem Grund solcher Warnung fragen?« versetzte Mordaunt, indem er die Schranken der Zurückhaltung durchbrach, die zwischen ihm und seinem sonderbaren Vater lagen.

»Magnus Troil hat zwei Töchter. Junge Leute Deines Alters betrachten solch flatterhafte Beigabe zum menschlichen Leben im selben Verhältnis der Neigung wie der Verwünschung in spätern Tagen. Ich sage Dir, nimm Dich in acht vor ihnen. So gewiß, wie Sünde und Tod durch das Weib in die Welt kamen, so gewiß sind auch ihre süßen Worte und ihre noch süßeren Blicke das Verderben und der Untergang derjenigen, die darauf bauen.«

Der Widerwille des Vaters gegen das weibliche Geschlecht war für Mordaunt nichts Neues; aber noch nie bisher hatte er den Vater auf solche bestimmte, kräftige Weise sich darüber äußern hören. Er sagte drauf, »daß Magnus Troils Töchter ihm nicht mehr gälten als alle übrigen Frauenzimmer auf den Inseln, zumal sie ohne alle Ursache die Freundschaft mit ihm abgebrochen hätten.«

»Und um sie wieder anzuknüpfen, gehst Du hin?« fragte der Vater. »Unbedachte Mücke, Du hast einmal die Kerze umschwärmt, ohne Dir die Flügel zu verbrennen, und bist nicht zufrieden? fühlst Dich nicht wohl in diesem gefahrlosen Dunkel? sondern mußt zur Flamme zurück, damit sie Dich doch verzehre? ... Aber wozu Worte verlieren? Das Schicksal ist unabwendlich. Also geh, wohin es ruft!«

Am andern Tage, dem nächsten vor dem Feste, machte Mordaunt sich auf den Weg, im Geiste bald mit dem Rate der greisen Norna, bald mit den Warnungen des Vaters, bald mit den bösen Weissagungen Swerthas und Ronaldsons befaßt – und außer stande, sich des Trübsinns zu erwehren, mit dem die Zusammenwirkung dieser drei Faktoren ihn zu umnachten drohte.

Es war ein recht schönes, ruhiges Wetter. Mordaunt setzte seine Wanderung mit einer körperlichen Leichtigkeit und Frische fort, die zu seiner seelischen Mühsal in einem höchst auffälligen Gegensatz stand – in einem auffälligeren aber noch zu den schlimmen Strapazen seiner letzten Wanderung in umgekehrter Richtung zwischen den beiden Oertlichkeiten – nichtsdestoweniger fiel der Vergleich nicht zu Gunsten der jetzigen aus.

»Letztmals,« sagte er zu sich selbst, »war meine Brust dem Winde bloßgestellt, das Herz darin war aber heiter und glücklich. Wie glücklich wollte ich sein, wenn ich jetzt dasselbe unbefangene Gefühl wieder hätte! was früge ich nach einem neuen Kampf mit dem Sturme?«

Gegen Mittag langte er in Hafra an, der Wohnung, wie sich der Leser erinnern wird, des geistreichen Triptolemus Yellowley. Diesmal hatte Mordaunt sich so eingerichtet, daß er die Gastfreundschaft dort – um derentwillen das Haus auf der ganzen Insel nicht wenig berüchtigt war, nicht in Anspruch zu nehmen brauchte. Um aber der Höflichkeit Genüge zu tun, vielleicht auch, um sich auf andere Gedanken zu bringen, sprach Mordaunt in dem Hause vor und fand es zu seiner nicht geringen Verwunderung in der lebhaftesten Aufregung. Triptolemus polterte in großen Reiterstiefeln die Treppe auf und ab und schrie seiner Schwester und seiner Magd Tronda Fragen zu, die von den beiden Frauen mit lautem Gekreisch beantwortet wurden. Endlich erschien Jungfer Baby selbst, in ein weites Gewand gehüllt, das man als »Josephskittel« zu nennen liebte, und das einst grün gewesen war, jetzt aber durch Flecken und Flicken dem Kittel des Patriarchen, in welchem er als Knabe von seinen Brüdern nach Aegypten verschachert wurde, so ähnlich geworden war wie ein Ei dem andern. Dazu trug sie einen Hut mit kirchturmartigem Deckel auf dem Kopfe – wahrscheinlich vor langen Jahren in einem Augenblicke gekauft, als Eitelkeit den Sieg über die Habsucht davontrug, – mit einer Feder drauf, die soviel Wind und Regen ausgehalten zu haben schien, als hätte sie einer Seemöwe als Fittich gehört, – vollendete ihren Anzug, wozu noch eine mit Silber beschlagene altmodische Peitsche kam, die sie in der Hand trug. Der Anzug und eine beispiellose Aufregung in Haltung und Wesen verrieten die Absicht zu einer Reise oder Ortsveränderung ...

Baby-Barbara war auch die erste, deren Mordaunt ansichtig wurde doch begrüßte sie ihn augenscheinlich mit sehr gemischten Gefühlen ... »Gott steh uns bei!« rief sie, »ist das nicht der muntere Bursch mit der Kette um den Hals, der unsere Gans verschlang wie eine Seelerche?«

Der goldenen Kette, die damals auf ihr Gemüt so tief eingewirkt, galten ihre ersten Worte; dem frühen Hinübergange der Räuchergans die zweite Hälfte ihrer Rede – den Schluß derselben bildete die Bemerkung: »Leben und Seligkeit möcht ich drauf wetten, daß er den gleichen Weg mit uns geht.«

»Ich will nach Burgh-Westra, Jungfer Yellowley,« sagte Mordaunt.

»Uns soll es nur lieb sein, wenn Ihr Euch uns anschließt,« versetzte sie; »zum Essen ist's wohl noch zu früh? Gerstenkuchen und Hausbier könnt Ihr haben. Mit vollem Magen wandern ist zwar nicht gut, – und den Appetit für das Fest, wo doch alles vollauf sein wird, verdirbt man sich durch vorherige Mahlzeit auch.«

Mordaunt holte seinen eigenen Mundvorrat aus seinem Ränzel, versicherte, sie nicht abermals belästigen zu wollen, bat sie vielmehr bei ihm zuzulangen. Der arme Triptolemus, der nur selten ein halb so gutes Mittagessen bekam, als seines Gastes Imbiß war, fiel über die appetitlichen Speisen her, wie Sancho Pansa über den Schaum von Gamachos Kessel, und selbst Barbara konnte der Versuchung, einen Kosthappen zu nehmen, nicht widerstehen; was sie damit zu rechtfertigen suchte, daß sie um der Reise willen und weil man mit Holz in einem so kalten Lande haushälterisch umgehen müßte – es nicht erst für nötig gehalten hätte, Feuer anzumachen, deshalb aber mit Essen »heute« ein wenig knapp dran sei – anderseits doch einmal sehen möchte, ob man im schottischen Norden das Fleisch ebenso pökle wie hier.

Als dieser »Imbiß aus dem Stegreif« verspeist war, drang Triptolemus darauf, die Reise anzutreten, und jetzt wurde es Mordaunt klar, daß die Freundlichkeit, mit der ihn Jungfer Baby begrüßt, nichts weniger als frei von eigennützigen Regungen war; denn weder sie noch ihr gelehrter Bruder mochten sich gern in die Wildnis Shetlands ohne Führer wagen, und dangen sie auch nur einen Taglöhner dazu, so ging dabei – außer dem Trinkgeld, um das sie nicht herumgekommen wären – auch noch ein voller Tagelohn verloren.

Mordaunt kam ihnen mithin höchst gelegen, denn als Spender solchen Imbisses obendrein mußte er so willkommen erscheinen wie nur je ein Gast an ihrer Tür, die sich ja sonst am liebsten jedem verschloß; Herr Yellowley freute sich außerdem darauf, in seinem jungen Begleiter einen willigen Hörer für all die »Melilvrationspläne« zu finden, mit denen er sich in Gedanken trug.

Da Verwalter und Schwester nicht wandern, sondern reiten wollten, galt es nun, auch ihren Führer beritten zu machen, was aber keinerlei Schwierigkeit bot, denn in Shetland laufen der rauhhaarigen Gäule mit kurzen Beinen und langem Rücken genug frei auf den Mooren herum – wie schon einmal bemerkt, frei zu jedermanns Gebrauch – ja die Sache bot um so weniger Schwierigkeiten, als zwei solche Gäule schon für das Geschwisterpaar eingefangen und reisefertig gemacht worden waren. Der eine, dazu ersehen, die süße Bürde von Jungfer Baby zu tragen, hatte einen gewaltigen Quersattel von hohem Alter, eine Masse von Kisten und Polstern, unter der auf allen Seiten eine Schabracke aus alten Teppichen herabhing, die,ursprünglich für ein Pferd von normaler Größe bestimmt, den kleinen Shetland-Klepper von den Ohren bis zum Schweife und vom Widerrist bis zum Hufe bedeckte, so daß nichts frei blieb als der Kopf, der aus diesen Umhüllungen keck hervorblickte, wie der Löwe auf einem Wappen aus einem Busch. Mordaunt hob die schöne Jungfer nach Rittersitte auf den Gaul, und mit einiger Anstrengung gelang es ihm auch, sie wohlbehalten auf den Gipfel des bergartigcn Sattels zu setzen.

Inzwischen hatte ihr Bruder Triptolemus sich auf seinen Gaul, wenn auch nicht geschwungen, so doch hinauf »gekrabbelt« – und da er, des heitern Wetters ungeachtet, einen großen Mantel über seine andern Kleidungsstücke geworfen hatte, war sein Klepper fast noch dichter verhüllt als der seiner Schwester, leider aber so wild und widerspenstig, daß er unter dem Gewicht seines Reiters, in völliger Mißachtung der Yorkshirer Abstammung desselben, Lust bekam zu allerhand Kapriolen und Courbetten, die Triptolemus zu keinem festen Sitze in seinem Sattel kommen ließen; da nun das Pferd selbst nur bei genauem Hinsehen zu entdecken war, konnte man sich in einigem Abstande zu dem Wahn versucht fühlen, seine Sprünge als die freiwilligen Bewegungen des Reiters, die er mit seinen eigenen, ihm von der Natur verliehenen Beinen machte, anzusehen – was aber zusammen mit dem verzweifelten Gesichtsausdruck von dem armen Triptolemus einen so lächerlichen Eindruck gab, als Sancho Panso neben Don Quixote nur je gemacht haben dürfte.

Mordaunt, dem weder zur Klepperwahl noch zur Beschaffung von Reitzeug Zeit blieb, der statt des letztern sich gar mit einem bloßen Stricke begnügen mußte, hielt trotzdem wacker Schritt mit dem würdigen Geschwisterpaar, und Triptolemus Jellowley, außer sich vor Freude, seinen Führer so schnell beritten zu sehen, nahm sich im stillen vor, diesen rohen Gebrauch, Reisenden zu einem Pferde zu verhelfen, ohne dabei den Eigentümer um Erlaubnis zu fragen, nicht eher abzuschaffen, als bis er selbst eine Herde Pferde besäße – und man also an ihm das Recht der Vergeltung ausüben könnte.

Weniger nachsichtig aber bewies sich Triptolemus gegen andere Bräuche auf den Inseln; in der wilden, bergigen Gegend, durch die ihn Mordaunt führte, gab es tatsächlich keinen Platz, der in seiner lebendigen Einbildungskraft nicht Verbesserungsideen geweckt hätte. Bald wollte er durch eine kaum gangbare Schlucht, in der die zuverlässigen Gäule, die sie ritten, kaum einen Fuß vor den andern setzen konnten, eine Fahrstraße legen; an die Stelle der aus Lehm und aus trockenem Gestein errichteten Skios oder Hütten, in denen die Eingeborenen ihre Fische einsalzten, bessere Häuser setzen; bald wollte er das alte Shetländer Hausbier durch gutes Ale ersetzen oder Wälder pflanzen wo nie ein Baum wuchs, oder nach ergiebigen Bergwerken suchen an Stellen, wo ein paar dänische Schildlinge schon als halbes Vermögen galten. Von all diesen Reformen und manch andern mehr sprach er mit dem größten Vertrauen und erhoffte sich das Beste von der Unterstützung und dem Beistande, den er von den höhern Klassen, und namentlich von Magnus Troil, dazu erwartete.

»Ehe wir einige Stunden älter geworden,« sagte er, »will ich dem Manne meine Ansichten auseinandergesetzt haben, und Ihr sollt sehen, mit welchem Danke er sich gegen einen Mann äußern wird, der den Schatz seiner Kenntnisse dergestalt mehren hilft.«

»Ich würde Euch doch raten, nicht allzufest darauf zu bauen,« sagte Mordaunt; »Magnus Troil geht gern seinen eigenen Weg und zwar auf den hier zu Lande gewohnten Bahnen. Ich meine, ehe Ihr Magnus bewegen könnt, norwegische gegen schottische Sitten zu vertauschen, lehrt Ihr eher ein Pferd wie einen Seehund unter Wasser gehen; und doch ist er vielleicht bei aller Anhänglichkeit an alte Gebräuche in seiner Freundschaft eben so wandelbar wie andre.«

» Heus, tu inepte!« rief der Student von St.-Andrews; »anhänglich oder nicht, was will das sagen? Stehe ich nicht hier an meinem Platze, und habe ich nicht die Gewalt? Möchte sich ein Vogt herausnehmen, mit mir, dem Vertreter des Kämmerlings der Orkney- und Shetlandsinseln, über Gründe zu disputieren?«

»Nichtsdestoweniger,« versetzte Mordaunt, »möchte ich raten, nicht zu rasch gegen die Vorurteile dieses Mannes ins Feld zu rücken; hat doch Magnus Troil von Geburt an bis zu diesem Tage keinen größern Mann als sich, und keinen über sich gesehen! hat auch nie in seinem Leben Geduld gehabt, lange Auseinandersetzungen anzuhören; daher ist es möglich, daß er Euren Reform-Ideen den Krieg erklärt, ehe Ihr Zeit gefunden habt, ihn von ihren Vorteilen zu überzeugen.«

»Wie meint Ihr das, junger Mann?« fragte Triptolemus; – »sollte es wirklich jemand hier geben, verblendet genug, seine Augen gegen die beklagenswerten Mängel des Ackerbaus, wie er hier getrieben wird, zu verschließen? . . . Kann ein Mensch,« fügte er, die Stimme verstärkend, hinzu, »oder auch nur ein Vieh ein Ding ansehen, das die Leute hier Kornmühle nennen, ohne daß einen das Korn erbarmt, das einem so elenden Werkzeuge anheimfällt? Wozu wenigstens fünfzig solcher Mühlen nötig sind, dazu genügte eine einzige schöne, stattliche Mühle, deren Klappern durch das ganze Land gehört würde, und die das Mehl zu Viertelmetzen auf einmal zum Mahlloche herausschüttete.«

»Ja, ja, Bruder,« sagte seine Schwester, »Du redest klug wie immer: Recht viel Kosten, recht viel Ehre, – das sind so Deine Worte! Aber kommt es Dir denn nie in den Sinn, Mensch, daß hier jeder seine Handvoll Mehl mahlt, ohne sich um Wind- und Wasser- und was sonst für Mühlen zu kümmern? Wie oft hast Du mit Leuten über Mahlgroschen und Mahlgedinge herumgestritten, ohne daß Du was erzieltest? – Wie sollen denn die armen Leute hier soviel Geld aufbringen, sich andere Mühlen zu bauen, als sie brauchen?«

Der Landwirt wollte seiner Schwester nochmals allerhand weise Worte über die Mängel und Schwächen der auf Shetland üblichen Mahlmethode sagen, als sein Klepper unruhig zu werden anfing... »Der Teufel muß in dem Biest stecken!« brummte Triptolemus – »das Biest« aber steckte jetzt – vielleicht weil es sich über die geringschätzige Weise verdroß, wie sein Herr sich über die Inseln äußerte – den Kopf zwischen die Beine, warf seinen Reiter in den kleinen Bach, der die von ihm geschmähte kleine Maschine trieb, entwand sich dem Mantel, worin er mit steckte, und rannte mit zornigem Gewieher, und in einem fort ausschlagend, in sein wildes Moor zurück. Mordaunt, über den Unfall herzlich lachend, half dem alten Manne auf die Füße, während ihm seine Schwester spöttisch gratulierte, daß er nur in einen seichten shetlandischen Bach, und in keinen tiefen schottischen Mühlgraben, gefallen sei. Triptolemus, den Spott keiner Antwort würdigend, rief, sobald er wieder auf den Füßen stand, sich geschüttelt und davon überzeugt hatte, daß ihn die Falten seines Mantels in dem wasserarmen Bache vor Nässe geschützt hatten: »Ich will Hengste aus Lanarckshire, Zuchtstuten aus Ayrshire kommen lassen, und nicht eine von diesen verwünschten Mißgeburten soll mir auf den Inseln bleiben, ehrlichen Leuten die Hälse zu brechen; verlaß Dich drauf, Baby, die Inseln säubere ich von diesem Plunderzeug!«

»Gescheiter wär's,« antwortete Baby, »Du wändest das Wasser aus Deinem Mantel!«

Mordaunt gab sich die größte Mühe, aus einer Herde, die in einiger Entfernung graste, ein anderes Pferd zu fangen – zum Glück fand er eins von ruhigerem Temperament als das entwichene. Aus Binsen drehte er schnell einen Strick zusammen, der dem verdutzten Triptolemus als Zügel dienen mußte – dann setzte er Triptolemus auf den langen Rücken seiner neuen, kurzbeinigen Rosinante.

Ein Gutes hatte das Abenteuer aber für Triptolemus gehabt: es hatte niederschlagend auf seinen Geist gewirkt, so daß er auf ganzen fünf Meilen kaum ein Wort sprach, trotzdem seine Schwester Barbara in allen Tonarten über den Verlust des schönen Reitzeugs jammerte, das ganze achtzehn Jahre gehalten habe und nun wohl nie wieder zu sehen sein werde – ja ihm schließlich sogar eine lange Predigt über die Sparsamkeit hielt, zu der sie ihn – um den Schaden wieder hereinzubringen – anhalten wollte.

Mordaunt, – der jetzt, wo er Burgh-Westra immer näher kam, sich mit den beiden Mädchen mehr befaßte als mit den Auseinandersetzungen der alten Jungfer darüber, ob Dünnbier gesünder sei als starkes Ale, und ob, wenn ihr Bruder sich bei seinem Falle den Knöchel verletzt habe, Schwarzwurzel mit Butter wirksamer sei als alle Doktoren-Tropfen der Welt, – unterbrach sie nur selten. Indessen wichen nun die traurigen Moore, über die der Weg bis jetzt geführt, einer lieblichern Szenerie: ein See, oder vielmehr ein weit ins Land hinein laufender Meeresarm, von ebenen, fruchtbaren Getreidefeldern umschlossen, wie sie Triptolemus Vellowley auf Shetland noch nicht gesehen, kam in Sicht, – und inmitten dieses kleinen, shetländischen Eden oder Goschen stand, gegen Norden und Osten durch eine Reihe von mit Heidekraut bedeckten Hügeln wohlgeschützt, das Herrenhaus von Burgh-Westra, von dem aus sich eine prächtige Aussicht auf den See und das Meer, wie auf die Inseln und fernen Berge bot. Dicke Rauchsäulen, die aus dem Schornsteine desselben, wie auch aus denen der Hütten im Dorfe aufstiegen, verrieten, daß die Zurüstungen zu dem Feste im vollsten Gange waren und sich nicht bloß auf Magnus Troils Wohnstätte, sondern auf die ganze Nachbarschaft erstreckten.

Zwölftes Kapitel

Wenn schon der Geruch, der aus den Essen zu den öden Hügeln rings um das Herrenhaus herum emporstieg, – (nach Baby-Barbaras Meinung) – die Hungrigen hätte speisen können, so hätte der in der Gegend herrschende Lärm ebenso sicher Tauben das Gehör wiedergeben können.

Scharen von Bekannten und Freunden trafen ein – die Gäule wurden freigelassen und rannten wieder nach allen Richtungen hinaus auf die Moore, auf die bekannten Weidestellen. Die in Booten von fernern Inseln herkamen, gingen in einem kleinen bequemen Hafen, der sich bis zu dem Dorfe und dem Hause hinzog, vor Anker. Da sie, um sich guten Tag zu sagen, oft stehen blieben, konnte Mordaunt jeden einzelnen auf dem Wege zum Herrenhause, das, allem Reichtum und aller Gastfreiheit seines Besitzers zum Trotz, für die vielen Gäste kaum groß genug schien, eingehend mustern.

Aus den wirren Tönen der Freude und des Willkommens, mit denen jede neue Gruppe begrüßt wurde, glaubte Mordaunt lautes Lachen aus dem Munde des Hausherrn herauszuhören; doch fragte er sich mit wachsender Beängstigung, ob ebensolch herzlicher Empfang, wie den andern Gästen, auch ihm zuteil werden würde. Bald drangen nun auch Geigenklänge zu ihnen – die Spieler probten und stimmten ihre Instrumente, unruhig dem Anfange der Festlichkeit entgegensehend – der Koch und seine Gehilfen schrieen durcheinander, eifrig in der Bereitung dessen, was die Gäste erfreuen und laben sollte.

Mittlerweile waren die drei neuen Gäste, jeder von seinen eigenen Gedanken erfüllt, vor dem Herrenhaus angekommen. Was Mordaunt beschäftigte, das wissen wir; – Baby-Barbara ging ganz in dem Kummer und Staunen auf darüber, daß wirklich der Speisen so viele bereitet worden, wie zur Sättigung der vielen Menschen nötig seien, die sie um sich her so laut lärmen hörte, – daß wirklich soviel Geld dafür bereit sei, und dafür ausgegeben werden könne, und gern dafür ausgegeben würde – und sie mußte sich Zwang antun, daß ihr beim Anblick solcher Verschwendung nicht unwohl werde; – ihr Bruder dagegen, da sie nun mitten auf dem Hofe des Herrenhauses standen, wo all das primitive Gerät umherlag, dessen der Shetländer Landmann sich damals noch bediente: der einsterzige Pflug der Twixar zum Stechen des Torfs und der Frachtschlitten, der zu allerhand Transport benutzt wurde – kurz, alles das, was Gewohnheit und Leben Shetland von Schottland scheidet – Triptolemus geriet ob des Anblicks solcher Urwüchsigkeit in Hitze, dem kühnen Krieger gleich, dessen Blut zu wallen anfängt, wenn er die Waffen und Feldzeichen des Feindes sieht, mit dem er kämpfen soll. Seines großen Vorhabens eingedenk, die Sitten auf dieser Inselflur zu verfeinern, den Landbau ihrer Bevölkerung zu meliorieren, neue Werkzeuge anstatt der alten einzuführen – kurz, – neuen Geist hierher zu tragen – fühlte Triptolemus den Hunger – die erklärliche Folge solch weiten Rittes – kaum und sah dem Mittagsmahle, trotzdem es so beschaffen sein würde, wie er es kaum im Leben genossen, – mit einem nur matten Interesse entgegen.

» Jacta est alea,« brummte er vor sich hin, »dieser Tag soll mir zeigen, ob die Shetländer meiner Anstrengungen wert, oder ob ihre Gemüter des weitern Anbaues gleich unfähig sind, wie ihre Torfmoore. Aber wir wollen vorsichtig zu Werke gehen und die passende Zeit abwarten, bevor wir das Thema anschneiden. Ein paar Bissen von dem appetitlichen Rostbraten, der uns winkt, werden die schickliche Einleitung zu meinem Plane, die Zucht des Tiers, von dem es stammt, zu bessern, abgeben,«

Mittlerweile waren die Gäste an der niedrigen, aber langen Front des Herrenhauses, dessen Ausbau in verschiedene Jahre zu fallen schien, je nachdem die Familie seines Besitzers größere Räume zum Bedingnis machte, angelangt. Unter einem breiten, großen Vorbau, der mit zwei starken, mit Schnitzwerk verzierten Säulen getragen wurde, von Schiffen stammend, die an der Küste gestrandet waren, stand, die zahlreichen Gäste zu empfangen und zu bewillkommnen, die nach und nach eintrafen, Magnus Troil in dem weiten, blauen, altväterischen Rocke, der, mit Scharlach abgefüttert, und mit goldenen Tressen auf den Nähten und an den großen Aufschlägen besetzt, zu seiner kernhaften Figur mit dem derben, männlichen, wettergebräunten Gesicht so trefflich paßte. Ehrwürdiges Silberhaar, in reicher Fülle unter dem goldenen Tressenhut hervorwallend, hinten leicht durch ein Band gehalten, wies auf sein vorgerücktes Alter. Eine leichte Wolke des Mißvergnügens schien über seine Stirn zu fliegen, als er die kleine Gruppe sah, die wir vom Sumbourgh-Head hierher begleitet haben; und als er Triptolemus Yellowley entgegentrat, schien er zu doppelter Größe zu wachsen.

