Erster Band

Erstes Kapitel

Das Dorf, das der Benediktiner-Abt in dem von ihm hinterlassenen Manuskript unter dem Namen Kennaqhueir beschreibt, weist dieselbe keltische Endform auf, wie wir sie in Traqhueir, Caahueir und andern Zusammensetzungen treffen. Gelehrte leiten das Wort Ohneir her von gekrümmtem Flußlauf, was eigentümlicherweise mit den schlängelnden Windungen zusammenstimmen würde, die der Tweed unweit von dem Dorfe Kennaqhueir macht. Das Dorf stand lange Zeit in Berühmtheit durch sein Sankt Marien-Kloster, das zusammen mit den andern nicht minder hochangesehenen Abteien derselben Grafschaft: Melrose, Jedburgh und Kelso, von David I., König über Schottland und Shetland, gestiftet wurde. David I. beschenkte diese kirchlichen Stifte mit reichem Gut an Ländereien und Gerechtsamen und wurde aus Dankbarkeit hierfür vom Papste heilig gesprochen, was freilich einen verarmten Nachkommen von ihm nicht gehindert hat, sich dahin zu äußern, besagter König David sei ob dieser und andrer Torheiten besser unter die Kategorie der Unheiligen zu setzen. Nichtsdestoweniger ist es nicht unwahrscheinlich, daß besagtem schottischen König David neben diesen Verdiensten um den katholischen Glauben auch mancherlei weltliche Verdienste beizumessen sein werden, und daß er zu seinen Schenkungen an die Kirche durch weltliche Rücksichten mitbestimmt worden ist. Es stand seit der »Fahnenschlacht«, aus der er nicht als Sitzger hervorging, um die Sicherheit seiner Besitzungen in Northumberland und Cumberland nicht sonderlich günstig. Und da infolge dieser Schlacht zu erwarten stand, daß das fruchtbare Tal des Teviot zur Landesgrenze gemacht werde, griff er diesem in England gehegten Gedanken vor und versuchte sich einen Teil dieser einträglichen Besitzungen dadurch zu sichern, daß er ihn der Kirche als Eigentum überwies, und diese hat sich des ihr auf diese Weise anheimgefallnen Gutes auch lange Zeit, sogar in den wilden Grenzkriegen, in ziemlich ungestörter Ruhe erfreuen dürfen.

Man geht wirklich nicht fehl, wenn man dem König David von Schottland einräumt, daß dies für ihn die einzige Hoffnung war, den Bebauern dieser Landstriche Schutz und Sicherheit zu schaffen, und in der Tat ließen sich auch Generationen hindurch diese Besitzungen der genannten Abteien dem biblischen Lande Gosen vergleichen, denn über ihnen breitete der Engel des Friedens seine segnende Hand, und ihre Felder und Wälder gediehen und brachten reiches Gut, während alle andern Teile des Reichs unter dem Druck der eisernen Faust wilder Clans und raubgieriger Barone seufzten und aus der düstersten Verwirrung, aus blutigem Krieg und gewalttätiger Fehde niemals herauskamen.

Indessen erhielten sich diese kirchlichen Vorrechte in voller Kraft nicht bis zu der Zeit, da die Kronen der beiden Reiche vereinigt wurden, und lange schon vor dem Eintritt dieses Ereignisses hatten die Kriege zwischen England und Schottland den Charakter nationaler Zwietracht eingebüßt und waren auf seiten Englands zum rücksichtslosen Unterjochungskampfe, in Schottland dagegen zum rasenden Ringen um die dem Lande eigentümlichen Rechte und Freiheiten geworden. Dadurch wuchs die Erbitterung auf beiden Seiten zu einer Höhe, wie man sie in der wildesten Zeit der früheren Zwietracht nicht gekannt hatte, und als sich später noch Glaubensstreit und religiöse Zweifel hinzugesellten und den Haß der beiden Völker aus allen Fesseln und Banden lösten, da blieben auch der Kirche die alten Vorrechte trotz aller Verbrieftheit nicht mehr erhalten, und sie gingen des staatlichen Schirmrechts allmählich verlustig.

Aber die Untertanen und Lehnsmannen genannter großer Abteien besaßen noch immer allerhand Vorteile vor denen der weltlichen Grundherren, denen infolge des ununterbrochnen Kriegsdienstes, der ihnen oblag, aller Sinn für die Künste des Friedens abhanden kam. Dem Kirchenvasallen lag hingegen die Verpflichtung des Waffendienstes nur dann ob, wenn das eigentliche Reichsinteresse in Gefahr stand; in aller Privatfehde der Barone blieb ihnen die völlige Ruhe und Unantastbarkeit gewahrt, und keines ihrer Lehen, wie die Abteien ihre an Pächter gegen mäßige Abgabe verliehenen kleinen Landgüter zu nennen liebten, durfte anderm als kirchlichem Aufgebot folgen. Auf diese Weise blieb ihnen der ruhige Besitz vergönnt, und selbst heute noch trifft man in Schottland in der Gegend, wo diese großen Klöster lagen, auf Nachkommen solcher einstigen Kirchenvasallen, die sich das Besitztum ihrer Väter von Kind auf Kindeskind zu erhalten verstanden haben. Kein Wunder, daß infolge dieses Zusammenwirkens so günstiger Umstände die Abteiländer Schottlands sich besserer Bewirtschaftung rühmen durften, als aller in weltlicher Hand befindliche Besitz, und daß in ihrem Bereiche die Bewohner nicht allein in materieller Hinsicht sich besser befanden, als alle übrigen Landbewohner von Schottland, sondern ihnen auch in Eigenschaften des Geistes bedeutend überlegen waren.

Die Wohnstätten solcher Kirchenvasallen bildeten in der Regel eine kleine Dorfschaft, in der sich dreißig bis vierzig Familien zu gegenseitigem Schutz und Trutz zusammen zu siedeln pflegten. Indessen verschwand hierfür bald der Name Dorf und machte dem Namen Stadt Platz, wie man auch die Ländereien, die zu solcher Niederlassung gehörten, Stadtgebiet oder »Stadtfreiheit« bezeichnete. In der Regel waren diese Ländereien gemeinsamer Pachtbesitz der Bewohner solcher »Stadt«, dessen Aufteilung jedoch nach Maßgabe der Verhältnisse jedes einzelnen »Bürgers« erfolgte, derjenige Teil des Landes, der den Ackerboden enthielt und also gepflügt werden mußte, führte den Namen »Infeld«; gebaut wurden Hafer und Gerste, zumeist in Wechselfurchen-Weise, und die Arbeit fiel bei der Aussaat und Ernte allen gleichmäßig zu, während die Ansprüche an der Jahresfrucht je nach den »Bürgerrechten« sich regelten.

Anders verhielt es sich um das sogenannte »Ausfeld«, dessen Bebauung in gewissem Grade der Willkür seiner Anwohner überlassen blieb. Jeder Lehnsmann wählte sich von den zum »Ausfeld« gehörigen Triften und Höhen, was ihm beliebte, und die Unsicherheit des Ertrages aus diesen zu Gemeindeweiden benützten Strecken lieh jedem Lehnsmann, der sich der Mühe, den Anbau zu versuchen, unterzog, ein ausschließliches Anrecht auf die Frucht, die ihm solches Stück »Ausfeld« brachte.

Die Wohnstätten der Kirchenvasallen behielten ihren ursprünglichen, einfachen Charakter, ebenso wie die Weise, ihr Feld zu bauen, ursprünglich und einfach blieb, ganz wie man es heutzutage noch finden kann überall auf den shetländischen Inseln. Jedes Dorf oder Städtchen hatte mehrere kleine Türme, deren Zinnen über die Mauern aufragten, und die in der Regel ein paar vorspringende Winkel bildeten, die mit Schießscharten versehen waren, während das starke, mit eisernen Nägeln beschlagene eichene Tor zumeist noch durch ein eisernes Gitter außen verrammelt war. In den kleinen Häusern wohnten zumeist bloß die bessern Lehnsleute mit ihrer »Sippe«, aber sobald die geringste Gefahr im Verzuge war, kamen die andern Dörfler aus ihren ringsherum gelegenen ärmlichen Hütten herbeigeeilt und besetzten alle Verteidigungspunkte. Infolgedessen war es für Feinde nicht leicht, in solches Dorf einzubrechen, denn die Männer waren geübt in Armbrust und Muskete, und die »Wehrtürme« waren gemeinhin so angelegt, daß ihr Feuer kreuzweise strich, so daß es eine Unmöglichkeit war, den Angriff auf einen einzelnen Turm zu richten.

Die innere Einrichtung dieser Wohnstätten war zumeist äußerst dürftig und einfach, denn es wäre Torheit gewesen, durch irgend welchen Ueberfluß oder gar Zierat die lüsterne Gier kriegerischer Nachbarn zu wecken. Immerhin fand sich in diesen Familien von Kirchenvasallen ein höherer Grad von Wohlstand, Unabhängigkeitssinn und Verständnis vor, wie sich eigentlich hätte vermuten lassen. Ihr Acker versorgte sie mit Brot, ihre Herden mit Fleisch, und in allen Familien wurde im Monat November ein fetter Ochse geschlachtet und für den Winter in Salzwasser gelegt, und bei besonders festlichen Gelegenheiten griff die kluge Hausfrau wohl nach einem Hahn oder einer Henne oder auch wohl ein paar Tauben in den Geflügelstall, und der Garten brachte Kohl und andres Gemüse, die Flüsse aber, deren Wasser noch durch keinerlei Industrie verdorben wurde, lieferten Fische für die Fastenzeit im Ueberflusse.

Auch an Feuerungsmaterial litten sie nie Mangel, denn die Moore lieferten Torf über Torf und die Wälder Bau- und Brennholz. Dazu kam nun für die Besserung der Lebensverhältnisse noch der nicht unbedeutende Vorteil, daß diesen Kirchenlehen Jagdrecht zustand, und kein guter Hausvater unterließ es, im Herbst einen Rehbock abzuschießen.

Mit dem Unterricht lag es freilich noch sehr im argen, und man durfte wirklich sagen, daß die Bewohner »besser ernährt als belehrt« würden, indessen boten auch ihnen sich zur Erweiterung des Wissens bessere Gelegenheiten als andern Landleuten im Reiche. Die Mönche unterhielten im allgemeinen freundlichen Verkehr und Umgang mit ihren Vasallen und Hörigen, und es traf sich oft, wenn ein Knabe besonders gute Veranlagung zeigte, daß sich ein Bruder der besondern Mühe unterzog, ihm Unterricht in den Wissenschaften zu geben, die sich freilich zumeist nur auf die Mysterien des Schreibens und Lesens erstreckten, denn nur in Ausnahmefällen reichten die Kenntnisse der Klosterbrüder selbst in andre Wissenssphären hinüber. Da aber, wie schon bemerkt, den Häuptern dieser Familien mehr Ruhe zu geistiger Arbeit blieb, so konnten sie begreiflicherweise all ihr Tun und Lassen besser überlegen und erwägen als die in ewigen Fehden liegenden Nachbarn, und hierdurch waren sie mit den Jahren in der ganzen Umgegend solcher Abtei in den Ruf von Schlauheit und Pfiffigkeit gekommen, während sie anderseits zufolge des verhältnismäßig größern Wohlstandes, in welchem sie sich befanden, und der geringeren Gelegenheit, sich kriegerisch zu betätigen, keinen günstigen Ruf als mutige, unternehmungslustige Männer genossen. Sie hielten sich auch möglichst untereinander, heirateten gemeinhin nur aus einem Abteidorf ins andre und hatten vor nichts anderm in der Welt größere Bange, als in die verderblichen Fehden und die unaufhörlichen Aergernisse und Zwistigkeiten der weltlichen Lehnsleute verwickelt zu werden.

So beschaffen war im großen und ganzen der Zustand dieser Abteigemeinden, die aber in den verhängnisvollen Unruhen, die in die Regierungsjahre der Königin Maria fielen, infolge von feindlichen Einfällen furchtbar gelitten hatten. Die protestantischen Engländer waren so wenig geneigt, katholisches Klerisei-Gut zu schonen, daß sie darin noch weit schlimmer hausten als in jedem weltlichen Besitztum. Der im Jahre 1550 zwischen den beiden Nachbarreichen geschlossene Frieden hatte den unglücklichen Landstrichen wieder einige Ruhe verschafft, und es hatte sich allmählich alles wieder ins alte Gleis zurückgefunden. Die Mönche hatten ihre zerstörten Kapellen wieder angefangen aufzubauen, und die kleinen Vasallenfesten, die von den englischen Söldnern in Schutt und Asche gelegt worden waren, erstanden nacheinander wieder zu neuer Blüte. Der Ackersmann schlug seine Hütte wieder auf, und aus den Einöden, wohin die Leute ihr Vieh getrieben hatten, kehrte langsam, was noch am Leben war, in die Dorfschaften zurück, die Felder wurden wieder bebaut, aus den Mooren wurde wieder Torf gefördert, die Wälder wurden wieder aufgeholzt, für neuen Wildstand wurde gesorgt, und so zog wieder, wie für die andern Abteien im schottischen Reiche, auch für das Sankt Marien-Kloster zu Kennaqhueir und für die zu ihm gehörige und von ihm abhängige Gemeinschaft voll Lehnsleuten und Hörigen Ruhe und Frieden ein und währte manches glückliche Jahr, so lange es der Geist der Zeit und die Lage des Volkes vergönnten.

Zweites Kapitel

Wir sagten im vorigen Kapitel, daß die meisten Pächter oder Lehensleute in dem zu ihrem Stadtgebiete gehörigen Bezirke ihre Wohnstätte hatten. Das war jedoch nicht immer der Fall, und der einsame Turm, in den wir unsre Leser jetzt führen werden, bildete zum wenigsten eine feste Ausnahme von der sonstigen Gepflogenheit.

Es war ein kleines Gebäude, aber noch immer größer, als die sonst in diesen Dörfern befindlichen, und dem Anschein nach darauf eingerichtet, daß sich der Eigentümer im Falle eines Angriffs auf die eigene Tapferkeit verlassen müsse. Ein paar ärmliche Hütten am Fuße der »Burg« dienten den Pachtleuten oder Hörigen des Vasallen als Aufenthalt. Die Lage der »Burg« war romantisch: sie erhob sich auf einem bewaldeten Hügel, der nach Süden zu in eine wilde Schlucht vorsprang, während auf der andern Seite sich ein Bach um sie herumzog, der die ihr von Natur verliehene Sicherheit wesentlich erhöhte.

Die größte Sicherheit aber verlieh der kleinen Feste, die den Namen Glendearg führte, ihre versteckte Lage. Wer zu ihr gelangen wollte, mußte sich ein paar Stunden auf mühsamem Pfade durch das vielfach verschlungene Tal hindurcharbeiten und wohl an die zwanzig Mal über den Bach setzen, der sich durch die engen Gründe wand und alle hundert Schritte durch neue Felsschiebungen in ein andres Bett hineingezwängt wurde, um dann über Schroffen und Schrägen hernieder zu schießen. Jäh stiegen zu beiden Seiten des Tales die Felswände empor und hielten den Bach gefangen. Für Reiter war jede Passage hier ein Ding der Unmöglichkeit; nur auf Fußpfaden war es möglich, hier vorwärts zu kommen, und so schien niemand zu vermuten, daß man auf solch beschwerlichen Wegen anderswohin als zur Hütte eines Hirten gelangen werde.

Aber so einsam und beschwerlich auch das schmale Tal zu sein schien und so unfruchtbar es sein mochte, so entbehrte es anderseits doch manches Reizes nicht. Am Ufer des Baches, auf den kleinen schmalen Rändern wuchs Gras so dicht und grün, daß an die hundert Gärtner vierzehn Tage hätten mähen können und wohl kaum damit zustande gekommen wären. Der Gießbach, der bald zwischen engen Wänden sich wand, bald unbehindert durch das Tal hinschoß, führte seine Fluten sorglos dem hellen Teiche zu. Die Berge stiegen über dem Tale auf und wiesen ihm das graue Felsgestein, von der vor Menschengedenken reißende Gewässer alles Grün hinweggewaschen hatten, aber stellenweise blinkten noch immer einzelne Baumgruppen und mageres Gebüsch herunter von den Höhen, das dem Zahne der Herden, dem Messer der Lehnsleute entgangen war und der Gegend Schönheit und Mannigfaltigkeit zugleich verlieh. Aeußerst reich war die Waldflora im Tale, Eichen und Birken, Eschen und Erlen, Schwarzdorn und Espen einten sich mit dem purpurnen Schimmer der mit Heidekraut bewachsenen Spitzen zu einem buntfarbigen Bilde ohnegleichen, das zu dem tiefern Grün und zu der samtnen Weiche des Rasens am Höhenfuße und in den Talgründen in anziehendem Gegensatze stand.

Aber trotz all dieser Schönheiten ließ sich die Gegend weder als erhaben noch auch nur als malerisch bezeichnen. Die seltsame Einsamkeit, die hier herrschte, bedrückte das Herz, und der Wanderer fühlte sich unsicher, wohin er die Schritte lenken solle und wo der unwegsame Pfad sein Ende finden werde. Dadurch wird die Phantasie wohl immer stärker angeregt als durch große Szenerien, bei denen sich genau berechnen läßt, wie weit ein Gasthaus noch entfernt ist, in welchem wir wissen, daß wir den Mittagstisch gedeckt finden oder eines bequemen Nachtquartiers uns versichert halten dürfen. Indessen sind dies alles Gesichtspunkte einer spätern Zeit, denn in derjenigen, von welcher wir sprechen, wußte man weder etwas von malerischer Natur noch von den Bequemlichkeiten eines Gasthofs. Für sie war diese Gegend schätzenswert aus andern, dem Geist ihres Zeitalters angemessenen Gesichtspunkten. Der Name des »roten Tales«, den sie trug, war nicht bloß herzuleiten von der Purpurfarbe des Heidekrauts auf ihren Höhen, sondern auch von dem dunkleren Rot der Felsen und Erdmassen, die in dieser Gegend unter dem Namen »Scaurs« bekannt sind. Auf der Höhe von Ettrick liegt ein ähnliches Tal, das aus ähnlichen Ursachen den gleichen Namen führt, und wahrscheinlich hat es solcher Täler mehrere in Schottland gegeben.

Da Glendearg, mit dem wir uns hier zu befassen haben, keinen übermäßigen Zuwachs von sterblichen Gästen erhielt, so bevölkerte es der Aberglaube zum Ersatze hierfür mit Bewohnern einer andern Welt, für die seine einsamen Klüfte ohne Zweifel einen vorzüglichen Zufluchtsort boten. Das »braune Männchen«, wohl der echte Abkömmling der Zwerge des Nordens, wollte man öfter im Moorgrunde gesehen haben, und zwar ganz besonders nach der herbstlichen Nachtgleiche, wenn sich im dichter werdenden Nebel die Dinge nicht mehr genau unterscheiden lassen. Auch eine »Feenhöhle« kannte man im Tale, in einer abgelegenen rauhen Schlucht, und hier sollten die grillenhaften Geschöpfe, die nur selten dem Menschen wohlwollen, nächtlicherweise ihren Spuk treiben. Geheimnisvolle Schauer lagerten über dem ganzen Tale, durch das man aus dem breitern Tale des Tweed nach der Feste Glendearg gelangte. Jenseits des Hügels, auf dem die Feste stand, wurden die Höhen steiler, um sich stellenweis so dicht an den schmalen Bach heranzudrängen, daß sie kaum Platz für einen schmalen Pfad frei ließen, und hier bildete ein tosender Wasserfall eine Art Talsperre und über ein paar Felsen hinweg stürzten polternd die zu Gischt und Schaum gepeitschten Wassermengen in grausige Tiefe. Unfern von dieser Stelle zog sich ein unwegsamer Morast, scheinbar ohne Grenzen, auf dem nur Wasservögel hausten, und der zwischen den Talbewohnern und den Nachbarn auf der Nordseite eine Art Scheidewand bildete.

Freilich war dieser Morast den Wegelagerern und Freibeutern wohlbekannt, und gar oft suchten sie hier sichre Zuflucht. Oft auch dehnten sie ihre Streifen bis ins Tal hinunter aus und drangen zu der kleinen Feste hinauf, um dort Gastfreundschaft zu begehren, die ihnen auch gewährt wurde, ohne daß jedoch die friedlichen Bewohner aus jener Zurückhaltung heraustraten, die ein europäischer Ansiedler im nördlichen Amerika bezeigen mag, wenn wilde Indianertrupps bei ihm Einkehr halten und um Bewirtung ansprechen, die er mehr aus Furcht denn aus Gastfreundschaft gewährt.

Indessen waren auch in dieser Hinsicht früher andre Anschauungen hier maßgebend gewesen. Der letzte Lehnsmann, Simon Glendinning, rühmte sich, von dem alten Geschlecht der Glendowynne zu stammen, die auf der Westgrenze ihre Sitze gehabt hatten, und wenn er abends am Feuer saß, dann erzählte er gern von den Heldentaten seiner Ahnen, von denen einer bei Ottoburne an der Seite des tapfern Grafen von Douglas gefallen sein sollte. Bei solchem Anlasse hielt dann Simon Glendinning in der Regel ein altes Schlachtschwert auf dem Schoße, das seine Ahnen geführt hatten, lange vorher, ehe einer aus dem alten Geschlecht sich bemüßigt gefunden hatte, bei den Mönchen von Kennaqhueir sich um ein Kirchenlehen zu bewerben. In neueren Zeiten hätte ja Glendinning gemütlich auf seiner Besitzung hausen und mit seinem Schicksale murren können, das ihn hierher verwiesen hatte und ihm nun jede Gelegenheit raubte, sich als Kriegsmann zu verdingen; damals aber fanden sich so viel Anlässe, das murrende Wort durch grimme Tat zu ersetzen, daß sich Simon sogar gezwungen sah, unter den Mauern des Klosterbanns vom Sankt Marien jenen unglückseligen Feldzug mitzumachen, der in der Schlacht von Pinkie ein so schlimmes Ende fand.

In diese Fehde war die katholische Geistlichkeit stark verwickelt, weil man die Heirat der noch unmündigen Maria mit dem Sohn des ketzerischen Heinrich zu verhindern strebte. Zufolgedessen hatten die Abteien ihre sämtlichen Vasallen aufgeboten und einen kriegsgeübten Heerführer gedungen, und viele von ihnen hatten sich selbst Waffen umgegürtet und waren mit einer Fahne ins Feld hinausgerückt, auf der die schottische Kirche unter dem Bilde einer weiblichen Gestalt kniete, mit der Umschrift: »Afflictae sponsae ne oblivisceris.« [Vergeßt nicht die bedrängte Braut]

Den Schotten tat es aber von je not an besonnenen Führern, denn an Feuer und Ungestüm fehlte es ihnen selber nie. Ihr unbesonnener Mut stürzte sie oft in den Kampf, ohne daß sie Rücksicht auf die eigne und die Stellung des Feindes nahmen, und die unausbleibliche Folge war immer der Verlust einer Schlacht. Aber bei der unheimlichen Schlächterei von Pinkie wollen wir uns nicht aufhalten; es genüge hier bloß die Bemerkung, daß Simon Glendinning an diesem Tage mit zehntausend Rittern und Hörigen den Tod fand und den Ruhm des alten Geschlechts durch diesen Tod nicht verringerte.

Als die traurige Kunde hiervon zum Turme von Glendearg gelangte auf ihrem Schreckenswege durch Schottland, da befand sich Simons Witwe Elspath Brydone in der einsamen Burg allein, ein paar Knechte ausgenommen, die weder zur Arbeit noch zum Kriege mehr taugten, und die hilflosen Witwen und Waisen der Mannen ausgenommen, die im Verein mit ihrem Herrn den Tod gefunden hatten. Der Jammer hielt seinen Einzug, aber was konnte Klagen und Jammern nützen? waren doch die Mönche, ihre Herren und Beschützer, durch die englischen Söldner selbst aus der Abtei vertrieben worden, hatten sich doch die Söldnerscharen überall in den Grenzdistrikten festgesetzt und die Bewohner, wenn auch zumeist nur dem Scheine nach, unter ihr Joch gezwungen. Bei den Trümmern der alten Feste Roxburgh hatte der Protektor Somerset ein festes Lager bezogen und befahl alle Umwohnenden zu sich, um, wie es in seinem Erlasse hieß, gegen Abgabe Sicherheit zu bekommen. Es war wirklich auch alle Kraft zum Widerstande gebrochen worden, und die wenigen Barone, die edelsinnig genug waren, sich auch dem Scheine nach nicht zu unterwerfen, gaben ihre Wohnstätten der Zerstörung preis und flüchteten in die einsamen Burgen im Gebirge, während alle Gegenden, deren Herren sich der Unterwerfung weigerten, von englischen Haufen durchzogen und gebrandschatzt wurden. Der Abt und die Klosterbrüder hatten sich über den Forth hinüber geflüchtet, und ihre Ländereien wurden um so härter mitgenommen, weil man sie für ganz unversöhnliche Feinde der englischen Krone hielt.

Unter den zu solchen Streifen kommandierten Truppenabteilungen kommandierte Stawarth Bolton eine kleine Schar. Er war Hauptmann in englischen Diensten, aber er gehörte zu jenem bessern Teile englischer Hauptleute, die sich durch eine derbe Großmut und ritterlichen Sinn gegen die Besiegten auszeichnen. Als Frau Elspath Brydone ein Dutzend Reiter den Pfad durchs Tal entlang kommen sah und an der Spitze einen Mann gewahrte, dessen Purpurmantel und glänzende Rüstung mit dem wallenden Federbusch auf dem Helme den Anführer kennzeichneten, ersah sie sich keinen bessern Rat, als im langen Trauergewande mit ihren beiden Knaben an der Hand vor die mit eisernen Nägeln beschlagene Pforte zu treten, die Burg in ihrem vereinsamten Zustande zu übergeben und für sich und ihre Knaben um Schonung zu bitten.

»Ich unterwerfe mich, weil ich Widerstand nicht leisten kann,« waren die wenigen Worte, die sie an den englischen Hauptmann richtete.

»Um der gleichen Ursache willen, Frau, nehme ich Eure Unterwerfung nicht an,« erwiderte der englische Hauptmann; »ich begnüge mich mit der Erklärung, daß Ihr Frieden halten wollt, und nach dem Sinn Eurer Worte zu urteilen, ist daran wohl nicht zu zweifeln.«

»So teilt wenigstens mit uns, was an Vorräten noch in der Burg ist,« sagte Elspath Brydone, »denn Eure Rosse sind erschöpft und Eure Mannschaft bedarf der Erquickung.«

»Nein,« erwiderte der Hauptmann, »ich lehne Euer Anerbieten ab, denn es soll von uns englischem Kriegsvolk nicht heißen, daß wir die Witwe eines tapfern Kriegsmanns mit einem Zechgelage belästigt hätten, als sie noch um den Hausvater trauerte. Kameraden! Doch halt!« setzte er hinzu und schwenkte sein Roß herum, »es streifen in allen Richtungen Parteien herum, sie müssen ein Wahrzeichen finden, daß Ihr unter meinem Schutze steht. Komm her, kleiner Gesell,« sagte er zu dem ältesten Knaben, der etwa neun oder zehn Jahre alt sein mochte, »gib mir mal Deine Mütze!«

Der Knabe wurde rot bis hinter die Ohren, zauderte und blickte finster drein, bis es endlich der Mutter gelang, ihm unter Worten freundlicher Zurechtweisung die Mütze aus der Hand zu nehmen. Sie gab sie dem Hauptmann, der das gestickte rote Kreuz aus seinem Barett löste und an die Mütze steckte. Hierauf sagte er zu der Witwe:

»Durch dieses Zeichen, das all den Unsern heilig ist, werdet Ihr gesichert sein vor jedem Ueberfall.«

Dann setzte er dem Knaben die Mütze wieder auf, aber kaum war es geschehen, als der Knabe trotzig, mit wilden Blicken, ehe die Mutter es ihm wehren konnte, die Mütze vom Kopf gerissen und in den Bach geschleudert hatte. Eilends aber kam der andre Knabe herbeigerannt, lief zum Bache hin und sprang der Mütze nach. Es gelang ihm, sie den Fluten zu entreißen, und er brachte sie der Mutter wieder. Vorher aber zog er das Kreuz aus dem Tuche, küßte es mit tiefer Inbrunst und barg es an seiner Brust. Den Engländer befremdete und ergötzte dieser Auftritt, und mit einem Tone, der zwischen Ernst und Scherz schwankte, fragte er den ältern der beiden Knaben:

»Weshalb hast Du das Kreuz weggeworfen?«

»Weil der heilige Georg bloß im Süden was zu suchen hat,« antwortete mürrisch der Knabe.

