»Ich würde also gesagt haben,« versetzte der englische Graf, »Margarethe von Anjou hätte vor allem zu fürchten, der Herzog von Burgund könnte, um vermeintliche Beleidigungen zu rächen, zuvörderst einen Kriegszug gegen die Schweiz unternehmen, über die einen wesentlichen Vorteil zu erringen ihm nicht gelingen wird. Die Schweizer wohnen zwischen Felsen und Einöden, die fast unzugänglich sind, und nähren sich auf so rohe Weise, daß der ärmste Eurer Untertanen, Herr Herzog, bei solcher Lebensart verkommen würde. Von der Natur sind sie gleichsam geschaffen, die Kriegsbesatzung der Bergfesten abzugeben, die ihnen zur Wohnung angewiesen wurden.– Laßt Euch um des Himmels willen nicht mit ihnen ein, sondern geht edleren und wichtigeren Plänen nach, ohne ein Nest von Hornissen zu stören, die, einmal aufgeschreckt, Euch bis zum Rasendwerden stechen möchten.«

Der Herzog hatte Geduld angelobt und bemühte sich, Wort zu halten; doch seine geschwollenen Gesichtsmuskeln, seine blitzenden Augen zeigten, wie große Anstrengung es ihn kostete, seinen Grimm zu unterdrücken. »Ihr seid falsch berichtet, Mylord,« sagte er. »Diese Menschen sind nicht friedsame Hirten und Bauern, wie Ihr wähnt. Stolz auf etliche Siege über das gierige Oesterreich, haben sie alle Hochachtung vor Macht und Ansehen abgeschüttelt, nehmen eine Miene von Unabhängigkeit an, schließen Verbündungen, überfallen und erstürmen Städte, verurteilen und köpfen die Männer von edler Geburt nach ihrem Gefallen. Eben dieselben unruhigen, treulosen und unversöhnlichen Feinde wie die Schotten gegen England, sind die Schweizer für Burgund und dessen Bundesgenossen. Was sagt Ihr? Kann ich eher etwas Wichtiges unternehmen, als bis ich den Hochmut dieses Volkes zertreten habe? Auch wird es nur das Werk weniger Tage sein. Mit meinem Stahlhandschuh will ich all jenen Schneckenklee und Stechdorn der Gebirge zu packen wissen. Doch um all Eure Bedenklichkeiten zum Schweigen zu bringen, laßt mich Euch sagen, daß dieses Volk durch Mithilfe und Beistand eine der gefährlichsten Verschwörungen in meinen Staaten unterstützt. Gebt acht! Ich sagte Euch, daß mein Vogt Archibald von Hagenbach ermordet wurde, als die Stadt La Ferette von diesen friedliebenden Schweizern, wie Ihr sie nennt, verräterischerweise überfallen wurde. Und hier ist eine Pergamentrolle, die mir kundmacht, daß mein Vogt nach Urteil und Spruch des Femgerichts geköpft worden, das aus einer Rotte im Finstern schleichender Meuchler besteht, denen ich nimmermehr Sitzung zu halten in meinen Staaten gestatten will! O, könnt ich sie nur fassen! Sie sollten erfahren, was das Leben eines Edelmannes wert ist! Da leset nur die Frechheit in ihrer Kundmachung.«

Das Pergament erklärte unumwunden, daß Archibald von Hagenbach wegen verübter Tyrannei, Gewalttat und Erpressung von der heiligen Feme zum Tode verurteilt und von den Schöffen der Feme, die dafür dem heiligen Gerichte verantwortlich wären, hingerichtet worden sei. Die Urkunde war mit roter Tinte unterzeichnet und trug die Zeichen des Femgerichtes, nämlich Strang und Dolch, in ihrem Siegel, – »Diese Beglaubigungsschrift war mit einem Messer auf meinem Tisch angeheftet,« sagte der Herzog, »wieder ein Streich, der beweist, wie trefflich sie ihr mörderisches Gaukelwesen in Geheimnis zu hüllen wissen!«

Bei der Erinnerung an das, was ihm im Verließ unter dein Hause des Gastwirtes Johann Mengs begegnet war, überlief den braven Engländer unwillkürlich ein Schauder.

»Um aller Heiligen des Himmels willen,« sagte er, »unterlaßt es, o Herr, von dieser furchtbaren Feme zu reden, deren Werkzeuge über, unter und neben uns sind! Kein Mann ist seines Lebens sicher, wie geschützt er sich auch wähne! Ihr seid umringt von Deutschen, Italienern und anderen Fremden.– Wie viele unter diesen mögen mit der Feme verknüpft sein! Edler Fürst, als Freund Eures ???Hlluses muß ich Euch, wäre es auch mit dem letzten Hauche meines Lebens, sagen, daß die Schweizer gleich einer Schneelawine über Euch hängen und jener geheime Bund unter Eurem Boden Euch bedroht, gleich den ersten Stößen eines herannahenden Erdbebens. Ruft nicht auf zum Kampfe, so werden die Schneemassen auf den Gebirgen ruhig bleiben, der Qualm unterirdischer Gluten beschwichtigt in der Tiefe lagern; allein ein einziges Wort des Trotzes oder ein einziger Blick entwürdigenden Hohnes möchte ihre Schrecknisse in Tätigkeit versetzen.«

»Ihr sprecht,« sagte der Herzog, »von einem Rudel nackter Schufte und einer Rotte mitternächtiger Meuchler mit mehr Scheu, als ich jemals in Zeiten der Gefahr an Euch wahrnahm. Doch will ich Euren Rat nicht verspotten – ich will die Schweizer Abgesandten ruhig anhören und, so ich es vermag, die Verachtung nicht blicken lassen, die ich gegen ihre Anmaßung hegen muß. Ueber die geheimen Verbindungen will ich schweigen, bis die Zeit mir Mittel an die Hand gibt, mit dem Kaiser und dem deutschen Reichstage vereint, gegen sie vorzugehen. Nun, Herr Graf, war das gut gesprochen?« – »Es war wohlbedacht, Herzog, doch zur Unzeit gesprochen. Ihr seid in einer Lage, in der ein einziges Wort, von einem Verräter erlauscht, Euch Tod und Verderben bereiten kann.«

»Ich bin von keinen Verrätern umgeben,« sagte Karl, »Könnte ich's denken, daß deren in meinem Lager wären, so möchte ich lieber gleich von ihren Händen sterben, als in immerwährendem Schrecken und Verdacht leben.« – »Euer Hoheit erprobteste Diener,« bemerkte der Graf, »reden ungünstig von dem Grafen von Campobasso, dem italienischen General, der bei Euch so hoch in Gnaden steht.« – »Mißtrauischer Tor!« rief der Herzog. »Soll ich Dir das Geheimnis dieses Campobasso aufdecken? Wisse denn, Du ungläubiger Sterblicher, daß mein guter Freund und Bruder Ludwig von Frankreich mir durch keinen geringeren Mann, als durch seinen Bartscherer Oliver le Diable, geheime Kunde sandte, es hätte Campobasso gegen eine gewisse Summe Geldes sich erboten, mich lebend oder tot in des Königs Hände zu liefern. – Ihr erstarrt?«

»In der Tat erstarre ich, wenn ich bedenke, wie Eure Hoheit gewohnt ist, leicht bewaffnet auszureiten, von nur wenigen begleitet, die Vorposten zu besuchen oder die Feinde zu beobachten, und wie leicht dann solch verräterischer Anschlag zur Ausführung gebracht werden kann.« – »Possen!« antwortete der Herzog. »Du siehst die Gefahr als wirklich vorhanden an, da doch nichts gewisser sein kann, als daß, wenn mein Vetter von Frankreich jemals solches Anerbieten erhielt, er der letzte wäre, der mich auf solchen Anschlag aufmerksam machen würde. Nein – er kennt den Wert, den ich auf Campobassos Dienste lege, und schmiedete jene Anklage, um mich eines so tüchtigen Dieners zu berauben.« – »Und dennoch,« sprach der englische Graf, »wolle Eure Hoheit meinen Rat hören, nie die kugelfeste Rüstung abzulegen und, wenn Ihr ausreitet, stets einige Dutzend Eurer wallonischen Krieger mitzunehmen.«

»Nun gut, ich will auf meiner Hut sein. Und Ihr, junger Mann, versichert meiner Base Margarethe von Anjou, daß ich Ihre Sache wie die meinige führen werde. Auch bedenkt, junger Mann, daß die Geheimnisse der Fürsten verfängliche Mitteilungen sind, wenn der, dem sie gemacht wurden, sie ausplaudert hingegen, daß sie dem Hüter, der sie sorglich in sich verschließt, Reichtum bringen. – Du sollst Ursache haben, meine Worte für wahr zu halten, so Du mir von Aix die Entsagung, von der Dein Vater sprach, überreichen kannst.–Gute Nacht, gute Nacht!« – Er verließ das Zelt.

»Du hast,« sagte der Graf von Oxford zu seinem Sohne, »nun diesen außerordentlichen Fürsten kennen gelernt. Es ist leicht, seinen Ehrgeiz, seinen Durst nach Macht rege zu machen; jedoch fast unmöglich, ihn auf die richtigen Grenzen zu beschränken, durch die sie am besten befriedigt werden können. Er gleicht stets dem jungen Bogenschützen, dem das Ziel in dem Augenblicke, wo er die Sehne anzieht, durch eine am Auge vorüberziehende Schwalbe entrückt wird. Bald beleidigend argwöhnisch – bald unverzeihlich leichtsinnig in seinem Vertrauen – noch vor kurzer Zeit der Feind des Hauses Lancaster, – jetzt dessen letzte einzige Hoffnung. Gott bessere alles!« –

Elftes Kapitel

Die Morgendämmerung erweckte den verbannten Grafen von Lancaster und dessen Sohn, und das Tageslicht ward kaum am östlichen Himmel sichtbar, als ihr Wirt Colvin mit einem Begleiter eintrat, der etliche Bündel trug, die er auf den Boden niederlegte, um sich dann sogleich zu entfernen. Des Herzogs Wachthabender meldete, daß er mit einem Auftrage Karls von Burgund käme. »Seine Hoheit,« sprach er, »hat vier starke junge Leibjäger geschickt, die den jungen Herrn von Oxford zu begleiten haben. Ferner sendet ihm der Herzog diese gefüllte Geldbörse, um seine Ausgaben bis Aix und seinen Aufenthalt daselbst zu bestreiten, und ein Beglaubigungsschreiben an den König René, um dem jungen Herrn guten Empfang zu sichern. Auch ein paar Pferde stellt Seine Hoheit dem jungen Herrn zur Verfügung. – Es wird geraten sein, daß der junge Herr eine seinem Range besser entsprechende Kleidung anlege. Seine Begleiter kennen die Wege und haben im Notfalle die Vollmacht, in des Herzogs Namen von allen treuen Burgundern Beistand zu fordern. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß der junge Herr sobald wie möglich abreisen soll.«

Nicht ohne inneres Wohlgefallen legte der Jüngling ein seiner Geburt geziemendes Gewand an, doch mit noch tieferer Empfindung, wenngleich hastig und heimlich, schlang er um seinen Nacken und verbarg unter dem Koller und den Falten seines geschmückten Wamses eine kleine, dünne goldene Kette, die, wie man es nannte, von maurischer Arbeit war. Diese Kette war der Inhalt des Päckchens, welches Anna von Geierstein ihm beim Abschiede vor Straßburg in die Hand gedrückt hatte. An dem Kettlein hing eine dünne Goldplatte, in die mit einer Messerspitze oder mit einer Haarnadel auf der einen Seite in deutlichen, wenn auch feinen Zügen die Worte: »Lebwohl für immer!« auf der Rückseite aber minder lesbar die Worte: »Vergiß mein nicht! A. v. G.« – eingeritzt waren.

Fast tonlos segnete der Vater seinen Sohn und sprach mit wiedergewonnener Festigkeit, daß zur Sache selbst nichts weiter zu sagen wäre. »So Du mir die Abdankung bringen kannst, deren wir bedürfen,« flüsterte er ihm zuletzt zu, »so wirst Du mich in der Nähe des Herzogs von Burgund finden.«

Schweigend schritten sie aus dem Zelte und fanden vor demselben die vier burgundischen Leibjäger, schlanke und rüstige Männer, wohl beritten. Sie hielten zwei Sattelpferde, eines kriegerisch ausgerüstet, das andere ein munterer Klepper zur Reise; einer der Jäger führte noch ein Saumroß, bepackt mit Kleidungsstücken, damit Arthur in Aix mit der nötigen Toilette versehen sei, wie Colvin ihm noch erklärte, indem er die vom Herzog geschickte Goldbörse aushändigte. – »Theobald,« sprach Colvin dann, indem er auf den ältesten der begleitenden Reiter deutete, »dürfte Euer Vertrauen verdienen – ich bürge für seine Einsicht und Treue. Die drei andern sind ausgesuchte Männer, die allewege ihren Mann stehen.« – »Noch ein Wort,« sprach dann der Vater und flüsterte Arthur, als dieser sich über den Sattel seines Pferdes beugte, noch rasch ins Ohr: »Wenn Du einen Brief von mir empfängst, so denke nicht, Du seiest mit dem Inhalte völlig bekannt, bis Du das Papier über ein heißes Feuer gehalten hast.«

Arthur nickte, winkte nochmals dem Vater und dem ehrlichen Colvin ein Lebewohl zu und ritt mit seinen Begleitern im Trabe davon.

Während der Graf noch wie ein Träumender dastand und sinnend seinem Sohne mit den Augen folgte, tat Trompetengeschmetter kund, daß der Herzog mit seinem Gefolge und seiner Dienerschaft sich zu Roß setzte. Philippson, wie er noch immer genannt sei, hatte im Namen des Herzogs ein stattliches Pferd erhalten, und gesellte sich samt Colvin zu der glänzenden Versammlung, die sich vorm Zelte des Herzogs aufstellte.

Nach wenigen Minuten trat der Fürst heraus, angetan mit der prächtigen Kleidung des Ordens vom Goldenen Vließ, dessen Stifter sein Vater Philipp gewesen war, und der jetzt in Karl seinen mächtigsten Beschützer und ersten Ritter hatte. Mehrere seiner Höflinge trugen dasselbe reiche Gewand und zeigten mit ihren Knappen und Knechten so viel Wohlhabenheit und Prunk, daß sie gar wohl die allgemeine Rede bestätigten, der Herzog von Burgund unterhalte den prachtvollsten Hof in der ganzen Christenheit.

Zu feierlichem Zuge gereiht, dessen Nachtrab von einer aus zweihundert Arkebusierern bestehenden Leibwache gebildet wurde, verließen der Herzog und sein Gefolge die Schranken des Lagers und zogen hinab gegen Dijon, das damals Hauptstadt von ganz Burgund war.

Als die Drommeten des herzoglichen Zuges die Bürgerwache am St. Nikolaus-Tore aufgefordert hatten, fiel die Zugbrücke; das Fallgitter hob sich, das Volk brach in Freudengeschrei aus, die Fenster wurden mit Teppichen behangen, und als Karl inmitten seines Gefolges und auf einem milchweißen Hengste, von sechs Edelknaben begleitet, deren jeder eine vergoldete Partisane trug, in die Stadt einritt, bewies der Jubel, der ihm von allen Seiten entgegenscholl, daß er noch immer beim Volke sehr beliebt war. Auch bleibt es wahrscheinlich, daß die Verehrung, die sich an seines Vaters Andenken knüpfte, für lange Zeit der ungünstigen Stimmung die Wage hielt, die etliche Handlungen Karls in weiten Kreisen seiner Untertanen erweckt haben mochten.

In der Mitte der Stadt Dijon hielt der Zug vor einem großen gotischen Gebäude. Dieses hieß damals das herzogliche Haus und wurde nach der Vereinigung Burgunds mit Frankreich das königliche Haus genannt. Der Maire von Dijon harrte auf den Stufen des Palastes, begleitet von seinen Amtsdienern und einhundert waffentüchtigen Bürgern in schwarzen Sammtmänteln und mit Halbpiken in der Hand.

