Erster Band

Erstes Kapitel

Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts bereiteten sich alle jene Ereignisse vor, die das Königreich Frankreich in den Besitz jener starken Macht setzen sollten, die jahrhundertelang für die übrigen europäischen Staaten zu einem wichtigen Eifersuchtsobjekt werden sollte. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnitts war Frankreich um seinen Bestand in lange Kriege mit England verwickelt, das einen Teil seiner schönsten Provinzen an sich gerissen hatte, und es bedurfte der äußersten Anstrengungen seines Königs und seiner Untertanen, das, was ihm noch gehörte, zu erhalten. Es drohte aber für Frankreich auch andere Gefahr. Durch die Erfolge der Engländer übermütig gemacht, hielten sich auch die Fürsten, die im Besitz der großen Kronlehen waren, namentlich die Herzoge von Burgund und der Bretagne, nicht mehr an ihre Lehnsverträge, sondern scheuten nicht davor zurück, die Waffen gegen ihren Lehns- und Oberherrn, den König von Frankreich, zu erheben, sobald ihnen irgend ein Anlaß oder eine Gelegenheit dazu geboten wurde. In Friedenszeiten führten sie in ihren Provinzen ein völlig unumschränktes Regiment, und das im Besitze von Burgund und des schönsten und reichsten Teils von Flandern befindliche Herzogshaus Burgund besaß eine so bedeutende Macht, daß es der Königskrone Frankreichs weder an Reichtum noch an Streitkräften unterlegen war. Und wie die großen Vasallen es machten, machten die kleinen es auch; ein jeder von ihnen suchte sich soviel Macht und Unabhängigkeit zu verschaffen, wie er irgend behaupten konnte, und machte sich der schlimmsten Gewalttätigkeit und Grausamkeit schuldig. So war allein in der Auvergne ein Verzeichnis von weit über 300 Adeligen aufgestellt worden, die sich der Blutschande, des Raubes und Mordes, fast immer sogar im Rückfalle, schuldig gemacht hatten.

Was aber zu diesen Uebelständen noch als erheblich verstärkend hinzutrat, das war die aus den langwierigen Kriegen mit England hervorgegangene Zerrüttung aller wirtschaftlichen Verhältnisse des Königreiches. In Frankreich hatte sich der Auswurf aller Länder in dieser wilden Zeit angesammelt, eine Menge von verwegenen Abenteurern hatte Banden gebildet und plünderte in Stadt und Land; sie boten ihre Schwerter demjenigen, der am besten bezahlte, oder führten, wenn sie einen guten Zahler nicht fanden, Krieg auf eigene Faust, bemächtigten sich der Burgen und Festungen, benützten sie als Schlupfwinkel, nahmen Reiche gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und sogen die Ortschaften, die noch einigermaßen wohlhabend waren, vollständig aus.

Trotz all diesen Schrecknissen und ohne die geringste Rücksicht auf das im Lande herrschende Elend trieben die niederen Adligen einen unerhörten Luxus, der kaum von demjenigen der Fürsten des Landes übertroffen werden konnte, und ihre Dienerschaft vergeudete auf unverschämte Weise das dem Volke abgepreßte Gut. Gebessert wurden diese Verhältnisse nicht im geringsten dadurch, daß im Umgange der beiden Geschlechter eine gewisse Galanterie herrschte, die noch auf die romantischen Gepflogenheiten der Ritterzeit zurückzuführen war; denn dafür machte sich eine grenzenlose Zügellosigkeit geltend, die aller Moral geradezu ins Gesicht schlug. Von dem reinen Geiste ehrbarer Zuneigung und frommer Uebungen, die die Gesetze des Rittertums einschärften, wußte man längst nichts mehr, wenn auch die Sprache der fahrenden Ritter noch immer im Brauche war und die Ordensregeln noch nicht als abgeschafft galten. Turniere wurden noch immer abgehalten, und die damit verbundenen Lustbarkeiten führten nach wie vor eine Menge von Abenteurern nach Frankreich, und keiner von ihnen unterließ es, seinen kecken Mut durch Handlungen zu beweisen, für die ihm sein glücklicheres Geburtsland keine Schranken öffnete.

In dieser Zeit bestieg den wankenden Thron ein König, dessen Charakter im Grunde genommen schlecht war über alle Begriffe, der aber gerade hierdurch das Zeug in sich hatte, das im Lande herrschende Unglück zu bekämpfen und im bedeutenden Maße zu verringern, ähnlich gewissen Gegengiften, denen nach alten medizinischen Werken die Kraft innewohnen soll, die Wirkung von Giften aufzuheben. Dieser König war Ludwig der Elfte. Von jener romantischen Tapferkeit, oder dem aus ihr entspringenden Stolze, der für die Ehre zu fechten bereit war, wenn der Nutzen schon längst eingeheimst war, besaß Ludwig keinen Schimmer, wohl aber war er kühn genug, jeden nur irgendwie nützlichen Zweck in der Politik mit Zähigkeit zu erfassen und zu verfolgen. Er war ein Mann der ruhigen Ueberlegung, der kalten Berechnung, des klugen Besinnens, immer auf seinen Vorteil bedacht und niemals geneigt, dem Stolz und der Leidenschaft, wenn sie mit seinem Vorteil kollidierten, ein Opfer zu bringen. Er verstand, sich mit erstaunlichem Geschick zu beherrschen und seine wirkliche Gesinnung vor allen, mit denen er in Berührung trat, auf das peinlichste verborgen zu halten. Das Wort, daß ein Fürst, der sich nicht zu verstellen verstünde, nicht zu herrschen verstünde, und »daß er selbst seine Kappe, wenn er denken müsse, sie sei hinter seine Geheimnisse gekommen, vom Kopfe reißen und ins Feuer schmeißen würde,« führte er sehr oft im Munde. Zu keiner Zeit hat ein Mensch gelebt, der die Schwächen seiner Mitmenschen so auszunützen verstanden hat, wie dieser König Ludwig, und dabei doch zu vermeiden, daß es irgend den Anschein hatte, als ob er sich andern gegenüber, auch denen, die ihm Nachsicht schenkten, in Vorteil zu setzen suche.

Von Natur rachsüchtig und grausam in so hohem Grade, daß es ihm eine besondere Freude machte, der Vollstreckung eines von ihm befohlenen Todesurteils anzuwohnen, reizte ihn doch kein Rachegefühl je zu voreiliger Hitze, weil in seinem Herzen kein Funke von Mitleid wohnte, der ihn hätte bestimmen können, Schonung walten zu lassen, wenn er mit Sicherheit verdammen konnte. In der Regel fiel er über seine Beute erst her, wenn er sie fest in seinen Klauen hatte, und wenn von irgend einem Zufall, sich zu befreien, keine Rede mehr sein konnte. Er verstand es meisterhaft, jede seiner Bewegungen so sorgfältig zu verbergen, daß im allgemeinen die Welt erst durch den Erfolg erfuhr, welchen Zweck er verfolgt hatte. Wenn ihm darum zu tun war, den Günstling oder Minister eines fürstlichen Nebenbuhlers für sich zu gewinnen, kannte seine Verschwendung keine Grenzen. Wohl war er ein Freund von Zügellosigkeit, aber weder Weib noch Jagd, so sehr er für beides entflammt war, vermochten ihn jemals den Staatsgeschäften abtrünnig zu machen. Er besaß eine Menschenkenntnis von erschreckender Tiefe, war stolz und hochmütig von Person, und hatte doch niemals Bedenken, Menschen aus den untersten Ständen emporzuheben und mit den wichtigsten Aemtern zu bekleiden, und verstand seine Wahl immer so geschickt zu treffen, daß er sich kaum ein einzigesmal in seinem Leben in den Eigenschaften, die er ihnen beimaß, geirrt hat. Die Ansichten, die in den verschiedenen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft seines Königreiches herrschten, galten ihm gleich Null.

Aber kein Mensch bleibt sich immer vollständig gleich, und so bestanden auch in der Natur dieses klugen und gewandten Herrschers von Frankreich Widersprüche. Aus seiner Eigenschaft des falschesten und verlogensten aller Menschen ergaben sich die größten Irrtümer seines Lebens, und zwar insofern als er in die Ehre und Rechtlichkeit derjenigen, mit denen er Beziehungen hatte, zu schnell Vertrauen setzte, sobald ihm darum zu tun war, sie zu überlisten. Im allgemeinen dagegen war er eifersüchtig und argwöhnisch wie nur je ein Tyrann. Um die Schilderungen des fluchwürdigen Charakters dieses Herrschers von Frankreich zu vervollständigen, der sich unter den rohen, ritterlichen Monarchen seines Zeitalters als der Tierbändiger hervortut, der die Gewalt über die Bestien nur durch alle Mittel scharfer Dressur in die Hände bekommen hat, unter denen Hunger und Prügel nicht die gelindesten sind, und der, um von ihnen nicht zerrissen zu werden, vor keinem Mittel, das ihm seine Gewalt erhält, zurückschrecken darf, müssen wir noch zwei weiterer Eigenschaften gedenken, die er andern Herrschern voraus hatte, und zwar seines hochgradigen Aberglaubens, der sein Gemüt der tröstenden Segnungen der Religion fast vollständig verschloß, und seines Hanges zu geheimen Ausschweifungen und zu Zerstreuungen gemeiner Natur. Durch diesen klugen oder wenigstens schlauen, mit hoher Macht ausgerüsteten, aber in seinem Charakter so unlauteren Herrscher setzte der über Staaten wie über Individuen waltende Himmel das große französische Volk wieder in den Besitz der Vorteile einer geordneten Regierung, die ihm vor seinem Regierungsantritt fast ganz abhanden gekommen war. Dabei bestieg er den Thron unter keineswegs günstigen Auspizien; denn er hatte in seinem bisherigen Lebenslaufe wenig Talent und Tüchtigkeit, wohl aber großen Hang zum Laster offenbart. Seine erste Gemahlin, Margarete von Schottland, wurde durch einen von ihm eingesetzten Gerichtshof zum Tode verurteilt, und ohne sein Dazutun wäre es doch keinem Beisitzer dieses Tribunals eingefallen, auch nur ein einziges schlimmes Wort gegen diese liebenswürdigste und aufs schändlichste mißhandelte Fürstin zu äußern! Als Sohn war er undankbar und aufrührerisch gegen den eigenen Vater gewesen und sogar mit dem Gedanken umgegangen, sich der Person desselben zu bemächtigen, nur um früher die Herrschaft an sich zu reißen. Ja er hatte es soweit getrieben, daß sich zwischen dem Vater und ihm ein richtiger Krieg entspann. Um des ersten Vergehens willen war er in die Dauphiné verbannt, um des letztern willen des Landes verwiesen worden. Damals hatte er sich zu dem Herzog von Burgund flüchten müssen, der Gnade und Barmherzigkeit desselben anheimgegeben, und war solange dessen Gast gewesen, bis ihm des Vaters Tod die Rückkehr nach England wieder gestattet hatte. Er hatte kaum den Thron bestiegen, als sich die großen Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund an der Spitze, zu einem Bunde gegen ihn zusammentaten, mit einem großen Heere vor Paris rückten und das französische Königreich an den Rand des Verderbens brachten. Ludwig hatte in der ihm vor den Wällen von Paris, bei Montl'héry, gelieferten Schlacht keinen geringen Grad von persönlicher Tapferkeit bewiesen. Immerhin blieb der Ausgang unentschieden. Wie es aber in solchen Fällen die Regel zu sein pflegt, daß dem klügeren der beiden Streiter, wenn auch nicht der Ruhm, so doch die Frucht in den Schoß fällt, so auch hier: Ludwig verstand es meisterhaft, Eifersucht zwischen seinen Widersachern zu erwecken und hierdurch die Oberhand über sie zu gewinnen. Dann traf es sich günstig für ihn, daß in England der lange Zwiespalt zwischen den beiden Rosen entbrannte und ihn von der »englischen Gefahr« befreite, und nun begann er, als geschickter, aber gefühlloser Arzt die Wunden seines Reiches zu heilen, bald durch gelinde Mittel, mehr aber durch Feuer und Schwert die Geschwüre zu entfernen, die an demselben fraßen. Die Räubereien der Freischaren, die Plackereien des Adels konnte er freilich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber es gelang ihm, sie erheblich einzuschränken, gleichwie er seinen Vasallen gegenüber das königliche Ansehen durch unentwegte Wahrung und Mehrung der Interessen der Königskrone zu stärken wußte.

Nichtsdestoweniger schwebte Ludwig in ständiger Furcht und Gefahr, denn den Bund der Thronvasallen zu vernichten, wollte ihm nicht gelingen, er blieb eine Natter an seinem Busen, die ihn fortwährend mit ihren Giftzähnen bedrohte. Noch eine weit schlimmere Gefahr für ihn war jedoch die in ständigem Wachstum befindliche Macht des Herzogs von Burgund, damals eines der mächtigsten Fürsten Europas, und trotz seines Vasallenverhältnisses zu Frankreich diesem an Rang kaum unterlegen. Der burgundische Herzogshut saß damals auf dem Haupte Karls mit dem Beinamen des Kühnen oder vielmehr Verwegnen, denn sein Mut wurde durch seine Tollkühnheit noch übertroffen, und er strebte nach nichts Geringerem, als seinen Herzogshut mit einer Königskrone zu tauschen. Sein Charakter stand zu dem Ludwigs des Elften im schroffsten Gegensatze. Ludwig war ruhig, bedacht und pfiffig, ließ sich nie auf ein verzweifeltes Unternehmen ein, gab aber auch niemals eins auf, das Aussicht auf Erfolg, wenn auch erst in geraumer Zeit, hatte. Herzog Karl hingegen stürzte sich in Gefahren, weil er Gefahren liebte, und bot Hindernissen Trotz, weil er Hindernisse verachtete. Ludwig opferte seiner Leidenschaft niemals sein Interesse, Karl dagegen ließ seiner Leidenschaft ohne Rücksicht auf jedes Interesse die Zügel schießen. Sie waren eng verwandt zusammen und Ludwig hatte, als er von dem Vater des Landes verwiesen worden war, bei dem Vater Karls in der Dauphiné jahrelang Zuflucht und Obdach gefunden, hatte von Karls Vater wie von ihm selbst Unterstützung und Beistand aller Art erhalten, und doch wollten beide Männer nicht allein nichts voneinander wissen, sondern verachteten und haßten einander bitter. Auf Ludwigs Gesinnung gegen Karl war seine Habsucht von nicht geringem Einfluß, denn er mißgönnte seinem Vetter die reichen Besitzungen seiner Herzogskrone, die strenge Disziplin, die unter den kriegerischen Bewohnern der burgundischen Lande herrschte, hielt ihn in ständiger Furcht, und die zahlreiche Bevölkerungsmenge derselben weckte seinen Neid. Ludwig verstand es nur allzu gut zu ermessen, was ihm von diesem allezeit kampflustigen und kampfsüchtigen Burgundervolke für Gefahren drohten, wenn er sich mit dem unbändigen Herzoge vollständig verfeindete. Darum war er eben zu dem Entschlusse gekommen, den entgegenkommenden Schritt zu tun, den er getan hatte, indem er den Weg nach dessen Besitzungen nahm, unter Wahrnehmung des Waffenstillstandes, der um das Jahr 1468, zu einer Zeit, als ihre Fehden den höchsten Gipfel erreicht hatten, gerade eingetreten war. Und das ist die Zeit, zu welcher auch unsere Erzählung einsetzt.

Zweites Kapitel

Es war an einem wunderschönen Sommermorgen. Die Sonne hatte von ihrer sengenden Kraft noch nichts verloren. Der Tau kühlte noch die Luft und füllte sie an mit süßem Dufte. Da näherte sich ein Jüngling von Nordosten her der Furt eines Baches, der sich unweit des Schlosses Duplessis in den Cher ergießt. Von weiten Wäldern umringt, ragen die düstern Baulichkeiten des Schlosses hoch über die Gipfel der hohen Bäume.

Am andern Bachufer standen zwei Männer, in eine tiefe Unterhaltung versunken, die sich hin und wieder nach dem Wanderer drüben umsahen. Da das Ufer, auf dem sie standen, erheblich höher lag als das andere, konnten sie ihn schon aus ziemlicher Weite beobachten. Er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, oder zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten stehen; aber daß er nicht aus der Gegend, auch nicht aus Frankreich stammte, verriet sein Aeußeres auf den ersten Blick. Er trug einen kurzen, grauen Rock und ebensolche Beinkleider. Das deutete mehr auf niederländische Mode als auf französische, hingegen war die spitz zulaufende blaue Mütze mit dem Stechpalmenzweige weder in Frankreich noch in den Niederlanden, sondern nur in Schottland heimisch. Er war ein recht schmucker Bursch und von hübscher Figur. Auf dem Rücken trug er ein Ränzel, das ein paar Habseligkeiten zu enthalten schien, über der linken Faust trug er einen Falkenierhandschuh, obgleich kein Falke drauf saß, und in der rechten einen derben Jagdstock. Ueber seiner linken Schulter hing eine gestickte Schärpe, an der wieder eine kleine Tasche hing, von scharlachrotem Sammet, wie sie damals gern von den Falkenieren getragen wurde, um das Futter für diese immer hungrigen Vögel bei sich zu führen, hin und wieder wohl auch andere Dinge, wie sie zu dem damals in schönster Blüte befindlichen Sport gebraucht wurden. Ueber die Schärpe fiel von der andern Schulter herab ein Bandelier, in dem ein Jagdmesser steckte. Statt der damals üblichen Jagdstiefel trug er leichte Halbstiefel aus halbgegerbtem Leder.

Der Jüngling war noch nicht völlig ausgewachsen, aber schon recht groß und stattlich. Sein munterer Schritt verriet, daß ihm das Wandern mehr ein Genuß denn ein Verdruß war. Seine Gesichtsfarbe wies einen bräunlichen Teint auf, die Folge von langem Aufenthalt in der frischen Luft, war aber nichtsdestoweniger schön. Seine Züge waren frei und offen und gefällig, wenn auch nicht streng regelmäßig. Zwischen den von einem muntern Lächeln leicht geöffneten Lippen traten zwei Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein, und aus seinem hellblauen Auge, das einen eigentümlich zu Herzen gehenden Blick hatte, sprach frohe Laune, leichter Sinn und rasche Entschlossenheit.

Die beiden Männer auf dem andern Ufer hatten ihn, wie schon gesagt, längst gesehen. Als er aber, flink wie ein Reh, das zur Quelle eilt, die Uferkante zum Wasser hinunter sprang, stieß der jüngere von ihnen den andern an und meinte: »Ei! das ist unser Mann! der Zigeuner! Wenn er sich's etwa einfallen läßt, durch die Furt zu waten, so ist er verloren, denn das Wasser ist hoch, und die Furt unpassierbar,« – »Dahinter mag er nur von selbst kommen, Gevatter!« erwiderte der ältere; »wer weiß, ob wir auf diese Weise nicht einen Strick sparen.« – »Ich richte mich bloß nach seiner blauen Mütze in der Taxierung seiner Person,« erwiderte der andere; »denn sein Gesicht kann ich nicht sehen. Aber, aufgepaßt! er ruft uns, wahrscheinlich will er wissen, ob das Wasser tief ist oder nicht.« – »Es geht im Leben nichts über die eigne Erfahrung,« sagte der andere; »mag er's doch probieren, wie's im Bache aussieht.«

Der Jüngling zauderte nicht lange, sondern zog sich die Stiefel von den Füßen und ging in das Wasser hinein. Es verdroß ihn augenscheinlich, daß er von den beiden Männern keine Antwort erhielt. Da rief ihm der ältere derselben zu, er möge sich in acht nehmen, mit dem Bache sei nicht zu spaßen, raunte aber gleich darauf seinem Begleiter die weiteren Worte zu: »Mort Dieu! Du hast Dich schon wieder geirrt, Gevatter! der junge Mensch ist nicht unser schwatzhafter Zigeuner.« Die Warnung kam indessen zu spät an die Ohren des Jünglings, oder er hatte sie überhaupt nicht vernommen, weil er schon mitten in der rauschenden Strömung war, in welcher ein minder couragierter und des Schwimmens nicht in dem vorzüglichen Maße wie er bewanderter Mensch sicher umgekommen wäre, denn der Bach hatte nicht allein eine sehr starke Strömung, sondern auch Wirbel und Untiefen.

»Bei unserer heiligen Anna!« meinte der ältere der beiden Männer wieder, »das ist ein strammer Junge! lauf, Gevatter, und mach Deine Sünde wieder gut, indem Du ihm nach besten Kräften beistehst. Gehört er doch zu Deinem Kaliber, von dem das Wasser, wie es in dem alten Sprichworte heißt, nichts wissen will, weil es ihm zu leicht ist.« – Wirklich schwamm auch der Jüngling so leicht und flott, daß er trotz der Gewalt, die die Strömung an dieser Stelle hatte, ziemlich genau an dem üblichen Landungsplatze das Ufer erreichte.

Mittlerweile eilte der jüngere der beiden Männer zum Ufer hinunter, um dem Schwimmer Beistand zu leisten, während der ältere langsamen Schrittes hinterher folgte, unterwegs bei sich sprechend: »Hm, ich hab's doch gewußt, daß der Kerl nicht ersäuft. Meiner Seelen! er ist schon am Ufer und greift nach seinem Stocke. Wenn ich mich nicht tummle, so ist er imstande, mir den Gevatter durchzuwamsen für den einzigen Liebesdienst, den ich ihm zeit meines Lebens einem Mitmenschen habe erweisen sehen.«

Zu solcher Befürchtung war nun freilich einiger Grund vorhanden, denn der kräftige Jüngling drang auf den hilfreichen Samariter mit der zornigen Rede ein: »Du unhöflicher Hund! Warum gibst Du keine Antwort, wenn Dich ein Mensch manierlich fragt, ob der Bach passierbar ist oder nicht? Der Teufel soll mir die Suppe versalzen, wenn ich Dich nicht Mores lehre, wie Du Dich künftighin anständigen Menschen gegenüber zu verhalten hast!« Dabei schwang er den Stock in seiner Faust, daß er sich wie ein Windmühlenflügel im Kreise drehte. Der andere aber griff, als er sich solchermaßen bedroht sah, zum Schwerte, denn er gehörte zu jenem Schlage Menschen, der lieber handelt, als viel Worte macht. Aber da trat der ältere, der auch der Höhersituierte zu sein schien, hinzu und hieß ihn sich ruhig verhalten; dann wandte er sich zu dem Jüngling, schalt ihn einen unvorsichtigen, voreiligen Menschen, sich in einen so sehr geschwollenen Bach zu wagen und mit dem Manne, der ihm zu Hilfe geeilt sei, mir nichts dir nichts Händel anzufangen.

Als sich der Jüngling so derb von einem weit älteren Manne derart zur Rede stellen hörte, brachte er auf der Stelle seinen Knotenstock in Ruhe und sagte, es solle ihm sehr leid sein, wenn er sich in ihnen geirrt hätte. Es käme ihm aber ganz so vor, als wenn sie ihn, statt ihn rechtzeitig zu warnen, hätten in der Gefahr umkommen lassen wollen, was doch unter Christen kein Brauch sei ... »Lieber Junge,« sagte darauf der ältere der beiden Männer, »nach Deiner Rede und Deinem Aussehen zu schließen, bist Du nicht aus unserm Lande. Da wär's doch am Platze, Du rechnetest damit, daß wir Dich nicht so schnell verstehen können, wie Du sprichst.« – »Na, lassen wir's gut sein, Herr Vater,« sagte darauf der Jüngling, »ich seh es auf ein bißchen Paddeln im Wasser nicht gerade an, und will's auch nicht weiter anrechnen, daß Euch wohl ein Teil von der Schuld mit trifft. Aber dafür müßt Ihr mich nun schon an einen Ort weisen, wo ich meine Sachen trocknen kann, denn ich habe kein zweites Wams, sondern bloß das, was ich auf dem Leibe trage. Auch muß ich darauf sehen, daß das noch seine Weile aushält.« – »Na, für was für Leute hältst Du uns denn, mein Sohn?« fragte der ältere auf die Zumutung hin. – »Nun, für ehrsame Bürgersleute,« erwiderte der Jüngling, »und darin irre ich mich wohl auch nicht? oder,« setzte er hinzu, als wenn ihm plötzlich eine andre Meinung käme, »seid Ihr etwa ein Geldwechsler oder Getreidehändler, und Euer Kamerad ein Schlächter oder Viehhändler?« – »Halb und halb hast Du's ja erraten, was wir sind, mein Sohn,« versetzte der ältere lächelnd, »meine Arbeit besteht allerdings darin, soviel Geld zu wechseln, wie sich irgend auftreiben läßt, und meines Gevatters Beruf steht in einiger Verwandtschaft zu dem eines Schlächters. Was nun Dein Anliegen anbetrifft, Dir einen Ort anzuweisen, wo Du Dein Wams trocknen kannst, so wollen wir zusehen, was sich tun läßt. Aber da muß ich doch zuerst wissen, wes Geistes Kind Du bist, denn in der jetzigen Zeit hat's nicht gerade Mangel auf den Landstraßen an Wandervolk, bei dem alles andre eher zu finden und zu vermuten ist, als Ehrlichkeit und Gottesfurcht.«

Der Jüngling maß den Mann, der diese Worte an ihn gerichtet hatte, mit einem scharfen, durchdringenden Blicke, dann sah er, aber weniger scharf, auf den andern Mann hinüber, wie wenn er sich seinerseits nicht recht klar darüber sei, ob sie selbst seines Vertrauens würdig seien, und er kam dabei zu folgendem Schlusse: der ältere der beiden, der der besser Gekleidete war und auch in Aussehen und Haltung dem andern sichtlich überlegen war, zeigte ganz den Habitus eines Kaufmanns oder Krämers jener Zeit; sein Wams und sein Beinkleid war von der gleichen, dunklen Farbe, aber schon recht abgetragen, woraus der Schotte weiter folgerte, der Mann müsse entweder sehr reich und knickrig oder sehr arm sein – wahrscheinlich sei indes das erstere der Fall. Der Umstand, daß ihm die Sachen eher zu eng als zu weit, und vor allem die Hosen eher zu kurz als zu lang waren, bestärkte ihn hierin, denn sich so zu tragen, galt damals nicht einmal unter dem Bürgerstande für anständig, denn es wurden allgemein weite, lange Röcke getragen, zumeist solche, die bis über die Knie herunterfielen.