»Gut,« sagte der Hauptmann, und dann wandte er sich an den jüngern:

»Und was dachtest Du, kleiner Freund, als Du das Kreuz wieder aus dem Wasser holtest?«

»Der Priester sagt, es sei allen Christen ein Zeichen des Heils.«

»Auch gut erklärt,« sagte der Hauptmann. »Wahrlich, liebe Witfrau, um diese beiden Jungen beneide ich Euch. Gehören sie Euch beide?«

Wenn der Hauptmann diese Frage stellte, so hatte er gewiß Grund dazu, denn Halbert Glendinning hatte rabenschwarzes Haar und schwarze, große, stechende Augen, die unter den gleichfarbigen Brauen düster blitzten, und eine dunkelgebräunte Hautfarbe; sein Gesichtsausdruck war freimütig, fest und bestimmt in einem Maße, wie sein Alter kaum hätte erwarten lassen. Der jüngere Brüder hingegen hatte blondes Haar und blaue Augen, eine zartere Gestalt und einen sanftern Gesichtsausdruck, er sah fast bleich aus und auf seinen Wangen leuchtete nicht der rosige Hauch kräftiger Gesundheit. Indessen sah der Knabe durchaus nicht krankhaft aus, auch mangelte ihm nicht das Ebenmaß der Formen; er war im Gegenteil ein hübsches Kind, dessen milder, liebevoller Blick unmittelbar zum Herzen sprach.

Die Mutter blickte erst stolz, dann zärtlich von einem Knaben zum andern, dann antwortete sie dem Hauptmann:

»Freilich, edler Herr! es sind beides meine Jungens!«

»Und vom gleichen Vater?« fragte der Hauptmann weiter; doch als er die Röte bemerkte, die ihre Wangen überflog, setzte er rasch hinzu: »Nein, kränken wollte ich Euch nicht, liebe Frau; aber ich würde meine Gevatterin drüben in Merry Lincoln auch nicht anders fragen. Na, das muß ich sagen, Ihr habt da ein Paar herrliche Buben, und ich wünschte, Ihr könntet mir einen davon überlassen, denn ich könnt gar gut einen gebrauchen, lebe ich doch mit meiner Frau auf unsrer alten Burg ganz kinderlos. Na, wie steht's, Jungens, wer will von Euch beiden mit mir mitkommen?«

Die Mutter erschrak ob solcher Rede und zog mit beiden Händen die Knaben näher zu sich heran, während beide dem Hauptmann ihre Antworten gaben.

»Ich geh nicht mit Euch mit,« sagte Halbert keck, »Ihr seid ein treuloser Mann aus dem Süden, und die Männer aus dem Süden haben meinen Vater erschlagen, aber ich will auf Tod und Leben mit Euch kämpfen und streiten, kann ich erst einmal das Schwert meines Vaters schwingen.«

»Na, Du kleiner Streithammel,« versetzte der Hauptmann, »der schöne Brauch, auf Tod und Leben miteinander zu ringen, wird ja in unsern Tagen noch nicht verschwinden. ... Na, und Du, mein zarter Flachskopf, Du magst auch nicht mit mir mitkommen und auf hübschen Steckenpferdchen spazieren reiten?«

»Nein,« erwiderte Edward stockend, »denn Ihr seid ja ein Ketzer!«

»Ei, das muß ich sagen, liebe Frau,« erwiderte der Hauptmann, »meine Werbung hat bei Euch schlechten Fortgang, und doch beneide ich Euch um die beiden Jungen.« Weder Harnisch noch Koller konnten den tiefen Seufzer verbergen, mit dem er innehielt, dann aber fuhr er fort: »Na, wer weiß, schließlich setzte es bloß Verdruß mit meiner Hausfrau darüber, welcher von beiden ihr der liebste wäre, denn mir gefiele doch der schwarzäugige besser, und sie entschiede sich doch ganz gewiß für den flachsblonden. Na, was hilft's! wir müssen uns mal drein finden, daß wir keine Kinder haben sollen, und müssen das Glück, Kinder zu haben, glücklicheren Menschen lassen als wir sind. ... Sergeant Brittson, Du bleibst hier, bis Du abkommandiert wirst. Beschütze diese Leute, Du bist mir Bürge für sie. Füge ihnen keinerlei Kränkung und Schaden zu, und sorge dafür, daß dies auch von andern nicht geschieht. Ich halte mich an Dich, verstehst Du? ... Liebe Frau, Brittson ist ein verheirateter Mann, alt und verläßlich. Sorgt, daß er pünktlich sein Essen hat. Aber haltet ihn mäßig im Trinken!«

Abermals bot Frau Glendinning dem Hauptmann Erfrischungen an, aber mit unsicherer Stimme und erfüllt von dem stillen Wunsche, daß er es ablehnen möge; denn da sie, nach dem gewöhnlichen Irrtum von Eltern, annahm, dem Hauptmann möchte es ebenso sehr darum gehen, Kinder zu bekommen, wie ihr, sie zu behalten, so fürchtete sie, es möchte ihn am Ende die Freude über die beiden Jungen, der er so derben Ausdruck gegeben, dazu verleiten, ihr einen davon zu nehmen. Sie umklammerte sie deshalb mit beiden Händen, wie wenn sie mit ihrer schwachen Kraft bereit sei, sie zu beschützen, wenn man Gewalt brauchen sollte, und mit sichtlicher Freude sah sie, wie der kleine Trupp umlenkte und sich anschickte, den Talweg hinunter zu ziehen.

»Ich bin Euch nicht böse drum,« sagte Stawarth Bolton, dem ihre Empfindung nicht entging, »daß Ihr mir argwöhnisch nachschaut, wie der englische Falke über Eurer schottischen Sumpfbrut schwebt. Aber macht Euch keine Sorge! wenig Kinder, wenig Sorgen; und ein kluger Mann holt sich Kinder nicht aus fremdem Hause. Gehabt Euch, liebe Witfrau, und wenn Euer schwarzer Musje mal in die Lage kommt, einen Zug nach England zu unternehmen, dann soll er Weiber und Kinder schonen, und soll nicht vergessen, daß es Stawarth Bolton in Schottland auch so gemacht hat.«

»Gott geleit Euch, Ihr edler Mann aus dem Süden!« sagte Elspath Brydone, doch erst, wie er es nicht mehr hören konnte, denn er gab seinem Rosse die Sporen, um an die Spitze des Zuges zu kommen, und langsam verschwanden Helmbusch und Rüstung hinter der Biegung, die das Tal hier machte, in der Ferne.

»Mutter,« sagte der älterer der beiden Knaben, »wenn hier für solchen Kerl aus dem Süden gebetet wird, dann sag ich nicht Amen dazu.«

»Mutter,« sagte der andere in ehrerbietigerer Weise, »darf man auch für einen Ketzer beten?«

»Darauf kann Gott allein Antwort geben, zu dem ich bete und flehe,« antwortete in schwerer Bedrängnis ob dieser beiden Reden aus Kindermund Witwe Elspath, »aber die beiden Worte: Süden und Ketzer, haben Schottland zehntausend seiner tapfersten und rüstigsten Männer gekostet, haben Euch den Vater und mir den Gatten geraubt, und ich mag die beiden Worte nicht mehr hören, weder als Segnung noch als Verwünschung. Geht mit mir in den Turm, Sergeant Brittson!« sagte sie zu dem Soldaten. »Was wir unser nennen, steht Euch zu Diensten.«

Drittes Kapitel

Die Kunde davon, daß der englische Hauptmann der Witwe von Glendearg Sicherheit gegeben habe, daß weder ihr Vieh weggetrieben, noch ihre Vorräte geraubt würden, hatte sich bald über das ganze Klostergebiet und seine Umgegend verbreitet, und unter den Leuten, zu deren Ohren sie gelangte, befand sich auch eine Dame, die, obgleich viel höheren Standes als die Witwe Glendinning, sich nun zufolge des gleichen Verhängnisses in weit größeres Elend versetzt sah.

Die Frau war die Witfrau Walter Avenels, eines tapfern Kriegsmanns aus altem, vornehmem Grenzgeschlechte, das vormals unermeßliche Güter in der Grafschaft Eskdale besessen, die aber schon seit vielen Jahren in andre Hände übergegangen waren. Indessen war ihnen eine Herrschaft von beträchtlichem Umfange und unfern von dem Landsitz des Sankt Marien-Klosters geblieben. Dieselbe lag auf der gleichen Flußseite, wo sich an der Spitze des Tals von Glendearg der kleine Turm Glendinnings erhob. Hier hatten sie seit vielen Jahren gelebt und, ob sie gleich weder reich noch mächtig waren, einen ansehnlichen Rang unter den Adeligen der Umgegend inne gehabt. Durch seinen Mut und Unternehmungsgeist hatte sich der letzte Ritter und Baron von Avenel in eine noch höhere Achtung gesetzt.

Als Schottland nach dem furchtbaren Schlage, den es bei Pinkie-Cleuch erhalten hatte, wieder sich einigermaßen zu erholen anfing, da war Walter Avenel einer der ersten gewesen, die einen Guerillakrieg gegen die englischen Machthaber eröffnen halfen in der ganz richtigen Auffassung, daß ein Volk, das von einem fremden ins Joch gespannt wird, sich am leichtesten durch fortdauernde Nadelstiche lästig und verderblich machen kann. In einem dieser Guerillakämpfe war der Ritter von Avenel erschlagen worden, und als die Nachricht hiervon auf das Schloß gedrungen war, folgte ihr eine andre Hiobspost auf dem Fuße, daß ein Trupp englischer Krieger im Anmarsche sei, um das Schloß und die Besitztümer der Witwe zu plündern. Es sei in dem feindlichen Hauptquartier beschlossen worden, ein Exempel zu statuieren, das andre im Lande abschrecken sollte, dem Beispiele des Erschlagenen zu folgen.

Der unglücklichen Witwe von Avenel bot sich keine andre Zuflucht, als eine erbärmliche Schäferhütte zwischen den Hügeln. Dorthin schaffte man sie in aller Eile, so daß sie kaum begriff, was mit ihr vorging, und warum die bestürzte Schloßdienerschaft sie mit ihrem jungen Töchterchen aus ihrem Hause und in eine so unwirtliche Gegend brachte. Die Frau des Schäfers war in bessern Tagen Magd auf dem Schlosse gewesen und hieß sie mit all der Ehrfurcht und Demut willkommen, die sie von diesem frühern Verhältnis zu der Schloßherrin noch gewöhnt war. In der ersten Zeit war sich die Schloßherrin ihres Elendes kaum bewußt geworden. Als aber der Schmerz sich halb und halb beruhigt hatte, und als sie für ihre Lage Verständnis fassen konnte, da fehlte wenig, so hätte sie den Gemahl um die schweigsame Stätte beneidet, die er, wenn auch viel zu früh, gefunden hatte. Die Dienerschaft mußte sich, als sie die Herrin in der einsamen Hütte untergebracht hatte, selbst nach einer Unterkunft umtun, und die armen Hirten waren bald nicht mehr im stande, den Unterhalt für ihre Herrin zu beschaffen, da sie ja selbst am Notwendigsten Mangel litten, denn die paar Schafe und Kühe, die noch aus der ersten Durchsuchung der Gegend gerettet worden waren, hatten die Engländer bald nachher aufgestöbert und weggetrieben, so daß ihnen nun der Hunger entgegengrinste.

»Nun sind wir verloren und stehen am Bettelstabe,« sagte der alte Schäfer Martin, händeringend, »o, diese Spitzbuben, diese habgierigen Kerle! Kein Stück von der Herde haben sie uns übrig gelassen! wovon sollen wir nun leben?«

»Ach, und wie weh hats mir getan, als Dickchen und Grauchen, unsre letzten beiden Kühe, den Hals nach dem Stalle zurückwandten und brummten, als die Rotjacken sie mit ihren Lanzen aus dem Stalle trieben.«

»Vier Kerle warens bloß,« sagte Martin, »und wie lange ists her, da hätten sich keine vierzig so weit getraut, aber mit unserm guten Ritter ist alle Kraft und Mannheit hin.«

»Um des heiligen Kreuzes willen, Mann, sei still,« bat die Frau, »ist doch unsre arme Herrin ohnedem halb tot! Sieh nur, wie ihr die Augenlider zucken! Noch ein Wort mehr, und sie stirbt uns am Herzkrampf!«

»Ach, wenn wir bloß erst alle hinüber wären!« sagte Martin, »wie das noch werden soll, das geht über meinen Verstand. Um meinetwillen härme ich mich nicht, Tibbie, wir können ja darben und arbeiten; aber die gnädige Herrin hat ja beides nicht gelernt.«

So besprachen sie sich unverblümt über die Lage, in der festen Meinung, die arme Frau mit ihrem todbleichen Gesicht, mit den zuckenden Lippen und den halb erloschenen Augen könne sie nicht hören.

»Einen Rat wüßt ich schließlich noch,« meinte nach einer Weile der Schäfer wieder, »aber ich weiß nicht, ob sie es übers Herz bringt. Die Witwe überm Tal drüben, die Glendinning, hat von den Halunken aus dem Süden Sicherheit bekommen, daß ihr kein Soldat, gleichviel aus was für Grund und Ursach, ins Haus hinein treten darf. Wenn sich unsre Frau ein bißchen beugen wollt und bei der Frau Elspath um Unterkunft nachsuchen möcht, bis sich die Zeiten ein bißchen beruhigt und gebessert haben, dann wär das für ihresgleichen keine geringe Ehre, aber ...«

»Eine Ehre ...« erwiderte Frau Tibbie, »na, und was für eine! ... damit könnt ihre Sippe sich noch groß tun, und wenn ihre Knochen schon lange gebleicht sind! ... Aber, Gott im Himmel! bei der Witwe eines Kirchenvasallen soll unsre gnädige Frau, eine Baronin von Avenel, um Unterstand einkommen!«

»Dumm genug ists freilich,« meinte Martin; »aber was bleibt andres übrig? Hier im Elend bleiben und verhungern? und wo wollen wir denn sonst hin? Ich weiß nicht besser zu raten, als der erste beste Schafbock, den ich auf die Weide getrieben habe.«

»Sprecht nicht weiter darüber,« ergriff da, sich unvermutet ins Gespräch mischend, die Witwe von Avenel das Wort, »ich will zum Turme hinüber gehen. Frau Elspath stammt von braven Leuten, sie ist Witwe und Mutter von Waisen. Sie wird mir ein Plätzchen in ihrem Hause vergönnen, bis sich das Gewitter verzogen hat. So lange solcher Sturm haust, bleibt man besser im tiefen Busche versteckt, als daß man sich auf Höhen begibt.«

»Siehst Du, Frau,« sagte Schäfer Martin, »die Gnädige ist zweimal so gescheit wie wir.«

»Das muß doch auch sein,« antwortete Frau Tibbie, »denn die Gnädige ist ja im Kloster erzogen worden, sie kann in Seide sticken, kann Weißzeug säumen und Muscheln aufreihen.«

»Meint Ihr,« sagte die Dame zu Martin, ihr Kind fest an den Busen pressend, »daß wir bei der Frau von Simon Glendinning willkommen sein werden?«

»O, sicher, ganz sicher, gnädigste Frau,« erwiderte Martin, »des Willkomms sind wir doch auch wohl wert. In den ewigen Kriegen sind die Menschen zur Rarität geworden und werden wohl noch lange Rarität bleiben. Ich kann mich doch noch immer tüchtig rühren, besser als je im Leben, und kein Weib weiß mit Kühen bessern Umgang als meine Frau, die Tibbie!«

»Ich wollte noch ganz andre Dinge verrichten, wenn ich in einem vornehmen Hause sein könnte,« sagte die Frau, »aber bei der Frau Elspath Glendinning gibts keine Perlen zu reihen und keine Hauben aufzuputzen.«

»Laß ab mit Deinen hoffärtigen Gedanken, Weib!« versetzte der Schäfer, »Du wirst im Hause und draußen genug zu schaffen finden, und es müßte doch schlecht hergehn, wenn nicht zwei Menschen das bißchen Essen für drei verdienen sollten, denn das kleine liebe Ding von Fräulein ist doch noch gar nicht zu rechnen. Aber weg von hier, weg! was wollen wir herumstehn und Zeit verlieren, es sind doch an die drei Stunden, die wir wandern müssen über Berge und durch Sumpf und Morast. Für eine zum vornehmen Leben geborne Dame ist das doch was andres, als ein Spazierritt ums Schloß herum!«

Um das bißchen Hausgerät brauchten sich die beiden Schäfersleutchen nicht zu bekümmern. Ein alter abgetriebner Gaul, den die Soldaten wohl nicht gemocht hatten, weil er scheute und sich von keinem Fremden einfangen ließ, obendrein das Futter wohl nicht wert war, erhielt die Aufgabe, die paar Decken und sonstigen Dinge zu tragen, die des Mitnehmens verlohnten. Shagram hieß der Gaul, und als er auf den Pfiff des Schäfers herankam, da fand der alte Mann, daß er durch einen Pfeil, den gewiß irgend solch ein Rotrock aus Aerger darüber, daß er ihn nicht hatte fangen können, in den Leib geschossen, verwundet worden war.

»Ach, du armer Kerl,« klagte Martin, »mußt du auch noch lernen, was die langen Bogen von diesem Gesindel auf sich haben? mußt dus auf deine alten Tage auch noch lernen, wie wir alle?«

»Ach, in welcher Schlucht, in welchem Tale wehklagt man nicht darüber?« sagte die Witwe von Avenel.

»Ja, ja, gnädige Frau,« erwiderte der Schäfer, »Gott behüte bloß die Schotten vor diesen schrecklichen Waffen! denn vor flinken Hieben wissen sie sich zu schützen. ... Aber machen wir uns nur auf den Marsch! das bißchen Kram, das wir noch in der Hütte lassen, kann ich schon ein ander Mal nachholen. Vergreifen wird sich hierherum wohl niemand dran, es wohnt ja bloß gute Nachbarschaft im ganzen Tale ... und mit andrer ...«

»Lieber Mann, sprecht nicht solche Gedanken aus,« bat die Witwe, »wir müssen noch über manch einsame, gefährliche Stelle, ehe wir am Gatter von Glendinnings sein werden. Um Gottes willen, haltet vor allen Dingen Frieden!«

Der Mann versprach es ihr durch ein Nicken, denn es hatte schon seine Gefahr, von den Feen und Hexen des Talgrundes als guter Nachbarschaft zu reden, vor allem, wenn man an Plätzen vorbei mußte, die in dem Rufe standen, von ihnen bewohnt zu sein.

Es war der letzte Tag des Oktobermonats, an welchem die drei Leute mit dem kleinen Freifräulein die Wanderschaft antraten.

»Heut ist grade Dein Geburtstag, meine süße Mary,« sagte die Witwe, und der Stachel bittrer Erinnerung traf ihr Herz. »O, wer hätte ahnen sollen, daß das kleine Köpfchen, das heute vor wenig Jahren im Schoße fröhlicher Verwandten gewiegt wurde, in dieser Nacht vielleicht umsonst nach einem Obdach suchen wird?«

Die Flüchtlinge machten sich nun auf den Weg. Das liebliche kleine Mädchen, Mary Avenel, ein Kind zwischen fünf und sechs Jahren, ritt nach Zigeunerart, zwischen Betten gepackt, auf dem Gaule, die Witwe von Avenel schritt neben dem Gaule, die Schäfersfrau führte den Gaul am Zügel, und der alte Martin ging ein Stück voraus, um den besten Weg zu ermitteln.

Aber sobald man die erste Wegstunde hinter sich hatte, wurde dieses Amt mühseliger und schwieriger, als er sich vielleicht gedacht oder als er es hatte sagen wollen. Das große Stück von Weidefläche, wo er jeden Winkel kannte, mußten sie im Westen liegen lassen, denn das Tal von Glendearg lag in östlicher Richtung, und in den rauheren Strichen von Schottland ist der Uebergang von einem Tal ins andre, wenn man nicht über die Berge steigen will, in der Regel nur schwer zu finden. Der Wanderer muß über Schroffen und Klüfte, und Sümpfe und Klippen halten ihn auf oder bringen ihn vom Wege ab. So erging es auch dem Schäfer Martin, und wenn er auch im allgemeinen sich nicht im unklaren darüber war, daß er die rechte Richtung inne behielt, so wurde ihm doch mit der Zeit bange, und er mußte sich langsam eingestehen, daß er den graden Weg verfehlt habe. Noch immer aber meinte er versichern zu dürfen, daß man nicht mehr weit vom Ziele ab sein könne.

»Wenn wir bloß erst über den großen Sumpf hinüber wären,« sagte er, »dann könnt ich einstehen, daß wir die Turmspitze von Glendearg sehen müßten.«

Aber diese Aufgabe zu lösen, war keine geringe Schwierigkeit, denn je weiter sie vordrangen, unter der äußersten Behutsamkeit, die Martin gebot, um so gefährlicher wurde der Weg, um so tiefer sanken sie ein; aber da sie die gleichen Gefahren zu überwinden hatten, wenn sie wieder umdrehten, wurde es für besser erachtet, den Weg fortzusetzen und nicht umzudrehen.

Lady Avenel war freilich für solche Strapazen nicht erzogen worden, aber was vermag eine Mutter nicht zu vollbringen, wenn sie ihr Kind in Gefahr weiß! Sie klagte weniger über die Beschwerden der Wanderung als Martin und seine Frau, die an dergleichen Dinge doch von Kindesbeinen an gewöhnt waren. Sie blieb dicht an der Seite des Pferdes, achtete fürsorglich auf jeden seiner Tritte, immer ängstlich bedacht, ihr Kind in die Arme zu heben, wenn dem Pferde der Boden unter den Füßen verschwinden sollte.

Endlich gelangten sie an eine Stelle, wo der Schäfer nicht mehr aus und ein wußte, denn rings um die Wanderer her zeigte sich zerrissener Heideboden, nach allen Seiten hin liefen tiefe Furchen, die mit schwarzem, zähem Moor gefüllt waren.

Nach langer Ueberlegung entschied sich Martin endlich für einen Pfad, der in schrägerer Richtung lief als die andern, und damit das Kind noch besser geschützt sei als bisher, nahm Martin das Pferd selbst am Zügel. Aber Shagram fing an zu schnaufen, die Vorderfüße zu strecken und die Hinterbeine anzuziehen und weigerte sich, auch nur einen Schritt noch weiter zu tun. Martin stand in Verwirrung und Zweifeln da, er wußte nicht, ob er Gewalt gegen das Tier brauchen oder ihm den Willen lassen solle, und was ihm seine Frau darauf sagte, als er unschlüssig fragte, was wohl am besten sei, war auch nicht danach angetan, ihn mutiger oder gescheiter zu machen, denn als sie sah, daß Shagram die Nüstern blähte und ängstlich zusammenschauerte, sagte sie leise:

»Du, glaub mir, der sieht mehr als ein Mensch sehen kann.«

Als sie nun unschlüssig standen und keiner wußte, was zu tun sei, rief das Kind plötzlich:

»Die schöne Dame winkt uns zum Turme hinauf!«

Alle blickten nach der Stelle, die des Kindes Finger wies, aber sie nahmen nichts wahr, als ein aufsteigendes Gekräusel von Dunst, aus dem bloß eine Kindesphantasie sich eine menschliche Gestalt zurechtgliedern konnte, und der Martin bloß noch die weitere Gefahr im Anzuge befindlicher Nebel vor die Augen rückte.

Noch einmal versuchte er, das Pferd in der Richtung, die er für die beste hielt, vorwärts zu treiben, aber er mußte das Vergebliche solcher Bemühung erkennen. Das Tier weigerte sich, auch nur noch einen Schritt weiter zu machen.

»Na, dann lauf Deinen eignen Weg, dummes Biest,« rief Martin, »und zeig, wohin Du uns bringst.«

Als das Tier seinen eignen Weg gehen durfte, schlug es kühn die Richtung ein, die das Kind gezeigt hatte. Es braucht das weiter nicht zu verwundern, auch nicht, daß das Pferd auf diesem Pfade die Wanderer glücklich über den Sumpf brachte, denn der »Sumpfinstinkt« von Pferden, die in Sumpfgegenden geboren sind, ist eine seltsame, vielbemerkte Eigenschaft dieses an sich zu den klügsten Tieren gehörenden Geschöpfes. Aber merkwürdig blieb es, daß das Kind noch mehrmals der »schönen Dame« Erwähnung tat, wie auch der Winke, die sie ihm gebe, und daß anderseits das Pferd sich beflissen zeigte, genau die angedeutete Richtung einzuhalten. Die Lady achtete im Augenblicke jedoch wenig darauf, denn ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Gefahr gerichtet, die sie zu bestehen hatten, dagegen tauschten die beiden Schäfersleute bedeutungsvolle Blicke miteinander.

»Aller Heiligen Abend,« flüsterte Frau Tibbie ihrem Manne zu.