Der Maire beugte das Knie, um des Herzogs Steigbügel zu küssen, und in dem Augenblicke, wo Karl vom Rosse stieg, begannen alle Glocken in der Stadt so donnernd zu läuten, daß die Toten davon hätten erweckt werden mögen, die in der Nähe der Kirchtürme schlummerten. Unter diesem betäubenden Begrüßungsgeläut trat der Herzog in die große Halle des Gebäudes, in deren obern Ende für den Monarchen ein Thron, für die ausgezeichneteren Staatsdiener und Kronvasallen Sitzplätze, für Personen von geringerer Bedeutung Bänke aufgestellt waren. Auf einer von diesen Bänken, jedoch an einer Stelle, von wo er die ganze Versammlung und auch den Herzog selbst ins Auge fassen konnte, wies Colvin dem Engländer seinen Sitz an, und Karl, dessen reges, ernstes Auge rasch die Anwesenden, nachdem diese sich gesetzt hatten, überblickte, schien durch ein unmerkliches Kopfnicken sein Einverständnis mit dieser Anordnung zu erklären.

Als der Herzog und seine Begleiter sich gesetzt hatten, näherte der Maire sich abermals auf die bescheidenste Weise, kniete auf der untersten Stufe des herzoglichen Thrones nieder und fragte, ob Seiner Hoheit Muße es gestattete, die Einwohner der Hauptstadt anzuhören, die ihrem anhänglichem Eifer für seine erlauchte Person Worte zu verleihen gedächten. Zugleich bat er, das Willkommengeschenk anzunehmen, das er in Gestalt eines mit Goldstücken gefüllten silbernen Trinkgeschirres namens der Bürger und Gemeinde von Dijon zu Seiner Erlaucht Füßen niederzusehen sich erlaube.

Karl, der zu keiner Zeit sich sonderlicher Höflichkeit befleißigte, antwortete kurz und derb und mit einer von Natur rauhen, mißklingenden Stimme: »Jedes Ding nach seiner Reihe, guter Herr Maire. Laßt uns erst vernehmen, was uns die Stände von Burgund zu sagen haben, dann wollen wir die Bürger von Dijon hören.« – Der Maire erhob sich und wich zurück, indem er den Silberbecher in der Hand behielt, wahrscheinlich verdrossen und verwundert, daß des Gefäßes Inhalt nicht augenblicklich gnädige Aufnahme gefunden hätte. – »Ich erwarte,« sagte Karl, »zu dieser Stunde und an diesem Orte von unseren Ständen Antwort auf eine ihnen vor drei Tagen durch unsern Kanzler eingereichte Botschaft. Ist niemand von ihnen zugegen?«

Als keiner Miene machte zu antworten, sagte der Maire, die Mitglieder der Ständeversammlung hätten den ganzen Morgen in ernster Beratung zugebracht und würden augenblicklich vor Seiner Hoheit erscheinen, sobald sie vernommen, daß der Herr Herzog die Stadt durch seine erlauchte Gegenwart beehrt hätte.

Der Herzog schickte darauf einen Herold an die Ständeversammlung mit der Aufforderung, vorm Herzog zu erscheinen.

Das Andenken an den Herzog Philipp war den Burgundern heilig; denn zwanzig Jahre lang hatte jener weise Fürst seinen Rang unter den Monarchen mit vieler Mühe behauptet und einen Schatz aufgehäuft, ohne die reichen Länder, die er beherrschte, mit Erpressungen oder erhöhten Steuern zu belasten. Allein die überspannten Pläne und unmäßigen Ausgaben des Herzogs Karl hatten schon den Argwohn seiner Stände gegen ihn rege gemacht, und das gegenseitige Wohlwollen zwischen Fürst und Volk begann dem Mißtrauen auf der einen und dem Trotz auf der andern Seite Platz zu machen. Die widerspenstige Stimmung der Stände war in letzter Zeit noch gestiegen; denn man fürchtete, der Herzog ginge nur darauf aus, den ihm von seinen Untertanen zugebrachten Reichtum dazu anzuwenden, seine königliche Gewalt unziemlich zu erweitern und die Freiheit des Volkes zu zerstören. Es ging daher das Gerücht, daß unter den Ständen sich diesmal heftiger Widerspruch gegen die von dem Herzog in Vorschlag gebrachte neue Schätzung erheben würde. Der Ausgang wurde nun von den Raten des Herzogs mit lebhafter Besorgnis, vom Herzog selbst mit ärgerlicher Ungeduld erwartet.

Nach etwa zehn Minuten trat der Kanzler von Burgund, der zugleich Erzbischof von Wien war, mit seinen Begleitern in die Halle und bat den Herzog, die Antwort der Stände, in einem verschlossenen Gemach entgegenzunehmen, indem er ihm dabei zu verstehen gab, daß der Erfolg der Beratungen keineswegs erfreulich wäre.

»Beim St, Georg von Burgund, Herr Erzbischof!« rief der Herzog finster und laut, »wir sind kein Fürst von so erbärmlichem Gemüte, daß wir die frechen Blicke einer mißvergnügten, böswilligen Partei zu scheuen hätten. Wenn die Stände von Burgund auf unsere väterlich gemeinte Botschaft eine ungehorsame pflichtwidrige Antwort geben, so mag diese in öffentlicher Sitzung ausgesprochen werden, damit das versammelte Volk erfahren möge, wie diese kleinlichen, ränkespinnenden Gesellen sich ihrem Herzog in den Weg stellen!«

Der Kanzler verbeugte sich würdevoll und nahm seinen Sitz ein, während der vordem abgesandte Herold die Abgeordneten der Stände in die Halle führte. Diese Abgeordneten bestanden aus zwölf Mitgliedern, nämlich vier von jedem Zweige der Stände, und waren bevollmächtigt, dem Herzog die Antwort der Versammlung zu überbringen. Bei ihrem Eintritt erhob sich Karl, gemäß uraltem Herkommen, und sprach, indem er das mit ungeheuren Federn geschmückte Barett vom Haupt nahm: »Heil und Willkommen meinen guten Untertanen aus der Ständeversammlung!« Alle Hofleute erhoben sich und entblößten ebenfalls das Haupt. Dann warfen die Abgeordneten sich auf die Knie, indem die vier Geistlichen, unter denen Oxford den schwarzen Priester von St. Paul erkannte, dem Throne zunächst knieten, hinter diesen knieten die Adeligen und hinter diesen wieder die Bürger.

»Edler Herzog,« sprach der Pfarrherr von St, Paul, »möge es Euch gefallen, die Antwort Eurer guten, getreuen Stände von Burgund zu vernehmen! Ein Priester, ein Edler und ein freigeborener Bürger, werden Eure Hoheit einer nach dem andern anreden. Denn obwohl – und gelobt sei Gott, der da die Brüder läßt in Eintracht beisammen wohnen! – wir über die Antwort im allgemeinen einig sind, so kann doch jeder Stand noch besondere Gründe Zur Unterstützung der allgemeinen Meinung vorzubringen haben.«

»Wir wollen Euch einzeln hören,« sagte Herzog Karl, indem er den Hut auf den Kopf stülpte und sich nachlässig zurücklehnte.

Die Abgeordneten erhoben sich, und der Priester von St. Paul redete den Herzog folgendermaßen an: »Mein Herr Herzog! Eure getreue und ergebene Geistlichkeit hat Euer Hoheit Vorschlag erwogen, dem Volke eine neue Steuer aufzuerlegen, um Krieg gegen die Verbündeten Kantone im Alpenlande zu führen. Der Streit, mein hochedler Herr, erscheint Eurer Geistlichkeit ungerecht und gewalttätig von seiten Eurer Hoheit; auch kann diese Geistlichkeit nicht hoffen, daß Gott diejenigen segnen werde, die in so ungerechtem Streite das Schwert ziehen. Sie ist deshalb gezwungen, Eurer Durchlaucht Vorschlag zurückzuweisen.«

Des Herzogs Augen hafteten finster auf dem Verkünder dieser widrig schmeckenden Botschaft. Er schüttelte den Kopf mit ernstem und drohendem Blicke. »Ihr habt gesprochen, Herr Priester!« war die einzige Erwiderung, die zu äußern ihm beliebte. – Einer der Adeligen, der Sire de Myrebeau, sprach sich sodann folgendermaßen aus: »Eure Hoheit hat von uns die Zustimmung zu neuen von ganz Burgund aufzubringenden Steuern verlangt, damit neue Scharen von Söldnern gedungen werden können. Herr Herzog, die Schwerter der burgundischen Edlen, Ritter und Herren standen jederzeit zu Eurer Hoheit Befehle. In jeden gerechten Streit, den Ihr führt, werden wir willig ziehen und standhaft fechten; aber neue Steuern können wir nicht bewilligen. Wozu noch mehr Söldner mieten, da wir selber Krieger genug zu stellen vermögen?«

»Ihr habt gesprochen, Sire de Myrebeau,« waren abermals die Worte, die der Herzog erwiderte. Dann winkte er, daß einer des dritten Standes seine Erklärung abgeben möge. Dieser Mann war Martin Block, ein wohlhabender Metzger und Viehzüchter aus Dijon. Seine Worte lauteten: »Edler Fürst, unsere Väter waren die gehorsamen Untertanen Eurer erlauchten Vorgänger; wir stehen ebenso zu Euch. Jedoch den Antrag, den Euer Kanzler uns machte, hätten unsere Vorfahren nie angenommen; so sind denn wir auch entschlossen, ihn abzuweisen.«

Karl hatte mit ungeduldigem Schweigen die Reden der beiden ersten Sprecher ertragen, allein die kecke, derbe Erwiderung des dritten Standes vermochte er nicht zu erdulden. Er ließ der Heftigkeit seines Gemütes vollen Lauf, stampfte auf den Boden, bis der Thron erzitterte und das hohe Gewölbe ihm zu Häupten widerhallte. Dann überhäufte er den kühnen Bürger mit Vorwürfen, »Du Lasttier!« rief er, »soll ich auch noch Dein Geschrei mir bieten lassen? Mögen die Edlen recht haben, sich zum Reden Erlaubnis zu erbitten, denn sie können fechten; mag die Geistlichkeit ihre Zunge gebrauchen, denn das ist ihr Gewerbe; aber Du, der Du nimmer Blut vergössest als das Deiner Bullochsen, die kaum dümmer sind als Du – mußt Du mit Deiner Herde hierherkommen, um am Throne eines Fürsten loszubrüllen?«

Ein Gemurmel des Mißfallens, das selbst die Furcht vorm Zorn des Herzogs nicht zu unterdrücken vermochte, durchlief bei diesen Worten die Reihen der Zuhörer, und der Bürger von Dijon, ein derber Volksmann, versetzte ohne Umstände; »Unsere Geldsäckel, mein Herr Herzog, sind unser – und wir rücken kein Geld heraus, ehe wir nicht genau wissen, wozu es verwendet werden soll; auch wissen wir recht Wohl, wie wir unser Leben und unsere Habe gegen ausländische Schufte und Räuber zu beschirmen haben!«

Karl wollte schon Befehl erteilen, den Abgeordneten in Haft zu nehmen, als er einen Blick auf den Grafen von Oxford warf, dessen Anwesenheit ihm wider seinen Willen Zwang auferlegte. Er schien sich eines Besseren zu besinnen und sprach: »Ich sehe, daß Ihr Euch alle verbündet habt, meine Pläne zu durchkreuzen, und ohne Zweifel mich aller monarchischen Gewalt berauben wollt, nur daß ich eben noch meine Krone tragen darf. Jedoch Ihr sollt merken, daß Ihr es mit Karl von Burgund, einem Fürsten, zu tun habt, der, obgleich er Euch die Ehre erwies, Euren Rat einzuholen, doch vollauf imstande ist, seine Schlachten ohne die Mithilfe seiner Edlen zu führen, falls diese ihm den Beistand ihrer Schwerter weigern; der seine Zahlungen ohne die Hilfsleistungen tolpischer Bürger entrichten und wohl auch einen Weg ausfindig machen kann, um ohne die Fürbitte einer undankbaren Priesterschaft zum Himmel zu gelangen. – Ich will allen denen, die hier gegenwärtig sind, zeigen, daß ich mich durch aufrührerische Antworten nicht beirren lasse und meinen Vorsätzen getreu bleibe. – Herold! führe die Männer vor, die sich die Verbündeten aus den Städten und Kantonen des Schweizerlandes nennen.«

Oxford und alle, denen wirklich das Wohl des Herzogs am Herzen lag, hörten mit größter Besorgnis den Entschluß des Fürsten, den Schweizer Abgeordneten, gegen die er schon von vornherein eingenommen war, in einem Augenblicke Gehör zu geben, wo er durch die Weigerung der Stände, ihn mit Geld zu unterstützen, aufs heftigste erzürnt war. Alle erkannten, daß der Würfel geworfen war, aber da niemand mit übermenschlicher Voraussicht begabt war, ahnte niemand, daß dieser Augenblick sogar die Entscheidung über Karls Leben und die Unabhängigkeit Burgunds als eines für sich bestehenden Reiches nach sich zog.

Zwölftes Kapitel

Die Pforten der Halle wurden nun den Schweizer Abgeordneten geöffnet, die eine Stunde lang außerhalb des Palastes hatten harren müssen, ohne im mindesten jene Aufmerksamkeiten zu erfahren, die unter gebildeten Völkern den Stellvertretern eines fremden Staates erwiesen werden. Allerdings mußte ihr äußeres Erscheinen, als seien sie Gebirgsjäger oder Hirten, inmitten einer in buntfarbigen Anzügen, in Gold- und Silberschnüren, Wirkereien und Edelsteinen prunkenden Versammlung, jedem die Meinung einflößen, sie könnten nur in aller Demut als Bittsteller hierher gekommen sein.

Oxford, der das Benehmen seiner ehemaligen Reifegenossen genau beobachtete, erkannte jedoch sogleich, daß sie alle der Festigkeit und Gleichgültigkeit getreu blieben, durch die sie sich schon früher hervorgetan hatten, Rudolf von Donnersberg behielt seinen kecken, trotzigen Blick bei – der Bannerherr zeigte seinen gewohnten kriegerischen Gleichmut, mit dem er alles um sich her, scheinbar teilnahmlos, betrachtete – der Bürger von Solothurn gab sich ebenso förmlich und gewichtig wie immer. Nur der edle Landammann, auf den Oxford hauptsächlich seine Aufmerksamkeit richtete, schien von dem Gefühle der unsichern Lage, in die sein Vaterland versetzt wurden war, überwältigt zu sein; indem er nach dem rauhen, unehrenwerten Empfang zu fürchten schien, daß der Krieg sich nicht mehr vermeiden ließe.