»Seid willkommen, Herr Yellowley,« sprach er den Verwalter des Lord-Kämmerlings an, freundlich wohl, und doch nicht ganz mit der Herzlichkeit, die er andern Gästen gegenüber gezeigt hatte – »willkommen in Westra! Der Wind hat Euch an eine rauhe Küste verschlagen, und wir Eingeborenen müssen bemüht sein, Euch die Meinung, die Ihr von ihr habt, zu bessern ... Ach! wohl Eure Schwester? Jungfrau Barbara Yellowley? Nun, Ihr vergönnt mir wohl die Gunst eines nachbarlichen Grußes?« und mit einer kecken, eigenmächtigen Höflichkeit, die man in unserer überfeinen Zeit vergeblich suchen würde, drückte er auf die verwelkte Wange der Jungfrau einen Willkommsgruß, der von ihr mit jüngferlich-schüchternem, doch mildem Lächeln hingenommen wurde. Dann fiel sein starrer Blick auf Mordaunt, und ohne ihm die Hand zu bieten, sprach er in einem Tone, der eine tiefe Bewegung verriet: »Auch Ihr sollt willkommen sein, Herr Mordaunt.«

Mordaunt, durch die Kälte solchen Empfangs gekränkt, versetzte: »Hätte ich mich des Gegenteils versehen zu müssen gemeint, so wäre ich nicht gekommen; immer ist es es, wenn ich mich darin geirrt habe, noch Zeit zur Umkehr.«

»Junger Mann,« sagte Magnus; »daß vor dieser Tür niemand umkehren darf, ohne den Eigentümer zu beleidigen, wißt Ihr besser als jeder andere; drum bitte ich, daß Ihr die Fröhlichkeit meiner Gäste nicht durch unzeitige Empfindlichkeit stört. Magnus Troils Willkommen gilt allen, die seiner Stimme Klang – und er reicht weit – vernehmen. Kommt herein, Ihr werten Gäste, und laßt uns sehen, welchen Empfang die Frauen im Hause uns bereiten werden.«

Indem er sein weiteres Verhalten nun so einrichtete, daß Mordaunt sich weder zurückgesetzt noch bevorzugt dünken konnte, geleitete er seine Gäste in die beiden großen Vorhallen, die in seinem Hause die Stelle eines Salons vertraten und mit Gästen aller Art schon angefüllt waren.

Das einfache Mobiliar trug das Gepräge der Eigentümlichkeit dieser wilden Inseln. Magnus Troil, gleich den meisten aus der besseren Klasse der shetländischen Grundbesitzer ein Freund aller Bedrängten, hatte wiederholt Gut und Ansehen eingesetzt, Schiffbrüchige zu beschützen – leider aber war Unglück zur See an dieser gefahrvollen Insel so häufig, daß auch dem aufopferungsfreudigsten Menschen Lust und Mut dazu hätten ausgehen können; es wurde aber auch soviel herrenloses Gut an den Strand dabei getrieben, daß mancher Ersatz für die Mühsal sich mit den Jahren angefunden hatte.

Die Stühle z.B., manche darunter von fremder Arbeit, wiesen deutlich auf frühere Verwendung in Schiffskabinen hin; auch die Spiegel und Schränke, unter den letzteren welche aus einem Holze, das niemand auf den Inseln kannte, waren offenbar zum Schiffsgebrauch angefertigt; selbst die Scheidewand zwischen den beiden Zimmern schien aus der Querwand eines großen Fahrzeuges zu stammen und von einem tischlernden Inselbewohner plump eingeschoben worden zu sein. Für einen Fremden wären diese Wahrzeichen menschlichen Elends ein zu starker Gegensatz gegen den frohen Anlaß gewesen, der die Leute heute hier zusammenführte; diese selbst aber waren mit der Ursache solches Elends zu innig vertraut, um sich in ihrem Taumel dadurch stören oder beirren zu lassen.

Der jüngere Teil der Gesellschaft war über Mordaunts Eintritt vor Freude schier außer sich. Alle gaben ihrer Verwunderung darüber, daß er sich so lange nicht habe sehen lassen, unverhohlenen Ausdruck, aber keiner war – wie man recht gut sah – der Meinung, daß der Grund dazu in irgendwelchen Differenzen zwischen ihm und der Familie läge. Hierdurch wurde dem Jüngling die Sorge um wenigstens einen Punkt, wenn nicht genommen, so doch gemildert. Mochten die Leute von Burgh-Westra noch so tiefe Vorurteile gegen ihn gefaßt haben, so hatte er wenigstens nicht den Kummer, in den Augen der Gesellschaft an Ansehen eingebüßt zu haben, und er brauchte sich, wenn eine Auseinandersetzung nötig war, mit einer solchen nur auf die Familie zu beschränken. Trotz alledem sah er noch immer dem Augenblick mit Bangen entgegen, der ihn dem Schwesternpaare gegenüber führen würde – den beiden Mädchen, denen er in so inniger Freundschaft angehangen hatte. Nachdem er sich von seiner Reisegesellschaft, die wie Kletten an ihm hing, dadurch frei gemacht, daß er sie mit einigen Familien in Beziehung setzte, und andern Bekannten gegenüber sein langes Wegbleiben durch den Gesundheitszustand seines Vaters erklärlich gemacht, bahnte er sich einen Weg durch die verschiedenen Gruppen zur Tür eines kleinen Zimmers, das Minna und Brenda nach ihrem eigenen Geschmack eingerichtet hatten und als ihr besonderes Besitztum betrachteten.

Mordaunt hatte nicht geringen Anteil an der besonderen Ausstattung dieses Raumes, der ihm während seines letzten Aufenthaltes in Burgh-Westra eben so offen gestanden, wie den Eigentümerinnen selbst. Jetzt aber hatten die Zeiten sich dermaßen geändert, daß er den Finger auf der Klinke hielt, unschlüssig, ob er ihn aufdrücken solle, oder nicht, bis endlich Brenda: »Nur herein!« rief in einem Tone, der sich anhörte, als ob sie am liebsten den Besuch, der sich mit Klopfen meldete, gar nicht sähe oder schnell los sein möchte. Indes trat Mordaunt auf diesen Ruf ein. Minna und Brenda saßen zusammen mit Cleveland, dem fremden Kapitän, und einem behenden alten Männchen, dessen Auge noch all die Geistesfrische verriet, die ihn in tausenderlei Schicksalen eines wechselvollen schwankenden Lebens aufrecht erhalten hatte und seine treue Begleiterin im hohen Alter geblieben war. In der Neugierde, mit der er, während er jetzt bescheiden zur Seite trat, Mordaunts Begegnung mit dem lieblichen Schwesternpaare beobachtete, lag ein gewisser Grad von Schlauheit und Pfiffigkeit.

Abgesehen davon, daß die beiden Mädchen die Beklommenheit über die veränderten Umstände, unter denen sie sich wiedersahen, nicht so gut verbergen konnten wie Magnus Troil, sondern vielmehr, als sie sich zur Begrüßung erhoben, lebhaft erröteten, ließ sich kaum ein Unterschied zwischen ihrem und des Vaters Wesen merken; Mordaunt unterließ es, sowohl die Hand zum Gruße zu heben, als – wie es die damalige Zeit, wenn nicht forderte, doch erlaubte, – die Wange zum Kusse zu reichen; und so fand die Begegnung förmlich und kalt statt, wie unter flüchtigen Bekannten.

Das leichte Rot, das die Wange der ältern Schwester gefärbt hatte, war so schnell wieder verschwunden wie der flüchtige Gedanke, der es hervorgerufen. Ruhig und kalt stand sie im andern Augenblicke vor Mordaunt, die gewöhnlichen, artigen Redensarten, die derselbe verlegen stotterte, mit besonnener Zurückhaltung erwidernd. Brenda, die jüngere, schien, wenigstens den äußern Merkmalen nach, tiefer ergriffen. Ueber ihr Gesicht flog eine tiefere Röte, die sich auf Hals und auch den obern Teil ihres schön geformten Busens übertrug: zwar versuchte sie es nicht, die verlegenen Worte zu erwidern, die Mordaunt an sie besonders richtete; aber sie sah ihn mit Augen an, aus denen Verdruß und etwas wie wehe Erinnerung an frühere Zeiten sprachen. Mordaunt fühlte auf der Stelle, daß er der ältern Schwester gleichgültig geworden, daß es ihm aber noch möglich sei, die mildergesinnte Brenda sich freundlich gestimmt zu erhalten: und so wunderlich beschaffen ist das Menschenherz – während er bisher den beiden Mädchen mit gleicher Liebe zugetan war, schien ihm jetzt an der Gunst der ältern, eben weil sie sich von ihm wandte, mehr zu liegen als an der jüngern, die sich ihm freundlicher zeigte.

Aus diesen Gedanken wurde er durch Cleveland gerissen, der ihn mit militärischer Verve als seinen Lebensretter bewillkommte – nachdem er, wie er sagte, mit Erfüllung dieser Pflicht nur solange gewartet, wie ihm nötig erschienen, um die Begrüßung mit den beiden Töchtern des Hauses vorbeizulassen. Er trat Mordaunt mit solcher Freundschaft entgegen, daß es diesem nicht möglich war, – trotzdem er sich nicht verhehlte, daß niemand anders als der Kapitän schuld an der Verstimmung zwischen ihm und den Leuten von Burgh-Westra sei – anders als höflich zu erwidern.

Da trat das alte Männchen, dessen wir oben erwähnten, auf Mordaunt zu, nahm ihn bei der Hand, küßte ihn auf die Stirn und sagte – seinen Fragen gleich selbst die Antworten gesellend: »Wie die Zeit in Burgh-Westra dahineilt! Fragst Du so, mein Fürst der Felsen und Klippen? Nun, wie sollte sie anders vergehen als auf den leichten Flügeln, die Schönheit und Freiheit ihr leihen?«

»Und Witz und Gesang mit, mein guter Freund,« versetzte Mordaunt, halb im Ernst, halb im Schmerz, des Greises Hand herzlich schüttelnd – »wie könnten sie fehlen, wo Claudius Halcro weilt?«

»Spotte nicht, lieber Gesell,« versetzte das Männchen – »ist Dein Fuß erst einmal so schwer und müde, Dein Witz so schal wie meiner, Deine Kehle so verstimmt wie meine ...«

»Wie könnt Ihr Euch selbst nur solches Unrecht antun, guter Meister?« antwortete Mordaunt, seines alten Freundes Wunderlichkeiten zu dem Versuch einer Unterhaltung benutzend, die der Spannung dieser seltsamen Zusammenkunft ein Ende machen und Zeit zur Aufklärung schaffen sollte, ehe er eine Erklärung über das veränderte Betragen der Familie forderte. – »Sprecht nicht so,« fuhr er fort, »die Zeit, Freund, legt nur leise ihre Hand auf die Barden. Hab ich nicht öfter schon aus Eurem Munde vernommen, daß der Sänger die Unsterblichkeit seines Sanges teile?«

»Was uns jetzt mehr interessiert, lieber Halcro,« bemerkte der Kapitän lächelnd, »ist das Lied, das wir einstudieren sollen, und das Ihr uns noch einmal vorspielen müßt.«

»Das Lied können wir jetzt doch nicht mehr brauchen,« sagte Halcro; »nachdem unser Mordaunt da ist, der erste Sänger auf unseren Inseln – wär's im Chor oder Solo. Wenn Mordaunt Mertoun nicht mitsingt, rühr' ich den Bogen nicht mehr an. Wie ist denn Deine Ansicht, meine schöne Nacht? Und deine, süße Dämmerung?« setzte er hinzu, die beiden Mädchen meinend, denen er schon lange diese allegorischen Namen beigelegt hatte.

»Herr Mordaunt Mertoun,« sagte Minna, »ist zu spät gekommen, um an unserem Chor bei dieser Festlichkeit noch teilzunehmen – schade, aber ändern läßt sich nichts mehr daran.«

»Wie? Was?« erwiderte Halcro hastig, »Zu spät? und ihr habt euer ganzes Leben Musik zusammen gemacht? Glaubt mir, Kinder, die alten Weisen sind die besten, und alte Freunde die zuverlässigsten. Herr Cleveland hat einen schönen Baß, keine Frage; aber über eine von den zwanzig hübschen Arien, die ihr singen könnt, und in denen sich Mordaunts Tenor so lieblich mit euren eigenen Zauberstimmen vereinigt, geht doch nichts – Meine liebliche Dämmerung ist gewiß mit mir der gleichen Meinung?«

»Vater Halcro,« sagte Brenda, deren Wangen sich, weniger vor Scham als aus Unwillen, abermals röteten – »in einem ärgern Irrtum als diesem habt Ihr Euch in Eurem ganzen Leben nicht befunden!«

»Aber was geht denn bloß vor?« sagte das alte Männchen, plötzlich innehaltend und von einem zum andern blickend. – »Was soll das heißen? Eine bewölkte Nacht und ein feuerroter Morgen? Das deutet auf schlimm Wetter! Sagt mir doch, ihr jungen Frauenzimmer, auf welcher Seite liegt die Beleidigung? Ich muß fast fürchten, bei mir selbst, wird den Alten doch gemeinhin die Schuld am Zwiste der Jungen beigemessen!«

»Euch, Vater Halcro, trifft keine Schuld,« sagte Minna, indem sie aufstand und die Schwester beim Arme nahm, »wenn sich von Schuld überhaupt sprechen läßt,«

»So muß ich fürchten, Minna,« rief Mordaunt, indem er den Ton leichten Scherzes anzuschlagen suchte, »daß der neue Gast das Aergernis ins Haus gebracht hat?«

»Wenn man kein Aergernis nimmt,« versetzte Minna mit ihrem gewohnten Ernst, »so kann auch die Rede nicht davon sein, wer es gegeben!«

»Aber, Minna,« rief Mordaunt, »kannst Du wirklich so mit mir sprechen? Und Du, Brenda, willst mich auch verurteilen, ohne mir zu ehrlicher, offener Rechtfertigung Zeit zu lassen?«

»Wir dürfen denen, die uns so zu tun befohlen,« versetzte Brenda fest, wenn auch mit gedämpfter Stimme, »den Gehorsam nicht weigern, denn sie müssen am besten wissen, was sich für uns schickt . . . Schwester, wir sind, meine ich, schon zu lange hier und werden anderswo vermißt werden. Herr Mertoun wird es uns nicht verübeln, daß wir gehen – hat solcher Tag für uns der Lasten doch gar viel!«

Die Schwestern standen auf und legten ihre Arme ineinander. Halcro suchte umsonst sie zurückzuhalten, indem er in theatralischer Pose rief:

»Nun, Tag und Nacht, das ist doch wunderseltsam!«

Dann drehte er sich zu Mordaunt herum und rief: »Auch sie sind dem Geiste der Veränderlichkeit unterworfen; und auch sie bezeugen, daß Meister Spenser recht hat, wenn er sagt:

»Bei allem, was da lebt, mehr oder minder,


Herrscht Wandel und behält das Feld.«

»Kapitän Cleveland, wißt Ihr, was diese beiden Heldinnen verdrossen haben könnte?« wandte er sich nun an diesen.

»Wer an solche Untersuchung seine Zeit setzt, wird sich ebenso verrechnen,« erwiderte Cleveland, »wie einer, der begründen wollte, warum der Wind von einem Strich zum andern umsetzt. Wäre ich an Herrn Mordaunts Stelle, so vergönnte ich den stolzen Dingern keine weitere Frage mehr.«

»Ein freundschaftlicher Rat, Kapitän,« versetzte Mordaunt, »und mir nicht weniger wert, weil er ungefragt erteilt wurde. Doch eine Frage erlaubt mir: warum seid Ihr selbst so gleichgültig gegen die Meinung Eurer Freundinnen, wie ich es sein soll?«

»Was meint Ihr? doch mich nicht?« rief der Kapitän mit unbefangener Gleichgültigkeit. »Ich habe noch kein Frauenzimmer gesehen, das wert gewesen wäre, sich seiner zu erinnern, nachdem der Anker gelichtet war; – am Lande ist's ein ander Ding, am Lande lach' ich, tanz' und lieble ich, mit zwanzig Mädchen, wenn sie wollen, möchten sie auch nur halb so hübsch sein wie die, die uns eben verlassen haben, und scher mich den Geier drum, wenn sie den Kurs ändern mit jedem Bootsmannspfiff. Schön ist's ja nicht, aber wetten möcht ich drauf, daß ich genau so schnell umsetzte wie sie!«

An dem Troste, daß das Uebel, woran man leide, nicht viel an sich habe, findet man als Patient niemals recht Trost. Mordaunt verspürte Lust, es dem Kapitän übel zu nehmen, daß er seine Verlegenheit bemerkte und seine Meinung ihm aufdringen wollte; drum versetzte er auch scharf: »daß solche Weise sich für solche schicke, denen die Kunst zu eigen sei, sich überall beliebt zu machen, gleichviel wohin der Zufall sie verschlüge, und die dreist an einem Ort verlieren könnten, weil sie sicher wären, an einem andern wieder zu gewinnen...«

Das war ironisch gesagt; allein, die Wahrheit zu gestehen, der Mann, dem die Rede galt, besaß eine größere Weltkenntnis und wußte recht gut, was sein Äeußeres wert sei – und gerade der Umstand, daß er sich seines äußeren Verdienstes bewußt war, machte, daß seine Dazwischenkunft doppelt unangenehm wirkte, ja im höchsten Maße verdroß. Jung, hübsch und keck, stand ihm die Maske seemännischer Derbheit vortrefflich und schickte sich vielleicht besonders gut zu den einfachen Sitten des abgelegenen Landes, in welchem er sich aufhielt . . . So begnügte er sich auch bei dieser Gelegenheit, über Mordaunts sichtbare Verstimmung gutmütig zu lächeln ...

»Ihr grollt mir, Freund,« sagte er; »aber daß ich noch einmal böse auf Euch würde, dazu bringt Ihr es nicht – hätten mich doch aller hübschen Frauen Hände, die ich im Leben gedrückt, nicht aus dem Roost von Sumburgh aufgefischt! Scheltet mich also nicht, denn Halcro ist mein Zeuge, daß ich Flagge und Marssegel gestrichen habe, und, wenn Ihr mir auch eine volle Lage geben solltet, mit keinem einzigen Schusse erwidern kann.«

»Stimmt, Mordaunt, stimmt,« sagte Halcro; »und Du mußt Dich schon mit Kapitän Cleveland aussöhnen. Um Weibergrillen sich mit einem Freunde zu veruneinigen, ist nie geraten ... und wären Weiber immer gleicher Laune, wo, zum Geier! kämen dann die vielen Lieder auf sie her?«

»Aber Euer Lied, Halcro, Euer Lied,« rief, ihm schnell ins Wort fallend, Kapitän Cleveland.

»Das Lied?« fragte Halcro, den Kapitän am Kopfe fassend, denn, da ihm während seiner Märchen die Leute gern wegliefen, war er immer auf der Suche nach einem Halte, sie daran zu verhindern. »Das Lied? Nun, Ihr sollt es hören, wenn Ihr einen Augenblick still halten wollt, und Du mit, Mordaunt Mertoun; hab' ich doch fast ein halbes Jahr lang kein Wort von Dir gehört – oder willst Du mir etwa auch weglaufen?« Und flugs hielt er ihn auch mit der andern Hand fest.

»Nun,« sagte der Seemann, »jetzt hat er uns beide ins Schlepptau genommen; nun müssen wir ihn schon zu Ende hören, und wenn er gleich einen Faden spinnt, zäher als ein alter Matrose auf Mitternachtswache.«

»Aber nun still, und laßt bloß einen von uns das Wort allein reden,« sagte der Dichter in befehlendem Tone, während seine beiden Zuhörer sich resigniert in die unvermeidliche Notwendigkeit fügten, die Erzählung, die nun kommen mußte, anzuhören. »Ich werde es euch haarklein erklären,« fuhr Halcro fort. »Durch die Welt geworfen ward ich wie viele andere junge Burschen, den Lebensunterhalt zu verdienen; aber ich wußte mich, Gottlob, mit allem zu behelfen, blieb auch den Musen zugetan und schlug mich durch, bis mein Vetter, der alte Laurence Linklutter, starb und mir ein Stückchen Insel hinterließ, nackt und bloß wie der Parnassus selbst. – Was tut's – habe ich doch einen Pfennig auszugeben, einen andern noch in meinem Geldbeutel, einen Pfennig den Armen mitzuteilen, und ein Bett und eine Flasche für einen Freund, wie Ihr erfahren sollt, wenn Ihr nach Beendigung der Festlichkeit mit mir kommen wollt. – Aber wo bin ich denn in meiner Geschichte stehen geblieben?«

»Nahe beim Hafen, hoffe ich,« antwortete Cleveland; aber Halcro erzählte viel zu gern, als daß ihn selbst der deutlichste Wink hätte zurückschrecken sollen.

»Ach, ja,« fuhr er mit dem selbstzufriedenen Gesicht eines Mannes fort, der den Faden seiner Erzählung wiedergefunden zu haben glaubt; »ich war in meiner Wohnung in Russel-Street, bei dem alten Timotheus Thimblethwaite, damals der berühmteste Schneidermeister in der ganzen Stadt. Er arbeitete für alle geistreichen Männer und für die dummen Glückspilze obendrein, und ließ die einen für die anderen bezahlen. Nie schlug er einem witzigen Kopf Kredit ab, außer im Scherz oder um eine geistreiche Antwort von ihm zu erhalten; auch stand er mit allem, was der Bekanntschaft in der Stadt wert war, in Briefwechsel. Zu mir hatte er besonderes Zutrauen, und ich habe für das Zimmer, das ich bei ihm bewohnte, zwei Monate lang in der Kreide gestanden. Zwar zeigte ich mich ihm auch gefällig, nicht etwa, daß ich für ihn zugeschnitten oder genäht hätte, was für einen Mann aus guter Familie nicht anständig gewesen wäre, aber ich – je nun, ich zog ihm seine Rechnungen aus – hielt seine Bücher in Ordnung und ...« »Und trug den Kunden die Kleider zu, und bekam Wohnung dafür, nicht wahr?« unterbrach ihn Cleveland.

»Nein, nein, Gott bewahre! nichts dergleichen,« erwiderte Halcro.

»Aber Ihr bringt mich ganz aus meiner Geschichte heraus, wo bin ich denn gleich stehen geblieben?«

»Möge der Teufel Euch wieder auf das Fahrwasser helfen,« rief der Kapitän, seinen Rockknopf gewaltsam aus der Hand des Erzählers befreiend, »ich habe keine Zeit länger zuzuhören,« und eilte zum Zimmer hinaus.

»Ein alberner Mensch, dem alle Erziehung fehlt,« sagte Halcro, ihm nachblickend; »was Magnus Troil und die albernen Dirnen Großes an ihm finden, möchte ich wirklich wissen, – von den langen Geschichten von Abenteuern und Seegefechten ist jedes Wort ohne Zweifel eine Lüge . . . aber ich sehe, auch Du bist ungeduldig, das Ende von meiner Erzählung zu vernehmen – nun, wo bin ich denn stehen geblieben?«

»Ich fürchte, wir müssen es bis nach Tische aussetzen, lieber Meister,« sagte Mordaunt, der ebenfalls auf seinen Rückzug bedacht war, ihn aber auf anständigere Weise zu bewerkstelligen suchte als Cleveland.

»Nein, nein, guter Junge!« entgegnete hierauf besorgt der Greis, »laufe nicht auch Du mir davon, – sieh, ich habe schon manchen sauren Gang in meinem Leben getan, aber meine Schritte wurden immer leichter, wenn ich mich auf den Arm eines alten Freundes, wie Du mir einer bist, stützen konnte.«

So sprechend, ließ er das Kleid des Jünglings fahren, und seine Hände in seinen Arm lehnend, suchte er ihn noch fester an sich zu ziehen; Mordaunt aber, der seine Poesie mehr liebte als seine Prosa, erinnerte ihn an jenes Lied, das er gedichtet haben wollte, als er den Inseln zum erstenmal Lebewohl sagte! Halcro aber, der ihn nicht fortlassen mochte, ging gern darauf ein, griff – denn er war auch ein halber Musikus – jetzt zu einer Art von Laute und sprach:

»Ich lernte sie spielen von demselben Mann, der sie den ehrlichen Shadwell lehrte, von eben dem, den man den dicken Tom nannte; Du wirft Dich seiner wohl noch erinnern, Mordaunt? Aber was war es denn, was ich singen wollte? – ach, richtig! Den Abschied an das Mädchen von Northmaven – an die arme Betsy Stimbister, die ich in den Versen Mary genannt.« So sprechend, sang er nach einem kurzen Vorspiel, mit leidlicher Stimme und nicht ohne Geschmack:

Lebewohl Dir, Nortmäven,


Hoch, Hillswick, auch Dir!


Der Ruhe Deiner Häfen,


Deiner Stürme Revier –


Jedem Lüftchen, wie's immer


Die Küste umzieht;


Dir, Mary, die nimmer


Mein Auge mehr sieht.