»Um der heiligen Gottesmutter willen jetzt kein Wort hiervon,« sagte Martin ebenso leise, »sprich Dein Gebet, Frau, wenn Du sonst nicht zu schweigen vermagst!«

Als sie auf festen Grund gelangt waren, gewahrte Martin auf der Spitze der nächstliegenden Hügel die rohen Grenzsteine, die ihm zeigten, in welcher Richtung er gehen müsse, und nun erreichten sie bald den Turm von Glendearg. Bei dem Anblick der kleinen Feste fühlte sich die unglückliche Dame von den herben Unglücksschlägen, die sie getroffen hatten, tief erschüttert. Mit welcher Ehrerbietung war sie sonst begrüßt worden, wenn sie sich in der Kirche oder auf Märkten oder sonst im öffentlichen Leben gezeigt hatte! alle Weiber der Vasallen und Lehensmänner sahen in ihr die Gemahlin des angesehenen, mächtigen, aus uraltem Geschlecht stammenden Ritters von Avenel, und nun war ihr Stolz so tiefgebeugt, nun war sie in ihrem Range so tief gestürzt worden, daß sie um Unterstand betteln mußte bei der Witwe eines solchen Vasallen, um Unterstand, der vielleicht gar keine Sicherheit für sie bot! ... Martin, der wohl merken mochte, was in ihrem Innern vorging, blickte zu ihr auf mit flehendem Ausdruck, wie wenn ihn die Furcht beschliche, sie könnte ihren Entschluß am Ende noch ändern, aber die Dame beschwichtigte, indem sie mehr auf seine Mienen einging als auf seine Worte hörte, diese Regung in dem Gemüte des schlichten Mannes, wenn auch der alte Stolz nur mühsam bezwungen ward und hin und wieder noch immer in ihren Augen aufleuchtete:

»Wär ich allein, dann stürbe ich lieber ... aber um des Kindes willen, um meiner lieben, süßen Mary willen, ... um dieses letzten Sprossen des Hauses Avenel willen ...«

»Freilich, gnädigste Dame, freilich!« sprach ihr der Schäfer zu, und um jede Möglichkeit eines andern Entschlusses abzuschneiden, fügte er hinzu: »Ich will vorausgehen zu der Frau Elspath, ich hab ihren Mann gut gekannt und hab mit ihm eingekauft und Geschäfte gemacht, als er auch einer von den besser Gestellten im Lande noch war.«

Martin hatte sich seines Anliegens bald entledigt, und die Unglücksgenossin sagte nicht nein. Lady Avenel war im Glück immer leutselig und nie hochmütig gewesen, hatte auch vieles Gute getan unter den Armen im Lande, und das Unglück, das sie jetzt betraf, rief bei allen Leuten im Lande, vornehmlich aber in der Nachbarschaft ihrer Besitzung, das tiefste Mitleid wach. Zudem mußte es ja auch dem Selbstgefühl einer niedriger gestellten Frau schmeicheln, daß sie durch ein freundlicheres Schicksal in die Lage gesetzt wurde, einer so hochgestellt gewesenen Dame Unterstand in ihrer bescheidnen Behausung zu gewähren. Um jedoch alle Gerechtigkeit gegen Frau Elspath Glendinning zu wahren, dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß sie auch Teilnahme für eine Frau im Herzen trug, die von dem gleichen Unglück betroffen worden war wie sie, die aber weit schwerer daran zu tragen hatte als sie. Den armen Flüchtlingen wurde alle Gastfreundschaft gewährt, die die gegebnen Umstände ermöglichten, ehrerbietig und willig, und das herzliche Ersuchen wurde damit verbunden, sich so lange in Glendearg wohnlich einzurichten, als es durch die Umstände geboten wäre oder sich mit Geschmack und Neigungen vertrüge.

Viertes Kapitel

Als die Verhältnisse im Lande wieder ruhiger geworden waren, wäre die Witwe Walter Avenels wohl gern wieder in ihr Schloß zurückgekehrt, doch stand solches Tun nicht mehr in ihrer Macht. Unter der damaligen Regierung, die von einem der eigentlichen Königin gesetzten Vormunde geführt wurde, galt das Recht des Stärkern, und wer viel Gewalt und ein weites Gewissen hatte, machte sich diese Wirren zu nutze und riskierte die gröblichsten Eingriffe in die Rechte andrer. Sir Walter von Avenel hatte noch einen jüngern Bruder, Julian mit Namen, der war ein Mann von solchem Schlage und säumte nicht lange, von der Burg und den Ländereien des Bruders Besitz zu ergreifen, sobald die Engländer das Land verlassen hatten. Zuvörderst ergriff er wohl Besitz im Namen seiner Nichte. Als aber seines Bruders Witwe die Absicht äußerte, mit ihrem Töchterchen wieder in das Schloß zurückzukehren, erklärte er kurz und bündig, Schloß und Land Avenel sei ein Mannslehen und falle mithin nach dem Heimgang des ältern an den jüngern Bruder, also an ihn. So wenig wie jener Philosoph sich in einen Streit mit dem Kaiser einließ, der über zwanzig Legionen gebot, so wenig konnte die Witwe Walter Avenels sich in einen Prozeß mit dem Herrn über zwanzig Banditen und Freibeuter einlassen, die alle im Falle der Not bereit und willig waren, ihm Hilfe und Beistand zu leisten.

So rechtlich begründet nun auch der Anspruch von Walters ehelicher Tochter mit seiner Gattin zur rechten Hand und erster Ehe auch war, so sah sich die Witwe, wenn auch nur vorläufig, doch gezwungen, ihrem gewissenlosen Schwager freie Hand zu lassen. Ihre Langmut und friedliche Gesinnung zeitigte zum wenigsten den Entschluß bei demselben, sie der Milde einer Vasallenwitwe nicht völlig anheimgestellt zu lassen, sondern eine Viehherde nach Glendearg in Weidepacht zu geben und Kleidung und Hausgerät, auch einiges Geld, dies jedoch nur in beschränkter Höhe, zu senden.

Mittlerweile fanden die beiden Witwen Gefallen an ihrem Zusammenleben, so daß sie sich nur ungern wieder hätten trennen mögen. Einen stillern und sicherern Aufenthaltsort als ihr der Turm von Glendearg bot, hätte die Witwe von Avenel kaum finden können, und sie war ja jetzt auch in die Lage gesetzt, ihr Teil zu den Kosten des gemeinschaftlichen Haushalts beizutragen. Anderseits gewährte der Frau Elspath der Umgang mit einer so vornehmen Dame nicht minder Freude als Ehre, und sie zeigte ihr immer weit mehr Demut und Hingebung, als von dieser begehrt und gern gesehen wurde.

Das Schäferpaar Martin und Tibbie erwiesen sich als die emsigsten und treuesten Knechte und suchten sich in allerhand Verrichtung nützlich zu machen, und zwar beiden Frauen, wenn sie sich auch in erster Linie abhängig von der Dame Avenel hielten. Hin und wieder kam es infolgedessen wohl zu einem kleinen Zwiste zwischen Frau Elspath und Martins Frau, wenn die eine eifersüchtig auf ihrem Ansehen bestand und die andre Rang und Herkunft ihrer Herrin zu scharf in den Vordergrund schob. Indessen ließen es sich beide immer angelegen sein, solchen Zwist untereinander abzumachen und die Dame Avenel nichts davon merken zu lassen, denn die Frau Elspath hatte vor ihrer Leidensgefährtin wohl kaum einen geringeren Respekt als die Schäfersfrau. Auch gingen diese kleinen Mißhelligkeiten nie so weit, daß der Hausfriede gestört wurde, denn von dem einen der beiden Teile wurde immer rechtzeitig eingelenkt und nachgegeben, wenn der andre, und das war in der Regel die Schäfersfrau, ein wenig zu weit in ihrem Übereifer für ihre eigentliche Herrin gegangen war.

Nach und nach entschwand den beiden Witwen das Interesse für die jenseits ihrer Berge gelegene Welt, und nur, wenn Alice von Avenel an hohen Festtagen in der Klosterkirche Messe hörte, gedachte sie jener Zeit noch, da sie auf gleicher Höhe mit den stolzen Gemahlinnen der Barone des Landes gestanden hatte, die gleich ihr in der Abteikirche erschienen. Aber solche Erinnerungen schmerzten sie nur wenig. Sie hatte ihren seligen Gemahl nicht um des äußerlichen Ansehens willen geliebt, sondern um seiner persönlichen Tugenden willen, und nachdem sie seinen Verlust hatte ertragen müssen, war alles andre Leid, das sie betraf, nicht mehr im stande, sie zu erschüttern. Zwar kam es ihr bisweilen in den Sinn, für ihre Tochter den Schutz der Königin-Regentin Maria von Guise zu erbitten, aber immer trat hindernd die Bange vor ihrem Schwager Julian zwischen Gedanken und Ausführung, denn sie durfte sich nicht verhehlen, daß ein solcher Mensch wie er, sich nicht besinnen würde, ihr das Kind zu rauben, wenn er nicht gar noch zu schrecklicheren Maßregeln griffe, sobald er sich in seinem Raube irgendwie gefährdet sähe. War er doch ein gewalttätiger und roher Gesell, der in allerhand Fehden verstrickt war und überall sich einmischte, wo Lanzen und Speere gebrochen wurden. Zudem zeigte er keinerlei Neigung, in den Ehestand zu treten. Und bei seiner ewigen Händelsucht konnte ihn leicht das Schicksal heimsuchen, das er unentwegt herausforderte, und ihn aus dem Erbe reißen, das er sich auf so schmähliche Weise angeeignet hatte. Darum meinte Lady Alice, daß sie klüger täte, den Einflüsterungen ihres Ehrgeizes jetzt nicht Gehör zu leihen sondern ihr Leben in der bisherigen Ruhe und Zurückgezogenheit in der dürftigen, aber friedlichen Freistatt weiter zu führen wie bisher.

Es war wiederum zu Allerheiligen, und die beiden Witfrauen hatten nun drei Jahre zusammen gelebt, und sie saßen in der alten engen Halle in der Feste von Glendearg mit der Dienerschaft um das lodernde Herdfeuer versammelt. Damals kannte man den Brauch von heute, daß die Herrschaft für sich und die Dienerschaft für sich haust, noch nicht. Man wohnte zusammen und nahm die Mahlzeiten zusammen ein. Der oberste Platz am Tische und der behaglichste Sitz am Herde, das waren die einzigen Vorrechte, die der Herrschaft innerhalb der Wohnstätte zugehörten, und der Dienerschaft stand nicht minder das Recht zu, an dem von der Herrschaft geführten Gespräch, wenn in ehrsamer, züchtiger Weise, sich zu beteiligen. Was die eigentlichen Knechte anbetraf, so gehörten denselben die außen gelegnen Hütten, und die beiden Dirnen, die Töchter des einen Knechts, versahen die häusliche Arbeit, früh, ehe sie aufs Feld hinaus gingen, oder abends, wenn sie vom Felde heimkehrten.

Wenn sie draußen waren, schloß Martin erst das eiserne Gatter, dann das innere Tor ab, und dann ordnete sich die kleine Hausgemeinschaft wie folgt: Frau Elspath setzte sich an den Spinnrocken, Tibbie kochte die Molken ab, die in einem großen Kessel über dem Feuer hingen, und Martin widmete sich aller Hausarbeit, die sich gerade fand, denn zu jener Zeit war jeder Haushälter sein eigner Maurer, Schmied und Zimmermann, sein eigner Schneider und Schuster, und hatte außerdem noch ein aufmerksames Auge auf die Kinder des Hauses.

Den Kindern stand das freie Recht zu, sich nach Herzenslust in den Räumen des Hauses zu tummeln; aber heute war es ihnen danach nicht zu Mute, heute blieben sie in der Nähe der Mutter.

Alice von Avenel saß bei einem eisernen Leuchter, in welchem eine ungetüme Fackel brannte, deren Gestell aus der häuslichen Schmiede hervorgegangen war, und beim Schein des Feuers, das in derselben flammte, las sie abgerissene Stellen aus einem mit starken Schlössern versehenen Buche, das sie mit äußerster Sorgfalt aufbewahrte. Die Lady hatte in ihrer Jugend, während ihres Aufenthalts im Kloster, die Kunst des Lesens gelernt, aber sie in den letzten Jahren kaum noch betätigen können, da sich ihr ganzer Bücherschatz auf das kleine Buch, das sie jetzt in der Hand hielt, beschränkte. Die Hausgenossenschaft lauschte ihrem Vortrag, wenn sie auch für den Sinn so gut wie kein Verständnis haben mochte, aufmerksam, und wenn auch Alice oft gewillt war, ihrer Tochter einen tiefern Einblick in ihr Wissen zu verschaffen, so kam sie doch auch hiervon immer wieder ab, weil es damals noch eine gefährliche Sache war, Dinge zu verstehen, die noch nicht als Allgemeingut des Volkes galten, im Gegenteil leicht auf den Verdacht führten, daß sie nur durch Umgang mit bösen Geistern erworben seien.

Von Zeit zu Zeit wurde die Dame von Avenel in ihrer Lektüre durch das Toben der Kinder gestört, denen dann Frau Elspath einen bald mehr, bald minder derben Verweis erteilte. Zuletzt schickte sie ihre beiden Knaben ins Bett, aber kaum hatten sie in der Absicht, sich diesem Befehle zu fügen, den Fuß aus der Halle gesetzt, als sie mit angsterfüllten Gesichtern wieder hereingestürzt kamen, um zu melden, daß in der Speisekammer ein gewappneter Mann sich aufhalte.

»Wer wirds denn anders sein als der Christie von Clinthill?« sagte Martin; »aber warum mag er zu solcher Stunde sich hier einfinden?«

»Und wie mag er hierher gekommen sein?« fragte Elspath.

»Ach, was wird er wollen?« rief die Dame von Avenel, der dieser Mann, den sie als einen Anhänger ihres Schwagers kannte und der als sein Beauftragter schon hin und wieder in Glendearg gewesen war, immer ein geheimes Grauen verursachte. »Gott! o Gott! wo ist mein Kind?« rief sie plötzlich und sprang auf.

Alle rannten nach der Speisekammer, Halbert Glendinning wappnete sich mit dem rostigen Schwert seines Vaters, und sein jüngerer Bruder nahm das Gebetbuch der Dame. Aber ihre Angst schwand, als sie vor der Tür der Speisekammer die kleine Mary stehen sahen, die nicht im geringsten erschrocken oder geängstigt aussah. Schnell traten sie nun in den Raum, wo zur Sommerszeit hin und wieder einmal das Essen eingenommen wurde. Aber es befand sich niemand in dem Raume.

»Wo ist denn Christie von Clinthill?« fragte Martin.

»Ich weiß es nicht,« antwortete die Kleine.

»Was treibt Ihr denn für Unfug, Ihr garstigen Kinder?« fragte Frau Elspath ihre beiden Knaben. »Ihr rast in die Halle herein, schreit, als wenn Ihr am Spieße steckt, und erschreckt unsre liebe Dame um nichts und wider nichts.«

Die Knaben sahen einander stumm und verwirrt an, und die Mutter fuhr in ihrer Strafpredigt fort:

»Konntet Ihr keinen andern Abend als Allerheiligen und keine andre Zeit, als da uns die Dame von den frommen Heiligen vorlas, für Eure Possen finden? ... Aber kommt mir nur unter die Finger! ich wills Euch schon eintränken!«

Der ältere der Knaben schlug die Augen nieder, der jüngere fing an zu weinen, aber beide schwiegen, und wenn sich das kleine Mädchen jetzt nicht eingemischt hätte, würde es ohne Schläge für die beiden Knaben wohl nicht abgegangen sein.

»Frau Elspath, es ist meine Schuld, daß Halbert und Edward gerufen haben. Ich sagte ihnen, es sei ein Mann in der Speisekammer.«

»Und warum erschreckst Du uns alle so?« fragte die Mutter ihre Tochter.

»Weil,« stammelte das Kind, »weil ich nicht anders konnte.«

»Weil Du nicht anders konntest?« sagte die Mutter. »Was ist das für eine Rede, Kind? Du verursachst unnützen Lärm, unnütze Angst, weil Du nicht anders konntest? ... was soll diese Rede, mein Kind?«

»Aber es ist wirklich ein gewappneter Mann in der Speisekammer gewesen,« sagte das Kind, »und weil ich mich darüber gar so gewundert habe, habe ich Halbert und Edward gerufen.«

»Also hat sie es selbst gesagt,« meinte Halbert, »ich hätt' es gewiß nicht erzählt!«

»Ich auch nicht!« ergänzte wetteifernd Edward.

»Fräulein Mary,« hob Frau Elspath an, »Ihr habt uns doch nie was gesagt, das nicht wahr gewesen wäre; nun sagt uns doch aufrichtig, wozu war solche Komödie notwendig zu Allerheiligen?«

Es schien, als wenn die Dame von Avenel willens sei, sich einzumischen, aber sie wußte nicht recht, wie, und Elspath war zu neugierig, in Erfahrung zu bringen, wie es sich um die Sache verhielt, als daß sie einen Wink von ihr hätte beachten sollen, und fuhr deshalb fort:

»War es denn Christie von Clinthill? Wie soll er denn aber ins Haus hineingekommen sein, ohne daß man es gehört hätte?«

»Christie wars nicht,« antwortete Mary, »es war ..., war ... ein Herr, ein hübscher Mann mit glitzerndem Harnisch, wie ich ihn damals gesehen habe, als wir noch oben auf dem Schlosse waren.«

»Und wie hat er denn ausgesehen?« fragte Tibbie, die Schäfersfrau, die auch an dem Verhör, in das die Kleine genommen wurde, teilnahm.

»Er hat schwarze Augen gehabt, schwarzes Haar und einen schwarzen Spitzbart,« antwortete das Kind, »und lauter Perlenschnüre um den Hals, die ihm bis auf den Harnisch hinunter reichten, und auf seiner linken Hand hat ein wunderschöner Falke gesessen, mit silbernen Glöckchen und rotseidner Haube auf dem Kopfe.«

»Um Gottes willen!« rief die erschrockne Dienerin, »fragen wir nicht weiter! Seht doch nur, wie bleich meine Herrin wird!«

Aber die Dame von Avenel nahm ihr Kind bei der Hand und drehte sich eilig um, um in die Halle zurückzugehen, so daß man nicht sehen konnte, welchen Eindruck die Erzählung des Kindes, die sie so rasch abgebrochen hatte, auf sie weiter gemacht hatte. Was jedoch Frau Tibbie darüber dachte, ließ sich an den vielen Kreuzen erkennen, die sie schlug. Und nach einer Weile flüsterte sie der Frau Elspath ins Ohr:

»Gott steh uns bei! die Kleine hat ihren Vater gesehen.«

Als sie nachher wieder in die Halle traten, fanden sie die Dame von Avenel mit ihrem Töchterchen auf dem Schoße, in Tränen gebadet. Sie küßte das Kind mit leidenschaftlichem Schluchzen, stand aber auf, als die andern Hausbewohner wieder hereintraten, wie wenn sie nicht wollte, daß man sie beobachtete, und ging in das kleine Stübchen, wo sie mit dem Kinde zu schlafen pflegte.

Daß sich die Bewohner, als sie sich allein sahen, sogleich mit der übernatürlichen Erscheinung, für die sie den Vorfall ansahen, weiter beschäftigten, war bei dem abergläubischen Charakter, der den Schotten überhaupt eigentümlich ist, nicht zu verwundern.

»Mir wärs lieber gewesen, ich hätte den Gottseibeiuns – die heilige Jungfrau möge uns schützen – leibhaftig gesehen, als daß ich diesen Christie von Clinthill in meinen vier Pfählen vermuten sollte. Wie die Rede im Lande geht, ist der Kerl ein ganz vermaledeiter Spitzbube, wie kaum je einer im Sattel gesessen hat.«

»Na, na, Frau Elspath, der Christie tut Euch nichts zu leide. Ihr wißt doch, jede Kröte hält ihr Loch sauber. Ihr Kirchenleute erhebt auch gar zu viel Lärm, wenn sich einer um sein bißchen Brot drehen und wenden muß. Wenn unsre Grundherren die flinken Jungen aus dem Hause jagten, dann ritten sie gar bald mit kleinem Gefolge.«

»Besser wärs schon, sie ritten allein, als daß sie bloß Not und Elend damit übers Land bringen!«

»Wer soll denn aber die aus dem Süden vom Lande fernhalten?« fragte Tibbie, »wenn Ihr Lanzen und Schwerter aus dem Lande bringt? .... Wir alten Weiber mit Rocken und Spindel könnens doch, weiß der Himmel, nicht machen, und die Mönche mit dem Weihrauchwedel und dem Gebetbuch doch auch nicht!«

»Und wann habt Ihrs erlebt, daß Schwerter und Lanzen sie vom Lande fern gehalten hätten?« fragte Elspath, »wenn ich dazu was sagen soll, dann stritte wohl niemand mir ab, daß mich einer aus dem Süden besser behütet hat als all die Grenzreiter mit all ihren Andreaskreuzen! und der Mann aus dem Süden war Stawarth Bolton! ... An der ganzen Feindschaft mit England ist nach meinem Dafürhalten weiter nichts schuld, als die ewigen Ausfälle und Einfälle an der Grenze; weiter nichts als das hat meinem guten Manne und so vielen andern noch das Leben gekostet! ... Da wird immer geschwatzt von einer Heirat zwischen unsrer Königin und dem Prinzen drüben; aber das ist doch immer bloß der Deckmantel, um die Leute drüben in Cumberland auszuplündern, die dann wieder über uns herfallen.«

Frau Tibbie wäre unter andern Umständen die Antwort auf solch verächtliche Bemerkungen ihrer Landsleute nicht schuldig geblieben, aber sie zog in Betracht, daß die Frau, die es ihr sagte, die Hausherrin sei, und deshalb schluckte sie die Bemerkungen, so heftig sie sie auch wurmten, hinunter und wechselte, ihre Vaterlandsliebe unterdrückend, eilends den Gesprächsgegenstand.

»Ist es nicht seltsam, daß die Erbtochter von Avenel in dieser heiligen Nacht ihren Vater gesehen hat?« fragte sie.

»Meint Ihr denn wirklich, daß es ihr Vater gewesen sei?« fragte Frau Glendinning.

»Was soll man sonst glauben?« fragte Frau Tibbie.

»Vielleicht hat irgend ein Unhold sich in seine Gestalt gesteckt?« meinte Frau Elspath.

»Das ist für mich nicht leicht zu sagen,« erwiderte die Tibbie, »aber daß es eine Gestalt war, das steht fest, darauf möcht ich jeden Eid tun! grade so hat er ausgesehen, wenn er auf die Jagd ritt, und wenn Feinde in der Nähe waren, legte er selten den Brustharnisch ab. Ich meinesteils bin immer der Meinung gewesen,« setzte die Tibbie hinzu, »ein Mann, der keinen Brustharnisch trägt, ist kein ganzer Mann.«

»Ich habe an Eurem Brustharnisch durchaus keinen Gefallen,« erwiderte Frau Glendinning, »aber ich weiß, daß auch solchen Gesichtern an solch heiligen Tagen kein großer Segen kommt.«

»Meint Ihr?« fragte die Tibbie.

»Das ist meine Meinung ganz entschieden,« – erklärte die Glendinning ... »mir ist übrigens auch solch Gesicht gekommen.« »Wirklich? was Ihr sagt!« und mit diesen Worten rückte die Tibbie ihren Schemel näher an die Hausherrin heran; »ach, erzählt doch bitte, von so was hör ich gar zu gern.«

»Na, Tibbie, Ihr müßt nämlich wissen,« hub Frau Glendinning an, »daß ich in meinem neunzehnten und zwanzigsten Jahr auf keinem Tanzfest, bei keiner Lustbarkeit gefehlt habe, wenn ich nur irgend von daheim hab abkommen können.«

»Das ist doch weiter nicht verwunderlich,« sagte die Tibbie, »aber seitdem seid Ihr um vieles gesetzter geworden, sonst hätten sich doch auch unsre jungen Burschen nicht so arg um Euch gerissen.«

»Mir sind Dinge passiert, die wohl jedem die Lust ausgetrieben hätten!« meinte die Glendinning, »aber recht habt Ihr, Tibbie, an Freiersleuten hats mir nicht gefehlt, denn so ungestalt war ich eben nun nicht grade, daß alle Kälber hinter mir hergeblökt hätten.«

»Das muß wohl gewesen sein,« pflichtete die Tibbie bei, »seid Ihr doch heut noch eine stattliche Frau!«

»Ach, redet doch nicht!« verwies sie die Herrin über Glendearg, indem nun auch sie ihren Ehrenschemel ein Stückchen näher an den der Gevatterin rückte ... »mit meiner Schönheit ists längst vorbei, aber es mag ja früher anders damit ausgesehen haben; ich hab mich ja auch immer ganz manierlich herausstaffiert und hatte ja doch auch ein ganz hübsches Eckchen Land mit als Zugabe unterm Mieder. War doch mein Vater Eigentümer von Littledearg ...«

»Richtig, das habt Ihr mir schon ein paarmal gesagt,« erwiderte die Tibbie, »jetzt erzählt aber lieber, wies am heiligen Abend sich verhalten hat!«

»Na, gut, gut!« lenkte Frau Glendinning ein, »ich hatte mehr als einen Freiersmann, aber besonders gewogen war ich keinem. Nun saß da am heiligen Abend der Pater Niklas, der Kellermeister – er wars vorm Pater Klement, ders jetzt ist – mit bei uns, knackte Nüsse und trank seinen Krug Braunbier, und wir waren gar lustig miteinander. Da haben sie mich geneckt, ich sollt doch einen Spaß mitmachen und sollt mal sagen, wen ich wohl mal freien möcht! und der Pater, der sagte, es wäre doch dabei gar nichts Sündhaftes, und wenn ers am Ende gar selber wäre, dann wollt er mir gleich vorher den Ablaß erteilen. ... So bin ich denn in die Scheune hineingegangen, um dreimal die Fruchtkelle zu schwingen, dabei ist mir aber gar bange geworden, daß ich was Schlimmes anstellen oder was Schlimmes erleiden könnt ... und ich hatte kaum die dritte Kelle geschwungen, der Mond schien blitzhell auf die Tenne, da stand mein lieber Simon Glendinning vor mir, der nun auch eingekehrt ist zu seinem Herrgott. Leibhaftiger hatt ich ihn mein Lebtage nicht gesehen als damals. Er hielt einen Pfeil in die Höhe, während er vor mir einherging, und da fiel ich in Ohnmacht. Es hat viel Mühe gekostet, bis sie mich wieder zur Besinnung gebracht hatten, und sie wollten mir nun durchaus einreden, daß es ein schlechter Streich vom Pater Niklas gewesen sei, den er mit dem Simon verabredet gehabt hatte, und daß der Pfeil nichts weiter zu bedeuten hätt, als der von dem Schelm Cupido ... und auch nach der Heirat hat mir der Simon das noch immer einreden wollen ... du mein liebe Zeit, erklärlich ists doch, daß er sich nicht gern nachreden lassen mocht, er sei schon bei Lebzeiten mal als Geist umgegangen! ... Na, Tibbie, wie die Sach ausgegangen ist, das wißt Ihr ja, wir haben uns geheiratet, der Simon und ich, und aus dem Liebespfeil, mit dem er mir damals erschienen ist, ist gar schnell sein Todespfeil geworden.«

»Wie für gar viele andre auch!« seufzte die Tibbie, »ach, wenns bloß diese verwünschten Pfeile in der Welt gar nicht geben möcht!«

»Aber, Tibbie, sagt doch bloß, warum liest denn Eure Herrin immer in dem schwarzen Buch mit den eisernen Schließen? es kommen zwar manche recht schönen Worte drin vor, aber die schicken sich doch für niemand als für einen Priester. Ja, wenn vom roten Robin drin stünd oder ein paar Balladen vom David Lindsay, dann könnt man eher wissen, was man sich drunter zu denken hätt. Ich bin ja durchaus nicht mißtrauisch gegen Eure Frau, aber gefallen wills mir durchaus nicht, daß in meinem rechtschaffnen Hause Gespenster und Kobolde ihr Wesen zu treiben anfangen!«

»Ihr habt gar keine Ursache, meiner lieben Frau mit Mißtrauen zu begegnen,« sagte die treue Tibbie, fast entrüstet; »und wenn sie spricht oder tut, was sie will. Was aber das kleine Ding von Mädchen anbetrifft, so wißt Ihr ja, daß sie zu Allerheiligen vor neun Jahren das Licht der Welt erblickt hat, und daß solche Sonn- und Festtagskinder mehr sehen als andre Kinder.«

»Drum hat auch das Kind gar nicht gestört getan, als sie erzählt, was sie gesehen hatte. Wäre es mein Halbert oder gar mein Edward gewesen, der ja von Natur viel weicher und zarter ist, die hätten doch die ganze Nacht hindurch geschrien ohne Aufhören. Solche Gesichter sind dem Kinde aber jedenfalls was alltägliches.«

»Das kann schon sein,« antwortete die Tibbie, »wie ich Euch ja gesagt hab, sie ist am Allerheiligen geboren, und unser alter Pfarrer war immer froh, wenn er um die Nacht herum war und der Tag nach Allerheiligen dämmerte. Außerdem ist ja das liebe Kind beschaffen, wie jedes andre, das könnt Ihr doch selbst sehen; auch weiß ich mich nicht zu besinnen, daß es, ausgenommen diese Nacht, und dann den Tag, als wir den Weg durch das Moor gemacht haben, mehr Gesichter gesehen hätt als andre Kinder und Menschen.«

»Was hat sie denn im Sumpfe damals gesehen?« fragte Frau Glendinning neugierig.