Nach einem Schweigen von fast fünf Minuten sprach der Herzog in dem hochfahrenden, schneidenden Tone, den er hier Wohl für angemessen halten konnte, und der nur allzusehr seine Gemütsart verriet: »Ihr Männer von Bern, Schwyz, oder welche Weiler und Wildnisse Ihr hier vertreten möget, wisset, daß wir Euch, die Ihr Aufrührer seid gegen die Herrschaft Eurer gesetzmäßigen Obern, nimmer Gehör verliehen hätten, wenn nicht ein wohlgeschätzter Freund, der sich eine Zeitlang in Euren Bergen aufhielt, und den Ihr unter dem Namen Philippson kennt, sich für Euch verwendet hätte. Seiner Fürsprache haben wir soweit stattgegeben, daß wir, statt Euch nach Verdienst dem Galgen zu überliefern, uns herabließen, Euch zu empfangen. Nun laßt hören, welche Genugtuung Ihr dafür bieten könnt, daß Ihr frech und vermessen unsere Stadt La Ferette bestürmtet, unsere Untertanen niederschlugt und den Mord mitansaht, unterstütztet und anrietet, der an dem edlen Ritter, unserm Vogte Archibald von Hagenbach verübt wurde. Sprecht, so Ihr etwas Zur Verteidigung Eurer Missetat und Eures Verrats vorbringen könnt!«

Der Lanbammann schien antworten zu wollen, allein Rudolf von Donnersberg übernahm mit der ihm eigenen Kühnheit und Verwegenheit die Verteidigung. Er stellte sich dem Herzoge mit unerschrockenem Auge gegenüber. »So Ihr uns Aufrührer nennt,« sprach er, »so müßt Ihr erwägen, daß eine lange Reihe von Siegen, mit Österreichs edelstem Blut besiegelt, unserer Eidgenossenschaft die Freiheit zurückgegeben hat, die eine ungerechte Tyrannei uns vergebens zu rauben versuchte. Solange das Land Österreich sich uns als gerechter und wohlwollender Herrscher zeigte, dienten wir ihm mit unserm Leben. Als es tyrannisch gegen uns wurde, machten wir uns unabhängig. Will es uns jetzt noch etwas anhaben, so werden die Nachkommen eines Stauffacher, Tell und Walter Fürst ebenso bereit sein wie sie, ihre Freiheit zu verfechten. Euer Erlaucht – so solches Euer Titel ist – hat nichts zu schaffen mit einem Zwist zwischen uns und Oesterreich. Was endlich Eure Drohung mit Galgen und Rad anbelangt, so sind wir hier wehrlose Männer, mit denen Ihr nach Laune verfahren mögt; jedoch wissen wir zu sterben, und unsere Landsleute wissen uns zu rächen.«

Der zornmütige Herzog würde hierauf mit nichts anderm als dem Befehle geantwortet haben, die ganze Gesandtschaft augenblicklich zu verhaften und hinzurichten. Doch sein Kanzler erhob sich in diesem Augenblick, lüftete die Mütze mit tiefer Verbeugung gegen den Herzog und bat um Erlaubnis, dem überstolzen Jüngling zu antworten, der, wie er sagte, die Worte Seiner Hoheit falsch verstanden hätte. – »Junger Mann,« sprach der hohe Staatsdiener: »Burgund hat Antwort von Euch zu begehren auf folgende Fragen: Was kamet Ihr unter dem Deckmantel friedlicher Gesandten hierher und erregt Fehde in unsern ruhigen Besitzungen, stürmt eine Feste, erschlagt die Besatzung und tötet deren Befehlshaber, den edlen Ritter von Hagenbach? Was begingt Ihr also Handlungen, die dem Völkerrechte zuwiderlaufen und in vollem Maße die Strafe verdienen, die Euch mit Recht angedroht ward, die jedoch, wie ich hoffe, unser gnädiger Landesfürst Euch schenken wird, so Ihr geziemend Genugtuung für so arge Verletzungen bietet?«

»Ihr seid ein Priester, ehrwürdiger Herr,« sagte Rudolf von Donnersberg, indem er den Kanzler von Burgund anredete. »Findet sich in dieser Versammlung ein Krieger, der Eure Anklage vertreten will, so fordere ich ihn Mann gegen Mann zum Kampfe. Wir stürmten die Feste La Ferette nicht. – Wir wurden friedlich eingelassen, dort aber augenblicklich von den Reisigen des Hagenbachers umringt, offenbar in der Absicht, uns zu überfallen und zu erschlagen. Wäre es geschehen, Ihr hättet, traun! von mehr Erschlagenen als von uns gehört. Allein Aufruhr brach aus unter den Insassen des Ortes, einige Nachbarn, denen die Bedrückung und das rohe Wesen Archibalds von Hagenbach längst verhaßt war, halfen mit. Wir leisteten den Anstürmenden keinen Beistand, kamen aber auch dem Hagenbacher nicht zu Hilfe, der bereit gewesen war, das Aergste an uns zu tun. Archibald von Hagenbach starb, es ist wahr, auf einem Blutgerüst, und mit Vergnügen sah ich ihn sterbe«! jedoch es geschah unter dem Spruch eines Gerichts, das in Westfalen und den Grenzgauen diesseits des Rheins für gültig anerkannt wird. Ich bin nicht gehalten, ein solches Verfahren zu rechtfertige«! allein ich meine, den Urteilsspruch hat Hagenbach durch Willkür, Grausamkeit und schändlichen Mißbrauch der ihm verliehenen Macht sattsam verdient. All das will ich gegen jeden, der mir widerspricht, mit diesem meinem Leibe vertreten. Und hier liegt mein Handschuh!«

Mit kühner Gebärde schleuderte der Schweizer den Handschuh seiner rechten Hand auf den Boden. Gemäß dem Geiste des Jahrhunderts und der allgemeinen Vorliebe für edle Waffentat, entstand eine allgemeine Bewegung unter den burgundischen Jünglingen, und mehr denn sechs oder acht Handschuhe wurden hastig von anwesenden jungen Rittern und zwar von den entfernter Stehenden über die Köpfe der Vordern hingeworfen, wobei ein jeder seinen Stand und Namen laut ausrief. – »Ich nehme es mit allen auf!« rief der kecke junge Schweizer, indem er die um ihn herum hinklatschenden Handschuhe aufhob. »Mehr, Ihr Herren, mehr! Einen Handschuh für jeden Finger! Kommt heran, einer nach dem andern – offene Schranken, biedere Kampfrichter, Gefecht zu Fuß und mit doppelgriffigen Schwertern, so werd' ich einem Schock von Euch stehen.«

»Haltet ein, Ihr Herren, haltet ein!« sagte der Herzog, geschmeichelt und besänftigt durch den Eifer, der für seine Sache an den Tag gelegt wurde. Auch gefiel ihm die riesige Tapferkeit, die der Herausforderer mit einer dem Herzoge selber eigenen Kühnheit gezeigt hatte: »Halt, befehl ich Euch allen! – Herold, sammle die Handschuhe und gib sie den Eigentümern zurück. Gott und der heilige Georg mögen verhüten, daß wir das Leben auch nur des Letzten unserer Edlen gegen einen Schurken wagen sollten, wie dieser Schweizer Bauer einer ist, der nimmer einen Gaul bestieg und von ritterlichem Wesen keinen Dunst hat! – Bringt Euer pöbelhaftes Gebrüll anderswohin, junger Recke, und wißt, daß Eure offenen Schranken nur der Markt Morimont und der Einzige, mit dem Ihr zu kämpfen hättet, der Henker sein müßte! Und Euch, die Ihr diesen Polterer das Wort unter Euch führen laßt, vor allem Dich, Du weißbärtiger Alter dort, Dich frage ich, ob keiner unter Euch ist, der Eure Botschaft in Worten ausrichten kann, die für das Ohr eines Monarchen passen?«

»Gott sei Dank!« sagte der Landammann, indem er vortrat, und Rudolf von Donnersberg Schweigen gebot, der abermals eine kecke Antwort auf den Lippen trug. – »Gott sei Dank, edler Herzog! wir wissen so zu sprechen, daß Eure Hoheit uns verstehen wird, zumal wir, wie ich hoffe, die Sprache der Wahrheit, des Friedens und der Gerechtigkeit führen. Was mich betrifft, so kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich es zuvor aus freier Wahl vorzog, als Landmann und Jäger auf den Alpen von Unterwalden zu leben und zu sterben, daß ich aber doch von Geburt auf das Recht Anspruch erheben darf, vor Herzogen und Königen, ja vor dem Kaiser selber zu reden. Es ist, mein Herzog, keiner hier in dieser stolzen Versammlung, der edleren Stammes wäre, als die Freiherren von Geierstein.«

»Wir haben von Euch gehört,« sagte der Herzog. »Die Leute nennen Euch den Bauerngrafen. Eure Geburt ist für Euch nur eine Schmach, nachdem Ihr freiwillig ein Leibeigener wurdet.« – »Kein Leibeigener, Herr,« antwortete der Landammann, »sondern ein Freisasse, der weder andere knechten, noch sich von andern knechten lassen will. Doch will ich mich durch Stachelrede nicht aus der Gelassenheit reißen lassen, die notwendig ist, um gehörig zu vertreten, was meine Landsleute mir aufgetragen haben. Die Bewohner der eisigen, unwirtlichen Alpen begehren, mächtiger Herr, in Frieden zu bleiben mit allen ihren Nachbarn, und ihrer selbstgewählten Verfassung sich zu erfreuen, da diese sich am besten für ihren Stand und ihre Sitten eignet. Vornehmlich wünschen sie in Eintracht mit dem fürstlichen Hause Burgund zu bleiben, dessen Besitzungen auf so manchen Punkten die Schweizer Grenzen berühren. Sie wünschen Eintracht, ja sie bitten sogar darum, mein hoher Herr! Zum Beweise dafür, Herr Herzog, erblicke ich, der ich nimmer das Knie beugte, als nur vor dem Ewigen im Himmel, keine Entwürdigung darin, vor Eurer Hoheit zu knien!«

Die ganze Versammlung, der Herzog selbst, war ergriffen, von der edlen, stattlichen Weise, in der der wackere Greis, offenbar frei von knechtischem Sinn und aller Furcht, das Knie beugte. – »Steht auf, Herr!« sagte Karl. »So wir etwas gesagt haben, was Euer persönliches Gefühl verletzen könnte, so nehmen wir es ebenso öffentlich zurück, wie wir es aussprachen, und sind bereit, Euch als einen Gesandten anzuhören, der es ehrlich meint.« – »Dank dafür, mein hochedler Herr, und ich werde den heutigen Tag segnen, so ich Worte finde, würdig der Sache, die ich zu vertreten habe. Hoher Herr, das Blatt, das ich in Eure Hand lege, erläutert die Unbill, die uns von den Bevollmächtigten Eurer Hoheit sowie von denen des Grafen Raymund von Savoyen, Eures getreuen Bundesgenossen, angetan worden sind. Als unabhängiges Volk können wir solcherlei Schmach nicht länger dulden, und wir sind entschlossen, unsere Unabhängigkeit zu wahren, oder in Verteidigung unserer Rechte zu sterben. Und was wird folgen müssen, wenn Eure Hoheit nicht den Friedensworten, deren Ueberbringer ich bin. Gehör verleiht? Krieg – Krieg auf völligen Untergang; denn so lange ein einziger unserer Eidgenossenschaft eine Hellebarde schwingen kann, so lange wird, wenn dieser böse Zwist einmal begann – Fehde sein zwischen Euren machtbegabten Reichen und unsern armen, ackerlosen Ländern. Und was kann der edle Herzog von Burgund in solchem Kampfe gewinnen? Reichtum und Beute? Ach, hoher Herr, auf dem Zaumzeug Eurer Leibwache ist mehr Gold und Silber als in den öffentlichen Schatzkammern und den Privatschatullen unserer gesamten Eidgenossenschaft. Ruhm? Den kann eine zahlreiche in Eisen gehüllte Heeresmacht im Kampf gegen mangelhaft bewaffnete Landleute und Hirten kaum gewinnen. – Wenn aber der Herr der Heerscharen der schwächeren Partei zum Siege verhilft, so überlasse ich es Eurer Hoheit zu entscheiden, wie sehr in solchem Falle Euer Ruhm, Eure Ehre verlieren würde. Wollt Ihr Eure Besitzungen und die Zahl Eurer Untertanen vermehren, indem Ihr uns befehdet? Wisset, daß wir in den wildesten, unnahbarsten Gegenden Zuflucht suchen, bis auf den letzten Mann Widerstand leisten und in den Eiswüsten der Gletscher den Tod erwarten würden. Ja, wir wollen, Männer, Weiber und Kinder, samt und sonders lieber untergehen, als daß wir freien Schweizer jemals einen ausländischen Herrn als den unserigen anerkennen!«

Die Rede des Landammannes machte einen merklichen Eindruck auf die Versammlung. Der Herzog gewahrte das, und der ihm innewohnende Trotz entfachte sich an der allgemeinen Stimmung zu Gunsten des Gesandten. – Er antwortete mit finsteren Brauen, indem er den Greis, der noch weitersprechen wollte, unterbrach: »Ihr schließt falsch, Herr Graf, oder Herr Landammann, oder mit welchen Namen Ihr Euch nennen mögt, wenn Ihr glaubt, wir befehden Euch aus Beutegier oder Ruhmsucht. Wir wissen ebensowohl wie Ihr, daß wir weder Vorteil noch Ruhm ernten können, wenn wir Euch besiegen. Alle Herrscher, denen der Himmel die Macht verliehen hat, müssen mindestens hin und wieder eine Rotte von Räubern vertilgen, obwohl es entehrend ist, das Schwert des Ritters mit ihnen zu kreuzen. So auch jagen wir eine Herde Wölfe zu Tode, wenngleich ihr Fleisch nur Aas und ihr Fell zu nichts nütz ist.« – Der Landammann schüttelte das greise Haupt und versetzte, ohne innere Bewegung zu verraten, ja sogar mit einem leisen Lächeln: »Ich bin ein älterer Weidmann als Ihr, Herr Herzog, und vielleicht erfahrener. Auch dem kühnsten, verwegensten Jäger kommt es übel an, dem Wolfe in seine Schlupfwinkel nachzujagen. Laßt mich Euch sagen, wozu wir bereit sind, um uns einen aufrichtigen, dauernden Frieden mit unserm mächtigen Nachbarn in Burgund zu sichern. Euer Erlaucht steht im Begriff, Lothringen zu vergrößern, und es ist zu erwarten, daß unter Euch Burgunds Macht sich bis an die Küsten des Mittelmeeres erstrecken werde, – seid Ihr nun unser edler Freund und getreuer Bundesgenoß, so werden unsere von siegesgewissen Streitern besetzten Berge Euch ein Bollwerk gegen Deutschland und Italien sein. Ja, was noch mehr ist, was mein letztes, stolzestes Anerbieten ist, wir wollen dreitausend unserer Jünglinge senden, um Euer Hoheit Beistand zu leisten in jeglichem Kriegszuge, den Ihr unternehmen möget, sei es nun gegen Ludwig von Frankreich oder gegen den Kaiser von Deutschland!«

»Herr Landammann,« versetzte der Herzog kalt, »wir haben Euch offen angehört. Wir haben Euch gehört, obwohl Ihr hierher vor unser Angesicht gekommen seid, die Hände mit dem Blute unseres Vogtes, des Ritters Archibald von Hagenbach, befleckt. Denn angenommen, er wurde von einer hinterlistigen Verbrüderung hingerichtet – die, beim St. Georg! solange wir leben und regieren nie ihr pestilenzialisches Haupt in den Gauen diesseits des Rheins erheben soll! – so ist doch nicht zu leugnen, daß Ihr dabei standet und den Meuchlern zu ihrer Untat Vorschub leistetet. Kehrt heim in Eure Berge und dankt Gott, daß Ihr mit heiler Haut heimkehrt! Sagt denen, die Euch sendeten, daß ich sofort an ihren Grenzen stehen werde! Eine Gesandtschaft, aus der Mitte Eurer angesehensten Bürger gewählt, mag mir entgegenkommen, den Strick um den Hals, eine Fackel in der Linken und das Schwert bei der Spitze gefaßt! Dann werde ich geruhen, Euch den Frieden zu den Bedingungen, die mir belieben, zu diktieren!«

»So lebe denn wohl, Friede, und willkommen du, Krieg!« sagte Arnold Biedermann, »alle Plagen und Flüche dieser Fehde mögen auf die Häupter derer fallen, die lieber Blut und Kampf als Ruhe und Eintracht wählten! Karl von Burgund, Flandern und Lothringen, Herzog von sieben Herzogtümern und Graf von siebzehn Grafschaften! Ich erkläre Euch Fehde im Namen der verbündeten Kantone und aller derer, die sich denselben noch anschließen. Hier,« rief er, »ist mein Absagebrief!«

Der Herold nahm aus den Händen des Arnold Biedermann das verhängnisvolle Blatt. – »Lest es nicht!« sagte der hochfahrende Herzog. »Der Henker mag's am Schweife seines Pferdes durch die Straßen ziehen und dann an den Galgen nageln, damit alle Welt erfahre, wie wir eine elende Schrift und deren Ueberbringer behandeln. Hinweg mit Euch! so schnell Eure Füße Euch tragen! Treffen wir uns wieder, so sollt Ihr verspüren, wen Ihr beleidigt habt. – Mein Pferd! Die Sitzung ist aufgehoben.«

Als alles sich in Bewegung setzte, die Halle zu verlassen, näherte sich der Maire von Dijon abermals dem Herzoge und äußerte voller Scheu die Hoffnung, Seine Hoheit wolle huldreichst teilnehmen an einem Bankett, das die Ortsobrigkeit ihm zu Ehren veranstalte. »Nein, beim St, Georg von Burgund, Herr Maire,« rief Karl mit stechendem Blicke, »Euer Frühstück hat uns nicht so gefallen, daß es uns noch nach einem Mittagsschmaus bei Euch gelüstete!« – Mit diesen Worten drehte er dem betroffenen Bürgermeister den Rücken, bestieg seinen Hengst und ritt zurück in sein Lager, Als er sich unterwegs mit seinen Offizieren besprach, zu denen sich Philippson gesellte, ritt plötzlich der Kanzler von Burgund in großer Eile heran: »Herr,« sprach er, »soeben sind Nachrichten über Frankreich und England eingetroffen. Ludwig und Eduard sind völlig einig.« Sowohl der Herzog als auch Philippson erstaunte.