Der Gesichtsausdruck des Mannes war nicht sowohl einnehmend als abstoßend. Die groben Züge, wie die eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen deuteten auf einen gewissen Grad von Pfiffigkeit und Humor, der dem Jünglinge nicht eben unsympathisch war. Die Augen waren von dichten, schwarzen Brauen überschattet und hatten einen gebieterischen Ausdruck, der in gewissem Maße unheimlich wirkte. Die tief über die Stirn hereingezogene Pelzmütze verringerte durch den Schatten, der auf die Augen fiel, diesen Eindruck nicht, sondern erhöhte ihn vielmehr nicht unwesentlich. Soviel steht fest, daß der junge Wanderer den Blick dieses Auges mit der unscheinbaren Kleidung, die der Mann trug, nicht recht zusammenreimen konnte. Was ihm weiter auffiel, war, daß die Pelzmütze, die der Mann trug, nicht, wie es sonst bei besser situierten Leuten Mode war, mit Gold oder Silber geputzt, sondern nur mit geringen Bleibildern behangen war, die Jungfrau Maria darstellend, wie sie von armem Pilgervolk aus Loretto mit heimgebracht wurden.

Der Kamerad dieses wunderlichen Alten war ein kräftiger Mann mittleren Wuchses, der wohl an die zehn Jahre jünger sein mochte als der andere. Er hielt das Gesicht immer der Erde zugewandt, mit einem Lächeln, das nichts Gutes bedeutete, aber er zeigte dieses Lächeln dem Anschein nach immer nur dann, wenn er seinem Kameraden auf gewisse heimliche Zeichen zu antworten hatte, die von Zeit zu Zeit zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Dieser andere Mann trug ein Schwert und einen Dolch. Der Jüngling bemerkte auch, daß er unter seinem einfachen Oberkleide ein Panzerhemd aus metallenen Ringen trug, und diese weitere Wahrnehmung bestärkte den Jüngling in der Meinung, einen Schlächter oder Viehhändler in dem Manne vor sich zu sehen, denn wegen der Unsicherheit, die damals auf den Landstraßen herrschte, wurden solche Panzerhemden auch gern von Leuten getragen, die viel auf der Landstraße sein mußten und auch immer viel Geld bei sich führten.

Nachdem der Jüngling mit seinen Betrachtungen zu diesem Ergebnisse gelangt war, wozu er freilich ein bißchen viel Zeit gebraucht hatte, erwiderte er auf die zuletzt an ihn gerichteten Worte des ältern der beiden Männer: »Es ist mir zwar nicht bekannt, an wen ich das Wort zu richten die Ehre habe,« – diese höfliche Wendung verstärkte er durch eine leichte Verneigung – »das hat aber weiter nichts auf sich. Ich bin Schotte und komme, nach dem in unserm Lande heimischen Brauche, nach Frankreich herüber in der Absicht, hier mein Glück zu suchen, oder – was anderes dafür zu finden, je nachdem.« – »Beim Ewigen! das ist eine recht manierliche Sitte,« erwiderte hierauf der ältere Mann wieder, »Ihr scheint mir ein braver Junge, und obendrein gerade in dem Alter, in welchem der Mensch sein Glück machen kann, nicht bloß bei Männern, sondern auch bei Weibern. Wie denkt Ihr darüber? Ich bin Kaufmann und brauche einen Burschen, der mir bei meinen Geschäften an die Hand geht. Mir kommt's bloß so vor, als ob Ihr die Nase ein bißchen zu hoch trügt, um Euch zu solchen mechanischen Plackereien herzugeben.« – »Mein Herr,« antwortete darauf der junge Schotte, »wenn Ihr Euer Anerbieten im Ernste macht, was mir indessen noch ein wenig zweifelhaft ist, so bin ich Euch dafür zu recht großem Danke verpflichtet. Ich fürchte nur, Ihr werdet mich nicht so recht brauchen können?« – »Ich möchte freilich wetten, daß Du Dich besser drauf verstehst, den Bogen zu spannen, als mit einem Ballen Ware im Lande herumzulaufen; auch dürftest Du die Feder schwerlich so gut zu führen wissen, wie Dolch oder Schwert ... stimmt's, was ich sage?«

»Mein Herr,« erwiderte der Jüngling, »ich bin allerdings Bogenschütze von Stande, aber ich habe auch eine Zeitlang in einem Kloster gelebt, und dort haben mich die frommen Väter im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, und ich soll, wie sie mir oft gesagt haben, der schlechteste unter ihren Schülern gerade nicht gewesen sein.« – »Sapperment! das trifft sich ja vorzüglich,« rief der scheinbare Kaufmann, »Du bist ja, bei unsrer Frau von Embrun! das richtige Wunderkind.« – »Ach, laßt doch solchen Spaß beiseite!« erwiderte der Jüngling, der über die Scherze seines neuen Bekannten nicht sonderlich erfreut war, »sagt mir lieber, wo ich mein Wams und mein Beinkleid trocknen kann, denn ich habe keine sonderliche Lust, noch lange pitschnaß hier zu stehen und müßige Antwort auf müßige Frage zu geben.«

Darüber stimmte der Kaufherr ein noch lauteres Lachen an wie bisher ... »Sapperment! das Sprichwort: stolz wie ein Schotte, lügt doch nicht, aber komm nur, junger Freund! Ich halte was auf das Land, aus dem Du stammst; denn ich habe eine Zeitlang auch mit Schottland Geschäfte gehabt. Ein recht braver Menschenschlag, dieses Gebirgsvolk! Komm mit uns ins Dorf hinunter, und wenn's Dir recht ist, so will ich Dir dort ein Glas Branntwein und ein Frühstück geben lassen als Entschädigung für das kalte Wasser, in das Du hast tauchen müssen. Aber, Sapperment! was tut denn der Jagdhandschuh auf Deiner linken Faust? Weißt Du nicht, daß in den königlichen Gehegen alle Jagd verboten ist?« – »Das hab ich schon erfahren von einem hundsföttischen Försterknechte des burgundischen Herzogs,« erwiderte der Jüngling, »ich hab meinen Falken, den ich von Schottland mit herübergebracht, und mit dem ich mir recht große Ehre einzulegen dachte, in der Gegend von Peronne bloß auf einen Reiher steigen lassen, und sans façon blitzt mir dieser freche Wicht meinen schönen Falken mit einem Pfeile weg!« – »Und wie hast Du Dich da verhalten?« erwiderte der Kaufmann. – »Tüchtig durchgewamst hab ich den Kerl,« rief der Jüngling; »und zwar so, daß ihm wohl eine Weile Hören und Sehen vergehen wird ... aber totgeschlagen hab ich ihn nicht, denn sein Blut wollt ich nicht des Galgens wegen auf mein Gewissen laden.« – »Weißt Du auch, daß Dich der Burgunder an die erste beste Haselstaude hätte aufknüpfen lassen, wenn Du ihm in die Hände gefallen wärst?« – »Ja, er soll ja mit solchen Sachen genau so flink sein, wie der König von Frankreich. Aber ich hab den Jägersknecht unweit von Péronne durchgewamst und war flink über die Grenze, als seine Mannen sich sehen ließen, und hab sie von dort aus mitsamt ihrem Herzog weidlich ausgelacht,« – und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »Wäre der Burgunder Herr übrigens nicht gar so flink mit seinen Drohungen gewesen, so hätte es mir wohl beikommen können, mich um einen Dienst bei ihm zu bewerben.« – »Na, vermissen wird er solchen Paladin wie Euch ganz gewiß ungern,« erwiderte der Kaufmann mit einem Seitenblick auf seinen Kameraden, »besonders wenn der Waffenstillstand aufgekündigt werden sollte!« und während dieser wieder sein seltenes Lächeln zeigte, bloß vielleicht noch düsterer als vordem, rückte der junge Schotte die Mütze über sein rechtes Auge wie jemand, dem es nicht recht ist, daß über ihn gespottet wird, und erwiderte mit fester Stimme: »Ich möchte den beiden Herren, besonders aber Euch als dem ältern und mithin auch wohl klügern, ein für allemal sagen, daß es mir nicht eben klug zu sein scheint, auch wohl nicht recht anständig, sich auf meine Kosten einen billigen Spaß zu machen. Mir liegt an solcher Unterhaltungsweise überhaupt nicht viel. Hab ich einen Tadel verdient, so nehme ich ihn gern hin, besonders von einem Manne, der älter ist; auch wohl, wenn er nicht gerade beleidigt, einen Spaß; aber mich als Jungen behandelt zu sehen, das will mir nicht zu Sinne gehen, denn ich fühle mich schließlich doch eben Mannes genug, es mit Euch beiden aufzunehmen, falls es einem oder beiden von Euch belieben sollte, mich herauszufordern.«

Ueber diese Reden des Jünglings lachte der ältere der beiden Männer, daß er fast erstickte, während sein Kamerad mit der Hand nach den Schwerte fuhr. Das bemerkte der Jüngling, und gab ihm ohne Besinnen einen so derben Schlag mit der Faust auf die Hand, daß er sie nicht mehr zu rühren vermochte. Die Heiterkeit des ältern wurde hierdurch nicht wenig erhöht ... »Ruhe gehalten, Herr Schotte!« rief er, sich mit Gewalt das weitere Lachen verhaltend, »um Deines eignen Vaterlandes willen! Und Ihr, Gevatter! die Hand vom Schwerte und kein solch bärbeißiges Gesicht mehr! wir wollen uns in Ruhe zusammen verständigen. Der junge Mensch ist naß geworden, und Ihr habt was auf die Finger bekommen: also seid Ihr zusammen quitt. Euch aber, junger Mensch,« setzte der Kaufmann hinzu mit düster-ernster Miene, »sage ich ein für allemal, laßt's Euch nicht noch einmal einfallen, Euch solche Gewalttätigkeit herauszunehmen. Das ist bei mir nicht am rechten Orte! sagt mir, wer Ihr seid! mein Gevatter hat, wie Ihr seht, mehr als genug von Eurem Schlage.« – »Auf eine höfliche Frage bin ich nie karg mit einer höflichen Antwort,« versetzte der Jüngling, dem der Ernst des andern, wenn auch wider Willen, Achtung abnötigte, »zudem werde ich Eurem Alter die gebührliche Achtung nie vorenthalten, vorausgesetzt daß Ihr meine Geduld durch Euren Spott und Hohn auf keine zu scharfe Probe stellt. Seit ich den Fuß nach Frankreich und Flandern gesetzt habe, nennen mich die Leute den Musje mit der roten Samttasche; wegen des Falkenbeutels, den ich an der Seite trage. In meiner Heimat führe ich aber den Namen Quentin Durward.«

»Durward?« wiederholte der ältere Mann. »Ist das ein Edelmannsname?« – »In unserer Familie lebt er fort im fünfzehnten Grade,« erwiderte der Jüngling, »und ebendarum fühle ich zu keinem andern Berufe Neigung, als zum Waffenhandwerk.« – »Ein echter Schotte! voll Blut und voll Stolz, aber dafür ohne Dukaten im Sack ... na, Gevatter,« wandte er sich zu seinem Begleiter, »geh nur voraus und bestell ein gutes Frühstück für uns, dort beim Maulbeerbusche, hörst Du? Ich denke mir, der junge Mensch wird sich wohl ebenso dran halten, wie die verhungerte Maus ans Käsebrot in der Küche der Hausfrau. Was endlich den Zigeuner anbetrifft ...«

Der Gevatter, wie der ältere Mann mit Vorliebe seinen Kameraden nannte, zeigte wieder sein düsteres Lächeln, entfernte sich aber mit schnellen Schritten. Der andere aber wandte sich wieder an Durward: »Wir wollen miteinander gehen und können unterwegs im Walde, in der Hubertuskapelle, gleich eine Messe mitanhören. An fleischliche Dinge zu denken, ehe man die Seele gestärkt hat, ist nicht eben christlich.«

Hiergegen hatte Quentin Durward als guter Katholik nichts einzuwenden, wenn ihm auch der Wunsch, die nassen Kleider vom Leibe zu bekommen, näher liegen mochte. Den Kameraden mit dem zur Erde gewandten Gesicht hatten sie bald aus den Augen verloren, trotzdem sie den gleichen Weg mit ihm gingen, bis sie den Fuß in einen ziemlich dichten Wald setzten, der von langen Alleen durchschnitten wurde, über die man hüben und drüben das Wild so ruhig hinziehen sah, als ob es sich hier unter ganz besonderem Schutze wüßte. – »Ihr fragtet, ob ich guter Bogenschütze sei?« nahm der junge Schotte das Wort; »nun, so gebt mir doch einen Bogen und ein paar Pfeile, und Ihr sollt im Handumdrehen ein Stück Wildbret haben.« – »Sapperlot, junger Mensch!« erwiderte der Kaufmann, »da nehmt Euch doch ein bißchen in acht – aufs Wild hat mein Gevatter ein ganz besonderes Augenmerk, und läßt in dieser Hinsicht mit sich nicht spaßen.« – »Der sieht doch weit mehr aus wie ein Fleischer als wie ein Weidmann!« rief Durward, »ich kann mir wahrhaftig nicht denken, daß solch ein hündischer Kriecher wie der, einen guten Jäger abgeben könnte?« – »Laßt nur gut sein, junger Mensch,« entgegnete sein Begleiter, »mein Gevatter sieht freilich auf den ersten Blick nichts weniger als einladend aus, aber ich habe noch von keinem, der mit ihm umgeht, über ihn klagen hören.«

In dem Tone, mit welchem das gesagt wurde, fand Quentin Durward etwas so Abstoßendes, daß er nicht umhin konnte, den Kaufmann schärfer zu beobachten, und da kam es ihm vor, als ob er in dem halben Lächeln, das dessen Lippen umspielte, wie auch in dem kecken Blicke von dessen schwarzen Augen einen gewissen Ausdruck gewahrte, der seine nicht eben angenehme Verwunderung zu begründen schien. Es ist mir, dachte er bei sich, manches über Räuber und Wegelagerer zu Ohren gekommen, die sich auf allerlei Weise an allein unterwegs befindliche Wanderer heranwagen; wie, wenn der Mensch dort ein Mörder, der alte Schurke hier aber sein Helfershelfer wäre? Ich will doch lieber auf meiner Hut sein. Mehr als eine tüchtige Tracht schottischer Senge sollen sie, so wahr mir Gott helfe, nicht vorfinden!

Während dieses Selbstgesprächs gelangte er unter dem Geleit seines Führers an eine Stelle, wo die großen Bäume weiter auseinander standen, und wo der Boden unter ihnen, von Unterholz und Gebüsch befreit, einen Rasenteppich vom sanftesten Grün zeigte, das vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt hier besser fortzukommen schien als irgendwo anders in Frankreich. Die Bäume, die hier standen, waren meist Buchen und Ulmen, aber von solcher Größe, daß sie Baumhügeln glichen, die in die Luft emporstiegen. In ihrer Mitte, an der offensten Stelle der Lichtung stand eine kleine Kapelle und unfern von ihr floß ein Bächlein geräuschlos entlang, nebst einer Hütte, in welcher der einsame Priester, der hier den Gottesdienst versah, hauste. Ueber dem gewölbten Portale der Kapelle stand ein steinernes Bild des heiligen Hubertus, mit einem Jagdhorn um den Hals und zu Füßen eine Koppel Hunde.

Hierher lenkte Durwards Führer seine Schritte, und kaum waren sie auf die Lichtung hinausgetreten, als auch schon der Einsiedler in seiner Kutte aus seiner Hütte trat, um sich in die Kapelle zu begeben. Durward verneigte sich tief vor dem frommen Manne, wie es die gute Sitte erheischte, während sein Begleiter, dem Anschein nach von noch tieferer Frömmigkeit erfüllt, sich auf ein Knie niederließ, den Segen des frommen Mannes zu empfangen, und ihm dann demütigen Schrittes und in einer Haltung, die auf tiefe Zerknirschung hinwies, in das Gotteshaus folgte.

Das Innere desselben war dem Heiligen, der hier verehrt wurde, auf das engste angepaßt, denn es entsprach durchaus seinem Berufe, da er noch auf Erden wandelte. An Stelle von Teppichen und Vorhängen sah man nur Felle von Jagdtieren, und überall an den Wänden waren Verzierungen angebracht von Hörnern, Bogen, Köchern und andern Jagdsymbolen und Jagdgerätschaften; und selbst die Messe zeigte durch ihre abgekürzte Form, daß es eine sogenannte »Jagdmesse« war, wie sie vor Edlen und Mächtigen gehalten zu werden pflegte, die ja in der Regel, wenn sie sich in eine Kirche zum Gottesdienste begeben, ihrem Sport mit Ungeduld entgegensehen. Durwards Begleiter schien jedoch während der kurzen feierlichen Handlung die gespannteste Aufmerksamkeit zu entfalten; und der schottische Jüngling sah zu seinem lebhaften Bedauern ein, daß er dem alten Herrn das bitterste Unrecht angetan habe, als er sich von seinem Charakter solche ungeheuerliche Vorstellung gemacht hatte, wie, daß er ein Räuber und Wegelagerer sein oder wenigstens zu solchem Gesindel halten könne. Jetzt fiel es ihm im Gegenteil schwer, ihn nicht für einen Heiligen zu halten.

Sobald der Gottesdienst zu Ende war, verließ der alte Herr mit dem Jünglinge die Kapelle. »Es ist nicht mehr weit bis zum Dorfe,« sagte der erstere, »Ihr könnt nun Euer Fasten mit Ruhe brechen, ohne eine Sünde befürchten zu müssen. Folgt mir also!« Er wandte sich nach diesen Worten rechts und schritt einen Pfad entlang, der langsam zu steigen schien; als er ein Stück weit gegangen war, riet er seinem Begleiter, sich ja scharf in der Mitte zu halten, und als Durward fragte, warum denn das notwendig sei, gab er die Antwort: »Hm, Ihr seid nun in der Nähe des Hofes, und es ist doch eine andre Sache, ob Ihr auf königlichem Boden oder in Euren Bergwildnissen wandelt. Den Weg ausgenommen, auf dem Ihr Euch jetzt befindet, ist jeder Zoll hier ungangbar gemacht durch Schlingen und Fußangeln; sie stehen mit Sicheln im engsten Kontakt, die dem unvorsichtigen Wanderer die Beine so glatt wegsäbeln, wie eine Gartenschere die Schößlinge von den Bäumen wegputzt. Es liegen auch Eisen hier verstreut, die einem jeden, der sie berührt, die Füße durch und durch stechen; auch in Gruben könnt Ihr geraten, die tief genug sind, Euch für alle Ewigkeit zu begraben. Wie gesagt, es wird gut sein, Ihr haltet Euch dicht neben mir, denn wir wandeln jetzt auf königlicher Domäne, und werden nun bald auch die Vorderseite des Schlosses sehen,« – »Wäre ich der König von Frankreich,« erwiderte der junge Mann, »so gäbe ich mir solche Mühe mit Fußangeln und dergleichen schon lange nicht, sondern versuchte statt dessen lieber, ein so gütiges Regiment zu üben, daß keiner meiner Untertanen Ursache hätte, mir anders als in freundlicher Absicht zu nahen; und was solche Leute anbetrifft, die sich meiner Domäne ohne Fehl und Arg näherten, nun, dann sollte es mir bloß lieb sein, wenn ihrer recht viele kommen wollten.« – »Pst, Pst!« machte sein Begleiter, indem er ihn mit unruhigen Blicken musterte, »Ihr seid ein bißchen vorlaut, Patron mit der Samttasche! ich hätt Euch schon längst sagen sollen, daß hier alle Blätter sozusagen Ohren haben. Es empfiehlt sich also, die Zunge zu wahren, denn hier kommt jeder Laut im Nu zu den Ohren des Königs.« – »Was frage ich danach?« erwiderte Durward, »in meinem Halse hängt eine schottische Zunge, die sich nicht sträuben wird, dem Könige Ludwig, den übrigens Gott segnen möge! alles ins Gesicht zu sagen, was ich denke. Was aber die Ohren angeht, die, wie Ihr sagtet, hier alle Blätter haben, nun, so laßt's Euch gesagt sein, daß ich sie an einem menschlichen Kopfe schwerlich sehen könnte, ohne daß die Lust mich überkäme, sie auf der Stelle mit meinem Weidmesser abzusäbeln.«

Drittes Kapitel

Von dem Saume des Waldes, an welchem Durward mit seinem seltsamen Begleiter stehen geblieben war, um sich das königliche Schloß Plessis-les-Tours anzusehen, zog sich eine offne Esplanade, die, von einer völlig verwitterten, aber mächtig hohen Eiche abgesehen, die in ihrer Mitte stand, frei von Bäumen und Strauchwerk war, um die Festungswerke herum, hinter denen sich das eigentliche Schloß erhob. Drei Außenwälle, einer immer höher als der andre, in allen Ecken mit Türmen und Basteien gesichert, zogen sich um die Baulichkeiten desselben. Vor ihnen lag ein dreifacher Graben von annähernd zwanzig Fuß Tiefe, der durch einen Kanal aus dem Flusse Cher oder vielmehr von einem Arme desselben gespeist wurde, und dessen innerer Rand mit starken Pallisaden besetzt war, die die Stelle der »spanischen Reiter« der neuern Befestigungskunst vertraten. Diese Pallisaden waren scharf gespitzt, so daß es ein sehr schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Stück Arbeit gewesen wäre, über sie hinweg zu steigen.

Hinter der innersten Wallmauer erhob sich das Schloß selbst mit seinen aus verschiedenen Zeitaltern stammenden Bauten, die im engen Zusammenhange standen mit dem alten, schauerlichen Kerkerbau, dem ältesten von allen, der sich wie ein schwarzer Riese in die Luft hinaufreckte, aller Fenster entbehrend und nur mit einer Reihe unregelmäßiger Schießscharten versehen, die unwillkürlich den Eindruck weckten, als ob man einem Blinden gegenüberstände. Die andern Gebäude schienen ebenso jeglicher Annehmlichkeit zu entbehren, wenigstens zeigten auch sie an ihrer Vorderfront keine Spur eines Fensters, und waren auch in dieser Hinsicht Bestandteilen eines Kerkers weit ähnlicher als eines königlichen Palastes.

Zu diesem unfreundlichen Schlosse konnte man bloß durch ein einziges Tor gelangen, das sich, wie Durward bemerkte, in der Mitte der ersten äußern Ringmauer befand, zwischen zwei hohen, dicken Türmen, den gewöhnlichen Bollwerken von Schloßportalen der damaligen und wohl auch späterer Zeiten. Dort war auch das Fallgitter und die Zugbrücke zu bemerken; ersteres niedergelassen, letzteres aufgezogen. Wer ins Schloß hinein gelangen wollte, mußte etwa 30 Ellen lang zwischen dem ersten und zweiten Walle entlang gehen; kam er als Feind, so war er den Wurfgeschossen von beiden Wällen ausgesetzt; hatte er die zweite Ringmauer passiert, so mußte er neuerdings die gerade Linie verlassen, um zu dem Portale der dritten und innersten Ringmauer zu gelangen; so daß er, bevor er den äußeren Hof, der sich längs der Vorderseite des Schlosses hinzog, erreichte, durch zwei enge, gefahrvolle Hohlwege hindurch mußte, die von Kanonen bestrichen wurden, und obendrein noch drei für die damalige Zeit außerordentlich starke Türme stürmen mußte. Durwards Staunen über alles, was sich seinen Blicken hier bot, wurde noch vermehrt durch die beispiellose Menge von Schlingen, Fußangeln und Fallgruben, auf die ihn sein Begleiter auch hier aufmerksam machte, und die dem Unglücklichen, der sich ohne Führer hierher wagte, mit Verderben drohten, wie ferner durch eine Reihe von Ausguckkäfigen auf dem Simse der Mauern, bekannt unter der Bezeichnung »Schwalbennester«, die von Schildwachen bei Tag und Nacht besetzt waren, so daß niemand ungesehen in das Schloß eindringen konnte, der nicht im Besitze der Tagesparole war, sofern er nicht Gefahr laufen wollte, von der ersten Schildwache, an der er vorbeikam, aus solchem Käfige niedergeschossen zu werden. Diese Schildwachen rekrutierten sich ohne alle Ausnahme aus den schottischen Bogenschützen der königlichen Leibwache, und erhielten für ihren angestrengten Dienst im Schlosse nicht bloß reichlichen Sold und kostbare Uniform, sondern genossen auch sonst besondere Vorteile und Ehren.