»Ein Gesicht von einer weißen, schönen Dame, die uns, als wir in Gefahr waren, im Morast zu versinken, das Tor gezeigt hat. Na, so viel steht fest, unser Gaul stutzte, und ich weiß es ganz gewiß, daß mein Martin gedacht hat, das Tier säh allerhand Zeug.«

»Aber wer war denn die weiße Dame?« fragte Frau Elspath. »Wißt Ihr davon nichts?«

»O freilich weiß ich davon,« erwiderte Tibbie, »und hättet Ihr mehr unter vornehmen Herrschaften gelebt, so wüßtet Ihr auch von solchen Dingen.«

»Dafür hab ich auch immer meine eigne Haushaltung geführt,« antwortete Frau Elspath, und zwar nicht ohne Nachdruck, »und wenn ich nicht zu vornehmen Leuten gekommen bin, so sind doch vornehme Leute zu mir gekommen.«

»Gut, gut, liebe Frau Glendinning,« sagte Frau Tibbie beschwichtigend, »übel wars ja nicht gemeint, und nehmts nur nicht für ungut! ... aber Ihr müßt doch wissen, daß die alten edlen Geschlechter nicht bedient werden von den gewöhnlichen Heiligen, wie etwa dem heiligen Antonius oder dem heiligen Cuthbert – übrigens Lob und Preis ihnen, wie allen andern! – nein! die haben ihre besondern Heiligen oder Schutzengel ... und die weiße Maid von Avenel ist doch bekannt in der ganzen Umgegend. Soll jemand sterben aus dem alten Geschlecht, so sieht man sie wandeln und hört sie jammern und klagen tagelang, wie an die zwei Dutzend Leut bezeugen können, daß sie gesehen worden ist, ehe der hochgeborne Ritter Walter von Avenel – Gott segne seine Asche! – erschlagen wurde.«

»Kann sie nichts bessers,« rief Frau Glendinning fast grimmig, »so werden wohl nur wenig Gebete zu ihr dringen.«

»O die weiße Maid von Avenel kann noch weit Herrlicheres verrichten, wie in den alten Geschichten zu lesen steht,« erwiderte Tibbie, »ich hab aber selbst nichts weiter drüber erfahren, als wie das Kind sie drüben im Moorbruch gesehen hat.«

»Nun gut, gut, Tibbie,« antwortete Frau Glendinning, stand auf und brannte die eiserne Lampe an, »da haben Eure vornehmen Herrschaften freilich gar große Vorrechte. Aber für mich reichen die Jungfrau Maria und der heilige Paul hinreichend aus. Es sind große Heilige, die mich sicherlich auch nicht im Sumpfe stecken lassen werden, sobald sie mir helfen können, denn ich unterlaß es nie, zu Lichtmeß vier Wachskerzen in ihre Kapelle zu schicken; und wenn sie über meinen Tod auch nicht jammern werden, so werden sie sich doch freuen bei meiner fröhlichen Auferstehung, wozu uns Gott allen verhelfen möge. Amen!«

»Amen,« erwiderte die Tibbie andachtsvoll. »Und nun wirds wohl Zeit sein, ein Stück Torf nachzulegen, damit das Feuer nicht ganz und gar ausgeht.«

Sie verrichtete ohne Verzug diese Arbeit. Die Witwe Glendinning indessen sah sich noch einmal um, ob in der Halle alles am richtigen Platze stünde, dann sagte sie Frau Tibbie gute Nacht und begab sich zur Ruhe.

»Weiß der liebe Himmel,« sagte die Tibbie, »weil ihr Mann hier in dem Loche sein eigner Herr war, dünkt sie sich auch gleich für besser gebacken, als eine, die wie ich einmal Kammerfrau gewesen ist bei einer vornehmen Herrschaft.«

Als die Frau ihrem Unmut in diesen kurzen Worten Luft gemacht hatte, begab sie sich gleichfalls zur Ruhe.

Fünftes Kapitel

Seit dem schweren Schlage, der die Dame von Avenel getroffen hatte, hatte sich der Stand ihrer Gesundheit allmählich sehr verschlechtert, und es nahm mehr und mehr den Anschein, als seien seit dem Heimgange ihres Gemahls nicht erst wenige Jahre, sondern ein halbes Menschenalter hingegangen. Es kam ihr die Elastizität der Glieder, die Hautfarbe, die Frische abhanden und sie bekam ein bleiches, müdes, erschöpftes Aussehen, Schmerzen schien sie nicht zu leiden, aber jedem, der sie sah, mußte es auffallen, wie schnell sich ihr Kräfteverfall vollzog. Endlich entschwand auch das Rot von ihren Lippen, das Feuer aus ihren Augen, aber noch immer bezeigte sie kein Verlangen, einen Priester bei sich zu sehen. Frau Glendinning konnte sich jedoch in ihrem frommen Eifer nicht enthalten, einen Punkt zur Sprache zu bringen, der ihr für das ewige Seelenheil von hohem Belang dünkte, und Alice von Avenel nahm die Erinnerung mit freundlichem Dank hin.

»Sollte sich ein frommer Mann bereit finden lassen, den mühsamen Weg hierher zu wandeln,« sagte sie zu Frau Glendinning, »so wäre er mir freilich willkommen, denn die Gebete und Ermahnungen der Frommen sind ja doch immer von Segen.«

Zwar war diese gleichgültige Antwort gar nicht nach dem Sinne der Fragestellerin, aber ihre schwärmerische Begeisterung bestimmte sie, den Mangel an Eifer, den die Dame von Avenel an den Tag legte, dadurch wett zu machen, daß sie selbst einen geistlichen Beistand zur Stelle schaffte. Zu diesem Zweck wurde der Schäfer Martin auf dem alten Klepper Shagram, der noch immer das Gnadenfutter bekam, nach dem Kloster geschickt, mit dem Auftrage, einen geistlichen Herrn mit herüber zu bringen, der der Witwe des Ritters von Avenel die letzten Tröstungen erteilen könne.

Als der Sakristan den Klosterabt benachrichtigte, daß die Gemahlin des unglücklichen Ritters von Avenel in der Burg Glendearg krank darniederliege und nach dem Trost eines Beichtvaters begehre, verhielt sich der Abt eine Weile lang schweigend.

»Wir gedenken Walters von Avenel als eines wackern und tapfern Ritters, der von den Männern aus dem Süden seiner Güter beraubt und getötet wurde. ... Aber kann die Dame den geistlichen Trost nicht hier im Kloster nehmen? Der Weg nach Glendearg ist weit und beschwerlich.«

»Die Dame ist schwer krank, frommer Vater,« erwiderte der Sakristan, »und außer stande, den Weg hierher zu machen.«

»Wirklich? Ei, nun, dann muß sich freilich einer unsrer Brüder auf den Weg zu ihr machen. ...Weißt Du nicht, ob sie von dem andern Avenel, ihrem Schwager, eine Art Leibgeding erhalten hat?«

»Das ist sehr karg bemessen,« erwiderte der Sakristan, »seit ihres Mannes Tode hat sie in Glendearg gewohnt und fast ausschließlich von der Milde einer Witwe, der Frau Elspath Glendinning, das Leben gefristet.«

»Haha!« lachte der Abt, »Du kennst ja alle Witwen des Sprengels, haha!« und er schüttelte über den derben Spaß den stattlichen Schmerbauch.

Der Sakristan wiederholte das Lachen des Abtes in jenem Tonfall, der sich dem Untergebenen gegenüber dem Vorgesetzten schickt, und setzte dann mit erheucheltem Seufzer und schelmischem Augenblinzeln hinzu: »Es ist doch unsre Pflicht, hochwürdiger Vater, den Witwen in ihrer Not beizustehen und ihre Schmerzen zu lindern.«

Er stimmte jedoch das Lachen, mit dem er diese Rede zu schließen gedachte, wesentlich herunter, weil der Abt dem Ausspruch seine Billigung noch nicht gezollt hatte.

»Hahaha!« lachte dann wieder der Abt. »Aber jetzt Spaß beiseite! Zieh Deinen Reitkittel an, Pater Philipp, und begib Dich auf den Weg, der Dame von Avenel die Beichte abzunehmen.«

»Aber ...« warf der Sakristan ein.

»Komm mir mit keinem Aber,« fiel der Abt ein. »Wenn und Aber ziemen sich nicht zwischen Abt und Mönch. Die Bande des Gehorsams, Pater Philipp, dürfen sich nicht lockern, denn die Macht der Ketzerei will wachsen gleich einem Schneeball im Rollen. Das Volk begehrt Beichte und Predigt von den Benediktinern sowohl als von den Bettelmönchen, und wir dürfen nicht feiern im Weinberge des Herrn, wenn wir auch unter der Last der Arbeit erliegen.«

»Und wenn es der heiligen Stiftung so wenig nützt ...« warf der Sakristan wieder ein.

»Schön, Pater Philipp!« sagte der Abt; »aber weißt Du nicht, daß es wohlgetan ist, Reue zu verhüten? ... Dieser Julian von Avenel führt ein leichtsinniges Lotterleben, und wenn wir der Witwe seines Bruders den geistlichen Zuspruch verweigern wollten, möchte es ihm wohl beikommen, einen Streifzug in unser Gebiet zu unternehmen, und am Ende wüßten wir gar nicht, wo wir uns verstecken sollten. Zudem ist es unsre Pflicht dem alten Geschlecht gegenüber, das seinerzeit zu den eifrigen Wohltätern unsres Stiftes gehört hat. Drum brich augenblicklich auf, lieber Bruder in Christo, reite Tag und Nacht, und zeige aller Welt, wie angelegen es sich der Abt Bonifazius sein läßt, den ihm obliegenden geistlichen Pflichten gerecht zu werden, und wie redlich ihn seine frommen Brüder darin unterstützen. Keine Mühsal hält sie auf, denn das Tal ist mehrere Stunden lang; kein Schrecken hemmt sie in ihrem Berufe, denn es sollen in den Gründen und Schluchten dort böse Geister ihr Wesen treiben; nichts erschüttert sie auf den Wegen ihres seelsorgerischen Amtes, zur Beschämung verleumderischer Ketzer und zur Erbauung und Stärkung aller getreuen und gläubigen Kinder der katholischen Kirche. Es soll mich wunder nehmen, was Pater Eustachius dazu sagen wird.«

Außer Atem geraten durch diese Schilderung der Gefahren seiner Kirche und des Ruhmes seiner Kirche, begab sich Abt Bonifazius in das Refektorium, um seinen Morgenimbiß, einzunehmen, und der Sakristan begleitete, mehr unwillig als willig, den greisen Schäfer Martin. Was jedoch auf dem Ritte des Mönchs und des Schäfers nach Glendearg die meiste Mühe verursachte, war die Schwierigkeit, die Gangart des wohlgefütterten Maultiers, das der Mönch ritt, auf das langsamere Tempo des abgemagerten Kleppers herabzuschwächen, den der greise Schäfer Martin ritt. Aber sie kamen in Zeit von etwa drei Stunden nach der Feste von Glendearg, und hier weilte Pater Philipp eine reichliche Stunde an geheimer Unterhaltung mit der ehemaligen Schloßherrin von Avenel.

In unmutiger Stimmung trat er nach kurzer Zeit wieder ein und sank in trübes Sinnen. Frau Glendinning hatte für den frommen Gast allerlei Erfrischungen aufgetragen und betrachtete ihn mit großer Unruhe. Es ängstigte sie, daß er einen so hohen Grad von Verlegenheit zeigte, denn sie meinte in seinen Zügen zu lesen, daß er weit eher aussah, wie wenn er das Bekenntnis eines grausigen Verbrechens vernommen hätte, als die Beichte eines dem Tode nahenden einfachen Durchschnittssünders, der sein Herz für den Eingang in den Himmel erleichtern will.

Nach langem Zaudern konnte sie schließlich nicht umhin, an den frommen Mann eine Frage zu richten. Sie müsse wohl glauben, daß der Dame von Avenel die Beichte nicht leicht geworden sei, aber sie habe nun ganze fünf Jahre mit ihr zusammen gehaust und könne nichts anders sagen, als daß die Dame sich in dieser Zeit als eine durchaus brave und fromme Frau erwiesen habe, über deren Wandel sich nie die geringste Klage habe führen lassen.

»Weib!« erwiderte der Mönch mit strenger Stimme, »was hilft es, ein Gefäß nach außen hin rein zu halten, wenn es doch im Innern mit Ketzerschmutz besudelt ist!«

»Unsre Tische mögen ja so sauber nicht sein, wie Eure Ehrwürden es gern sehen möchten,« erwiderte die Frau, »die nur halb den Sinn seiner Worte erfaßte und sich bemühte, den Staub, auf den sie seinen Tadel bezog, mit der Schürze abzuwischen.

»Ihr seid im großen Irrtum, Frau Elspath,« erwiderte der Mönch, »Eure Schüsseln sind so rein, wie es bei Holzgerät und Zinnkrügen nur eben sein kann. Die Unsauberkeit, von der ich rede, ist die ketzerische Seuche, die sich mit jedem Tag und jeder Stunde mehr in unsre heilige schottische Kirche einschleicht, die wie der Krebs sich weiter frißt, den ganzen Körper zu einer fauligen Masse verheerend, von dem er ein Glied befallen hat.«

»Heilige Gottesmutter!« schrie Frau Glendinning, »mit einer verketzerten Frau hätt ich Haus gehalten?«

»Nicht doch, nicht doch,« versetzte der Mönch, »solchen Ausspruch über die beklagenswerte Dame fällen zu wollen, wäre ungerecht von mir, aber ich wünschte, es sei mir vergönnt, sie von ketzerischen Ideen frei zu machen. Ach, sie fliegen ja umher wie die Sommerfäden und verschleiern den Blick des Frommen, sie schleichen herum wie Seuchen, und stecken die schönsten und besten Schafe einer Herde an. Das kann man sehen an dieser Dame, die erhaben ist an Verstand, nicht minder als an weltlichem Range.«

»Und sie kann lesen und schreiben, fast hätt ich gesagt, ebenso gut, wie Euer Ehrwürden,« erwiderte Frau Glendinning.

»An wen schreibt sie?« fragte der Mönch eifrig, »und was liest sie?«

»Daß ich sie jemals schreiben gesehen hätt, nein, das kann ich nicht sagen,« erwiderte die Frau, »aber ihre Magd, – sie dient nur im Hause – die sagt, daß ihre Herrin auch schreiben könne, und gelesen, uns vorgelesen hat sie oft recht schöne Sachen und kluge Worte aus einem dicken, schwarzen Buche, das durch eiserne Schließen zusammengehalten wird.«

»Zeigt mir das Buch,« rief der Mönch hastig, »bei Eurer Verbindlichkeit als getreue Vasallin der Kirche, bei Eurem Glauben als rechtgläubige Christin – zeigt es mir auf der Stelle – ich muß es sehen, ich muß es sehen!«

Betroffen über die Art, wie der Beichtvater ihre Aeußerung aufgenommen hatte, schwankte Frau Glendinning eine Weile hin und her. Zudem war sie der Meinung, daß eine so brave Frau, wie die Dame von Avenel, die so fromme Andachten hielt, sich mit keinem Buche befassen werde, das Böses oder Versuchung zum Bösen enthielte. Allein die heftige Weise des Mönches, wie er nach dem Buche begehrte, seine Ausdrücke, die sich wie Drohungen anhörten, brachten sie endlich zu dem Entschlusse, das Buch herbeizuschaffen. Es war leichte Mühe, es der Dame wegzunehmen, denn sie lag jetzt, erschöpft von der langen Unterredung mit dem Beichtvater, fast bewußtlos auf ihrem Bett, und in das kleine, runde Turmkämmerchen, wo sie das Buch mit ihren andern Habseligkeiten zu verwahren pflegte, konnte man durch eine Nebentür gelangen. Zwar fühlte Frau Elspath noch immer Gewissensbeklemmungen, daß sie sich unrechterweise an fremdem Besitztum vergreife, aber der Nachdruck, mit welchem der geistliche Obere, der ja auch ihr weltlicher Grundherr war, das Buch von ihr gefordert hatte, und, wenn ich es auch ungern hier verzeichne, jene ihr als Evastochter angeborne Neugierde wirkten endlich entscheidend auf sie, und sie begab sich in das kleine Turmgemach, das Buch zu holen. ...

Kaum hatte sie es, mit einer Empfindung halb Reue, halb Wißbegier, dem Mönch in die Hand gegeben, kaum hatte es dieser aufgeschlagen, und das Titelblatt gelesen, als er entsetzt ausrief:

»Beim heiligen Orden, dem ich angehöre, es ist so, wie ich ahnte! Mein Maultier! mein Maultier! Hier mag ich nicht länger weilen. Du hast wohl daran getan, das gefährliche Buch mir zu überantworten.«

»Ist es denn ein Teufels- oder gar Hexenwerk?« fragte die Frau, bis auf den Tod erschrocken.

»Bewahre, bewahre!« antwortete der Mönch, »es ist die Heilige Schrift, aber übertragen in die Landessprache, und darum taugt es, nach dem Ausspruch der heiligen katholischen Kirche nicht in die Hände der Laien.«

»Aber die Heilige Schrift ist doch zu unser aller Seligkeit der Menschheit offenbart worden,« wandte Frau Elspath ein; »frommer Vater, belehrt mich eines Bessern in meiner Unwissenheit! Mangel an Verstand kann keine Todsünde sein, und fürwahr! ich wäre selbst in meinem einfältigen Sinne voller Freude, wär ich im stande, in der Heiligen Schrift zu lesen.«

»Das glaub ich schon, daß Dir das recht sei,« erwiderte der Mönch, »ganz so verhielt es sich auch mit unsrer Mutter Eva, als sie Gutes und Böses erkennen wollte. Dadurch kam die Sünde in die Welt, und die Sünde brachte den Tod in die Welt.«

»Ja, ja, so ists, so ists,« pflichtete die Frau dem Mönche bei, »ach, hätte sie sich doch an den Rat des heiligen Petrus und Paulus gehalten!«

»Hätte sie die Gebote des Himmels gehalten,« sagte der Mönch, »der ihr unter Bedingungen, wie sie am besten mit seinem heiligen Willen übereinstimmen, Dasein, Leben und Glück verlieh, dann, Frau Elspath, wär sie heut besser dran! Ich sage Dir, Weib, das Wort tötet! das ist der Buchstab allein, wenn er gelesen wird mit Augen, die nicht erleuchtet, mit Lippen, die nicht heilig sind! das Wort ist gleich einer starken Arznei, die ein Schwerkranker auf ärztliche Vorschrift nimmt. Ein solcher Kranker wird genesen und gedeihen; wer aber Arznei nehmen und brauchen will nach eignem Ermessen und Gutdünken, der wird durch sich selbst umkommen.«

»Gewiß, Euer Ehrwürden, gewiß!« pflichtete die Frau bei, »wer wüßte es besser als Ihr!«

»Nicht ich weiß es am besten,« erwiderte Pater Philipp mit aller Demut, die er mit seiner Würde als Sakristan des Sankt Marien-Klosters für vereinbar hielt, »nicht ich, sondern der heilige Vater der Christenheit und unser heiliger Vater, der hohe Abt von Sankt Marien, die wissen es besser! Ich, der arme Sakristan, kann nur wiedersagen, was ich von den Lippen meiner Obern vernommen habe. Aber, gute Frau, das nehmet für gewiß an! das Wort, das bloße Wort tötet! Daher sendet die Kirche ihre Diener, daß sie es der gläubigen Gemeinde erläutern und auslegen; und solches künde nicht sowohl ich, meine geliebten Brüder – meine geliebte Schwester, wollte ich sagen – denn er war unwillkürlich in den gewohnten Schlendrian seiner Predigt geraten – solches künde nicht sowohl ich, sondern solches kündet durch meinen Mund der heilige Orden der Benediktiner, verbessert nach den Regeln Bernhards von Clairvaux, daher Cistercienser genannt, welcher Orden, geliebte Brüder – geliebte Schwester in Christo, wollte ich sagen – als heiliger Diener unsrer Frau der Gegend zum höchsten Ruhme gereicht, da er, wie ich sagen muß, wenn auch als unwürdiger Bruder, mehr Heilige, mehr Bischöfe, mehr Päpste der Welt geschenkt hat – ach, daß wir dies mit Dank gegen unsre Fürsprecher erkennen möchten! – als irgend welche andre heilige Station Schottlands. Und deswegen – aber ich sehe, Martin hat mein Maultier gezäumt. So will ich, geliebte Schwester, denn weiter ziehen und Abschied von Euch nehmen mit brüderlichem Kuß, dessen sich keiner von uns beiden zu schämen brauchet, und will meinen Rückweg antreten, ehe es Nacht wird, denn das Tal ist in bösem Leumund, weil Höllengeister dort ihr schlimmes Wesen treiben sollen. Zudem möcht ich nicht allzu spät an die Brücke kommen, weil ich sonst genötigt sein könnte, den Bach, der, wie ich wahrgenommen habe, angeschwollen ist, zu durchwaten.«

So verabschiedete sich Pater Philipp von Frau Elspath Glendinning, die noch ganz betäubt stand von dem Sermon, den er ihr gehalten hatte, aber von schwerer Unruhe geplagt war über das Buch, das sie, wie ihr Gewissen ihr vorhielt, nicht hätte in fremde Hände überantworten sollen.

Trotz der Eile, die den Pater trieb, zu den Fleischtöpfen Aegyptens zurückzugelangen, denn an die magre Kost, die ihm in Glendearg vorgesetzt worden war, war er nicht gewöhnt, – trotz dem eifrigen Wunsche, der ihn beseelte, seinem Abte den Beweis dafür zu erbringen, daß jenes gefürchtete Werk einer Bibel in englischer Sprache seinen Weg nach Schottland hinein gefunden hätte, und trotz der Angst, die ihn beherrschte, vor den Spukgeistern im Talgrunde, und die ihn zur Eile förmlich jagte, war doch zufolge der unsäglichen Hindernisse, die der Weg bereitete, wie auch zufolge der geringen Uebung, die der Sakristan als Reiter besaß, so viel Zeit über seinem Ritt durch das Tal hingegangen, daß die Dämmerung bereits hereinbrach, ehe er den Fuß an die jenseitige Grenze des Tales setzte.

Es war im wahren Sinne des Wortes ein schauerlicher Ritt gewesen. Auf beiden Seiten rückten die Bergwände so dicht aneinander, daß bei jeder Wendung, die der Fluß machte, der Schatten des westlichen Ufers das östliche in dichte Nacht hüllte. Aus jedem Dickicht raschelte und rauschte es von Blätterlaub, und die Felsklippen und Bergspitzen drohten dem Mönch grausiger und schroffer, als es ihm bei Tageslicht und in der Gemeinschaft mit dem Schäfer Martin gedäucht hatte. Pater Philipp war darum von Herzen froh, als er das enge Tal hinter sich hatte und in die offne Ebene des Tweed hinaustrat, der in stolzem Laufe bald einen Landsee bildet, bald mit einer Würde seine Fluten dahinführt, wie sie keinem Strome Schottlands mehr eigentümlich ist. Denn alle andern trocknen zur Sommerszeit in der Regel aus, der Tweed führt aber, mit nur ganz seltnen Ausnahmen, sein Bett voll Wasser und läßt die Schilfdickichte nicht aufkommen, die die Ufer manch andrer berühmter Flüsse Schottlands verunzieren.

Da der Mönch, wie alle seine Zeitgenossen, für diese großartigen Schönheiten keinen Sinn und kein Verständnis besaß, und zufolgedessen um so stärkern Eindruck von der grausigen Natur des Tales bekommen mußte, war es kein Wunder, daß er sich wie von einem Alp erlöst vorkam, als er ein andres Bild vor den Augen hatte. Er zog den Zügel an und ließ sein Maultier im gewöhnlichen Paßgange laufen. Auch dem Tiere schien es behaglicher zu werden, denn es fiel von selbst aus dem unruhigen Tempo heraus, das es auf den unwegsamen Bergpfaden hatte einhalten müssen. Der Mönch wischte sich wiederholt den Schweiß von der Stirn, den Unruhe und Anstrengung dort erzeugt hatten, und gemächlich schaute er in das Licht des vollen hellen Mondes, der eben aufgegangen war und sein Licht mit dem Abendrot vermischte. Ueber Feld und Wald, über Dorf und Burg ergoß er sein mildes Licht, und rückte vor allem das große Abteikloster in volle Beleuchtung.

Aber das Schlimmste für den Mönch bei diesem herrlichen Naturbilde war, daß das Kloster drüben auf der andern Flußseite lag, und daß damals von den vielen schönen Brücken, die sich heute über den Fluß schwingen, noch keine einzige stand. Dagegen stand dort freilich eine Brücke, die jetzt nicht mehr dort sichtbar ist, obgleich ihre Trümmer noch immer von Neugierigen untersucht werden.

Es war ein wunderlicher Bau. Dort, wo der Fluß die geringste Breite zu haben schien, war hüben und drüben ein starkes Gemäuer vorgeschoben worden. Auf einem Felsen in der Strommitte war ein weiteres Gemäuer aufgeführt worden, das wie ein Brückenpfeiler gebaut war, der mit einer Ecke in den Fluß vorspringt. Dieses Mauerwerk stieg so weit in gedrungnem Bau empor, bis es auf gleicher Höhe mit den Mauern hüben und drüben stand. Von da ab begann es in Form eines Turmes aufzuragen. Dessen untres Geschoß bildete bloß einen Torweg durch den Bau, an dessen beiden Enden je eine Zugbrücke mit Gegengewichten hing, die, wenn sie heruntergelassen war, den Brückenpfeiler mit dem jenseitigen Rande verband, auf welchem das Ende der Zugbrücke ruhte. Waren beide Zugbrücken heruntergelassen, so befand sich die Brücke in vollkommnem Stande.

Der Brückenmeister, der bei einem der benachbarten Barone in Dienst stand, bewohnte mit seinen Hausgenossen das zweite und dritte Geschoß des Turmes, der, sobald die beiden Zugbrücken aufgezogen waren, eine Inselfestung in der Strommitte bildete. Der Brückenmeister war berechtigt, von jedem Passanten einen kleinen Brückenzoll zu erheben, um dessen Entrichtung es oft zu Zank und Streit zwischen ihm und den Passanten kam. Daß der Brückner sich bei solchen Vorkommnissen immer im Vorteil befand, war klar, da er den Wanderer, wie es ihm paßte, entweder auf der andern Seite stehen oder bis zur Weghälfte passieren lassen und dann in seinem Turme festhalten konnte, bis es ihm gefiel, das Brückengeld zu entrichten.