Euch Wogen, die mächtig


Einst Hakon gezähmt,


Ob schäumend ihr prächtig


Die Felswand verbrämt. –


Mag schau'n doch hinüber


Schon Mary Dein Blick,


Dein Herzinnig-Lieber


Kehrt nimmer zurück.

Deine Schwüre, sie dringen


Nicht mehr in mein Ohr.


Kannst, Falsche, sie singen


Den Seefrauen vor.


Laß schallen sie fleißig


Auf Fels und auf Meer,


Doch einen, den weiß ich,


Der hört sie nicht mehr.

O, gäb's eine Insel.


Ob wüst und verheert,


Wo Weibergewinsel


Den Mann nicht betört! –


Zu stark war die Lockung


Für sterblichen Sinn;


Den Anker der Hoffnung,


Dort senk ich ihn hin.

»Ich sehe, Du bist bewegt, mein junger Freund,« sprach Halcro, als er sein Lied geendet, »ja, ja, so ging es fast allen, die es hörten. Worte und Musik, beide sind von mir, und ohne viel von dem Geist zu sprechen, liegt doch darin eine gewisse Einfachheit, eine Wahrheit, die den Weg zu dem Herzen finden müssen. Selbst Dein Vater vermag ihnen nicht zu widerstehen, und der hat doch ein Herz, so gepanzert gegen Poesie, daß selbst Apollo nur vergeblich einen Pfeil dagegen abdrückte. Aber er hat gewiß in seiner Jugend viel Unglück mit den Weibern gehabt, denn das geht deutlich aus dem Groll hervor, den er gegen sie hegt. – Keinen gibt's unter uns, den nicht einmal eine ähnliche Wunde geschmerzt hätte. – Aber, komm jetzt, guter Junge! Schon versammeln sie sich in der Halle, Männer und Weiber, – ob sie gleich Plagen für uns sind, kämen wir doch schlecht ohne sie zurecht: aber da tönt die verwünschte Glocke schon wieder. Wir müssen gehen – tut nichts – heute gegen Abend wird sich schon irgendwo ein ruhiger Winkel finden, wo ich Dir dann alles übrige erzählen werde.«

Dreizehntes Kapitel

Die reichbesetzte Tafel im Herrenhause, die Unzahl von Gästen, die sich in der Halle gütlich taten, ,die weit größere Zahl von minder angesehenen Freunden, Bekannten und Dienern aller Art, die draußen bewirtet wurden, wie auch die Menge von ärmeren, weniger beachteten Besuchern, die von allen Ortschaften auf zwanzig Meilen in der Runde herbeigeströmt waren, um sich von dem alten Udaller bewirten zu lassen – dies alles setzte Triptolemus Yellowley in Erstaunen und weckte in ihm Zweifel, ob es auch geraten sei, dem gastfreien Spender aller dieser Herrlichkeiten eine gänzliche Umwandlung der Sitten und Gebräuche seines Landes in Vorschlag zu bringen.

Freilich war er klug genug, sich zu sagen, daß ihm all die anwesenden Gäste, den freigebigen Wirt nicht ausgenommen, dessen übertriebene Gastfreundschaft, nach Yellowleys Ansicht, für praktischen Sinn nicht sonderlich sprach, »das Wasser nicht reichen« konnten. Aber jeder Amphitryon übt, so lange man bei ihm speist, eine gewisse Herrschaft über die Gemüter seiner Gäste, und lassen Speise und Trank nichts zu wünschen, so muß man zu seinem Verdrusse, wenn nicht seiner Demütigung wahrnehmen, daß weder Gelehrtheit noch Kunst, ja nicht einmal äußerer Rang solchem Spender gegenüber die gewohnte und auch natürliche Herrschaft geltend machen können – wenigstens nicht früher, als bis der Kaffee serviert worden ist, Triptolemus fühlte das recht wohl; nichtsdestoweniger ließ es ihm keine Ruhe, die großen Worte, die er seiner Schwester und seinem Reisegefährten gegenüber gebraucht hatte, wenigstens einigermaßen zu ihrem Rechte zu verhelfen, hatte er sie doch immer schon verstohlen von der Seite angeguckt, um zu ermitteln, ob er nicht in ihrer Achtung schon dadurch, daß er seine verheißene Strafpredigt über die auf Shetland noch vorhandene Rückständigkeit in allen Dingen noch immer nicht hielte, gesunken wäre.

Aber Baby-Barbara hatte viel zu viel zu rechnen und zu überschlagen, was bei solchem Mahle, wie sie es wahrscheinlich noch nie gesehen, vergeudet würde, und viel zu viel sich zu verwundern über die Gleichgültigkeit des Wirtes gegen die beispiellosen Verstöße, die seine Gäste sich gegen alle Regeln der Höflichkeit zu Schulden kommen ließen, indem sie bald Wein über Wein, bald allerhand neue Schüsseln, die sehr gut für den Abendtisch hätten bleiben können, verlangten, zudem mit der größten Ungeniertheit, als ob schon ein halbes Dutzend andere Gäste darüber her gewesen wäre. Was die sparsame Schwester ebenfalls nicht wenig verdroß, war, daß sich kein Mensch – auch der Wirt nicht – darum kümmerte, ob die Schüsseln auch wirklich leer, die Teller auch richtig abgegessen würden – usw. – kurz, Baby-Barbara war von diesen ihrem Sinne näher liegenden Dingen, die in ihren Augen nicht bloß aller häuslichen, sondern auch aller gesellschaftlichen Sitte Hohn sprachen, so alteriert, daß sie sich nicht darum scherte, ob ihr Bruder die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, in ihrer ganzen Größe, und jetzt oder später, durchführen werde oder nicht.

Auch Mordaunt Mertoun hatte ganz andere Dinge im Kopfe, als Abschaffung shetländischer Rückständigkeit, Einführung neuer Pflugmethoden usw. Er saß zwischen zwei schönen Mädchen von Thule, die ohne Groll darüber, daß er erst vor kurzem noch den Töchtern des Udallars den Hof gemacht, sich königlich darüber freuten, daß er ihnen jetzt mehr Aufmerksamkeit erwies als jenen, daß er sich beim Essen als ihren Ritter aufspielte, und daß sie mit aller Wahrscheinlichkeit rechnen durften, von ihm am Abend zu Tanze geführt zu werden. Mordaunt indessen ließ, während er seinen schönen Nachbarinnen alle Aufmerksamkeit erwies, zu denen gesellschaftliche Pflichten nötigten, die ihm abspenstig gewordenen Freundinnen, wenn er es sich auch nicht merken ließ, nicht aus dem Auge, so wenig wie ihren Vater. Allein, wenn er auch in den Gesichtszügen Minnas wie Brendas manches zu lesen meinte, was ihm Anlaß zu peinlichen Betrachtungen gab, so zeigte der alte Udallar keinerlei Unterschied gegen früher, es sei denn, daß man in seiner Fröhlichkeit ein gewisses lärmendes Uebermaß hätte finden wollen. Kapitän Cleveland saß zwischen den beiden Schwestern und überbot sich in Aufmerksamkeiten gegen sie; Mordaunt seinerseits saß so, daß er alles bemerken konnte, was zwischen ihnen vorging, auch manches von dem hören konnte, was zwischen ihnen gesprochen wurde. Zumeist schien aber Cleveland sich um die ältere Schwester zu bemühen, was der jüngeren, deren Auge, und zwar sichtlich wiederholt mit einem Ausdrucke von Bedauern, wenn nicht gar wehmütiger Erinnerung an frühere, freundlichere Tage, nach der Stelle hin schweifte, wo Mordaunt saß, vielleicht nicht so recht auffiel, während es diesen mit Staunen und Verdruß erfüllte, daß gerade die ältere, ernstere Schwester, die Freundin der Einsamkeit und des Wissens, die so gern allein durch die stillen Täler wandelte, die aller lauten, seichten Fröhlichkeit so abhold war, deren Charakter, um es kurz zu fassen, im schroffen Gegensatze zu einem Manne, wie diesem kecken, rauhen, oberflächlichen Kapitän Cleveland stand, ihm trotzdem nicht allein Auge und Ohr lieh, während er neben ihr bei Tische saß, sondern dies mit einem so ungeteilten Interesse tat, daß Mordaunt, der ihr Wesen und ihre Art doch recht gut kannte, sich der Vermutung, daß der Fremde sich ihrer Gunst in hohem Maße erfreue, nicht länger verschließen konnte... Grimm und Haß gegen den Mann, der ihn aus diesem Herzen verdrängt hatte einerseits, Zorn über den Unbedacht des Mädchens anderseits, entflammten sein Herz.

Und doch waren beide Empfindungen so scharf-subjektiver Art, daß sie nicht als unbedingt gerecht bestehen konnten; denn als Nebenbuhler urteilte er zu streng über den Kapitän. War auch sein Verhalten zu ungezwungen, um nicht zu sagen ungeschliffen, so hatte dies bei so einfachen Leuten, wie den damaligen Bewohnern der Shetlandsinseln, wenig auf sich; anderseits waren die derbe Offenheit bei diesem Seemanne, sein natürlicher Scharfsinn, sein absonderlicher Humor und das blinde Vertrauen auf sich selbst, Eigenschaften, die bei dem schönen Geschlecht gemeinhin Glück machen. Weit mehr aber irrte er noch in der Ansicht, daß ein solcher Mann einem Mädchen wie Minna Troil wegen der Widersprüche, die ihrer beider Charakter aufwies, zuwider sein müßte. Bei einer größern Dosis von Weltkenntnis hätte er sich vielmehr gesagt, daß Sympathien keimen nicht bloß zwischen Personen von scharf abweichender Gesichtsfarbe und Gestalt, sondern vielleicht noch öfter zwischen Personen von abweichenden Anschauungen, anderer Geschmacksrichtung, anderer Beschäftigung, anderer Sinnesart – ja, ich meine nicht über das Ziel hinauszuschießen, wenn ich behaupte, daß zwei Dritteile der menschlichen Ehen zwischen Individuen geschlossen werden, die – a Priori zu urteilen, – durchaus nichts aufweisen können, was sie für einander geschaffen erscheinen ließe.

Es wird nicht schwer halten, einen sittlichen Grund für dieses scheinbare Mißverhältnis in der weisen Einrichtung der Vorsehung aufzufinden, deren Absicht es ohne Zweifel ist, in der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen ein Gleichgewicht von Witz, Gelehrsamkeit und liebenswürdigen Eigenschaften aller Art aufrecht zu erhalten. Denn was wäre die Welt, wenn sich nur Verstand mit Verstand, Gelehrsamkeit mit Gelehrsamkeit, Liebenswürdigkeit mit Liebenswürdigkeit, ja Schönheit nur mit Schönheit paarten. Springt es nicht in die Augen, daß, wenn die auf niedrigeren Stufen stehenden Mitglieder der menschlichen Gesellschaft: als Toren, Unwissende, Pöbelhafte und Mißgestalten (beiläufig gesagt, bei weitem der größere Teil) zu einer ausschließlichen Verbindung untereinander verdammt wären, diese sowohl dem Innern, als dem Aeußern nach, endlich zu Orang-Utans herabsinken würden? – Wenn wir also Strenges mit Zartem sich Paaren sehen, dürfen wir allerdings das Schicksal des leidenden Teils bedauern, müssen aber darum nicht weniger das geheimnisvolle Wirken einer weisen Vorsehung bewundern, die das moralische Gute und Böse im Leben gleichmäßig verteilt, die einer durch die Sinnesart ihres Oberhauptes unglücklichen Familie durch die Frau einen Zusatz von edlerem Blute spendet, um den Nachkommen wenigstens von einer Seite jene Sorgfalt und Liebe zu sichern, die den Gesetzen der Natur nach von beiden Teilen ausgeübt werden sollten. Ohne diese häufigen Verbindungen, – in welchem Mißverhältnis sie uns auch auf den ersten Blick erscheinen mögen, könnte die Welt das nicht sein, wozu sie von der ewigen Weisheit bestimmt ward: ein Ort der Prüfungen und der Leiden, wo selbst die ärgsten Uebel gemildert werden durch Palliative, die sie für geduldige und demutsvolle Seelen erträglich machen; hingegen auch die höchsten Segnungen von einer unentbehrlichen Mischung von Bitterkeit nicht frei bleiben.

Kein Sterblicher, selbst in der glücklichsten Ehe und im Besitz eines wirklich geliebten Gegenstandes, findet alle die Eigenschaften vereint, deren Besitzes er sich vermutet hatte; sondern gelangt zuletzt immer zu der Ueberzeugung, daß er allzuhohen Hoffnungen Raum gegeben und das Luftschloß seines Glücks auf einem Regenbogen erbaut hatte, der sein Dasein nur der augenblicklichen Beschaffenheit der Atmosphäre verdankte. So hätte auch Mordaunt, wäre er mit der Welt und mit dem Lauf menschlicher Dinge mehr bekannt gewesen, sich wenig darüber gewundert, daß ein Mann wie Cleveland, hübsch, kühn und lebhaft, – ein Mann, der viele Gefahren bestanden hatte und doch nur wie im Scherze davon erzählte, einem Mädchen von Minnas phantasiereichem Gemüt als das Ideal eines Mannes erscheinen mußte; zumal die derbe Offenheit seines Wesens, wenn auch fern von Feinheit, doch auch ebenso entfernt von Heuchelei zu sein schien und ihm, trotzdem sein Sinn von äußerem Zwange keineswegs eingeengt zu sein schien, doch natürlicher Verstand und Lebensart genug eigen zu sein schienen, den guten Eindruck, den er einmal hervorgebracht, wenigstens, was das Aeußere betraf, aufrecht zu erhalten.

Da wir nun einmal eine gewisse Vorliebe fühlen für die dunkelgelockte Schönheit, von der hier die Rede, so haben wir uns diese Abschweifung erlaubt, um eine Weise zu rechtfertigen, die, wie wir gern zugeben, in einer Erzählung wie der vorliegenden, nicht recht natürlich scheinen mag, obgleich sie im allgemeinen Leben häufig genug getroffen wird – Minnas scheinbare Ueberschätzung nämlich der Talente und Vorzüge eines hübschen jungen Mannes, der ihr seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmete, und dessen Huldigung ihr den Neid fast aller ledigen weiblichen Wesen ihrer Kreise eintrug. Jedenfalls trifft, wenn Leser oder Leserin den Charakter des Mädchens trotz all dem hier Gesagten, noch immer nicht anders als im Widerspruch zur Natur finden sollten, nicht uns die Schuld, die wir die Tatsachen nur berichten, wie wir sie finden, und erheben keinen Anspruch auf die Befugnis des Erzählers, Vorgänge, die von der Natur abzuweichen scheinen, derselben näher zu bringen oder das unbeständigste aller in der Schöpfung vorhandenen Dinge, das Herz eines schönen und bewunderten weiblichen Wesens beständig zu machen.

Die Notwendigkeit, jene Lehrmeisterin aller freien Künste, kann uns auch zu Schülern in der Verstellungskunft machen; und Mordaunt, obgleich noch Neuling im Leben, ließ sich nicht nötigen, aus ihrem Unterricht Nutzen zu ziehen. Es lag klar am Tage, daß er, um das Benehmen derjenigen, auf die seine Aufmerksamkeit gerichtet war, beobachten zu können, sein eigenes im Zaume halten und sich, wenn auch nur zum Schein, mit seinen beiden Nachbarinnen so angelegentlich unterhalten müsse, daß Minna und Brenda die Ueberzeugung gewannen, er sei gegen alles, was ihn sonst umgab, völlig gleichgültig. Das offene, heitere Wesen der beiden Mädchen Maddie und Clara Greatsettars, die als reiche Erbinnen auf der Insel bekannt waren und sich glücklich schätzten, den wachsamen Augen ihrer alten Tante, der Lady Glowrowrum, entronnen zu sein, kamen Mordaunts Bemühen, sich zu amüsieren, auf halbem Wege entgegen, und bald war man in einer lustigen Unterhaltung begriffen; dabei unterließ Mordaunt, soviel Witz er auch den jungen Damen gegenüber aufbot, nicht, von Zeit zu Zeit, wenn auch nur verstohlene, Blicke hinüber nach den Töchtern von Magnus Troil zu senden, – und immer noch schien es, als ob Minna, ausschließlich mit ihrem Nachbar Cleveland beschäftigt, für nichts anderes um sie her Aug und Ohr habe, Brenda hingegen, je mehr seine Aufmerksamkeit sich von ihnen abwandte, desto schwermütiger und ängstlicher auf die Gruppe schaute, zu der Mordaunt jetzt gehörte. Die Verlegenheit und Unruhe, die er in diesen Blicken bemerkte, rührten sein Herz, und er nahm sich vor, jede Gelegenheit wahrzunehmen, die sich ihm zu einer Verständigung mit ihr bot. Fiel ihm doch auch ein, was ihm Norna gesagt, daß die beiden liebenswürdigen Mädchen in Gefahr schwebten, den Ränken des kühnen, unternehmenden Fremden zum Opfer zu fallen – und diese Erinnerung führte ihn zu dem Entschlüsse, alles an die Entlarvung dieses Menschen und die Rettung der Freundinnen zu setzen. Während er noch mit solchen Gedanken beschäftigt war, wurde das Zeichen gegeben, das den weiblichen Teil der Gesellschaft von der Tafel entfernte. Minna neigte, mit der ihr eignen Anmut und edlen Haltung, ihr Haupt gegen die Gesellschaft im allgemeinen, fügte aber einen freundlichern und besondern Ausdruck hinzu, als ihre Blicke Cleveland begegneten. Brenda machte mit einem Erröten, das, wenn sie den Augen anderer ausgesetzt war, jede, selbst die unbedeutendste ihrer Bewegungen zu begleiten pflegte, eine ähnliche, durch ihre Verlegenheit aber ungeschickter ausfallende Verbeugung, und wieder glaubte jetzt Mordaunt zu bemerken, daß ihr Auge ihn in der Mitte dieser zahlreichen Gesellschaft suchte; zum erstenmal wagte er es, ihrem Blicke zu begegnen, ja ihn zu erwidern; ein Unterfangen, das die Glut auf den Wangen des Mädchens Wohl zu steigern, aber einen Anflug von Mißvergnügen darüber zu breiten schien.

Die Männer gaben sich den Freuden des Bechers mit allem Eifer hin, den die Sitte jener Zeit verlangte. Magnus Troil munterte durch Lehre und Beispiel auf, die Zeit zu benutzen, da man ja, sagte er, bald von den Frauen zum Tanze gerufen werden würde. Zugleich winkte er einem alten grauköpfigen Diener in Schifferstracht, der neben anderen Geschäften auch das eines Kellners versah ...

»Erik Scambester,« sagte er zu ihm, »hat der muntere Seemann von Canton seine Ladung an Bord?« – »Bis unter Deck, Herr!« antwortete der Ganymed von Burgh-Westra, »mit gutem Branntwein, Jamaikazucker, portugiesischen Zitronen, Muskatnüssen, Schiffszwieback und Quellwasser.«

Eine Lachsalve begrüßte diesen regelmäßig wiederkehrenden Scherz zwischen Udaller und Kellermeister, die ständige Vorrede und Einleitung zu einer Punsch-Bowle von ungewöhnlicher Größe, vor Jahren gestiftet von einem Kapitän der westindischen Kompagnie, der auf der Heimfahrt von China durch widrigen Wind nach Norden und in die Bucht von Lerwick verschlagen worden war, wo er, ohne es mit den Abgaben dafür allzu genau zu nehmen, einen Teil der Ladung losgeschlagen hatte. Für mancherlei Gefälligkeit, die Magnus Troil dem Kapitän erwiesen hatte, war ihm von diesem bei der Abfahrt die mächtige Bowle zum Präsent gemacht worden, unter deren Last der alte Erik Scambester zu erliegen drohte, bei deren Anblick aber allgemeiner Jubel erschallte.

Gästen, die sich in der Nähe dieses Punschmeeres befanden, wurde ihr Anteil von der gastfreien Hand des Udallars in großen Pokalen dargereicht, während die entfernteren, ihre Becher vermittels einer köstlichen silbernen Schale füllten, scherzweise die »Schaluppe« genannt, die dann und wann herumgereicht wurde und durch ihre Reisen zu manchen Spaßen Anlaß gab. Der Handel der Shetländer mit fremden und aus Westindien zurückkehrenden Schiffen hatte längst bei ihnen den allgemeinen Gebrauch des trefflichen Getränkes eingeführt, mit dem jetzt »der muntere Seemann von Canton« so reich beladen war; auch verstand kein Mann von der Inselgruppe von Thule besser die reichen Ingredienzien zu mischen als der alte Erik Scambester, bekannt auf der ganzen Inselflur unter dem Namen »der Punschmacher.«

Das edle Getränk begann seine »illuminierende« Wirkung zu äußern, so daß es nicht lange mehr dauerte, bis allerhand alte nordische Trinkgesänge angestimmt wurden, aus denen sich erkennen ließ, daß die Shetländer, wenn auch infolge mangelnder Uebung der kriegerischen Tugenden verlustig, die ihre Ahnen in so hohem Maße auszeichneten, wenigstens noch immer an jenen Freuden Walhallas regen und kräftigen Anteil nehmen konnten, die durch den übermäßigen Genuß von Met und Hausbier geweckt und durch Odin denen verheißen wurden, die mit ihm sein skandinavisches Paradies teilten.

Auch der Schüchterne fand schließlich beim Klang der Becher und Lieder Mut, und der Wortkarge wurde geschwätzig, bis zuletzt niemand mehr zuhörte, sondern alle durcheinander schwatzten. Jeder ritt sein Steckenpferd und ließ sich als fescher und schneidiger Reiter bewundern: so der kleine Barde, der sich dicht an unsern Freund Mordaunt drängte, in der offenkundigen Absicht, ihn über all seine Bekanntschaft mit den großen Geistern der Zeit zu unterrichten – so auch Triptolemus Yellowley, dessen Courage wuchs, als er die Scheu überwunden hatte, in die ihn Magnus Troils Reichtum und die Ehrerbietung, die ihm von allen Gästen bezeugt wurde, versetzten – und der es nun unternahm, mit all den Meliorationsideen, mit denen er sich unterwegs seinem Reisegefährten gegenüber gebrüstet, hervorzutreten, ohne an der verwunderten Miene des Udallars Anstoß zu nehmen.

Diese Ideen aber, wie auch die Aufnahme, die ihnen von seiten Magnus Troils zuteil wurde, müssen wir in das nächste Kapitel verweisen.

Vierzehntes Kapitel

Wir verließen die Gesellschaft bei dem Zechgelage, in wilder Ausgelassenheit. Mordaunt, der wie sein Vater den Becher mied, nahm keinen Teil an der Fröhlichkeit, die der »muntre Seemann« mitsamt der »Schaluppe« verbreitete, bildete aber in seiner Trübnis ein um so willigeres Objekt für den redseligen Halcro, der sich an ihn anklammerte, wie die der Beute sichre Nebelkrähe an das sieche Lamm. Aber wie alles in der Welt, hätte auch Halcros Bericht über seinen freundlichen Schneiderwirt in Russel-Street mit allen Anhängseln über Kleidung und Moden und den Lebensbeschreibungen von fünf seiner engern Verwandten sein Ende gefunden, wäre er nicht durch Magnus Troils überlaute Stimme kurz vorher jäh unterbrochen worden .... »Was hat denn bloß unsern alten Magnus so in Hitze gebracht? Man sollte schier meinen, als wolle er seine Stimme gegen einen Sturm aus Nordwest versuchen!« meinte Halcro bei sich, Ueberlaut schrie er freilich, der alte Udaller, als ihm die Geduld riß bei den Meliorationsplänen, die ihm der Lord-Kämmerlings-Substitut jetzt rücksichtlos aufdrängen wollte...

»Bäume, Herr Kämmerlingsknecht,« rief er: »kein Wort mag ich davon hören... wir fragen den Teufel danach und wenn kein einziger auf der Insel wächst, hoch genug, daß ein Narr daran baumeln könnte. Wir wollen bloß Bäume haben, wie sie in unseren Häfen wachsen – Raaen aus Zweigen und Tauwerk als Blätter,«

»Aber die Austrocknung des Braebaster-Sees, von der ich sprach, Magnus Troil,« versetzte der beharrliche Verwalter, »und die meiner Ansicht nach von äußerster Wichtigkeit ist? ... Es gäbe zwei Wege, sie zu bewirken: die Ableitung des Wassers ins Linklater-Tal oder durch Stauung des Scalmester-Baches . . .«

»Ich wüßte noch einen dritten Weg, Herr Yellowley,« fiel ihm Magnus Troil ins Wort.