»Ich erwartete das,« sprach Karl, »jedoch nicht so schnell. Was haben sie abgemacht? Wo überwintert das englische Heer? Welche Städte, Festungen und Schlösser sind ihnen als Unterpfand oder zum dauernden Besitz eingeräumt worden?«

»Die englische Armee kehrt in die Heimat zurück,« versetzte der Kanzler, »und zwar so schnell die Ueberfahrt bewerkstelligt werden kann; und Ludwig versieht sie dabei mit allen Segeln und Rudern, die in seinen Staaten zu finden sind, damit sie Frankreich so schnell wie möglich räumen können,« – »Und durch welche Abtretungen hat Ludwig einen seinen Angelegenheiten so notwendigen Frieden erkauft?« – »Durch, schöne Worte,« sagten der Kanzler, »durch reiche Geschenke und durch fünfhundert und etliche Tonnen Weins.« – »Wein!« rief der Herzog, »hörtest Du jemals dergleichen, Sir Philippson? Traun, Deine Landsleute sind kaum besser denn Esau, der seine Erstgeburt für ein Linsengericht verkaufte! Fürwahr, ich muß gestehen, ich habe noch keinen Engländer gekannt, der einen Handel mit trocknem Munde abgeschlossen hätte.«

»Ich kann diese Nachricht kaum glauben,« sagte der Graf von Oxford. »Wenn dieser Eduard sich auch damit begnügte, die Seefahrt gemacht zu haben, bloß um mit fünfzigtausend Engländern ruhig zurückzukehren, so sind in seinem Lager stolze Edelleute und hochfahrende Krieger, die sich seinem schmachvollen Vorhaben sicher widersetzen würden.«

»Das Geld Ludwigs,« sagte der Minister, »hat edle Hände gefunden, die es willig hinnahmen. Der französische Wein hat alle Kehlen des englischen Heeres überschwemmt, – der Lärm und Aufruhr waren zügellos, und das Gefühl für ihre Nationalehre ist in dem allgemeinen Jubel verloren gegangen, und diejenigen unter ihnen, die sich würdevoller und als weise Staatsklügler zeigen möchten, erklären, man hätte wohl weise und ritterlich gehandelt, weil man bei dieser Jahreszeit doch keine Quartiere hätte finden können. Nur hätte man noch Tribut von Frankreich fordern müssen, um wenigstens im Triumphe heimzukehren.« – »Und dem König Ludwig,« setzte Oxford hinzu, »volle Freiheit zu lassen, ungestört Burgund mit allen seinen Streitkräften anzugreifen.« –»Nicht so, Freund Philippson,« sagte der Herzog, »wisse, daß zwischen Burgund und Frankreich ein Waffenstillstand für sieben aufeinander folgende Jahre obwaltet, und wäre dieser nicht bewilligt und verbrieft worden, so möchten wir wahrscheinlich Mittel gefunden haben, den Vertrag zwischen England und Frankreich zu vereiteln, selbst wenn es darauf angekommen wäre, den gefräßigen Insulanern Rindfleisch und Bier während der Wintermonate zu reichen. – Herr Kanzler, Ihr mögt uns verlassen, jedoch bleibt in der Nähe, daß Ihr schnell zu haben seid!«

Als der Erzbischof das Zelt verließ, ging der Herzog, der mit seinem schroffen und herrschsüchtigen Charakter viele Herzensgüte verband, die man wohl Großmut nennen konnte, auf den Grafen Oxford zu, der wie vom Donner gerührt dastand. »Mein armer Oxford,« sprach er, »Du bist erstarrt über die Kunde, die wohl Deiner Ansicht nach, dem Plane nachteilig ist, den Deine wackere Seele mit so inniger Hingebung hegt. Ich hätte um Deinetwillen das englische Heer längere Zeit in Frankreich zurückhalten mögen; allein hätte ich versucht, dies zu tun, so wäre es mit dem Waffenstillstand zwischen Ludwig und mir zu Ende und es mir folglich nicht mehr möglich gewesen, diese lumpigen Kantone zu züchtigen und eine Kriegerschar nach England zu schicken. Wie die Sachen jetzt stehen, gib mir nur eine Woche Frist, die Schweizer zu strafen, und Du füllst eine größere Streitmacht erhalten, als Deine Bescheidenheit sie von mir begehrte. Fürchte nichts! verlasse Dich auf meinen Beistand, – vorausgesetzt, wohl verstanden, daß es mit der Abtretung der Provence seine Richtigkeit hat. Wir wollen alles so schleunig wie möglich betreiben. Unsere Mannschaft erhält Befehl, diesen Abend noch gegen Welsch-Neuenburg aufzubrechen, wo die hochmütigen Schweizer ein Pröbchen von Feuer und Schwert bekommen sollen!«

Oxford seufzte schwer, machte jedoch keine ferneren Vorstellungen. Hierin tat er sehr weise, denn er wußte, daß er nur des Herzogs leicht erregten Zorn entfacht, sonst aber nichts erreicht hätte.

Dreizehntes Kapitel

Indem wir den Grafen Oxford im Gefolge des hartnäckigen Herzogs von Burgund an dem Zuge gegen die Schweiz teilnehmen lassen, den der eine als kurzen Ritt bezeichnete, der andere aber in weit ernsterem, gefährlicherem Lichte betrachtete, kehren wir zu Arthur de Vere oder dem jüngeren Philippson zurück, der, wiewohl sehr langsam, so doch sicher und wohlbehalten von seinem treuen Geleitsmann nach der Provence geführt wurde.

Der Zustand Lothringens, das von des Herzogs Kriegsmannen überflutet war und zu gleicher Zeit von mancherlei umherziehenden Scharen durchstreift wurde, machte das Reisen so gefährlich, daß man oft die Hauptstraße seitwärts liegen lassen und auf Umwegen weiter ziehen mußte. Durch traurige Erfahrungen belehrt, fremden Führern zu mißtrauen, fühlte Arthur sich auf dieser so wichtigen und gefährlichen Reise dessenungeachtet geneigt, seinen diesmaligen Führer, dem Provencalen Thibault, oder Theobald, zu vertrauen, da dieser genau die Wege kannte, die sie zu ziehen hatten, und, soweit er folgern konnte, den besten Willen zeigte, sein Amt mit Treue zu erfüllen.

Als man den Grenzen der Provence näher kam, begann Thibault, von seiner Heimat alles, was er als echtes Kind dieses Landes wußte, zu erzählen. Er kannte nicht nur den Namen und die Geschichte jeder romantisch gelegenen Feste, an der man auf abgelegenen und bedenklichen Wegen vorüberzog, sondern auch die ritterliche Geschichte der Edlen und Freien, dem sie gehörte oder früher einmal gehört hatte. Im Verlaufe solcher Mitteilungen kam Thibault auf die Troubadours zu sprechen, ein Geschlecht eingeborener Dichter der Provence, deren Erzählungen und Gesänge unserm Arthur, wie den meisten edelgeborenen Jünglingen seines Vaterlandes, genau bekannt waren, da man sie vielfach ins Englische überseht hatte. So kam das Gespräch auf den König René, den Schutzherrn aller Minnesänger, und Arthur, dem daran lag, über diesen Fürsten mehr zu erfahren, als was er vom Hörensagen bisher wußte, ließ sich von Thibault ausführlich von den Eigenschaften des guten alten Königs erzählen, der gerecht, heiter, gutherzig, ein Freund der edelsten Jagd und Turnierübungen und mehr noch der Poesie und Musik war, der mehr, als er besaß, in Geschenken an fahrende Ritter und Spielleute verteilte, von denen seine winzige Hofhaltung überfüllt war.

Entsprossen aus königlichem Stamme, war René zu keiner Zeit seines Lebens imstande gewesen, seine hohen Vorrechte genügend geltend zu machen. Von all den Reichen, auf die er ein Anrecht hatte, war ihm außer der Provence keins mehr geblieben. In seiner Jugend widmete René sich mehr als einem Kriegszuge, in der Hoffnung, einen Teil der Lande wiederzuerhalten, als deren Monarch er betitelt war. Seinem Mute war dabei nichts vorzuwerfen, allein das Glück lächelte seinen Zügen nicht, und er scheint zuletzt eingesehen zu haben, daß die Kunst, kriegerisches Verdienst zu besingen, noch niemand befähige, Kriege zu führen. René war in der Tat ein Fürst von sehr beschränkten Fähigkeiten, begabt mit Liebe für die schönen Künste, die er bis zum Uebermaß trieb, sonst aber von einer Genügsamkeit, die ihn da noch sich glücklich fühlen ließ, wo ein Fürst von kräftigeren Empfindungen in Verzweiflung gestorben wäre. Dieses sorglose, heitere, leichtgestimmte Wesen verhalf dem König René zu einem gesunden, muntern Greisenalter, indem es ihn allen den Leidenschaften entfremdete, die das Leben verbittern und verkürzen. Die meisten seiner Kinder raffte frühzeitiger Tod hinweg; René nahm es sich nicht zu Herzen. Die Vermählung seiner Tochter Margarethe mit dem mächtigen Heinrich V. von England wurde als eine Verbindung angesehen, die bei weitem über die Glücksgrenze eines Troubadourkönigs hinausreichte; der Ausgang zeigte, daß René, statt aus dieser Ehe Glanz für sich herzuleiten, in das Mißgeschick seiner Tochter verwickelt wurde und zu wiederholten Malen genötigt war, sich selbst zu plündern, um ihr auszuhelfen. Vielleicht beklagte der alte König in seiner tiefsten Seele weniger diese Verluste als vielmehr die Notwendigkeit, Margarethe wieder an seinen Hof und in sein Königshaus aufzunehmen. In ihrem Ingrimm über erlittene Verluste, in ihrem Schmerz über erschlagene Freunde und verlorene Länder paßte die stolzeste, leidenschaftlichste Fürstin übel zu dem fröhlichsten, muntersten Monarchen, dessen Treiben sie verachtete, und dessen leichte Sinnesart, die ihm Trost in allen Widerwärtigkeiten verlieh, sie nicht verzeihen konnte.

Ein anderes Unglück lastete schwer auf ihm, – Yolanda, eine Tochter seiner ersten Gattin Isabella, war Nachfolgerin seiner Anrechte auf das Herzogtum Lothringen geworden und hatte diese auf ihren Sohn, Ferrand, Grafen von Vaudemont, einen Jüngling voll Mut und Geist übertragen, der um diese Zeit in dem scheinbar hoffnungslosen Unternehmen begriffen war, seine Rechte gegen den Herzog von Burgund geltend zu machen, der mit geringer Befugnis, aber mit großer Macht dies reiche Herzogtum mit Krieg überzog, um es als männliches Lehen an sich zu reißen. Um die Bekümmernis voll zu machen, mußte der alte König, der auf der einen Seite eine entthronte Tochter in ihrer hoffnungslosen Verzweiflung zu sich nehmen mußte, auf der andern Seite seinen erblosen Großsohn vergebens danach streben sah, einen Teil seiner Rechte wieder zu erstreiten, auch noch das Mißgeschick erfahren, daß sein Neffe Ludwig von Frankreich und sein Vetter Karl von Burgund insgeheim sich darum stritten, wer in den Besitz der Provence gelangen sollte, und daß er es nur dem gegenseitigen Neid dieser beiden Fürsten zu verdanken hatte, wenn ihm nicht auch noch der letzte Rest seiner Länder entrissen wurde. Inmitten jedoch all dieser Trübsal empfing René Gäste und bewirtete sie; sang, tanzte, dichtete, führte Pinsel und Bleistift mit nicht geringer Geschicklichkeit, ersann und ordnete Festlichkeiten und Prozessionen und war bemüht, die Fröhlichkeit und heitere Laune seiner Untertanen zu fördern, so daß diese ihn nie anders als den guten König René nannten.

Während Arthur der ausführlichen Schilderung seines Führers lauschte, betraten sie das Land dieses fröhlichen Herrschers. Es war spät im Herbste und um die Zeit, wo die südöstlichen Provinzen Frankreichs sich am unvorteilhaftesten zeigen. Das Laub der Olivenbäume ist dann vertrocknet und verwittert, und da diese Bäume in der Landschaft vorherrschen – und alsdann die Farbe des ausgedörrten Bodens annehmen, so wird dem ganzen dadurch ein aschgrauer und dürrer Anblick verliehen. Dennoch fanden sich auf den Hügeln und in den Ebenen Flecken, wo eine Menge von Immergrün das Auge selbst in dieser toten Jahreszeit erquickte.

Wer aus Burgund und Lothringen, wo die Einwohner sich mit deutscher Derbheit gaben, heraustrat in das Hirtenland der Provence, ward bald gewahr, daß hier der Einfluß eines milden Himmels und einer wohlklingenden Sprache, vereint mit den Gesinnungen des alten, romantisch angehauchten Monarchen, und der allgemeinen Vorliebe für Musik und Poesie, zu einer Veredlung der Sitten geführt hatte, die fast an Ziererei grenzte.

Vor allem aber wunderte sich Arthur darüber, daß es bewaffnete Männer und Kriegsknechte in diesem friedlichen Lande nicht zu geben schien. In England begab sich kein Mann ohne Bogen, Schwert und Schild auf die Heerstraße. In Frankreich trug der Ackerknecht Waffen, wenn er hinter dem Pfluge herging. In Deutschland konnte man keine Halbstunde Weges wandern, ohne Staubwolken aussteigen zu sehen, aus denen sich bald wogende Federbüsche und glänzende Rüstungen hervorhoben. Allein in der Provence schien alles ruhig und friedsam, gleich als ob die Musik des Landes jegliche aufbrausende Leidenschaft in Schlaf gelullt hätte. Dann und wann zog ein Reitersmann an unseren Reisenden vorüber, der am Sattelknopf die Harfe zu hängen hatte und sich dadurch als Troubadour zu erkennen gab; aber auch diese Reiter trugen keine andern Waffen, als ein kurzes Schwert an der linken Hüfte, das mehr zur Zierde als zum Gebrauche diente.