Am allerhäufigsten aber kam es zu Hader wegen dieses Brückengeldes zwischen dem Brückner und den Mönchen des Sankt Marien-Klosters. Die frommen Brüder bettelten so lange, bis sie endlich das Recht freier Passage für sich erwirkt hatten. Darüber war nun begreiflicherweise der Brückner erbost; aber ganz außer sich geriet er darüber, daß die Mönche nun auch noch für die zahlreichen Pilger, die nach dem Heiligtume wallfahrteten, die gleiche Vergünstigung durchzusetzen versuchten, und erklärte kurz und bündig, sich darauf nun und nimmer einzulassen. In dieser Halsstarrigkeit wurde er durch den Baron, in dessen Diensten er stand, weidlich unterstützt. Die Erbitterung wuchs auf beiden Seiten zu einer Höhe an, daß der Klosterabt auf diese Weigerung des Brückners mit dem Kirchenbanne drohte, und wenn sich auch der Brückner nicht in der Lage befand, mit einer gleichen oder ähnlichen Schurigelei großen Stils hierauf zu antworten, so ließ er hinfort wenigstens jeden Mönch, der die Brücke passieren mußte, durch eine Art Fegfeuer wandern, ehe er sich dazu bereit finden ließ, die Passage zu gewähren. Diese Beschwerde wäre für das Kloster und seine Brüder noch weit erheblicher gewesen, wenn der Fluß nicht bei niedrigem Wasserstande für Menschen und Pferde durchwatbar gewesen wäre.

Es war, wie schon bemerkt, eine herrliche Vollmondnacht, als Pater Philipp an die Brücke gelangte, deren seltsame Einrichtung einen richtigen Begriff von der Unsicherheit jener Zeit gibt. Der Strom war nicht ausgetreten, aber er stand höher als sonst, wenn es auch noch kein Hochwasserstand war, und der Mönch verspürte keine sonderliche Neigung, hindurchzureiten, sobald er irgendwie Aussicht hatte, auf eine bequemere Weise hinüber zu kommen.

»Mein lieber Freund Peter,« rief der Sakristan mit lauter Stimme, »ich bins, Peter, hörst Du denn nicht? Dein Gevatter ists, Pater Philipp, der Dich ruft.«

Peter hörte ihn zur Genüge, und sah auch recht gut, in welcher Bedrängnis sich der Sakristan befand. Da er aber recht gut wußte, daß es grade dieser war, dem er den Streit mit dem Kloster wegen des Brückenzolls verdankte, ging er mit der größten Seelenruhe zu Bett, nachdem er zuvor sich noch einmal nach dem Mönche umgeguckt und zu seiner Frau gesagt hatte, solch ein Ritt durch den Fluß bei Mondenschein könne dem Sakristan gar nicht so übel bekommen, da werde er am besten einsehen lernen, was eine Brücke wert sei, über die man bei allem Wetter, ob zur Sommers- oder zur Winterszeit, über den Fluß hinüber könne.

Noch immer bot der Sakristan allen Atem auf, um durch Bitten und Drohungen den »Brückenpeter«, wie der Mann in der Umgegend hieß, zu erweichen; der aber ließ ihn bitten und betteln, soviel er wollte, so daß dem Mönch schließlich nichts weiter übrig blieb, als zur Furt hinunter zu reiten. Das tat er auch, freilich nicht, ohne den halsstarrigen Brückenvogt in Grund und Boden hinein zu verwünschen, aller christlichen Milde ungeachtet, die ihm von Glaubens- und Ordenswegen vorgeschrieben war. Je näher er aber der Furt kam, desto vertrauter machte er sich mit dem Gedanken, sie heute einmal benutzen zu müssen, und er sagte sich, daß die Passage durch den Fluß nicht bloß völlig gefahrlos, sondern auch in vieler Hinsicht recht amüsant sei. Es kam ihm vor, als spiegelten sich heute abend grade die überhängenden Klippen und Bäume weit stärker als sonst in den Fluten des dunkeln Stromes, und das stille, freundliche Bild wirkte um so stärker auf sein Gemüt, als es im schroffsten Gegensatze stand zu Glendearg und zu der Talschlucht, und zu den letzten Erlebnissen dieses Tages, zu den Aufregungen und eindringlichen Bitten, mit denen er den halsstarrigen Brückenvogt zu erweichen versucht hatte.

Als Pater Philipp an der Furt angekommen war, da sah er dicht am Ufer, an einen großen, hohlen Eichstamm gelehnt, eine Frauengestalt stehen, die wehklagend und jammernd die Hände rang und die Blicke nicht von der Flut wandte. Den Mönch wunderte es nicht wenig, zu solcher abendlichen Stunde und an solcher Oertlichkeit ein weibliches Wesen zu finden. Aber er war in allen Ehrendiensten gegen das zarte Geschlecht – und wenn er einmal in dieser Hinsicht vielleicht auch über das Ziel hinausgeschossen hat, so mag er es mit sich selbst oder vielmehr mit seinem Gewissen abmachen – ein treu ergebner Schildknappe. Und so beobachtete er das Mägdelein einen Augenblick, während es seine Gegenwart nicht zu gewahren schien, und Mitleid mit ihrer Verlassenheit zog in sein Herz, und er faßte den Entschluß, ihr beizustehen.

»Jungfer,« sprach er, »Du bist wohl in recht schwerer Bedrängnis? Der garstige Brückenvogt hat wohl Dir wie mir die Zugbrücke nicht heruntergelassen? Mir scheint, als liege Deinem Wunsche, über den Fluß zu setzen, ein Gelübde zu grunde? oder vielleicht irgend ein andrer wichtiger Auftrag?«

Die Maid stieß ein paar unverständliche Worte hervor, blickte nach dem Flusse, und dann dem Sakristan ins Auge. Da fiel diesem plötzlich ein, daß im Kloster seit einiger Zeit dem Besuch eines Häuptlings entgegengesehen wurde, der ein Gelübde im Heiligtum der Gottesmutter lösen wollte, und daß am Ende gar dieses Mädchen zu seiner Sippe gehöre, vielleicht selbst ein Gelübde erfüllen wolle oder durch einen Unfall von dem Gefolge des Häuptlings getrennt worden sei und nun allein die Reise fortsetze. Er gelangte im Verlauf dieser Gedanken zu der Meinung, daß es für ihn nur geraten sein möge, dem Mädchen alle Hilfe zu erweisen, die in seinen Kräften stehe, um so mehr, als ihr ja auch die Kenntnis der Landessprache zu mangeln schien.

Das wenigstens war der Grund, den sich der Sakristan selbst einredete, und wenn er noch einen andern Grund dafür »in petto« hatte, so ist das eine Sache, um die wir uns hier nicht zu kümmern haben, und die ihn völlig allein angeht.

Der Sakristan versuchte nun, sich dem Mädchen verständlich zu machen, indem er sich verschiedner Zeichen bediente, die als gemeinsame Völkersprache zu gelten haben. So wies er zuerst auf den Fluß, dann auf den Rücken seines Esels, dann machte er der einsamen Jungfrau auf so zarte Weise, wie er es irgend im stande war, begreiflich, daß sie hinten aufsitzen möge. Sie schien auch ganz gut zu verstehen, was er im Sinne hatte, denn sie richtete sich in die Höhe, wie zum Zeichen dafür, daß sie danach handeln wolle, und während der Mönch, der, wie wir schon bemerkt haben, ein höchst ungeschickter Reiter war, sich allerhand Mühe gab, sein Maultier so zu drehen, daß das Mädchen bequem in den Sattel gelangen konnte, schnellte sie plötzlich wie eine Sprungfeder von dem Erdboden in die Höhe, schwang sich mit einem Satze hinter den Mönch auf den Rücken des Maultiers und lieferte hierdurch den schlagenden Beweis, daß sie der bessere Reiter von beiden war. Das Maultier schien indessen mit seiner Bürde gar nicht recht zufrieden zu sein, es bockte, es bäumte sich, es sprang bald rechts, bald links, und hätte den Pater Philipp sicher abgeworfen, wenn ihm nicht das Mädchen mit kräftiger Hand in den Sattel hinauf geholfen hätte.

Endlich wurde der störrische Gesell andern Sinnes, fing an zu schnopern, schien den heimischen Stall zu wittern, und war im Nu im Wasser. Im Galopp setzte er durch das erste Stück hindurch, dann gewann aber die Furt an Tiefe, und das Tier mußte schwimmen. Zum Schrecken für den Mönch ging es aber tiefer und tiefer, die Flut schoß wirbelnd gegen die Flanken des Tieres und reichte höher und höher an ihm herauf, sodaß es bald nur noch mit dem Kopfe herausreichte. Viel Geistesgegenwart besaß Pater Philipp an und für sich nicht, es ging ihm nun aber auch das bißchen verloren, dessen er sich vielleicht zu rühmen haben mochte, sein Maultier war nicht mehr im stande, gegen die Flut anzukämpfen, sondern mußte der Gewalt der Fluten sich fügen, und da nun der Reiter nicht darauf achtete, ihm den Kopf in der Richtung gegen die Flut zu halten, so glitt das Tier alsbald von der Furt ab, verlor den Grund und fing an, mit dem Strome zu treiben. Was aber das Seltsamste an dem ganzen Vorgange war, in demselben Augenblick, als das Maultier mit dem Strome zu treiben anfing, fing das Mädchen zu singen an, und das mußte begreiflicherweise die Angst des würdigen Sakristans auf eine schier unausstehliche Höhe treiben.

Und was das Mädchen sang, war die folgende Ballade:

»Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell,


Im Lichte da tanzen Flut und Well',


Wir haben den Nachtraben aufgestört,


Den habe ich am Eichbaume krächzen gehört,


Und der Baum streckt die Zweige daher so breit,


Und ihr Schatten tanzt auf dem Strome so weit.


»Wer weckt mir die Brut?« hat der Rabe gefragt,


»Ich sauge sein Blut, noch ehe es tagt,


Denn Kadaver sind leckere Speise, traun,


Und ich picke mein Teil mir mit Schnabel und Klau'n.

Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell,


Ein Goldschimmer liegt auf der Höhe so grell,


Durch die Erlen zieht ein silberner Guß,


Wie durch trauernde Weiden, wogend im Fluß.


Ich seh' mit Mauer und Turm die Abtei,


Die Vesper zu feiern strömt alles herbei,


Zur Kirche eilen die Mönche schon hin:


»Wo ist Vater Philipp, die Glocke zu zieh'n?«

Wir schwimmen lustig, der Mond scheint hell,


Durch Licht und Schatten gleiten wir schnell,


Der Strudel dort schläft unter Fels und Stein,


Tief, schweigend und fern vom Tagesschein.


Der Nixe hat aus dem Teich sich gereckt,


Hat die Todeskerze schon angesteckt,


Schau, Vater, schau nur, und wundert's Dich nicht,


Wie er gafft und starrt Dir ins Angesicht?

Gut Glück zum Fischfang! Wem gilt es heut Nacht?


Ists ein Armer, oder ein Mann von Macht?


Muß Pfaff oder Laie in feuchte Schlucht,


Oder ists ein Buhle, der sein Liebchen besucht?


Hörst Du, wie der Nixe sich hören läßt?


»Heil dem Mann, der die Brücke verschloß so fest;


Was der Höhle nur naht, das muß hinein,


Verliebte und Mönche, Priester und Lai'n.«

Wie lange die Maid noch weiter gesungen oder wo die Fahrt des von Entsetzen geschlagnen Mönches ihr Ende gefunden hätte, das zu bestimmen, entzieht sich der Macht des Erzählers. Noch als sie die letzte Strophe sang, da gelangten sie an oder vielmehr in einen weiten, stillen Wasserspiegel, der von einem festen Wehr gebildet wurde, das quer über den Strom lief und von da ab als ein breiter Wasserfall über den Stamm stürzte. Das Maultier suchte, ob nun freiwillig oder durch den Strom getrieben, den Graben zu gewinnen, der zur Klostermühle hin führte, und gewann ihn auch, halb schwimmend, halb watend, wobei es aber den armen Mönch auf die abscheulichste Weise hin und her schüttelte.

Hierbei löste sich nun sein Gewand, und über der Anstrengung, es zu halten, entglitt seiner Hand das Buch der Dame Avenel, das er im Brustlatz getragen hatte. In dem nämlichen Augenblick stieß ihn das Mädchen, das mit ihm im Sattel saß, in die Flut hinein, packte ihn am Kragen und tauchte ihn ein paarmal kräftig unter, so daß jegliches Glied seines Leibes der Taufe teilhaftig wurde; aber erst dann ließ sie ihre Beute den Händen entgleiten, als er so nahe an dem Ufer war, daß er mit geringer Mühe, denn große konnte er nicht aufwenden, ans Land hinauf klettern konnte. Das gelang ihm auch, und als er sich nun umsah, um zu ermitteln, was aus seiner Begleiterin geworden, da erblickte er nicht das Geringste mehr von ihr, sie war vollständig verschwunden. Aber ein paar letzte Strophen ihrer Ballade klangen von dem Wasserspiegel noch zu ihm herüber, die sich mit dem brausenden Anschlag der Wellen einten, das letzte Bruchstück ihres schauerlichen Gesanges:

»Gelandet! das schwarze Buch hats getan,


Sonst kämst Du im Frühlicht zu Berwick an!


Sei lustig und fröhlich, und wünsche Dir Glück,


Denn wer mit mir wegschwimmt, kommt selten zurück.«

Es war dem Pater Philipp nicht länger möglich, das gräßliche Grausen zu ertragen. Schwindel packte ihn, er taumelte, dann stieß er gegen eine Mauer und schlug bewußtlos zu Boden.

Sechstes Kapitel

In der Klosterkirche war der Vesperdienst zu Ende, der Abt hatte sein köstliches Feierkleid ausgezogen und seine Werktagstracht angezogen, die in einem schwarzen Gewände, über einem weißen Leibrock getragen, bestand und ganz danach angetan war, die stattliche Gestalt, die ihn auszeichnete, in ein höchst vorteilhaftes Licht zu setzen.

In ruhigen Zeiten hätte man sich unmöglich einen bessern Mann als intulierten Abt denken können, denn diese Würde bekleidete Abt Bonifazius,, als diesen verdienten Prälaten. Freilich nahm er es mit sich selbst nicht allzu scharf, sondern ließ gar oft fünf grade sein und überließ sich Gewohnheiten, wie einsame Menschen sie gern annehmen. Zudem war er ein eitler Herr, und wenn ihn jemand, wie es ja auch geistlichen Herren zuweilen passieren soll, einmal hart anließ, dann fing er an, ängstlich zu werden, eine Eigenschaft, die sich freilich weder mit den hohen Anforderungen, die die Kirche an ihn stellte, noch mit dem pünktlichen Gehorsam, den er von seinen geistlichen Untergebenen verlangen mußte, in Einklang setzen ließ. Im übrigen war er ein gastfreier Herr und ein wohltätiger Herr, und seine Ansicht als Privatmann ging dahin, daß es immer klüger und besser sei, mit strengem Vorgehen so lange wie möglich hintanzuhalten. Das lieh sich nun freilich in seiner amtlichen Tätigkeit nicht gut durchführen, und vor allem nicht in solchen Zeiten, wie sie unter seinem Regiment herrschten; indessen wird auch hieraus erhellen, daß er, wie gesagt, auch in andern Zeiten die Obliegenheiten solches hohen Kirchenamts mit ganz demselben Ansehen und ganz derselben Würdigkeit verträumt und vertrödelt haben würde, wie manch andrer Abt und Kirchenfürst im Purpur, der gemütlich und behaglich und doch geziemend sein Leben hinbringt, nachts und nachmittags sein Schläfchen macht und höchstens einmal mit Träumen sich herumplagt.

Aber die schwere Erschütterung, die durch die fortschreitende Reformation im Schöße der römischen Kirche bewirkt worden war, hatte auch den frommen und stillen Abt Bonifazius peinlich in seiner Ruhe gestört und ihm ein überweites Gebiet von Pflichten und Sorgen eröffnet, von denen er vordem nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Da gab es Meinungen zu widerlegen und zu bekämpfen, Bräuche und Gepflogenheiten zu untersuchen und festzustellen, Ketzer ausfindig zu machen und zu prozessieren, da mußten Abtrünnige zurückgerufen, zum Abfall Neigende gestützt werden, da galt es, der Verderbnis der Geistlichkeit zu steuern und die Strenge des kirchlichen Gesetzes wieder herzustellen. Da kamen Sendboten über Sendboten, bald vom geheimen Kirchen-, bald vom hohen Staatsrate, da wollte der Fürstprimas umgehenden Bescheid hierüber, ein Vertreter der Königin-Regentin darüber haben, da wollte einer eine Petition befürwortet haben bei dieser, ein andrer bei jener Behörde, da kamen Anfragen hierüber und Bescheide darüber, da mußten Nachforschungen angestellt werden, bald über dies, bald über andres – kurzum, die Amtsgeschäfte wuchsen dem armen Abt Bonifazius über den Kopf, und der scharfblickende Lordprimas von Schottland erkannte bald die Unzulänglichkeit seines Würdenträgers für die dem Sankt Marien-Kloster anheimfallenden Pflichten und Geschäfte und stellte ihm einen Adlatus in der Person eines Unterpriors aus dem Orden der Cistercienser mit Namen Eustachius, der die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse besaß, nicht allein den Abt vorkommendenfalls zu unterstützen, sondern auch zu vertreten und zu ersetzen, auch ihn zu mahnen an die Erfüllung der Gesetze, wenn es ihm beikäme, aus Gutmütigkeit oder Schwäche dagegen zu verstoßen.

Pater Eustachius trat in dem Sankt Marien-Kloster in ganz der gleichen Rolle auf, die ein alter Feldherr in einem von irgend welchem Prinzen von Geblüt befehligten Heere zu erfüllen hat, der bloß dem Namen nach das Kommando führt, und sich hat verpflichten müssen, ohne den Beirat des ihm an die Spitze gestellten eigentlichen Heerführers nicht das Geringste zu unternehmen, und er trug auch das Geschick solcher Beigeordneten, von ihren Scheingebietern ebenso bitter gehaßt wie herzlich gefürchtet zu werden. Aber der Lordprimas erreichte seine Absicht: es kam Ordnung in die Geschäfte der Abtei, und Pater Eustachius wurde der ewige Gedanke und zuweilen auch der Popanz des würdigen Prälaten, der sich zuletzt nicht mehr getraute, sich im Bett auf die andre Seite zu legen, ohne an die Meinung und Miene des frommen Pater Eustachius zu denken. Bei jedem schwierigen Falle wurde Pater Eustachius zu Rate gezogen, aber kaum war ein solcher schwieriger Fall wieder überwunden, so wurde auch schon wieder gesonnen und getrachtet, wie man ihn loswerden könne. In jedem Schreiben, das der Abt an die vorgesetzten Behörden zu richten hatte, empfahl er den Abt Eustachius zur Berücksichtigung bald dieses, bald jenes wichtigen Kirchenamtes oder dieses Bistums und jener Abtei, und als all diese Empfehlungen von seiner Seite nichts halfen, sondern Pater Eustachius ständig übergangen wurde, um auf seinem Adlatus-Posten in der Abtei Sankt Marien zu bleiben, da fing der Abt Bonifazius langsam an, sich in den Gedanken einzuleben, daß dem Unterprior die Abtei Sankt Marien als eine Art Leibgedinge ausersehen worden sei, und darüber klagte er in seinem Unmut dem Pater Sakristan auch des öftern sein Herzeleid.

Aber noch weit schmerzlicher würde es ihn betroffen haben, wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, daß das Streben des Paters Eustachius auf seine Insul gerichtet sei, die ja, wenn gewisse Vorboten nicht trügten, die von dem Abte selbst weniger ernst, von seinen Freunden jedoch um so ernster genommen wurden, und die auf baldigen Eintritt von Schlagfluß zu deuten schienen, in verhältnismäßig kurzer Zeit erledigt sein konnte. Aber die feste Zuversicht auf seine Gesundheit, die der Abt mit vielen andern geistlichen Würdenträgern teilte, ließ den Gedanken, daß die Zähigkeit des Paters Eustachius damit in Zusammenhang stände, in dem Abte nicht aufkommen.

Weil sich nun der Abt in wirklich schwierigen Fällen mit der Notwendigkeit abzufinden hatte, bei seinem Adlatus sich Rat zu holen, lag der Gedanke für ihn nahe, alle leichtern Amtsgeschäfte ohne dessen Vorwissen zu besorgen. Immerhin wurde er aber auch in diesen Fällen den Gedanken an den Pater Eustachius, was der dazu sagen, wie der darüber denken würde, nicht los. Und so hatte er es auch verschmäht, den Unterprior von der Absendung des Sakristans nach Glendearg zu unterrichten. Als nun aber die Versperstunde herankam und der Sakristan noch immer nicht zum Vorschein kam, da wurde ihm doch sehr unbehaglich zu Mute, und zwar um so unbehaglicher, als sein Gemüt auch von andern Dingen noch schwer belastet wurde.

Die Zwistigkeit mit dem Brückenvogt drohte eine gefährliche Wendung zu nehmen, denn der kriegerisch veranlagte Baron, in dessen Dienst der Brückenvogt stand, konnte sich jederzeit in den Streit einmischen, und von dem Lordprimas waren auch Schreiben höchst unangenehmen Inhalts eingelaufen. Und gleich dem vom Zipperlein geplagten Kranken, der sich auf seine Krücken stützt, die Krankheit aber, die sie ihm aufnötigt, zu allen Geiern wünscht, fand sich der Abt, wenn auch mit Widerstreben, in der unangenehmen Notwendigkeit, den Pater Eustachius nach dem Gottesdienst in sein Haus oder vielmehr in seinen Palast, der einen Teil des Klosters ausmachte, zu bitten.

Abt Bonifazius sah in seinem hohen Sessel, dessen seltsam geschnitzte Lehne in einer Bischofsmütze auslief, vor einem tüchtig lohenden Feuer. Neben ihm standen auf einem eichnen Tische die Ueberreste eines gebratnen Kapauns, den Hochwürden zum Abendbrot verzehrt hatten. Daneben stand eine stattliche Flasche Bordeaux-Wein mit köstlicher Blume. Nachlässig blickte er ins Feuer, sinnend über sein einstiges und über sein zukünftiges Geschick und Glück, hin und wieder auch Kirchen und Türme in die glühende Herdasche mit seinem Stocke zeichnend. Und dann malte er sich aus, in diesen feurigen Bildern die friedlichen Bilder von Dundrennan zu sehen, wo er die Tage verlebt hatte, in denen er noch nicht zu Glanz und Ehre, noch nicht zu Unruhe und Verdruß ausersehen worden war. »Wir waren eine friedliche Brüderschaft,« sprach er bei sich, »die ihre Mönchspflichten regelmäßig erfüllte, und die, wenn einmal menschliche Schwäche unter ihnen sich eindrängte, sich unter einander absolvierte. Was wir im Grunde nur fürchteten, waren die Sticheleien im Konvent, die es dann über einen dummen Streich, den einer von uns gemacht hatte, zu setzen pflegte. Ach, ists mir doch im Grunde, als säh ich den Klostergarten vor mir mit den Birnbäumen, die ich selbst noch gepflanzt habe. Wozu muß, ich mit Geschäften überladen werden, die mich nichts angehen? was soll mir der Titel Mylord Abt?... um mich vom Pater Eustachius am Gängelbande führen zu lassen! Ach, wenn bloß diese Türme die Abtei Aberbrothock wären und Pater Eustachius dort Abt! oder möcht er hier irgendwo im Feuer liegen und schmoren, oder sonst wo stecken, damit ich ihn los wäre! Der Lordprimas behauptet zwar, unser heiliger Vater der Papst habe auch einen Adlatus; wenn der, aber so ist, wie meiner, dann könnt ers doch ganz gewiß nicht acht Tage mit ihm aushalten! Und bekommt denn jemand von ihm Auskunft früher, als bis er ihm unumwunden seine Not bekennt? Mit keinem Wink geht er einem von selbst an die Hand, sondern ist der richtige Geizhals, der erst dann in seinen Beutel greift, wenn ihm die Gabe abgedrungen wird! Und dann werde ich doch auf diese Weise in den Augen all meiner Brüder zum richtigen Popanz, keiner hat noch Respekt vor mir, jeder, sieht mich an, wie unter Kuratel gestellt, wie einen Idioten, der gar keine selbständige Meinung mehr hat und mehr haben darf. ... Nein, das ertrage, wer will! Ich kanns nicht mehr ertragen! ... Bruder Bennett!« ... ein Laienbruder gab Antwort auf seinen Ruf, »sage doch dem Pater Eustachius, ich hätte keinerlei Verlangen mehr nach ihm.«

»Eben wollte ich Euer Hochwürden melden, daß der Pater Eustachius aus dem Kloster herüberkommt.«

»Wenn es an dem ist, dann soll er mir willkommen sein,« erwiderte der Abt, »da, räume diese Dinge weg, oder lege lieber ein Messer her! der fromme Vater könnte ja hungrig sein. – Aber nein, räume doch lieber ab! es ist ja doch keine gesellige Ader in ihm! Bloß, die Weinflasche laß stehen und setze noch einen Becher mit her!«

Der Laienbruder führte diese widersprechenden Befehle aus, wie es ihm geziemend erschien. Er nahm das halb abgeknabberte Gerippe des Kapauns hinweg und setzte dafür zwei Becher neben die Weinflasche.

Und jetzt trat der Pater Eustachius ein.

Es war ein schmaler, kleiner, magerer Herr, mit scharf geschnittnem Profil und stechenden, kleinen Augen, die denjenigen, auf den sie sich wandten, durch und durch zu bohren schienen. Das Fasten, das er mit strengster Gewissenhaftigkeit innehielt, hatte im Verein mit der unermüdlichen Geistesarbeit, der er sich unterzog, seinen Körper intensiv abgemagert.

Mit mönchischer Demut verbeugte er sich vor seinem Vorgesetzten, und wie man sie nun einander gegenüber stehen sah, konnte man sich einen schärfern Kontrast nicht gut vorstellen, als er sich hier in diesen beiden Gestalten zum Ausdruck brachte. Das gutmütige Gesicht des greisen Abtes mit dem rosigen Hauch, den so gern feiste Gesichter annehmen, die heiter blickenden Augen, die selbst die große Bedrängnis der gegenwärtigen Zeit nicht hatte trüben können, und die bleichen, dürren Wangen mit den hohlen, stechenden Augen des Unterpriors, aus denen der forschende, kühne Geist sich so energisch kündete ... wirklich, etwas von schärferem Gegensätze ließ sich nicht vorstellen.

Der Abt eröffnete das Gespräch, indem er den Mönch einlud, sich zu setzen und einen Becher Wein anzunehmen. Das Erbieten wurde mit Demut, doch mit dem Hinweise abgelehnt, daß die Vesper bereits vorüber sei.

»Um des Magens willen,« sagte der Lord-Abt lächelnd. »Ihr kennt ja doch den Wortlaut des Textes.«

»Und doch ist es gefährlich, es allein zu tun und zu so später Stunde,« erwiderte der Prior. »Der Wein ist ein gefährlicher Gesell in der Einsamkeit, und deshalb meide ich ihn.«

Der Lord-Abt hatte sich einen Becher eingegossen, der etwa ein halbes englisches Maß fassen mochte, ließ ihn aber, entweder gekränkt durch die Weigerung oder beschämt über den stillen, in den Worten des andern gelegnen Vorwurf, stehen, ohne ihn anzurühren. Hierauf wechselte er sogleich das Gesprächsthema.