»Ich nicht, beim besten Willen nicht,« entgegnete Triptolemus mit einer Harmlosigkeit, wie sie kein Spaßvogel sich besser bei jemand wünschen kann, den er abtrumpfen will; »weil doch der Braebaster-Hill gegen Süden, die Anhöhe gegen Norden aber, deren Namen ich nicht behalten kann –«

»Nichts von Hügeln und Höhen, Herr Yellowley,« unterbrach ihn Magnus Troil, »einen dritten Weg noch gibt es, den See abzuleiten, und kein anderer soll, so lange ich lebe, versucht werden. Der Lord Kämmerer und ich, sagt Ihr, wären die gemeinschaftlicher Besitzer davon – mag sein! – Seht, jeder von uns braucht nur eine gleiche Quantität Branntwein, Zitronensaft und Zucker in den See zu tun, – ein Paar Schiffsladungen reichten hin dazu – und wenn wir dann alle muntern Udallars rund herum zu Gaste bitten, so wird, ich stehe Euch dafür, in vierundzwanzig Stunden trockner Grund und von dem Braebaster keine Spur mehr zu sehen sein.«

Ein lautes Beifallsgelächter antwortete auf diesen für Zeit und Ort so gut gewählten Scherz und brachte Triptolemus zum Schweigen. Eine lustige Gesundheit ward ausgebracht, ein munteres Lied angestimmt – das »Schiff« lud wieder aus – die »Schaluppe« machte ihre Runde, – das Duett zwischen Magnus Troil und Triptolemus, das durch seine überwiegende Lautheit die Aufmerksamkeit der Gesellschaft während eines Augenblickes ausschließlich beschäftigt hatte, ging in dem allgemeinen Gesprächschaos unter, und der, Poet Halcro suchte sich der Ohren seines jungen Freundes Mordaunt wieder zu bemächtigen.

»Wo blieb ich denn?« fragte er in einem Tone, der seinem ermüdeten Zuhörer deutlicher verkündetem, als Worte es zu tun vermocht hätten, wieviel von seiner Geschichte noch zu erzählen übrig sei ... »Ach ja, ich weiß schon – wir standen gerade vor der Tür des Kaffeehauses der hitzigen Köpfe – damals hielt es ein gewisser – – – Aber die Schwerenot!« rief er ärgerlich, »hier kann man kein vernünftiges Wort mehr sprechen, – hol' der Henker den Kerl aus Schottland! Er liegt sich schon wieder mit Magnus Troil in den Haaren.«

So war es in der Tat ... Fragen und Antworten, Bemerkungen und Erwiderungen wurden so lebhaft gegen einander ausgetauscht, daß der Disput einem Musketenfeuer nicht unähnlich war.

»Ei, so nehmt doch Vernunft an, Herr!« rief der Udallar, »und wenn Vernunft nicht zulangt, so wollen wir Euch mit Reimen dienen – Heda, kleiner Freund Halcro!«

Der kleine Sänger, mitten in dem zweiten Anfang seiner Erzählung gestört, fuhr bei dem Rufe auf, schnitt ein schlaues Gesicht, schlug mit der Hand auf den Tisch und markierte seine Bereitwilligkeit, seinem Wirte, wie es einem wohlgezogenen Gaste geziemt, den Rücken zu decken. Triptolemus erschrak ob dieser Verstärkung seines Gegners, hielt wie ein vorsichtiger General mit dem Angriff inne, den er auf Shetlands Rückständigkeit unternommen, und schwieg, bis er durch die beleidigende Frage des alten Udallars gereizt wurde: »Wo sind denn nun Eure Gründe, Herr Yellowley, womit Ihr mich vor einem Augenblick noch taub zu machen bemüht wart?«

»Nur Geduld,« versetzte der Ackerbauer, »was in der Welt könnt Ihr oder sonst jemand zur Verteidigung des Dinges sagen, das Ihr in diesem verblendeten Lande Pflug nennt? Selbst die wilden Hochländer in Caithreß und Sutherland können mit ihrem armseligen Werkzeuge mehr ausrichten!«

»Aber was habt Ihr denn daran auszusetzen, Herr!« fragte der Udallar, »laß mich Euren Tadel hören. Er pflügt unser Land, was verlangt Ihr mehr?«

»Nur einen Stiel hat er,« antwortete Triptolemus.

»Und wer zum Teufel,« rief der Poet, indem er sich bemühte, schlau dabei auszusehen, »wird zwei Stelzen nehmen, wenn er mit einer fortkommen kann?«

»Oder sagt,« fuhr Magnus Troil fort, »wie wäre es dem armen Neil aus Lupneß, der bei einem Sturz von der Klippe von Neckbreckan einen Arm verlor, möglich, einen zweistieligen Pflug zu regieren?«

»Das Geschirr ist von rohem Seehundsfell,« sprach Triptolemus weiter.

»So spart man das verarbeitete Leder,« entgegnete Magnus Troil.

»Er wird von vier armseligen Ochsen gezogen, die nebeneinander gespannt sind, und zwei Weiber müssen hinterdrein gehen, um die Furchen mit Schaufeln vollends zu stande zu bringen.«

»Trinkt einmal drauf, Herr Yellowley,« erwiderte der Udallar, »und laßt's Euch nicht verdrießen. – Unser Vieh ist zu mutig, als daß man eins hinter das andere spannen könnte; unsere Männer sind zu wohlerzogen, als daß sie die Feldarbeit ohne ihre Weiber verrichten möchten; unser Pflug pflügt unser Land – unser Land trägt uns Gerste; wir brauen unser Bier, essen unser Brot, und heißen Fremde dazu willkommen. Auf Euer Wohlsein, Herr Yellowley!«

Dies wurde in einem Tone gesprochen, der den Streit als beendigt zu erklären schien, und sogleich flüsterte auch Halcro seinem Freunde Mordaunt ins Ohr: »Die Sache ist abgemacht, und wir können nun wieder zu unserm Thema zurückkehren. – Ach richtig! wo blieb ich denn gleich? – Tim Timblethwaite schritt durch die Menge, kühn wie ein Löwe, und ich hinterher, ein kleines Päckchen unter meinem Arm, das ich zu tragen übernommen hatte, teils um meinem Hauswirt gefällig zu sein, denn der Ladendiener war gerade nicht bei der Hand, teils aber auch, daß ich um so sicherer eingelassen würde, denn nicht jedermann hatte Zutritt, wie begreiflich.« – Aber schon wieder wurde die Erzählung durch die laute Stimme des alten Udallars abgebrochen ...

»Ich will nichts weiter davon hören, Verwalter,« rief er.

»So möchte ich doch wenigstens noch etwas über die Pferdezucht sagen,« versetzte Triptolemus in einem fast um Gnade flehenden Tone ... »Eure Pferde hier, mein werter Herr! gleichen an Größen den Katzen und an Wildheit den Tigern,«

»Was ihre Größe betrifft,« erwiderte Magnus, »so kann man um so leichter auf und ab kommen –« (wie Triptolemus diesen Morgen selbst erfahren, dachte Mordaunt) »wem sie zu wild sind, der braucht sie ja nicht zu besteigen.«

Selbstbewußtsein verhinderte Yellowley, hierauf etwas zu erwidern. Er richtete einen kläglichen Blick auf Mordaunt, wie wenn er ihn bitten wollte, seinen Sturz von heute früh geheim zu halten; und der Udaller, seinen Vorteil gewahrend, ob ihm gleich die Ursache desselben nicht bekannt war, setzte ihm zu wie ein Mann, der sein ganzes Leben hindurch nicht gewohnt gewesen, Widerstand zu begegnen oder gar zu dulden.«

»Beim Blute St. Magnus des Märtyrers,« rief er aus, »Ihr seid ein schlauer Gesell, Herr Verwalter! Da kommt Ihr zu uns her aus einem fremden Lande, kennt weder unsere Gesetze, unsere Sitten, noch unsere Sprache, und doch wollt Ihr das Land regieren und uns alle zu Euren Sklaven machen.«

»Zu meinen Schülern nur, werter Herr!« sagte Yellowley, »und das allein zu Eurem eigenen Vorteil,«

»Wir sind zu alt, um in die Schule zu gehen,« antwortete der Shetländer. »Noch einmal laßt Euch sagen, wir wollen unser Korn säen und ernten, wie es unsere Väter getan – unser Brot essen, und unsere Türen offen halten wie sie. Fehlt's noch irgendwo in unseren Sitten, so werden wir das schon bei Zeit und Gelegenheit richtig ausgleichen. – Aber des gesegneten Täufers Feiertag wurde für fröhliche Herzen und flinke Beine geschaffen. Wer noch ein Wort von Gründen, wie Ihr es zu nennen beliebt, oder von ähnlichen Dingen spricht, soll ein Maß Seewasser verschlucken, – mein Wort drauf! – Und nun hier das gute Schiff, der muntere Seemann von Canton, noch einmal gefüllt zum Nutzen derer, die ihm treu bleiben! den andern sei es überlassen, sich nach dem Fiedelbogen der Geiger zu drehen, die uns da eben lustig aufgefordert haben. Allen Mädchen brennt's schon unter den Füßen, dafür stehe ich. – Nun, Herr Yellowley, ein freundlich Gesicht! – wie! spürt Ihr etwa die Wirkung »des munteren lustigen Seemanns,« – (und in der Tat zeigte Triptolemus etwas Unsicherheit in seinen Bewegungen, als er aufstand, um seinen Wirt zu begleiten) – »aber schadet nicht, wir wollen Euer schwaches Untergestell doch zum Tanzen bringen; – komm, komm, faß mich an, Triptolemus, – sonst trippelst Du, alter Triptolemus, ha, ha ha ha!«

Und nun segelte der mächtige, von Wind und Wetter mitgenommene Rumpf des Udallers, wie ein Kriegsschiff, das hundert Stürmen getrotzt, mit seinem Gaste im Schlepptau davon. Der größere Teil der Gesellschaft folgte ihrem Führer mit lautem Jubel; und nur einige, dem Becher sehr ergebene Trinker blieben zurück, die Wahl, die ihnen ihr Wirt gelassen, benutzend, um den muntern Seemann seiner neuen Ladung zu entledigen und die Becher fleißig zu leeren aufs Wohl des abwesenden Wirtes und auf das seines Hauses, was nebst andern freundlichen Wünschen als eine Apologie für den immer neu gefüllten Becher angesehen werden konnte.

Die übrigen erreichten bald den Tanzraum, einfach wie die Sitte der Zeit und des Landes. Gesellschafts- und Tanzsäle, außer in den Häusern der Adeligen, waren selbst in Schottland noch unbekannt; um so mehr war dies in Shetland der Fall; aber ein langes, niedriges, unregelmäßiges Gemach, dann und wann als Waren-Niederlage oder als Aufbewahrungsort für allerhand Gerät benutzt, war der ganzen Jugend von Dunroßneß als der Schauplatz jener fröhlichen Tänze bekannt, die bei Magnus Troils Festlichkeiten immer unter Freude und Jubel stattfanden.

Der erste Anblick dieses Raumes hätte eine Tanzgesellschaft der Gegenwart sicher zurückgeschreckt. Es war, wie gesagt, ein niedriger Raum, spärlich durch Lampen, Lichter, Schiffslaternen und ähnliche verschiedenartige Beleuchtungsanstalten erhellt, die nur ein dämmerndes Licht, sowohl auf den inneren freien Raum als auf die rund umher aufgehäuften Waren und Gerätschaften, Erntefrüchte, für den Wintervorrat angesammelt, oder Gegenstände warfen, die Neptun auf Kosten verunglückter Schiffe gezollt hatte, oder im Tausch gegen Fische oder andere Produkte seiner Besitzungen dem Hausherrn zugefallen waren, der, wie die meisten Eigentümer damaliger Zeit, zugleich Kaufmann und Landwirt war. Alle diese Kisten, Kasten und Ballen waren nun beiseite geschoben und aufeinander gehäuft worden, um Platz für die tanzenden Paare zu schaffen, die leicht und froh, als wäre ihnen der glänzendste Saal im Kirchspiel von St. James eingeräumt gewesen, ihre Nationaltänze mit liebenswürdigster Grazie aufführten.

Die dem Tanze zuschauende Greisengruppe mit ihren stark knochigen, durch den Kampf mit den Elementen verhärteten Gesichtern, dem rauhen Haar und Bart, den viele noch nach altnorwegischem Brauch trugen, sah ganz aus wie eine Schar ältlicher, die Spiele der Seenymphen belauschenden Tritonen. Die jungen Leute dagegen waren ungemein hübsch, schlank und wohlgebaut; die Männer mit langem, schönem Haar und von frischer roter Gesichtsfarbe, die bei dem weiblichen Teil in ein Kolorit voll unendlicher Zartheit überging. Bei ihrem guten musikalischen Gehöre begleiteten sie das Spiel eines Musikchors, dessen Klänge sich wohl anhörten, aufs genaueste, während die Alten entweder kritische Betrachtungen über die Tänzer anstellten, oder auch, von dem noch immer umherkreisenden Becher belebt, mit den Füßen den Takt traten.

Mordaunt blickte auf die Szene allgemeiner Freude mit schmerzlichem Gedanken an die bevorzugte Stelle eines Vortänzers, die ihm früher immer zugefallen war und die jetzt dem Kapitän Cleveland gehörte. Bemüht indessen, diese Kränkung sich nicht merken zu lassen, trat er jetzt zu seinen niedlichen Nachbarinnen, die ihn bei Tische so gern gesehen hatten, in der Absicht, eine von ihnen zum Tanz aufzufordern; aber die strenge alte Tante, die schon erwähnte Lady Glowrowrum, war durchaus nicht geneigt, die bei Tische geführte Unterhaltung weiter spinnen zu lassen, sondern erklärte Mordaunt, nachdem sie ihm für seine Artigkeit gedankt, daß ihre beiden Nichten, die mißvergnügt und schweigend neben ihr saßen, schon für den ganzen Abend versagt seien; was er aber bald als Ausflucht erkannte, denn die beiden Schwestern nahmen gleich darauf an dem Tanze teil mit den ersten besten Tänzern, die sie dazu aufforderten. Erbittert über diese offenbare Feindschaft, und nicht willens, sich einer zweiten solchen Kränkung auszusetzen, zog sich Mordaunt vom Tanze zurück, mischte sich unter die Zuschauer am untern Ende und versuchte dort, den Beobachtungen anderer entzogen, das Gefühl seiner Kränkung mit aller Philosophie seines Alters, nämlich gar keiner, – zu bekämpfen.

Fünfzehntes Kapitel

Der Jüngling, sagt Moralist Johnson, kümmert sich nicht um das Steckenpferd des Knaben, der Mann nicht um die Geliebte des Jünglings; und Mordaunt, da er sich von dem fröhlichen Tanze ausgeschlossen sah, mag manchem Leser lächerlich erscheinen, und dennoch würde sich derselbe in einer ähnlichen Stimmung befinden, wenn er sich in einem geselligen Kreise, freilich anderer Art, plötzlich von dem gewöhnlichen Platze, den er in demselben behauptete, verdrängt sähe. Es fehlte indes auch nicht an Unterhaltung für solche Gäste, die entweder dem Vergnügen des Tanzes abhold oder so unglücklich gewesen waren, keine Tänzerin nach ihrem Gefallen zu finden. Halcro, jetzt vollkommen in seinem Elemente, hatte ein Auditorium um sich versammelt, dem er seine Dichtungen, mit dem ganzen Enthusiasmus des alten ruhmgekrönten, von ihm vergötterten Dryden vordeklamierte, und von dem er dagegen all jene Lobsprüche entgegennahm, die dem Rezitator eigener Gedichte wenigstens so lange, als seine Ohren sich noch im Bereich der Kritik befinden, gespendet zu werden pflegen.

Halb zuhörend, halb in seine eigenen Betrachtungen versunken, stand Mordaunt Mertoun nahe der Zimmertür und in der äußersten Reihe des kleinen Kreises, der sich um den alten Halcro gebildet hatte, während dieser – nach einer dumpfen, wilden, einförmigen Weise, die nur zuweilen durch die Bemühung des Sängers, gewissen Stellen eine größere Anziehungskraft oder Nachdruck zu geben, Veränderung erlitt – die folgende Nachahmung eines nordischen Kriegsgesanges vortrug:

Blutrot sieht man die Sonne aufgeh'n,


Bang, drückend ist des Windes Weh'n;


Von Klippen steigt der Aar empor,


Der Wolf kommt aus der Kluft hervor;


Es späht der Hund aus dem Versteck,


Der Rabe lauscht auf seinem Fleck;


Man hört nur Kreischen, Krächzen, Stöhnen,


Und jedes sagt in wilden Tönen:


Ei, bald zum Totenmahl es geht!


Des blonden Harold Flagge weht!

Die Mähne fliegt im Winde wild,


Es glänzt der Helm, es blitzt der Schild,


Und mancher Arm die Streitaxt schwingt,


Die durch den Wald von Lanzen dringt.


Der Rosse Wiehern, Waffenklang


Tönt durch die dichten Reih'n entlang;


Führer rufen, Cymbeln klingen,


Laut hört man den Barden singen:


Kommt, Ihr Tapfern, Mann bei Mann;


Norweger! kommt zum Kampf heran!

Denkt nicht an Schlummer, nicht ans Mahl,


Erwäget Vorteil nicht, noch Zahl;


Muntre Schnitter, kommt, zu mäh'n


Die Halm' im Tal und auf den Höh'n;


Dicht oder dünn, hart oder weich,


Fall' alles unter Eurem Streich.


Vorwärts mit der breiten Schneide,


Bringt der Ernte blut'ge Beute!


Vorwärts, Fußvolk, – Reitersmann!


Auf, Norweger! – Mutig dran!

Die Ihr gewählet Kampf und Schlacht,


Euch Odins Tochter treu bewacht,


Hört, was sie Euch prophezeit:


Sieg und Reichtum, Herrlichkeit


Und Walhallas rauschend Heil


Wird Euch Tapfern dann zu Teil;


Der Tafel und des Kampfes Freuden


Wird Euch die Ewigkeit bereiten:


Zum Angriff, Fußvolk, Reiterei;


Kämpft wie Norweger, sterbet frei!

»Die armen, unglücklichen, verblendeten Heiden,« sagte Triptolemus mit tiefem Seufzer, »da sprechen sie von ihren ewig gefüllten Metkrügen, und ich zweifle, ob sie auch nur ein Stückchen Landes bearbeiten könnten!«

»Um so gescheitere Gesellen sind's gewesen, Nachbar Yellowley,« erwiderte der Poet, »wenn sie Bier ohne Gerste zu brauen verstanden.«

»Gerste! hilf Himmel!« rief der Ackerbauer, »wer hörte je von Gerste hierzulande? Vierzeiliges armseliges Zeug ist alles, was sie haben, und ein Wunder ist's, daß sie je eine Aehre davon sahen. Da pflügt ihr das Land mit einem winzigen Dinge, das ihr einen Pflug nennt, – ebensogut könntet ihr es mit den Zähnen eines Kammes aufwühlen; ja, wenn man so einen echt schottischen Pflug sieht, mit einem Kerl wie Simson zwischen den Stielen, der ein Gewicht darauf legt, stark genug, einen Berg niederzudrücken, und mit zwei stattlichen Ochsen und eben so vielen breitbrüstigen Pferden bespannt, wer so etwas gesehen, kann von andern Dingen schwatzen, als von diesen alten Geschichten von Krieg und Blutvergießen, dessen die Welt schon zuviel gesehen hat.«

»Ketzerei ist es,« rief der kleine Poet, sich aufblähend, als ob die Verteidigung der ganzen Inselflur auf seinen Schultern ruhe, »sein Vaterland nennen zu hören, wenn man nicht zu seiner Verteidigung bereit ist. Es gab eine Zeit, wo wir, wenn wir auch nicht gutes Bier und guten Aquavit zu brauen verstanden, doch gar wohl wußten, wo wir sie für uns bereits fertig fanden. Aber jetzt sind die Abkömmlinge von Seekönigen, Kämpen und Berserkern nicht mehr imstande, ihre Schwerter zu gebrauchen, gerade als ob es lauter Weiber waren.«

»Gesprochen wie ein Engel! Du edelster aller Poeten!« rief Cleveland, der sich während einer kleiner Tanzpause dem kleinen Kreise genähert hatte, der dieses Gespräch führte, – »Die alten Kämpen, von denen Ihr uns gestern abend erzähltet, waren kräftige Gesellen, Freunde der See, und Feinde von allem, was darauf schiffte – Männer, deren Taten Stoff für die Harfe boten . . Ihre Schiffe mögen plump gewesen sein, aber wenn es wahr ist, daß sie damit bis nach der Levante segelten, so haben sicher seit Menschengedenken bessere Burschen wohl nie ihre Segel aufgezogen.«

»Ja, ja,« versetzte Halcro, »in jenen Tagen konnte niemand sein Leben und sein Eigentum sein nennen, war sein Wohnsitz nicht wenigstens zwanzig Meilen von der blauen See entfernt. Wurden doch in allen Kirchen Europas öffentliche Gebete gehalten für die Befreiung vom Joch der Normannen. Und nun soll nicht einmal unsere Gerste ohne schottischen Beistand wachsen« – (bei diesen Worten warf er einen sarkastischen Blick auf den Verwalter) – »ich wollte, ich sähe die Zeit kommen, wo wir wieder unsere Waffen wider die Welt kehren können.«

»Fürwahr, gesprochen wie ein Held,« sagte Cleveland.

»Ja, ja,« fuhr der kleine Barde fort, »ich wollte, unsere Barken, einst die Meerdrachen der Welt, glitten noch einmal mit der rabenschwarzen Flagge über die Fluten, die Verdecke von glänzenden Waffen starrend, statt mit Stockfischen bedeckt, – mit unsern furchtlosen Händen dasjenige erringend, was der geizige Boden verweigert – jeden alten Groll, jede neue Beleidigung vergeltend – ernten, wo wir nicht gesäet, einsammeln, wo wir nimmer gepflanzt – froh und lachend durchs Leben ziehend, selbst dann noch lächelnd, wenn wir von hinnen gerufen werden.«

So sprach Claus Halcro in einer gewiß ganz nüchternen Stimmung, seufzte doch sein ohnehin nicht zu den stärksten gehörendes Gehirn unter der Last von fünfzig gut eingetrichterten Gesängen nebst fünf Pokalen »Usquebaugh« und Branntwein. Cleveland klopfte ihm, halb im Ernste, halb im Scherze, wieder auf die Schulter, und wiederholte sein: »Gesprochen wie ein Held.«

»Gesprochen wie ein Narr, so ist meine Meinung,« rief Magnus Troil, dessen Aufmerksamkeit durch die Heftigkeit des kleinen Poeten ebenfalls rege gemacht worden war, – »wo wollt Ihr denn kreuzen und gegen wen? wir alle, denke ich, sind Untertanen Eines Reiches, und ich gebe Euch zu bedenken, daß Euer Zug Euch leicht an den Galgen bringen könnte. Ich mag die Schotten nicht – nehmt's nicht übel, Herr Yellowley – das heißt, ich möchte sie ganz gut leiden, wenn sie ruhig in ihrem eigenen Lande blieben und uns mit unsern Sitten und Gebräuchen zufrieden ließen – dann sollten sie bis zum jüngsten Tage vor mir Ruhe haben. Mit dem, was uns, wie das Sprichwort sagt, die See spendet und das Land spendet, und was ehrliche Nachbarn uns verzehren helfen, sind wir, beim heiligen Magnus! meiner Meinung nach, fast zu glücklich.«

»Ich weiß, was der Krieg ist,« nahm ein alter Mann das Wort, »und ich möchte ebenso lieb durch den Roost von Sumbourgh in einer Muschelschale oder einem noch armseligern Fahrzeug schiffen, als mich noch einmal hineinwagen.«

»Und welche Kriege sahen Eure Tapferkeit?« fragte Halcro, der, ob er gleich aus Achtung seinem Wirte nicht widersprechen mochte, doch aber nicht der Mann war, so schnell seinen Satz aufzugeben.

»Ich wurde gepreßt,« antwortete der alte Triton, »um unter Montrose zu dienen, als er ums Jahr 1651 hierher kam, und einen Teil von uns, mir nichts dir nichts, hinwegführte, damit uns in den Wildnissen von Strathnavern die Kehlen abgeschnitten würden. – Nie werde ich es vergessen, wie schlimm wir mit Lebensmitteln daran waren, – was hatte ich nicht gegeben für einen Mundvoll von Burgh-Westras Roastbeef – oder für ein Gericht saure Fische? – Wenn unsere Hochländer so eine Trift Ochsen einbrachten, machten wir keine Umstände damit, schossen und schlugen drauf los, jagten das Fell ab, brieten und rösteten, so wie es jedem zur Hand kam, bis wir, gerade wenn unsere Bärte am fettesten waren, plötzlich – Gott sei bei uns – ein Pferdegetrappel hörten – dann fielen einige Schüsse –eine ganze Salve folgte, – und wenn uns dann die Offiziere zu stehen geboten, die meisten von uns aber sich nach dem Wege umsahen, auf dem sie am leichtesten davon laufen konnten, brachen sie plötzlich herein, zu Pferde und zu Fuß, den alten John Urry oder Hurry, wie sie ihn nannten, an ihrer Spitze, – und jagten uns; und wir fielen, dicht wie die Stiere, die vor fünf Minuten unter unsern Schüssen und Schlägen dahinstürzten.«

»Und Montrose,« fragte die sanfte Simme der reizenden Minna, »und was ward aus Montrose, und wie benahm er sich?«

»Wie ein Löwe, der mit dem Jäger kämpft,« erwiderte der Alte, »aber ich blickte nicht zweimal nach seinem Wege, denn der meine lag hinter den Hügeln.«

»Ihr verließet ihn also?« fragte Minna mit einem Tone tiefster Verachtung.