»Na, junger Mensch,« wandte sich der ältere Mann an den Jüngling, »nun sagt mir doch: habt Ihr je eine Burg gesehen, die so fest wäre wie diese hier? und glaubt Ihr, daß es Männer auf Gottes Erdboden gibt, die es auf sich nehmen möchten, sie zu stürmen?« – »Es ist ja ein ungemein festes Schloß,« erwiderte Durward, nachdem er die Bauten nochmals mit scharfen Blicken gemustert hatte, »und bewacht scheint es ja auch sehr scharf zu werden; indessen,« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »dem Tapfern ist kein Ding unmöglich.« – »Gäbe es in Eurem Vaterlande, Jüngling, Leute, die sich zu solcher Unternehmung bereit finden ließen?« fragte der ältere Mann wieder, mit unverkennbarer Verachtung im Tone. – »Behaupten kann ich's nicht,« erwiderte der Jüngling, »aber in meiner Heimat fehlt's nicht an tausenden, die eine kühne Tat nicht scheuen, wenn's eine gute Sache gilt.« – »So so?« meinte der andere; »und zu der Sorte gehört Ihr wohl auch?« – »Wollte ich prahlen, wenn keine Gefahr vorhanden ist, möchte ich mich einer Sünde schuldig machen,« versetzte Durward, »aber mein Vater hat manche Tat vollbracht, zu der kein geringerer Grad von Verwegenheit gehörte; und ein Bastard bin ich meines Wissens nicht.« – »Hm,« meinte der andre wieder, »bei solchem Versuche würdet Ihr Euer Stück Arbeit und auch ein gut Teil von Landsleuten, vielleicht sogar Verwandte, finden; denn unter König Ludwigs Leibwache stehen dreihundert schottische Bogenschützen, und darunter sind Adelinge vom besten Blute Schottlands.« – »Und wenn ich König Ludwig wäre,« rief der Jüngling, »so vertraute ich mich diesen Söhnen Schottlands an, ließe Burg und Wälle niederreißen, die sumpfigen Gräben ausfüllen und versammelte meine Pairs und Paladine um mich zu prächtigen Turnieren und festlichen Mahlen, ohne mich von Feinden mehr beirren zu lassen, als vom Gesumme einer Fliege.«

Der Begleiter des Jünglings lächelte wieder in seiner absonderlichen Weise, wandte hierauf dem Schlosse, dem sie bereits ziemlich nahe gekommen waren, wieder den Rücken und begab sich wieder in den Wald, wählte aber jetzt einen breitern und augenscheinlich auch betreteneren Pfad, als auf dem sie zum Schlosse gelangt waren. »Auf diesem Wege gelangen wir ins Dorf hinein, Plessis, wie man es in der Gegend nennt. Dort werdet Ihr gute und anständige Bewirtung finden. Etwa zwei Meilen von hier liegt die Stadt Tours, nach welcher die schöne, reiche Landschaft den Namen führt. Aber im Dorfe findet Ihr Unterkommen ebensogut, nur erheblich billiger.« – »Ich danke Euch bestens für gütige Auskunft,« sagte der Jüngling, »aber meines Bleibens hier wird nicht lange sein. Außer einem Bissen Fleisch und einem Trunk, der um ein weniges besser ist als Wasser, stelle ich an das von Euch empfohlene Dorf keine Ansprüche.« – »Ich war der Meinung,« wandte der andere ein, »Ihr hattet vor, einem Bekannten hier guten Tag zu sagen?« – »Das wohl,« antwortete Durward, »einem Bruder meiner Mutter, einem gar stattlichen Mann, wie nur selten einer den Fuß auf die Heide von Angus gesetzt hat.« – »Wie heißt er denn?« fragte der andere; »wir können ja Nachfrage nach ihm halten, denn Euch möchte ich es nicht eben raten, ohne weiteres den Fuß nach dem Schlosse zu setzen: man könnte Euch nämlich dort leicht für einen Spion halten,« – »Bei meines Vaters Hand!« rief der Jüngling, »mich für einen Spion? wer mir solchen Schimpf antäte, sollte flugs Bekanntschaft mit meinem kalten Eisen machen! Mein Oheim heißt, da Ihr danach fragt, Lesley. Und des Namens braucht sich, wie ich wohl sagen kann, kein Schotte zu schämen.« – »Darein setze ich ja keinen Zweifel,« erwiderte der andere, »aber unter der schottischen Garde stecken meines Wissens drei des Namens Lesley?« – »Mein Oheim heißt Ludwig,« antwortete Durward. – »Von den drei Lesleys bei der Garde,« erwiderte der andere, »führen zwei den Vornamen Ludwig.« – »Mein Oheim heißt wohl auch Ludwig, der Genarbte,« versetzte Durward, »die Familiennamen sind bei uns so allgemein, daß wir den einzelnen durch einen Zunamen zu kennzeichnen pflegen, sofern er sich nicht durch seinen Besitz an sich schon unterscheidet.« – »Oho, den kenn ich gut,« sagte der andere, »es ist ein braver und tapferer Mann, auch ein tüchtiger Soldat. Hoffentlich kann ich Euch dazu helfen, mit ihm in einen Diskurs zu kommen; schaden möcht's Euch nicht, das kann ich wohl sagen, wenn Ihr ihn anhörtet, denn er gehört zu jenen Edelleuten, die streng auf den Dienst halten und nicht oft den Fuß aus der Garnison setzen, außer die Pflicht ruft ihn zum Könige. Aber nun gebt mir, bitte, noch auf eine Frage Antwort, junger Mann. Ich möchte darauf wetten, daß es Euch drum ginge, an Eures Oheims Seite Dienst in der königlichen Garde zu nehmen. Wenn Ihr hiernach strebt, so habt Ihr, wie ich wohl sagen darf, Großes im Sinne.« – »Daran gedacht habe ich wohl einmal,« bemerkte Durward gleichgültig, »aber das war ein Traum, der lange vorbei ist.« – »Wieso ein Traum?« fragte der andre strengeren Tones als bisher, »erscheint Euch ein Dienst, den die besten Eures Landes für eine Ehre halten möchten, als solche Lappalie, daß Ihr Euch bloß im Traume damit befaßt?« – »Aufrichtig gesprochen: der Dienst beim Könige von Frankreich wäre mir schon recht; aber was schert mich seine Uniform und guter Sold, wenn ich mich in solchen finstern Kasten oder gar in solches Schwalbennest einsperren lassen soll? da lobe ich mir die frische, freie Gottesluft! Zudem,« setzte er leiser hinzu, »ist mir ein Schloß, wo die Bäume dergleichen Eicheln tragen, wie man sie dort sieht, nicht sonderlich angenehm.« – »Ich kann mir denken, was Ihr meint; aber es wäre schon besser, wenn Ihr Euch ein bißchen deutlicher aussprächet.« »Nun, wenn Ihr's denn durchaus deutlich hören wollt,« sagte Durward, »so danke ich schön für Eichen, an denen Menschen in grauen Wämsern baumeln von der Art, wie ich eins auf dem Leibe habe.« – »So so!« rief der andere, »nun, das muß ich sagen: es geht doch nichts über ein Paar gute, scharfe Augen! Ich habe wohl auch was dort hin und her schaukeln sehen, hab aber gedacht, es sei ein Rabe, der sich auf einem Zweig niedergelassen hat. So etwas gehört aber keineswegs hier zu den Raritäten. Wenn der Herbst herankommt, so könnt Ihr dort oft ein halbes Dutzend oder mehr vom selben Schlage hängen sehen ... Was stört Euch denn dabei? es sind doch bloß Fahnen, die die Galgenvögel verscheuchen sollen; und wer solchen Kerl dort baumeln sieht, der sagt doch eben höchstens, daß es einen Halunken weniger gibt, und daß das Volk im Lande wieder ein bißchen freier aufatmen kann. Solche Rechtspflege liebt nun einmal unser König.« – »Ich an seiner Statt hätte sie aber lieber ein bißchen weiter von meinem Schlosse,« sagte der Jüngling; »bei uns in Schottland werden tote Raben dort aufgehängt, wo lebendige nisten, nicht aber in unsern Gärten oder Taubenhäusern. Pfui Teufel! der Verwesungsgestank dringt ja schon bis hierher!« – »Seid Ihr ein redlicher Diener Eures Fürsten, junger Bursche,« sagte der Mann, »dann werdet Ihr wohl kaum einen Geruch für angenehmer halten als den, der von dem Aase eines toten Verräters herüberzieht.« – »Aber darüber den Geruch und das Gesicht einzubüßen, könnte mir doch eben auch nicht passen,« antwortete der Schotte. »Zeigt mir einen Verräter lebendig, und ich will ihn greifen mit meinem Arme, und niederschlagen mit meiner Waffe; aber wessen Leben dahin ist, gegen den sollte es auch keinen Haß mehr geben ... Doch wenn ich nicht irre, so sehen wir bereits drüben das Dorf. Dort sollt Ihr sehen, daß mir weder Nässe noch Gestank den Appetit heute verderben kann. Drum so schnell wie möglich in den Gasthof! Bevor ich aber von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch mache, wollt Ihr mir, bitte, sagen, wer Ihr seid, und wie ich Euch anzureden habe.«

»Gemeinhin heiße ich Meister Peter,« gab der andere zur Antwort, »von Titeln bin ich kein Freund. Mit dergleichen lasse ich mir nicht gern kommen. Ich bin ein freier Mann und lebe von dem, was ich habe und mir verdiene. Das ist mein Titel.« – »Dagegen läßt sich nichts sagen, Meister Peter,« versetzte der Schotte, »und ich danke es dem günstigen Zufall, der mich hierher geführt hat, daß er mich mit Euch zusammengebracht hat. Für einen guten Rat, der mir immer recht ist, und auch not tut, werdet Ihr mich zu aller Zeit dankbar finden.«

Unterdessen war der Kirchturm in Sicht gekommen, und bald waren sie auch in der Nähe des Dorfeinganges; aber Meister Peter, von dem Wege, der auf die offene Heerstraße führte, ein wenig abbiegend, meinte jetzt, der Gasthof, wohin der Schotte gehen wolle, sei ein wenig abgelegen und nehme auch nur bessere Reisende auf ... »Meint Ihr damit solche, die mit einer gutgespickten Börse reisen,« versetzte der Schotte, »dann gehöre ich nicht dazu, sondern will's lieber versuchen mit jenen andern, die, statt in Gasthöfen, auf offener Heerstraße plündern.« – »Mohrenelement! das muß man sagen,« rief der andere, »Ihr Schotten seid vorsichtiges Volk! Der Engländer rennt ins erste beste Gasthaus hinein und macht eine Zeche, wie es ihm gerade paßt, ohne früher an die Rechnung zu denken, als bis ihm der Magen voll ist. Ihr vergeßt aber, Meister Quentin, und Ouentin ist doch wohl Euer Name wie? daß ich Euch ein Frühstück schuldig bin für das Bad im Bache, das Ihr durch meinen Irrtum habt nehmen müssen. Diese Buße muß ich schon auf mich nehmen für die Euch zugefügte Kränkung.« – »Ach, ich denke an das bißchen Wasser und an den Verdruß, den ich von Euch erlitten, schon lange nicht mehr,« antwortete Quentin, »meine Sachen hab ich mir ja schon wieder trocken gelaufen; da aber meine Mahlzeit heut ein bißchen karg war, will ich Euer Anerbieten nicht von der Hand weisen. Wenn ich mich nicht irre, so seid Ihr ein schlichter, ehrsamer Bürger, und ich sehe nicht ein, warum ich Euch ein Abendessen abschlagen sollte.«

Inzwischen waren sie einen schmalen Abhang, von großen Ulmen umschattet, hinabgestiegen, an dessen Ende sie durch einen Torweg in den Hofraum eines Gasthauses von ungewöhnlicher Größe gelangten. Es hatte ganz das Aussehen, als ob es Edelleuten mit ihrem Gefolge als Herberge diene, die in dem benachbarten Schlosse zu tun hatten, wo Ludwig XI. nur selten, und bloß in Fällen, wo es sich gar nicht umgehen ließ, seinen Hofleuten Gemächer einräumte. Ein Schild mit der Lilie hing über dem Haupttor; allein man bemerkte weder auf dem Hofe noch in den Zimmern Anzeichen lebhaften Verkehrs.

Meister Peter öffnete, ohne jemand zu rufen, eine Seitentür und trat mit seinem Begleiter in ein großes Gemach, wo ein Bündel Reisig auf dem Herd brannte und alle Anstalten zu einem kräftigen Frühstück getroffen waren. »Mein Gevatter ist schon dagewesen,« sagte der Franzose zu dem Schotten; »Ihr müßt frieren, und da habe ich ein Feuer bestellt; Ihr müßt hungern, und da sollt Ihr ein gutes Frühstück haben.« Er pfiff, und der Wirt trat sogleich herein, beantwortete den Gruß des andern mit einer Verbeugung, zeigte aber in keiner Hinsicht die Geschwätzigkeit, die französischen Gastwirten zu allen Zeiten eigen gewesen ist. »Ich dachte, ein Herr hätte hier ein Frühstück bestellt,« sagte Meister Peter; »ist das nicht der Fall?«

Statt zu antworten, verbeugte sich der Wirt und trug ein gutes Mahl auf, sagte aber zum Lobe desselben, trotzdem er alle Ursache dazu gehabt hätte, nicht ein einziges Wort.

Viertes Kapitel

Das Frühstück des jungen Schotten bestand aus einer Perigord-Pastete, über der ein Gastronom Verwandte, Vaterland und alle gesellschaftlichen Bande hätte vergessen können; aus einem höchst schmackhaften Ragout mit recht viel Knoblauch, den die Gascogner lieben und die Schotten nicht hassen; aus einem köstlichen Schinken mit feinstem Weißbrot in kleinen, runden Laiben, dessen Rinde so einladend war, daß es, selbst in Wasser getaucht, ein Leckerbissen gewesen wäre, und einem Quart der herrlichsten Burgundermarke. Durward, der in den letzten Tagen außer halbreifem Obst und einer mäßigen Portion Gerstenbrot nichts genossen hatte, fiel über das Ragout her, und die Schüssel war auf der Stelle leer; hierauf griff er die mächtige Pastete an, fiel über den Schinken her und würzte dies Mahl gelegentlich durch einen Becher Wein, kehrte aber zum Erstaunen des Wirtes und zur Belustigung des Meisters Peter immer wieder zu der Schüssel zurück, bis er sie vollständig leer gekratzt hatte.

Der Letztgenannte schien, wahrscheinlich weil er fand, daß er eine menschenfreundlichere Handlung verübt hatte, als es in seiner Absicht gelegen, sich über die Eßlust des jungen Schotten recht zu ergötzen, und als er endlich merkte, daß derselbe satt zu werden anfing, versuchte er ihn mit Konfekt und allerhand Naschwerk zur Fortsetzung seiner Mahlzeit zu reizen. Unterdes zeigte sich auf dem Gesicht des Meisters Peter eine gewisse gute Laune, die fast bis zum Wohlwollen stieg, und mit seinem gewöhnlichen scharfen, beißenden und strengen Charakter einen lebhaften Kontrast bildete.

Quentin Durward wurde es mit der Zeit sonderbar, allein essen zu sollen, und er machte Meister Peter Vorwürfe, daß er ihn über seinen starken Appetit auslache, selbst aber nichts genösse. – »Ich muß fasten!« sagte Meister Peter, »und kann vormittags nichts genießen als etwas Backwerk und ein Glas Wasser! Laßt mir's doch durch Eure Frau herbringen!« setzte er hinzu, sich zu dem Wirt wendend. Während dieser das Zimmer verließ, fuhr Meister Peter fort: »Nun, hab ich Wort gehalten betreffs des Frühstücks?« – »Ich habe keine bessere Mahlzeit genossen, seit ich Schottland den Rücken gewandt,« versetzte der Jüngling.

»Jenun, die königlichen Bogenschützen können sich solch Frühstück immer leisten,« sagte Meister Peter; »warum wollt Ihr denn nicht hier in Dienste treten, junger Mann? Euer Oheim könnte Euch schon einschieben, sobald eine Stelle vakant würde. Hört mal! Ich habe selbst eine Art Interesse bei der Sache, und kann Euch behilflich sein. Ihr könnt doch ebensogut reiten, wie den Bogen spannen, wie?«

»Unser Stamm zählt gewiß so gute Reiter wie je einer einen eisernen Schuh in einen stählernen Steigbügel gesetzt haben mag, und ich weiß nicht – am Ende möchte ich Euer freundliches Anerbieten annehmen. Aber seht nur! Nahrung und Sold sind zwar nötige Dinge; allein in meinem Falle denkt man auch an Ehre, Beförderung und tapfere Kriegstaten. Euer König Ludwig aber – Gott segne ihn! denn er ist ja Schottlands Freund und Bundesgenosse, – nun, der liegt hier in seinem Schlosse und gewinnt Städte und Provinzen durch politische Gesandtschaften, statt sie in offnem Kampfe zu erobern. Ich halt's schon lieber mit den Douglas, die stets im Felde stehen, weil sie lieber eine Lerche singen, als eine Maus quieken hören.« – »Junger Mann,« sagte Meister Peter, »urteilt nicht voreilig über die Handlung der Fürsten. Ludwig sucht das Blut seiner Untertanen zu schonen, und sorgt nicht um das eigene. Zu Montl'hery hat er sich als mutiger Mann gezeigt.« – »Nun ja,« versetzte der Jüngling, »allein das ist schon ein Dutzend Jahre her, wenn nicht länger; ich möchte lieber einem Herrn dienen, der seine Ehre immer so rein und glänzend erhält wie seinen Schild und in dem Schlachtgewühl sein Glück versucht.«

»Warum habt Ihr denn da nicht einen Versuch gemacht, in Brüssel bei dem Herzog von Burgund anzukommen? Der hätte Euch schon Gelegenheit gegeben, jeden Tag den Hals zu brechen, und Ihr hättet Euch sicher nicht umsonst bemüht, wenn er gehört hätte, daß Ihr seinen Förster durchgewamst habt.«

»Wohl wahr!« sagte Quentin; »mein unglückliches Geschick hat mir diese Tür verschlossen.« – »Je nun, Wagehälse, bei denen die Jugend den Hals brechen kann, gibt's da draußen noch in Menge,« erwiderte sein Ratgeber. »Was denkt Ihr zum Beispiel von Wilhelm von der Mark?« – »Was sagt Ihr?« entgegnete Durward; »dem mit dem Barte sollt ich dienen? Dem wilden Eber der Ardennen? Einem Räuberhauptmann und Anführer von Mördern, der einem das Leben nimmt um eines großen Kittels wegen, und Priester und Pilgrime erschlägt, als wären's Lanzenknechte und Reisige? Das wär ein ewiger Schandfleck auf dem Schilde meines Vaters.« – »Wohlan, junger Hitzkopf,« sagte Meister Peter, »warum folgt Ihr dann nicht dem jungen Herzog von Geldern?« – »Eher wollt ich dem bösen Feinde folgen!« erwiderte Quentin. »Im Vertrauen gesagt, er ist eine zu schwere Bürde für die Erde; die Hölle verschlingt ihn gewiß. Wie man sagt, hält er seinen eigenen Vater gefangen und hat ihn sogar geschlagen. – Könnt Ihr Euch so was denken?«

»Nach der Art, wie Ihr den Charakter der Fürsten und Häuptlinge wägt,« entgegnete Meister Peter, der über den Abscheu des Jünglings, mit dem er von kindlichem Undank sprach, ein wenig erregt zu sein schien, »wär's besser für Euch, wenn Ihr selbst ein Feldherr geworden wäret; denn wo soll ein so weiser Jungbursch einen Anführer finden, der sich zum Befehlshaber für ihn schickte?« – »Ihr lacht mich aus, Meister Peter,« sagte der Jüngling heiter, »und könnt recht haben; allein Ihr habt einen Mann nicht genannt, der ein wackrer Anführer ist, und eine tapfere Truppe hier zusammenhält, unter dem schon jemand Dienste suchen könnte.« – »Ich kann nicht erraten, wen Ihr meint.«

»Wen denn anders, als den, der zwischen den beiden Magneten hängt? den man weder Franzosen noch Burgunder nennen kann, der aber die Wage zwischen beiden zu halten weiß; vor dem sich beide fürchten, und ihm zugleich dienen, so große Fürsten sie auch immer sind.« – »Ich kann nicht darauf fallen, wen Ihr meint,« sagte Peter, nachsinnend. – »Wen sollt ich meinen, als den edlen Ludwig von Luxemburg, den Grafen von St.-Paul und Großconnetable von Frankreich? Der behauptet seinen Platz mit seinem kleinen, tapferen Heere und trägt das Haupt so hoch, wie König Ludwig oder Herzog Karl, und schwebt doch zwischen beiden, wie der Knabe, der in der Mitte eines Brettes steht, während zwei andere sich an den beiden Enden auf- und abschwingen.« – »Er läuft aber Gefahr, am schlimmsten von allen dreien zu fallen,« sagte Meister Peter. »Im Vertrauen gesagt, junger Freund, wißt Ihr denn, daß Euer Graf von St.-Paul der erste war, der das Beispiel gab, das Land in Kriegszeiten zu verheeren?«

Da ging die Tür auf, und ein Mädchen, eher über als unter fünfzehn Jahren, trat herein, mit einem Präsentierteller, auf dem eine kleine Schale stand mit getrockneten Pflaumen, die der Stadt Tours seit je zu gutem Ruf verholfen haben. Allein der Anblick des Mädchens, das sie trug, fesselte Durwards Aufmerksamkeit in weit höherem Grade, denn ihr junges und liebenswürdiges Gesicht war ernster, als es sonst der Schönheit der Jugend eigen zu sein pflegt, und er zog mit der romantischen Einbildungskraft der Jugend sehr rasch den Schluß, daß über ihrem Schicksal ein romantischer Schleier liegen möchte. »Nun, Jacqueline,« sagte Meister Peter, als das Mädchen ins Zimmer trat, »was ist denn das? Ich wünschte doch, daß Frau Perette mich bedienen sollte. Dünkt sie sich etwa zu gut dazu?« – »Meine Mutter ist nicht wohl,« versetzte Jacqueline eilig, doch demütig; »sie muß das Zimmer hüten.« – »Hoffentlich allein!« sagte Meister Peter mit einem Nachdrucke; »ich gehöre nicht zu denen, die erdichtete Krankheiten als Entschuldigung gelten lassen.«

Jacqueline wurde bleich und zitterte bei Meister Peters Antwort, dessen Stimme und Blick, stets rauh, stechend und unfreundlich, in Fällen, wo er Zorn oder Verdacht ausdrückte, eine sehr düstere Färbung annahmen. Quentin Durward aber eilte Jacqueline entgegen, um ihr die Last, die sie trug, abzunehmen. Sie ließ sie ihm auch willig, aber beobachtete mit schüchternem, ängstlichem Blick das Gesicht des zornigen Bürgers. Es war unmöglich, dem durchdringenden, um Mitleid flehenden Ausdruck ihrer Blicke zu widerstehen, und Meister Peter fuhr nun, nicht bloß mit vermindertem Groll, sondern mit Artigkeit fort: »Ich tadle Dich nicht, Jacqueline, denn Du bist zu jung, um das schon zu sein, was Du einst – ich denke nur mit Schmerz daran – werden mußt, ein falsches, verräterisches Wesen, wie alle Deines wankelmütigen Geschlechts. Niemand erreicht das eigentliche Mannesalter, ohne daß sich ihm Gelegenheit geboten hätte, Euch alle kennen zu lernen. Hier ist ein schottischer Kavalier, der wird Dir dasselbe sagen.«

Jacqueline blickte augenblicklich den jungen Fremden an, so, als wollte sie nur Meister Peter gehorchen; allein so flüchtig der Blick auch war, so schien es Durward doch, als ob darin eine Aufforderung zu Unterstützung und Teilnahme liege, und mit der Schnelligkeit, die sein jugendliches Gefühl ihm eingab, sowie mit der durch seine Erziehung ihm eingeflößten romantischen Verehrung des weiblichen Geschlechts antwortete er: er wolle sogleich seinen Handschuh jedem hinwerfen, der zu behaupten wage, dies Wesen, dem er jetzt ins Auge schaue, sei nicht von den reinsten und aufrichtigsten Gesinnungen beseelt.

Das junge Mädchen wurde totenbleich und warf einen mißtrauischen Blick auf Meister Peter, der über die Prahlerei des galanten Jünglings nur verächtlich lächelte.

»Ihr seid ein törichter Mensch,« sagte er zu dem Schotten, »und versteht Euch ebensowenig auf die Weiber, als auf die Fürsten, deren Herzen« – hier schlug er andächtig ein Kreuz – »Gott in seiner rechten Hand hält.« – »Und wer hält denn die Herzen der Weiber?« fragte Quentin, entschlossen, sich von dem Uebergewichte dieses seltsamen alten Mannes nicht weiter in die Enge treiben zu lassen. – »Da müßt Ihr schon in einem andern Quartier vorfragen,« sagte Meister Peter mit Ruhe.

Quentin war abermals abgetrumpft, jedoch nicht völlig aus der Fassung gebracht. Während er aber noch bei sich dachte, daß er dem alten Manne zu viel Ehre wegen des Frühstücks antue, und daß er doch ein schottischer Edelmann mit Stammbaum und Wappenrock bleibe diesem Handwerker von Tours gegenüber, streichelte dieser Jacquelinens lange Haarflechte und sagte mit Lächeln: »Der junge Mann da wird mich bedienen, Jacqueline; Du kannst wieder gehen. Ich werde es Deiner nachlässigen Mutter sagen, daß sie sehr übel daran tut, Dich so unnötigerweise jungen Gaffern auszusetzen.« – »Ich wollte Euch ja nur aufwarten,« sagte das Mädchen, »und hoffentlich werdet Ihr deshalb nicht böse sein auf Eure Verwandte, denn« –

»Mohrenelement!« rief der Kaufmann, indem er ihr, obgleich nicht mit Rauheit, ins Wort fiel, »Du willst Dich doch nicht in einen Wortkampf mit mir einlassen, oder bleibst Du am Ende, um den jungen Mann recht zu betrachten? Geh nur! Es ist ein Edelmann und seine Bedienung ist hinreichend für mich.«

Jacqueline verschwand, und Quentin Durward nahm so großen Anteil an diesem plötzlichen Verschwinden, daß er darüber den Faden seiner Betrachtungen verlor und ganz mechanisch gehorchte, als Meister Peter, sich nachlässig in den großen Armstuhl werfend, mit dem Tone eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist, sagte: »Setze den Teller hier neben mich!«

Der Kaufmann senkte jetzt seine dunklen Augenbrauen über die scharfen Augen, so daß man die letzteren kaum noch sah, oder schoß dann und wann einen lebhaften Blick darunter hervor, gleich Sonnenstrahlen hinter dunklem Gewölk. Je öfter und fester er ihn jetzt betrachtete, um so stärker ward seine Neugier, zu erfahren, wer und was der Mann eigentlich wäre, den er in seinen Gedanken wenigstens für einen Syndikus oder eine hohe obrigkeitliche Person von Tours, oder doch für jemand, der in der einen oder andern Art gewohnt war, Achtung und Auszeichnung zu fordern und zu empfangen, hielt. Unterdessen schien der Kaufmann abermals in tiefes Sinnen verloren, aus dem er sich bloß erhob, um entweder das Zeichen des Kreuzes zu machen, oder etwas von den gedörrten Früchten nebst einem Stückchen Zwieback zu sich zu nehmen. Dann winkte er Quentin, ihm den Becher zu reichen, und als er den Wein, mit Wasser vermischt, ausgetrunken hatte, zog er einen großen, aus Seeotterfell verfertigten Beutel hervor und schüttete eine Menge kleiner Silbermünzen in den Becher, bis er über die Hälfte voll sein mochte.

»Ihr hättet wohl Ursache, dankbarer zu sein, junger Mann,« sagte Meister Peter, »sowohl Eurem Patron Saint-Quentin, wie dem heiligen Julian, als Ihr es, dem Anschein nach, seid. Ich möcht Euch raten, in ihrem Namen Almosen zu verteilen. Bleibt indes in diesem Gasthause, bis Ihr Euren Verwandten, Ludwig mit der Narbe, gesprochen habt; er wird nachmittags von der Wache abgelöst. Ich will's ihn wissen lassen, daß Ihr hier seid; denn ich habe Geschäfte im Schlosse.«

Durward wollte sich entschuldigen, daß er die Freigebigkeit seines neuen Freundes nicht anzunehmen wage; allein Meister Peter sagte, indem er seine dunkeln Augenbrauen zusammenzog und seine gebückte Gestalt mit einer Würde, die Durward noch gar nicht an ihm bemerkt hatte, emporrichtete, in einem gebieterischen Tone: »Keinen Einwand, junger Mensch! Tu, was Dir befohlen wird!« Mit diesen Worten verließ er das Gemach, Quentin durch einen Wink begreiflich machend, daß er ihm nicht folgen solle. Dieser blieb verwundert zurück und wußte durchaus nicht, was er von der Sache denken solle. Sein erster und natürlichster, wenn auch eben nicht der würdigste Antrieb war, in den silbernen Becher zu gucken, der über die Hälfte mit Geldstücken angefüllt war, die sich wohl auf einige Dutzend belaufen konnten, während Quentin in seinem ganzen Leben noch keine zwanzig besessen hatte. Ließ es sich aber auch mit der Würde eines Edelmanns vereinigen, das Geld von dem reichen Plebejer anzunehmen? Das war freilich eine bedenkliche Frage; denn wenn er auch ein gutes Frühstück zu sich genommen hatte, so hatte er doch eben keine großen Hilfsquellen, um entweder nach Dijon zurückzureisen, falls er es wagen sollte, sich dem Zorn des Herzogs von Burgund auszusetzen, oder um sich nach Saint-Quentin zu begeben, wenn er sich für den Connetable Saint-Paul entschied. Vielleicht faßte er unter diesen Umständen den klügsten Entschluß, indem er sich vornahm, sich der Leitung seines Oheims anzuvertrauen. Er steckte einstweilen das Geld in den samtnen Falkenbeutel und rief den Wirt des Hauses, um ihm den Becher wieder zurückzugeben und sich über den freigebigen und verschwenderischen Kaufmann bei dieser Gelegenheit zu erkundigen.