Der Anblick der alten, schönen Stadt Aix, in welcher König René seinen Hof hielt, rief unserm jungen Engländer die besondere Botschaft ins Gedächtnis zurück, die er auszurichten hatte. »Ich muß an den Hof, und zwar sonder Verzug,« sagte Arthur zu seinem Führer. »Erwarte mich in einer halben Stunde dort in der Straße bei jenem Springquell, der in die Luft eine so prächtige Wassersäule aufsteigen läßt.« – »So Ihr zum guten König René wollt, so trefft Ihr ihn um diese Zeit am besten in seinem Kabinett – so nennt man nämlich die schmale Brustwehr dort drüben zwischen den zwei Türmen, die eine Aussicht nach Süden hat und nach allen übrigen Seiten verdeckt ist. Dort zu spazieren und der Sonnenstrahlen in so kalten Morgenstunden wie heute zu genießen, ist sein Vergnügen. Es stärkt dies, wie er sagt, seine poetische Ader. Wenn Ihr Euch diesem Platze nähert, so wird der König willig mit Euch reden; es sei denn, er wäre wirklich im Begriff, irgend eine poetische Arbeit zu verfassen.«

Arthur konnte nicht unterlassen zu lächeln, als er eines Königs gedachte, der, achtzig Jahre alt, gebeugt durch Mißgeschick und umringt von Gefahren, sich dennoch damit belustigte, auf offener Brustwehr spazieren zu gehen und Lieder zu dichten, in Gegenwart all seiner lieben Untertanen, die Lust haben mochten, ihm zuzuschauen.

Vierzehntes Kapitel

Indem Arthur sich dem Lieblingsplätzchen des Königs vorsichtig näherte, hatte er Gelegenheit, Seine Majestät, den guten, alten René, eingehend zu betrachten. Er sah einen Greis mit Scheitellocken und einem Barte, die an Fülle und Weiße fast mit denen des Abgeordneten von Schwyz wetteiferten, jedoch mit einer frischen und rötlichen Farbe auf den Wangen und einem überaus lebhaften Auge. Seine Kleidung war für sein Alter überaus auffallend; und sein nicht nur fester, sondern behender und rascher Schritt zeigte, daß jugendliche Kraft diesen betagten Körper noch beseelte. Der alte René trug ein Täfelchen und einen Griffel in der Hand und schien gänzlich seinen Gedanken hingegeben und gleichgiltig dagegen zu sein, ob er von mehreren Leuten auf der unter seinem höher gelegenen Plätzchen hinlaufenden Straße beobachtet würde oder nicht.

Etliche dieser Leute schienen, ihrer Kleidung und ihrem Wesen nach zu urteilen, Troubadours zu sein; denn sie hielten in ihren Händen Geigen, Zithern, kleine tragbare Harfen und andere Kennzeichen ihres Gewerbes. Andere Vorübergehende, die ernsteren Geschäften nacheilten, blickten auf den König hin, wie auf einen Gegenstand, den täglich zu sehen sie gewohnt waren, doch schritten sie nimmer vorüber, ohne ihre Barette abzuziehen und durch geziemenden Gruß Hochachtung und Ehrfurcht für seine Person zu äußern. Wenn er zufällig auf die Gruppe blickte, die seine Bewegungen beobachtete und sogar wagte, ihn mit einem Murmeln des Beifalls zu begrüßen, so geschah es nur, um sie durch ein freundliches und frohgelauntes Kopfnicken auszuzeichnen.

Endlich fiel des Königs Blick auf Arthur, in dem er sofort einen Fremden erkannte. René winkte seinem Edelknaben und flüsterte ihm etwas zu. Der Page kam dann herab, redete unsern Arthur an und teilte ihm mit, daß der König mit ihm zu reden wünschte. Dem jungen Engländer blieb keine andere Wahl, als sich zu nähern, wobei er jedoch in seinem Innern erwog, wie er sich gegen eine so sonderbare Art von Königswürde wohl zu benehmen hätte.

Als er näher kam, redete König René ihn in höflichem, doch würdevollem Tone an, und als er nun dicht vor dem Könige stand, empfand Arthur eine weit größere Ehrfurcht, als er nach allem, was er von dem Charakter des Greises vernommen, jemals vor ihm zu hegen geglaubt hätte.

»Eurem Aeußern nach, schöner Herr,« sagte René, »seid Ihr ein Fremdling in diesem Lande. Mit welchem Namen hat man Euch zu benennen und welchem Geschäfte hat man das Glück zuzuschreiben, Euch an unserm Hofe zu sehen?« – Arthur schwieg einen Augenblick, und der gute, alte Mann, der dies Schweigen der Scheu und Ehrfurcht zuschrieb, fuhr in einem ermutigenden Tone fort: »Bescheidenheit an einem Jünglinge ist jederzeit eine Zier. Sonder Zweifel seid Ihr ein Jünger der edlen, heitern Kunst des Minnesangs und der Musik, hierhergelockt durch den gern gebotenen Willkommengruß, den wir den Bekennern dieser Kunst gern gewähren, in welcher wir – gelobt seien Unsere heilige Mutter und die Heiligen! – uns selbst ein wenig versucht haben!« – »Ich ringe nicht nach der Ehre des Troubadours,« antwortete Arthur, »denn ich besitze weder Geschicklichkeit noch Verwegenheit genug, das nachzuahmen, was ich bewundere. Schlichte Wahrheit, Sire! Ich bin ein Engländer, und meine Hand ist zu starr geworden durch Bogenspannen, Lanzenschwingen und Schwertführen, um die Harfe zu schlagen oder gar den Pinsel führen zu können.« –

»Ein Engländer!« sagte René, und die Wärme seines Empfanges kühlte sich ab. »Und was führt Euch hierher? England und ich, wir haben wenig Freundschaft miteinander gepflogen.« – »Aus diesem Grunde bin ich hier,« entgegnete Arthur; »ich komme Euer Hoheit Tochter, der Prinzessin Margarethe von Anjou, die ich und mancher getreue Engländer nach wie vor als unsere Königin betrachten, obwohl Verräter sich ihre Rechte anmaßten, meine Huldigung darzubringen,« – »Ach, guter Jüngling!« rief René. »Es tut mir leid um Euch, weil ich Eure Treue und Anhänglichkeit hochschätze. Dächte meine Tochter Margarethe wie ich, so würde sie längst auf Ansprüche verzichtet haben, deretwegen die edelsten und tapfersten unserer Vasallen in ein Meer von Blut getaucht wurden. Geht in meinen Palast und fragt nach dem Seneschall Hugo von Saint-Cyr! er wird Euch zu Margarethen führen – das heißt, so sie Verlangen trägt, Euch zu sehen. Wo nicht, guter englischer Jüngling, so weile in meinem Palaste, und Du sollst gastliche Aufnahme finden. Wenn Du Sinn hast, für Schönheit und edle Formen, so wird Dir das Herz im Busen hüpfen beim Anblick meines Palastes, dessen stattliches Aussehen wohl der tadellosen Gestalt irgend einer wohlerzogenen Dame oder der kunstreichen, nur dem Anscheine nach einfachen Melodie gleicht, die wir soeben zu einem Liede gesetzt haben.«

Der König schien nach seinem Instrumente greifen und dem Jüngling das eben verfaßte Lied vorsingen zu wollen; allein Arthur empfand in diesem Augenblick jene Art sonderbarer Scham, die feinfühlende Seelen ergreift, wenn jemand, der sich etwas auf irgend eine Kunst einbildet, mit einem Vertrauen, als könnte er Bewunderung erregen, sich hervortun will und dabei doch, nur lächerlich wirken muß. Er nahm daher rasch Abschied von dem Könige von Neapel, beiden Sizilien und Jerusalem, und zwar auf eine Weise, die sehr wenig der herkömmlichen Etiquette entsprach. Der König blickte ihm etwas verwundert nach; schien aber sein Benehmen mangelhafter Erziehung zuzuschreiben und begann dann wieder auf seiner Geige zu fiedeln.

»Der alte Tor!« sagte Arthur, »seine Tochter ist entthront, seine Staaten zerstückelt, sein Königshaus ist im Erlöschen, sein Enkel wird von einem Schlupfwinkel zum andern verscheucht und aus dem Erbe seiner Mutter vertrieben – dennoch findet dieser Greis Belustigung in dergleichen Albernheiten! Mit seinem langen weißen Barte hielt ich ihn für ebenso ehrwürdig, wie Nikolaus Bonstetten; allein dieser alte Schweizer ist, mit diesem Männlein verglichen, ein wahrer Salomo.«

Unter solchen Betrachtungen erreichte Arthur den Springbrunnen und fand hier Thibault, der ihm versicherte, Gepäck, Pferde und Mannschaft wären so untergebracht worden, daß man ihrer auf den ersten Blick habhaft werden könnte. Dann führte er unsern Arthur nach des Königs Palast, der wegen der Eigenart und Schönheit seines Baues die Lobrede wohl verdiente, die der König ihm gehalten hatte.

Arthur wunderte sich vor allem darüber, daß das Tor des Palastes offen stand und Leute aus allen Ständen ungehindert aus- und einzugehen schienen. Nachdem der Jüngling sich einige Minuten lang umgesehen hatte, stieg er die Stufen hinan und fragte bei dem Türsteher nach dem ihm vom König genannten Seneschall. Der wohlbeleibte Hüter übergab den Fremden einem Edelknecht, der ihn in ein Gemach führte, wo er einen Diener höheren Ranges fand, einen Mann mit freundlichem Gesicht, ruhigem, hellem Auge und einer Stirn, die sich wohl nie zum Ernst runzelte.

»Ihr sprecht Nordfranzösisch, schöner Herr,« sagte er zu Arthur, »habt lichteres Haar und weißere Gesichtsfarbe als die Eingeborenen dieses Landes. – Ihr fragt nach der Königin Margarethe. – An allen diesen Zeichen erkenne ich in Euch den Engländer. Ihre Gnaden von England ist in diesem Augenblick beschäftigt, im Kloster zu Mont Saint-Victoire ein Gelübde abzulegen, und so Euer Name Arthur Philippson ist, so habe ich Auftrag, Euch sofort zu der Königin zu führen. Nur sollt Ihr zuvörderst Speise und Trank zu Euch nehmen.« Als dies geschehen, begleitete ihn der Seneschall bis an das Tor, und dort zeigte sich Thibault, nicht mit den ermüdeten Rossen, von denen sie vor einer Stunde abgestiegen waren, sondern mit frischen Kleppern aus dem Stalle des Königs. »Sie sind die Eurigen von dem Augenblicke an, wo Ihr den Fuß in den Steigbügel setzt,« sprach der Seneschall; »der gute König René nimmt niemals ein Pferd zurück, das einem Gaste geliehen wurde; und das ist vielleicht eine von den Ursachen, warum Seine königliche Hoheit und wir, seine Hausdiener, oftmals zu Fuße gehen müssen.«

Hier verabschiedete sich Arthur von dem Seneschall und ritt fürbaß, um Königin Margarethe in dem berühmten Kloster Saint-Victoire aufzusuchen. Er fragte seinen Führer, in welcher Richtung dasselbe gelegen wäre, und dieser zeigte mit einer Art von Triumph auf einen etwa dreitausend Fuß hohen Berg, der sich in einer Entfernung von ein paar Stunden Weges von der Stadt erhob und mit seinem kühnen Felsgipfel das Wahrzeichen der Landschaft bildete.

Thibault ritt dicht an seines Gebieters Seite und fragte ihn mit gedämpfter Stimme, ob er schon wüßte oder zu wissen begehrte, aus welcher Ursache Margarethe die Stadt Aix verlassen und sich in das Kloster von Saint-Victoire begeben hätte. – »Um ein Gelübde zu erfüllen,« sagte Arthur. – »Ich weiß es besser,« antwortete Thibault. »Um die Schwermut zu verscheuchen, in die seine Tochter versunken war und wodurch alles, was sich ihr näherte, gleichsam vergiftet wurde, traf König René, als sie auf einige Tage verreist war – man weiß nicht, weshalb oder wohin – umfassende Vorkehrungen zu einem lustigen Mummenschanz, in deren Veranstaltung er Meister ist. Als seine Tochter nun zurückkehrte und vor dem Palaste erschien, sah sie sich plötzlich von hundert Masken, Türken, Juden, Sarazenen und Mauren umringt, die ihr ihre Huldigung darbrachten und sie als die Königin von Saba begrüßten. Ein großes Musikstück rief die Masken auf, sich zu einem prächtigen Ballett zu vereinigen, indem sie die Königin auf höchst unterhaltende Weise und mit den seltsamsten Gebärden umtanzten. Frau Margarethe, bestürzt über den Lärm und verdrossen über diesen unerwarteten Ueberfall, wollte in den Palast gehen; allein auf Befehl des Königs waren die Pforten verschlossen. Die Königin wollte nun durch ein Zeichen und Worte den Tumult beschwichtigen; allein die Masken, die sich genau nach dem ihnen vorgeschriebenen Programm richteten, antworteten nur durch Gesang, Musik und Jubelgeschrei.« – »Ich wollte,« sprach Arthur, »es wären ein Schock englischer Jagddiener mit ihren Knütteln dagewesen, um den schreienden Schuften Ehrfurcht vor einer Dame einzubläuen, die die Krone von England trug.« – »Alles Getöse hörte sofort auf,« fuhr Thibault fort, »und sanfte Musik erklang, als der gute König selbst, in der Gestalt des Königs Salomo, erschien.«– »Mit welchem er unter allen Fürsten die wenigste Ähnlichkeit hat,« fiel Arthur ein. – »Er machte nun zur Bewillkommnung der Königin von Saba solche Sprünge und Gebärden, daß, wie Augenzeugen mir versicherten, selbst ein toter Mensch lebendig oder ein lebender Mensch des Todes vor Lachen geworden wäre. Je mehr er gaukelte und scherzte, desto aufgebrachter wurde die Königin, bis ihr Verdruß sich zu einer Art von Wahnsinn steigerte. Sie schlug ihm den Stab aus der Hand, brach sich durch die Volksmenge wie eine Tigerin Bahn, und eilte zum Vorhof des Palastes. Bevor die szenische Darstellung, die durch die Heftigkeit der Königin zerrissen worden war, wieder in Ordnung gebracht werden konnte, hatte sich die Fürstin bereits in Begleitung mehrerer Engländer aus ihrem Gefolge von hinnen begeben. Ohne auf ihre oder anderer Sicherheit weiter Rücksicht zu nehmen, jagte sie mit ihrem Rosse davon, flog wie ein Hagelwetter durch die Gassen und zog die Zügel nicht eher an, als bis sie zur Hälfte den Berg Saint-Victoire hinaufgeritten war. Sie wurde hierauf im Kloster aufgenommen und ist dort geblieben. Ein Gelübde muß jetzt als Deckmantel des Zwistes zwischen ihr und ihrem Vater dienen.«

»Wie lange ist das her?« fragte Arthur. – »Es sind erst drei Tage verflossen, seit die Königin Margarethe die Stadt Aix verließ. Doch seht! dort erhebt sich das Kloster zwischen zwei ungeheuren Felsen, die den Gipfel des Berges Saint-Victoire bilden. Es ist dort weiter kein ebener Raum als der Spalt, in den das Kloster der heiligen Maria zum Siege eingebettet liegt, und der Zugang dazu wird durch höchst gefährliche Abgründe gesichert. Hier müßt Ihr vom Pferde steigen und den schmalen Fußpfad einschlagen, der sich endlich zu der Spitze des Felsens und zur Pforte des Klosters emporschlängelt.« – »Und was wird aus Euch und den Pferden?« fragte Arthur. – »Wir wollen in dem Hospiz bleiben,« sagte Thibault, »das die frommen Väter am Fuße des Berges zur Bequemlichkeit der Pilger unterhalten – denn ich sage Euch, von gar manchem Fernwohnenden wird zu Roß wie zu Fuß das Kloster besucht. Sorgt nicht für mich – ich komme schon zuerst von uns unter Dach!«

Arthur stieg den steilen Pfad hinan, der zum Kloster führte; indem er bald senkrechte Felsstücke erklomm, bald deren Spitzen auf Umwegen erreichte. Der Weg wand sich durch Dickicht von Buchsbaum und anderem duftenden Gesträuch, das den Bergziegen einiges Futter gewährte, jedoch dem Reisenden, der sich hindurcharbeiten mußte, ein ärgerliches Hindernis war. Die Krone dieses Berges bestand aus einem nackten Felsen und war durch einen Spalt oder eine Oeffnung in zwei Gipfel oder Spitzen geteilt, zwischen denen aller Raum von dem daselbst errichteten Klostergebäude eingenommen ward. Die Vorderseite dieses Gebäudes war von uralter, gotischer Bauart und entsprach dem wilden Ansehen der nackten Klippe, deren Form einen Teil des Klosters auszumachen schien.