»Es war nicht meine Schuld,« entgegnete der Alte, etwas außer Fassung; »auch war ich dort nicht aus freier Wahl; überdies, was hätte ich auch ausrichten können? liefen doch alle übrigen wie Schafe davon.«

»Ihr hättet mit ihm in den Tod gehen müssen,« sagte Minna.

»Um mit ihm in unsterblichen Liedern, bis in alle Ewigkeit zu leben,« fügte Claud Halcro hinzu.

»Ich danke Euch, Miß Minna,« erwiderte der einfache Shetländer; »und auch Euch, alter Freund Claud! – Aber ich mag doch lieber Eure Gesundheit lebendig in diesem Becher trinken, denn als Toter von Euch besungen werden um der Ehre willen, daß ich vierzig oder fünfzig Jahre früher starb. – Aber was half es auch? Kampf oder Flucht war alles eins; – sie fingen Montrose, trotz seiner Heldentaten, und auch mich, der durchaus keine Heldentaten vollbrachte; er, der arme Teufel wurde gehangen, mich aber« –

»Euch peitschten sie doch und salzten Euch ein,« rief Cleveland, dem bei der Erzählung des feigen Shetländers der Geduldsfaden riß.

»Ei was, Pferde peitscht man und salzt Rindfleisch ein,« sagte Magnus. »Ihr glaubt doch nicht etwa, mit Eurer Schiffsherrnmiene unserm guten alten Nachbar Haagen die Schamröte ins Gesicht zu jagen, weil er froh ist, daß er nicht vor vierzig oder fünfzig Jahren totgeschlagen ward? Ihr habt zwar auch dem Tode ins Antlitz geschaut, mein mutiger junger Freund! aber mit den Augen eines jungen Mannes, der sich gern berühmt machen wollte; wir aber sind ein friedfertiges Volk, – friedfertig, so lange jemand friedfertig sein kann, das heißt, bis jemand unverschämt genug ist, uns oder unsern Nachbarn unrecht zu tun; geschieht das aber, so dürfte sich vielleicht das Blut in unsern Adern nicht viel kühler zeigen als das der alten Skandinavier, denen wir unsere Namen und unsere Abkunft verdanken. – Fort also jetzt zum Schwerttanz, damit sich die Fremden, die sich in unserer Mitte befinden, überzeugen, daß unsere Schwerter und unsere Hände einander durchaus nicht fremd geworden sind.«

Aus einer alten Waffenkiste wurde jetzt ein Dutzend Säbel vorgeholt, deren Rostfarbe bewies, wie selten sie ihre Schneiden verließen. Damit bewaffnete sich eine gleiche Zahl junger Shetländer, an die sich unter der Anführung von Minna Troil, sechs junge Mädchen anschlossen. Das Musikchor stimmte sofort eine Melodie an, derjenigen der alten Kriegstänze gleich, wie sie vielleicht noch jetzt auf diesen entlegenen Inseln gebräuchlich sind.

Der Anfang war anmutig und majestätisch; die Jünglinge hielten ihre Schwerter erhoben, ohne sonderliche Bewegung; aber die Musik und die damit übereinstimmenden Gebärden der Tänzer wurden allmählich immer belebter; sie schlugen mit ihren Schwertern taktmäßig gegeneinander, mit einer Gewalt, die diese Uebung in den Augen des Zuschauers als höchst gefährlich erscheinen ließ; obgleich die Sicherheit und die Genauigkeit, mit der die Tänzer im Takt blieben, die Gefahrlosigkeit der Schwertschläge verbürgten. Der am meisten bewunderte Teil der Darstellung aber war der Mut der Tänzerinnen, die, von den Schwertmännern umgeben, bald den Sabinerinnen in der Gewalt der Römer glichen; bald aber auch wieder, sich unter den stählernen Bogengang bewegend, den die Jünglinge gebildet, indem sich ihre Schwerter über den Häuptern ihrer schönen Tänzerinnen kreuzten, – jenen Amazonen glichen, die sich zuerst in dem phyrrischen Tanze den Begleitern des Theseus anschlossen. Aber am vorteilhaftesten zeichnete sich unstreitig Minna Troils Gestalt aus, die ganz dazu geschaffen schien, und daher von Halcro schon längst »Schwertkönigin« genannt worden war. Als letzte von allen blieb sie, als die Musik verklungen war, der Tanzregel gemäß, einen Augenblick lang auf dem Schauplatze, während die übrigen Tänzer und Tänzerinnen, die jetzt von ihrer Seite wichen, die Leibwache einer Fürstin zu sein schienen, die, sich auf ihren Wink entfernend, sie auf eine Weile in Einsamkeit läßt. Tief errötend, als schäme sie sich, der Gegenstand ungeteilter und allgemeiner Aufmerksamkeit gewesen zu sein, reichte sie mit vielem Anstande dem Kapitän Cleveland die Hand, der, obgleich er an dem Tanze keinen Anteil genommen, dennoch jetzt seine Pflicht erfüllte und sie zurück zu ihrem Sitze geleitete.

Als sie an Mordaunt vorübergingen, glaubte dieser zu bemerken, daß Cleveland seiner schönen Gefährtin etwas ins Ohr flüsterte, und daß ihre eilige Antwort von einer noch größeren Verwirrung begleitet war als sie noch vor kurzem, wo sie den Blicken der ganzen Gesellschaft ausgesetzt war, an den Tag gelegt hatte. Mordaunts Argwohn wurde dadurch ungemein geweckt, denn er kannte Minnas Charakter gar wohl und wußte recht gut, mit welcher Gleichgültigkeit sie bei anderen Gelegenheiten Schmeicheleien aufzunehmen pflegte, die ihr bei ihrer Schönheit und ihrer Lage ungemein häufig gespendet wurden.

»Wäre es möglich? Sollte sie wirklich diesen Fremden lieben?« war der erste trübe Gedanke, der jetzt in Mordaunts Gemüt emporstieg; – »und wenn dem so ist, was geht es mich an?« war der zweite, dem auf der Stelle die Betrachtung folgte, daß, obgleich er nie andere Rechte als die eines Freundes begehrte, die ihm jetzt entzogen schienen, er dennoch in Rücksicht auf dieses frühere Verhältnis Grund habe, über sie traurig und gegen sie aufgebracht zu sein, daß sie ihre Neigung an einen Menschen wegwerfe, den er derselben nicht würdig hielt.

Es mochte ungefähr um Mitternacht sein, als ein Pochen an der Pforte des Herrenhauses, von Musik begleitet, die Ankunft neuer Gäste verkündete, denen, der gastfreien Sitte dieses Landes gemäß, sofort die Türen geöffnet wurden.

Sechzehntes Kapitel

Die neuen Ankömmlinge waren, wie es bei solchen Festlichkeiten häufig, fast durch die ganze Welt zu geschehen pflegt, unter einer Art von Maskentracht versteckt, in der Absicht, jene Tritonen und Meermädchen vorzustellen, mit denen die alten Sagen und der Volksglaube die nördlichen Gewässer bevölkert. Die ersteren, von den Shetländern jener Zeit Schaupeltins genannt, wurden von jungen, grotesk gekleideten Männern, mit falschem Haar und langen Bärten von Flachs, dargestellt; sie trugen Kränze von Schilf, mit Muscheln und andern Seeerzeugnissen verziert, mit denen auch ihre hellblauen und grünlichen Mäntel, von grobem selbstgemachten Zeuge, geschmückt waren. Sie hielten Fischspeere und andere sinnbildliche Zeichen ihrer vorgeblichen Abkunft in den Händen, unter denen der klassische Geschmack von Claud Halcro, von dem dieser Zug geordnet wurden, die Muschelhörner keineswegs vergessen hatte, die zum großen Verdruß derjenigen, die in der Nähe standen, dann und wann von einigen der Seegötter laut und heiter geblasen wurden.

Die Nereiden und Wassernymphen dieses Aufzugs zeigten wie gewöhnlich etwas mehr Geschmack hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Schmucks, als bei ihren männlichen Begleitern sichtbar war. Ein phantastischer Putz von grüner Seide und ähnlichen kostbaren Gegenständen war ersonnen worden, um dem Begriff, den man von den Seebewohnern hegte, so viel wie möglich zu entsprechen, zugleich aber auch, um die Gestalten der schönen Darstellerinnen in dem vorteilhaftesten Lichte zu zeigen; die Bänder von Muscheln, die Nacken, Arme und Knöchel der Jungfrauen schmückten, waren hie und da mit echten Perlen verziert, und das Ganze bot einen Anblick dar, der selbst dem Hofe der Amphitrite nicht zur Unzierde gereicht hätte, zumal ihm die langen vollen Locken, die blauen Augen, das schöne Kolorit und die lieblichen Gesichtszüge der Mädchen von Thule noch wesentlich zu statten kamen. Claud Halcros Muse, immer tätig bei solchen Gelegenheiten, hatte für einen passenden Gesang gesorgt, der abwechselnd von den Nereiden oder Meermädchen und von den Meermännern oder Tritonen gesungen wurde.

1. Das Meermädchen.

Klaftertief aus Meeresnacht,


Wo wir Perlenkränze schlingen,


Und was kühn der Held vollbracht


Gern in unsern Liedern singen,


Wo wir hausen, und die Winde


Leis in unser Ohr nur wehn,


Wie die Seufzer, die so linde


Um der Teuren Liebe flehn.


Kinder Thules! dorther steigen


Wir aus dunkler Flut empor,


Einend uns mit Eurem Reigen,


Und mit Eurem Freudenchor!

2. Der Triton.

Vom Bänd'gen wilder Rosseschar,


Deren Wut die Woge hebt,


Wo vor unserm Wink sogar


Selbst des Ozeans Schlange bebt;


Wo, wenn Hai- und Walfisch streiten,


Unser Muschelhorn erklingt,


Wo wir Grabesglocken läuten,


Wenn der Seemann untersinkt.


Kinder Thules! dorther zogen


Wir zu Eurem Lustverein,


Unser Zug schnitt in die Wogen


Pfluggleich tiefe Furchen ein!

3. Das Meermädchen und die Tritonen

Eure Jubeltöne klingen,


Bis in unsre dunkle Nacht.


Denn der Wonne Klänge dringen


Selbst durch wilde Wogenmacht.


Ob wir in der Tiefe schweben,


Ist doch Freude unser Ziel,


Euren Frohsinn zu beleben,


Sind wir hier mit Sang und Spiel.


Kinder Thules, seht, wir steigen


Aus der Meeresnacht empor,


Einen uns mit Euren Reigen


Und mit Eurem Freudenchor!

Der Schlußchor wurde von sämtlichen Tänzern gesungen, diejenigen ausgenommen, die Muschelhörner bliesen. Dichtung sowohl als Vortrag fand bei allen, die von solchen Dingen Kenner zu sein glaubten, großen Beifall, vor allem aber bei Triptolemus Yellowley, dessen Ohr seine Lieblingsworte »Pflug und Furche« aufgefangen hatte und bei seiner Voreingenommenheit nur nach ihrer buchstäblichen Bedeutung begreifen konnte. Er erklärte daher laut und rief Mordaunt zum Zeugen: daß, obgleich es Sünde sei, so viel Flachs in Bärten und Perücken zu verschwenden, dieser Gesang dennoch die einzigen vernünftigen Worte enthalte, die er den ganzen langen Tag über gehört habe.

Mordaunt aber hatte keine Zeit, dieser Aufforderung Genüge zu leisten, denn er war beschäftigt, mit größter Aufmerksamkeit die Bewegungen einer der weiblichen Masken zu beobachten, die ihm beim Eintritt ein Zeichen gegeben, und obgleich er nicht wußte, wer sie sein könnte, war er sich doch sofort klar, daß er eine Mitteilung von Wichtigkeit von ihr zu erwarten hatte. Die Sirene, die seinen Arm berührt und ihn dabei scharf angesehen hatte, war mit weit größerer Sorgfalt als alle übrigen gekleidet und in einen weiten, ihre Gestalt völlig verbergenden Mantel gehüllt, ihr Gesicht aber durch eine seidene Larve bedeckt. Mordaunt bemerkte, wie sie sich nach und nach von den übrigen Masken absonderte und endlich, gleichsam um Luft zu schöpfen, an die offenstehende Türe trat, dort wieder ernst auf ihn blickte und dann, in einem Augenblick, wo die ganze Aufmerkfamkeit der Gesellschaft mit den übrigen Masken beschäftigt war, schnell das Gemach verließ.

Mordaunt säumte nicht, seiner geheimnisvollen Führerin zu folgen, die jetzt einen Augenblick lang still stand, um ihn den Weg, den sie nahm, erkennen zu lassen, dann schnellen Schrittes dem Seearm zueilte, der jetzt vor ihnen lag, und dessen kleine Sammetwellen im vollen Mondschein kräuselnd plätscherten. Der Glanz desselben, vereint mit dem starken, in der Tag- und Nachtgleiche des Sommers in diesen Regionen gewöhnlichen Zwielicht, ließ die Abwesenheit der Sonne nicht vermissen, deren Untergang auf den Wellen noch sichtbar war, während gegen Osten der Morgen schon zu dämmern begann.

Mordaunt fand daher keine Schwierigkeit, seine verkleidete Führerin im Auge zu behalten, die leichten Fußes über Höhen und Tiefen voraneilte und, sich zwischen den Felsen durchwindend, den Weg nach einem einsamen Plätzchen einschlug, das, zur Zeit seines frühern Verkehrs auf Burgh-Westra, durch ihn selbst angelegt worden und von den Töchtern Magnus Troils bei günstiger Witterung gern als Aufenthalt benutzt wurde. Hier also sollte die Erklärung stattfinden; denn die Maske hemmte ihre Schritte und ließ sich nach kurzem Zögern hier nieder.

Anfangs hatte er unter der Maske Norna vermutet, aber die hohe Gestalt und ihr langsamer majestätischer Gang waren von dem Wuchs und Wesen der schöner geformten Sirene völlig verschieden, die ihm mit so leichten Schritten vorangeeilt war, als sei sie tatsächlich eine Nereide, die zu lange auf dem Lande verweilt hatte und, jetzt Amphitritens Unwillen fürchtend, eilig in die Fluten zurückzukehren bemüht war. Da es nicht Norna war, konnte es, so dachte er, niemand anders als Brenda sein; und als sie Platz genommen und ihr Gesicht von der Larve befreit hatte, sah er, daß es wirklich Brenda war. Mordaunt hatte wahrlich nichts verbrochen, weshalb er ihre Gegenwart zu fürchten gehabt hätte, und dennoch, so stark ist der Einfluß der Schamhaftigkeit auf die unverdorbene Jugend beider Geschlechter, fühlte er jetzt ganz die Verlegenheit eines Menschen, der sich plötzlich vor einer, von ihm wirklich gekränkten Person befindet. Brenda zeigte nicht weniger Verwirrung. Da sie aber diese Zusammenkunft veranlaßt und die Ueberzeugung hatte, daß sie nur von kurzer Dauer sein konnte, war sie selbst wider Willen genötigt, die Unterredung zu beginnen.

»Mordaunt,« begann sie zaudernd, »Sie werden erstaunt sein, Herr Mertoun! daß ich mir diese ungewöhnliche Freiheit genommen.«

Erst seit heute morgen, Brenda,« erwiderte Mordaunt, »konnte irgend ein Beweis von Freundschaft und Vertraulichkeit, von Dir oder Deiner Schwester, mir seltsam erscheinen. Weit mehr war ich darüber verwundert, von Dir ohne Grund so lange gemieden zu werden, als daß es mich in Erstaunen setzen könnte, wenn Du mir jetzt eine Unterredung erlaubst. Sprich, in des Himmels Namen, Brenda, womit habe ich Dich beleidigt, und weshalb stehen wir auf diesem ungewöhnlichen Fuße?«

»Reicht es denn nicht hin,« antwortete Brenda, vor sich niederblickend, »wenn ich sage, daß es mein Vater so will.«

»Nein, nein,« rief Mertoun, »das reicht nicht hin – Dein Vater kann nicht so plötzlich seine Meinung von mir und sein Betragen gegen mich, ohne irgend eine schreckliche Täuschung geändert haben. Ich beschwöre Dich, mir darüber Aufschluß zu geben, denn ich will in Eurer Achtung weniger gelten als der elendste Bursche auf diesen Inseln, wenn ich nicht beweise, daß dieser Wandel Eurer Meinung nur durch irgend einen schändlichen Betrug oder durch ein außerordentliches Mißverständnis veranlaßt wurde.«

»Es mag so sein,« sagte Brenda – »ja, ich hoffe, daß dem so ist – und daß ich es hoffe, möge diese, von mir veranlaßte, geheime Zusammenkunft beweisen. Aber es ist schwer, – ja es ist mir unmöglich, die Ursache der schlimmen Meinung meines Vaters aufzuklären. Norna hat darüber kühn mit ihm gesprochen; sie gingen, wie ich fürchte, unzufrieden auseinander, und dazu konnte wahrlich den Anlaß nicht eine unbedeutende Ursache geben.«

»Ich habe bemerkt,« entgegnete Mordaunt, »daß Dein Vater ungemein viel auf Nornas Rat hält, und nachgiebiger gegen ihre Eigenheiten als gegen die anderer ist. – Ich habe es bemerkt, obgleich er den übernatürlichen Kräften, die sie sich anmaßt, eben keinen Glauben beimißt.«

»Sie sind weitläufig verwandt,« antwortete Brenda, »und waren Jugendfreunde, – ja man hat sogar, wie ich gehört habe, gemeint, daß sie einander heiraten würden. Aber Nornas Sonderbarkeiten zeigten sich gleich nach dem Tode ihres Vaters; und so war die Sache zu Ende, wenn wirklich etwas dran war. Gewiß aber ist es, daß mein Vater noch immer große Sympathie für sie hegt; und so ist es, wie ich fürchte, ein sicheres Zeichen, wie tief seine Vorurteile gegen Dich eingewurzelt sein müssen, daß sie in dieser Rücksicht gewissermaßen in Streit geraten sind.«

»Segen über Dich, Brenda, daß Du selbst sie Vorurteile nanntest, « rief Mertoun mit Wärme und Innigkeit – »Tausendfacher Segen über Dich!« – stets hattest Du ein sanftes Herz, und selbst den Schein der Unfreundlichkeit konntest Du nicht lange zur Schau tragen.«

»Nur ein Schein war es in der Tat,« sagte Brenda, nach und nach in den Ton der Vertraulichkeit übergehend, in dem sie sich von Kindheit an zu unterhalten gewohnt waren; »nie konnte ich denken, Mordaunt – nie ernstlich glauben, daß Du von mir oder von Minna unfreundlich gesprochen.«

»Und wer wagt es, zu behaupten, daß ich es getan?« rief Mordaunt, der ganzen Lebhaftigkeit seines Charakters Raum gebend; »wer wagt es, ohne zu fürchten, daß ich ihm die Zunge ausreiße? Beim heiligen Magnus, dem Märtyrer, ich will die Habichte damit füttern!«

»Nicht so,« entgegnete Brenda, »Deine Heftigkeit ängstigt mich und wird mich zwingen, Dich zu verlassen.«

»Mich verlassen,« erwiderte Mordaunt, »ohne mir die Lästerung und den Namen des schändlichen Verleumders zu nennen?«

»Ach, mehrere sind's,« sagte Brenda, »die meinem Vater eine Meinung beigebracht haben – von der ich selbst Dir nichts sagen kann – aber mehr als einer behauptet« –

»Und wären ihrer hundert, Brenda, es soll ihnen sämtlich geschehen, wie ich gesagt – heiliger Märtyrer! mich anzuklagen, daß ich unfreundlich von denjenigen gesprochen hätte, die ich auf der Erde am meisten achte und schätze. – Zurück ins Haus will ich in diesem Augenblick, und Dein Vater soll mir vor aller Welt Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Geh nicht, um des Himmels willen, geh nicht!« sagte Brenda, »willst Du mich nicht zu dem elendsten Geschöpf auf dieser Welt machen.«

»So sage mir wenigstens,« antwortete Mordaunt, »ob ich recht rate, wenn ich diesen Cleveland als einen jener Menschen nenne, die mich verleumdeten?«

»Nein, nein!« rief Brenda lebhaft, »Du rennst von einem Irrtum in einen andern, noch gefährlichern; Du sagst, Du seist mein Freund; – auch ich bin bereit, Deine Freundin zu sein: – sei nur einen Augenblick ruhig, und höre, was ich Dir zu sagen habe; – unsere Unterredung hat schon zu lange gewährt, und jeder neue Moment bringt neue Gefahr.«

»So sage mir denn,« sprach Mordaunt, dessen Hitze sich durch die Angst und den Kummer des Mädchens abkühlte, »was verlangst Du von mir? Sei überzeugt, daß Du nichts fordern kannst, was ich nicht nach allen meinen Kräften zu erfüllen bereit wäre.«

»Höre also – der Kapitän, dieser Cleveland« –

»Also der, beim Himmel, dacht' ich's doch!« rief Mordaunt, »eine Stimme in meinem Innern rief mir zu, daß dieser Elende, auf eine oder die andere Weise, die Ursache aller dieser Mißverständnisse sei!«

»Wenn Du nicht auf einen Augenblick ruhig und geduldig sein kannst,« erwiderte Brenda, »so muß ich Dich auf der Stelle verlassen; – was ich sagen wollte, hat keinen Bezug auf Dich – aber auf jemand anders – mit einem Wort, auf meine Schwester Minna. – Ueber ihre Abneigung gegen Dich habe ich nichts zu sagen, aber von den Aufmerksamkeiten, die er ihr bezeigt, muß ich eine ängstliche Geschichte erzählen.«

»Diese Aufmerksamkeiten springen in die Augen,« sagte Mordaunt, »und wenn meine Augen mich nicht trügen, sind sie auch willkommen, wenn sie nicht etwa gar erwidert werden.«

»Das ist eben die Ursache meiner Angst,« antwortete Brenda; »auch auf mich hatten das Aeußere, das offene Wesen und die romantische Unterhaltung dieses Mannes Eindruck gemacht.«

»Sein Aeußeres!« fiel Mordaunt ein; »zwar ist er wohlgebaut und seine Gesichtszüge sind wohlgestaltet; aber, Mädchen, ich habe schönere Gesichter auf Borough-Moor hängen sehen. Nach seinem Benehmen mag er Kapitän eines Freibeuters, und seiner Unterredung nach, der Trompeter seines eigenen Puppenspiels sein; denn er spricht fast von nichts anderm als von seinen eigenen Taten.«

»Du irrst,« erwiderte Brenda; »nur zu gut erzählt er von dem, was er gesehen und erfahren hat; überdies war er wirklich in vielen fernen Ländern und bei mancher kühnen Tat, und er weiß davon mit eben so vielem Geiste, als großer Bescheidenheit zu sprechen. Man glaubt den Blitz zu sehen und den Donner der Kanonen zu hören. Auch versteht er noch von andern Dingen zu reden: von den herrlichen Früchten und Bäumen anderer Gegenden, und wie die Menschen dort das ganze Jahr hindurch eine Kleidung tragen, kaum halb so warm als unsre Sommertrachten.«

»Auf mein Wort, er versteht die Kunst, junge Mädchen zu unterhalten,« erwiderte Mordaunt.

»Allerdings,« sagte Brenda mit großer Schlichtheit; »anfangs, glaube es mir, gefiel er mir besser als meiner Schwester; aber wenn sie auch weit klüger ist als ich, habe ich dagegen mehr Welterfahrung als sie; denn ich habe mehrere Städte gesehen, einmal schon war ich in Kirckwall und dreimal in Lerwick, als die holländischen Schiffe dort vor Anker lagen – und so irre ich mich nicht so leicht in Menschen.«

»Und was, Brenda,« fragte Mordaunt, »ließ Dich denn weniger vorteilhaft von dem jungen Manne denken, dessen Wesen so einnehmend schien?«

»Ei,« entgegnete Brenda nach kurzem Besinnen, »er war sonst munterer, und seine Erzählungen nicht so schwermütig und schrecklich; auch lachte und tanzte er mehr.«

»Und tanzte wohl damals mehr mit Brenda als mit ihrer Schwester?« fügte Mordaunt hinzu.