Der Wirt zeigte sich, wenn auch nicht mitteilsam, doch gesprächiger als vorhin. Er weigerte sich unbedingt, den silbernen Becher zurückzunehmen, da er nicht ihm, sondern dem Meister Peter gehöre, der ihn seinem Gaste geschenkt habe.

»Aber ich bitt Euch,« rief Durward, »sagt mir bloß, wer dieser Meister Peter ist, der Fremden so beträchtliche Geschenke macht?« – »Meister Peter?« sagte der Wirt, die Worte dabei so langsam aus seinem Munde fallen lassend, als ob er sie destillieren wolle. – »Ja doch!« wiederholte Durward schnell und bestimmt; »wer Meister Peter ist, frage ich, und warum er mit seinen Geschenken in dieser Weise um sich wirft? und dann, wer der Kerl ist, der einem Fleischer ähnlich sieht und der das Frühstück bestellen mußte?« – »Da hättet Ihr ihn selbst fragen sollen, den Meister Peter; was aber den Herrn betrifft, der das Frühstück bei mir bestellt hat, so mag uns Gott vor seinem nähern Umgange bewahren!« – »Dahinter steckt ein Geheimnis!« sagte der junge Schotte; »Meister Peter hat mir gesagt, er sei ein Kaufmann.« – »So? na dann ist er auch sicher ein Kaufmann.« – »Mit was für Ware handelt er denn?« – »O, mit allerhand, besonders aber hat er Seidenmanufakturen hier angelegt, die ganz ebenso schöne Sachen liefern, wie die Venetianer aus Indien und Kathai bringen. Habt Ihr nicht die Reihen von Maulbeerbäumen gesehen, als Ihr hierher kamt? Die sind alle auf Meister Peters Befehl angepflanzt worden, zur Nahrung für die Seidenwürmer.« – »Allein das junge Mädchen, das die gedörrten Pflaumen hereinbrachte, wer ist denn die, guter Freund?« fragte der Gast. – »Sie wohnt bei mir, Sir, mit ihrer Aufseherin, wohl einer Base, wenn ich nicht irre!« versetzte der Gastwirt. – »Aber ist es denn bei Euch Sitte, daß Eure Gäste sich gegenseitig aufwarten?« fragte Durward. »Denn ich hab's doch bemerkt, daß Meister Peter nichts aus Eurer Hand oder aus den Händen Eurer Leute nehmen wollte.« – »Reiche Leute haben nun so ihre Launen; denn sie können's bezahlen!« sagte der Wirt; »das ist nicht das erstemal, wo Meister Peter Mittel und Wege gefunden hat, vornehme Leute nach seinem Wink tanzen zu lassen.«

Der junge Schotte fühlte sich durch diese Aeußerung einigermaßen gekränkt, verbarg aber seinen Verdruß und fragte, ob er hier für sich auf einen Tag, vielleicht auf noch längere Zeit, ein Zimmer bekommen könne. – »Das versteht sich,« sagte der Gastwirt; »solange es Euch beliebt, Ihr habt nur zu befehlen.« – »Darf ich den Damen meine Aufwartung machen, da ich nun doch unter einem Dache mit ihnen wohnen werde?« Der Gastwirt wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Endlich erwiderte er: sie gingen nicht aus und empfingen auch zu Hause keinen Besuch. – »Mit Ausnahme Meister Peters, nicht wahr?« fragte Durward. – »Es kommt mir nicht zu, Ausnahmen anzuführen,« entgegnete der Wirt fest, aber achtungsvoll.

Quentin, durch die Antwort des Gastwirts neuerdings verletzt, verlangte in sein Zimmer geführt zu werden. Der Gastwirt ging eine Wendeltreppe hinauf, dann eine Galerie entlang, auf die viele Türen führten, blieb an ihrem äußersten Ende stehen, suchte einen Schlüssel aus dem großen Schlüsselbunde hervor, den er an seinem Gürtel trug, öffnete eine Tür und wies seinem Gast ein zwar kleines, aber reinliches und trauliches Turmzimmer, das mit einem Feldbette und einigem Hausrat versehen, in guter Ordnung war und ihm, im ganzen genommen, wie ein kleiner Palast erschien.

»War das ein glücklicher Gedanke, so vom Flecke weg in den Bach zu springen!« rief Quentin Durward, als der Wirt sich entfernt hatte, und machte einen Freudensprung; »nie ist mir das Glück in einer bessern Gestalt erschienen.« Er trat an das kleine Fenster, von wo aus man, da der Turm beträchtlich aus der Hauptlinie des Gebäudes hervortrat, nicht nur in einen hübschen, ziemlich geräumigen Garten hinab sah, sondern auch eine freundliche Anpflanzung von Maulbeerbäumen überschauen konnte. Wenn man aber von diesen entfernten Gegenständen das Auge hinwegwandte und längs der Mauer hinsah, so bemerkte man einen andern Turm gegenüber mit einem ebensolchen kleinen Fenster wie das, an welchem jetzt Quentin stand. Nun würde es aber einem, der zwanzig Jahre älter wäre als Quentin, schwer begreiflich sein, warum diese Oertlichkeit ihn mehr interessierte, als der schöne Garten oder die freundliche Maulbeerpflanzung; aber auf der einen Seite der Fenstervertiefung hing eine Laute, zum Teil von einem leichten seegrünen Schleier bedeckt; und eine Laute sich ohne eine Sängerin zu denken, war bei Durwards jugendlichem Alter ausgeschlossen; weiter läßt sich leicht vermuten, daß Durward von der Besitzerin der Laute und des Schleiers mehr zu erfahren wünschte, wenigstens darf man voraussetzen, daß es ihn interessierte, dahinter zu kommen, ob es etwa dieselbe Person sei, die Meister Peter so demütig aufgewartet hatte; und soweit ist es wohl begreiflich, daß er sich nicht der vollen Länge und Breite nach in seinem eigenen Fenster zeigte. Nein! unser Durward verstand sich besser auf die Kunst, Vögel zu fangen; er wußte sich geschickt auf einer Seite des Fensters zu verbergen, und bloß durch den Laden guckend, hatte er das Vergnügen, einen schönen, runden, weißen Arm zu erblicken, der eben die Laute herabnahm, worauf auch seine Ohren für sein geschicktes Verhalten ihren Lohn empfingen.

Das Mädchen in dem kleinen Turm, mit der Laute und dem Schleier, sang eins von jenen kleinen Liedern, wie sie von den Lippen der Edelfrauen zur Zeit des Rittertums flossen, bei denen Ritter und Minnesänger lauschten und seufzten. In den Worten lag weder so viel Sinn, Geist und Phantasie, um die Aufmerksamkeit von der Musik abzulenken, noch zeigte diese soviel Kunst, um alle Empfindungen von den Worten abzuziehen. Das eine schien bloß für das andere da zu sein, und wäre der Gesang ohne die Noten rezitiert, oder die Musik ohne die Worte gespielt worden, so würde keins von beiden etwas wert gewesen sein. Aber auf Quentin übte beides eine mächtige Wirkung, zumal die Gestalt der Sängerin nur teilweise und nicht deutlich sichtbar war, so daß sich ein geheimnisvoller Zauberschleier über das Ganze breitete.

Beim Schluß des Liedes konnte der Lauscher nicht umhin, sich kühner zu zeigen als bisher, um vielleicht mehr zu sehen, als er bisher hatte entdecken können. Allein die Musik hörte augenblicklich auf, das Fenster wurde geschlossen und eine dunkle, von innen vorgezogene Gardine setzte allen weiteren Beobachtungen des Nachbars im Turme eine Grenze.

Fünftes Kapitel

Der Ritter, der auf Quentin Durward in dem Zimmer wartete, wo derselbe gefrühstückt hatte, gehörte jenem berühmten Bogenschützenkorps der schottischen Leibgarde an, die von Karl VI., Ludwigs Vorgänger, errichtet worden war, und in dessen Händen, wie man dreist sagen konnte, das Schicksal Frankreichs lag, denn ihm war die unmittelbare Wache über die Person des Königs anvertraut. Es waren verschiedene Umstände, die diesen frühern König von Frankreich zu diesem Schritt bestimmt hatten, vor allem die schwankende, unsichre Treue des Lehnsadels, der wohl die Oberherrschaft des Königs anerkannte, sonst aber in einem fort bestrebt war, seine besonderen Rechte nicht bloß zu behaupten, sondern möglichst zu mehren. Solchem Adel seine Person zum Schutz zu überantworten, wäre unpolitisch und auch gefährlich gewesen. Dagegen war das schottische Volk gewissermaßen der Erbfeind Englands und demzufolge Frankreichs alter und, wenigstens dem Anschein nach, auch natürlicher Bundesgenosse. Es war ein armes, aber mutiges und treues Volk, und da kein andres Volk in Europa so reich war an kühnen und tapfern Abenteurern, ließ sich damit rechnen, daß sich solche Garde immer aus seinen Söhnen neu rekrutieren ließe. Da ferner der schottische Adel sehr alt war und fast durchgängig bis zum Alter der Kreuzzüge, wenn nicht noch höher, hinaufreichte, stand ihm ein besonderes Anrecht darauf zu, näher an die Person des Monarchen herangezogen zu werden, als jeder andre Adel, den französischen nicht ausgeschlossen. Und was schließlich auch noch, und zwar nicht zum geringsten, in Betracht kam bei den damals so äußerst unruhigen Zeiten, war der Umstand, daß ihre geringe Zahl sie verhinderte, sich in Meuterei einzulassen und Gelüste zur Herrschaft zu bekommen, wo sie nur Anspruch auf eine dienende Rolle hatten.

Jeder Bogenschütze hingegen stand an Rang und Ehre den Edelleuten des Landes gleich, und ihre ständige Berührung mit dem Landesherrscher verlieh ihnen in jedermanns Augen einen gewissen Nimbus, der durch die prächtige Tracht, die sie trugen, und die vortreffliche Bewaffnung, sowie das Recht, sich einen Knappen, einen Diener, einen Pagen und einen oder auch ein paar Trabanten zu halten, nicht wenig erhöht wurde. Kein Wunder, daß solcher Bogenschütze als eine Respektsperson galt, und da die in dem Korps frei werdenden Stellen nie anders ausgefüllt wurden, als aus den Reihen der Pagen oder Knappen, so geschah es nicht selten, daß vornehme schottische Geschlechter ihre jüngern Söhne zu einem befreundeten oder verwandten Angehörigen dieses Korps sandten, in dessen Diensten er dann solange blieb, bis eine Vakanz eintrat, in die er dann eintreten konnte.

Quentin Durwards Oheim, Ludwig Lesley, oder wie er im Laufe dieser Erzählung nach der ihn kennzeichnenden Narbe zumeist genannt werden wird, Balafré, war ein Mann von annähernd 6 Fuß Länge, und von muskulöser, untersetzter Gestalt. Seine an sich rauhen Gesichtszüge wurden durch die erwähnte große breite Narbe, die von der Stirn zum rechten Auge hinunter und an diesem entlang, über den von ihr bloßgelegten Backenknochen bis zum Ohrläppchen hinlief, bald scharlach-, bald purpurrot, bald blau aussehend, ja nicht selten sich dem Schwarz nähernd, noch erheblich verunschönt und verdüstert. Diesen Eindruck konnte auch die kostbare Rüstung nicht mildern, die er trug, und die aus Halskragen, Armstücken und Handschuhen aus feinstem Stahl, kunstvoll mit Silber ausgelegt, aus einem funkelnden Panzerhemd, darüber einem weiten Oberkleid aus blauem Samt bestand, das, an den Seiten wie ein Heroldsgewand offen, nach vorn und hinten zu durch ein großes, weißes, in Silber gesticktes Kreuz geteilt wurde. Knie und Schenkel waren durch eiserne Beinschienen geschützt, die sich in Stahlschuhen fortsetzten; an der rechten Seite seines Panzerhemds hing ein starker, breiter Dolch, »der Gottsgnadendolch« genannt, über der Schulter das Wehrgehänge seines zweihändigen Schwertes, ebenfalls reich gestickt, und auf dem Haupte trug er die schottische Nationalmütze, die mit einem Federbusche und einem Bilde der Jungfrau Maria aus gediegenem Silber verziert war.

Quentin Durward, von Jugend auf nach schottischem Brauche an die Führung der Waffen gewöhnt, stand trotzdem unter dem Eindruck der Meinung, einen Kriegsmann mit solch mustergültiger Ausrüstung und Bewaffnung noch nie vor Augen gehabt zu haben, wie diesen Oheim von mütterlicher Seite, und vor dem grimmigen Gesicht, mit dem ihn derselbe willkommen hieß, schreckte er im ersten Augenblick förmlich zurück. Erst als ihn der bärbeißige Mann nach Neuigkeiten von Schottland fragte, verschwand bei dem Jüngling die unangenehme Empfindung, die dieser erste Eindruck bei ihm geweckt hatte.

»Viel Gutes, Herr Oheim, wüßte ich da leider nicht zu melden,« erwiderte Quentin Durward auf diese Frage; »aber gefreut hat's mich, von Euch so schnell erkannt worden zu sein.« – »Junge, ich hätte Dich auf der Stelle zwischen den Heiden von Bordeaux herausgekannt,« erwiderte der Krieger mit der Narbe, »wenn ich Dich dort als Storch auf Stelzen hätte laufen sehen. Aber setz Dich doch! Hast Du was Trauriges zu berichten, so steht Wein hier, der wird's uns tragen helfen. Heda, Alter! noch einen Humpen vom besten! aber gleich!«

Im Nu stand eine Flasche der besten Champagner-Marke vor ihnen, denn in den Schenken von Plessis kannte man die Bogenschützen zu gut, um sie auch nur eine Sekunde warten zu lassen. Quentin nippte jedoch, weil er heut morgen schon einmal Wein getrunken hatte, an dem Humpen, während der Oheim einen derben Zug daraus tat ... »Säß Deine Schwester an Deiner Statt hier, dann möcht ich solche Entschuldigung gelten lassen,« erwiderte Balafré, »so aber rate ich Dir, vor einem Weinkruge Dich nicht so zimperlich zu benehmen, denn ich denke doch, Du willst auch mal einen Bart bekommen und ein tapfrer Soldat werden. Also flink heran! das Felleisen herunter! und dann los mit den Neuigkeiten, die Du von unserm Glenhulakin weißt. Was macht meine Schwester?« – »Die ist gestorben, lieber Ohm!« – »Was? gestorben,« wiederholte Balafré, mehr im Tone der Verwunderung als des Mitgefühls, »wie kann das sein? sie war doch fünf Jahre jünger als ich, und wohler als sie hab ich mich doch mein Lebtag nicht befunden ... Soso! gestorben also ist sie? also hat sich doch Dein Vater schon wieder verheiratet?«

Ehe aber der Jüngling noch eine Antwort auf diese weitere Frage gefunden hatte, fiel ihm der Oheim schon mit der Frage dazwischen: »Was? nicht wieder verheiratet? Ich lese Dir die Antwort ja in den Augen, Junge! und ich hätte doch Gott weiß was wetten mögen, daß Allan Durward nicht ohne Frau werde leben können ... Ordnung in seinen vier Pfählen ging ihm doch über alles, und ein hübsches Weib hatte er immer gern vor den Augen. Wie kann er das haben, ohne verheiratet zu sein? Ich mach mir dagegen aus all den Bequemlichkeiten nicht sonderlich viel, sehe wohl auch ganz gern mal ein Frauenzimmer, aber deshalb gleich ans Sakrament der Ehe zu denken, ist nicht mein Fall. Dazu fehlt's mir an der nötigen Heiligkeit.« – »Aber, lieber Oheim, die Mutter war ja schon ein ganzes Jahr Witwe, denn die Ogilvies waren in Glenhulakin eingefallen, und dabei ist der Vater mit den beiden Oheimen und meinen beiden ältern Brüdern, auch noch sechs von unsern Leuten, dem Harfner und dem Arbeitsvogt, umgekommen. Bei uns in Glenhulakin raucht kein Herd mehr, und kein Stein steht mehr auf dem andern.« – »Beim Kreuze des heiligen Andreas!« rief Balafré, »das muß ja bös hergegangen sein! so eine Niederlage ist ja bald noch nicht dagewesen. Freilich, die Ogilvies waren immer schlimme Nachbarn. Du, sage mal, wann ist denn die unglückliche Affäre passiert?« – Als ihm der Neffe sagte, es sei am Sankt-Judasfeste gewesen, nahm Balafré einen tüchtigen Schluck und schüttelte dann mit großem Ernste das Haupt ... »Da siehst Du's, Neffe,« sagte er, »es ist nun mal im Kriege alles Zufall. Bald hat's an dem, bald an dem gelegen. Ich bin am selben Tage mit zwanzig Berittnen gegen Schloß Rochenoir ausgezogen und hab's mit Sturm genommen, und hatte es mit einem gar schlimmen Gegner zu tun, mit Amaury, dem Eisenarme, von dem Du doch sicher schon gehört haben wirst. Den hab ich vorm Portale niedergehauen und hab in dem Schlosse soviel Gold erbeutet, daß ich mir die güldene Kette hab schmieden lassen, die noch zweimal so lang war, wie jetzt ... da fällt mir übrigens ein, daß ich einen Teil davon auf ein frommes Gelübde verwenden muß. He, Andreas! Andreas!«

Sein Trabant dieses Namens trat in die Stube, fast genau wie der Bogenschütze selbst gekleidet, bloß die Beinschienen fehlten ihm, und die Rüstung war weit gröber gearbeitet, auf der Mütze fehlte der Federstutz und sein Oberkleid war weniger weit, und statt aus Samt nur aus Sersche und grobem Tuch. Balafré nahm die Goldkette vom Halse, biß mit seinen unverwüstlichen Zähnen etwa zwei Zoll davon ab und gab das Stückchen dem Trabanten. »Da, Andreas! trag das zu meinem Gevatter, dem fidelen Pater Bonifaz, nach Sankt-Martins hinüber, bestell ihm einen Gruß und sag ihm, ich trüg ihm nicht weiter mehr nach, daß er nach unserer letzten Kneiperei ohne Adieu sich von mir gedrückt hätte. Dann sag ihm auch, mein Bruder und meine Schwester und die ganze Glenhulakiner Sippe seien tot, und er solle so gut sein, für ihre Seele ein paar Messen zu lesen. Was ich ihm durch Dich von meiner goldnen Kette schickte, würde schon als Kirchenlohn für das bißchen Messelesen ausreichen. Sag ihm auch, meine Sippe in Glenhulakin hätte immer einen gottesfürchtigen Wandel geführt, und wenn er daraufhin vielleicht meinte, sie könnten schon ohne Messe aus dem Fegefeuer heraus sein, so soll er das Geld auf einen Fluch gegen das hundsföttische Gesindel dieser Ogilvies verwenden ... auf welchem Wege, soll ihm überlassen bleiben, aber er soll denjenigen wählen, auf dem ihnen am besten beizukommen ist ... Verstanden, Halunke?« – Der Trabant nickte. »Hüte Dich aber,« rief Balafré noch, »daß sich ja nicht etwa ein Glied von dem abgebissenen Kettenstück ins Wirtshaus verirre! denn dann machst Du Bekanntschaft mit Steigriemen und Sattelgurt, und zwar solange, bis Deine Haut aufspringt ... Ich merke schon, Kerl, Du hast schon wieder mal Durst? Na, dann nimm einen tüchtigen Schluck, ehe Du Dich auf den Weg machst.« Mit diesen Worten reichte er ihm einen vollen Humpen. Der Trabant leerte ihn auf die Neige. Dann entfernte er sich, um dem Pater den Auftrag zu bestellen.

»So, Neffe,« wandte sich nun Balafré wieder an Quentin Durward, »nun sag mir, wie Du eigentlich bei der Affäre mit blauem Auge davongekommen bist?« – »Ich stand mit den älteren und stärkeren zusammen in Reih und Glied gegen die feindlichen Ogilvies,« erwiderte Durward, »und hab mitgekämpft, bis wir schließlich unterlagen. Ein böser Schlag streckte mich nieder, und ich trug eine schlimme Wunde davon.« – »Das ist mir vor 10 Jahren nicht besser gegangen,« erwiderte der Oheim, »wie sie mich damals herausgeputzt haben, das kannst Du mir ja heute noch ansehen.« Bei diesen Worten wies er auf die dunkelrote, tiefe Furche, die sein Gesicht in der Quere schnitt; »dergleichen Risse hat noch kein Schwert eines Ogilvie gezogen!« – »Zerrissen haben die Ogilvies gerade genug,« versetzte Quentin, »aber sie hatten schließlich ihren Blutdurst gestillt und gaben mich auf Bitten meiner Mutter los. Es war gerade ein Mönch von Aberbrothock in der Nähe, und dem erlaubten sie, mich zu verbinden; ich mußte jedoch, zusammen mit der Mutter, geloben, Mönch zu werden.« – »Du, und Mönch?« rief Balafré, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Mich hat noch nie jemand, auch im Traume nicht, in eine Mönchskutte zu stecken gewagt; daß ich wenigstens nicht wüßte! . . und doch muß ich mich eigentlich, wenn ich darüber nachdenke, wundern, denn ich hätte doch ganz sicher keinen schlechten Pater abgegeben. Aber mag es drum stehen, wie es wolle, mir hat's bis jetzt niemand zugemutet, einen solchen Berufswechsel vorzunehmen; und Dir ist das zugemutet worden, Neffe? Warum denn bloß, um alles in der Welt?«

»Damit unser ganzes Geschlecht aus der Welt getilgt werde!« erklärte Quentin Durward, »wenn nicht im Grabe, so doch im Kloster!« – »Hm, nun verstehe ich,« erwiderte Balafré, »diese Ogilvies sind doch ganz infame Halunken! und doch hätten sie sich damit betrügen können! wie war's denn mit dem Probste Robsart? der fällt mir gerade ein! er hatte doch auch die Weihen bekommen, war aber dann aus dem Kloster gewichen und Hauptmann bei einer Freikompagnie geworden. Der hat sich ein allerliebstes Kebsweib genommen und mit ihr drei Jungen gezeugt. Dem Mönchsvolk, lieber Neffe, ist nun mal nicht über den Weg zu trauen, ein Mönch wird Soldat und Vater von Kindern, ehe man sich's versieht. Aber erzähle weiter von Deinen Glenhulakiner Geschichten!« – »Da gibt's nicht viel mehr zu erzählen, Oheim,« antwortete Durward, »ich mußte eben ins Kloster, wurde Novize, mußte nach den Klosterregeln leben und sogar lesen und schreiben lernen.« – »Lesen und schreiben, sagst Du?« rief Balafré, der zu den Leuten gehörte, die alle Kenntnisse, die das Maß des eignen Wissens übersteigen, für Wunderdinge ansehen, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Das kann man doch nicht glauben! welcher Durward hätte wohl vor Dir seinen Namen schreiben können? und ein Lesley doch auch nicht! ich bin der letzte von den Lesleys und kann so wenig schreiben wie fliegen! Aber, beim heiligen Ludwig! wie haben sie es denn bloß angestellt, daß sie Dir das beigebracht haben?« – »In der ersten Zeit war's freilich ein bißchen schwer,« sagte Durward, »dann ist's aber leichter geworden. Wie bei allem im Leben, kommt's hier eben auf die Uebung an. Ich war infolge des starken Blutverlustes schwach zum Umfallen, und wollte meinem Retter, dem Pater Peter, kein Herzeleid bereiten. Drum gab ich mir auch alle Mühe, aufzupassen, und dann ist die Mutter auch krank geworden und gestorben, und da hat sich's in einem günstigen Augenblick mal gefügt, daß ich's dem Pater gestehen konnte, daß ich zum Mönchsstande gar keine Neigung hätte, sondern lieber in die Welt hinaus möchte, mein Glück zu versuchen, und so wurde denn vereinbart, daß es den Anschein haben sollte, als wenn ich aus dem Kloster geflohen wäre, damit den Ogilvies nicht ein Grund geboten würde, ihre Rache an meinem Wohltäter zu kühlen; und aus diesem Grunde habe ich auch den Falken des frommen Paters mit auf den Weg genommen. Entlassen aber bin ich unter der Hand in aller Form Rechtens aus dem Kloster, wie ja das Siegel und die Handschrift des Abtes beweisen.«