Auf ein Glockenläuten erschien ein Laienbruder, der Pförtner dieses seltsam gelegenen Klosters. Arthur gab sich für einen englischen Kaufmann namens Philippson aus, der gekommen sei, der Königin Margarethe seine Huldigung darzubringen. Mit vieler Hochachtung wies der Pförtner den Fremden in das Kloster und dann in das Sprechzimmer, das, nach Aix hinüberblickend, eine weite, herrliche Aussicht auf die südlichen und westlichen Teile der Provence darbot. Arthur betrachtete entzückt die ferne Landschaft, die, von der Abendsonne beleuchtet, in verglimmendem Schimmer dalag. Die sinkenden Strahlen zeigten im dunkelroten Glanze eine weitgedehnte Mannigfaltigkeit von Hügeln, Höhen und Tälern, Feldern und Ackerland, mit Städten, Kirchen und Burgen, von denen etliche sich zwischen Bäumen erhoben, andere auf felsigen Höhen erbaut zu sein schienen, wieder andere an dem Ufer eines Sees oder Stroms hervorlugten. Plötzlich aber wurde das schöne Bild verhüllt durch den dunklen Schatten heranziehender Wolken, die sich allmählich über einen großen Teil des Horizonts hinlagerten und die Sonne zu verfinstern drohten, und heulend strich der Wind durch die Klüfte des Berges.

Während Arthur das wunderbare Naturschauspiel betrachtete, vergaß er über dem erhebenden Anblick fast das wichtige Geschäft, das ihn hierher geführt hatte, als er plötzlich Margarethe von Anjou neben sich erblickte. Die Königin trug ein schwarzes Gewand, ohne allen Schmuck, einen goldenen, etwa einen Zoll breiten Reifen ausgenommen, der ihre langen schwarzen Haarflechten zusammenhielt, die durch das ihr nahende Alter und durch schwere Kümmernisse zum Teil ihren Glanz verloren hatten. Aus dem Reifen hervor hub sich eine schwarze Feder mit einer roten Rose, der letzten des Jahres, die der fromme Gärtner des Klosters ihr an diesem Morgen als Sinnbild ihres Hauses verehrt hatte. Sorge, Bekümmernis und Ermattung schienen auf ihrer Stirn und in ihren Gesichtszügen zu lagern. Jedem andern Boten hätte sie wahrscheinlich Vorwürfe gemacht, nicht rascher seiner Pflicht nachgekommen zu sein; allein Arthurs Alter und Gestalt erinnerten sie stets an ihren geliebten, verlorenen Sohn, und außerdem war Arthur der Sohn einer Dame, die von Margarethen mit fast schwesterlicher Innigkeit geliebt worden war. Daher erweckte Arthurs Erscheinen jedesmal in der entthronten Königin mütterliche Zärtlichkeit. Sie hieß ihn aufstehen, als er zu ihren Füßen kniete, sprach mit vieler Huld zu ihm und ermunterte ihn, ihr ganz ausführlich seines Vaters Botschaft auszurichten, auch ihr sonstige Nachrichten von seinem Aufenthalt in Dijon zu melden.

Dann fragte sie plötzlich, welches Weges der Herzog Karl von Burgund mit seinem Heere zöge. – »Soviel ich von dem Hauptmann seines Geschützes gehört habe,« antwortete Arthur, »zieht er nach Welsch-Neuenburg, wo er den ersten Angriff gegen die Schweizer zu machen gedenkt.« – »Der eigensinnige Tor!« sagte die Königin Margarethe. »Er gleicht einem armen Mondsüchtigen, der die Höhe eines Berges erklettert, um, wie er meint, dem Regen auf halben Wege entgegenzugehen. Rät Dein Vater mir denn,« fuhr Margarethe fort, »um etlicher tausend Krontaler und der kümmerlichen Mitwirkung weniger hundert Lanzen willen unserm stolzen und eigensinnigen Vetter von Burgund, der auf alles, was unser ist, Anspruch macht und dafür so wenig Hilfe verspricht, alles das hinzugeben, was von unserm väterlichen Erbe unser ist?«

»Ich würde meines Vaters Auftrag schlecht ausrichten,« sagte Arthur, »wenn ich Eure Hoheit in dem Wahne ließe, daß er ein so großes Opfer anriete. Er fühlt tief des Herzogs von Burgund gieriges Verlangen nach Länderbesitz. Dessenungeachtet meint er, die Provence müsse nach dem Tode des Königs René oder früher entweder dem Herzog Karl oder dem König von Frankreich zufallen, was für Widerstand auch Eure Hoheit gegen solche Verfügung aufbieten möge, und es mag wohl sein, daß mein Vater, als Ritter und Kriegsverständiger, sich von einem abermaligen Versuch auf Britannien viel verspricht. Allein die Entscheidung muß Eurer Hoheit überlassen werden.« – »Junger Mann,« sagte die Königin, »die Erwägung einer so schweren Frage beraubt mich fast des Verstandes. Margarethe, deren Entschließungen einst fest und unbeweglich wie der Fels waren, auf dem dieses Kloster steht, ist jetzt so unschlüssig und wankelmütig wie die Wolken, die um uns her jagen. In der Freude, mit einem so treuen Vasallen zusammenzutreffen, sagte ich zu Deinem Vater, daß ich alle Opfer bringen wollte, um den Beistand Karls von Burgund zu einer so ritterlichen Unternehmung zu gewinnen, wie der treue Oxford sie mir vorschlug. Doch seitdem habe ich Ursache gehabt, mir das alles reiflich zu überlegen. Ich kehrte zu meinem betagten Vater nur zurück, um ihn zu beleidigen, ja, mit Scham bekenne ich es, um dem Greise vor seinem Volke Schmach anzutun. Seine Gemütsart ist so von der meinigen verschieden wie der Sonnenschein, der vor kurzer Frist eine heitere, schöne Landschaft vergoldete, von dem Sturme, der jetzt wütet. Mit unverhülltem Hohn und offenbarer Geringschätzung, überdrüssig der eitlen Torheiten, die er zur Tröstung einer entthronten Königin, einer verwitweten Gattin und ach! einer kinderlosen Mutter vorbrachte, zog ich mich vor der geräuschvollen und müßigen Lust, die meinen Gram nur noch verschärfte, hierher zurück. Seitdem ich nun hier bin und Stille und Einsamkeit mir Zeit zum Nachdenken gewähren, habe ich an die Kränkungen gedacht, die ich dem alten Manne zufügte, und an das Unrecht, das ihm zu tun ich im Begriffe stand. Mein Vater – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, – ist auch der Vater seines Volkes. Dieses Volk hat in seinen Weingärten und unter seinen Feigenbäumen in unendlicher Bequemlichkeit vielleicht, jedoch auch frei von Unterdrückung und Erpressung gelebt, und dieses Volkes Glück ist auch das Glück seines guten Königs. Muß ich all dies umgestalten? – Muß ich dazu verhelfen, dieses zufriedene Volk einem verwegenen, eigenwilligen, herrschsüchtigen Fürsten zu überliefern? – Würde ich nicht sogar das fröhliche und sorgenlose Herz meines armen alten Vaters brechen, wenn es mir glückte, ihn zu solchem Verzicht zu bestimmen? Dies sind Fragen, die ich mir nur mit Schauder vorlege. Andererseits aber handelt sich's dann darum, die kühnen Pläne Eures Vaters zunichte zu machen, die einzige Gelegenheit zu verscherzen, die sich jemals wieder darbieten mag, Rache zu nehmen an den Verrätern und das Haus Lancaster wiederherzustellen! –Ach, Arthur! die Natur um uns her ist nicht so bewegt durch den schauerlichen Sturm, wie meine Seele es ist durch Zweifel und Ungewißheit!«

»Leider,« sprach Arthur, »bin ich zu jung und zu unerfahren, um in so bedenklichem Falle der Ratgeber Eurer Majestät zu sein. Ich wollte, mein Vater wäre hier,« – »Ich weiß, was er sagen würde,« versetzte die Königin, »und da ich es weiß, verzweifle ich an der Hilfe menschlicher Ratgeber. Meines armen Vaters Lage macht es mir unmöglich, einen festen Entschluß zu fassen. Handelte es sich bloß um dieses pfeifende, winzige Volk von Troubadouren, so wollte ich es allein für das Glück, meinen Fuß noch einmal auf Englands Erde zu setzen, ebenso bereitwillig und leicht von mir schütteln, wie ich dem Sturme dieses verschollene Sinnbild meines verlorenen Königtums überantworte!«

– Indem Margarethe dies sagte, riß sie aus ihrem Haar die dunkle Feder mit der roten Rose, die durch den Sturmwind von dem Goldreif gelöst worden waren, und ließ sie mit einer wilden Gebärde über den Altan hinabwehen. Beide wurden augenblicklich von einer Windsbraut hinweggeführt, so daß die Feder weithin im leeren Raume, wohin das Auge ihr nicht folgen konnte, verschwand. Doch während Arthur unwillkürlich sich bemühte, ihren Flug zu verfolgen, warf ein entgegengesetzter Windstoß die rote Rose zurück, so daß sie auf seine Brust fiel, wo er sie auffing.

»Freude, Glück und Freude, meine königliche Herrin!« rief er, indem er Margarethen die Blume zurückgab! »der Sturm bringt das Wappenzeichen des Hauses Lancaster der rechtmäßigen Eigentümerin zurück!« – »Ich nehme die Deutung an,« sprach Margarethe, »doch sie ist Euch geworden, edler Jüngling, und nicht mir. Die Jeder, die dem Verderben und der Vernichtung entgegengeführt wurde, ist ein Bild Margarethens. Meine Augen werden nimmer die Wiederaufrichtung des Hauses Lancaster erblicken! Ihr aber werdet es erleben, werdet selber dabei tätig sein. Doch meine Gedanken sind so seltsam schwankend, daß eine Rose oder Feder ihr Gleichgewicht aufzuheben imstande ist. O! mein Kopf ist schwindlig, mein Herz ist krank,– Morgen sollt Ihr eine andere Margarethe sehen, und bis dahin – Lebewohl!«

Es war Zeit, sich zurückzuziehen, denn das Unwetter begann heftigere Regengüsse herabzuschütten. Die Königin rief durch ein Händeklatschen zwei ihrer Dienerinnen. »Laßt den Pater Abt wissen,« sagte sie, »daß dieser junge Mann für diese Nacht so beherbergt werden soll, wie es sich für einen unserer geschätztesten Freunde geziemt. – Bis morgen, Sir, Lebewohl!« – Mit einem Angesicht, das nichts mehr von der Erregung der letzten Augenblicke verriet, und mit einer Majestät, die ihr in den Gemächern des Schlosses zu Windsor wohlgestanden hätte, reichte sie dem Jünglinge die Hand, die er ehrfurchtsvoll küßte.

Fünfzehntes Kapitel

Als kaum der Morgen graute, trat in Arthurs Zelle der Pförtner, um ihm zu sagen, daß, so sein Name Arthur Philippson wäre, ein Bruder des Klosterordens ihm Briefschaften von seinem Vater zu überbringen hätte. Der Jüngling fuhr auf, kleidete sich hastig an und wurde in das Sprechzimmer geführt, wo ein Karmelitermönch seiner harrte.

»Ich bin manche Stunde Weges geritten, junger Mann,« sagte der Mönch, »um Euch dieses Schreiben zu überreichen, indem ich Eurem Vater unverzügliche Besorgung versprochen habe. Ich kam während des Sturmes in voriger Nacht zu Aix an, und da ich im Palast erfuhr, Ihr wäret hierher geritten, saß ich auf, sobald das Unwetter sich legte, und bin jetzt hier.« – »Ich bin Euch dankbar, Vater,« sagte der Jüngling, »und wenn ich Eure Mühe mit einer kleinen Gabe an Euer Kloster vergelten kann, so . .« – »Durchaus nicht,« antwortete der Klosterbruder. »Die Kosten meiner Reise sind mir reichlich vergütet worden. Doch öffnet Eure Briefschaften, ich bin imstande, auf Eure Fragen zu antworten.«

Der Jüngling trat demnach an die Brüstung eines Fensters und las: »Sohn Arthur. – Was den Zustand dieses Landes anbetrifft, so ist das Reisen hier jetzt sehr gefährlich. Der Herzog hat die Städte Brie und Granson weggenommen und fünfhundert Mann getötet, die er als Besatzung daselbst gefangen nahm. Allein die Eidgenossen nähern sich mit großer Streitmacht, und Gott wird für das Recht entscheiden. Wie auch das Spiel auslaufe, so ist dies eine scharfe Fehde, in der auf beiden Seiten wenig von Schonung die Rede ist, und deshalb bietet sich für Leute unseres Gewerbes nicht eher Sicherheit, als bis die Entscheidung gefallen sein wird. Mittlerweile magst Du der verwitweten Dame versichern, daß unser Kunde nach wie vor Neigung zum Kaufe der in ihren Händen befindlichen Waren hat; doch wird er kaum eher Zahlung leisten können, als bis die dringenden Geschäfte, die er jetzt betreibt, beendigt sind. Das wird, hoffe ich, bald geschehen. Ich habe einen in die Provence reisenden Mönch zum Ueberbringer dieses Briefes gedungen, und er wird ihn Dir hoffentlich treulich einhändigen. Dem Boten ist zu trauen. – Dein Dich liebender Vater John Philippson,«

Arthur forschte bei dem Karmeliter nach der Zahl der herzoglichen Kriegsschar, die der Mönch auf sechstausend angab, während die Eidgenossen, wie er sagte, trotz aller Bemühungen nicht mehr als den dritten Teil dieser Anzahl hätten zusammenbringen können. Der junge Ferrand de Vaudemont wäre bei den Schweizern und hätte, wie man meinte, geheimen Beistand von Frankreich erhalten; da er aber nicht sonderlich in den Waffen erfahren wäre, auch nur wenige Mannschaft zählte, so trüge der leere Titel, den er als Feldherr führte, nicht viel zur Verstärkung der Eidgenossenschaft bei. Im ganzen berichtete er, schien alles für Karl von Burgund günstig zu stehen, und Arthur, der der Meinung war, daß seines Vaters Unternehmen nur dann glücken könne, wenn der Herzog Glück hatte, freute sich nicht wenig, dies, soweit durch Ueberzahl an Kriegsmannschaft darauf zu schließen war, gesichert zu wissen. Er hatte keine Zeit, weiter zu fragen; denn die Königin war soeben eingetreten, und der Karmeliter zog sich mit tiefer Verbeugung zurück.