»Das weiß ich nicht mehr so recht,« sagte Brenda ausweichend, »aber die Wahrheit zu sagen, ich hatte keinen Argwohn gegen ihn, so lange er uns beiden gleiche Aufmerksamkeiten bewies, denn damals konnte er uns nicht mehr sein als Du, Mordaunt, oder der junge Swaraster oder sonst irgend ein junger Mann auf der Insel.«

»Aber warum,« fragte Mordaunt, »kannst Du denn nicht geduldig ihn in ein näheres Verhältnis mit Deiner Schwester treten sehen? – Er ist reich, oder scheint es wenigstens zu sein. Du sagst, er sei gebildet und angenehm; was kannst Du von einem Liebhaber Minnas mehr verlangen?«

»Mordaunt, Du vergißt, wer wir sind!« sprach das Mädchen, sich ein Ansehen von Wichtigkeit gebend, das ihrem einfachen Wesen ebenso lieblich stand, wie der Ton, in dem sie bisher gesprochen; »dieses Shetland hier ist unsre eigne kleine Welt, vielleicht, wenigstens wie die Fremden behaupten, kleiner als andere Teile der Erde, aber es ist unsre eigene Welt; und wir, die Töchter von Magnus Troil, behaupten den ersten Rang darin. Schlecht nur stünde es uns, meiner Meinung nach, wollten wir uns, die wir von Seekönigen und Jarls abstammen, an den ersten besten Fremden wegwerfen, der, dem Eidervogel gleich, im Frühling an unsere Küste fliegt und sie im Herbst wieder verläßt, ohne daß wir wissen, von woher er gezogen kam, noch wohin er seinen Weg wieder genommen.«

»Und dennoch vielleicht einen shetländischen Goldvogel mit hinweglockt,« fügte Mordaunt hinzu.

»Ich will keinen Scherz über solche Dinge,« antwortete Brenda unwillig, »Minna ist, wie ich, die Tochter von Magnus Troil, dem Beschützer der Fremden, aber dem Vater von Hialtland. Er spendet ihnen die Gastfreiheit, deren sie bedürfen, aber selbst der stolzeste von ihnen mag sich nicht einbilden, daß es ihm gelingen würde, sich mit Troils Hause zu verbinden.«

Sie sprach dies in einem ungemein lebhaften Tone, den sie indes sogleich milderte, als sie fortfuhr: »Nein, Mordaunt, glaube nicht, daß Minna fähig wäre, das, was sie ihrem Vater und dem Blute desselben schuldig ist, so weit zu vergessen, daß sie auch nur dächte, sich mit diesem Cleveland zu vermählen – aber sie könnte ihm vielleicht ihr Ohr so lange leihen, als hinreichend wäre, ihr künftiges Glück zu zertrümmern. Ihr Gemüt ist von der Art, daß gewisse Gefühle tief in dasselbe eindringen. – Erinnere Dich, wie Ulla Storlson Tag für Tag den Gipfel vom Voßdale-Head bestieg, um nach dem Schiff ihres Geliebten auszuschauen, das nimmer wiederkehren sollte. Wenn ich an ihre langsamen Schritte denke, an ihre bleiche Wange, an ihr Auge, das, einer Lampe gleich, der es an Oel gebricht, immer mehr und mehr erlosch – wenn ich mich erinnere, mit welchen Blicken voll flüchtiger Hoffnung sie jeden Morgen die Klippe hinanstieg, und wie sich tiefe Verzweiflung auf ihrer Stirn gelagert hatte, wenn sie heimkehrte – wenn ich an alles dieses denke, kann es Dich wundern, wenn ich für Minna fürchte, deren Herz geschaffen ist, mit einer ähnlichen, tief eingewurzelten Treue eine Liebe zu nähren, die hineingepflanzt werden möchte?«

»Ich wundere mich nicht länger,« rief Mordaunt, an der Angst des armen Mädchens innigen Anteil nehmend; denn außer dem Zittern ihrer Stimme ließ ihn auch das Dämmerlicht eine Träne erblicken, die ihrem Auge entperlte, als sie jenes Bild entwarf, in dem ihre Phantasie das zukünftige Schicksal ihrer Schwester zeigte. »Ich wundere mich nicht, daß Du fühlst und fürchtest, wie es Dir die reinste Zuneigung gebietet, und wenn Du mir nur anzugeben vermagst, wie und auf welche Weise ich Deiner Schwesterliebe zu dienen vermag, so sollst Du mich bereit finden, mein Leben, wenn es not tut, eben so leicht daran zu wagen, als ich bereitwillig war, die Klippe zu erklimmen, um für Euch die Eier der Seevögel heranzuholen; und glaube mir, was auch immer Deinem Vater oder euch beiden, gesagt worden, daß auch nur der geringste Gedanke von Nichtachtung und Unfreundlichkeit in Rücksicht auf Euch bei mir geherrscht habe, ist falsch, falsch wie der Böse es nur ersinnen konnte.«

»Ich glaube Dir,« sagte Brenda und reichte ihm ihre Hand; »ich glaube Dir, und meine Brust ist leichter, jetzt, da sich mein Vertrauen zu einem so vieljährigen Freunde erneuert hat; wie Du uns helfen kannst, weiß ich nicht; aber auf den Rat Nornas, ja ich kann wohl sagen, auf ihr Gebot, war es, daß ich diese Mitteilung gewagt habe; und ich wundere mich fast selbst,« fuhr sie fort, »daß ich den Mut dazu gefunden. Du weißt nun alles, was ich Dir von der Gefahr, in der Minna schwebt, zu erzählen vermag. Beobachte diesen Cleveland – aber hüte Dich vor Streit mit ihm, denn gegen ihn, den erfahrenen Krieger, würdest Du unfehlbar den kürzeren ziehen.«

»Daß dies ausgemacht sei, will mir nicht einleuchten,« rief der Jüngling. »Mit gesunden Gliedern, einem Herzen voll Mut, den mir Gott verliehen, und in einer guten Sache obendrein, fürchte ich mich vor keinem Streite, den Cleveland mit mir anfangen könnte.«

»Wenn also nicht um Deinetwillen,« erwiderte Brenda, »doch um Minnas Wohl – meines Vaters und meinetwegen, vermeide jeden Zwist mit ihm und begnüge Dich damit, ihn zu beobachten und womöglich zu erforschen, wer er eigentlich ist, und was seine Absichten gegen uns sein mögen. Er sprach davon, sich nach den Orkney-Inseln begeben zu wollen, um sich nach seinem zweiten Schiffe umzusehen, aber Tage vergehen und Wochen, und noch immer macht er keine Anstalt zu seiner Abreise, und während er meinem Väter bei der Flasche Gesellschaft leistet und Minna mit romantischen Geschichten von fremden Völkern und fernen Kriegen in wilden unbekannten Gegenden unterhält, eilt die Zeit hin, und der Fremde, von dem wir nichts wissen, als daß er ein Fremder ist, schließt sich nach und nach immer vertraulicher und enger unserm Kreise an. – Und nun Lebewohl! Norna hofft den Frieden zwischen meinem Vater und Dir zustande zu bringen, und wünscht, Du solltest Burgh-Westra morgen noch nicht verlassen, wie kalt auch immer mein Vater und Minna gegen Dich sich verhalten mögen. Auch ich,« fuhr sie fort, ihm ihre Hand hinreichend, »darf dem unwillkommenen Gaste nur ein kaltes Gesicht zeigen; aber im Herzen sind wir einander immer Freund, Brenda und Mordaunt. Und nun trennen wir uns, denn wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«

Noch einmal bot sie ihm ihre Hand, schnell aber zog sie diese lächelnd und errötend mit einiger Verwirrung zurück, als der Jüngling von einem natürlichen Gefühl hingezogen ward, sie an seine Lippen zu drücken. Einen Augenblick lang bemühte er sich, sie zurückzuhalten, denn diese Zusammenkunft hatte für ihn einen großen Zauber, den er früher, so oft er auch schon mit Brenda allein gewesen, noch nie empfand; aber sie machte sich von ihm los, und indem sie ihm noch ein Lebewohl zuwinkte, bezeichnete sie ihm einen andern Pfad als den, den sie einzuschlagen im Begriff stand, und dem Hause zueilend, verschwand sie hinter den Anhöhen.

Mordaunt blickte ihr in einem ihm bis jetzt fremd gebliebenen Seelenzustande nach: die zweifelhafte neutrale Straße zwischen Liebe und Freundschaft mag jemand lange in Sicherheit wandeln, bis jählings die Aufforderung, die Oberherrschaft der einen oder der andern Macht anzuerkennen, an ihn herantritt. Da trifft es sich denn nicht selten, daß, wer sich jahrelang für einen bloßen Freund gehalten, sich jählings in einen Liebhaber umgewandelt sieht. – Daß sich eine solche Wendung von diesem Tage an in Mordaunts Gefühlen vollzog, wenn er auch ihre Natur nicht genau unterscheiden konnte, ließ sich erwarten. Er sah sich plötzlich mit argloser Offenheit von einem liebenswürdigen und reizenden Mädchen ins Vertrauen gezogen, von dem er sich noch vor kurzer Zeit verachtet und zurückgesetzt glaubte; und wenn etwas diesen an sich selbst schon so wunderbaren und erfreulichen Wandel noch berauschender machen konnte, so war es die harmlose Schlichtheit Brendas, die über alles, was sie sagte und tat, einen unwiderstehlichen Zauber verbreitete. Auch der Schauplatz, auf welchem sich die Handlung abspielte, mochte seine Wirkung geäußert haben, obgleich es seiner Hilfe eigentlich nicht bedurfte. Immerhin nimmt ein liebliches Gesicht sich im Schimmer des Mondes noch lieblicher aus, und eine süße Stimme klingt in dem Raunen und Lispeln einer Sommernacht noch süßer. Mordaunt, der unterdessen ins Haus zurückgekehrt war, befand sich demnach in der schicklichen Stimmung, mit ungewöhnlicher Geduld und Gefälligkeit einer enthusiastischen Deklamation, wie Claud Halcro, dessen Feuer für diesen Gegenstand, durch einen kurzen Gang in freier Luft – zu dem Zweck unternommen, Alkoholdunst, der sein Hirn umnebelte, verdunsten zu lassen – geweckt worden war, sie jetzt an den Mond richtete, mit aufmerksamem Ohr zu lauschen.

»Die Sonne, mein Sohn!« sprach er, »ist jedes armseligen Taglöhners Taglaterne, – da steigt sie glänzend im Osten auf, um eine ganze Welt zur Arbeit und zum Elende zu wecken, während der heitere Mond zur Freude und Liebe winkt.«

»Und zur Narrheit, sofern man ihn nicht verleumdet,« entgegnete Mordaunt, um doch etwas zu sagen.

»Mag sein,« erwiderte Halcro, »treibt er doch nicht zur melancholischen Narrheit. Die Bewohner dieser mühseligen Welt, junger Freund, sind viel zu ängstlich bemüht, ihr bißchen Verstand zusammenzuhalten. Oft bin ich ein Simpel genannt worden, und bin doch durch die Welt gekommen, als hätte ich doppelt soviel Verstand gehabt. Aber – halt, wo blieb ich denn? ja, ja, ganz recht, beim Monde, – er ist die wahre Seele der Liebe und der Poesie. Ich frage: mag es wohl je einen Verliebten gegeben haben, der nicht in einem Sonnett sein: »O, Du!« zu seinem Lobe ertönen ließ?«

»Der Mond,« nahm der Verwalter, dessen Junge nachgerade auch zu lallen anfing, das Wort, »reift das Korn, wie die alten Leute sagen, auch füllt er die Nüsse, was aber von geringerer Bedeutung ist – sparge nuces, pueri

»Bravo, bravo,« rief Magnus Troil, der jetzt sein volles Maß hatte, »der Verwalter spricht Griechisch! Bei den Gebeinen meines heiligen Namensvetters St. Magnus, er soll unsre Schaluppe voll Punsch ganz allein leeren, wenn er uns nicht gleich auf der Stelle ein Lied zum besten gibt.«

»Zuviel Wasser tut dem Müller Schaden,« antwortete Triptolemus, »mein Gehirn bedarf des Austrocknens weit eher als einer noch größeren Zufuhr geistiger Getränke.«

»So singt denn,« rief der Hauswirt in gebietender Weise, »denn hier darf niemand eine andre Sprache reden, als ehrlich Norwegisch, lustig Holländisch oder Dänisch, oder wenn es nicht anders sein kann, allenfalls breit Schottisch. Also die Schaluppe her, Erik Scambester, und fülle sie bis zum Rande, als Ersatz für den Aufschub!«

Aber bevor das Schiffchen den Ackerbauer erreichen konnte, der es unterwegs und in kurzen Wendungen auf sich los lavieren sah, (denn auch Scambester steuerte bereits nicht mehr in gerader Richtung), machte dieser den verzweiflungsvollen Versuch, ein Yorkshirer Erntelied zu singen oder vielmehr zu krähen, das sein Vater hin und wieder, wenn er ein wenig angetrunken war, anzustimmen pflegte; die klägliche Miene des Sängers und die Mißtöne seiner Stimme bildeten zu der Fröhlichkeit der Worte und der Melodie einen so großartigen Kontrast, daß der ehrliche Triptolemus seinen Zuhörern fast den gleichen Spaß gewährte, wie ein lustiger Kopf, wenn er an irgend einem Jubeltage im Sonntagskleide seines Großvaters erscheinen wollte. Dieser Scherz beschloß den Abend, denn selbst der rüstige Magnus, der viel vertragen konnte, unterlag der Macht des Schlummergottes. Die Gäste Zogen sich zurück, so gut sie konnten, jeder in die für ihn bestimmte Schlafstelle, und nach kurzer Zeit ruhte das Herrenhaus von Burgh-Westra, noch vor wenigen Augenblicken der Schauplatz lärmenden Jubels, in tiefster Stille.

Siebzehntes Kapitel

Gewöhnlich mangelt dem Morgen nach einer Festlichkeit, wie wir sie soeben beschrieben haben, etwas von der Würze, die den Jubel des verwichenen Abschieds erhöhte. In den sogenannten feinen Zirkeln werden diese langsam hinschleichenden Momente von den Gästen gemeinhin auf ihren Zimmern verlebt. Daß auf Burgh-Westra keine solche Verkehrspause stattfand; daß vielmehr schon drei Stunden, nachdem man auseinandergegangen war, die Mädchen mit ihren etwas bleichern Wangen, der ältere Teil der weiblichen Gesellschaft aber gähnend und sich die Augen reibend, aufgefordert wurden, sich wieder in den Kreis der Manner zu mischen, die sämtlich etwas wie einen Brummschädel sich geholt hatten, wird man uns wohl ohne besondere Versicherung glauben.

Erik Scambester hatte alles getan, was nur ein Mann tun konnte, die Langeweile des Morgenmahls zu verscheuchen. Die Tafel seufzte fast unter der Last des nach shetländischer Weise zubereiteten Rauchfleisches, – zu dem sich Pasteten und allerhand Gebackenes, desgleichen Fische, auf jede erdenkliche Art zugerichtet, gesellten; ja selbst an ausländischen Delikatessen, wie Tee, Kaffee, Schokolade fehlte es nicht; denn durch ihre Lage waren die Inseln, wie wir bereits anderswo erwähnten, frühzeitig mit allerhand fremden Luxusartikeln bekannt geworden, von denen man damals kaum in Schottland etwas wußte. Auch an allerhand geistigen Getränken herrschte kein Mangel: Da war der starke irländische Usquebaugh, der echte Nautz, veritabler Schiedam, Aquavit von Chaitneß und Goldwasser von Danzig; Rum von ehrwürdigem Alter, nebst Herzstärkungen von den westindischen Inseln, des selbstgebrauten Ale, der deutschen Mumme und des Braunbiers gar nicht zu erwähnen.

Daß aber der Anblick all dieser guten Dinge den Appetit der ermüdeten Gäste reizte und ihren Geist auffrischte, wird kaum als Wunder gelten.

Die jungen Männer begannen sogleich ihre Gefährtinnen vom vorigen Abend aufzusuchen und die leichte Unterhaltung wieder aufzunehmen, bei welcher die Nacht so schnell geschwunden war; während Magnus von seinen rüstigen alten norwegischen Verwandten unterstützt, den ältern und ernstern Teil der Gäste durch Wort und Beispiel aufforderte, mit all den guten Dingen, die vor ihnen die Tafel füllten, gehörig aufzuräumen und selbst mit dem besten Beispiel voranging. Aber trotz allem blieb bis zum Mittagessen noch eine große Zeitspanne, denn selbst das längste Frühstück kann doch nicht gut länger als eine Stunde währen, und es war zu befürchten, daß Claud Halcro bemüht sein möchte, die Leere des Vormittags mit einem poetischen Vortrage auszufüllen. Der Zufall befreite jedoch die Gäste von Burgh-Westra von dieser drohenden Gefahr, indem er ihnen einen Stoff zu ihrer Unterhaltung sandte, völlig für ihren Geschmack und ihre Sitten geeignet. Mit Eilschritten nämlich und funkelnden Augen schien jetzt Erik Scambester, mit einer Harpune in der Hand, und verkündete der Gesellschaft, daß ein Walfisch am Ufer sei. Allgemeiner Jubel erschallte, und im Nu waren die mutigen Söhne von Thule auf den Beinen, dem Ungeheuer, das ihnen die See zu so gelegner Zeit Zur Unterhaltung gesandt hatte, »den Wind abzufangen.«

Die zahlreichen Vorratskammern von Burgh-Westra wurden eilig nach Harpunen, Säbeln, Piken und Hellebarden durchwühlt; andere mußten sich mit Heugabeln, Spießen oder was sonst an spitzen und scharfen Dingen vorhanden war, begnügen. So in aller Schnelligkeit bewaffnet, eilte eine Schar unter dem Befehl des Kapitäns Cleveland, die in dem kleinen Hafen liegenden Boote zu bemannen, während die übrigen zu Lande nach dem Kriegsschauplatz strömten.

Triptolemus wurde hierdurch in einem Angriffsplane unterbrochen, den auch er auf die Geduld der Shetländer entworfen hatte, und der in einer Vorlesung über Ackerbau und die Bodenbeschaffenheit der Inseln bestehen sollte: daß er nur sehr geringen Anteil an der Lustbarkeit nahm, die seinen gelehrten Vortrag so plötzlich störte, wird man sich denken können, und er hätte sich selbst nicht einmal dazu verstanden, dem Vorgänge zuzuschauen, wäre er nicht dazu von seiner Schwester Baby angetrieben worden.

»Ei, so troll Dich doch, Faulpelz!« rief die alle Vorteile berechnende Person, – »wer weiß, ob das Fett nicht frisch ganz gut schmeckt, und ob man so nicht die Butter sparen kann?«

Ob die Aussicht, frischen Walfischtran statt Butter zu genießen, den Eifer des gelehrten Triptolemus spornte, wissen wir nicht; da es nun aber einmal nicht anders sein konnte, schwang er seine ländliche Waffe und schritt dem Ufer zu, um auch an dem Kampfe mit dem Walfische teilzunehmen.

Die Lage, in die sein Mißgeschick den ungetümen Herrn gebracht, war für das Unternehmen der Inselbewohner vorzüglich günstig. Eine Flut von ungewöhnlicher Höhe hatte den Wal über eine breite Sandbank in die Bucht getragen, in der er jetzt lag. So wie das Wasser flacher zu werden begann, hatte er allerhand verzweiflungsvolle Experimente gemacht, über die seichte Stelle hinweg tieferes Wasser zu gewinnen; aber seine Lage war durch dieses Bemühen eher schlimmer als besser geworden. In diesem Augenblick nahte sich ihm der Feind. Die ersten Glieder bestanden aus den jungen, kühnen, auf mannigfaltige Weise bewaffneten Männern, während, ihren kühnen Mut anzuspornen, die jungen Mädchen und ältern Personen beider Geschlechter ihre Plätze zwischen den Felsen nahmen, die über den »Kriegsschauplatz« hinaushingen.

Da die Boote ein kleines Vorgebirge zu umschiffen hatten, bevor sie an die Mündung der Bucht herankommen konnten, lag denen, die zu Lande marschierten, die Aufgabe ob, Stärke und Lage des Feindes, dem man zugleich zur See und zu Lande an den Leib gehen wollte, zu rekognoszieren.

Dieses Amt wollte der mutige, erfahrene General keinem andern überlassen; auch machten ihn äußere Erscheinung und Klugheit zu diesem Ehrenposten vorzüglich geeignet. Statt des goldumtreßten Hutes trug er jetzt eine Mütze von Bärenfell, den blauen Rock, mit rotem Futter und Borden und Troddeln besetzt, hatte er mit einem Wams aus rotem Flanell, an dem sich Knöpfe von schwarzem Horn befanden, vertauscht; darüber trug er eine Art Hemd aus Seehundsfellen, wie sie bei den Eskimos, und zuweilen auch bei den grönländischen Walfischjägern gebräuchlich sind. Wasserstiefel von gewaltigem Umfange vollendeten seinen Anzug; ein mächtiges Walfischmesser schwang er in der Hand, und doch mußte er sich bei näherer Untersuchung sagen, daß die Jagd, zu der er seine Freunde geführt, in so großem Einklange sie auch mit dem Umfange seiner Gastfreiheit stehen mochte, dennoch leicht von besonderen Gefahren und Schwierigkeiten begleitet sein könne.

Das Tier, mehr als sechzig Fuß lang, hatte sich in eine Vertiefung der Bucht hineingewälzt, worin es die Rückkehr der Flut abzuwarten schien, die ihm wahrscheinlich sein Instinkt verbürgte. Erfahrene Haupunierer hielten einen Kriegsrat, worin beschlossen wurde, ihm ein Tau um den Schwanz zu befestigen, wodurch man hoffen durfte, seine Flucht, wenn die Flut eher wiederkehren sollte, als man mit ihm fertig geworden, zu verhindern. Drei Boote wurden zu diesem nicht eben leichten Stück Arbeit bestimmt; eins wollte der alte Udallar selbst befehligen, während Cleveland und Mertoun die beiden andern führen sollten. Alles eilte nun zum Strande, die Ankunft der Boote erwartend. Während dieser Pause hatte Triptolemus Yellowley den ungeheuren Umfang des Walfischs mit scharfem Auge taxiert ... Nach seiner Meinung, sagte er, könnte kein Gespann von sechs oder wenn man die kleinen Tiere dieser Insel nähme, von sechzig Ochsen solche gewaltige Masse ans Ufer ziehen.

So unbedeutend wie diese Betrachtung an sich erscheinen mag, lag doch etwas darin, was das Blut des alten Udallars in Bewegung setzte. Er warf einen jähzornigen Blick auf Triptolemus und fragte: »Was zum Teufel kommt's drauf an, und wenn hundert Ochsen das Tier nicht ans Land schaffen könnten?«

Herrn Yellowley gefiel freilich der Ton nicht, in welchem die Frage gestellt wurde; dennoch meinte er, es seiner Würde und seinem Nutzen schuldig zu sein, die folgende Antwort darauf zu geben: – »Ei, wißt Ihr doch ebensogut wie ich selbst, Herr Magnus Troil, und wie jedermann, der auch nur das Geringste von solchen Dingen versteht, daß ein Wal, den man mit sechs Ochsen nicht ans Land ziehen kann, ein Eigentum des Admirals wird? und daß diese Würde sich eben jetzt in den Händen jenes edlen Lords befindet, der auch zugleich Lord-Kämmerer dieser Inseln ist, dürftet Ihr wohl ebensogut wissen wie ich!«

»Und ich sage Euch, Herr Triptolemus Yellowley!« erwiderte der Udallar, – »wie ich es Eurem Herrn sagen würde, wenn er zur Stelle wäre, – daß jedermann, der sein Leben wagt, den Fisch ans Ufer zu bringen, gleichen Anteil bei der Teilung haben soll, wie es unsere alten und löblichen norwegischen Gebräuche wollen; ja selbst, wenn nur ein Weib das Tau berührt, soll es teil daran haben, und was mehr ist, ihr ungebornes Kind, wenn sie anders sich zu einem solchen bekennt.«

Dieser strenge Grundsatz von Unparteilichkeit verursachte unter den Männern ein lautes Gelächter, unter den Weibern leichte Verlegenheit. Der Verwalter hielt es aber unvereinbar mit seiner Würde, sich sogleich gefangen zu geben ...» Suum cuique tribuito, ich muß auf Mylords und meine eigenen Rechte sehen,« sagte er.