»Na, das ist ja im Grunde auch besser,« meinte Balafré, »wenn auch schließlich König Ludwig nicht viel danach früge, ob Du gemaust hast oder nicht, so kann er es doch nicht leiden, wenn sich einer gegen ein Kloster vergangen hat. Darauf kann ich aber wetten, Junge, daß Dir alles mögliche fehlt zu einem anständigen Unterhalte?« – »Nun, ja Oheim,« erwiderte der Jüngling, »Dir kann ich's ja gestehen: dazu ist mir weiter nichts nötig, als das nötige Kleingeld.« – »Eine schlimme Sache, wenn die Dinge so stehen,« meinte Balafré, »ich spare ja auch nichts vom Solde, denn so leicht ist's eben auch nicht, mit Ehren solchen Stand zu wahren; aber was ich brauche, habe ich schließlich doch immer, und wenn es mal Matthäi am letzten wird, na, sieh, dann muß eben mal die goldne Kette herhalten. Du wirst aber fragen, Neffe, wie ich zu solchen schönen Dingen komme? Na, sie wachsen ja freilich nicht wie die Narzissen auf dem Felde, aus denen die Bauerndirnen sich Ketten drehen; aber Du kannst sie Dir ganz ebendort her holen wie ich, nämlich vom guten Könige von Frankreich! denn wer Schätze zu suchen ein Herz hat, der findet sie dort, wenn auch hie und da mit Lebensgefahr; aber er findet sie eben doch!« – »Ich dächte aber, die Leute hätten mir gesagt,« erwiderte Quentin, »der Herzog von Burgund hielte einen bessern Hofstaat als der König von Frankreich? und unter seiner Fahne sei mehr Ehre zu gewinnen?« – »Du redest wie ein Tor, Neffe,« sagte darauf Balafré, »aber man kann's Dir nachsehen, denn als ich den Fuß nach Frankreich gesetzt hatte, redete ich gerade so dumm und albern wie Du; ich hatte auch keine andre Vorstellung von einem König als einem höhern Wesen, das den ganzen Tag unter einem Thronhimmel säße, mit seinen obersten Paladinen von früh bis spät schmause, die goldne Krone nie vom Haupte nähme, oder an der Spitze seiner Truppen dem Feinde entgegenrücke, wie etwa Robert Bruce oder der Wilhelm in unsrer eignen Vaterlandsgeschichte. Im Vertrauen gesagt, Neffe! Politik ist die richtige Kunst, die sich für die Könige schickt, und diese Kunst hat der König Ludwig von Frankreich so recht eigentlich für sich gepachtet, die versteht er wie kein andrer Monarch in ganz Europa! Du darfst mir, weiß Gott! glauben, Ludwig ist der klügste von allen Fürsten, der je den Purpur trug! und doch habe ich ihn noch kaum ein einziges Mal auf seinen Schultern gesehen, so lange ich schon in seinem Dienste bin. Viel öfter aber habe ich ihn herumlaufen sehen in seinem Schlosse und seinem Lande in einer Kleidung, wie sie sich kaum für unsereinen schicken möchte!« – »Aber, Oheim,« wandte der Jüngling ein, »Ihr erwidert ja gar nichts auf meinen Einwand? wenn ich einmal in fremdem Lande dienen muß, so möchte ich es doch gern da tun, wo mir der größte Vorteil winkt, wo ich mich am ehesten und hervorragendsten auszeichnen könnte!« – »Das verstehe ich schon, lieber Neffe,« versetzte Balafré, »aber es fehlt Dir in solchen Dingen noch am richtigen Urteil. Der Burgunder Herzog ist ein Brausekopf, ein eisenfester Wagehals, der sich an der Spitze seiner Mannen selbst ins Gefecht stürzt, und wenn wir, Du oder ich, uns bei ihm befänden, meinst Du, wir könnten's dort weiter bringen, als er selber und alle seine Adelinge? wollten wir nicht gleichen Schritt mit ihnen halten, dann wäre doch sicher der Herr burgundische Generalprofoß nicht weit von uns, und täten wir's anderseits ihnen gleich, nun, dann wär's eben gut, und es hieße, wir hätten eben unsern Sold verdient. Höchstens hieße es einmal, wenn wir was ganz Besonderes verrichtet hätten, aus herzoglich burgundischem Munde: Ha! brav gemacht! sehr brav – gebt ihm einen Gulden, Seneschall, daß er mal auf unser Wohl einen guten Schluck trinken kann! Aber von Rang, Land oder Schätzen kommt in seinem Dienste an einen, der nicht Burgunder ist, kein Tüttelchen: das laß Dir gesagt sein, denn was der zu verschenken hat, kommt bloß an Landeskinder!« – »Dann sagt mir aber, Ohm,« erwiderte Quentin, »wohin soll ich mich um einen Dienst wenden?«

»Zu demjenigen Fürsten,« antwortete Balafré, »der die Landeskinder fein säuberlich zur Arbeit anhält und Schotten einstellt, sie und ihr Land zu schützen, und ihnen dafür keine andern Lasten aufbürdet, als für ihren Sold aufzukommen! ... Franzosen, sagt König Ludwig, eignen sich nun einmal nicht zur Kriegführung, das haben die Tage von Crécy und Azincourt bewiesen, und wer ihm was gegen seine Ansicht sagen will, dem kommt er gleich mit diesen beiden Schlachten entgegengerückt, die für die französischen Ritter in so großem Maße unglücklich verliefen. Na, siehst Du nun ein, lieber Neffe, wo unser Weizen blüht, und wo Du, wenn Du reich werden willst, schließlich noch die allerbesten, wenn nicht die einzigen Aussichten dazu hast?« – »Ich glaube, den Sinn Eurer Worte richtig zu erfassen, Oheim,« versetzte Quentin Durward, »aber mir scheint, viel Ehre ist bei diesem Könige denn doch nicht zu holen! denn ich sehe nicht ein, wo es bei ihm Gefahren gibt. Mir kommt der Dienst bei ihm, verzeiht mir den Ausdruck, Ohm, so recht vor wie ein Schlaraffendienst. Was hat denn ein alter Mann, dem doch niemand was zu leide tut, soviel Wachen vonnöten? wem kann denn was dran liegen, Sommer und Winter auf seinen Festungswerken herumzulungern oder in einem eisernen Käfige zu stecken? ist das etwa viel Ehre, unter dem ewigen Verdachte des Ausreißers zu stehen? Ich komme mir da wirklich nicht anders vor, wie ein Falke, der auf seiner Stange hocken muß, ohne nur ein einziges Mal auffliegen zu dürfen.«

»Na, das muß man sagen,« rief Balafré, »Mut und Feuer stecken in dem Jungen; es steckt was von Lesleyschem Geist in ihm; so war ich selber, und keinen Deut anders. Aber jetzt heißt meine Parole: Vivat König Ludwig! lang lebe der König von Frankreich! denn bei ihm vergeht fast kein Tag, an welchem es nicht einen Auftrag gibt, bei dessen Ausführung was für unsereinen kleben bleibt! Meine bloß nicht, als ob die schwierigsten Stückchen immer bei hellem Tage ausgeführt würden! ich könnte Dir manches erzählen, wie Schlösser gestürmt, Gefangene eingebracht wurden, und wo einer, wenn auch keinen großen Namen, so doch größere Gunst zu gewinnen vermag, als all die Wagehälse zusammengenommen im Dienste des wagehalsigen Herzogs von Burgund! und wenn es unserm Könige beliebt, sich im Hintergrunde aufzustellen und uns bei unserm Tun zu beobachten, so hat er doch ganz gewiß bessere Gelegenheit zu gerechtem Abwägen von jedes einzelnen Verdienste, als wenn er sich selbst mit in dem Kampfe getummelt hätte. Nein, nein! da hilft kein Redens! König Ludwig ist ein gar scharfblickender Herr! und ein politischer Herrscher, wie wir keinen andern haben neben ihm!«

Quentin Durward schwieg eine Weile, dann sagte er, minder laut als bisher, aber nicht minder ausdrucksvoll: »Der gute Pater Peter meinte hin und wieder zu mir, es sei freilich durch manche Tat, bei der nicht viel Ehre zu holen sei, mancherlei Vorteil zu gewinnen; und ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, Oheim, daß meines Vermutens solche geheim erteilten und heimlich auszuführenden Aufträge nicht immer besonders ehrenvoll sein mögen.« – »Wofür, Neffe, hältst Du mich denn?« fragte Balafré finster; »ich bin allerdings in keinem Kloster erzogen worden, kann auch weder lesen noch schreiben; aber ich bin ein ehrlicher Lesley und bin der Bruder Deiner seligen Mutter. Meinst Du, ich wollte Dir etwa Unwürdiges aussinnen? Der beste Ritter Frankreichs, Guesclin selbst, könnte, wenn er noch am Leben wäre, stolz sein auf solche Taten, wie ich sie vollführt habe.« – Ihr seid der einzige Ratgeber, Oheim,« sagte Quentin Durward, »den mir ein unseliges Geschick aufbewahrt hat, und Zweifel in Eure Worte zu setzen, steht mir wahrhaftig nicht zu. Aber trifft es denn zu, was gerüchtweise verlautet, daß der König von Frankreich hier in Plessis solch dürftigen Hof halte? es soll keiner von seinen Edeln hier sein, keiner von seinen großen Vasallen und Hofleuten in seiner Nähe weilen, kein Kronbeamter zu seiner Verfügung sein? außer ein paar einsamen Ausflügen, an denen bloß die Leibdiener teilnehmen, außer ein paar geheimen Sitzungen, zu denen bloß geringe Personen zugezogen werden, wie beispielsweise sein Barbier, soll nichts hier vorgehen, was an eine königliche Hofführung erinnert? wenn sich das wirklich so verhält, dann scheint mir doch wenig von den Bräuchen und Sitten jenes edlen Königs Karl, seines Vaters, auf König Ludwig übergegangen zu sein, und dabei hatte doch bereits dieser das zur Hälfte von England eroberte Königreich wieder durch Krieg an sich gebracht!«

»Du schwatzest wie ein Kind,« erwiderte Balafré, »und leierst wie ein Kind die alten Noten auf neuen Saiten. Wenn König Ludwig seinen Barbier Oliver Dain zu Dingen braucht, die dieser besser versteht, als alle Pairs in seinem Lande, hat nicht dann sein Königreich den Gewinn davon? und wenn er seinem martialischen Generalprofossen Befehl gibt, den oder jenen aufrührerischen Bürger in Haft zu nehmen oder den oder jenen Edelmann beiseite zu schaffen, dann geschieht's doch eben ohne viel Federlesens. Aber nicht der Fall wäre es, wenn er solchen Auftrag einem Herzog oder Pair seines Landes erteilen wollte, da könnte er sich von hundert in neunzig Fällen darauf gefaßt machen, daß er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht's etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige? ... Du kannst mir schon glauben, Neffe, König Ludwig versteht's, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und mißt, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! da schlägt die Glocke von Sankt Martins! die ruft mich zurück ins Schloß. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! aber sieh Dich vor, daß Du nicht vom richtigen Wege abgerätst, sobald Du Dich dem Portale näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer acht läßt, leicht ein Glied von seinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Na, und nun Adjes für heute!«

Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen, den er bestellt hatte. Bei Personen seines Kalibers ist solche Vergeßlichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun, als er sich allein sah, erwarten können, daß er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Oheim hatte ihn zu derb vor die Wirklichkeit gestellt, und so hatte er jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang an dem Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor noch sorgsam erkundigt bei dem Herbergswirte, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen geben können, und so suchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden, das ihm durch die Unterhaltung mit seinem Oheim nach mancher Seite hin zweifelhaft geworden war.

Sechstes Kapitel

Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernste Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht an jedem Feinde aufs grimmigste zu rächen.

Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Oheim die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu verwundern, daß ein so naher Anverwandter ihm nicht eine Unterstützung aus seinem Beutel anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Oheim unrecht, daß dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblicke des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, daß sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könne; denn er hielt außerdem einen nahen Verwandten zu sehr für einen Teil seiner selbst, als daß er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen hätte Sorge tragen sollen, wie er es für das seiner verstorbenen Schwester ihres Gatten getan hatte. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein, ehe es ihm an Gelegenheit gefehlt hatte, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, denn vielleicht hätte er doch nähere Auskunft über diesen Mann von ihm erhalten; allein bei dem Oheim hatte eine Frage die andere gejagt, und die Mahnung der großen Glocke von St. Martins hatte ihr Gespräch schnell abgebrochen. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt: »Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!« – »Ich muß den Mann ausfindig machen,« dachte er bei sich selbst, »und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn geschildert hat. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines fernern Verhaltens einen guten Rat erteilen können, und wenn er sich in fremde Länder begibt, wie's viele tun, so ist das, denk ich, ebenso gut ein Dienst, wobei etwas zu gewinnen ist, als bei König Ludwigs Leibwache.«

Während Quentin diesen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.

»Wessen Haus, lieber Sohn?« fragte der eine. – »Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat,« entgegnete Durward. – »Junger Mensch,« sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, »Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.« – »Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!« versetzte der andere noch mürrischer. »Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.«

Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, daß er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte, wie sie mit schnellen Schritten davon eilten, als wünschten sie, ihn so bald als möglich aus dem Gesichte zu verlieren.

Nicht lange danach begegnete er einem Trupp Winzer, und stellte die nämliche Frage an sie. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer »Meister Peter« meine. Als aber keiner von diesen allen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Bauern, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen, und drohten ihn tüchtig durchzuprügeln. Indes sagte ihnen der älteste, der in einigem Ansehen bei den übrigen zu stehen schien, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.

»Ihr könnt's ja an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, daß er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Laßt ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter; es ist am Ende doch wohl nur ein anderer Name für den Teufel!« Der Schotte sah ein, daß er hier offenbar die schwächere Partei war, und hielt es fürs klügste, still seinen Weg fortzusetzen.

Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnußbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärts gerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie ja die Jugend immer ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mitansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte.

»Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?« rief der junge Schotte den Leuten zu; denn ebenso, wie er immer bereit war, seine Ehre zu behaupten, so ließ er sich auch nie nötigen, Menschen, die in Not waren, Beistand und Hilfe zu leisten. Einer von den Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen, das mit einer Lilie eine gewisse Aehnlichkeit hatte, aber von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umzogen war. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand oder zu entziffern Lust hatte, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurte den jedem Hochländer unentbehrlichen »Skene Dhu« oder zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick, an dem der Unglückliche hing, mit einem kräftigen Schnitt mitten entzwei. Aber die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward auch nur den geringsten Beistand zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff des jungen Menschen in andre Rechte, das Hasenpanier, ohne sich weder um ihn, noch um den Körper, den er losgeschnitten hatte, und der nun vom Baume herunterfiel, zu kümmern. Aber Quentin, trotzdem er sah, daß infolge des Sturzes aus der nicht unbeträchtlichen Höhe der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten gewichen war, gab seinen humanen Vorsatz, demselben zu helfen, nicht auf, sondern löste die schreckliche Schlinge von seinem Halse, knöpfte ihm das Wams auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und bot alles mögliche auf, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Da ertönte auf einmal ein wildes Stimmengewirr um ihn her in einer ihm völlig unbekannten Mundart, und kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen sah, das auf seine Brust gezückt wurde. »Elender Sklave von Eblis!« schrie ihm ein Mann zu, der von andern Männern, Weibern und Kindern umringt wurde, die alle wild durcheinander schrien, aber in einem gräßlichen Kauderwelsch, »willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!« Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihm entgegen, und von allen Seiten erhoben sich Messer gegen ihn. Aber den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht, und er wehrte sich die ihm zunächst Stehenden mit einem kräftigen Rucke vom Leibe! dann rief er: »Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so laßt Euch sagen, daß ich ihn eben vom Baume losgeschnitten habe, und gar nicht daran denke, mich an seinem bißchen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch an mir zu reiben, Ihr versuchtet, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so hätte der arme Kerl wohl noch ein bißchen Leben in sich; aber durch den Sturz scheint ihm das letzte davon abhanden gekommen zu sein,«

Inzwischen hatten sich die Weiber über den Leib des Unglücklichen hergemacht und alles mögliche versucht, wieder Leben in ihn zu bringen; aber mit ebenso geringem Erfolge, wie vor ihnen Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein, erhoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei und rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward sich die Gestalten genauer, denn es befaßte sich keiner von den seltsamen Menschen mehr mit ihm, nachdem sie sich durch die Umstände ohne Zweifel von seiner Unschuld sattsam überzeugt hatten. Es wäre nun freilich für Durward das gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um den wilden Haufen zu bekümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu gehen; aber er war nun einmal daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen, und auch von einiger Neugierde befallen, was wohl hinter diesen merkwürdigen Menschen stecken möchte, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, daß sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer der Horde, trugen seltsamen Zierat um den Hals: ganze Ketten von Silbermünzen, und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben bedroht hatten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen, bloß einer von ihnen trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite, an das er des öftern die Hand legte; dabei überbot er die andern an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wie von Drohungen, durch die er die andern zur Rache anfeuern zu wollen schien.

Plötzlich ertönte von der andern Seite her Pferdegetrappel, und die Leute, in denen Quentin Sarazenen zu erblicken meinte, sahen sich, eben als sie den Leichnam ihres toten Kameraden auf die Schultern heben wollten, von einer Reiterschar angegriffen. Auf der Stelle ließen sie den Leichnam wieder fallen, ihre Klagen wandelten sich in Ausrufe wilden Schreckens, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht, ohne sich an die gegen sie gerichteten Lanzen zu kehren. Bis auf zwei gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! und von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der vorhin mit dem Krummsäbel so wild hantiert hatte. Der nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, daß sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wußte nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte, als er in ihm den Gefährten Meister Peters erkannte, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens nun aber diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so mußte dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, daß Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stehen konnte; allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde, und ob er seine Lage verbessern möchte, wenn er sich geradezu an ihn wendete.

Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. »Trois-Echelles und Petit-André!« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick zu zweien seiner Truppe; »die Bäume hier stehen gerade recht bequem. Ich will dies ungläubige, diebische Gesindel lehren, mit des Königs Gerechtigkeit zu spaßen, wenn sie einen von der verruchten Rasse erwischt hat. – Steigt ab, Kinder, und tut ohne weiteres Eure Schuldigkeit!«

Trois-Echelles und Petit-André standen augenblicklich auf den Füßen, und Quentin bemerkte, daß jeder von ihnen am Schwanzriemen und Sattelknopf seines Pferdes ein Bund Stricke befestigt hatte, die sie schleunigst ablösten und zu der verhängnisvollen Schleife knüpften, die dann für solche, die gehenkt werden sollen, den letzten Halsschmuck bildet. Eiskalt rann das Blut durch Quentins Adern, als er sah, daß man drei Stricke auswählte, offenbar in der Absicht, einen davon um seinen Hals zu schlingen. Er erinnerte den Mann mit lauter Stimme an ihr Zusammentreffen am Morgen, machte sein Recht als freigeborner Schotte in befreundetem Lande geltend, und behauptete, daß er weder die Personen kenne, in deren Gesellschaft er gefangen worden, noch wisse, was sie eigentlich verbrochen hätten.

Der Mann würdigte ihn aber kaum eines Blicks, sondern wandte sich ohne weiteres zu ein paar Bauern, die jetzt zum Vorschein kamen, entweder um gegen die Gefangenen auszusagen oder aus Neugier; und er fragte kurz: »War der junge Mensch da bei den Vagabunden?« – »Allerdings war er dabei, Sir,« antwortete einer der Bauern, »und mit Ew. Edlen des Herrn Generalprofoß Erlaubnis, wie wir schon gesagt haben, er war der erste, der den Schurken abschnitt, den Se. Majestät Gerechtigkeit verdientermaßen hatte aufknüpfen lassen.« – »Ich kann's bei Gott und dem heiligen Martin von Tours beschwören,« sagte ein anderer, »daß ich ihn mit ihnen gehen sah, als sie unsere Meierei plünderten.« – »Ja, aber der Heide war doch schwarz, Vater!« sagte ein Knabe, »und der hier ist weiß; der hatte ganz kurzes, krauses Haar und der hier hat schöne, lange Haare.« – »Das ist wohl wahr, Junge,« versetzte ein Bauer; »jener hatte auch einen grünen Mantel, und dieser hat ein graues Wams. Aber Ew. Edlen der Herr Profoß wissen ja selbst, daß diese Halunken ihr Gesicht wechseln können wie ihre Jacke, so daß ich doch immer noch der Meinung bin, es sei derselbe,« – »Es genügt,« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick, »daß Ihr gesehen habt, wie er sich bemüht hat, einen gerichteten Verbrecher ins Leben zurückzurufen. Trois-Echelles und Petit-André, macht Euch fertig!« – »Haltet ein, Herr Offizier!« rief der Jüngling in Todesangst; »hört mich an und laßt mich nicht schuldlos sterben! Mein Blut wird von Euch gefordert werden durch meine Landsleute in dieser Welt und durch die Gerechtigkeit des Himmels in der künftigen!« – »Ich werde meine Handlungen hier und dort zu verantworten wissen!« sagte der Profoß kaltblütig, indem er mit der linken Hand den Scharfrichtern ein Zeichen gab. Dann zeigte er mit boshaftem Lächeln auf seinen rechten Arm, den er in einer Binde trug, wahrscheinlich infolge des Schlages, den er am Morgen von Durward erhalten hatte. – »Elender, rachsüchtiger Bube!« rief Quentin, nunmehr überzeugt, daß er von ihm kein Mitleid zu erwarten habe. – »Der arme Junge ist nicht bei Sinnen!« sagte der Profoß: »sprich ihm doch ein tröstliches Wort zu, Trois-Echelles, ehe sein Hintritt erfolgt. Du stellst ja in dergleichen Fällen Deinen Mann, wenn es an einem Beichtvater fehlt. Nur eine Minute erteil ihm geistlichen Rat und Zuspruch und dann fort mit ihm! Ich muß jetzt die Runde machen – Soldaten, folgt mir!«

Der Profoß eilte nun mit seiner Wache fort, ein paar Mann ausgenommen, die zurückgeblieben, um bei der Hinrichtung behilflich zu sein. Der unglückliche Jüngling sah ihm verzweifelt nach und glaubte mit jedem verhallenden Hufschall die Möglichkeit einer Rettung schwinden zu sehen. Er schaute sich voll Todesangst um und sah zu seinem großen Erstaunen, daß seine Mitgefangenen in stoischer Gleichgiltigkeit verharrten. Anfangs hatten sie sämtlich Furcht gezeigt und zu fliehen gesucht; nachdem sie aber allem Anschein nach dem unvermeidlichen Tode entgegengingen, erwarteten sie ihr Schicksal mit unerschütterlichem Gleichmut. Die beiden Scharfrichter hatten Quentin zu dem Baume geschleppt und legten ihm die Schlinge um den Hals. Mit verstörtem Blick sah er sich ringsum. »Gibt es denn keinen guten Christen hier,« sagte er, »der es dem Ludwig Lesley von der schottischen Leibwache, hier zu Lande Balafré genannt, hinterbringen möchte, daß man hier seinen Neffen schändlich umbringt?«

Diese Worte waren zur rechten Zeit gesprochen; denn ein Bogenschütze von der schottischen Garde, den die Zurüstungen zur Hinrichtung herbeigelockt hatten, stand mit ein paar anderen zufälligen Passanten da, um zu sehen, was hier geschähe. – »Nehmt Euch in acht!« sagte er; »ist der junge Mensch hier vielleicht ein Schotte von Geburt, so solltet Ihr nicht solchen schlechten Spaß mit ihm treiben!« – »Gott behüt uns, Herr Reiter!« versetzte Trois-Echelles; »aber wir müssen tun, was man uns befohlen hat!« – »Das kürzeste Spiel ist immer das beste!« sagte Petit-André und wollte Quentin aufheben. Der aber hatte die tröstlichen Worte kaum vernommen, als er seine ganze Kraft aufbot und die beiden Schergen des Gesetzes auf die Seite warf und mit gebundenen Händen dem schottischen Bogenschützen entgegenlief. – »Steh mir bei, Landsmann!« sagte er in seiner Muttersprache, »um Schottlands und des heiligen Andreas willen! Ich bin unschuldig – bin Dein Landsmann! Steh' mir bei, wenn Du es nicht dereinst am jüngsten Tag zu verantworten haben willst!« – »Beim heiligen Andreas!« rief der Bogenschütze; »sie sollen nicht an Dich kommen, so lang ich lebe!« Mit diesen Worten zog er sein Schwert. – »Mach mich von den Stricken frei!« sagte Quentin, »und ich will mir schon allein helfen.«

Das war schnell geschehen, und Quentin sprang auf einen von der Wache des Profoßen los und entriß ihm die Hellebarde ... »Und nun,« rief er, »kommt heran, wenn Ihr es wagt!« – »Reite Du dem Generalprofoß nach!« sagte Trois-Echelles zu seinem Gefährten, »ich will sie einstweilen hier aufhalten. Soldaten von der Wache des Profoßen! Ergreift die Waffen!«

Petit-André bestieg sein Pferd und verließ den Schauplatz. Die übrigen Leute von dem Gefolge des Profoßen zogen sich auf Trois-Echelles Befehl eilig zusammen; bei der daraus entstandenen Verwirrung entschlüpften die beiden Gefangenen.

»Sagt mir doch,« wandte sich der Bogenschütze an den Scharfrichter, »was hat der junge Mensch denn eigentlich verbrochen?« – »Er hat sich unterfangen, den toten Körper eines Verbrechers abzunehmen, trotzdem der Baum, an dem ich ihn aufgehängt hatte, mit der Lilie bezeichnet war.« – »Junger Mann?« sagte der Bogenschütze, »wie kommt Ihr dazu, solche Ungebühr zu verüben?« – »So wahr ich Euren Schutz wünsche,« antwortete Durward, »will ich Euch die Wahrheit sagen, wie meinem Beichtiger. Ich sah einen Mensch an dem Baume zappeln und schnitt ihn ab, aus bloßer Menschenliebe. Ich habt weder an die Lilie noch sonst eine Blume gedacht, oder gar, daß ich dadurch den König von Frankreich, oder unsern heiligen Vater, den Papst beleidigte.«

»Aber zum Henker, was ging Dich denn der tote Körper an? Wohin der Herr hier den aussetzt, dort wirst Du dergleichen immer wie Aepfel an den Bäumen hängen sehen, und Du hättest wahrscheinlich hier zu Lande viel zu tun, wenn Du hinter dem Henker eine Aehrenlese halten wolltest. – Ein Wort, Herr Gerichtsmann! Es ist ein Mißverständnis, wie Ihr seht. Ihr solltet Mitleid haben mit einem so jungen Reisenden. In unsrem Lande, zu Hause, ist er nicht gewohnt gewesen, dergleichen schnelle Prozeduren, wie die Euren und die Eures Meisters sind, zu sehen.« – »Weil sie dort etwa nicht nötig wären? Nein! Herr Bogenschütze!« sagte Petit-André, der in diesem Augenblicke zurückkehrte. »Nicht gewankt, Trois-Echelles! Da kommt der Generalprofoß. Wir werden's gleich sehen, wie er's anfangen wird, daß ihm das Werk aus der Hand genommen worden, eh' es noch vollendet war.« – »Da kommen ja auch noch zu gelegener Zeit ein paar von meinen Kameraden!« versetzte der Bogenschütze. Wirklich nahten, als der Profoß Tristan mit seiner Patrouille auf der einen Seite des Hügels, der der Schauplatz des Streits war, heraustritt, vier oder fünf Bogenschützen auf der andern mit Balafré an ihrer Spitze.