Die Blässe auf dem Angesichte Margarethens zeugte noch von ihrer gestrigen Aufregung; doch als sie Arthur huldreich den Morgengruß bot, war ihre Stimme fest, ihr Auge klar, ihre Haltung ungebeugt, »Ich sehe Euch anders wieder,« sagte sie, »als ich Euch gestern verließ; denn mein Vorsatz ist gefaßt. Ich sehe ein, wenn René nicht freiwillig auf die Provence verzichtet, so wird er gewaltsam von diesem Thron gestoßen werden und dabei vielleicht noch sein Leben verlieren. Deswegen wollen wir mit aller Eile ans Werk gehen. Ich kann die Abdankungs- und Uebertragungsschrift von hier aus unter meiner Leitung anordnen und deren Vollziehung zustande bringen, wenn ich nach Aix zurückkehre. Dies soll geschehen, sobald meine Buße hier ihr Ende erreicht hat,« – »Und dieser Brief, huldvolle Frau,« sagte Arthur, »wird Euch kundtun, welche Ereignisse herannahen, und von welcher Wichtigkeit es ist, durch Vorarbeiten Zeit zu gewinnen. Setzt mich nur in den Besitz des notwendigen Abdankungsbriefes, und ich werde Tag und Nacht reisen, um in das Lager des Herzogs zu gelangen. Höchstwahrscheinlich werde ich ihn im Momente des Sieges erreichen. In solcher Stunde werden, ja müssen wir seinen Beistand erhalten; und wir werden bald sehen, ob der ausschweifende Eduard von York, der wilde Richard, der verräterische und meineidige Clarence fernerhin noch die Herren des fröhlichen Englands bleiben werden, oder ob sie einem rechtmäßigeren Monarchen, einem bessern Menschen weichen müssen. Aber, o königliche Frau, auf Eile kommt alles an.«

»Wahr – jedoch nach einer Frist von wenigen Tagen wird und muß der Würfel zwischen Karl und seinen Gegnern fallen, und bevor wir eine so große Schenkung machen, dürfte es doch geraten sein, sich zu versichern, ob der, den wir so begünstigten, auch imstande bleibt, uns Beistand zu leisten. Alle Ergebnisse eines tragischen, vielbewegten Lebens haben mich erkennen lehren, daß nichts über einen unbedeutenden Feind geht. Doch will ich mich beeilen, indem ich im voraus hoffe, daß uns gute Kunde von Neuenburg zukommen werde.«

»Wer aber soll dazu gebraucht werden, diese wichtige Entsagungsschrift zu entwerfen?« fragte der Jüngling. Margarethe sann nach, dann versetzte sie: »Euer Vater schreibt, dem Karmeliter, der Euch das Schreiben überbrachte, sei zu trauen – er soll ans Werk. Er ist ein Fremder und wird schweigen, wenn er ein Stück Geld erhält. Lebt wohl, Arthur de Bere! Ihr werdet von meinem Vater mit aller Gastfreundschaft behandelt werden. Gott befohlen!«

Arthur stieg mit raschen Schritten den Berg hinab. Das Wetter war jetzt überaus heiter, und angesichts der Berglandschaft dachte der junge Mann an die Felsen im Kanton Unterwalden und an das Mädchen, das er dort hatte kennen lernen. Er vergaß über dem süßen Träumen die Mahnung seines Vaters, der ihm ans Herz gelegt hatte, jeden Brief von ihm geheimen Inhalts wegen über ein starkes Feuer zu halten. Erst der Anblick einer Wärmpfanne voll Holzkohlen in der Küche des Hospizes am Fuße des Berges, wo er Thibault mit den Rossen fand, erinnerte ihn daran. Er hielt nun das Papier, als wollte er es trocknen, über die Glut, und groß war sein Erstaunen, als nun ein eingeschaltetes, höchst wichtiges Wort in dem Schreiben sichtbar wurde, so daß er jetzt lesen mußte: »Dem Boten ist nicht zu trauen.«

Von Scham und Verdruß ergriffen, konnte Arthur keinen andern Ausweg finden, als augenblicklich in das Kloster zurückzukehren und der Königin die Entdeckung mitzuteilen, wobei er noch hoffte, früh genug zu kommen, um jeglicher Gefahr vorzubeugen, die aus der Verräterei des Karmeliters etwa entstehen könnte. – Aergerlich auf sich selbst und voll Eifers, seine Sache wieder gut zu machen, erstieg er nochmals die steile Höhe, und binnen vierzig Minuten stand er atemlos und keuchend vor der Königin Margarethe, die über sein Erscheinen und seine Erschöpfung nicht wenig erstaunt war.

»Traut dem Karmeliter nicht!« rief er. – »Ihr seid verraten, Königin, und zwar durch meine Nachlässigkeit. Hier ist mein Dolch, stoßt ihn mir in das Herz!« Margarethe begehrte und erhielt deutlichere Erklärung. »Es ist ein unglücklicher Zufall,« sagte sie darauf. »Doch hätte auch Euer Vater uns deutlicher warnen können. Ich habe dem Karmeliter den Inhalt des Vertrages mitgeteilt und ihn mit der Niederschrift beauftragt. Er hat mich eben verlassen, um der Hora beizuwohnen. Wir können das unbedachtsamerweise geschenkte Vertrauen nicht mehr zurücknehmen, allein ich kann leicht bewirken, daß der Mönch nicht eher aus dem Kloster hinausgelassen wird, als bis es für uns gleichgiltig ist, ob er ein Verräter ist oder nicht. Dies ist der beste Weg, den wir einschlagen können, und ich will Sorge tragen, daß alle Unbequemlichkeit, die er durch sein Hierbleiben erleidet, ihm reichlich belohnt werde. Mittlerweile ruhe aus, guter Arthur, und lüfte Dir Dein Gewand. Armer Junge, Du bist ganz erschöpft!«

Arthur gehorchte und ließ sich auf einen Sessel im Sprechzimmer nieder. »Könnte ich den falschen Mönch nur sehen,« sagte er, »so wollte ich ein Mittel finden, ihn zum Schweigen zu bringen.« – »Besser ist es, Du überläßt es mir,« sagte die Königin, »und mit einem Worte: ich untersage es Dir, Dich mit ihm einzulassen. Es freut mich, daß Ihr die heilige Reliquie, die ich Euch verehrte, um den Hals tragt. Doch was für ein maurisch Zauberkettlein hängt daneben? Ach! ich brauche nicht zu fragen, Eure hochroten Wangen deuten nur zu sehr auf ein zartes Liebeszeichen, Ach! armer Knabe! Einst hätte Margarete von Anjou Dir Beistand sein können, auf wen Deine Neigung sich auch gerichtet haben möchte; allein jetzt kann sie nur das Unglück ihrer Freunde vergrößern, nicht aber deren Glück befördern. Doch das Zaubermädchen, Arthur? Ist sie schön? ist sie verständig und tugendreich? Ist sie von edler Geburt und – liebt sie Dich?«

Margarethe überschaute des Jünglings Gesicht mit dem Blick eines Adlers und fuhr fort: »Auf all das möchtest Du mir mit ja antworten, wenn die Verschämtheit es Dir gestattete. Liebe auch Du sie denn, mein ritterlicher Knabe! denn Liebe ist die Zwillingsschwester edler Handlungen, mein wackerer Jüngling – hochgeboren, treu, tapfer und tugendhaft, verliebt und jugendlich. – Das Rittertum des alten Europa glüht allein noch in einem Busen, wie der Deinige ist. Nun lebe wohl! Nach drei Tagen sehen wir uns in Aix,«

Arthur schied nochmals von der Königin, über deren Herablassung er in tiefster Seele entzückt war, und kehrte zu seinem Führer zurück.

Nach einem Ritt von einer guten Stunde erreichten sie Aix, und Arthur verlor keine Zeit, sich dem guten König René vorzustellen, der ihn huldreich empfing, und zwar sowohl wegen des Empfehlungsschreibens des Herzogs von Burgund, wie in Erwägung dessen, daß der Fremde ein Engländer war, der als treuer Untertan der unglücklichen Margarethe anhing. Er konnte dem Verlangen des alten Königs, ihm seine Gedichte vorzulesen oder seine Musik vorzuspielen, durch nichts anderes ausweichen, als daß er ihn in ein Gespräch über seine Tochter Margarethe verflocht. Arthur war zu verschiedenen Malen geneigt gewesen, daran zu zweifeln, ob die Königin wirklich den Einfluß auf ihren betagten Vater besäße, dessen sie sich rühmte; doch als er mit dem Könige persönlich bekannt war, überzeugte er sich, daß ihr herrschender Geist, ihre heftigeren Leidenschaften dem schwachherzigen und leidenden König eine Mischung von Stolz, Zuneigung und Furcht einflößten, die miteinander ihr die vollkommenste Gewalt über ihn einräumten.

Obgleich sie erst kürzlich auf so unfreundliche Weise von ihm geschieden war, freute René sich doch, als er von ihrer baldigen Rückkehr hörte. Der alte König war ungeduldig wie ein Kind, ehe der Tag ihrer Ankunft herankam, und ließ sich nur nach langen Gegenreden davon abbringen, ihr als Fürst der Hirten an der Spitze eines Zuges arkadischer Schäfer und Nymphen entgegenzuziehen, deren gemeinsame Tänze und Gesänge zu begleiten jede Schalmei und jede Handtrommel des Landes in Bewegung gesetzt werden sollte.

Während Margarethens Abwesenheit gingen die Tage am Königshofe in der Provence in Scherzen und Belustigungen aller Art dahin: Turniere in den Schranken, Reiten nach dem Ringe, Jagden fanden statt; abends erscholl Musik, und lustige Tänze begannen.

Am vierten Tage lief durch einen Schnellboten die Nachricht ein, daß die Königin Margarethe vor der Mittagsstunde nach Aix zurückkehren würde, um ihre Wohnung wieder in ihres Vaters Palaste zu nehmen. Der gute König René schien sich, als die Stunde herannahte, doch ein wenig vor seiner Tochter zu fürchten und teilte seine ängstliche Unruhe allem mit, was ihn umgab. Er quälte seinen Haushofmeister und seine Köche, sich all der Schüsseln zu erinnern, von denen seine Tochter mit Wohlgefallen zu essen pflegte – er trieb die Spielleute an, der Melodien zu gedenken, die ihren Beifall gefunden hätten. Das Mahl sollte um halb zwölf Uhr aufgetragen werden, gleich als könnte man dadurch die Ankunft des erwarteten Gastes beschleunigen; und der König schritt mit dem Tellertuch über dem Arm in der Halle von Fenster zu Fenster, und bestürmte jeden mit der Frage, ob noch nichts von der Königin von England zu sehen wäre. Mit dem Schlage der Mittagsstunde ritt, von einem sehr kleinen, hauptsächlich aus Engländern bestehenden Gefolge begleitet, Margarethe von Anjou zur Stadt Aix hinein. König René ging ihr an der Spitze seines Hofes die Straße hinab entgegen. Margarethe war dieser öffentliche Empfang auf dem Marktplatze höchst unangenehm. Allein sie trug auch Verlangen, ihre jüngst geäußerte Heftigkeit wieder gut zu machen, und stieg deswegen von ihrem Zelter herab. Obgleich sie etwas betroffen darüber war, daß König René mit dem Tellertuche sie begrüßte, so demütigte sie sich doch soweit, daß sie ein Knie vor ihm beugte und ihn um Vergebung und um seinen Segen bat. Dann begab sie sich am Arme des Vaters in den Palast, wo das Wiedersehen festlich begangen wurde.

Zwischen dem Mahle und dem darauffolgenden Tanzfeste suchte die Königin Gelegenheit, mit Arthur zu sprechen. – »Schlimme Nachrichten, mein weiser Ratgeber!« sagte sie. »Nachdem die Hora vorüber war, erschien der Karmeliter nicht mehr bei mir. Als er erfuhr, daß Ihr eilig zurückgekommen wäret, hat er, wie ich vermute, Verdacht geschöpft und daraufhin schleunigst das Kloster verlassen. Ich will morgen mit meinem Vater reden. Mittlerweile dürft Ihr Euch der Lustbarkeit dieses Abends erfreuen. Liebes Fräulein von Boisgelin, ich gebe Euch diesen jungen Kavalier heute abend zum Tänzer.« Die hübsche schwarzäugige Provenzalin verneigte sich mit geziemenden Anstande und musterte den schlanken, jungen Engländer mit wohlgefälligen Blicken. »Glückliches Vorrecht der Jugend,« setzte die Königin mit einem Seufzer hinzu, als das junge Paar seinen Platz zum Ringeltanze einnahm. – »Glückliches Vorrecht der Jugend, auch am rauhesten Lebenswege ein Blümchen zu pflücken.«

Sechzehntes Kapitel

Am folgenden Tage hatte König René neue Festlichkeiten angeordnet, als zu seinem größten Mißbehagen Margarethe um eine ernsthafte Unterredung mit ihm bat. Gab es in der Welt einen Antrag, den René von ganzem Herzen verabscheute, so war es der, in dem das Wort Geschäft vorkam. »Was will denn das Kind von mir?« fragte er; »will sie Geld haben? Ich will ihr geben, was ich an Barem besitze, wiewohl ich gestehe, daß meine Schatzkammer etwas erschöpft ist; doch erwarte ich neue Jahreseinkünfte. Zehntausend Kronen habe ich noch. Wieviel wünscht sie davon? Die Hälfte? – ein Drittel? – das Ganze? – Alles ist zu ihren Diensten.« – »Ach, mein teurer Vater,« sagte Margaretha, »es sind nicht meine Angelegenheiten, sondern die Eurigen, worüber ich mit Euch reden will.« – »So es meine Angelegenheiten sind,« sagte René, »so kann ich sie bis zu einem andern Tage verschieben – bis auf irgend einen düstern Regentag, der zu nichts Besserm taugt.« –»Was ich mit Euch zu besprechen habe, betrifft Ehre und Rang, Leben und Lebensunterhalt!« – »Wenn Du darauf bestehst, Kind,« sagte König René, »so weißt Du, daß ich nicht nein sagen kann.« Und mit Widerwillen ließ er sich in ein inneres Gemach führen. Um jede Störung fernzuhalten, erhielten Margarethens Schreiber Mordaunt und Arthur die Weisung, im Vorgemach zu weilen und niemand einzulassen. Der arme König, der in das Regierungskabinett geführt wurde, blickte mit innerlichem Schauer auf das ebenholzene, mit Silber beschlagene Kästchen, dessen Inhalt ihm bisher stets höchst langweilige Verhandlungen beschert hatte; doch als die Papiere ihm nun vorgelegt waren, zeigte es sich, daß sie, wiewohl auf schmerzliche Weise, seine ganze Aufmerksamkeit rege machten.