»So, müßt Ihr das?« entgegnete Magnus. »Nun denn, bei den Gebeinen des Märtyrers, hier soll kein anderes Teilungsgesetz gelten als das von Gott und St.Olav eingesetzte, das hier herrschte, lange bevor wir von Admiral, Kämmerer oder dergleichen zu hören bekamen. Jedermann soll teil haben, der Hand anlegt, sonst niemand! – Also auch Ihr, Herr Verwalter, sollt arbeiten wie andre, und Euch glücklich schätzen, mit den andern zu teilen . . . Hinein ins Boot mit Euch!« (denn die bemannten Boote hatten jetzt das Vorgebirge umschifft) – »und ihr, junge Burschen da vorn, macht Platz für den Verwalter, – er soll, beim Himmel, den ersten Speerwurf tun!«

Die laute gebieterische Stimme des alten Udallars litt keinen Widerspruch, und Triptolemus, obgleich ihm die Geschichte so jählings auf den Hals kam, sah ein, daß er sich werde fügen müssen; noch immer aber versuchte er mit einer Stimme, aus der man den durch Furcht gedämpften Verdruß heraushörte, die Sache ins Lächerliche zu ziehen, als ihm die Schwester ins Ohr tuschelte: – »Wie? Du willst den Anteil fahren lassen, da der lange shetländische Winter vor der Tür ist, wo der hellste Tag im Dezember nicht so klar ist als eine mondlose Nacht in den Mearns?«

Diese wirtschaftliche Weisheit, im Verein mit der Scheu vor der Gefahr, sich ins Licht eines Feiglings zu setzen, brachte den Ackerbauer in Hitze, so daß er seine Mistgabel schwang und mit einem Satze ins Boot sprang, an Neptun mit dem Dreizack erinnernd.

Die drei zu diesem gefährlichen Dienst bestimmten Boote, nahten sich jetzt der schwarzen Masse, die sich ohne jedes Lebenszeichen wie eine kleine Insel in einer Vertiefung der Bucht emporhob. Schweigend und mit aller Vorsicht, die das gefährliche Abenteuer forderte, gelang es den mutigen Jägern nach ein paar mißlungenen Versuchen, das Kabeltau um den Körper des noch immer betäubt scheinenden Ungeheuers zu schlingen und die Enden ans Ufer zu schaffen, wo hundert Hände bereit waren, dieselben in Sicherheit zu bringen. Aber noch ehe diese Arbeit vollbracht war, begann die Flut zu steigen, und der Udallar rief: »Ans Werk, ans Werk! sonst macht die Wassertiefe den Wal flott und führt ihn in offene See – der Verwalter soll die Ehre des ersten Wurfes haben.«

Der tapfere Triptolemus, dem die Geduld, mit der sich der Wal das Tau um den Schweif werfen ließ, keine sonderlich große Meinung von seiner Stärke und Gefährlichkeit beigebracht, erlaubte sich die Rede, »der Wicht besitze nicht mehr Griebs und wohl auch nicht mehr Behendigkeit als eine schwarze Ackerschnecke,« und meinte auf gar kein ferneres Angriffssignal warten zu sollen, sondern schleuderte seine Mistgabel mit aller Kraft nach dem unglücklichen Tier, von dem sich die Boote noch nicht so weit entfernt hatten, als zu ihrer Sicherheit nötig war.

Magnus Troil, der nur mit dem Verwalter gescherzt, aber die Absicht hatte, den ersten Wurf einer geschickten Hand anzuvertrauen, hatte kaum Zeit zu rufen: »Rührt euch, Jungens, oder wir werden alle fortgespült!« als das Ungeheuer, von dem Wurfe des Verwalters aus seiner Untätigkeit aufgejagt, mit einem Getöse ähnlich dem Geräusch einer Dampfmaschine einen gewaltigen Wasserstrom in die Luft blies und die Wellen mit seinem Schwanze zu peitschen begann. Das Boot, worin Magnus saß, wurde von einem Regenschauer von Seewasser überschüttet, und Triptolemus, der seinen vollen Anteil davon bekam, wurde von den Folgen seiner Heldentat so in Staunen und Schrecken versetzt, daß er rücklings unter die Füße der Bootsmannschaft purzelte. Mehrere Minuten lag er unter den Füßen seiner Gefährten, bis diese endlich ihre Ruder beilegten, um das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Hierauf gebot er ihnen, ans Land zu steuern und den unbedachten Menschen, der die ganze Jagd in solche zweifelhafte Bedingungen gestürzt, ans Land zu setzen.

Unterdes hatten die andern Boote sich in sichere Position gebracht, und von dort, so wie vom Lande aus, wurden nun auf den ungetümen Bewohner der Tiefe Wurfpfeile, Harpunen und Speere geschleudert, Gewehre abgeschossen und alle möglichen Mittel gebraucht, seine Kräfte in fruchtloser Wut zu erschöpfen. Sobald das Tier merkte, daß es von Untiefen eingeschlossen und das um seinen Körper geschlungene Tau ihn in seinen Bewegungen hemmte, sandte es Ströme über Ströme in die Luft, die aber bereits mit Blut gemischt waren und die Wellen hochrot zu färben begannen. Unterdes verdoppelten die Leute ihre Anstrengungen, dem in seiner Todesangst furchtbaren Ungetüme die tiefste Wunde beizubringen.

Der Kampf schien seinem Ende zu nahen; wohl machte das Tier noch wütende Versuche, sich zu befreien; doch seine Kräfte schienen schon so erschöpft, daß man hoffen durfte, es in Besitz zu bringen, da es auch mit Wahrnehmung der schon bedeutend gestiegenen Flut nicht mehr werde entkommen können. Magnus Troil gab nun das Signal, dem Walfisch zu Leibe zu gehen ... »Drauf nun, ihr Jungens,« rief er, »er ist schon zahm. – Und Ihr, Herr Verwalter, schaut Euch nach dem Wintervorrat für Eure Lampen in Hafra um! – Dichter heran, Bursche!«

Aber schon waren die beiden ersten Boote seinem Willen zuvorgekommen; und Mordaunt, von dem Verlangen beseelt, Cleveland zu übertreffen, hatte mit Aufwand aller Kraft einen Speer in den Körper des Wales gebohrt. Dieser aber, gleich einer Nation, deren Quellen durch allerhand Unglück erschöpft zu sein scheinen, raffte alle ihm übrige Kraft zu einer einzigen furchtbaren Anstrengung zusammen, sandte noch einen starken, mit Blut vermischten Strom in die Luft, sprengte das dicke Tau, das seinen Körper umschlungen hielt, wie einen Faden, warf mit einem Schlage seines Schweifes Mordaunts Boot um, schoß über die von der Flut nun hochbedeckte Sandbank und gewann, mit einem ganzen Walde von Speeren und Harpunen, eine blutige Spur hinter sich ziehend, die hohe See.

»Da geht Euer Oelkrug hin, Yellowley,« rief Magnus; »Ihr müßt nun Hammeltalg brennen oder im Dunkeln zu Bett gehen.«

»Aber wo ist denn Mordaunt?« fragte Halcro mit lauter Stimme; und alsbald sah man, daß der Jüngling, von dem umschlagenden Boote betäubt, nicht wie seine Gefährten das Ufer erreicht hatte, sondern bewegungslos in den Wellen trieb.

Wir haben des seltsamen, unmenschlichen Vorurteils schon Erwähnung getan, das die Shetländer abhielt, Menschen, die sich in Gefahr des Ertrinkens befanden, Beistand zu leisten. Drei Männer waren jedoch über diesen Aberglauben erhaben: Claud Halcro, der sich sogleich von einer niedrigen Klippe hinab in die Wellen stürzte, ohne – wie er späterhin versicherte – daran zu denken, daß er des Schwimmens unkundig sei, und der sich, als ihm dies einfiel, sogleich bemühte, die Klippe wiederzugewinnen, von der er herabgesprungen war, und herzlich froh war, nach einem einzigen Tauchversuch wieder auf trockenem Lande zu sein; – Magnus Troil, aus dessen redlichem Gemüt, als er die Gefahr des Jünglings bemerkte, aller Groll im Nu wich und der sich ebenfalls ins Wasser stürzen wollte, aber von Erich Scambester zurückgehalten wurde...

»Halt, Herr! – halt!« rief der treue Diener, »da hat ihn Kapitän Cleveland beim Kragen; laßt die beiden Fremden sich nur einander helfen, und wartet ruhig das Ende ab! Das Licht dieses Landes soll nicht in Gefahr kommen, für seinesgleichen zu verlöschen. Halt, Herr! sage ich, die See ist keine Punschbowle, aus der man einen Menschen, wie ein Stück geröstetes Brot, mit einem Löffel herausfischen kann.«

Diese Warnung wäre aber bei Magnus vergeblich gewesen, hätte er nicht bemerkt, daß Cleveland tatsächlich aus dem Boote gesprungen war und Mordaunt schon über Wasser hielt. Aber sowie die Gefahr vorüber war, erstarb auch des ehrlichen Udallars Trieb, Hilfe zu leisten; und sich der wirklichen oder vermeintlichen Ursache seiner Kälte gegen Mordaunt wieder erinnernd, machte er sich von seinem Kellermeister los, wandte sich unmutig von dem Ufer und schalt Erik einen alten Narren, daß er glauben könne, es läge ihm was daran, ob der junge Bursche niedersinke oder nicht.

Trotz dieser scheinbaren Gleichgültigkeit aber konnte Magnus doch nicht umhin, einen Blick über die Köpfe des Kreises zu werfen, der sich um Mordaunt, als er ans Ufer gebracht wurde, bildete, emsig bemüht, ihn wieder ins Leben zu rufen; und nicht eher vermochte er den Schein völliger Sorglosigkeit anzunehmen, als bis der Jüngling sich langsam wieder aufrichtete. Nun erst, nachdem er noch diejenigen, die dem Jüngling ein Glas Branntwein gereicht, ausgescholten hatte, schritt er mürrisch von dannen, als sei ihm das Schicksal desselben völlig gleichgültig.

Die Weiber, die wie immer bemüht waren, ihren Empfindungen Luft zu machen, aber auch diejenigen ihrer Genossinnen zu kontrollieren, sahen recht gut, daß Minna Troil bleich war wie der Tod und hörten recht gut, daß Brenda lautes Schreckensgeschrei ausstieß; aber wenn auch mancherlei Winke und Anspielungen fielen, daß alte Freunde nicht so leicht vergessen werden könnten, so herrschte doch allgemein die Meinung unter ihnen, daß weniger als solche Beweise von Teilnahme nicht zu erwarten gewesen seien angesichts der Lebensgefahr, in der sich der Gespiele ihrer Jugend befunden.

Aber auch ihre Teilnahme ließ nach, als sich Mordaunt zu erholen begann und sein Bewußtsein völlig wiedergewonnen hatte, so daß er, als er die Augen aufschlug, bloß Claud Halcro und ein paar andere Mitglieder der Gesellschaft um sich sah. Zehn Schritte von ihm stand Cleveland, Haar und Kleider durchnäßt, mit einem so seltsamen Ausdruck im Gesichte, daß Mordaunts Aufmerksamkeit auf der Stelle rege wurde. Sein Mund verzog sich zu einem unterdrückten Lächeln, und in seinen Augen lag ein stolzer Blick, der zugleich Freude über die Befreiung von einer drückenden Last und ein Gemisch von gesättigtem Haß zu verkünden schien. Claud Halcro unterließ nicht, Mordaunt zu sagen, daß er Cleveland sein Leben verdanke; worauf der Jüngling, alle andern Gefühle erstickend, aufsprang, auf seinen Retter zueilte und als Beweis seiner wärmsten Erkenntlichkeit die Hand ihm entgegenstreckte. Aber erstaunt blieb er stehen, als Cleveland, ein paar Schritte zurücktretend, die Arme übereinanderschlug und ihm seine Hand weigerte. Auch Mordaunt trat jetzt zurück und sah voll Verwunderung auf dieses unziemliche Benehmen und auf die fast beleidigenden Blicke, mit denen der Seemann, der bisher eher eine freimütige Herzlichkeit oder doch wenigstens ein offenes Wesen gezeigt hatte, jetzt, nachdem er ihm einen so wichtigen Dienst leistete, seinen Dank abweisen zu wollen schien.

»Es ist genug,« sagte Cleveland, Mordaunts Ueberraschung gewahrend, »und unnötig wäre es, mehr davon zu reden. Ich habe meine Schuld zurückgezahlt. Wir sind nun quitt.«

»Wir sind nicht quitt, Kapitän,« antwortete Mertoun, »Sie haben Ihr Leben gewagt, um das für mich zu tun, was ich für sie ohne Gefahr unternahm; außerdem«, fuhr er fort, gleichsam in der Absicht, dem Gespräch eine lustigere Wendung zu geben, »habe ich ja Ihre Jagdflinte schon bekommen.«

»Der Feigherzige nur,« antwortete Cleveland, »bringt Gefahr in Anschlag. Mir war sie eine stete Begleiterin im Leben, und oft ist sie mit mir auf schlimmerer Fahrt gewesen; – Gewehre hab ich überdies genug; und wenn Sie wollen, so können Sie sich leicht darüber belehren, wer sie am besten zu gebrauchen versteht!«

In seinem Tone lag etwas, was Murdaunt ungemein auffiel: die Vorbedeutung des Bösen, wie Hamlet sagt. Cleveland nahm sein Erstaunen wahr, trat dicht zu ihm heran und sagte, doch mit leiserer Stimme:

»Auf Deiner Hut, junger Mann! Bei uns Glücksrittern herrscht, wenn wir ein und dasselbe Wild verfolgen und einer dem andern den Wind wegnimmt, der Brauch, sechzig Schritte am Ufer hinzugehen mit einem Paar gezogener Läufe, die immer auf und dabei sind, Streit zu schlichten.«

»Ich verstehe Sie nicht, Kapitän Cleveland,« sagte Mordaunt.

»Das glaube ich gern,« antwortete der Kapitän, indem er ihm mit einem fast spöttischen Lächeln den Rücken kehrte. Mordaunt sah, wie er sich unter die übrigen Gäste mischte, und gleich darauf an Minnas Seite war, die ihm mit heißem Blick für seine mutige Tat zu danken schien, trat. »Wäre es nicht um Brendas willen,« dachte Mordaunt, »so möchte ich fast wünschen, er hätte mich in den Wellen gelassen; denn niemand scheint sich viel darum zu kümmern, ob ich lebe oder tot bin. – Zwei Gewehre sechzig Schritt am Ufer entlang, – wäre es so gemeint? Nun, er soll mich bereit finden, aber nicht an dem Tage, an dem er mein Leben mit Gefahr seines eigenen rettete.«

Während er so dastand und sann, flüsterte Scambester dem Poeten ins Ohr: »Wenn die Burschen einander kein Leid zufügen, gibt es keinen alten Glauben mehr. Mordaunt zog Cleveland aus der Flut, – nun ja! – Cleveland hat zum Dank dafür den ganzen Sonnenschein von Burgh-Westra auf sich gezogen; und denkt einmal, was das heißt, die Gunst in einem Hause zu verlieren, wo der Punschkessel nimmer kalt wird! – Nun aber, da Cleveland wiederum ein solcher Narr war, den Mordaunt aus den Wellen zu ziehen, gebt acht, ob er ihm nicht kleine Schillochs für Stockfisch verkaufen wird ... Na, schaden kann's ihm nicht!«

»Und warum,« fragte Halcro, »wünscht Ihr dem guten, jungen Manne Böses, der fünfzigmal mehr wert ist als der andere?«

»Jeder hat seine Meinung,« erwiderte Erik; »Mordaunt trinkt bloßes Wasser, wie sein Haifisch von Vater; Cleveland aber greift nach seinem Glase wie ein ordentlicher Kerl!«

»Recht geschlossen, nach Deiner Weise,« sagte Halcro, und die Unterredung abbrechend, schritt er dem Herrenhause von Burgh-Westra zu, wohin auch die sämtlichen Gäste jetzt zurückkehrten, die lebhaft diskutierten über die verschiedenen Zufälle der Walfischjagd, denn der Unmut darüber, daß das Tier dennoch ihren Angriffen entgangen, war begreiflicherweise sehr lebhaft.

»Hoffentlich,« sagte Magnus, »erfährt Kapitän Donderdrecht von Rotterdam nie etwas von dieser Geschichte, sonst würde er Donner und Blitz darauf schwören, daß wir nur Flundern zu fischen verstehen.«

Achtzehntes Kapitel

Fortuna, die auch zuweilen ein Gewissen zu haben scheint, war dem gastfreien Udallar einigen Ersatz schuldig und vergütete demnach an Burgh-Westra das Mißgeschick der verunglückten Walfischjagd, indem sie noch am Abend desselben Tages, an dem dieser Vorfall sich abspielte, niemand Geringeres als den Hausierer oder reisenden Handelsmann, wie er sich selbst zu nennen pflegte, Bryce Snailsfoot, seinen Weg dahin nehmen ließ. Mit großem Pomp langte er an, er selbst auf einem Klepper, und sein Warenpack, fast doppelt so groß als gewöhnlich, auf einem zweiten, der von einem barfüßigen und barhäuptigen Jungen geführt wurde.

Bryce wurde, da er sich als den Ueberbringer wichtiger Neuigkeiten ankündigte, in das Speisezimmer geleitet, wo man ihm – (denn man rechnete damals noch nicht so wie heute mit dem persönlichen Ansehen) – den Platz an einem Seitentische anwies und ihm Speise und Trank reichlich vorsetzte. Ohne zuvor seinen Hunger und Durst zu stillen, berichtete er mit jener Wichtigkeit, die weite Reisen zu verleihen pflegen, daß er erst gestern von Kirckwall, der Hauptstadt der Orkney-Inseln, nach Lerwick, aber schon gestern bis hierher marschiert wäre, wenn es nicht vom Fitful-Head her stark gestürmt hätte.

»Hier hatten wir keinen Wind,« sagte Magnus.

»Ich weiß jemand, der da nicht geschlafen hat,« erwiderte der Hausierer, »und ihr Name fängt mit einem R. an, aber Gott wacht über uns alle.«

»Aber die Neuigkeiten von Orkney, Bryce, statt da viel von einer Handvoll Wind zu schwätzen!«

»Solche Neuigkeiten,« entgegnete Bryce, »sind hier nicht seit dreißig Jahren gehört worden, – nicht seit Cromwells Zeit.«

»Es ist doch nicht eine neue Revolution dort im Werk?« fragte Halcro. »Wie? Ist vielleicht König Jakob zurückgekommen, wie weiland der muntere König Karl?«

»Neuigkeiten sind's,« antwortete der Hausierer, »mehr wert als zwanzig Könige und zwanzig Königreiche obendrein; brachten uns Staatsveränderungen je was Gutes? und doch haben wir schon ein Dutzend bald große, bald kleine, erlebt.«

»Ist etwa ein Indienfahrer nordum gekommen?« fragte Magnus Troil.

»Ihr kommt dem Dinge schon näher, Herr!« sagte der Hausierer; »aber ein Indienfahrer ist es nicht, sondern ein trefflich bewaffnetes Schiff, bis unter das Deck mit Waren gefüllt, die so wohlfeil weggehen, daß ein bescheidener Mann, wie ich, seinen Kunden rund im Lande recht billige Preise stellen kann; und das werdet Ihr selbst sehen, wenn ich meinen Pack geöffnet haben werde, den ich leichter hinwegzuführen hoffe, als ich ihn hergebracht.«

»Ihr müßt gar wohlfeil eingekauft haben, Bryce, wenn Ihr billige Preise stellt,« sagte der Udaller; »aber was für ein Schiff war es denn?«

»Darüber kann ich keine genaue Auskunft geben, denn ich habe mit niemandem gesprochen als dem Kapitän, der ein verschwiegener Mann war; aber es kommt von den spanischen Besitzungen, denn es hat Seide, Atlas, Tabak und Wein an Bord; und Zucker, und mancherlei schöne Dinge von Silber und Gold, und Goldstaub obendrein.«

»Und von welcher Bauart ist's?« fragte Cleveland, der sehr aufmerksam zu werden schien.

»Ein großes Schiff ist's,« antwortete der Handelsmann, »wie ein Schoner gebaut und bemastet, segelt wie ein Delphin, sagt man, und führt zwölf Kanonen.«

»Habt Ihr den Namen des Kapitäns vernommen?« fragte Cleveland in leiserem Tone weiter, als er gewöhnlich zu sprechen pflegte.

»Ich hab ihn schlechtweg Herr Kapitän tituliert,« erwiderte Bryce, »denn es ist Gesetz bei mir, Leute, mit denen ich Geschäfte treibe, nie mit Fragen zu belästigen; freilich gibt's manchen Kapitän, mit Eurer Erlaubnis, Kapitän Cleveland, dem es nicht behagt, wenn man seinen Namen seinem Titel anhängt; aber, sobald man weiß, welchen Handel man schließt, braucht man dann den Namen des Verkäufers kennen?«

»Bryce Snailsfoot ist ein vorsichtiger Mann,« bemerkte der Udallar lachend; »er weiß, daß ein Narr mehr fragen kann, als ein kluger Mann zu beantworten Lust hat.«

»Ich habe in meinem Leben schon manchen schönen Handel gemacht,« entgegnete der Hausierer, »und weiß nicht, welchen Nutzen es bringen kann, immer gleich mit dem Namen der Leute herauszuplatzen; aber ich kann den Kapitän jenes Schiffes als einen braven und auch freundlichen Befehlshaber rühmen, und sein Schiffsvolk hält er in strammer Disziplin, läßt kaum einen Mann ans Land, ohne daß der Bootsmann dabei ist, aber das ist ein Brummbär, rauher als je einer das Verdeck betrat; das ganze Schiffsvolk hat vor ihm genau soviel Furcht, wie vor dem Kapitän selbst.«

»Das muß Hawkins sein oder der Teufel,« sagte Cleveland.

»Meinetwegen, Herr Kapitän!« erwiderte der Hausierer, »der oder der, vielleicht auch von beiden etwas. Wollt Euch aber erinnern, daß Ihr, und nicht ich, ihm diesen Namen beigelegt habt.« »Kapitän Cleveland,« nahm der Udallar das Wort, »sollte das wohl das andere Schiff sein, von dem Ihr spracht?«

»Dann muß ihm das Glück günstig gewesen sein, seitdem wir uns verließen. – Sprach das Schiffsvolk etwa vom Verlust eines andern?«

»Das allerdings,« sagte Bryce, »sie haben etwas von einem Gefährten geredet, der in diesen Gewässern zu David Jones hinabgestiegen sei.«

»Und teiltet Ihr ihnen denn mit, was Euch davon bekannt?« fragte der Udallar.

»Ja, daß ich ein Narr gewesen wäre,« erwiderte der Hausierer. »Hätten sie gewußt, was aus dem Schiffe geworden, wäre ihre zweite Frage ohne Zweifel nach der Landung gewesen, und da hätte ich leicht ein bewaffnetes Schiff an die Küste ziehen können, entschlossen, die armen Leute hier mit Nachforschungen über die armseligen Dinge zu quälen, die die See ans Ufer warf!«

»Das ungerechnet, was etwa in Eurem eigenen Pack davon gefunden worden wäre,« sagte Magnus Troil, eine Bemerkung, die ein allgemeines Gelächter hervorbrachte ... Ihr mögt immerhin lachen, meine Freunde,« fuhr er nach einer Weile mit ungewöhnlich ernstem Tone fort: »Aber es bleibt dennoch eine Sache, die dem Lande Schimpf und Schande bringt; und bis wir gelernt haben werden, die Rechte derjenigen, die durch Wind und Wellen leiden, zu respektieren, verdienen wir allen Plack von seiten der Fremden, die uns regieren.«

Alles ließ ob dieser Zurechtweisung die Köpfe hängen. Bei einigen, selbst aus der bessern Klasse, rührte sich vielleicht das Gewissen; Cleveland aber erwiderte in lustigem Ton: »Wenn es meine Kameraden sind, so stehe ich dafür, daß sie Euch hier nicht um einiger Kisten, Hängematten und ähnlicher Lumpereien wegen beunruhigen werden, die der Strom aus meinem armen Wrack ans Land gespült haben mag. Was kümmert es sie, ob der Plunder dem Hausierer hier oder dem Meeresgrund oder dem Teufel anheimfiel? Also aufpaßt Bryce, und den Frauen Deine Ladung gezeigt! vielleicht findet sich einiges drunter, was ihnen gefällt.«

»Es kann nicht das andere Schiff sein,« flüsterte Brenda ihrer Schwester zu, »er zeigte sonst mehr Freude über die Nachricht.«

»Es muß das seine sein,« antwortete Minna, »denn ich sah seine Augen funkeln, wie wenn er gedacht haben mag, daß er nun wieder mit den Genossen seiner Gefahren vereint sein werde.«

»Vielleicht,« sprach die Schwester etwas leiser, »hat er auch gedacht, daß er Shetland bald wieder verlassen könne? Herzensempfindungen nach Blicken zu beurteilen, ist immer schwer.«

»So urteile wenigstens nicht unfreundlich über Empfindungen eines Freundes,« sagte Minna, »und irrst Du Dich dann, so trifft Dich keine Schuld,«

Während dieses Gesprächs war der Hausierer beschäftigt, die reichlich sechs Yards lange, durch Knoten und Schnallen sorgfältig verwahrte, aus gegerbten Seehundsfellen bestehende Hülle von seinem Pack zu lösen: eine Arbeit, in der er durch Fragen über das Schiff durch den Udallar und andere des öftern unterbrochen wurde.

»Waren die Offiziere oft am Lande? und wie wurden sie von den Bewohnern von Kirckwall aufgenommen?« fragte Magnus Troil.