In dieser dringlichen Lage zeigte Lesley keineswegs Gleichgültigkeit gegen seinen Neffen; denn kaum hatte er bemerkt, daß derselbe in peinlicher Not war, als er rief: »Cunningham, ich danke Dir! Kameraden! Steht mir bei! Es ist ein junger schottischer Edelmann, mein Neffe – Lindesay! Guthrie! Tyrie! Zieht und haut ein!« Nun war alle Aussicht zu einem verzweifelten Kampfe zwischen beiden Parteien da, die zwar an Zahl nicht gleich waren; allein die besseren Waffen der Schotten konnten ihnen doch vielleicht zum Siege verhelfen. Aber der Generalprofoß, entweder weil er den Ausgang des Gefechts fürchtete, oder weil er sorgte, es möchte dem König unangenehm sein, daß es zwischen seinem Profoßen und seiner Leibgarde zu Blutvergießen gekommen, gab seinem Gefolge ein Zeichen, keine Gewalt zu gebrauchen, stellte aber Balafré die Frage, was denn er, als ein Ritter von der königlichen Leibwache damit bezwecke, sich der Hinrichtung eines Verbrechers zu widersetzen? – »Ich leugne, daß dem so ist!« versetzte Balafré. »Beim heiligen Martin! es ist doch ein Unterschied zwischen der Hinrichtung eines Verbrechers und der Ermordung meines eigenen Neffen!« – »Euer Neffe kann ebensogut ein Verbrecher sein, wie jeder andere!« sagte der Generalprofoß; »und jeder Fremde ist den Gesetzen Frankreichs unterworfen.« – »Ja, aber wir haben Privilegien, wir schottischen Bogenschützen,« sagte Balafré; »ist dem nicht so, Kameraden?« – »Allerdings, allerdings!« riefen alle zugleich. »Privilegien – Privilegien! Lang lebe der König Ludwig! Und Tod allen, die uns unsere Vorrechte schmälern wollen!« – »Aber seid doch nur vernünftig, Ihr Herren!« sagte der Generalprofoß; »und bedenkt meinen Auftrag!« – »Von Euch nehmen wir keine Vernunft an!« entgegnete Cunningham, »unsere eigenen Offiziere sollen uns Vernunft lehren. Wir wollen gerichtet sein von des Königs Gnaden, oder durch unsern eigenen Kapitän, da jetzt der Großkonnetable nicht zugegen ist.« »Und von niemand gehängt werden,« sagte Lindesay, »als von Sandie Wilson, dem alten Profoß von unserm eigenen Korps.« – »Aber so hört doch nur!« sagte der Generalprofoß: »der junge Mensch tat ja Euch gar nichts an und kann keine Ansprüche machen auf das, was Ihr Eure Privilegien nennt.« – »Er ist mein Neffe,« sagte Balafré mit triumphierender Miene. – »Aber soviel ich weiß, kein Bogenschütze von der Leibwache,« versetzte Tristan l'Hermite.

Die Bogenschützen sahen zweifelhaft einander an ... »Nur standhaft, Vetter,« flüsterte Cunningham Balafré zu, »sprich, er sei bei uns angeworben.« – »Beim heiligen Martin! Du hast recht, Vetter!« entgegnete Lesley, und mit lauter Stimme schwur er nun, daß er diesen Tag seinen Verwandten als Gefolgsmann angenommen habe.

Diese Erklärung war ein entscheidender Beweisgrund, und Profoß Tristan, der des Königs Besorgnis vor einem Zwiste unter seiner Leibwache kannte, brach mit seinen Leuten auf, indes die Bogenschützen zurückblieben und eilig beratschlagten, was nun zunächst zu tun sei. »Vor allen Dingen,« hieß es, »müssen wir die Sache unserm Kapitän Crawford berichten und dann den Namen des jungen Menschen in unsere Liste eintragen lassen.«

»Aber, werte Freunde und Retter,« sagte Quentin, wie wenn er nicht recht mit der Sprache herauswollte, »ich habe mich ja noch gar nicht entschieden, ob ich bei Euch überhaupt in Dienste treten will oder nicht.« – »Dann mußt Du darüber eins werden, ob Du's tun oder hängen willst,« versetzte sein Oheim; »denn sonst, lieber Neffe, bleibt Dir wohl kaum ein Ausweg aus dieser Klemme übrig.«

Das war ein unwiderleglicher Beweisgrund, der Quentin in die Notwendigkeit versetzte, sich in eine Verpflichtung zu fügen, in die er sonst nicht gern gewilligt hätte.

»Jetzt zum Schlosse!« sagte Balafré; »unterwegs soll uns mein Neffe erzählen, wie er sich den Generalprofoß auf den Hals gehetzt hat, damit wir wissen, wie wir unsern Bericht an Crawford einzurichten haben.«

Siebentes Kapitel

Als sie näher an das Schloß heran kamen, öffnete sich das kleine Pförtchen im Tore, und die Zugbrücke fiel. Einer nach dem andern ritt hinein; die Schildwachen aber kreuzten ihre Piken vor Quentin und befahlen ihm, Halt zu machen, während von den Wällen Bogen gegen ihn gespannt und Arkebusen auf ihn gerichtet wurden – trotzdem der Jüngling in Begleitung des nämlichen Korps einritt, das die Schildwachen, die auf dem Posten standen, gestellt hatte.

Balafré war seinem Neffen zur Seite geblieben und gab die nötigen Erklärungen; endlich wurde der Jüngling unter starker Bedeckung in Begleitung Balafrés und Cunninghams nach der Wohnung Crawfords gebracht.

Dieser schottische Edelmann war einer der letzten Ueberreste jenes tapfern Stammes schottischer Lords und Ritter, der Karl dem Sechsten so lang und treu in den blutigen Kriegen gedient hatte, durch welche die Unabhängigkeit der französischen Krone und die Vertreibung der Engländer entschieden worden war. Schon als Knabe hatte er unter Douglas und Buchanan gefochten, hatte unter der Fahne der Johanna d'Arc gestanden und war vielleicht einer der letzten der schottischen Ritterschaft gewesen, die so willig ihre Schwerter für die Lilie der Bourbonen gegen ihren alten englischen Erbfeind gezogen hatte.

Lord Crawford war schlank, schon bejahrt und ziemlich hager und dürr. Indes hatten seine Glieder, wenn auch nicht die Geschmeidigkeit, so doch die Kraft der Jugend behalten, und er konnte das Gewicht seiner Rüstung noch immer so gut tragen, wie der jüngste Mann in seinem Gefolge. Seine Züge waren etwas grob, sein Gesicht mit Narben bedeckt und von der Sonne stark gebräunt. Sein Blick, der dem Tod in dreißig großen Schlachten ins Angesicht geblickt hatte, drückte mehr gutmütige Verachtung der Gefahr als den wilden Söldnermut aus. Seine hochaufgerichtete Gestalt war eben in einen weiten Schlafrock gehüllt, den ein büffellederner Gürtel umschloß, an dem ein mit kostbarem Griffe versehener Dolch hing. Um den Hals trug er die Kette und das Zeichen des St. Michaels-Ordens. Er saß auf einer Art von Kanapee, das mit einer Wildhaut bedeckt war, und las, eine Brille auf der Nase – damals eine neue Erfindung – mit Anstrengung ein großes Manuskript, »le Rosier de la guerre« genannt – ein Gesetzbuch für militärische und bürgerliche Polizei, das Ludwig zum besten seines Sohnes, des Dauphins, hatte zusammentragen lassen und worüber er die Meinung des erfahrenen schottischen Kriegers zu hören wünschte.

Lord Crawford legte sein Buch etwas verdrießlich beiseite, als der unerwartete Besuch eintrat, und fragte in seinem breiten Dialekt: »Was ins Teufels Namen wollt Ihr denn?«

Balafré schilderte nun umständlich die Lage, in der sich sein Neffe befand, und bat demütig um Schutz für ihn. Crawford hörte aufmerksam zu und konnte nicht umhin, über die Einfalt zu lächeln, womit der Jüngling sich des Verbrechers angenommen hatte; allein er schüttelte den Kopf bei dem Berichte über den Streit zwischen den schottischen Bogenschützen und der Wache des Generalprofoßen.

»Wie oft,« sagte er, »werdet Ihr mir noch solche Knäuel zu entwirren bringen? Wie oft soll ich's Euch wiederholen, Ludwig Lesley und Archie Cunningham, daß sich die fremden Truppen bescheiden und anständig benehmen sollen gegen das Volk des Landes, sofern sie nicht alle Hunde der Stadt an ihren Fersen haben wollen? Immerhin ist mir's lieber, daß Ihr mit dem Profoß, als jemand anders in Streit geraten seid. Zudem war es natürlich von Euch, Eurem Verwandten beizuspringen, denn der einfältige Bursche konnte in arge Verlegenheit geraten. Langt mir die Musterrolle der Kompagnie von dem Gesims; wir wollen seinen Namen gleich auf die Liste setzen.«

»Wenn Ew. Herrlichkeit erlauben« – hub Durward an – »Ist der Bursche toll?« rief sein Oheim. »Will er etwa mit Seiner Lordschaft sprechen, ohne daß er gefragt worden ist!« – »Geduld, Ludwig!« sagte Lord Crawford; »wir wollen doch hören, was der Bursche zu sagen hat.«

»Mit Ew. Herrlichkeit Erlaubnis,« versetzte Quentin, »ich habe meinem Oheim früher gesagt, ich hätte einige Bedenken, in diesen Dienst zu treten. Jetzt aber kann ich wohl sagen, daß sie gehoben sind, seit ich den edlen und erfahrenen Befehlshaber gesehen habe, unter dem ich dienen soll; in Euren Blicken, Ew. Herrlichkeit, liegt Ehrfurchtgebietendes.«

»Wohlgesprochen, Bursche!« sagte der alte Lord, nicht unempfänglich für solche Artigkeit; »Gott hat uns einige Erfahrung verliehen, und wir lassen es uns angelegen sein, sie zum besten unseres Königs auszunützen und zu mehren ... Ihr steht also nun unter unserm würdigen Korps der schottischen Leibgarde, als Knappe Eures Oheim und unter seiner Lanze dienend. Ich denke, Ihr sollt's gut haben; denn Ihr müßt ein tüchtiger Kämpfer werden, da Ihr aus einem edlen Stamme entsprossen seid. Ludwig, sorge dafür, daß Dein Verwandter fleißig den Waffenübungen beiwohnt; denn wir werden wohl, denk' ich, in diesen Tagen ein Lanzenstechen haben.« – »Das freut mich, bei meinem Degenknopf! denn der faule Friede macht uns alle zu feigen Memmen.« – »Ich hab ein Vöglein pfeifen hören,« sagte Lord Crawford, »daß das alte Banner wieder im Felde flattern werde.« – »Nun, bei dem Ton,« sagte Balafré, »tu ich schon heut abend einen herzhaften Schluck!« – »Das tust Du ja bei jedem Ton,« entgegnete Lord Crawford; »ich fürchte, Ludwig, Du wirst einmal einen bittern Schluck von Deinem eignen Gebräu trinken.«

Lesley, ein wenig beschämt, erwiderte, daß er schon mehrere Tage sehr mäßig gelebt habe, allein Se. Herrlichkeit kenne ja selbst die Sitte der Kompagnie: dem neuen Kameraden zu Ehren ein Gelage zu halten und auf sein Wohlsein anzustoßen.

»Du hast recht,« sagte der alte Befehlshaber, »ich hatte das vergessen. Ich will Euch zu Eurem Schmause ein paar Maß Wein schicken, aber mit Sonnenuntergang soll das Fest zu Ende sein. Im Vertrauen gesagt, seht zu, daß die Soldaten, die den Dienst haben, sorgfältig ausgemustert werden, und daß keiner von ihnen an dem Gelage teilnehme.« – »Ew. Herrlichkeit Befehl soll pünktlich befolgt werden,« sagte Ludwig; »wir werden schuldigermaßen auf Eure Gesundheit trinken.«

»Es kann sein, daß ich selbst auf ein paar Minuten zu Eurem Feste komme,« versetzte Lord Crawford, »und wär's auch nur, um mich zu überzeugen, daß alles maßvoll zugeht.«

Jetzt kam es darauf an, den Jüngling so schnell wie möglich in die Uniform der Leibwache zu stecken und zu bewaffnen. Bei dem Bankett selbst ging es sehr lustig zu, und die Gäste ließen ihrer Nationalneigung freien Lauf. Es wurden alte schottische Lieder gesungen, alte Geschichten aus der Heldenzeit Schottlands erzählt; die stolzen Taten der Ahnen und die Ereignisse, bei denen sie eine Rolle gespielt hatten, kehrten in ihre Erinnerung wieder, und auf eine Zeitlang gewann die Ebene der Touraine geistige Verwandtschaft mit dem öden Hochlande Schottland. Als die Begeisterung auf den höchsten Gipfel gestiegen war, erschien Lord Crawford, der schon lange bei dem Mahle des Königs, dessen Gast er, wie immer, war, wie auf Kohlen gesessen hatte, um sich zu dem kleinen Feste seiner Leibgarde begeben zu können. Am obersten Ende der Tafel war eine Art Ehrenplatz für ihn hergerichtet worden, denn nach der Sitte des Zeitalters und gemäß der innern Verfassung des Bogenschützen-Korps war es dem Kapitän desselben nicht verwehrt, an einem und demselben Tische mit den Untergebenen zu sitzen und sich an festlichen Gelagen in ihrer Mitte zu zeigen. Mithin vergab sich auch Lord Crawford in seiner Kapitänswürde nichts durch seine Gegenwart. Indessen lehnte er es heute ab, sich auf den für ihn bestimmten Ehrenplatz zu setzen. Er richtete ein paar freundliche Begrüßungsworte an die versammelten Bogenschützen, bat sie, sich in ihrem Vergnügen nicht stören zu lassen, und wohnte stehend dem weitern Verlaufe desselben bei; auf seinem Gesicht malte sich aber unverkennbar die Freude, die er an seinem Bogenschützenkorps hatte. Er unterließ auch nicht, auf das Wohl des neu eingestellten Kameraden zu trinken, was begreiflicherweise ein helles Jubelgebraus hervorrief. Sodann machte er dem Korps Mitteilung, daß der König, infolge Fürsprache des Meisters Oliver, dem Generalprofoßen Befehl erteilt habe, jegliches Verfahren gegen Quentin Durward einzustellen und die Privilegien der schottischen Leibgarde, wie in jedem andern, so besonders auch in diesem Falle unversehrt zu halten.

Hierüber erklang abermaliges Jubelgeschrei aus aller Kehlen, die Becher kreisten von neuem; dann wurde von Balafré auf Lord Crawfords und von diesem auf die Gesundheit König Ludwigs angestoßen, dann zog Lord Crawford den jungen Schotten ins Gespräch und ließ sich von ihm über die alte Heimat und die unter den dortigen Geschlechtern bestehenden Verhältnisse berichten und betonte, daß die Liebe zu Geselligkeit und für Tafelfreuden nicht die schlechteste unter den Bräuchen der Schottländer sei, daß aber junge Leute nichtsdestoweniger gut täten, beides mit einem gewissen Grade von Vorsicht zu üben, weil sie gar zu leicht in ein bedenkliches Uebermaß dabei verfielen, usw.; indessen hinderten den edlen Lord diese weisen Worte nicht, jeden Satz durch einen kräftigen Schluck zu befeuchten und bei jedem Becher, den er leerte, den jungen Schotten zum »Nachkommen« zu animieren. Allmählich wurde ihm dann die Zunge zu schwer, und als dies Cunningham und Balafré bemerkten, hielten sie den rechten Augenblick für gekommen, die Versammlung zum Jubeltoast auf die Oriflamme, das königliche Banner von Frankreich, und auf ihre baldige Entfaltung aufzufordern ... »In burgundischer Luft, wohlverstanden!« ergänzte Lindesay den Toast der beiden Kameraden, und Lord Crawford nahm das Wort zu folgender Ansprache: »Mit ganzer Seele und aller Geisteskraft, über die dieser morsch gewordene Leib noch gebietet, stimme ich in den Spruch der Kameraden ein, und hoffe, so alt ich nun auch bin, die Oriflamme Frankreichs noch einmal flattern zu sehen. Kameraden und treue Diener der Krone Frankreichs! warum sollte ich Euch vorenthalten, daß gestern vom Herzog Karl eine Gesandtschaft hier eingetroffen ist, die eine höchst schlimme Botschaft überbracht hat?«

Einer von den Bogenschützen, Gutherie, sprang auf ... »Unten im Gasthofe bei der Maulbeerhecke halten die Rosse des Grafen von Crevecoeur, der Graf selbst mit Gefolge soll sich beim Könige bereits gemeldet, der König aber soll ihm die Audienz verweigert haben.« – »Na, soll ihm der Himmel nur eine recht ungnädige Antwort mit auf den Heimweg geben!« rief Balafré ... »aber mit welcher Beschwerde ist er denn hergekommen?« – »Ueber allerhand Dinge,« erwiderte Crawford, »die an der Grenze vorgefallen sein sollen; zuletzt aber darüber, daß unser König einer Dame, die aus Dijon geflüchtet sei, einer jungen burgundischen Gräfin, seinen Schutz habe angedeihen lassen, während der Herzog sie als seine Pflegetochter an den Grafen de Campobasso habe verkuppeln wollen.« – »Ist denn die Dame ganz allein nach Frankreich hinübergekommen?« fragte Lindesay. – »Ganz allein nicht,« erwiderte Lord Crawford, »sondern mit einer älteren Verwandten, auch einer Gräfin, die sich in dieser Angelegenheit dem Willen der jüngeren gefügt und die Reise mit ihr zusammen unternommen hat.«

»Aber wird sich denn der König als Lehnsherr des Herzogs in solchen Streit zwischen ihm und seinem Mündel einlassen?« fragte Cunningham, »der Herzog hat doch über sie das gleiche Recht, das dem Könige nach dem Ableben des Herzogs zustände?« – »Der König wird sich wohl in diesem Falle, wie immer, von den Regeln der Politik bestimmen lassen,« bemerkte Crawford, »und bekannt ist Euch wohl, daß er die beiden Gräfinnen nicht offiziell empfangen, sondern unter den Schutz seiner Tochter, der Madame von Beaujeu, oder der Prinzessin Johanna zu stellen geruht hat.« – »Der Burgunder will von Politik aber nie was wissen,« meinte Gutherie, »und so kann's wohl sein, daß sie mal aneinander geraten.« – »Mag der heilige Andreas dazu helfen!« riefe Balafré; »ich hab's mir schon seit zwanzig Jahren prophezeit, daß ich das Glück meines Hauses noch einmal durch eine Heirat mache. Wer weiß, was passiert, wenn wir noch einmal für Ehre und Frauenliebe in den Kampf ziehen, nach dem Motto der alten Romanzen und Rittergesänge?« – »Du willst noch von Frauenliebe faseln mit Deiner Narbe über der Nase?« spottete Gutherie. – »Halt, Kameraden!« rief Crawford, »hier ist der Ort nicht, um mit scharfen Waffen zu fechten oder auch nur einander mit bitterm Spott zu regalieren. Hier sind wir alle zusammen gute Freunde, und was die junge Dame anbetrifft, so ist sie für einen armen schottischen Lord viel zu reich, sonst möchte ich mich schließlich trotz meiner sechzig Jahre selbst um ihre Hand bewerben. Indessen eins können wir tun, nämlich einen Humpen leeren auf ihre Gesundheit! denn sie soll, wie es heißt, ein wahres Lumen von Schönheit sein.« – »Ich dürfte sie,« sagte ein andrer der Bogenschützen, »heut morgen gesehen haben, als ich auf Barrierenwache war. Aber sie sah da mehr aus wie eine dunkle Laterne statt wie ein Licht; denn man trug sie in geschlossener Sänfte nach dem Schlosse.« – Lord Crawford erhob verweisend die Hand und rief, zu dem Sprecher gewandt: »Was sind das für Reden, Arnot? Schämt Euch! welcher Soldat spricht wohl darüber, was er auf seinem Posten sieht? Zudem könnt Ihr doch gar nicht wissen,« setzte er hinzu, »ob sich da grade die Gräfin Isabella in der Sänfte befunden hat?« – »Nun, Mylord,« erwiderte Arnot, »ich kann bloß sagen, daß mein Trabant grade die Pferde im Dorfe herumführte, und dabei dem Eseltreiber Donquin in den Weg lief, der die Sänften wieder nach dem Gasthofe brachte, weil sie dem Lilienwirte gehörte, und da sah ich, wie der Donquin sich einen Humpen Wein vom Wirt geben ließ und den Saunders Steed bat, ihm als alter Bekannter Bescheid zu tun, und der Saunders Steed machte gar keine Umstände, sondern tat ihm auf der Stelle Bescheid ...« – »Auf der Stelle,« wiederholte Lord Crawford, »aber das sage ich Euch, meine Herren! so etwas kommt mir nicht wieder vor, sondern ich verlange, daß es anders in dieser Hinsicht mit Euch werden muß! Eure Trabanten und Burschen sind viel zu schnell bei der Hand, mit jemand ein Glas zu leeren. In Kriegszeiten ist das aber eine gar nicht so ungefährliche Sache! Indessen meine ich, lieber Arnot, wir machen Eurem Berichte, der sich ein wenig in die Länge zu ziehen droht, durch einen kräftigen Schluck ein schnelles Ende. Der Gräfin Isabelle von Croye soll's gelten! und den Wunsch wollen wir damit verbinden, daß es ihr vom Schicksal beschieden sein möge, einen bessern Gatten zu bekommen als den elenden, italienischen Schurken Campobasso. Und nun, Kamerad Arnot, was hat denn der Eseltreiber zu Deinem Trabanten gesprochen?« – »Mit Eurer Herrlichkeit Verlaub,« erwiderte Arnot; »die beiden Damen, die er in den Sänften ins Schloß getragen habe, sagt er, seien gar große Damen gewesen und hätten sich ein paar Tage inkognito im Hause seines Herrn aufgehalten, und der König habe sie auch mehr denn einmal mit seinem Besuche beehrt und ihnen immer große Aufmerksamkeiten erwiesen. Seiner Meinung nach hätten sie sich in das Schloß geflüchtet aus Furcht vor dem Grafen Crevecoeur, dem Gesandten des Burgunders, dessen Ankunft soeben durch einen vorausgeeilten Kurier gemeldet worden wäre.«

»Was Du sagst, Kamerad!« rief da Gutherie, »da sollte man doch meinen, daß es niemand anders als die Gräfin Isabelle gewesen sei, die zur Laute sang, als ich über den Hof ging! Die Musik kam aus den Nebenfenstern des Dauphinturms, und etwas so Liebliches ist wohl im Schlosse Plessis noch nie vernommen worden. Meiner Treu! ich habe gedacht, die Musik käme von niemand als von der Fee Melusine ... Ich hab, trotzdem ich wußte, daß der Tisch für uns schon gedeckt sei, mich wahrhaftig nicht vom Flecke weg rühren können, sondern stand da, wie ... wie ...« – »Wie ein Esel, mein lieber Guthrie,« fiel ihm Lord Crawford ins Wort, »Du hast die Mahlzeit mit Deiner langen Nase gerochen, und die Musik gehört mit Deinen langen Ohren, aber Dein kurzer Verstand hat nicht ausgereicht, Dir zu sagen, wofür Du Dich entscheiden sollst ... Doch schallt da nicht die Glocke von der Kathedrale zur Vesper herüber? es kann doch, weiß der Herr! noch nicht Vesperzeit sein? Da muß der Küster ja um eine ganze Stunde zu zeitig geläutet haben!« – »Nicht doch,« rief Cunningham, »die Glocke erklingt schon zur rechten Zeit! an der westlichen Seite der herrlichen Ebene geht ja schon die Sonne unter.« – »Du hast recht, Cunningham,« erwiderte Lord Crawford; »na, Bursche! wir müssen uns mehr an regelmäßiges Leben halten, denn im Guten kommt man am weitesten ... und ein gutes, altes Sprichwort sagt: langsames Feuer dörrt das Malz recht. Also zum Schluß noch einen vollen Humpen auf Altschottlands Wohl! Dann jeder wieder auf seinen Posten!«

Der Abschiedstrunk! wurde geleert, dann entfernten sich die Soldaten; unter dem Vorwande, ihm ein paar Weisungen noch für seinen Neffen zu geben, in Wahrheit aber, um seinen wankenden Gang geschickt zu verheimlichen, nahm der greise Lord Balafrés Arm und schritt in höchst zeremoniöser Haltung über die beiden Höfe, die seine Behausung von dem Bankettsaale trennten. Aber mit wuchtigen Worten empfahl er vorm Auseinandergehen dem Oheim die gewissenhafteste Fürsorge für den Neffen, besonders da, wo Wein und Weiber in Betracht kämen ... Dem Neffen dagegen war von den Worten, die über die schöne Gräfin Isabelle gesprochen worden waren, nicht das geringste entgangen, und kaum war er in die kleine Zelle getreten, die er hinfort als Page seines Oheims beziehen sollte, so versank er in tiefes Sinnen; und wenn der Leser sich vorstellt, daß er allerhand Luftschlösser gebaut habe in der Annahme, die Dame im Turme, deren Gesänge er mit so großer Teilnahme gelauscht habe, sei einunddieselbe mit der schönen Mundschenkin des Meisters Peter, die vor den Nachstellungen eines verhaßten, von einem tyrannischen Vormunde gehätschelten Liebhabers geflohen sei und sich nun als Gräfin entpuppte, so tut er wahrlich dem jungen Schotten nicht das geringste Unrecht. Daß auch Meister Peter in diesem Luftschloß in einem Zwischensspalte auftrat und eine Rolle darin spielte, die nicht eben nett war, wird nicht weiter befremden, auch wenn sie im Zusammenhange stand mit dem Henkerstricke, dem Ouentin kaum erst mit heiler Haut entgangen war ... Endlich aber wurde der Jüngling aus seinen Träumen gerissen durch den kleinen Will Harper, seinen Stubenkameraden, der ihm die Weisung seines Oheims brachte, sich nun endlich aufs Ohr zu legen und Kräfte für den andern Tag zu sammeln, an welchem er seinen Dienst anzutreten habe.

Achtes Kapitel

Kaum hatte die Sonne den Weg in die kleine Zelle gefunden, so war auch Durward von seinem Lager aufgesprungen, um in die stattliche Tracht zu fahren, die er hinfort als Page seines Oheims Balafré tragen sollte, und auf die er auch mit allem Recht stolz sein durfte, denn sie war vom Oheim auf das vornehmste und reichlichste bemessen worden ... »Na, Junge,« rief Balafré, sich lustig die Hände reibend, »zeigst Du Dich ebenso treu und tapfer, wie sich Dein Aussehen nett und schmuck macht, dann werde ich an Dir den prächtigsten Pagen des ganzen Korps haben! Aber nun folge mir ins königliche Vorzimmer, doch halte Dich immer mir zur Seite!«

Mit diesen Worten nahm er seine wuchtige, und doch kunstvoll verzierte Partisane und gab seinem Neffen eine leichtere, aber sonst der seinigen völlig gleiche Waffe derselben Art in die Hand. Dann begaben sie sich in den inneren Palasthof, woselbst ihre Kameraden, denen die Wache in den inneren Gemächern oblag, bereits Aufstellung genommen hatten. Auf einen Wink setzten die Garden sich unter Balafrés Befehl – der bei solchen Anlässen Offiziersdienst verrichtete, – in Marsch nach dem Audienzgemache, in welchem der König selbst erwartet wurde. So neu auch Quentin dergleichen Auftritte waren, so fand er sich doch durch das, was er jetzt erblickte, in seinen Erwartungen empfindlich getäuscht, denn er hatte sich von einem Königshofe eine ganz andere Vorstellung gemacht. Freilich waren reichkostümierte Offizianten des königlichen Haushaltes anwesend; auch an vorzüglich bewaffneten Wachen war kein Mangel; was er aber nicht erblickte, das waren die Berater der Krone, die alten Reichsräte, die hohen Kronbeamten; was er nicht hier hörte, waren die Namen der Adelinge und Ritter, der Feldherrn und Kommandanten, der jungen, nach Ehre und Ruhm dürstenden Söhne des Vaterlands. Diese strahlenden Kreise hielt des Königs eifersüchtige Natur, seine Zurückhaltung, seine künstliche Politik von seinem Throne fern; bloß bei ganz besonders festlichen Anlässen wurden sie entboten, aber gleich wieder entlassen, wenn die Ursache geschwunden war, der sie ihr Aufgebot verdankten, und keinem tat es leid darum, denn sie zogen alle wieder erleichterten Sinnes von dannen, wie die Tiere in der Fabel, die dem Löwen in seiner Höhle ihre Aufwartung machen müssen, aber froh sind, wenn sie wieder hinaus dürfen.