»Der Lordprimas hat uns geschrieben, daß wir in unserm Sprengel die schärfste Nachsuchung halten sollen nach ketzerischem Volk, vornehmlich nach den in diesem Verzeichnis namhaft gemachten Personen, die sich der gerechten Strafe, die über sie verhängt worden, entzogen haben. Es sei wahrscheinlich, daß sie über die Grenzen nach Frankreich zu fliehen beabsichtigen, und in dem Schreiben wird verlangt, ich solle darüber wachen und es verhindern.«

»Allerdings, und so gehört es sich, denn die Obrigkeit soll das Schwert nicht umsonst tragen.«

»Ja, aber wie soll mans denn anfangen?« rief der Abt ungeduldig. ... »O, heilige Jungfrau, steh uns bei! Ich bin doch kein weltlicher Baron, der über Kriegsmarinen gebietet! Der Primas sagt, zieh aus und reinige das Land! halte alle Ausgange besetzt! Ja, du lieber Gott! können denn Mönchskutten und Skapuliere den Weg versperren?«

»Euer Vogt, ehrwürdiger Vater, steht doch im Rufe eines wackern Kriegers, und Eure Vasallen sind zu Kriegsdiensten verpflichtet, wenn es die Verteidigung der heiligen Kirche gilt. Unter dieser Bedingung ist ihnen der Besitz kirchlichen Gutes gewährt worden. Wollen sie diese Bedingung nicht halten, dann gebt Ihr Land an andre Leute!«

»Wir werden nichts unterlassen, was der heiligen Kirche dienen und frommen kann,« erwiderte der Lord-Prior mit Würde, »Du selbst, Eustachius, sollst die diesbezüglichen Befehle an unsern Vogt und an die Lehnsmannen überbringen. Aber dann bleibt noch die leidige Differenz mit dem Brückenvogt und dem Baron von Meigallot. Ach, heilige Jungfrau! wie mehren sich doch die Bedrängnisse über unserm Haupte und der Menschheit! man weiß ja nicht mehr, wohin man blicken, wohin man sich wenden soll! Du sagtest doch, Pater Eustachius, Du wolltest unser Begehr, die gefallsfreie Passage unsrer Wallfahrer betreffend, durchsetzen?«

»Ich habe in den alten Briefen und Urkunden des Klosters nachgesehen,« sagte der Abt, »und habe eine schriftliche, formell verbindliche Urkunde aufgefunden, kraft deren nicht allein die zu dieser Abtei gehörenden Geistlichen oder Brüder, sondern, auch alle diejenigen, die sich als Pilger ausweisen, sowohl dieser Abtei wie der Abtei Ailford, frei sein sollen von Brücken- und andern Abgaben. Die Urkunde ist ausgefertigt am St. Brigitten-Abend im Jahre 1137, mit dem Siegel und der Unterschrift des Karl von Meigallot, der diese Vergünstigung einräumt, gezeichnet. Es war der Ururgroßvater des jetzigen Barons. In der Urkunde steht, daß die Vergünstigung gewährt werde um seines eignen Seelenheils willen wie um des Seelenheils seines Vaters, seiner Mutter, seiner Ahnen und Abkömmlinge willen, so lange es Barone von Meigallot gebe.«

»Aber er sagt, die Brückenvögte seien im Besitz dieses Gefälls und hätten es geltend gemacht seit über fünfzig Jahren. Der Baron droht mit Gewaltmaßregeln. Inzwischen wird die Wallfahrt unsrer Pilger gestört zum Schaden ihres Seelenheils und zum großen Nachteil für unser Kloster. Der Sakristan rät, ein Boot auszusetzen, aber der Vogt, dessen Gottlosigkeit bekannt ist, hat geschworen, der Teufel solle ihn lebendig holen, wenn er ein Boot auf dem Strome seines Herrn leide. Er will es kurz und klein schlagen. Und dann sagen wieder andre, wir täten klüger, die Gefällsforderung des Barons durch eine kleine Pauschalsumme abzulösen.«

Hier wartete der Abt augenscheinlich auf eine Antwort seines Amtsbruders, und da er keine erhielt, fragte er:

»Nun, was meinst Du, Pater Eustachius, warum verhältst Du Dich so schweigsam?«

»Weil mich die Frage wundert, die der Lord-Abt unsers Klosters an den jüngsten seiner Ordensbrüder richtet.«

»Der jüngste der Zeit des Eintritts nach gerechnet, Bruder Eustachius, aber nicht dem Alter und der Erfahrung nach,« erwiderte der Abt ... »zudem der Unterprior dieser Abtei.«

»Ich staune darüber,« sagte Pater Eustachius, »daß der Abt dieses ehrwürdigen Klosters irgend jemand die Frage vorlegen kann, ob er das Erbe unser heiligen Beschützerin schmälern oder gar einem gewissenlosen, vielleicht ketzerischen Baron die Rechte abtreten solle, die sein frommer Ahnherr der Kirche überließ. Das verpönen doch Päpste und Konzilien! Ermannt Euch, ehrwürdiger Vater, und fasset nicht Zweifel an einer gerechten Sache! Zieht das Schwert und richtet es gegen die Gottlosen!«

Der Abt Bonifazius sagte:

»Das ist alles ganz schön gesprochen, wenn man es nicht zu machen braucht; aber ...« hier unterbrach ihn Bruder Bennett, welcher ungestümer, als es sich für einen Klosterbruder geziemt, in das Zimmer hereintrat ... »Der Esel,« meldete er, »auf dem der Sakristan heute morgen ausgeritten ist, kommt eben pitschnaß in den Stall gerannt. Aber der Bruder Sakristan sitzt nicht drauf ...«

»Heilige Gottesmutter!«, rief der Abt, »unser geliebter Bruder ist unterwegs umgekommen!«

»Vielleicht auch nicht,« sagte Pater Eustachius schnell, »laßt die Glocke läuten! die Brüder sollen die Gegend mit Fackeln absuchen! das Dorf soll alarmiert werden! eilt hinunter zum Flusse! ich eile allen voran dorthin!«

In stummer Bestürzung stand der Abt, als er auf einmal inne wurde, daß alles, was von ihm hätte befohlen werden sollen, ausgeführt wurde auf den Befehl des jüngsten seiner Klosterbrüder. Allein, ehe noch einer der befohlenen Schritte zur Ausführung gebracht worden war, erschien der Bruder Sakristan und machte alle Maßregeln unnötig.

Siebentes Kapitel

Gleichzeitig von Frost und Entsetzen geschüttelt, stand der betrübte Sakristan und lehnte sich auf den Arm des treuen Klostermüllers. Er war ganz durchnäßt und vermochte nicht ein Wort zu seinem Obern zu sagen. Mehrmals setzte er an, und endlich gelang es ihm, die Worte zu stammeln:

»Wir schwimmen gar fröhlich, und hell scheint der Mond!« »Wir schwimmen gar fröhlich?« wiederholte der Abt verdrießlich. »Ihr habt Euch für Eure Schwimmübung einen lustigen Abend ausgesucht und begrüßt Euern Vorgesetzten ja recht geziemend.«

»Unser Bruder ist mißgestimmt,« meinte Eustachius. »Sprecht, Vater Philipp, was ist Euch?«

»Fein hat sichs gefischt heut!« fuhr der Sakristan fort, und der Versuch, die Stimme seiner absonderlichen Gefährtin nachzuahmen, mißlang ihm kläglich.

»Fein hat sichs gefischt?« wiederholte der Abt mit steigendem Unwillen. »Bei meinem Orden, der Mann ist voll von süßem Weine, und er wagt es, vor uns zu treten, da ihm noch die aufgeschnappten Narreteien in der Kehle sitzen! Wenn dieser Wahnsinn sich mit Brot und Wasser austreiben läßt –«

»Mit Verlaub, hochwürdiger Herr,« unterbrach ihn der Unterprior, »Wasser hat unser Bruder genug gekriegt, und wie mir scheint, rührt der verstörte Blick seiner Augen mehr von Schreck her als von irgend einer seines Standes unwürdigen Ursache. Müller Hob, wo habt Ihr ihn angetroffen?«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden, ich war gerade dabei, die Schleuse meiner Mühle zu schließen, und wie ich unterwegs bin nach meiner Schleuse, da höre ich ganz in meiner Nähe ein Grunzen, und ich dachte mir nichts andres, als daß es eins von den Schweinen des Giles Fletcher sei, denn, mit Verlaub, Euer Ehrwürden, dieser – dieser Schweinehund macht nie sein Gatter zu. Ich hatte schon die Hand erhoben und wollte was dorthin werfen, wo das Gegrunze herkam, – verzeih mir die heilige Jungfrau! – aber als wenn die Heiligen das hätten verhüten wollen, hör ich noch einmal ein Aechzen, das so klang, als habe ein lebender Mensch es ausgestoßen. Da rief ich denn meine Knechte herbei, und da fanden wir den Vater Sakristan – ganz naß und bewußtlos lag er unter der Mauer unseres Backofens. Wir standen ihm bei und brachten ihn ein wenig zu sich – da bat er uns, wir möchten ihn zu Euer Hochwürden bringen, aber unterwegs kam es mir ganz so vor, als habe er völlig den Verstand verloren, und erst als wir hier waren, kam wieder ein bißchen Sinn und Vernunft in sein Gerede.«

»Schon gut,« erwiderte Vater Eustachius, »wohl hast Du getan, Hob, Du magst nun gehen. In Zukunft nur sei behutsam, ehe Du im Dunkeln nach etwas wirfst oder schlägst.«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden, ich will mirs wohl zur Warnung sein lassen,« entgegnete der Müller, »und Zeit meines Lebens will ich keinen heiligen Mann mehr für ein Schwein halten.«

Und der Müller machte eine tiefe devote Verbeugung und ging.

»Nun ist der Bauer weg,« sagte Eustachius, »willst Du nun nicht dem hochwürdigen Herrn bekennen, was Dir zugestoßen ist? Bist Du vino gravatus? Dann sollst Du in Deine Zelle geschafft werden.«

»Wasser, Wasser, kein Tröpflein Wein,« murmelte der Sakristan kraftlos.

»Nun,« erwiderte der Mönch, »wenn Du daran Beschwerden hast, so mag Dir vielleicht der Wein Heilung bringen?«

»Er mag sich umkleiden,« befahl der Abt, »oder noch besser, laßt ihn ins Krankenhaus bringen; denn es könnte unsrer eignen Gesundheit schaden, wenn wir hier seinen Bericht entgegennehmen wollten – dampft und raucht er doch, wie ein aufsteigender Nebelschwaden.«

»Ich will ihn in Verhör nehmen und nachher Euer Hochwürden Bericht erstatten,« sagte Eustachius, indem er den Sakristan in seine Zelle brachte und nach einer halben Stunde zum Abt zurückkehrte.

»Und was ist es mit Vater Philipp?« fragte der Abt. »Wie erklärt er seine sonderbare Verfassung?«

»Er kommt von Glendearg,« erwiderte Eustachius, »und im übrigen erzählt er eine Geschichte, wie sie seit Jahrhunderten im Kloster nicht wieder vernommen worden ist.«

Er berichtete nun dem Abt in großen Umrissen, was dem Sakristan auf seiner Rückkehr zugestoßen war, und setzte hinzu, er habe zuerst sich fast versucht gesehen, den Mann für irrsinnig zu halten, da er unaufhörlich durcheinander geweint, gelacht und gesungen hätte.

»Ein seltsames Ereignis,« sagte der Abt, »daß es dem Satan möglich war, nach einem unsrer geweihten Brüder die Tatzen auszustrecken.«

»Ganz gewiß,« entgegnete Eustachius, »aber es läßt sich zu jedem Text eine Umschreibung finden, und ich habe so eine Ahnung, als sei Vater Philipp nicht ganz ohne Schuld daran, daß er von einem Geist der Hölle solch eine Taufe erhalten hat.«

»Wie?« sagte der Abt, »ich hoffe, Du zweifelst nicht daran, daß es in der Vorzeit dem Satan verstattet worden ist, heilige und fromme Männer zu versuchen und zu peinigen – wie er zum Beispiel den Gottesmann Hiob gemartert hat?«

»Da sei Gott vor, daß ich daran zweifeln sollte,« erwiderte der Mönch und bekreuzigte sich. »So es aber eine nicht ganz auf Wunder gegründete Erklärung von der Geschichte des Sakristans gibt, so halte ich es für nützlich, sie zum mindestens ins Auge zu fassen, wenn man sich auch nicht ganz darauf verlassen mag. Dieser Müller Hob hat ein flinkes Ding von einer Tochter – gesetzt den Fall – ich sage nur, gesetzt den Fall – unser Sakristan ist an der Furt mit ihr zusammengetroffen – denn sie war bei ihrem Oheim, der an der andern Seite der Furt wohnt, zu Besuch, und kam am selben Abend nach Hause – gesetzt den Fall, unser Sakristan hat aus Höflichkeit, damit sie sich nicht erst Schuhe und Strümpfe ausziehen sollte, sie hinter sich aufs Pferd genommen – gesetzt den Fall, er hat seine Liebenswürdigkeit noch weiter getrieben und das Mädchen hat sich das nicht gefallen lassen wollen – da wäre es doch sehr naheliegend anzunehmen, daß das zu seinem unfreiwilligen Bade geführt hat.«

»Und die ganze Geschichte wäre nur erdacht, um uns zu hintergehen?« versetzte der Abt und errötete vor Zorn. »Das soll genau untersucht werden. Wir wollen dem Vater Philipp das Handwerk legen, wenn er versucht, seine schlechten Streiche für Werke des Teufels auszugeben. Gebiete dem Mädchen, daß es morgen vor uns erscheinen solle – wir wollen den Fall untersuchen, und die Strafe soll nicht ausbleiben.«

»Euer Hochwürden mögen verzeihen,« erwiderte Eustachius, »eine solche Strenge würde unklug sein. So wie die Dinge jetzt liegen, sind die Ketzer erpicht darauf, Aergernisse in unsrer Kirche aufzudecken, und haschen nach jedem flüchtigen Gerücht, das auf ein solches zu deuten scheint. Das Unrecht muß ausgerottet werden, aber nicht bloß durch verschärfte Ordenszucht, sondern auch dadurch, daß wir böse Nachrede beschwichtigen und nicht aufkommen lassen. Wenn ich in meinen Vermutungen das Rechte treffe, so wird das Mädchen schon um ihrer selbst willen den Schnabel halten, und Euer Hochwürden mag dem Vater des Mädchens und dem Sakristan Stillschweigen auferlegen. Wenn es dem Sakristan noch einmal einfallen sollte, Schande über unsern Orden zu bringen, so muß er streng, aber insgeheim in Strafe genommen werden.«

Nach diesen Worten gingen die beiden für die Nacht auseinander.

Am folgenden Tage nahm Abt Bonifazius den Bruder Philipp in ein strenges Verhör, aber über die wahre Ursache des Unglücks, das ihm am verflossenen Abend zugestoßen war, konnte er nichts aus ihm herausbringen. Der Sakristan blieb beharrlich bei seinen Angaben, trotzdem es ihm sogar zustieß, daß er einige Einzelheiten verwechselte. Er gab vielfach unzusammenhängende Antworten und konnte sich nicht enthalten, Teile von dem sonderbaren Gesange des Mädchens, die ihm erinnerlich waren, mitten in dem Verhör zum besten zu geben, zum Beweis für den tiefen Eindruck, den der Gesang auf ihn gemacht hätte.

Der Abt fühlte Mitleid mit der Schwäche des Sakristans, die er wirklich auf einen übernatürlichen Anlaß zurückzuführen geneigt war, und glaubte, die naturgemäße Darlegung des Vaters Eustachius klinge wohl wahrscheinlich, entspreche aber nicht den Tatsachen. Wir haben das Abenteuer so wiedergegeben, wie wir es aufgezeichnet gefunden haben, aber wir müssen doch hinzufügen, daß die Klosterbrüder darüber verschiedner Ansicht waren und mehrere unter ihnen der Erklärung, daß die schwarzäugige Müllerstochter hinter der Geschichte stecke, den Vorzug gaben. Darüber aber waren sich alle einig, daß der Vorfall der Lächerlichkeit wegen verheimlicht werden müsse. Bei seinem Gelübde des Gehorsams wurde es daher dem Sakristan untersagt, je wieder von seinem Sturz ins Wasser zu sprechen, und da er durch eine Schilderung des Abenteuers sein Gemüt bereits beruhigt hatte, so läßt sich annehmen, daß er sich dieser Vorschrift willig gefügt hat.

Die Gedanken des Vaters Eustachius weilten indessen weniger bei der wunderbaren Erzählung des Sakristans, als vielmehr bei dem Buche, das er aus dem Turme von Glendearg mitgenommen hatte. Ein Druck der heiligen Schrift in landessprachlicher Uebersetzung hatte sich also in das eigne Gebiet der Kirche eingeschlichen und war im geheimsten, entlegensten Winkel auf den Besitzungen des Klosters unsrer lieben Frauen gefunden worden!

Er hätte das Buch zu gern gesehen, aber der Sakristan konnte ihm den Wunsch nicht erfüllen, da er es verloren hatte – wie er angab – als das übernatürliche Wesen sich von ihm entfernt habe. Vater Eustachius begab sich selber an die Stelle und suchte den ganzen Fleck ab, in der Hoffnung, das Buch zu finden, aber all seine Mühe war umsonst. Er begab sich daher zum Abt zurück und bat um die Erlaubnis, selber im Turme von Glendearg nachzuforschen.

»Wir wollen doch sehen,« sagte er, »ob irgend ein Gespenst oder ein weißes Weib der Wildnis mir auf meiner Hin- oder Rückreise in den Weg treten wird. Habe ich die Erlaubnis und den Segen Eurer Hochwürden zu meinem Vorhaben?« fragte er in einem Tone, als ob ihm an beidem nicht viel gelegen sei.

»Du hast beides, lieber Bruder,« antwortete der Abt, und im Geheimen wünschte er, ein schwarzes, graues oder weißes Ungeheuer möchte dem Ratgeber einmal eine Lehre zuteil werden lassen, die ihn ein für alle Mal von der Dünkelhaftigkeit kurieren möchte, sich für gescheiter als alle Brüder zu halten.

Unterdessen war Eustachius bereits unterwegs nach dem Turm von Glendearg und gelangte bald an die Zugbrücke. Es gelang ihm hier den Widerstand des Brückenwächters zu brechen und ihm durch gewandte Vorstellungen über die Vorteile seines jetzigen Dienstes und den Nutzen des Klosters die Einwilligung abzulisten, daß bis zum nächsten Pfingstfest jeder zu Fuße wandernde Pilger zollfrei die Brücke passieren dürfe, sofern nur alle Leute zu Rosse und zu Wagen die herkömmliche Abgabe entrichteten. Nachdem Vater Eustachius eine für das Heil des Klosters so wichtige Angelegenheit erledigt hatte, setzte er seine Wanderung fort.

Achtes Kapitel

November-Nebel lag in dem kleinen Tale, durch das der Mönch Eustachius gemächlich ritt. Die Schwermut, von der die Landschaft der Jahreszeit entsprechend erfüllt war, ging auch auf ihn über. Es klang, als murmelte der Fluß in tiefen, leidvollen Tönen, um den scheidenden Herbst klagend. Das welke Laub am Boden stob unter den Tritten des Maultieres raschelnd auseinander. Der Mönch sank in tiefes Sinnen, und wenn er ab und zu aufschaute, war es ihm, als wenn eine weißgekleidete Frauengestalt in der Haltung einer Leidtragenden am Wasserrande stehe.

Aber es war, immer nur ein augenblickliches Empfinden; wenn er genauer hinsah, war es immer ein alltäglicher Gegenstand – ein weißlicher Stamm, oder der Stumpf einer Birke mit silberner Rinde – statt der vermeintlichen Erscheinung.

Vater Eustachius war zu lange in Rom gewesen, um die abergläubischen Ansichten der im allgemeinen weit unwissenderen schottischen Geistlichen zu teilen. Aber dennoch murmelte er unwillkürlich seine Gebete, der Vorschrift des Ordens gemäß, bis er sich im Schutze der Feste Glendearg befand.

Frau Glendinning stand am Tore, und als sie den guten Vater erblickte, stieß sie einen Ruf der Freude und des Erstaunens aus.

»Martin! Kaspar!« rief sie. »Wo steckt nur das Volk? Seid doch dem hochwürdigen Herrn Unterprior behilflich beim Absteigen und nehmt Euch seines Maultieres an! Euch hat Gott uns in der Not geschickt! Eben wollte ich einen Reiter nach dem Kloster schicken und Euer Hochwürden bitten lassen, Euch herzubemühen.«

»Keine Rede von Mühe, gute Frau,« sagte Vater Eustachius. »Womit kann ich Euch dienen? Ich bin hergekommen, um die Lady von Avenel zu besuchen.«

»Da trefft Ihrs gut,« antwortete Frau Elspath, »denn gerade ihretwegen habe ich Euch herrufen wollen. Ist es Euch gefällig, in ihr Gemach zu gehen?«

»Hat sie nicht dem Vater Philipp gebeichtet?« fragte der Mönch.

»Das hat sie allerdings,« versetzte die Hausfrau von Glendearg, »aber ich wünschte nur, es wäre auch eine vollständige Beichte gewesen. – Vater Philipp hat freilich ein ganz nachdenkliches Gesicht dazu gemacht – und dann ist hier ein Buch gewesen, das er mitgenommen hat und das –«

Sie hielt inne, als wolle sie es vermeiden, mehr zu sagen.

»Vollendet, Frau Glendinning,« sagte der Mönch, »vor uns dürft Ihr keine Geheimnisse haben.«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« antwortete die Frau, »es ist nicht an dem, daß ich vor Euer Ehrwürden das Geringste geheim halten wollte, aber ich fürchte, ich möchte Euer Ehrwürden eine schlechte Meinung von der Lady beibringen, und sie ist doch eine ausgezeichnete Dame. Monate – ja jahrelang hat sie hier im Turme gewohnt, und niemand kann einen musterhaftern Lebenswandel haben – aber was die bewußte Angelegenheit betrifft, so wird sie ohne Zweifel sich Euer Ehrwürden selber anvertrauen.«

»Zuvörderst möchte ich es aber doch von Euch erfahren,« wiederholte der Mönch, »es ist Eure Pflicht, es mir zu sagen.«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« sagte die Witwe, »das Buch, das Vater Philipp von Glendearg mitgenommen hatte, hat sich heute früh auf wundersame Weise wieder angefunden.«

»Wieder angefunden?« fragte der Mönch. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ich will sagen,« erwiderte Frau Glendinning, »das Buch ist wieder nach Glendearg zurückgekommen – mögen die Heiligen wissen, auf welche Weise. Und gestern hatte es doch der Vater Philipp mitgenommen. Und heute morgen hat das junge Volk beim Spielen auf der Weide eine weiße Frau am Brunnen sitzen sehen, die die Hände gerungen hat. Die Kinder sind erschrocken, wie sie das fremde Frauenzimmer erblickt haben, aber eins hat sich doch ein Herz gefaßt und ist auf sie zugegangen – und da war sie mit einemmal verschwunden –«

»Ei, schämt Euch, gute Frau,« sagte Eustachius, »Ihr seid doch sonst eine so vernünftige Frau und achtet auf solche Märchen? Was junge Volk hat Euch einen Bären aufgebunden, das ist das Ganze.«

»Nein, Herr, das ist es nicht,« erwiderte die alte Frau, »die Kinder haben mich erstens noch nie belogen, und zweitens haben sie auf demselben Fleck, wo die weiße Frau gesessen hat, das Buch gefunden und mit in den Turm gebracht.«

»Das ist allerdings sonderbar,« sagte der Mönch. »Wißt Ihr nichts davon, daß etwa in diesem Bezirk noch ein zweites Exemplar dieses Drucks existiert?«

»Nein, Euer Ehrwürden,« erwiderte, Elspath, »und was sollten wir denn damit? drin lesen könnte ja doch niemand, und wenn wir zwanzig hätten.«

»Ihr seid also der Ueberzeugung, daß es dasselbe Buch ist, das Ihr dem Vater Philipp übergeben habt?« fragte der Mönch.

»So gewiß ist es dasselbe, wie ich jetzt mit Euer Ehrwürden rede,« war die Antwort.

»Sehr sonderbar,« sagte der Mönch und schritt nachdenklich in dem Gemache auf und ab.

»Wie auf Brennnesseln hab ich gesessen, so sehr hat michs danach verlangt zu hören, wie Euer Ehrwürden über den Vorfall denken,« fuhr Frau Glendinning fort. »Ich täte wohl alles für die Dame von Avenel – und das hab ich ja auch bewiesen – aber ich meine, wenn eine Dame sich im Hause einer andern Frau aufhält, dann schickt es sich nicht, daß Engel, Feen, Geister oder so was Aehnliches mit ihr umgehen. Das bringt einen nicht in guten Ruf. Aber ich habe den Kindern rote Fäden um den Hals gebunden und ihnen einen Eschenzweig in die Jacken genäht, – mehr kann doch eine verlassene Frau nicht tun, um die Geister von sich abzuhalten, nicht wahr, Euer Ehrwürden?«

»Frau Glendinning,« antwortete der Mönch, »kennt Ihr die Tochter des Müllers?«

»Ob ich Käthe Happer kenne?« erwiderte die Witwe. »Ei, so genau, wie der Bettler seinen Sack kennt. Käthe war ein schmutziges Frauenzimmer, und besonders vor zwanzig Jahren ist sie näher mit mir bekannt gewesen.«

»Das kann nicht das Mädchen sein, von dem ich spreche,« entgegnete Vater Eustachius. »Die Dirne, nach der ich hier frage, kann kaum fünfzehn Jahre alt sein. Ein Mädel mit schwarzen Augen – gewiß habt Ihr sie schon in der Kirche gesehen.«

»Das ist die Nichte von der Käthe, da haben Euer Ehrwürden recht. Aber, Gott sei Dank, ich bin immer zu andächtig im Gottesdienst, als daß ich merken sollte, ob die Mädchen blaue oder schwarze Augen haben.«

Der gute Vater lächelte, als Frau Glendinning so feierlich ihren Widerstand gegen eine Versuchung beteuerte, die für sie freilich weniger gefährlich war, als für die männlichen Kirchenbesucher.

»Aber Ihr wißt vielleicht wie das Mädchen sich kleidet?« fragte er.

»Ei gewiß, guter Vater,« versetzte die Frau, »sie hat wohl immer ein weißes Röcklein an, wahrscheinlich damit man den Mehlstaub nicht so soll sehen können – und sie trägt eine blaue Haube, aber wohl bloß aus Koketterie, denn die ließe sich wohl entbehren.«

»Nun, sollte nicht dieses Mädchen das Buch wiedergebracht haben und weggelaufen sein, als die Kinder sich ihr näherten?« fragte der Mönch.

Die Frau schwieg – sie wollte dem Mönch nicht widersprechen – aber es war ihr nicht verständlich, aus welchem Grunde sich das Müllermädchen so weit von der Heimat entfernen und in einen abgelegenen Winkel wagen sollte, bloß um drei Kindern, vor denen sie doch verborgen bleiben wollte, ein altes Buch wiederzugeben. Es war ihr auch nicht erklärlich, warum das Mädchen nicht, da Frau Glendinning doch mit der Familie bekannt war, sich bei ihr aufgehalten, ausgeruht und etwas zu sich genommen hätte.

Aber gerade diese Einwürfe überzeugten den Mönch nur noch mehr, daß er mit seiner Vermutung recht habe.