»Sehr gut,« antwortete der Handelsmann, »auch waren der Kapitän und einige seiner Leute zu etlichen Festlichkeiten und Tänzen geladen, die in der Stadt abgehalten wurden; dort aber sind Worte gefallen, über den Zoll, über königliche Rechte und dergleichen, und einige der vornehmein Einwohner, die sich als Obrigkeitspersonen oder dergleichen vorstellten, gerieten in Wortwechsel mit dem Kapitän, der von all dergleichen nichts hören wollte; seitdem spricht er davon, sein Schiff nach Stromneß oder Langhope bringen zu wollen, denn es lag gerade unter den Kanonen der Batterie von Kirkwall. Aber vor Ende des Sommermarkts wird's mit der Abfahrt wohl nichts werden.«

»Die Leute auf Orkney,« bemerkte Magnus, »legen es ja schon immer drauf an, das schottische Joch sich selbst schwerer zu machen. Nicht genug, daß wir Schätzung und Steuer bezahlen, wie es unter unfrei alten norwegischen Regierung Sitte und Gebrauch war, sie wollen uns auch noch Zölle und Königssporten auferlegen. Ein ehrlicher Mann muß gegen dergleichen Unwesen ankämpfen; ich habe es mein ganzes Leben lang getan, und will es auch bis an mein Ende nicht anders halten.«

Ein lauter Jubel und Beifallsruf ertönte von seiten der Gäste, die wenigstens Zum Teil mit ihrem vaterländisch denkenden Wirte inbetreff der öffentlichen Abgaben zufriedener schienen als mit seinem Vorbehalte inbetreff des Strandgutes. Minna aber, in ihrem weiblichen Sinne über die Meinung des Vaters hinausgehend, flüsterte ihrer Schwester zu, bloß der allzu nachgiebige Geist der Inselbewohner sei Ursache gewesen, daß die Gelegenheit, sich von dem schottischen Joche zu befreien, zu der ein Zufall erst vor kurzem noch günstigen Anlaß gegeben hätte, ungenützt geblieben sei,

»Warum,« fuhr sie fort, – und Cleveland hörte, was sie sagte, recht gut – »sollten wir nicht, unter den mannigfachen Veränderungen der jüngsten Zeit, bemüht gewesen sein, unter die Herrschaft von Dänemark, unserm eigentlichen Vaterlande, zurückzukehren? Dazu wäre es jetzt noch Zeit, wenn sich nicht die angesehnern Familien von Orkney durch Freundschafts- und Verwandtschaftsbande mit diesen arroganten Fremdlingen vermischt und hierdurch die Stimme des altnordischen Bluts, das in ihren Adern rollt, erstickt hätten.«

Die letzten Worte dieser patriotischen Rede hatten das Ohr unseres Freundes Triptolemus erreicht, der gegen ein protestantisches Regiment solche Voreingenommenheit hegte, daß er fast unwillkürlich rief: »Ja, ja, wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen – aber bitte recht sehr um Verzeihung, Jungfer Minna, wenn ich hiermit etwas spreche, was Euch mißfällt ... Ein gar musterhaftes Land muß es aber sein, wo sich der Vater gegen die Sporteln und die Tochter gar gegen den Thron des Königs erklärt. So etwas kann, meiner Meinung nach, nur am Baum und Stricke enden.«

»Bäume, Herr Verwalter, sind bei uns selten,« erwiderte Magnus, »und was wir an Tauen und Stricken haben, brauchen wir für unsere Fahrzeuge, können also nichts davon für Hemdkragen entbehren.«

»Und wer sich unterfängt,« nahm Kapitän Cleveland das Wort, »an den Worten dieser jungen Dame Aergernis zu nehmen, täte klüger, Ohren und Zunge auf andere, weniger gefährliche Weise zu beschäftigen.«

»Ja, ja,« sprach Triptolemus, »Wahrheit liegt dem Stolzen immer so schwer im Magen wie nasser Klee der Kuh; zumal in einem Lande, wo junge Burschen immer die Hand am Messer haben, sobald ein Mädchen nur ein schiefes Gesicht macht. Doch was läßt sich auch von Leuten anders erwarten, die nicht einmal einen ordentlichen Pflug haben.«

»Hört einmal, Herr Yellowley,« erwiderte der Kapitän lächelnd, »hoffentlich rechnen Sie meine Art und Weise nicht zu den Mißbräuchen, die Sie hier abschaffen wollen? Das wäre ein gefährliches Experiment!«

»Auch wohl ein schwieriges,« fügte Triptolemus trocken hinzu; »aber habt vor meinen Reformen keine Angst, Kapitän Cleveland; sie richten sich bloß gegen die Menschen und Dinge auf festem Lande. Um die Seeverhältnisse schere ich mich nicht.«

»So laß uns Freunde sein, alter Schollenkleber,« rief der Kapitän ... »Und nun heran, Freund Bryce, – mach Dein Tau los – und heran ihr alle und laßt uns sehen, ob sich etwas in seiner Ladung befindet, der Mühe wert, daß man es sich ansieht.«

Mit stolzem, zugleich aber auch schlauem Lächeln packte der listige Hausierer allerhand Waren aus von weit besserer Qualität, als sie sonst in seinem Warenballen zu stecken pflegten, wie vornehmlich Stoffe und Stickereien von ungemeiner Schönheit und Seltenheit, die mit einer Pracht und Kunst nach fremdem Arabeskenmustern gewebt waren, daß sie recht wohl verwöhntere Augen, als der einfachen Bewohner Thules hätten blenden können. Alles schaute und bewunderte, während Jungfer Baby-Barbara die Hände zusammenschlug, beteuernd: es sei ja schon Sünde, auf solchen Luxus die Augen zu heben – geschweige denn sich nach dem Preise solcher Dinge zu erkundigen.

Andere ließen sich dadurch aber nicht abschrecken, mit dem Hausierer zu handeln, und was er für seine Ware forderte, bewegte sich in so mäßigen Grenzen, daß man wirklich vermuten durfte, er müsse sehr wohlfeil eingekauft haben. Infolgedessen und weil man in Shetland, wie überall, der klugen Menschen genug hat, die mehr, um sich einen guten Handel nicht entgehen zu lassen, als aus wirklichem Bedarf kaufen, fand der Hausierer schnell Kunden über Kunden. So erstand die Lady Glowrowrum allein sieben Unterröcke und ein Dutzend Brusttücher, und mehrere andere der anwesenden Matronen folgten diesem weisen Sparsamkeits-Exempel. Auch der greise Udallar zeigte sich als reger Käufer; der beste Kunde von allen aber, zumal in Artikeln, die bei den Schönen Gefallen wecken konnten, war Kapitän Cleveland, der in dem Warenballen des Hausierers aufräumte, mit seinen Präsenten die gesamte Weiblichkeit, vorzüglich aber des Udallars Töchterpaar bedenkend.

»Ich fürchte,« sagte Magnus Troil, »daß Eure Freigebigkeit uns nötigen dürfte, mit Eurem baldigen Verlust zu rechnen.«

»Darauf kann ich nichts sagen,« erwiderte nicht ohne Verlegenheit der Mann, dem diese Worte galten – »kann ich doch aus der Ferne nicht beurteilen, ob das angekommene Schiff meine Kameraden gebracht hat oder nicht. – Ich muß nach Kirckwall hinüber, zu sehen, wie es sich verhält; rechne aber bald wieder hier zu sein, um – wenn es nicht anders sein kann – Euch allen Lebewohl zu sagen.«

»Ich muß zum Markte hin, um mit den Kaufleuten den letzten Fischfang abzurechnen,« erwiderte nach kurzem Ueberlegen der Udallar, »Und habe meinen Kindern schon lange versprochen, sie einmal zur Marktzeit mit nach Kirckwall zu nehmen. Da könnt Ihr ja mit uns hinfahren. Vielleicht haben Eure Kameraden, oder wenn sie es nicht sein sollten, die fremden Seefahrer Waren an Bord, die mir anstehen? In meiner Brigg soll eine Hängematte für Euch bereit sein.«

Cleveland war hierüber so erfreut, daß er die Schätze, die der Hausierer bei sich führte, mit freigebigen Händen unter die Gesellschaft verteilte. Jungfer Baby konnte, ob dieser »Verschwendung« – wie sie solche Freigebigkeit auffaßte – nicht umhin, ihrem Bruder ins Ohr zu flüstern, daß der junge Herr, wenn er mit dem Geld so um sich werfen könne, in seinem zerschellten Schiff eine bessere Reise gemacht haben müsse als alle Schiffer von Dundee wahrend der vollen letzten zwölf Monate.

Aber ihre grillige Laune wurde ungemein gemildert, als Cleveland, dessen Absicht es an diesem Abend zu sein schien, sich bei jedermann in das beste Licht zu setzen, sich ihr mit einem Kleidungsstück näherte, das dem Schnitte nach aussah wie ein schottischer Mantel, aber ein so feines Gewebe zeigte, daß man Eiderdaunen zu berühren glaubte. Er nannte es eine Mantilla, die von den spanischen Damen getragen würde, und der Jungfer Baby, da sie ihr vortrefflich stünde, bei den starken Nebeln auf Shetland recht dienlich sein würde. Jungfer Baby nahm mit aller Süßigkeit, deren ihr Gesicht fähig war, das Präsent nicht nur an, sondern räumte dem Spender sogar das Recht ein, es ihr über die hohen, spitzen Schultern zu hängen; von denen, wie Claud Halcro meinte, der Mantel wie von zwei Kleiderpflöcken gehalten wurde. Während der Kapitän diesen Höflichkeitsakt zur allgemeinen Belustigung der Gesellschaft vollzog, erstand Mordaunt ein goldenes Kränzlein, das er Brenda bei schicklicher Gelegenheit einzuhändigen dachte. Auch Claud Halcro zeigte Verlangen, eine silberne Dose von antiker Form für Schnupftabak einzuhandeln, von dem er ein starker Konsument war. Aber der Sänger verfügte nie viel über courante Münze und hatte auch auf seiner Lebenswanderung nur wenig Gelegenheit gehabt, solche zu sammeln; Bryce aber, der bisher nie anders als gegen bares Geld verkauft hatte, versicherte, daß der geringe Verdienst bei diesen seltenen und ausgewählten Waren es ihm nicht erlaube, Kredit zu geben. Mordaunt erriet aus ihrem Flüstern, – wobei der Barde sehnsuchtsvoll den Finger nach der in Rede stehenden Dose ausstreckte, auf die der vorsichtige Hausierer aber die ganze Hand drückte, wie wenn er befürchtete, sie mochte Flügel bekommen, um in Claud Halcros Tasche zu fliegen, – um was sich beider Reden drehten, und legte, als er dies bemerkte, um seinem alten Bekannten eine Freude zu machen, – den für die Dose geforderten Preis auf den Tisch mit den Worten, daß er nicht zugeben würde, daß Halcro die Dose bezahle, da er sich vorgenommen habe, ihm ein Präsent damit zu machen.

»Ei, ich will Dich nicht berauben, junger Freund,« versetzte der Poet, »aber wenn ich die Wahrheit sagen soll, so erinnert die Dose mich ungemein an die meines ruhmgekrönten Kollegen John Dryden, aus der ich einmal die Ehre hatte, eine Prise zu bekommen: weshalb ich auch meinen Zeigefinger und Daumen an der rechten Hand höher achte als sonst einen Teil meines Körpers; nur darfst Du nichts dawider haben, daß ich Dir das Geld Zurückzahle, wenn meine Erkaster Stockfische zu Markte kommen.«

»Macht das unter euch ab, ihr Herren, wie ihr wollt,« sagte der Hausierer, indem er Mordaunts Geld einstrich, »die Dose ist verkauft und bezahlt,«

»Und wie könnt Ihr noch einmal verkaufen, was Ihr schon verkauft habt?« mischte sich Cleveland Plötzlich in das Gespräch.

Alle staunten über diese ganz unerwartete Dazwischenkunft Clevelands, der – als er sich von Jungfer Baby abwandle, nicht ohne sichtlichen Groll bemerkte, welche Artikel Bryce soeben losschlug. Auf diese kurze, heftige Frage erwiderte der Hausierer, der einem so guten Kunden nicht zu widersprechen wünschte, nur: »Gott sei mein Zeuge, daß er niemand habe zu nahe treten wollen.«

»Wie, nicht zu nahe treten?« rief der Seemann, »und doch über mein Eigentum verfügen?« So sprechend, streckte er seine Hand nach den in Rede stehenden Gegenständen aus ... »Auf der Stelle zahlt dem jungen Manne das Geld zurück, und haltet ein andermal Euren Kurs mehr auf der Mittagslinie der Ehrlichkeit.«

Verwirrt und zögernd zog der Hausierer seinen ledernen Geldbeutel hervor, um Mordaunt das Geld wiederzugeben, das er vor einem Augenblick von ihm empfangen hatte; aber der Jüngling war damit nicht zufrieden. »Die Ware,« sagte er, »ist verkauft und bezahlt, – das waren. Eure eigenen Worte, hier in Herrn Halcros Gegenwart, und ich werde nicht dulden, daß weder Ihr noch sonst jemand Hand an mein Eigentum lege.«

»Ihr Eigentum, junger Mann?« fragte Cleveland, »es ist das meinige, – ich sprach mit Bryce darüber einen Augenblick, bevor ich mich vom Tische entfernte,«

»Ich – ich – ich hatte nicht recht gehört,« sagte Bryce, dem es sehr daran lag, keine von den beiden Parteien zu beleidigen.

»Kommt, kommt,« rief der alte Udaller, »wir wollen keinen Streit um solche Narrenspossen; man ruft uns ohnehin bald in die Tanzstube, und dorthin wollen wir alle in guter Laune kommen – Bryce soll die Sachen bis morgen behalten; ich werde dann bestimmen, wem sie gehören sollen.«

Der Udaller war in seinem Hause unumschränkter Gebieter; die beiden jungen Männer mußten sich, mit so finsteren Blicken sie einander auch betrachteten, darein fügen, verließen aber in verschiedener Richtung den Raum.

Selten nur gleicht der zweite Tag eines verlängerten Festes dem ersten. Geist und Körper, gleich ermüdet, stehen zu der erneuten Lust und Beweglichkeit in keinem Verhältnis; und so wurde auch der Tanz in Burgh-Westra heut mit weit weniger Lebhaftigkeit aufgeführt als gestern. Noch war es eine ganze Stunde bis Mitternacht, als der alte Magnus Troil unter Klagen über die schlimme Zeit und dem Wunsche Worte leihend, auf die Shetländer »von heute« etwas von der eignen Kraft übertragen zu können, das Signal zum allgemeinen Aufbruch geben mußte.

Gerade in diesem Augenblick zog Halcro seinen Freund Mordaunt beiseite, um ihm zu sagen, daß er von Cleveland etwas an ihn auszurichten habe.

»Eine Herausforderung ohne Zweifel!« rief Mordaunt, und sein Herz begann stürmisch zu pochen.

»Eine Forderung!« wiederholte Halcro, »wer hörte je von einer solchen auf diesen ruhigen Inseln? Sehe ich aus wie ein Bote solcher Kundschaft? und gar an Dich? Nein – ich glaube, dem Kapitän steht der Sinn nur nach den Dingen, die Du ausgesucht hast.«

»Er soll sie nicht haben, das schwöre ich Euch,« rief Mordaunt,

»Höre mich an,« erwiderte Halcro, »es scheint, daß er sie nach den darauf befindlichen Zeichen und Wappen als sein einstiges Eigentum wiedererkannt hat. Solltest Du mir nun diese Dose geben, wie Du versprochen, so würde ich, wie ich Dir unumwunden sage, sie ihrem Eigentümer zurückgeben,«

»Und Brenda würde vielleicht dasselbe tun,« dachte Mordaunt, aber schnell entgegnete er: »Ich habe mich eines Bessern bedacht, alter Freund! Cleveland soll die Dinge haben, auf die er einen so großen Wert setzt, aber nur unter einer Bedingung.«

»Du wirst noch alles mit Deinen Bedingungen verderben,« sagte Halcro.

»Hört mich geduldig an. Meine Bedingung ist, daß er die Sachen in Tausch für die Jagdflinte nimmt, die ich von ihm erhielt, so daß jede gegenseitige Verbindlichkeit aufgehoben wird,« sagte Mordaunt.

»Ich sehe, wohin Du willst; Du magst also dem Hausierer sagen, daß er die Sachen an Cleveland ausfolge; die Bedingungen soll dieser schon durch mich erfahren; sonst möcht der ehrliche Bryce zu zweimaliger Bezahlung kommen, statt einer, und ich glaube, sein Gewissen würde ziemlich ruhig dabei sein.«

Mit diesen Worten ging Halcro zu Cleveland, wahrend Mordaunt zu dem Hausierer trat, der sich als eine gewissermaßen privilegierte Person unter die Menge am Ende des Gemachs gemischt hatte und ihm den Auftrag gab, die streitigen Gegenstände Cleveland auszufolgen, sobald sich eine Gelegenheit dazu böte.

»Ihr habt recht, Herr Mordaunt,« erwiderte Bryce, »Ihr seid ein kluger, verständiger junger Mann, – eine ruhige Antwort wendet den Verdruß ab, – und ich meinerseits will Euch gern wieder gefällig sein, wo ich es irgend kann; denn zwischen dem Udaller von Burgh-Westia und Kapitän Cleveland ist man, wie zwischen Teufel und See, wenn auch der erstere Eure Partei vielleicht zuletzt genommen hätte, denn er ist ejn Mann, der die Gerechtigkeit liebt.«

»Aus der Ihr Euch nicht viel zu machen scheint, Bryce,« sagte Mordaunt, »sonst hätte es zu gar keinem Streite kommen können, denn das Recht war auf meiner Seite, und Ihr hättet nur die Wahrheit zu bezeugen brauchen.«

»Ich muß allerdings gestehen, Herr Mordaunt,« sagte der Hausierer, »daß Ihr einen Schatten von Recht für Euch hattet; aber die Gerechtigkeit, mit der ich zu schaffen habe, betrifft nur meinen Handel; meine Elle hat die gehörige Länge; auch verkaufe ich alles nach rechtem Maß und Gewicht. Aber mit der Gerechtigkeit zwischen Menschen und Menschen habe ich nichts zu schaffen, etwa wie ein Vogt oder sonst eine Obrigkeitsperson.«

»Das verlangt auch niemand von Euch, aber ein Zeugnis hättet Ihr nach Eurem Gewissen ablegen sollen,« antwortete Murdaunt, weder mit dem Benehmen des Hausierers während des Streits, noch mit den Rechtfertigungsgründen seines Betragens zufrieden.

Bryce Snailsfoot war jedoch im Antworten nicht verlegen ... »Mein Gewissen, Herr Mordaunt,« erwiderte er, »ist so zart, wie es nur bei einem Manne meiner Art sein kann, aber etwas schüchterner Natur.«

»Ihr seid auch nicht gewohnt, sonderlich auf seine Stimme zu achten, nicht wahr?«

»Eure eigne Brust beweist das Gegenteil,«,versehte Bryce in zuversichtlicherm Tone.

»Meine Brust?« fragte Mordaunt etwas verdrießlich, »was hat die mit Euch zu tun?«

»Ich spreche nur von Eurer äußern Brust, Herr Mordaunt. Wer die schöne Weste sieht, die Ihr tragt, muß sich doch sagen, daß sie Euch um vier Taler nur ein gewissenhafter, billiger Mann verkaufen konnte. Drum fülltet Ihr nicht so böse auf mich sein, weil ich in Eurem törichten Zank mit dem Kapitän einen Mund voll Atem gespart habe.«

»Ich böse auf Euch,« wiederholte Mordaunt verächtlich, »seid ruhig, mit Euch suche ich keine Händel,«

»Nun, das freut mich,« versetzte der Wanderer, »ich suche mit niemandem Differenz, am wenigsten mit einem alten Kunden; und wenn Ihr meinem Rate folgen wollt, so fangt keinen mit Kapitän Cleveland an. Er sieht ganz so aus, wie einer von den Haudegen und Eisenfressern, die da nach Kirckwall gekommen sind, und die einen Menschen eben so leicht totschlagen, wie wir einen Walfisch schnellen.«

Die Gesellschaft war inzwischen auseinander gegangen. Mordaunt, den vorsichtigen Rat des Hausierers belächelnd, wünschte ihm gute Nacht und begab sich nach seiner Schlafstelle, die ihm von Erik Scambester, der neben dem Amte eines Kellersmeisters auch das eines Kämmerers versah, in einem der äußeren Gebäude angewiesen wurde, wo man in einem Zimmer oder vielmehr in einem Kämmerchen, eine Hängematte für ihn bereitet hatte.

Neunzehntes Kapitel

Die beiden Schwestern bewohnten dasjenige Zimmer im Hause, das vor dem Tode ihrer Mutter das Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen, ihrem Vater aber durch den frühen Heimgang seiner Gattin verleidet worden war. Sie hatten sie nach ihrem eignen Geschmack hergerichtet und ausgeschmückt, wie es der Sitte der Inseln entsprach, und seit ihrer Kindheit war es ihnen die vertraute Stätte gewesen, wo sie ihre Gedanken und Pläne einander vertraut, wo sie gelebt und gewebt hatten. Erst seitdem Cleveland sich im Herrenhause aufhielt, war hierin Wandel eingetreten; denn seitdem waren Gedanken bei ihr eingekehrt, die der Mensch für sich behält. Minna hatte, was andern weniger interessierten Beobachtern vielleicht entgangen war, gar wohl bemerkt, daß Brenda von Cleveland keine so hohe Meinung hatte wie sie; und Brenda ihrerseits hielt dafür, daß Minna die Vorurteile, die jetzt gegen Mordaunt in ihres Vaters Herzen wohnten, zu schnell zu den ihrigen gemacht habe. Seitdem hatten die beiden Schwestern die Empfindung, daß sie einander nicht mehr das seien, was sie sich gewesen waren, und wenn sie sich auch alle Mühe gaben, sich hierüber hinwegzutäuschen, so konnten sie einander nicht verhehlen, daß das alte Vertrauen erschüttert, wenn nicht gar auf immer zerstört war.

Die Reise nach Kirckwall, noch dazu während des Marktes, da Menschen aus alten Schichten der Inseln dorthin strömten, war eine so wichtige Begebenheit in ihrem sonst so einfachen, einförmigen Leben, daß sie noch vor wenigen Monaten die halbe Nacht durchwacht hätten, um über alles zusammen zu plaudern, was sich dort erwarten ließe, was sich dort ereignen könnte. Jetzt aber fand der Fall kaum Erwähnung, ganz als ob man Furcht hätte, das Thema könnte Zwist unter ihnen veranlassen, oder zu einer offneren Aussprache führen, als man beiderseits wünschte – zumal jede der Schwestern edel genug war, sich die Schuld an dieser Entfremdung beizulegen.

In der Nacht, von der wir hier berichten, wurden beide. Schwestern von Träumen heimgesucht, die, obgleich verschieden, wie ihr Charakter und Gemüt, dennoch von einer seltsamen Aehnlichkeit waren: Minna träumte, sie befände sich an dem einsamsten abgelegensten Ort vom Ufer, Swartaster genannt, wo die rastlose Arbeit der Wellen in einem talkartigen Felsen eine jener unterirdischen Höhlen, von den Inselbewohnern »Halier« genannt, gegraben hatte, wohin die Flut ab und zu strömte. Viele von diesen Höhlen senken sich zu unergründlicher Tiefe und sind sichere Zufluchtsorte für Seehunde und Wasserraben. Unter ihnen war die Höhle von Swartaster, für die unzulänglichste gehalten ihrer vielen scharfen Winkel und Krümmungen, wie auch der darin versunkenen Felsstücke halber. Aus dem grauenvollen Schlunde dieser Höhle glaubte Minna in ihrem Traum eine Seefrau hervorschweben zu sehen, mit Kamm und Spiegel in der Hand, die mit ihrem langen schuppigen Schwanze die Wogen um sich her peitschte, und Minna zu sich zu winken schien, während die wilden Töne ihrer Stimme wie in prophetischen Klängen Unheil und Weh verkündeten.

Brendas Traum war von ganz anderer, wenn auch nicht minder schwermütiger Art. Sie saß, wie es ihr vorkam, in ihrem Lieblingsgemach, umgeben von ihrem Vater und einem Teil ihrer liebsten Freunde, unter denen Mordaunt Mertoun nicht fehlte. Sie wurde aufgefordert zu singen und bemühte sich, den Kreis um sich her mit einem muntern Lied zu unterhalten, das sie mit einem solchen Erfolge vortrug, daß lautes Lachen und Beifallrufen ihr lohnte. Da aber schien ihr die Stimme plötzlich versagen zu wollen, und es war ihr, als ob dieselbe ihr selbst zum Trotz in jene melancholischen Tone übergehen wollte, in denen Norna vom Fitful-Head zuweilen ein Runenlied anstimmte, ähnlich denen, die von Priestern der grauen Heidenzeit bei ihren grauen Opfermahlen Odins oder Thors Schreckensaltar gesungen wurden.

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