Die wenigen Männer, die Quentin Durward an diesem Königshofe in der Würde eines Rates der Krone zu bemerken Gelegenheit bekam, waren von niedrigem Aussehen, hatten Gesichter, aus denen nicht selten gemeine Verschlagenheit sprach, und verrieten durch ihre Manieren, daß sie aus niedriger Sphäre in einen Kreis gezogen worden waren, wohin sie, sowohl ihrer Erziehung, wie ihrer früheren Lebensweise nach, ganz und gar nicht paßten. Balafrés Dienst war hier so streng nicht, daß er sich nicht hätte erlauben dürfen, seinen Neffen mit den Namen derjenigen bekannt zu machen, die ihm vor allem in die Augen fielen: Mit Lord Crawford, der in seiner reichen Uniform ebenfalls zugegen war und in seiner Rechten einen schweren silbernen Stab trug, war Quentin Durward an dem zu seinen Ehren veranstalteten Gelage bekannt gemacht worden. Unter den anderen, die einen höheren Rang inne zu haben schienen, war Graf Dunois der bemerkenswerteste: der Sohn jenes berühmten Dunois, der als »Bastard von Orleans« unter den Fahnen der Johanna D'Arc an Frankreichs Befreiung von englischem Joche teilgenommen hatte. Der Sohn verstand es geschickt, den Ruhm des Vaters zu behaupten, und Ludwig der Elfte mied ihn ungern, im Kronrate sowohl wie in seiner persönlichen Gesellschaft. Er war in allen ritterlichen Künsten damaliger Zeit wohlgeübt, besaß auch alle ritterlichen Tugenden, war aber von Gestalt nichts weniger als ein schöner, stattlicher Herr, und auf keinen Fall ein Muster fränkischer Eleganz. Er war wohl stark und kräftig, aber von ziemlich kleiner Gestalt; seine Beine hatten die häßliche Form des lateinischen O, waren also besser geeignet für einen Reiter als einen Fußsoldaten. Seine Schultern waren breit, sein Haar schwarz, seine Gesichtsfarbe dunkelbraun, seine Arme ungewöhnlich lang und nervig. Seine Gesichtszüge waren nicht regelmäßig, sogar häßlich; indessen lag doch in seinem ganzen Wesen ein Ausdruck von Selbstgefühl und Adel, der auf den ersten Blick den hochgeborenen Mann und den unerschrockenen Krieger zu erkennen gab. Seine Haltung war kühn und aufrecht, sein Schritt frei und männlich, und das Rauhe in seinen Zügen gewann durch den Adlerblick und die Löwenstimme des Mannes eine ganz besondere Würde. Sein Anzug bestand in einem Jagdkleide, das mehr kostbar als schön war.

Gestützt auf Dunois' Arm, erschien Ludwig, Herzog von Orleans, mit langsamem und schwerem Schritte. Dieser Prinz, der eifersüchtig bewachte Gegenstand von Ludwigs Argwohn, im Falle des Fehlens männlicher Nachkommenschaft des Königs Thronerbe, durfte sich nicht vom Hofe entfernen, und doch ward ihm, während er sich dort aufhielt, jede Anstellung und jeder Einfluß verweigert. Die Niedergeschlagenheit, welche sein entwürdigender, einer Gefangenschaft ähnlicher Zustand natürlich über das ganze Wesen dieses unglücklichen Prinzen verbreiten mußte, ward noch im hohen Grade dadurch vermehrt, daß der König mit einer der grausamsten, ungerechtesten Handlungen umging. Er wollte ihn nämlich zwingen, der Prinzessin Johanna von Frankreich, mit der er in seiner Kindheit verlobt worden war, seine Hand zu reichen.

Das Aeußere dieses unglücklichen Prinzen zeichnete sich in keiner Hinsicht vorteilhaft aus; allein er hatte einen Ausdruck von Sanftmut, Milde und Wohlwollen, der sich selbst unter dem Schleier der äußersten Niedergeschlagenheit, mit dem sein Charakter umhüllt war, nicht verkennen ließ. Ganz verschieden von letzterem war das Benehmen des stolzen Kardinals und Prälaten, Johann von Balue, des damals begünstigten Ministers Ludwigs. Ludwig hatte diesen Minister aus dem niedrigsten Stande zu der Würde, oder wenigstens dem Genusse der Pfründe eines Großalmoseniers von Frankreich erhoben, ihn mit Wohltaten überhäuft und ihm sogar den Kardinalshut verschafft. Der Kardinal war durch diese Auszeichnung dem Irrtume derer nicht entgangen, die aus einer niedrigsten Sphäre zu Macht und Ehre erhoben werden, und lebte damals der Ueberzeugung, daß seine Talente ihn zu jederlei Angelegenheiten befähigten, selbst zu solchen, die seinem Stande und seinen Studien auch noch so fern lägen. Groß und plump, wie er war, befliß er sich dennoch einer gewissen Galanterie und Bewunderung für das schöne Geschlecht. Irgend ein Schmeichler oder eine Schmeichlerin hatten ihm in einer unglücklichen Stunde in den Kopf gesetzt, daß ein Paar plumpe, unförmliche Beine, die von seinem Vater, einem Fuhrmanne von Limoges, als Erbstück auf ihn übergegangen waren, eine besondere Schönheit in ihren Umrissen verrieten. Diese Idee hatte ihn dergestalt betört, daß er seinen Kardinalsrock beständig auf einer Seite etwas aufgehoben trug, damit sein plumper Gliederbau dem Auge ja nicht entgehen könne. – »Weiß es der König,« fragte Dunois den Kardinal, »daß der burgundische Gesandte auf eine unverzügliche Antwort dringt?« – »Ja, er weiß es,« antwortete der Kardinal, – »und hier kommt eben der allgenügsame Oliver Dain, um uns mit dem Willen Sr. Majestät bekannt zu machen.«

Als er so sprach, trat der merkwürdige Mann, der damals die Gunst Ludwigs mit dem stolzen Kardinal teilte, aus dem inneren Gemache, aber ohne sich die wichtigtuende, bedeutsame Miene zu geben, die der aufgeblasene, übermütige Diener der Kirche annahm. Im Gegenteil war dies ein kleines, blasses, schmächtiges Männchen, dessen schwarzseidenes Jäckchen und Beinkleid, ohne Oberkleid, Mantel oder Ueberwurf, wenig geeignet waren, eine ganz gewöhnliche Gestalt etwas zu ihrem Vorteil herauszuheben. Er trug ein silbernes Becken in der Hand und ein über den Arm geworfenes Handtuch deutete seinen niedrigen Beruf an. Sein Blick war durchdringend und scharf, obgleich er diesen Ausdruck aus seinen Gesichtszügen zu verbannen suchte, indem er die Augen beständig zu Boden schlug, während er mit dem verstohlenen, leisen Tritt einer Katze mehr durch das Zimmer hinschlich als ging.

Nachdem er auf ein paar Augenblicke angelegentlich mit dem Grafen Dunois gesprochen hatte, verließ dieser sogleich das Zimmer, und der Barbier schlich wieder in das königliche Gemach zurück, während er Ludwig Lesley ein Wörtchen ins Ohr flüsterte, daß seine Angelegenheit günstig beigelegt wäre.

Gleich nachher erhielt er die Bestätigung dieser angenehmen Nachricht; denn Tristan l'Hermite, Generalprofoß der königlichen Hofhaltung, trat ein und ging gerade auf Balafré zu. Der reiche Anzug dieses furchtbaren Beamten hatte bloß die Wirkung, das Finstere, Unheilweissagende seines Gesichtes, sowie das Unangenehme seiner Miene noch mehr herauszuheben; auch war der Ton seiner Stimme, in die er etwas Versöhnliches zu legen meinte, ungefähr so, wie das Brummen eines Bären. Der Inhalt der Worte war jedoch freundlicher als die Stimme, mit der sie gesprochen wurden. Er bedauerte nämlich, daß das erwähnte Mißverständnis am vorigen Tage zwischen ihnen stattgefunden, und bemerkte, daß es einzig daher käme, daß Herrn Balafrés Neffe nicht die Uniform des Korps getragen, noch sich als demselben zugehörig angekündigt habe, was allein die Ursache des Irrtums gewesen sei, wegen dessen er um Verzeihung bitte ... Ludwig Lesley gab hierauf den gebührenden Bescheid, und sobald Tristan den Rücken gewandt hatte, machte er seinem Neffen bemerklich, daß sie von nun an die Ehre genössen, in der Person dieses furchtbaren Beamten einen Todfeind zu haben. – »Aber ein Soldat,« setzte er hinzu, – »der seine Pflicht tut, lacht über den Generalprofoß.«

Quentin konnte nicht umhin, seines Oheims Meinung zu teilen, denn als Tristan l'Hermite den Rücken wandte, tat er es mit dem grimmigen Blick eines verwundeten Bären. In der Tat sprach aus seinem tückischen Auge, auch wenn er minder aufgeregt war, eine Bosheit, die jeden, der seinem Blicke begegnete, schaudern machte, und das Gefühl des Abscheus war bei dem jungen Schotten um so tiefer, als er immer noch an seinen Schultern den Griff der todbringenden Helfershelfer dieses gräßlichen Beamten zu fühlen glaubte. Die Flügeltüren öffneten sich alsbald, und König Ludwig trat in das Audienzzimmer.

Gleich allen andern richtete Quentin seine Augen auf ihn und schrak so plötzlich zurück, daß ihm fast seine Waffe entfallen würde, als er in dem König von Frankreich jenen Seidenhändler, Meister Peter, erkannte, der ihn auf seiner Morgenwanderung begleitete hatte. Sonderbare Ahnungen über den wahren Stand dieses Mannes hatten sich ihm mehrmals aufgedrungen, allein die Wirklichkeit übertraf seine kühnsten Vermutungen.

Der strenge Blick seines Oheims, der sich über diesen Verstoß gegen das, was der Anstand des Dienstes erforderte, höchlich ärgerte, brachte ihn bald wieder zur Besinnung, aber wie erstaunte er, als der König, dessen geübter Blick ihn sogleich herausgefunden, gerade auf ihn zukam, ohne sonst von irgend jemand Kenntnis zu nehmen. – »Ich habe gehört, junger Mann,« sagte er, »daß Ihr gleich bei Eurem Eintritt in die Touraine Händel angefangen, aber ich verzeihe Euch, da es doch hauptsächlich die Schuld des alten Kaufmanns war, der törichterweise dachte, Euer kaledonisches Blut müßte schon früh des Morgens durch Beaune-Wein erwärmt werden. Wenn ich ihn auffinden werde, so will ich an ihm ein Exempel statuieren, daß er meine Garden zu Ausschweifungen verleitet. – »Balafré,« fuhr er dann fort, »Euer Neffe ist ein feuriger, aber wackrer Junge. Wir mögen Leute von solcher Gemütsart wohl leiden, und gedenken, die tapferen Männer, welche uns umgeben, höher zu heben, als wir es jemals taten. Laßt Jahr, Tag und Stunde seiner Geburt aufzeichnen und es Oliver Dain zustellen.«

Balalfré verbeugte sich tief und nahm dann seine aufrechte, kriegerische Haltung wieder ein, wie jemand, der durch sein Benehmen seine Bereitwilligkeit zeigen will, zum Kampf für seinen König oder dessen Verteidigung das Schwert zu führen. Quentin, der sich unterdessen von seinem Erstaunen erholt hatte, bemühte sich jetzt, das Aeußere des Königs genauer zu studieren, und fand mit Verwunderung, wie ganz verschieden der Eindruck war, den die äußere Erscheinung des Königs auf ihn machte, als er ihn zum erstenmale gesehen hatte. In seiner Kleidung bemerkte er keine große Veränderung, denn Ludwig, immer ein Verächter des äußeren Prunkes, trug auch bei dieser Gelegenheit ein altes dunkelblaues Jagdkleid, das nicht viel besser war, als die Bürgerkleidung am vorigen Tage, und einen großen Rosenkranz von Ebenholz. Statt der Mütze mit einem einzigen Bilde trug er jetzt einen Hut, dessen Rand mit wenigstens einem Dutzend kleiner bleierner Heiligenbilder umgeben war.

Aber diese Augen, die nach Quentins Eindruck nur Gewinnsucht hatten erblicken lassen, bekamen jetzt, da sie einem talentvollen, mächtigen Fürsten angehörten, einen durchdringenden, scharfen Blick; und die Runzeln auf der Stirn, die, wie er geglaubt hatte, die Wirkung eines unter kleinlichen Handelsplänen zugebrachten Daseins waren, schienen jetzt Furchen, welche langes, scharfsinniges Nachdenken über das Schicksal von Nationen gebildet hatte.

Unmittelbar nach der Erscheinung des Königs traten die Prinzessinnen von Frankreich nebst den Damen ihres Gefolges ins Zimmer. Die älteste war schlank, ziemlich hübsch, besaß Beredsamkeit und Talente und viel von ihres Vaters Scharfsinn, der auch viel Vertrauen in sie setzte, und sie vielleicht in solchem Grade liebte, wie er nur irgend jemand lieben konnte.

Die jüngere Schwester, die unglückliche Johanna, verlobt an den Herzog von Orleans, ging schüchtern an der Seite ihrer Schwester einher. Sie war blaß, mager und von kränklichem Aussehen; ihre Taille neigte sich sichtbar nach einer Seite hin, und ihr Gang war so schwankend, daß sie für lahm gelten konnte. Schöne Zähne und schöne Augen voll melancholischen Ausdrucks, Sanftmut und Entsagung, nebst einer Fülle lichtbrauner Locken waren das einzige, was sogar Schmeichelei gegen die gänzliche Häßlichkeit ihrer Figur in die Wagschale legen konnte. Der König, der sie nicht liebte, schritt, als sie eintrat, hastig auf sie zu. – »Nun, was ist das, Tochter,« sprach er, »bist Du immer noch die Weltverächterin? – Hast Du Dich heute zur Jagd oder zur Messe gekleidet? Sprich, antworte!« – »Zu allem, was Eure Hoheit befiehlt, Sire,« antwortete die Prinzessin mit kaum hörbarer Stimme. – »Ja, ohne Zweifel willst Du mich glauben machen, es sei Dein Begehr und Wunsch, den Hof zu verlassen, und der Welt, samt ihren Eitelkeiten, ein Lebewohl zu sagen. – Ha! Mädchen, denkst Du denn, daß wir, der erstgeborene Sohn der heiligen Kirche unsere Tochter dem Himmel vorenthalten wollen, wenn sie des Altars würdig wäre? – Nein, liebe Tochter,« fuhr er fort, »ich und ein anderer kennen Eure wahren Gesinnungen besser. – Nicht wahr, mein schöner Vetter von Orleans? Nähert Euch und führet diese unsere Jungfrau zu ihrem Pferde!«

Orleans erschrak bei den Worten des Königs und eilte ihm zu gehorchen, aber mit solcher Hast und Verwirrung, daß Ludwig ausrief: »Nun, Vetter, mäßigt Eure Galanterie und seht Euch vor! – Was doch Liebende oft für Streiche machen? – Beinahe hättet Ihr Annens Hand statt der ihrer Schwester ergriffen. – Muß ich selbst Johannas Hand Euch reichen?« Der unglückliche Prinz blickte auf und schauderte wie ein Kind zusammen, das etwas zu berühren gezwungen wird, vor dem es einen natürlichen Abscheu hat; dann aber sich ermannend, faßte er die Hand der Prinzessin, welche ihm dieselbe weder gab noch vorenthielt. Wie sie so dastanden, ihre kalten, feuchten Finger in seiner zitternden Hand, beide mit zur Erde gesenktem Blicke, wäre es schwer gewesen, zu bestimmen, welches von diesen beiden jugendlichen Wesen grenzenloser unglücklich sei – der Herzog, der sich an den Gegenstand seiner Abneigung durch die Bande gefesselt fand, die er nicht zu zerreißen wagte, oder das unglückliche Mädchen, das nur zu deutlich sah, wie sie dem ein Gegenstand des Abscheus war, dessen Zärtlichkeit sie mit ihrem Leben erkauft hätte.

»Und nun zu Pferde, meine Damen und Herren! – Wir selber wollen unsere Tochter Beaujeu führen,« sprach der König, »und Gottes und des heiligen Hubertus' Segen auf die heutige Jagd!« – »Ich fürchte,« sprach Graf Dunois, »Sie unterbrechen zu müssen. – Der Gesandte von Burgund steht vor den Toren des Schlosses und verlangt eine Audienz!« – »Verlangt eine Audienz?! – Dunois,« versetzte der König, »habt Ihr ihm denn nicht, wie wir Euch durch Oliver wissen ließen, geantwortet, daß wir keine Zeit hätten, ihn heute zu sehen, daß morgen das Fest des heiligen Martin wäre, wo wir, so Gott will, unsere Andacht nicht durch irdische Gedanken stören lassen wollen, und daß wir tags darauf nach Amboise reisen, daß wir aber nicht ermangeln werden, ihm nach unserer Rückkehr, sobald es unsere dringenden Geschäfte gestatten, eine Audienz zu bewilligen?« – »Dies alles sagte ich,« antwortete Dunois, »aber dennoch, Sire.« – »Pasquedieu! Mann, was ist's, das Dir so im Schlunde steckt?« sagte der König, »die burgundischen Redensarten müssen recht schwer zu verdauen sein!« – Dann fuhr er fort: »Ich kehre mich an seine polternden Gesandtschaften nicht mehr denn die Türme dieses Schlosses sich an das Pfeifen des Nordostwindes kehren, der von Flandern kommt, gleich diesem Prahlhanse von einem Gesandten!« – »So wißt denn, Sire,« versetzte Dunois, »daß Graf Crevecoeur mit seinem Gefolge von Herolden und Trompetern unten hält und erklärt, da Euer Majestät über die dringendsten Angelegenheiten eine Audienz verweigere, die er nach den Befehlen seines Herrn verlangen soll, so wolle er hier bis Mitternacht warten und Ew. Majestät anreden, zu welcher Stunde es Euch gefallen möge, sich aus dem Schlosse, sei es zu Geschäften, zum Vergnügen oder Gottesdienst, zu verfügen; keine Rücksicht als offene Gewalt, werde ihn von diesem Entschlusse abbringen.« – »Er ist ein Tor,« sprach der König mit großer Ruhe; »glaubt denn der hitzige Hennegauer, es sei für einen Mann von Verstand ein Büßung, vierundzwanzig Stunden in seinen Mauern zu bleiben, wenn die Angelegenheiten seines Reiches ihn beschäftigen? Diese ungeduldigen Narren denken, alle Leute müssen sich gleich ihnen unglücklich fühlen, wenn sie nicht im Sattel und Steigbügel sitzen. Laßt die Hunde wieder loskoppeln und wohl versorgen, edler Dunois. – Wir wollen heute Rat halten, statt zu jagen.« – »Mein Gebieter,« antwortete Dunois, »auf diese Weise werdet Ihr Euch Crevecoeurs nicht entledigen; denn seines Herrn Befehle gehen dahin, wofern Ihr ihm die verlangte Audienz nicht bewilliget, seinen Handschuh an die Pallisaden vor dem Schlosse zum Zeichen der Herausforderung auf Leben und Tod von seiten seines Herrn anzunageln, des Herzogs Lehnstreue gegen Frankreich aufzukündigen und den Krieg sogleich zu erklären.« – »So!« sprach Ludwig, ohne eine merkliche Veränderung der Stimme, runzelte aber die Stirn dergestalt, daß seine durchdringenden schwarzen Augen unter den buschigen Brauen beinahe unsichtbar wurden, »steht es so? spricht unser alter Vasall in solchem Tone mit uns, behandelt uns unser lieber Vetter so unfreundlich? – Nun denn, Dunois, so lassen wir die Oriflamme wehen und rufen: Denis Montjoye!« – »Amen!« sprach der kriegerische Dunois, »und in der unglücklichsten Stunde.«

Die Garden in der Halle, unvermögend, demselben Drange zu widerstehen, rührten sich gleichfalls auf ihrem Posten, so daß ein dumpfer, aber vernehmbarer Waffenklang entstand. Stolz warf der König den Blick umher, und auf einen Moment glich er seinem heldenmütigen Vater. Allein diese augenblickliche Aufwallung wich bald politischen Bedenklichkeiten, die unter den gegebenen Umständen einen offenen Bruch mit Burgund äußerst gefährlich machten. Eduard VI., ein tapferer und siegreicher König, der persönlich dreißig Schlachten geschlagen, hatte jetzt den Thron von England bestiegen, war ein Bruder der Herzogin von Burgund und wartete, wie es sich leicht denken läßt, nur auf einen Bruch zwischen seinem nahen Verwandten und Ludwig, um jene Waffen, die in den Bürgerkriegen obgesiegt hatten, auf den Grund von Frankreich durch das immer offene Tor von Calais zu tragen. Zu dieser Bedenklichkeit kamen noch die ungewisse Treue des Herzogs von Bretagne und mancherlei andere wichtige Gründe. Als daher Ludwig nach einer tiefen Pause wieder das Wort nahm, sprach er zwar noch in demselben Tone, aber in verändertem Sinne:

»Behüte der Himmel, daß etwas anderes, als nur die äußerste Not uns, den allerchristlichsten König, vermöchte, Christenblut zu vergießen, wenn noch etwas, außer Unehre, diese Trübsal abwenden kann. Das Glück und die Wohlfahrt unserer Untertanen schlagen wir höher an als die Beleidigung, die unserer eigenen Würde durch die Roheit eines ungeschliffenen Gesandten widerfahren mag, der vielleicht die Vollmacht, die er bekommen, überschritten hat. Man lasse daher den Gesandten von Burgund vor uns erscheinen.«

Gleich darauf verkündete das Schmettern der Trompeten auf dem Hofraume die Ankunft des burgundischen Grafen. Alle, die sich im Audienzgemache befanden, traten schnell nach ihrem Range in Ordnung, während der König und seine Töchter in der Mitte der Versammlung blieben. Graf Crevecoeur, ein berühmter und unerschrockener Kriegsmann, trat nun in den Saal und erschien gegen den Gebrauch bei Gesandten befreundeter Mächte, das Haupt ausgenommen, völlig bewaffnet, in einer glänzenden Rüstung von trefflicher mailändischer Arbeit in Stahl mit Gold ausgelegt, und nach dem damaligen phantastischen Geschmacke der Arabeske verziert. Um seinen Nacken und über den spiegelblanken Harnisch herab hing seines Herrn Orden vom goldenen Vließe, einem der ehrenvollsten Ritterorden, die man damals in der Christenheit kannte. Ein schöner Page trug ihm den Helm nach, vor ihm her schritt ein Herold mit dem Beglaubigungsschreiben, das er, auf ein Knie sich niederlassend, dem König überreichte, während der Abgesandte in der Mitte des Saales stehen blieb, als ob er allen Zeit geben wollte, seinen stolzen Blick, seine ehrfurchtgebietende Gestalt, sowie die kühne Haltung seines ganzen Wesens zu bewundern. Sein übriges Gefolge wartete im Vorgemach oder auf dem Hofraume.