»Nun will ich die Dame sprechen,« sagte er, »doch geht erst hinein und bereitet sie auf meinen Besuch vor.«

Nach einer Weile, während der Mönch in tiefem Sinnen hin und her gegangen war und sich überlegt hatte, wie er sich wohl der schweren Pflicht, die ihm auferlegt war, mit Erfolg entledigen könne – kehrte Frau Glendinning mit Tränen in den Augen zurück und winkte ihm, daß er ihr folgen solle.

»Wie?« fragte der Mönch. »Steht ihr Ende so nahe bevor? – Nun, die Kirche darf nicht wüten und verwunden, sobald sie noch trösten kann.«

Und er vergaß seinen Eifer und eilte in das kleine Gemach, wo auf dem kargen Lager, das ihr im Turme von Glendearg hergerichtet war, die Witwe Walters von Avenel eben ihre Seele ausgehaucht hatte.

»Vater im Himmel!« rief der Unterprior. »So ist sie infolge meines unglückseligen Zögerns ohne den Trost der Kirche dahingegangen? Seht doch zu, Frau,« setzte er in großer Unruhe hinzu, ob kein Funke von Leben mehr in ihr ist! Kann sie nicht mehr zum Bewußtsein gebracht werden? – und sei es auf wenige Minuten? Ist kein Odem mehr in ihr?«

»Nie wieder wird sie Odem haben,« sagte die Frau des Hauses. »Ach, des armen vaterlosen Mädchens! sie ist nun ganz verwaist! und die gütige Gefährtin, die ich so viele Jahre um mich hatte, soll ich nun nie wiedersehen! Aber wenn eine Sterbliche in den Himmel kommt, so wird sie in den Himmel kommen, das ist gewiß – denn eine Frau, die einen bessern Lebenswandel –«

»Wehe mir!« rief der Mönch, »wenn sie nicht in froher Zuversicht von hinnen gegangen ist! Wehe dem pflichtvergessnen Schäfer, der es geschehen ließ, daß der Wolf ein Schaf aus der Hürde wegtrug, während er seine Zeit damit vergeudete, die Schleuder und den Stab zu säubern, womit er das Ungeheuer bekämpfen wollte! Ach, wenn im unendlichen Jenseits diese arme Seele das Heil nicht findet, was habe dann ich verschuldet, indem ich gezögert habe? Den schweren Verlust einer unsterblichen Seele!«

Er trat, erfüllt von Gewissensbissen, an den Leichnam, der mit einem friedlichen Lächeln auf den dünnen Lippen dalag. Dann forderte er Frau Elspath auf, alles, was sie über den Lebenswandel der Toten wisse, ihm zu erzählen. Da hörte er denn nichts als Lobenswertes, und er lauschte begierig auf alles, was ihm die Gewißheit geben konnte, daß die Dame wenigstens in den Hauptgrundsätzen rechtgläubig geblieben sei. Eine Stunde etwa verweilte der Mönch noch allein bei der Leiche und betete, dann kehrte er in die Halle zurück, wo er die Freundin der Verstorbenen noch immer in Tränen fand. Sie hatte ein Mahl für ihn bereitet, das er aber mit den Worten ablehnte:

»Ich darf heute bis Sonnenuntergang keine Speise zu mir nehmen, denn ich muß sühnen, was ich durch Nachlässigkeit verschuldet habe. Aber, liebe Frau,« setzte er hinzu, »ich darf in meiner Sorge um den Leichnam nicht vergessen, das Buch mitzunehmen, welches für die Unwissenden dasselbe ist, was für die Stammeltern des Menschen der Baum der Erkenntnis war – das heißt, an sich vortrefflich, aber schädlich und verderblich, wenn es diejenigen gebrauchen, denen es verboten ist.«

»Mit Freuden, ehrwürdiger Vater,« erwiderte die Witwe Simon Glendinnings. »Ich will Euch das Buch geben, wenn ich es nur den Kindern wegnehmen kann, aber freilich, sie schwimmen jetzt in Tränen, und man könnte ihnen wohl das Herz aus dem Leibe nehmen, ohne daß sie es gewahrten.«

Der Mönch rief nach seinem Maultiere und wollte Abschied nehmen, als eben ein Ritter in voller Rüstung und Bewaffnung in den kleinen Hof, der den Turm umgab, hereingeritten kam.

Neuntes Kapitel

Die Gesellen oder Knappen von Großgrundbesitzern oder Häuptlingen hießen in Schottland »Eisenwämser«, weil sie als Rüstungen Wämser mit Stahlfütterung trugen. Diese Söldner benahmen sich gegen erwerbtreibende Leute aus dem Volke mit der größten Rücksichtslosigkeit und fanden sich stets dazu bereit, die gesetzwidrigsten Befehle ihrer Gebieter auszuführen. Christie von Clinthill war ein solcher Kumpan und an den eisernen Platten auf seinen Schultern, den verrosteten Sporen und dem verrosteten Speer zu erkennen. An seiner eisernen Sturmhaube, die nicht allzu blank geputzt war, trug er als Kennzeichen einen Zweig der Stechpalme – das Insignium des Hauses Avenel. An der Hüfte hing ein zweischneidiges Schwert mit eichnem Griff. Sein Roß war jämmerlich abgemagert, er selber sah hager und wild aus, was auf eine nur geringe Ergiebigkeit seines Handwerks zu deuten schien.

Er begrüßte Frau Glendinning nicht allzu höflich, und den Mönch noch unhöflicher, denn die wachsende Geringschätzung mönchischer Orden mußte vor allem in den Kreisen solcher verwilderten Menschen Platz greifen.

»So? also ist unsre Edelfrau tot,« sagte der Knappe, »mein Herr schickt Euch eben einen fetten Ochsen, – der kann nun zu ihrem Leichenmahl dienen – ich habe ihn oben in der Schlucht gelassen – er ist mit Brandzeichen versehen, aber je eher die Haut an ihm herunter ist und er im Pökel liegt, desto weniger Schererei habt Ihr mit dem Vieh. Ihr versteht schon, wie ich das meine. Und nun gebt mir Hafer für meinen Gaul und Fleisch und Bier für mich. Denn ich muß noch ins Kloster – doch den Ritt könnte ich mir ersparen, der Mönch hier wird meine Botschaft ausrichten.«

»Deine Botschaft, unverschämter Patron,« sagte der Unterprior und runzelte die Stirn.

Die arme Frau Glendinning befürchtete, es möchte zwischen den beiden Männern zum Streit kommen.

»Du liebe Güte, Christie,« sagte sie, »das ist ja der Herr Unterprior – Hochwürdiger Herr, das ist der Christie von Clinthill, der Führer von den Eisenwämsern des Lairds, und Ihr wißt ja, von diesen Leuten kann man wenig Anstand erwarten.«

»Ihr seid ein Söldner des Lairds von Avenel,« wandte der Mönch sich an den Reitersmann, »und führt eine so große Sprache gegen einen Bruder des Klosters unsrer lieben Frauen, dem doch Euer Herr so sehr verpflichtet ist.«

»Er hegt die Meinung, Euerm Kloster in noch höherm Maße verpflichtet zu werden,« antwortete der Eisenwams. »Da er vernahm, daß seine Schwägerin, die Witwe Walters von Avenel, auf dem Totenbette liege, so hat er mich zu dem Herrn Abt und den Brüdern gesandt mit der Botschaft, daß er willens sei, das Leichenmahl in ihrem Kloster abzuhalten und mit etwa zwanzig Pferden und einigen Freunden auf drei Tage und drei Nächte Quartier zu nehmen. Er erwarte, daß Ihr die Pferde umsonst füttern und die Leute umsonst bewirten werdet. Aus diesem Grunde melde er diese seine Absicht schon jetzt an, damit Ihr Zeit genug habt, Euch darauf einzurichten.«

»Das denke nicht, Freund,« versetzte der Unterprior, »daß ich dem Abt eine Botschaft überbrächte, die ihn so tief kränken muß. Meinst Du, die Güter der Kirche seien nur dazu da, von ruchlosen Laien vergeudet zu werden, die mehr Gesellen in ihrem Dienste halten, als sie auf ehrliche Weise besolden können? Entbiete Deinem Herrn von dem Unterprior des Klosters unsrer lieben Frauen, daß wir vom Primas Befehl erhalten hätten, uns dergleichen gewaltsame Erpressungen des Gastrechts nicht länger gefallen zu lassen. Unsre Güter und unser Vermögen sind bestimmt, Pilger und notleidende Jünger zu unterstützen, und nicht für rohe Kriegerhaufen Gelage auszurichten.«

»Mir das?« versetzte der grobe Eisenwams. »Mir und meinem Herrn das? So paßt denn auf, Herr Unterprior, ob Ihr mit Euren Aves und Credos die Ochsen in den Ställen zurückhalten und die Scheunen vorm Feuer werdet schützen können!«

»Bedrohst Du das Gebiet der heiligen Kirche mit Raub und Brand?« entgegnete der Unterprior. »Ich rufe alle, die die Worte dieses Räubers gehört haben, zum Zeugen wider ihn! Bedenke wohl, Lord James hat zwanzig solcher Gesellen wie Du im schwarzen Teich bei Jeddart ersäufen lassen. – Bei ihm und beim Primas will ich Klage erheben!«

Der Kriegsmann antwortete nicht, sondern drehte seinen Speer herum und zielte damit auf den Mönch.

Frau Glendinning begann um Hilfe zu schreien.

»Tibb Tacket! Martin! wo seid Ihr alle? – Christie, um Himmelswillen! bedenkt doch, er ist ein Diener der heiligen Kirche!«

»Ich fürchte mich nicht vor seiner Waffe,« sagte der Unterprior. »Wenn ich erschlagen werde, während ich die Rechte und Privilegien meines Stifts verteidige, so wird der Primas wissen, wie er dafür Rache zu nehmen hat.«

»Der mag sich selber schützen,« entgegnete Christie, aber er lehnte doch seinen Speer gegen die Mauer. »Er ist in Fehde mit dem Normannen Lestie, und der wird ihm schon zu schaffen machen, denn Lestie ist ein wahrer Bluthund, der sich festbeißt. Aber es war nicht mein Wille,« setzte er hinzu, »den heiligen Vater zu beleidigen. Ich bin ein rauher Mann und zu Speer und Steigbügel erzogen. Da verstehe ich nicht, mit Priestern und Schriftgelehrten zu verkehren. Wenn ich etwas Ungehöriges gesagt habe, so will ich gern den heiligen Vater um Verzeihung und um seinen Segen bitten.«

»Um Gotteswillen, Ehrwürden,« flüsterte die Witwe von Glendearg dem Unterprior zu, »gewährt ihm Verzeihung! – wie sollen wir armen Leute in den dunklen Nächten ruhig schlafen, wenn die Kirche mit solchen Kerlen wie dem da in Zwist lebt?«

»Ihr habt recht, liebe Frau,« sagte der Unterprior. »Eure Sicherheit muß uns zuerst am Herzen liegen. – Kriegsmann, ich verzeihe Dir, Gott segne Dich und mache Dich zu einem ehrlichen Manne.«

Christie neigte unwillig den Kopf ein wenig, wobei er vor sich hinbrummte: »Das will gerade soviel besagen wie: Gott möge Dich verhungern lassen. – Und nun, Herr Priester, was soll ich meinem Herrn für Bescheid auf seine Botschaft bringen?«

»Daß die Leiche der Witwe Walters von Avenel, wie es ihrem Stande zukommt, in der Gruft neben ihrem tapfern Gatten beigesetzt werden soll. Was den beabsichtigten Besuch Eures Herrn mit Gefolge anbelangt, darüber zu entscheiden, bin ich nicht befugt – diese Botschaft Eures Herrn müßt Ihr dem hochwürdigen Herrn Abt selber vortragen.«

»So muß ich eben hinreiten,« sagte der Krieger, »aber es läßt sich heute noch abmachen.«

Während Frau Elspath dem Söldner das Mahl zurichtete, war der Unterprior bemüht, sich in den Besitz des Buches zu setzen, das der Sakristan am verflossenen Abend mitgenommen hatte und das auf so seltsame Weise in den Turm von Glendearg zurückgelangt war.

Edward, der jüngere von den Knaben der Frau Glendinning, war nicht damit einverstanden, das Buch herzugeben, und Mary hätte ihm hierin wahrscheinlich beigestimmt, wenn sie nicht in ihrem Schlafgemach gewesen wäre, wo Tibb sich alle Mühe gab, sie über den Verlust ihrer Mutter zu trösten. Allein der jüngere Glendinning nahm ihre Eigentumsrechte mit einer Entschiedenheit wahr, die sonst nicht seiner Gemütsart entsprach, und erklärte, nach dem Tode der Mutter gehöre dieses Buch nur der Mary, und sie allein solle es behalten. Erst nach vieler Mühe gelang es dem Unterprior, den Knaben zur Herausgabe des Buches zu bewegen. Um nun nach dem Kloster zurückzukehren, ohne noch einmal dem wilden Kriegsmanne zu begegnen, stieg der Unterprior auf sein Maultier und trat den Heimweg an.

Er hatte sich im Turme aber doch länger aufgehalten, als eigentlich seine Absicht gewesen war, und so neigte der Novembertag sich schon seinem Ende zu, als er die Rückkehr antrat. Ein unheimlicher Ostwind heulte in den verwelkten Blättern und warf sie in Schauern auf den Boden.

Während der Priester nachdenklich dahinritt, weckte ihn das Getrappel eines hinter ihm herkommenden Pferdes aus seinen Gedanken, und er erblickte denselben wilden Kriegsmann, den er im Turme zurückgelassen hatte.

»Guten Abend, mein Sohn! Segne Dich Gott!« sagte der Mönch.

Aber der rohe Söldner dankte kaum durch ein flüchtiges Kopfnicken für den Gruß, gab seinem Pferde die Sporen und hatte binnen kurzem den Mönch und sein Maultier ein gutes Stück hinter sich gelassen.

»Dieses Gesindel,« dachte Vater Eustachius bei sich, »ist eine Landplage. Die Freiherrn von Schottland sind zurzeit die abgefeimtesten Diebe und Bösewichter. Ich fürchte, mit meinem Rat, diesen Landstreichern Widerstand zu bieten, komme ich beim Abt zu spät, aber ich muß mich beeilen.«

Er trieb sein Maultier an, aber das Tier scheute plötzlich, und so sehr sich der Reiter auch anstrengte, es war nicht mehr vom Flecke zu bringen.

Gleichzeitig begann eine Stimme, die wie die Stimme eines Weibes klang, dicht neben ihm zu singen:

Guten Abend, Herr Priester, im nächt'gen Gefild –


Du reitest so schön in den Mantel gehüllt.


Doch ob auf dem Berg, ob im Tal du magst reiten –


's ist jemand befugt, Dir zur Seite zu schreiten.

Das schwarze Buch gib mir zurück Im Augenblick!


Es ist mir betraut, und ich bring es zurück!

Der Unterprior sah sich um, aber es war weder ein Gebüsch noch ein Gestrüpp in der Nähe, wo eine Sängerin sich hätte verstecken können.

»Unsre liebe Frau möge mich beschützen!« sagte Vater Eustachius. »Ich hoffe, ich werde nicht den Verstand verlieren, aber es ist nicht gut möglich, daß meine Gedanken sich von selber zu Reimen zusammenfügen, die ich doch so sehr verachte, und zu Musik, von der ich nichts halte; oder wie sollte der Klang einer Frauenstimme, deren Wohllaut so lange Zeit keinen Reiz auf mich gehabt hat, meinem Begriffsvermögen ein Schnippchen schlagen, und sollte die Vision des Vaters Philipp auch an mir sich vollziehen? – Hollah, mein Maultier, zieh eiligst von dannen, so lange wir noch Herren unsrer Sinne sind.«

Aber das Maultier stand wie angewurzelt und wollte nicht von der Stelle, es legte die Ohren zurück, die Augen traten ihm fast aus den Höhlen und es verriet alle Anzeichen eines heftigen Entsetzens.

Während der Unterprior mit Drohen und Bitten das verhexte Tier dazu zwingen wollte, seine Pflicht zu tun, erklang abermals dicht neben ihm die sonderbar wohllautende Stimme:

Wie konntest Du, Priester, Dich unterstehn,


Ein Buch auf dem Totenbett zu erflehn?


Nimm ja Dich in acht und hör meinen Rat:


Kehr um, sonst büßest Du schwer Deine Tat!

Zurück! Dir droht


Ein schneller Tod,


Befolgst Du nicht gleich


meines Meisters Gebot!

»Und beim Namen meines Herrn und Meisters,« rief der verblüffte Mönch, »vor dessen Namen alles, was Odem hat, erbebt, beschwöre ich Dich: Sprich, wer bist Du, die Du hier mich heimzusuchen wagst!«

Dieselbe Stimme erwiderte:

Ein Wesen, weder schlecht noch gut,


Weder Himmelsgebilde, noch Höllenbrut,


Ein Nebelstreif – ein Wasserschaum –


Halb wacher Gedanke – halb schlummernder Traum –

Ein Gebild so fein,


Du siehst es allein,


Wenn Du blinzelst


im Abendsonnenschein.

»Das ist kein leeres Spiel der Phantasie!« sagte der Unterprior und raffte sich auf, denn bei aller ihm innewohnenden Beherztheit sträubte sich ihm doch das Haar, und Entsetzen befiel ihn, als er sich einem übernatürlichen Wesen so nahe fühlte. »Ich gebiete Dir,« rief er endlich mit lauter Stimme, »was Du auch im Schilde führen mögest, entweiche und belästige mich nicht mehr. Geist der Lüge, Dir ist nur Macht über die gegeben, so ihrer Pflicht vergessen!«

Die Stimme antwortete sogleich:

Mir zu entreißen gelingt Dir nicht,


Ich fahr durch die Nacht wie ein Irrlicht.


Ich tanz auf dem Strom, ich reit auf dem Wind,


Ich durchstreife die Welt mit dem Alp geschwind.

Ein zweites mal –


An der Biegung im Tal –


Am Bache dort


sehn wir uns noch einmal!«

Wie es schien, war die Straße jetzt frei gegeben, denn das Maultier kam zu sich und begann langsam weiter zu schreiten, aber es schnaubte heftig, zitterte an allen Gliedern, und man merkte es ihm an, daß es in Todesängsten geschwebt hatte.

»Bis jetzt hab ich von Kabbalisten und Rosenkreuzern nichts gehalten,« sagte der Unterprior, »aber bei meinem heiligen Orden, hier weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. – Mein Puls ist ruhig – meine Hand ist frei von Hitze – ich erkenne jeden Gegenstand – ich bin im Besitz meiner Geisteskräfte wie sonst – entweder ist es da einem Geist der Hölle erlaubt, mich an der Nase herumzuführen, oder die Ammenmärchen von Paracelsus und andern sind doch nicht ganz ohne Begründung. Wo das Tal eine Biegung macht? – Sollte ich den Weg vermeiden? Aber ich stehe im Dienste der Kirche, und die Hölle hat mir nichts an!«

Er sah sich vorsichtig und ein wenig furchtsam um, und so ritt er etwa eine Meile, ohne daß ihn etwas aufgehalten hätte. Als er an die Stelle kam, wo der Bach an den Rand des Hügels in einer plötzlichen Wendung so dicht herantritt, daß ein Pferd kaum passieren kann, verriet das Maultier wieder dieselben Anzeichen des Entsetzens und blieb stehen. Der Prior gab sich diesmal gar nicht erst die Mühe, es vorwärts zu treiben, sondern wandte sich sogleich an das Wesen, das ohne Zweifel abermals die Ursache für seinen Aufenthalt bildete, die feierlichen Beschwörungsworte sprechend, welche für solche Vorkommnisse die römische Kirche vorschreibt.

Die Stimme antwortete singend:

Die guten Leute sind dreist, doch redlich –


Die rohen Leute sind wild, doch nicht schädlich.


Doch liege Du In guter Ruh,


Daß niemand Dir ein Leides tu!

Der Unterprior wandte den Blick nach der Stelle, von wo die Laute zu kommen schienen, und nun war es ihm, als ob etwas gegen ihn rauschend heranströmte, und plötzlich fühlte er sich mit sanfter, doch unwiderstehlicher Gewalt aus dem Sattel geschoben. Ehe er zu Boden fiel, verließ ihn die Besinnung und er lag bewußtlos da. Als er vom Maultier fiel, war die Sonne noch nicht hinter den Hügeln am Horizont versunken, und als er wieder zu sich kam, stand der blasse Mond über der Landschaft.

Er erwachte – noch saß ihm das Entsetzen in den Gliedern, und er vermochte nur langsam sich von dieser Empfindung zu befreien. Er richtete sich auf und nahm wahr, daß er völlig unversehrt war, nur war er infolge der herrschenden strengen Kälte ganz erstarrt. Ein Geräusch dicht bei ihm jagte ihm von neuem das Blut zu Herzen, aber er raffte sich mit Gewalt empor und entdeckte nun zu seiner Beruhigung, daß eben dieses Geräusch von den Tritten seines eignen Maultieres herrührte, das bei seinem bewußtlosen Herren gewartet hatte und jetzt ruhig das Gras abweidete, das an diesem abgelegnen Flecke üppig wuchs.

Er dauerte noch ein Weilchen und kostete ihn auch noch einige Anstrengung, ehe er das Tier wieder besteigen konnte. Dann grübelte er über sein sonderbares Abenteuer nach und zog seines Weges weiter.

Er war mit sich uneinig, ob er den Vorfall berichten oder geheim halten sollte, entschied sich aber in edler Selbstverleugnung schließlich für das Letztere. Er wollte der Wahrheit die Ehre geben und eine vollkommene Beichte ablegen, obgleich ihm nun dasselbe zugestoßen war, worüber er am Tage vorher noch so gespottet hatte, denn es war ihm nun klar, daß dem Sakristan das gleiche Abenteuer widerfahren war.

»Der Himmel hat mich,« dachte er bei sich selber, »gerade in dem bestraft, worin ich am meisten mich selbst überhoben habe, in meiner geistlichen Dünkelhaftigkeit und meiner irdischen Weisheit. Ueber die Unerfahrenheit meiner Brüder habe ich gelacht und gespottet. Nun muß ich mich selber ihrem Spotte preisgeben. Ich werde erzählen, was mir niemand glauben kann – ich werde beteuern, was sie nur aus kläglicher Feigheit oder absichtlicher Lüge werden erklären können – ich werde die Schmach eines lächerlichen Träumers oder eines wissentlichen Betrügers auf mich nehmen. Sei es! aber ich will meine Schuldigkeit tun und ein vollständiges Bekenntnis ablegen. Wenn ich auch nach dieser schweren Erfüllung meiner Pflicht in diesem Hause meiner Aufgabe nicht mehr genügen kann und mein Ansehen dahin ist, so werden Gott und unsre liebe Frau schon einen andern Platz für mich finden, wo ich ihnen besser und segensreicher dienen kann.«

Als er sich der äußern Klosterpforte näherte, erblickte er zu seiner Verwunderung helles Fackellicht, bei dessen Schein er Männer zu Pferde und zu Fuß, und mehrere Mönche versammelt sah. Der Unterprior wurde mit einstimmigem Freudengeschrei empfangen, aus dem er ersah, daß die Leute um ihn selber in Sorge gewesen waren.

»Da ist er ja! da ist er ja! Gott sei Dank!« schrien die Lehnsleute, während die Mönche riefen: »Te deum laudamus – kostbar ist das Blut Deiner Diener in Deinen Augen!«

»Was ist denn los, Kinder? was bedeutet das, liebe Brüder?« fragte der Unterprior, indem er am Tore vom Maultiere stieg.

»Wenn Du noch nichts davon weißt, so wollen wir es Dir erst erzählen, wenn Du im Refektorium bist,« erwiderten die Brüder. »Der Abt hat hier diese unsre dienstwilligen Lehnsleute aufgeboten, daß sie Dich suchen sollen, um Dich aus großer Gefahr zu erretten. – Ihr könnt nun wieder heimkehren, Kinder, und morgen kann ein jeder, der sich heute abend hier eingefunden hat, ein Rindviertel und eine Kanne Doppelbier in der Klosterküche abholen lassen.«

Mit lautem Beifallsgeschrei zerstreuten sich die Lehnsmänner, und mit ebenso großem Jubel führten die Mönche den Unterprior ins Refektorium.

Zehntes Kapitel

Kaum trat der Unterprior in Begleitung seiner fröhlichen Brüder ins Refektorium; so hefteten seine Blicke sich auf einen Mann, in dem er sofort Christie von Clinthill erkannte. Er saß in Fesseln und unter Bewachung in der Ecke am Kamin, und aus seinen Zügen sprach der Trotz und finstre Starrsinn, denen so verhärtete Bösewichter ihre Strafe auf sich nehmen. Als der Mann aber den Unterprior erblickte, verzog sich sein Gesicht zum Ausdruck des wildesten Entsetzens und er rief:

»Der Teufel, der Teufel selber macht die Toten wieder lebendig!«

»Nein!« antwortete der Mönch, »sage Du lieber, unsre gebenedeite Frau macht die Anschläge der Gottlosen wider ihre gläubigen Diener zu nichte, denn unser treuer Bruder lebt und atmet noch.«

»Lebt und atmet noch!« rief der Bösewicht, sprang auf und nahte sich wankend dem Unterprior, soweit es ihm bei seinen Fesseln möglich war. – »Nein! keinem Eichenspeer und keiner Stahlspitze will ich mehr traun. Es stimmt!« setzte er hinzu, indem er den Unterprior verdutzt musterte. »Kein Fleck und keine Wunde – nicht einmal ein Ritz in der Kutte!«

»Und wer sollte mich denn verwundet haben?« fragte Vater Eustachius.

»Hier, dieser gute Speer, der noch nie zuvor sein Ziel verfehlt hat,« antwortete Christie von Clinthill.

»Der Himmel möge Dir verzeihen, wenn Du diese Absicht gehabt hast,« sagte der Unterprior. »Hattest Du vor, einen Diener des Altars zu erschlagen?«

»Warum denn nicht?« entgegnete Christie, »die Leute von Fife sagen: Und wenn Euer ganzes Gezücht umgebracht würde, bei Flodden hätten noch mehr dran glauben müssen.«

»Bube! bist Du auch ein Ketzer obendrein, außer daß Du ein Mörder bist?«

»Nein, beim heiligen Aegidius, das bin ich nicht,« antwortete der Eisenwams. »Wohl habe ich den Laird von Monnance gern reden hören, daß Ihr alle Schelme und Betrüger wäret, aber als er verlangte, ich sollte einem Allwissenden, einem Bibelleser, wie sie die Kerle nennen, zuhören, da habe ich mich ebenso wenig beschwatzen lassen, wie ein wildes Roß, wenn es eben einen Reiter abgeworfen hat, sich gleich darauf von einem andern besteigen läßt –«

»So hat er doch noch ein Gutes,« sagte der Sakristan zu dem Abt, der in diesem Augenblick hereinkam, »er hat sich geweigert, einem ketzerischen Prediger zuzuhören.«

»Um so besser für ihn, wenn er im Jenseits sein wird,« antwortete der Abt. »Mein Sohn, bereite Dich zum Tode vor. Wir überliefern Dich dem weltlichen Arme unsers Klostervogts, auf daß er Dich morgen bei Tagesanbruch auf dem Galgenberge hinrichte.«

»Amen!« sagte der Räuber. »Früher oder später mußte es mit mir ein solches Ende nehmen – und es ist mir einerlei, ob ich den Raben beim Liebfrauenkloster oder bei Carlisle zum Fraße diene.«

»Mit Verlaub, Euer Hochwürden,« sagte der Unterprior, »ich möchte um einen Augenblick Geduld bitten, da ich erst untersuchen möchte –«

»Wie?« rief der Abt, der ihn erst jetzt erblickte. »Unser lieber Bruder! So ist er uns wieder geschenkt, da wir ihn schon zu den Toten zählten! – Nein, beuge nicht das Knie vor einem Sünder, wie ich einer bin. Steh auf – Du hast meinen Segen! – Als dieser Bösewicht, von den Furien seines schuldbeladnen Gewissens getrieben, ans Tor heransprengte und rief, er habe Dich ermordet, da glaubte ich, der Pfeiler unsers Chorgangs sei zusammengebrochen. Wir wollen verhüten, daß hinfort ein so kostbares Leben gefährdet sei in diesen abenteuerlichen Grenzlanden, wir wollen nicht länger einen vom Himmel Geliebten und Beschützten in einer so niedrigen Stellung belassen, wie er sie als Unterprior bekleidet, – wir wollen uns beim Primas um Deine schleunige Versetzung und Beförderung verwenden.«

»Ei, nicht doch!« unterbrach ihn der Unterprior. »Laßt mich zuvor hören, ob dieser Kriegsknecht wirklich behauptet, er habe mich getötet?«

»Im vollen Galopp habe er Dich durchbohrt mit seinem Speer,« versetzte der Abt. »Als Du aber, zu Tode getroffen, vom Maultier sankst, da sei ihm, wie er behauptet, unsre hochgebenedeite Beschützerin erschienen.«

»Fällt mir gar nicht ein, solches Zeug zu behaupten,« warf der Gefangne ein, »ich habe bloß gesagt, eine weißgekleidete Frau hätte mich gestört, als ich gerade dabei war, die Kutte dieses Priesters zu untersuchen, weil die in der Regel sehr fett gespickt sind. Das Frauenzimmer hatte ein Binsenrohr in der Hand und hat mich mit einem einzigen Streich mit diesem Binsenrohr so glatt vom Gaule herabgeworfen, wie man ein vierjähriges Göhr mit einer Eisenkeule zerschlagen könnte, und dabei sang sie mir vor wie ein echter Singpopanz, und so einer war sie auch:

Danks dem Schmuck auf Deinem Kopf,


Dem Stechpalmzweig!


Sonst erschlüg Dich armen Tropf


Ein Binsenstreich!

Ich aber raffte mich auf, stieg zu Pferde und ritt hierher wie vom Teufel besessen, in der wackern Absicht, mich hängen zu lassen!«

»Du siehst, verehrter Bruder,« sagte der Abt zum Unterprior, »wie hoch Du bei unsrer hochgebenedeiten Schutzfrau in Gunst stehst, denn sie wacht selber über Dir auf Schritt und Tritt. Seit unser Stift gegründet ist, hat sie noch niemand so sichtbarliche Gnade zuteil werden lassen. Wir sind nicht würdig, geistliche Oberherrschaft über Dir zu haben, darum bereite Dich auf Deine schleunige Versetzung nach Aberbrothock vor.«

»Herr und Vater!« sagte der Unterprior, »Deine Worte verwunden mich im Innersten der Seele. Unter dem Siegel der Beichte will ich Euch jetzt bekennen, warum ich mich weit eher von einem Geiste ganz andrer Art besessen wähne, als daß ich mich für den Schützling himmlischer Mächte halte. Vorerst aber laßt mich ein paar Fragen an diesen unglückseligen Menschen stellen.«

Darauf wandte er sich an den Eisenwams.

»Aus welchem Grunde hast Du die Absicht gehegt, einen Mann zu töten, der Dir noch nie ein Leid angetan hat?« fragte er ihn.

»Aber Du hast mir gedroht,« erwiderte der Räuber, »und ein Narr, wer sich zweimal drohen läßt! Denke nur daran, was Du vom Primas und vom schwarzen Teich in Jeddart gesagt hast? Dachtest Du, ich würde warten, bis ich in den Sack gesteckt oder an den Galgen geknüpft worden wäre?«

»Also nur wegen des einen Wortes, das in einem Augenblick des Unmuts gesprochen wurde und schon wieder vergessen war, ehe es verklang?« fragte Vater Eustachius.

»Ja, das war der Grund,« antwortete Christie von Clinthill. »Und weil mir Dein goldnes Kruzifix gefallen hat.«

»Gerechter Himmel – und ist Dir denn über dem gleißenden Metall, über der schimmernden Erde jeder Gedanke daran, was es vorstellt, abhanden gekommen? – Vater Abt, als besondre Gnade erbitte ich es, daß Ihr diesen Verbrecher mir überliefert.«

»Eurem Gericht, Bruder,« erwiderte der Abt, »doch nicht Eurer Barmherzigkeit. Bedenkt, wir stehen nicht alle gleich hoch in der Gunst unsrer gebenedeiten Frau; auch ist nicht zu glauben, daß jede Kutte sich als eiserne Rüstung erweist, wenn ein Speer dagegen fährt.«

»Eben deswegen möchte ich es vermeiden,« erwiderte der Unterprior, »daß wegen meiner unwürdigen Person sich die ganze Brüderschaft mit Julian von Avenel, dem Gebieter dieses Menschen, entzweite. Mit Verlaub des Herrn Abtes wünschte ich daher, daß diesem Manne die Fesseln abgenommen würden und man ihn seines Weges ziehen ließe. Und hier, mein Freund,« setzte der Unterprior hinzu, indem er ihm das goldne Kruzifix gab, »da hast Du das Kleinod, das Dich zu einer Untat verlocken wollte. Schau Dirs ordentlich an, und möge es Dich zu andern und bessern Gedanken leiten, als von einem bloßen Stücklein Goldes ausgehen können. Es war ein Andenken, das mir ein geliebter Freund gab; aber es kann mir keinen bessern Dienst leisten, als wenn es dem Himmel eine verlorne Seele zuführt.«

Der Räuber, der jetzt von den Fesseln befreit war, starrte von dem Prior auf das Kruzifix.

»Beim heiligen Aegidius!« murmelte er. »Ihr seid mir ein Rätsel! Dafür, daß ich die Lanze gegen Euch richtete, gebt Ihr mir Gold – ei, was würdet Ihr mir wohl dafür geben, wenn ich damit einem Ketzer den Garaus machte?«

»Die Kirche will erst durch geistliche Strafen versuchen,« erwiderte der Unterprior, »ob sie verlorne Schafe wieder in die Hürde bringen kann, ehe sie zum Schwerte des heilgen Petrus greift.«

»Das heißt aber,« versetzte Christie, »der Primas empfiehlt selber, neben den Strafreden auch ein bißchen zu verbrennen und mit dem Schwerte zu strafen. Aber lebt wohl, ich verdanke Euch mein Leben, und ich werde allzeit Euer Schuldner sein.«

Pfeifend verließ er das Gemach. Der Abt entließ die Brüder, aber der Unterprior blieb noch zurück, und da der Abt wollte, fiel er vor ihm auf die Kniee und bat ihn, daß er ihm unter dem Siegel der Beichte anvertrauen dürfe, was ihm an diesem Tage widerfahren sei.

Seine Hochwürden gähnten und hätten gar zu gern unter dem Vorwande der Ermüdung die Sache verschoben, aber vor Vater Eustachius wollte er nicht gern im Lichte der Gleichgültigkeit erscheinen, er nahm daher die Beichte entgegen, in der Vater Eustachius getreuen Bericht über alle Vorfälle dieses Tages abstattete.

Als der Abt ihn fragte, ob er sich vielleicht einer geheimen Sünde bewußt sei, durch die er sich auf eine Zeitlang den bösen Geistern in die Hände gegeben habe, gab der Unterprior unumwunden zu, er glaube, sein hartes, unbrüderliches Urteil über Bruder Philipps Erzählung habe ihm diese Strafe eingetragen.

Für den Abt war es gleichzeitig ein süßer Stolz, eine erfreuliche Bekräftigung seines Urteils, als er den Unterprior sich selber jener Fehler zeihen hörte, die er ihm im stillen vorwarf. Aber das Bewußtsein, daß er das Recht hatte, stimmte ihn seiner Natur gemäß nur gutmütiger, als er zuvor schon gewesen war, und er dachte nicht daran, hart mit Vater Eustachius zu verfahren. In der Ermahnung, die er ihm zuteil werden ließ, kam seine geschmeichelte Eitelkeit und seine Besorgnis, dem Unterprior wehe zu tun, in etwas komischer Form zum Ausdruck.

»Mein Bruder,« sprach er, »bei Eurer einsichtsvollen Beobachtung müßt Ihr wohl gemerkt haben, daß wir oft uns in unserm Urteil von Euch haben leiten lassen, selbst in solchen Angelegenheiten, die die Brüderschaft in erster Linie angingen. Es wäre uns aber nicht lieb, wenn Ihr daraus etwa schließen wolltet, wir hielten unsre Meinung für weniger richtig, oder uns selbst für weniger einsichtsvoll als unsre Brüder. Unsre Absicht dabei war nur, unsern jüngern Brüdern – und zu denen gehört Ihr ja selbst, liebwerter Bruder – den Mut einzuflößen, daß sie ihre Ansichten frei aussprechen. Wir behalten oft unsre Meinung für uns, um unsre jüngern Brüder, vor allem unsern teuern Bruder Unterprior, zu bewegen, ihr Urteil uns ohne Scheu bekannt zu geben. Diese Nachsicht unsrerseits mag Euch wohl dazu verleitet haben, lieber Bruder, Eure Einsicht und Fähigkeiten zu überschätzen, so daß Ihr schließlich, wie es nun klar vor uns liegt, den Neckereien und dem Spott der höllischen Geister verfallen seid. Aber wir selbst haben nicht recht getan, indem wir Euch zu sehr nachgegeben haben, und so müssen wir denn beide unsre Fehler wieder gut machen, Ihr, indem Ihr weniger Euren irdischen Wissenschaften und Fähigkeiten vertraut, ich, indem ich mich weniger vom Urteil eines Mannes, der dem Amt nach mir untergeben ist, leiten lasse. Nichtsdestoweniger möchten wir nicht den großen Vorteil missen, den wir schon aus Euerm weisen Rat gezogen haben und noch werden ziehen können. Wir wollen daher bei wichtigen Geschäften Euch im geheimen zu uns rufen, wir werden Euern Rat hören, und wenn er mit unsrer Meinung übereinstimmt, werden wir danach handeln und den Beschluß als von uns allein herrührend ausdrücklich bezeichnen. Auf diese Weise bewahren wir Euch, lieber Bruder, vor schädlichem Hochmut und uns vor etwaiger Herabsetzung im Ansehen unsrer Brüderschaft.«

Als strenger Katholik hatte zwar Vater Eustachius eine hohe Meinung von der Beichte, doch sah er sich fast versucht, einem Gefühle der Lächerlichkeit Raum zu geben, als sein Oberer in solcher albernen Pfiffigkeit ihm den kleinlichen Plan anvertraute, die Erfahrung und Klugheit des Unterpriors sich zu nutze zu machen und doch das ganze Verdienst für sich einzuheimsen. Aber sein Gewissen ließ ihm sogleich erkennen, daß der Abt recht hätte.

Es war zu merken, daß von diesem denkwürdigen Abend ab der würdige Abt weit milder und freundschaftlicher mit dem Unterprior umging, als er in jenen Tagen pflegte, da er in ihm ein fleckenloses, unfehlbares Wesen erblickte, dessen Weisheits- und Tugendkleid kein Loch hätte. Aber diese Gesinnung brachte er des öftern in einer Weise an den Tag, die einem Manne von dem feinen Selbstgefühl des Vaters Eustachius peinlich sein mußte: so erwähnte er seiner gegen die andern Brüder nie ohne den Beisatz: »Unser lieber Bruder Eustachius, der arme Mann!« auch mahnte er hin und wieder die jüngern Brüder vor den Schlingen des geistigen Stolzes und der Ruhmsucht, die der Satan gern den Gerechten lege, und dabei warf er immer Blicke auf den Unterprior, die diesen als einen solchen bezeichneten, der in diese Schlingen gefallen sei. Solcherlei Vorfälle erheischten von Vater Eustachius den ganzen Gehorsam eines Mönches, die disziplinarische Unterwerfung eines Weisen, die Duldsamkeit eines Christen – ohne diese Eigenschaften wäre es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, die prahlerische Herablassung seines biedern, aber gar sehr einfältigen Vorgesetzten zu ertragen. Nun wünschte er selber, aus dem Kloster versetzt zu werden, und mischte sich fortan nicht mehr in die klösterlichen Angelegenheiten in jener selbstbewußten vorschreibenden Art, wie er vorher getan hatte.

Elftes Kapitel

Zwei bis drei Jahre waren verstrichen, und der Sturm, der bald darauf die kirchliche Herrschaft zertrümmerte, meldete sich näher und näher an. In der Lebensweise des Unterpriors hatte sich manches geändert. Er blieb oft tagelang aus dem Kloster fort, und da das Abenteuer von Glendearg sich ihm tief ins Gedächtnis geprägt hatte, so fühlte er sich oft nach dem einsamen Turme hingezogen, und er widmete sich den Waisenkindern, die darinnen weilten.

Außerdem hätte er gar zu gern erfahren, ob das Buch, das er verloren hatte, als er auf so seltsame Weise vor der Lanze eines Mörders behütet worden war, wieder in den Turm von Glendearg zurückgelangt wäre. Aber so eifrig er auch nachforschte, so konnte er nicht erfahren, ob einer der Insassen des Turmes den Bibelabdruck, nach dem er so begierig fahndete, wieder zu Gesicht bekommen hätte.

Die häufigen Besuche des guten Vaters blieben nicht ohne Einfluß auf Edward Glendinning und Mary Avenel. Ersterer zeigte eine so rasche Auffassungsgabe, und Lernfähigkeit, daß Eustachius seine Freude an ihm hatte über diese seltne Vereinigung von Begabung und Fleiß in einem besonders von der Natur begünstigten Kopfe.

Vater Eustachius lag es am Herzen, die so früh entfalteten Gaben Edwards dem Dienste der Kirche zukommen zu lassen, und er glaubte, der junge Mann werde sich um so rascher hiermit einverstanden erklären, als er von nachdenklicher, versonnener Gemütsart war und die Pflege der Wissenschaften und ihre geistige Anneigung für die schönste Lebensfreude zu halten schien.

Auch hegte er nicht den mindesten Zweifel, daß die Mutter bei ihrer Verehrung für die Mönche des Liebfrauenklosters es mit Freude begrüßen würde, wenn einer ihrer Söhne in diese Brüderschaft Aufnahme fände. Aber in beiden Mutmaßungen hatte Vater Eustachius sich geirrt.

Wenn er mit Elspath Glendinning von dem sprach, was eine Mutter am liebsten hört: von den Fortschritten und Fähigkeiten ihres Sohnes – so lauschte sie mit Freude, aber wenn Vater Eustachius davon sprach, daß es eine heilige Pflicht sei, solche ausgezeichneten Gaben der Kirche zu weihen, da brachte die Mutter das Gespräch immer auf einen andern Gegenstand; und wenn er dann beharrlicher darauf bestand, so sprach sie von ihrer Schutzlosigkeit und sagte, sie könne ihr Besitztum nicht allein verwalten und freue sich schon darauf, daß Edward an die Stelle seines Vaters treten und, wenn sie einst sterben sollte, im Turme bleiben werde.

»Wenn Ihr mir Edward nehmet, guter Vater,« sagte sie, »so raubt Ihr meinem Hause den Halt und die Stütze, denn mir ahnet, Halbert wird dieselben Wege wandeln wie sein Vater, und desselben Todes sterben wie er.«

Wenn nun der Unterprior sich an den Sohn selber wendete, wenn er ihm darstellte, wie herrlich er seine Wißbegierde innerhalb der Ordens befriedigen könne, so begegnete er der gleichen Abneigung. Edward führte dagegen an, daß er sich zu einem so ernsten Berufe nicht geeignet fühle, daß er keine Lust habe, seine Mutter zu verlassen. Vater Eustachius hielt dies nur für Ausflüchte, konnte aber die wahren Beweggründe, aus denen der junge Mann sich gegen den Eintritt in den Orden erklärte, nicht aus ihm herausbekommen und blieb hierin auf unklare Vermutungen beschränkt.

Es ist ein altes, wahres Sprichwort: »Die größten Gelehrten sind nicht immer die klügsten Männer«, und wenn Vater Eustachius, statt hinter der Abneigung des jungen Mannes die Vorliebe für ketzerische Wissenschaft zu vermuten, nur ein wenig mehr auf das, was im Turme vorging, geachtet hätte, so dürfte er wohl in den Augen der Mary von Avenel, die nun ein Mädchen von 14 bis 15 Jahren war, den Grund entdeckt haben, aus dem sich die Abneigung des jungen Mannes gegen das Mönchsgelübde erklären ließ. Sie war selber eine vielversprechende Schülerin des guten Vaters, und ihre keusche kindliche Schönheit wirkte, ohne daß er es vielleicht selber merkte, tief auf ihn.

Ihr Stand und ihre Aussichten gaben ihr das Vorrecht, in Lesen und Schreiben Unterricht zu erhalten. Im Anfange dieses Unterrichts war sie mit Halbert zusammen unterwiesen worden, aber er war zu ungeduldig und zu kühnen Gemütes, als daß er Fortschritte hätte machen können. Der Unterprior kam nicht regelmäßig, und oft lagen ganze Wochen zwischen seinen Besuchen. Dann hatte Halbert nicht nur das nicht gelernt, was ihm aufgetragen war, sondern auch noch das wieder vergessen, was ihm zuvor beigebracht worden war. Er bereute das zwar jedesmal, doch besserte er sich nicht. Manchmal suchte er sogar seinen Bruder und Mary Avenel zum Müßiggang zu verlocken.

»Hol Deine Mütze, Edward,« sagte er einmal, »der Laird von Colmslie ist mit seinen Hunden im Tale.«

»Mag er nur,« entgegnete Edward, »ich muß der Mary bei ihrer Aufgabe helfen.«

»Du wirst noch solange über den Mönchsaufgaben brüten, bis Du selber ein Mönch wirst,« erwiderte Halbert; »so geh Du mit mir, Mary!«

»Ich kann nicht mit Dir gehen,« antwortete das Mädchen. »Ich muß lernen, denn es dauert immer eine ganze Weile, bis ich es erfaßt habe. Freilich, wenn ich so rasch begriffe wie Edward, dann wollt ich schon mal mitkommen.«

»Ja, wirklich? Kämest Du mit?« rief Halbert. »So will ich auf Dich warten – und ich will obendrein mich noch einmal selber über meine Aufgabe machen.«

Lächelnd und doch mit einem Seufzer klappte Halbert das Buch wieder auf und begann die ihm erteilte Aufgabe zu lernen. Wie aus der Gemeinschaft der beiden verbannt, saß er am Fenster, und nachdem er vergeblich sich mit den Schwierigkeiten seines Exerzitiums herumgeschlagen hatte, gab er es auf und fing unwillkürlich an, die beiden Lerneifrigen zu beobachten, statt sich selber noch länger zu plagen.

Das Bild, das sich ihm zeigte, war an sich gewiß anmutig, doch waren einige Einzelheiten wohl nicht geeignet, ihm sonderlich Freude zu machen. Das schöne Mädchen neigte sich in ängstlicher Besorgnis über ihre Aufgabe, erfüllt von dem Eifer, die Schwierigkeiten zu überwinden, und sah hin und wieder zu Edward hilfeflehend empor, der, dicht an sie sich schmiegend, ihr über alle Schwierigkeiten hinweghalf und ebenso stolz war auf die Fähigkeiten seiner Schülerin, wie auf seine eigne Fertigkeit, ihr helfen zu können. Ein festes Band knüpfte sie aneinander: die Sehnsucht nach Wissen und das Hochgefühl, Hindernisse zu besiegen.

Halbert war sich nicht klar darüber, worin die Quelle der schmerzhaften Empfindung, von der er sich ergriffen fühlte, liege; aber es war ihm nicht möglich, noch länger dieses traute Bild anzusehen, und er warf sein Buch beiseite, sprang auf und rief:

»Hol der Satan alle Bücher und alle Träume, die sie in uns erwecken! Ich wünschte, es käme ein Haufe Südländer ins Tal, dann würden wir schon kennen lernen, was das ganze Geplapper und Geschreibsel wert ist!«

Mary und sein Bruder sahen erstaunt auf, während er in heftiger Erregung im Zimmer hin und her schritt.

»Ja, Mary!« rief er mit zornigen Blicken und mit Tränen in den Augen, »ich wünschte, eine Bande Südländer käme heute ins Tal, dann solltest Du sehen, daß ein starker Arm Dir einen bessern Schutz gewähren würde als alle Bücher, die je aufgeschlagen worden sind, und daß ein wuchtiges Schwert Dir mehr helfen würde, als alle Gänsekiele, die je zu Federn geschnitzt worden sind.«

»Dich kränkt und schmerzt es, Halbert,« sagte Mary verwundert, »daß Du nicht so leicht und rasch wie Edward lernst – so geht es mir auch – doch komm und setz Dich zwischen uns, so soll Edward uns beide unterrichten.«

»Ich mag seinen Unterricht nicht!« versetzte Halbert zornig. »Er nimmt ja auch von mir keine Lehre an, wenn ich ihn in wackerm, ehrenwertem Tun unterweisen will; so soll er mich auch nicht seine mönchischen Kniffe lehren. Ich hasse die Mönche, sie sind ein faules Pack, und ich will niemand Herrn nennen, der sich des Namens nicht mit dem Schwerte wert macht, und ich will keinen einen Mann nennen, es sei denn, er zeigte sich als Mann und Meister.«

»Sei doch nur still, Halbert!« fiel ihm Edward ins Wort. »Wenn solches Gerede ruchbar wird, so möchte es unsrer Mutter schweren Schaden tun.«

»Bring es nur selber unter die Leute!« rief Halbert. »Schrei es überall aus, daß Halbert Glendinning nie einem alten Manne mit geschornem Schädel als Lehnsmann Untertan sein will. Es gibt noch genug Freiherrn, die kühne Lehnsmannen suchen: Laß Du Dir nur diese erbärmlichen Aecker zu Lehen geben, sie werden Dir soviel einbringen, daß Du Dir in Ruhe und Frieden Deinen Haferbrei kochen kannst!«

Er rannte hinaus, aber er kam im nächsten Augenblick wieder hereingestürzt und fuhr im gleichen ergrimmten Tone fort:

»Ihr braucht übrigens beide nicht so wichtig zu tun, daß Ihr in einem Pergamentbuche lesen könnt. Ich will so schnell wie Ihr lesen lernen, das sage ich Euch, und ich weiß einen weit bessern Lehrmeister als Euren albernen alten Mönch, und ich kenne auch ein weit bessres Buch, als das gedruckte Brevier da, und wir werden ja sehen, Mary, da Du eine so große Freundin von Gelehrsamkeit bist, wer mehr wissen wird, Edward oder ich!«

Und er lief hinaus und kam nicht wieder.

»Was mag er nur haben?« fragte Mary. »Was meint er für ein Buch und was für einen Lehrmeister?«

»Darüber wollen wir uns nicht den Kopf zerbrechen,« versetzte Edward, »Halbert ist jähzornig und weiß nicht, was er will. Wenn er sich in den Felsen müde geklettert hat, wird er schon ganz ruhig wieder nach Hause kommen.«

Aber Mary schien sich doch ernste Sorge um Halbert zu machen. Sie brach die Arbeit mit dem Bemerken ab, daß sie Kopfschmerzen hätte, und Edward vermochte sie auch den ganzen Morgen nicht dazu zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen.

Inzwischen eilte Halbert mit der Geschwindigkeit eines Hirsches, barhäuptig, wie er war, mit von Zorn und Eifersucht entstellten Zügen, nach dem entlegensten, wildesten Teile des Tales und, die Gefahren voller Verzweiflung verachtend, suchte er sich die schwierigsten Wege aus, bis er endlich in eine enge Felsschlucht gelangt war, durch die ein Wässerchen dem Bache zuströmte, von welchem die Gegend von Glendearg ihr Wasser erhielt.

Hier machte Halbert plötzlich Halt und sah sich scheu und ängstlich um. Aus einer Spalte des steil vor ihm emporsteigenden Felsens wuchs ein wilder Stechpalmstrauch. Es war Sommerszeit und um die Mittagsstunde, so daß jetzt trotz der beträchtlichen Höhe der Felsen das Sonnenlicht auf dem Wässerchen gleißte.

»Es ist die rechte Stunde,« sagte Halbert zu sich selber, »und nun – gern möchte ich wohl mehr wissen als Edward mit all seinem Eifer und Fleiß; Mary sollte wohl sehen, ob er allein es verdient, daß er um Rat und Meinung gefragt wird. Ob er allein neben ihr sitzen, sich über sie neigen und ihr helfen darf. Und dabei liebt sie mich doch mehr als ihn, – das steht fest – denn sie ist edlem Blut entstammt und haßt alle Trägheit – und steh ich nicht auch hier feige und träge wie ein Priester? Warum fürchte ich mich denn davor, diese Gestalt jetzt zu rufen? Ich habe mich ja sonst nicht vor dieser Erscheinung gefürchtet. Ich bin ja doch ein Bursche, beherzt und stark wie mein Vater, und trage ich nicht auch das Schwert meines Vaters bei mir? Und dabei klopft mir das Herz und die Haare sträuben sich mir empor bei dem Gedanken, einen Schatten herbeizurufen – und ich will einer Bande von Südländern in Fleisch und Blut gegenübertreten? – Bei der Seele des ersten Glendinning, ich will sehen, ob der Zauberer Kraft hat!«

Er zog den ledernen Halbstiefel vom rechten Fuß, stellte sich fest hin, zog das Schwert, sah sich ringsum und neigte sich dreimal gegen die Stechpalme und gegen den kleinen Quell, wobei er die Worte sprach:

Dreimal der Stechpalme hier,


Dreimal dem Quell!


Ich bitte Dich, erscheine mir,


Weiße Maid von Avenel!

Mittag schimmert aus dem Teich,


Mittag glüht am Felsen grell,


Erschein', erscheine allsogleich,


Weiße Maid von Avenel!

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so stand ein frauliches Wesen in weißer Kleidung drei Schritte entfernt vor Halbert Glendinning.

Zwölftes Kapitel

Auf den ersten Augenblick erbebte Halbert, obgleich er sich vorgenommen hatte, vor der Erscheinung, die er nun schon zweimal erschaut hatte, nicht zum dritten Male sich zu erschrecken. Aber trotzdem wagte Halbert kaum zu atmen, sein Haar sträubte sich, offnen Mundes sah er die Erscheinung an, das nackte Schwert wider sie gezückt.

Endlich begann die weiße Frau – diese Bezeichnung wollen wir diesem Wesen geben – mit unsagbar süßer Stimme die Verse zu singen:

Dunkeläugiger Jüngling, warum riefst Du mich an?


Warum kamst Du her, wenn Furcht Dich erfassen kann?


Wer umgehn will mit uns, darf Makel und Furcht nicht haben.


Der Böse und der Feige erkennen nicht unsre Gaben.


Die Luft, die her mich trug, muß nach Aegypten ziehen.


Die Wolke unter mir muß nach Arabien fliehen,


Die Wolke muß mit mir im Flug die Luft durcheilen,


Denn eh der Tag erlischt, muß fort ich hundert Meilen!

Halbert überwand allmählich seine Bestürzung, er gewann die Sprache wieder und redete, wenn auch noch mit bebender Stimme, das Wesen an:

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