»Tretet näher, Graf Crevecoeur,« sprach Ludwig, nachdem er einen flüchtigen Blick auf seine Vollmacht geworfen hatte, »es bedurfte dieses Schreibens unsers Vetters nicht, einen so wohlbekannten Krieger einzuführen, noch uns des wohlverdienten hohen Vertrauens zu versichern, worin Ihr bei Eurem Herrn steht. Wir leben der Hoffnung, daß Eure schöne Gemahlin, in deren Adern auch Blut von unsern Ahnherren fließt, bei guter Gesundheit ist. Hättet Ihr sie hierher gebracht, Herr Graf, so hätten wir gedacht, Ihr trüget Eure Rüstung bei dieser ungewohnten Gelegenheit, um die Überlegenheit ihrer Reize gegen die verliebte Ritterschaft Frankreichs zu behaupten. So aber vermögen wir nicht zu erraten, aus welchem Grunde Ihr in diesem vollständigen Waffenschmucke vor Uns erscheinen möget.« – »Sire,« erwiderte der Gesandte, »Graf Crevecoeur muß sein Mißgeschick bedauern und um Vergebung bitten, daß er bei dieser Gelegenheit die königliche Artigkeit, womit Eure Majestät ihn beehrt hat, nicht mit der gebührenden demütigen Unterwürfigkeit verehren kann. Allein obgleich es bloß die Stimme Philipp Crevecoeurs von Cordes ist, die da spricht, so müssen doch die Worte, die er vorbringt, die seines gnädigsten Herrn und Souveräns sein.« – »Und was hat Crevecoeur zu sagen in den Worten Burgunds?« sprach Ludwig, indem er den Ausdruck königlicher Würde annahm. »Doch halt! erinnert Euch, daß in diesem Augenblick Graf Crevecoeur zu dem spricht, den er seines Herrn Souverän nennen muß.« – »König von Frankreich, der mächtige Herzog von Burgund sendet Euch nochmals eine geschriebene Nachweisung der Unbilden und Bedrückungen, die Euer Majestät Besatzungen und Beamte an seinen Grenzen sich zuschulden kommen ließen, und der erste Punkt seiner Anfrage ist, ob es der Wille Euer Majestät ist, ihm für diese Beeinträchtigungen Genugtuung zu geben?«

Der König warf einen flüchtigen Blick auf die Denkschrift, die ihm der Herold kniend überreichte, und sprach: »Diese Angelegenheiten sind schon lange von unserm geheimen Rate eingesehen worden. Was die Beeinträchtigungen betrifft, über die man Klage führt, so sind einige nur Widervergeltung derjenigen, die meine Untertanen erlitten haben, andere wieder durch des Herzogs Besatzungen und Soldaten erwidert worden. Sollten aber noch einige übrig sein, die nicht zu den genannten zu rechnen wären, so sind Wir als christlicher Fürst nicht abgeneigt, Genugtuung für Unrecht zu geben, das Unsere Nachbarn erlitten haben, obgleich es nicht allein ohne Unser Zutun, sondern sogar gegen Unsern ausdrücklichen Befehl verübt worden ist.« – »Ich werde Eurer Majestät Antwort,« erwiderte der Gesandte, »meinem gnädigsten Gebieter überbringen; erlaubt mir jedoch zu bemerken, daß sie in keiner Hinsicht von den früheren ausweichenden Antworten verschieden ist, die ihm bereits auf seine gerechten Beschwerden zugekommen sind, und daß ich darum nicht hoffen kann, sie werde dazu beitragen, Frieden und Freundschaft zwischen Frankreich und Burgund wiederherzustellen.« – »Sei dem, wie ihm wolle,« erwiderte der König. »Nicht aus Furcht vor den Waffen Eures Gebieters, sondern einzig um des Friedens willen gebe ich eine so gemäßigte Antwort auf seine beleidigenden Vorwürfe. Doch fahret fort mit Eurem Auftrage.« – »Meines Gebieters nächste Forderung,« fuhr der Gesandte fort, »geht dahin, daß Eure Majestät aufhöre, geheime Einverständnisse mit seinen Städten Gent, Lüttich und Mecheln zu unterhalten. Er verlangt, daß Eure Majestät die geheimen Unterhändler zurückberufe, die unter seinen guten Bürgern von Flandern Unzufriedenheit anfachen, und daß die verräterischen Flüchtlinge, die nach ihrer Flucht von dem Schauplatze ihrer Umtriebe nur zu willige Aufnahme in Paris, Orleans, Tours und andern französischen Städten gefunden haben, aus Euern Landen ausgewiesen oder vielmehr ihrem Lehnsherrn zur wohlverdienten Bestrafung überantwortet werden.«

»Sagt dem Herzog von Burgund,« versetzte der König, »daß ich von solchen geheimen Umtrieben, deren er mich beschuldigt, nichts wisse; daß meine französischen Untertanen mit den guten Städten Flanders nur in Handelsverkehr stehen, dessen Unterbrechung sowohl seinem als meinem Interesse zuwiderliefe; daß ferner viele Flamänder in meinem Königreiche wohnen und den Schutz meiner Gesetze genießen, keine aber, soviel mir bekannt sei, um Verrat oder Meuterei gegen den Herzog von Burgund anzuzetteln. Fahret fort mit Eurer Botschaft! Meine Antwort auf das Bisherige habt Ihr vernommen.«

»Mit Bedauern, wie zuvor, Sire,« erwiderte Graf Crevecoeur, »denn sie ist nicht so bestimmt und ausführlich, wie sie mein Herr, der Herzog, als Genugtuung für eine lange Reihe von Machinationen, die um nichts weniger gewiß sind, ob sie gleich Eure Majestät in Abrede zu stellen belieben, zu erhalten gewünscht hätte. Aber ich fahre fort mit meiner Botschaft. – Der Herzog verlangt demnächst von dem Könige von Frankreich, daß er ohne Verzug und unter sicherm Geleit in seine Lande zurücksende die Gräfin Isabelle von Croye, nebst ihrer Verwandten und Beschützerin, der Gräfin Hameline von derselben Familie, in Anbetracht, daß besagte Gräfin Isabelle zufolge der Gesetze des Landes und des Lehnsverbandes ihrer Güter Mündel des besagten Herzogs von Burgund, aus seinen Landen entwichen ist und sich dessen Obhut, die er als sorgsamer Fürst ihr angedeihen lassen wollte, entzogen hat, jetzt aber insgeheim hier von dem Könige von Frankreich zurückgehalten und in ihrer Widerspenstigkeit gegen den Herzog, ihren natürlichen Herrn und Vormund, allen göttlichen und menschlichen Rechten zuwider, die in dem ganzen zivilisierten Europa anerkannt sind, bestärkt wird ... Ich erwarte auch hierauf die Antwort Euer Majestät.«

»Ihr habt wohlgetan, Graf Crevecoeur,« entgegnete der König zornig, »Eure Botschaft bei guter Tageszeit zu beginnen, denn wenn Ihr die Absicht habt, mich für jeden Vasallen, den Eures Herrn heftige Leidenschaft aus seinen Landen vertrieb, zur Rechenschaft zu ziehen, so wird die Litanei vor Sonnenuntergang nicht zu Ende sein. Wer kann behaupten, daß die beiden Damen sich in meinem Gebiete befinden? wer will behaupten, daß ich, wenn dem so wäre, ihnen zur Flucht behilflich war oder sie unter Zusicherung meines Schutzes aufgenommen habe?« – »Sire,« versetzte Crevecoeur, »Eure Majestät halten zu Gnaden, ich hatte für diese Tatsache einen Zeugen, der die flüchtigen Damen in dem Gasthause zur Lilie sah, der Eure Majestät in ihrer Gesellschaft, obgleich unter der ungeziemenden Verkleidung eines Bürgers von Tours getroffen hat, einen Zeugen, der von ihnen in Eurer königlichen Gegenwart Aufträge und Briefe an ihre Freunde in Flandern empfing, die er alle dem Herzog von Burgund unter eingehendem mündlichem Bericht in die Hände lieferte.« – »Bringt den Zeugen her,« sagte der König, »stellt ihn mir gegenüber, den Mann, der solche handgreiflichen Unwahrheiten zu behaupten wagt.« – »Ihr sprecht so triumphierend, Sire, denn wohl wißt Ihr, daß dieser Zeuge nicht mehr lebt. Man nannte ihn, als er noch lebte, Zamet Magraubin; er war von Geburt Zigeuner. Wie ich in Erfahrung gebracht habe, ist er gestern von den Leuten des Generalprofoßen Eurer Majestät hingerichtet worden, wahrscheinlich um zu verhindern, daß er hier auftrete, um das zu bestätigen, was er über diesen Gegenstand dem Herzog von Burgund angesichts seines geheimen Rates und meiner Wenigkeit ausgesagt hat.« – »Nun, bei Unserer lieben Frau von Embrun!« entgegnete der König, »diese Anschuldigungen sind abgeschmackt, und mein Gewissen ist so frei von allem, was mit solcher Tatsache in Verbindung stehen kann, daß ich, bei meiner königlichen Ehre, darüber eher lachen als zürnen muß. Meine Polizeiwache bringt pflichtmäßig alle Diebe und Landstreicher vom Leben zum Tode; und was immer diese Diebe und Landstreicher Unserm heißblütigen Vetter von Burgund und seinem weisen Rate hinterbracht haben mögen, es ist Verleumdung meiner Krone. Ich bitte Euch, meinem lieben Vetter zu sagen, daß er am besten täte, wenn er solche Gesellschaft liebe, sie doch lieber in seinem Lande zu behalten, denn hier wird ihnen doch nur, wenn man sie trifft, eine kurze Beichte und ein festes Stück Hanfstrick bewilligt.« – »Mein Herr bedarf keiner solchen Untertanen, Herr König,« erwiderte der Graf in einem minder ehrfurchtsvollen Tone, als dem, in welchem er bisher gesprochen hatte, »denn der edle Herzog pflegt nicht Hexen, herumstreichende Zigeuner und derlei Volk über das künftige Schicksal und die Bestimmung seiner Nachbarn und Verbündeten zu befragen.«

»Wir haben bis jetzt Geduld genug, ja nur zuviel gehabt,« unterbrach ihn der König, »und werden, da der Zweck Deiner Sendung nur der gewesen zu sein scheint, Uns zu beleidigen, jemand in Unserm Namen an den Herzog von Burgund senden – überzeugt, daß Du in Deinem Benehmen gegen Uns die Grenzen Deines Auftrages überschritten hast.«

»Im Gegenteil,« sprach Crevecoeur, »ich habe mich meines Auftrages noch nicht vollständig entledigt. Höret denn, Ludwig von Balois, König von Frankreich, hört mich, Ihr Edle und Herren, die Ihr etwa zugegen seid, höret mich, all Ihr guten und getreuen Leute – und Du, Toison D'Or« (hier wandte er sich an den Herold) »verkündige mir nach! ich, Philipp Crevecoeur von Cordes, Reichsgraf und Ritter des ehrenfesten und fürstlichen Ordens vom Goldenen Vließe, im Namen des sehr mächtigen Herrn und Fürsten, Karls von Gottes Gnaden, Herzogs von Burgund und Lothringen, von Brabant und Limburg, von Luxemburg und Geldern, Grafen von Flandern und Artois, Pfalzgrafen von Hennegau, Holland, Seeland, Namur und Zütphen, Markgrafen des heiligen römischen Reiches, Herrn von Friesland, Salins und Mecheln, tue Euch, König Ludwig von Frankreich, hiermit öffentlich kund und zu wissen, daß Er sich, da Ihr Euch geweigert habt, den mancherlei Beschwerden und Unbilden und Beeinträchtigungen, die durch Euch oder durch Euer Anstiften Ihm und seinen lieben Untertanen zugefügt worden sind, sich durch meinen Mund von aller Lehnsverbindlichkeit und Treue gegen Eure Krone und Würde lossagt, Euch für falsch und treulos erklärt und Euch als Fürsten und Mann in die Schranken fordert. Hier liegt mein Handschuh zum Zeugnis dessen, was ich gesprochen.«

Mit diesen Worten zog er den Handschuh von seiner Rechten und warf ihn auf den Boden des Saales hin. Bis zu diesem höchsten Grade von Verwegenheit hatte in dem königlichen Gemache während dieser außerordentlichen Szene das tiefste Schweigen geherrscht; allein der Schall des niedergeworfenen Handschuhs, begleitet von dem Ausrufe des burgundischen Herolds: »Es lebe Burgund!« wurde kaum vernommen, so erhob sich unter den Anwesenden ein allgemeiner Aufruhr. Während Dunois, Orleans, der alte Lord Crawford und einige andre, die ihr Rang zu einer Einmischung berechtigte, sich darum stritten, wer den Handschuh aufheben dürfe, schrien die andern im Saale: »Nieder mit ihm! haut ihn in Stücke! kommt er her, den König von Frankreich in seinem eignen Palaste zu beschimpfen?«

Der König besänftigte den Aufruhr, indem er mit donnernder Stimme rief: »Ruhe, Ruhe, meine Getreuen! lege keiner Hand an diesen Mann, noch berühre er diesen Handschuh ... Und Ihr, Herr Graf, woraus besteht denn Euer Leben, daß Ihr es auf einen so gefährlichen Wurf setzt? oder ist Euer Herzog aus einem andern Metall, als die übrigen Fürsten, daß er seine vermeintlichen Ansprüche auf solch ungewöhnliche Weise geltend macht?«

»Allerdings ist er von andrem, edlerm Metall, denn alle übrigen Fürsten Europas,« sprach der unerschrockene Graf; »denn da kein anderer es wagte, Euch – Euch, König Ludwig, Schutz zu geben – als Ihr aus Frankreich verbannt waret, verfolgt von dem Grimme väterlicher Rache, und all der Macht des Reiches, da war Er es, der Euch wie einen Bruder aufnahm und beschützte, und Ihm habt Ihr seinen Edelmut so schlecht vergolten! – Lebt wohl, Sire, mein Auftrag ist ausgerichtet.« Mit diesen Worten verließ Graf Crevecoeur plötzlich den Saal. »Ihm nach – ihm nach – hebt den Handschuh auf und ihm nach!« rief der König. »Ich meine Euch nicht, Dunois, auch nicht Euch, Mylord Crawford; Ihr dünkt mir für einen solchen Strauß zu alt; noch Euch, Vetter Orleans; Ihr seid zu jung dazu ... Herr Kardinal, Herr Bischof von Auxerre – Euer heilig Amt ist es, Frieden zu stiften unter Fürsten; hebt Ihr den Handschuh auf und stellt Graf Crevecoeur die Sünde vor, die er begangen hat, indem er einen großen Fürsten an seinem eignen Hofe also höhnte und ihn zwang, die Drangsale des Krieges über sein und seines Nachbars Land zu bringen.«

Auf diese persönliche Aufforderung trat Kardinal Balue vor, den Handschuh aufzuheben; doch tat er es mit solcher Behutsamkeit, als müßte er eine Natter berühren, so groß war sein Abscheu vor diesem Sinnbilde des Krieges – und augenblicklich verließ er das königliche Gemach, dem Herausforderer nachzueilen.

Ludwig schwieg und blickte rund in dem Kreise seiner Hofleute umher, von denen die meisten, außer denen, die wir bereits bezeichnet haben, Leute von niederm Stande, und zu dem hohen Range an des Königs Hofe durch andre Eigenschaften als durch Mut und Waffentaten erhoben waren. Diese sahen einander bloß an, indem sie sichtbar einen höchst unerfreulichen Eindruck von dem Auftritte, der soeben vorgefallen, erhalten hatten. Ludwig blickte sie mit Verachtung an und sagte dann mit lauter Stimme: »Obgleich der Graf ein anmaßender, übermütiger Herr ist, so muß ich doch gestehen, daß der Herzog an ihm einen so kühnen Diener hat, wie nur je einer eine Botschaft für einen Fürsten übernahm. Ich möchte gern wissen, wo ich einen Gesandten finden könnte, der ihm ebenso treu meine Antwort überbrächte.« – »Sire, Ihr tut den Edeln Eures Reiches unrecht,« nahm Dunois das Wort, »nicht einer von Ihnen bedächte sich, auf seines Schwertes Spitze dem Burgunder eine Herausforderung zu überbringen.« – »Sire,« bemerkte der alte Crawford, »auch den schottischen Adeligen, die Euch dienen, tretet Ihr zu nahe. Ich und jeder meiner Untergebenen von erforderlichem Range nähme nicht einen Augenblick Anstand, den stolzen Grafen zur Rechenschaft zu ziehen; mein eigner Arm ist hierzu noch stark genug, wenn mir Eure Majestät die Erlaubnis hierzu geben wollen.« – »Aber Eure Majestät,« nahm wieder Dunois das Wort, »wollen nun einmal uns zu keinem Dienste verwenden, wo wir uns selbst Ihrer Majestät und Frankreichs Ehre gewinnen könnten.« – »Sagt lieber,« versetzte der König, »daß ich der ungestümen Leidenschaft nicht Raum gebe, auf eine eitle Ehrengrille hin, Euch, den Thron und Frankreich aufs Spiel zu setzen. Keiner unter Euch ist, der nicht recht gut wüßte, wie kostbar jede Stunde Freuden für Frankreich ist, wie not es tut, die Wunden des zerrütteten Reiches zu heilen; und doch ist jeder von Euch augenblicklich bereit, auf die Erzählung eines wandernden Zigeuners hin oder zugunsten eines irrenden Dämchens, deren Ehre vielleicht es kaum verlohnt, sich in einen Krieg zu stürzen. – Doch hier kommt der Kardinal und, wie Wir hoffen, mit friedlicheren Nachrichten. – Nun, habt Ihr den Grafen zur Vernunft und Mäßigung gebracht?« – »Sire,« antwortete Balue, »mein Geschäft hat viel Schwierigkeiten gehabt. Ich stellte dem stolzen Grafen vor, daß der anmaßende Vorwurf, mit dem er seine Botschaft abgebrochen, von Eurer Majestät so angesehen werden müsse, als komme er nicht von seinem Herrn, sondern von seiner eignen unziemlichen Art sich zu benehmen, her, und daß er dadurch der Willkür Eurer Majestät zu beliebiger Bestrafung verfallen sei.« – »Da habt Ihr gut gesprochen,« erwiderte der König; »und wie lautete seine Antwort? Vermochtet Ihr ihn, nach zu bleiben?«

»Noch vierundzwanzig Stunden, und mittlerweile den Fehdehandschuh wieder an sich zu nehmen,« antwortete der Kardinal; »er ist im Gasthofe zur Lilie abgestiegen.« – »Sorget dafür, daß er auf unsere Kosten anständig bedient und bewirtet werde,« befahl der König, »denn solcher Diener ist ein Juwel in eines Fürsten Krone ... Vierundzwanzig Stunden?« fuhr er fort, vor sich hinmurmelnd, indem er die Augen dabei so weit öffnete, als wollte er in die Zukunft schauen; »eine kurze Frist! doch zweckmäßig und mit Geschick verwendet, mögen sie ein Jahr in den Händen eines trägen und unbeholfenen Unterhändlers aufwiegen ... Gut! ... Jetzt hinaus in den Wald! in den Wald!« rief er; »die Eberspieße zur Hand! Euren Speer, Dunois! nehmt meinen, denn er ist zu schwer für mich ... Zu Roß, zu Roß, meine Herren!«

Und die Jagdgesellschaft ritt davon.

Neuntes Kapitel

So groß auch die Kenntnis war, die der Kardinal von dem Gemüte seines Herrn zu besitzen meinte, so hinderte sie ihn bei der gegenwärtigen Gelegenheit doch nicht daran, in einen argen politischen Irrtum zu verfallen. Seine Eitelkeit bewog ihn anzunehmen, er sei weit glücklicher gewesen, den Grafen Crevecoeur zu einem längern Aufenthalt in Tours zu vermögen, als es bei jedem andern Vermittler, den der König hätte gebrauchen können, aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall gewesen wäre; und da er wußte, von welcher Wichtigkeit es für Ludwig war, einem Kriege mit Burgund auszuweichen, so konnte er nicht umhin, es merken zu lassen, welch großen und willkommenen Dienst er hiermit dem Könige geleistet zu haben meinte. Er drängte sich darum näher zu der Person des Königs heran, als er es sonst zu tun gewohnt war, und suchte ihn zu einem Gespräch über die Vorgänge des Morgens zu veranlassen. Hingerissen, wie es auch dem Vorsichtigsten zuweilen geschieht, von seiner selbstgenügsamen Stimmung, ritt der Kardinal immer dem Könige zur Rechten und lenkte, so oft es möglich war, die Unterhaltung auf Crevecoeur und dessen Sendung, – ein Gegenstand, der den König zwar im Augenblick am meisten beschäftigen mochte, über den er aber am wenigsten geneigt war, sich in eine Unterhaltung einzulassen. Endlich gab Ludwig, der ihm zwar mit Aufmerksamkeit zugehört, allein auf keine Weise zur Fortsetzung des Gesprächs beigetragen hatte, dem nicht weit von ihm reitenden Dunois ein Zeichen, an die andre Seite seines Pferdes zu kommen.

»Wir sind der Jagd und des Vergnügens halber hierher gekommen,« sagte er. »Allein der ehrwürdige Vater möchte gar zu gern einen Staatsrat abhalten. Was sagt denn Ihr, Dunois, zu Unsers Vetters Begehr?« – »Ich will Euch, Sire, darauf antworten, wenn Ihr mir aufrichtig sagen wollt, ob Ihr Krieg oder Frieden braucht,« antwortete Dunois mit einer Freimütigkeit, die, weil sie aus der ihm angeborenen Offenheit und Unerschrockenheit seines Wesens entsprang, ihn von Zeit zu Zeit zu einem großen Lieblinge Ludwigs machte, der gleich allen schlauen und verschmitzten Menschen die Herzen anderer in demselben Grade zu ergründen wünschte, in welchem er das seinige verschlossen hielt ... – »Bei meiner Ehre, Dunois,« sagte der König, »ich möchte Dir das von Herzen gern sagen, wenn ich es nur selbst erst genau wüßte. Aber gesetzt, ich erklärte mich für Krieg, was sollte ich mit jener reichen, jungen und schönen Erbin anfangen? angenommen, sie befände sich auf meinem Gebiete?« – »Sie einem Eurer eignen, tapfern Diener vermählen, der ein Herz hat, sie zu lieben, und einen Arm, sie zu beschützen, erwiderte Dunois. – »Dir zum Beispiel? hahaha!« lachte der König. »Sapperlot! Du bist bei all Deiner Offenherzigkeit staatsklüger als selbst ich geglaubt hätte.« – »Nein, Sire, ich mag alles andre eher sein, nur nicht staatsklug. Bei unserer lieben Frau von Orleans, ich gehe gerade auf mein Ziel los, wie ich mein Pferd beim Ringelreiten auf den Ring zureite. Eure Majestät ist dem Hause Orleans doch wenigstens eine glückliche Heirat schuldig, sollte ich meinen.« – »Und diese Schuld, Graf, will ich bezahlen!« rief der König; »seht Ihr nicht dort das schöne Pärchen?« Er wies dabei auf den unglücklichen Herzog von Orleans und die Prinzessin, die, weil sie weder in zu großer Entfernung hinter dem Könige zurückbleiben, noch sich vor seinen Augen zu trennen wagten, zwar zusammen ritten, jedoch mit einem Zwischenraume von reichlich zwei Ellen, den weder Schüchternheit auf der einen, noch Abneigung auf der andern Seite zu schmälern vermochten, den man aber auf beiden Seiten auch nicht zu erweitern sich getraute ... Dunois sah nach der vom Könige bezeichneten Richtung hin, mußte aber, obgleich er dem heuchlerischen Despoten keine unmittelbare Antwort zu geben wagte, unwillkürlich mit dem Kopfe schütteln. Ludwig schien seine Gedanken zu erraten.

»Es wird einen geruhsamen Ehestand geben,« meinte er, »nicht eben gestört durch viel Kinderlärm! wenigstens bedünkt es mich so. Kinder sind ja auch nicht allemal ein Segen.« Vielleicht war es die Erinnerung an die eigne Undankbarkeit gegen den Vater, die den König veranlaßte, eine Pause zu machen, und das höhnische Lächeln, das auf seiner Lippe zitterte, in etwas umwandelte, das einem Ausdrucke von Zerknirschung glich. Allein augenblicklich fuhr er in einem andern Tone fort: »Aber, frei heraus, Dunois, mir wäre schon lieber, so viel Ehre ich auch dem heiligen Sakramente der Ehe zolle« (hier bekreuzte er sich) »das Haus Orleans zeugte mir solche tapfern Krieger wie Deinen Vater und Dich, die vom königlichen Blute Frankreichs abstammen, ohne auf seine Rechte Anspruch zu erheben; statt daß das Reich gleich England durch Kriege von Verwandten zerrüttet werde, die ihre Rechte an die Krone in Geltung setzen. Der Löwe sollte eben nie mehr als ein Junges haben.« – »Da Eure Majestät,« erwiderte Dunois, nachdem er erst eine Weile geschwiegen hatte, weil er wußte, daß ein Widerspruch gegen den Despoten bloß den Interessen seines Verwandten schaden, ihm selbst aber nie von Nutzen sein könnte ... »einmal angespielt haben auf meines Vaters Geburt, muß ich allerdings gestehen, daß er, die Schwachheit seiner Eltern beiseite gesetzt, vielleicht als der Sohn ungesetzlicher Liebe glücklicher zu preisen war, als wenn er im ehelichen Hasse gezeugt worden wäre.« – »Dunois,« sagte der König, »Du bist ein rechtes Lästermaul, daß Du Dir herausnimmst, in solcher Weise von der heiligen Ehe zu sprechen. Aber, zum Teufel mit all dem Geschwätz! der Eber ist aufgescheucht. Im Namen des heiligen Hubertus! laßt die Hunde los! Haha! tralala! lirala lirala!« und das Horn des Königs schallte fröhlich durch die Felder, während er vorwärts sprengte, begleitet von einigen Leuten seiner Leibwache, unter denen sich auch unser Freund Quentin befand.

Hier müssen wir eine kleine Episode einflechten, die aus der Vorliebe des Königs, seinen Spott mit dem Kardinal Balue zu treiben, entsprang. Es gehörte nämlich zu den Schwächen dieses Staatsmannes, wie wohl schon angedeutet wurde, sich einzureden, er sei, wenn auch von niederem Stande und von mangelhafter Erziehung, dennoch geschickt und fähig, den Hofmann und Kavalier zu spielen. Ritt er auch nicht in die Schranken wie Beckett und warb er auch nicht Soldaten wie Wolsey, so war doch der Dienst bei den Damen sein Lieblingsfach, und ebenso gab er sich mit Vorliebe für einen großen Freund der Weidmannskunst aus. Allein soviel Glück er auch hin und wieder bei gewissen Damen hatte, bei denen für die Mängel seiner äußeren Erscheinung und seiner Sitten sein Reichtum und sein Einfluß als Staatsmann als Ersatz galten, so waren doch die stattlichen Rosse, für die ihm kein Preis zu hoch war, für die Ehre, einen Kardinal zu tragen, völlig unempfindlich und zollten ihm keinen größeren Respekt, als sie seinem Großvater, dem Schneider, mit dem er sich etwa in der Reitkunst messen durfte, gezollt hatten. Der König wußte das, und indem er sein Pferd bald antrieb, bald anhielt, brachte er das Roß des Kardinals, den er immer dicht sich zur Seite zu halten wußte, in einen solchen Zustand der Widerspenstigkeit gegen seinen Reiter, daß es offenbar schien, beide könnten nicht mehr lange friedlich nebeneinander herlaufen; und während nun das Kardinalroß stutzte, sprang, sich bäumte und hinten ausschlug, brachte der königliche Plagegeist den Reiter selbst noch dadurch in Verwirrung, daß er sich mit ihm über allerhand Staatsgeschäfte unterhielt und ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab, er wolle die jetzt grade so günstige Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ihn mit den Staatsgeschäften vertraut zu machen, die der Kardinal noch vor so kurzer Zeit um alles in der Welt gern in Erfahrung gebracht hätte.

Das Roß gewann auf solche Weise allmählich völlig die Herrschaft über den Kardinal und flog eine lange Allee entlang, überholte die Hunde, die dicht hinter dem Eber her waren, rannte ein paar Pikeniere und Bauern, die sich solchen Ueberfalls von hinten nicht versehen hatten, über den Haufen und brachte die Jagd in die äußerste Verwirrung. Durch das Geschrei und die Drohungen der Jäger noch mehr außer sich gebracht, rannte es mit dem auf den Tod bestürzten Kardinal an dem furchtbaren Eber vorbei, der selbst in rasender Wut, mit Schaum bedeckt, entlang schoß, und Kardinal Balue, als er sich auf einmal in solcher Nähe desselben sah, stieß einen jämmerlichen Angstschrei aus, der zusammen mit dem Anblick des Ebers das Pferd in solchen Schreck jagte, daß es auf die Seite sprang und den geistlichen Herrn, der schon lange bloß darum noch im Sattel geblieben war, weil es immer gerade ausgegangen war, ziemlich unsanft auf den Grund setzte. Wäre der Eber nicht so lebhaft von sich selbst in Anspruch genommen gewesen, so hätte es wohl geschehen können, daß dem Kardinal seine Nachbarschaft verderblich wurde; er kam jedoch mit dem bloßen Schrecken davon und kroch, so schnell es irgend anging, den Jägern und Hunden aus dem Wege, so daß er die ganze Jagd an sich vorbeistürmen sah, ohne daß es jemand einfiel, ihm zu Hilfe zu kommen, denn damals ließen sich die Jägersleute bei solchen Unglücksfällen ebensowenig wie zu unserer Zeit von Mitleid rühren.

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