Seine Tochter nannte ihm klar und mit kurzen Worten die Schuldsummen, die auf seinen Besitzungen lasteten, und erklärte, wie die letzteren in kleineren und größeren Teilen verpfändet waren. Dann zeigte sie ihm auf einem andern Blatte die Forderungen, deren Zahlung sofort geleistet werden sollte, und zu deren Deckung sich kein Bargeld vorfand. Der König kämpfte dagegen, wie andere Leute in ähnlicher trübseliger Lage tun. Bei jeder Schuldforderung von sechs, sieben oder achttausend Dukaten wiederholte er die Versicherung, daß er zehntausend Krontaler in seiner Kanzlei habe, und wollte durchaus nicht begreifen, daß diese Summe nicht zur Tilgung einer dreißigmal so großen Schuld in Anschlag gebracht werden könnte,

»Sind wir nicht,« sagte Rene, »König von Neapel, Aragon, beiden Sizilien und Jerusalem? Und warum soll der Monarch so schöner Königreiche einem bankerotten Landedelmann gleich um ein Paar lumpiger Krontaler willen in die Enge getrieben werden?« – »Ihr seid freilich König dieser Reiche,« entgegnete Margarethe, »allein es ist notwendig, Eure Majestät daran zu erinnern, daß Ihr es so seid, wie ich Königin von England bin, von einem Lande, wo kein Ackerstück mein ist, und aus welchem ich nicht eines Hellers Wert an Einkünften ziehen kann. Ihr habt keine Besitzungen, die Euch etwas einbrächten, außer diesen, die Ihr auf dieser Rolle verzeichnet seht, und deren Einkünfte hier genau berechnet sind. Diese Einkünfte reichen bei weitem nicht aus, Euren Aufwand zu bestreiten, geschweige denn die großen Summen längst fälliger Schulden zu bezahlen,« – »Es ist grausam, mich so zu drängen,« sagte der König, »Was kann ich tun? Bin ich arm, so kann ich nicht dafür. Ich möchte recht gern die Schulden tilgen, von denen Du schwatzest, wenn ich nur wüßte, wie.« – »Königlicher Vater, das will ich Euch zeigen, – Entsagt Eurer unnützen Würde, die nur dazu dient, Eure Armut lächerlich zu machen. Entsagt Euren Rechten als Monarch, und das Einkommen, das zu den nichtigen Vergeudungen eines bettelhaften Hofstaates nicht auszureichen vermag, wird Euch in den Stand setzen, in Ruhe und Ueberfluß und als Privatedelmann alle die Vergnügungen zu genießen, für die Ihr so eingenommen seid.« – »Margarethe, Du sprichst wie eine Törin,« antwortete Rene etwas finster, »Ein König und sein Volk sind durch Bande aneinandergeknüpft, die niemand, ohne sich strafbar zu machen, zerreißen darf. Meine Untertanen sind meine Herde, ich bin ihr Hirt. Der Himmel hat sie meiner Leitung anvertraut, und ich darf mich der Pflicht nicht entheben, sie zu schützen.« – »Wärt Ihr dazu imstande,« antwortete die Königin, »so würde Margarethe Euch beschwören, bis zum Tode dafür zu fechten. Doch legt nur einmal Euren längst nicht mehr gebrauchten Harnisch an – besteigt Euer Kriegsroß – ruft: »René für die Provence!« und seht zu, ob sich auch nur hundert um Eure Fahnen sammeln. Eure Festen sind in fremden Händen, ein Heer besitzt Ihr nicht; Eure Vasallen mögen guten Willen haben, doch entbehren sie alles Kriegsgeschickes und aller Kriegserfahrung. Ihr steht da, wie der Schatten eines Monarchen, den Frankreich oder Burgund, wer von beiden nur zuerst die Waffen erheben will, verscheuchen und verschwinden lassen kann.«

Tränen flossen reichlich über die Wangen des alten Königs, als er sich eingestehen mußte, daß es ihm gänzlich an Macht gebrach, sich und seine Staaten zu verteidigen, als er einräumen mußte, daß er es oft selbst für notwendig erachtete, sich wegen seiner Entsagung mit einem seiner machtbegabten Nachbarn ins Vernehmen zu setzen. – »Nur die Rücksicht auf Dich, Margarete,« setzte er hinzu, »hielt mich bisher davon ab.« – »Die Rücksicht auf mich fordert jedoch gerade die Entsagung,« antwortete Margarethe. »Ja, sie ist vielleicht der einzige Wunsch, den mein Busen hegt.« – »Genug, mein Kind, gib mir die Abdankungsschrift, daß ich sie unterzeichne. Wir müssen Weh erleiden, doch ist's nicht nötig, deswegen Trübsal zu blasen.« – »Fragt Ihr nicht,« sagte Margarethe, überrascht von des Vaters Bereitwilligkeit, – »wem Ihr Eure Staaten abtretet?« – »Was nützt es,« antwortete der König, »da sie nicht mehr die unsrigen bleiben sollen? Muß es doch entweder Karl von Burgund oder mein Neffe Ludwig sein – beide sind machtbegabte, staatskluge Fürsten, Gott füge es, daß mein armes Volk nicht Ursache habe, mich alten Mann zurückzuwünschen, dessen einziges Vergnügen es war, seine Untertanen fröhlich und glücklich zu sehen.«

»Burgund ist's, dem Ihr die Provence abtretet,« sagte Margarethe. – »Karl ist auch mir lieber als Ludwig,« entgegnete René; »er ist wild, aber nicht boshaft. Noch ein Wort, sind meiner Untertanen Rechte und Freiheiten vollkommen gesichert?« – »Vollkommen,« versetzte die Königin, »und für all Eure Bedürfnisse ist auf das ehrenvollste gesorgt.« – »Ich frage nicht um meinetwillen. René, der Troubadour, wird eben so glücklich sein wie René, der König, es jemals war.«

Als er dies gesagt hatte, pfiff er in praktischer Lebensweisheit leise die Melodie eines jüngst gesetzten Liedchens und unterzeichnete, ohne nur den Handschuh auszuziehen oder das Papier durchzulesen, die Absagungsurkunde, mit der er seine königlichen Besitzungen weggab.

»Was ist das?« sagte er, indem er auf ein anderes zweites Pergament von weit kürzerem Inhalte blickte. »Muß mein Vetter Karl von Burgund auch beide Sizilien, Catalonien, Neapel und Jerusalem, außer den armseligen Resten der Provence haben? Mich dünkt, man hätte, des äußeren Auslandes wegen, zu solcher Abtretung ein größeres Pergamentblatt wählen sollen,«

– »Diese Urkunde,« sagte Margarethe, »erklärt nur, daß Ihr Ferrand de Vaudemont bei seinem vorschnellen Angriff auf Lothringen alle Unterstützung verweigert und Euch seinetwegen mit Karl von Burgund nicht verfeinden wollt!«

Aber hier hatte Margarethe ihre Gewalt über den Vater zu hoch geschätzt, René stutzte, verfärbte sich und stammelte leidenschaftlich, indem er die Tochter unterbrach: »Meinen Großsohn, den Sohn meiner teuren Jolanda, soll ich aufgeben – seine gerechten Ansprüche auf das Erbteil seiner Mutter nicht unterstützen? Margarethe, ich schäme mich in tiefster Seele! Verlassen, verleugnen soll ich mein eigen Fleisch und Blut, weil der Jüngling ein kühner, gewappneter Ritter ist, der sich zum Kampfe für sein Recht anschickt? – ich verdiente, daß Harfe und Jägerhorn Schmach über mich erklingen ließen, wenn ich Dir Gehör gäbe!«

Ehe Margarethe noch zu antworten vermochte, wurden Stimmen im Vorgemache laut, ein bewaffneter Ritter riß die Tür auf und trat mit allen Zeichen einer eben beendeten weiten Reise herein, – »Hier bin ich,« sprach er, »Vater meiner Mutter, – seht Euren Enkel, Ferrand de Vaudemont. Der Sohn Eurer verlorenen Jolanda kniet zu Euren Füßen und fleht um Euren Segen für sich und seine Unternehmung,« – »Du hast ihn,« versetzte René, »und möge es Dir glücken, tapferer Jüngling, Ebenbild Deiner in Gott ruhenden Mutter, mein Segen, meine Gebete, meine Hoffnungen ziehen mit Dir!« – »Und Ihr, schöne Muhme von England,« sagte der Ritter, »die Ihr selber durch Verrat länderlos gemacht wurdet, wollt Ihr nicht die Sache eines Verwandten anerkennen, der für sein Erbe kämpft?« »Ich wünsche Euch persönlich alles Gute, lieber Neffe,« antwortete die Königin von England, »obwohl Eure Gesichtszüge mir fremd sind. Doch es wäre gottlose Raserei, wollte ich diesem Greise anraten, sich an Eurer Sache zu beteiligen, die in den Augen aller klugen Leute für ganz hoffnungslos gilt.«

»So spricht meine Muhme Margarethe, deren Geistesstärke das Haus Lancaster so lange Zeit noch aufrecht erhielt, als der Mut der Krieger dieses Hauses durch erlittene Niederlagen schon gebrochen war?« versetzte Ferrand. »Was würdet Ihr gesagt haben, wenn meine Mutter Jolanda Eurem Vater geraten hätte, Euren eigenen Sohn Eduard zu verleugnen, so Gott es ihm gewählt hätte, wohlbehalten die Provence zu erreichen?« – »Für Eduards Sache,« erwiderte Margarethe in Tränen, »legten mächtige Fürsten und Reichsedle die Lanzen ein. An Deiner Sache aber nehmen nur deutsche Raubritter, die aufsässigen Bürger der Rheinstädte und die elenden bäurischen Eidgenossen der Kantone teil.«

»Aber der Himmel hat meine Sache gesegnet,« versetzte der ritterliche Jüngling. »Wißt, stolze Frau, daß ich gekommen bin, Eure verräterischen Ränke zu vereiteln, nicht als elender Abenteurer, der auf Schleichwegen Krieg führt, sondern als Sieger, der den Hochmut des Tyrannen gezüchtigt hat.« – »Das ist unwahr!« sagte die Königin erstarrend – »ich glaube es nicht!« – »Es ist wahr,« entgegnete Vaudemont. »Es ist so gewiß, wie der Himmel über uns ist. Vier Tage ist es her, seit ich das Gefilde bei Granson verließ, das mit burgundischen Söldnern bedeckt war – Karls Reichtümer, seine Juwelen, sein Silbergerät, sein prachtvoller Schmuck, alles fiel den armen Schweizern zur Beute, die kaum den Wert all dieser Dinge zu schätzen wissen. Kennt Ihr dies, Königin Margarethe?« fuhr der junge Krieger fort, indem er den wohlbekannten Diamant zeigte, der des Herzogs Orden vom Goldenen Vließ schmückte – »meint Ihr nicht auch, daß der Löwe scharf gejagt werden mußte, wenn er Siegeszeichen solcher Art zurücklassen sollte?«

Margarethe blickte mit erblindenden Augen und wirren Gedanken auf ein Zeichen, das die Niederlage Burgunds und das Erlöschen ihrer letzten Hoffnung bestätigte. Ihr Vater hingegen fühlte sich von dem Heldenmut des jungen Kriegers hingerissen und zog seinen Großsohn an die Brust.

Wir kehren zu Arthur zurück, der mit Mordaunt, dem Geheimschreiber der Königin von England, nicht wenig überrascht war, als der Graf Ferrand de Vaudemont, der sich Herzog von Lothringen nannte, in das Vorgemach drang, ein langer Schweizer mit der Hellebarde auf der Schulter hinter ihm drein. Da der Fürst seinen Namen selber nannte, so wehrte Arthur ihm den Zutritt nicht. Doch wie erstaunte er, als in dem derben Hellebardier Sigismund Biedermann erkannte, der mit einem wilden Freudengeschrei auf den jungen Engländer losstürzte. Zu keiner Zeit war es Sigismund ein leichtes, seine Gedanken zu ordnen, und jetzt waren diese vollends verwirrt, durch die triumphierende Freude über den von seinen Landsleuten jüngst errungenen Sieg, und mit Verwunderung vernahm Arthur seine unbeholfene, jedoch treue Erzählung.

»Siehst Du, König Arthur, der Herzog war mit seinem gewaltigen Heer bis Granson gekommen, das nahe am Neuenburger See liegt. Am Platze standen fünf- oder sechshundert Eidgenossen, die den Ort so lange hielten, bis sie keine Lebensmittel mehr hatten und ihn dann, wie Du weißt, überantworteten. Der Metzger Karl ließ sie alle, rund um den Platz her, an den Bäumen aufhängen. Mittlerweile war alles geschäftig auf unsern Bergen, und jeder Mann, der eine Lanze oder ein Schwert hatte, wappnete sich damit. Wir trafen bei Neuenburg zusammen, und zu uns stieß deutsches Volk mit dem edlen Herzoge von Lothringen. Ei, König Arthur, das ist Dir ein Heerführer. Wir alle halten ihn hoch wie den Rudolf von Donnersberg – Du sahst ihn eben jetzt – er war's, der dort hineinging – Du sahst ihn auch schon früher – war er doch der blaue Ritter von Basel; wir aber nannten ihn damals Lorenz; denn Rudolf sagte, seine Anwesenheit unter uns müßte unserm Vater unbekannt bleiben, und ich selber wußte zu jener Zeit nicht recht, wer er war. Nun, wir langten zu Neuenburg an, fünfzehntausend derbe Eidgenossen und fünftausend Mann an deutschem und lothringischem Volk. Wir hörten, daß die Burgunder ihrer sechstausend im Feld ständen; allein zu gleicher Zeit hörten wir auch, daß Karl unsere Brüder wie Hunde aufgeknüpft hätte. Da fragte keiner nach der Zahl. Wir dachten nur an unsere Rache. Mein Vater selbst, der wie Du weißt, sehr für den Frieden eingenommen ist, gab jetzt das erste Zeichen zur Schlacht. So in der Morgendämmerung zogen wir hinab gegen Granson, entschlossen zu Tod oder Rache. Wir kamen an eine Art von Engpaß, zwischen Vauxmoreux und dem See; da waren Gäule auf der Ebene zu sehen zwischen dem Berg und dem Wasser, und eine große Schar Fußvolk lagerte am Abhänge der Höhe. Der Herzog von Lothringen griff mit den Seinigen die Reiter an, während wir den Berg hinan auf das Fußvolk losgingen. Wir waren rasch mit ihnen fertig; denn sie hatten sich eines Ueberfalls nicht versehen. Als nun die Reiter, gedrängt schon von den Lothringern, uns sahen, wie wir nun seitwärts auf sie eindrangen, flohen sie so hurtig, wie ihre Gäule nur zu laufen vermochten. Dann sammelten wir uns auf der Ebene. Doch kaum war dies geschehen, als wir ein solch Getöse von Instrumenten, solch ein Getrappel schwerer Rosse, solch ein Geschrei und Hallohrufen vernahmen, als ob alle Kriegsmänner und alle Spielleute von Frankreich und Deutschland miteinander wetteiferten, wer von ihnen den meisten Lärm machen könnte. Dann erschien in der Ferne eine ungeheure Staubwolke und kam näher heran, und wir begannen einzusehen, daß es nun um Leben und Tod gehen müsse; denn schau! das war Karl und sein gesamtes Heer, das herankam, den Vortrab zu unterstützen. Da waren Dir Tausende von Rossen in glatten Reihen und Hunderte von Rittern mit goldenen und silbernen Kronen auf den Helmkappen, und die Massen Fußvolks und auch Schießmörser, wie sie sie nennen. Ich wußte noch nicht, was für Dinger das waren, die so schwerfällig von Jochochsen gezogen wurden; allein ich sollte sie wohl kennen lernen, ehe noch der Morgen ins Land gekommen war. Nun, wir stellten uns denn in Schlachtordnung, wie man es uns bei den Uebungen lehrt, und ehe wir dann vordrangen, ward uns geheißen, niederzuknien und Gott und die heilige Mutter und die lieben Heiligen anzurufen; und hinterdrein erfuhren wir, daß Karl in seinem Uebermute wähnte, wir bäten um Gnade – Hahaha! ein lustiger Spaß. Er schrie jedoch: »Feuert mein Geschütz ab auf die feigen Knechte, das sei alle Gnade, die sie von mir zu erwarten haben!« und bum – bum – bum! – los gingen die Dinger, diese Mörser, los wie Donner und Blitz, taten uns aber nicht viel, da wir knieten, und sonder Zweifel wiesen die Heiligen den ungeheuren Kugeln den Weg über die Häupter all derer hin, die Gnade von ihnen, jedoch nicht von sterblichen Kreaturen erflehten. So hatten wir denn das Zeichen zum Aufstehen und Angreifen, und ich versichere Dir, wir waren keine Schlafhauben. Jeder Mann fühlte seine Kraft zehnfach. An stürmten wir, als plötzlich die Schießmörser verstummten und die Erde erbebte von einem andern unaufhörlichen Gestampf, gleich als donnerte es unter dem Boden. Das waren die Reiter, die auf uns herzukamen. Halt, halt, hieß es, erstes Glied kniet, fest gestanden im zweiten, Schulter an Schulter wie Brüder, alle Speere vorgestreckt, und wie eine eiserne Mauer sie empfangen! Und heran stürmten sie, und da gab's ein Lanzenbrechen, daß die alten Weiber in Unterwalden Splitter zum Holzfeuer auf ein rundes Jahr hätten auflesen mögen. Nieder mußten die reisigen Reiter – und von allen, die herab mußten vom Gaule, kam kein Mann mit dem Leben davon. Die übrigen trabten querfeldein, um sich in einiger Entfernung neu aufzustellen, als der edle Herzog Ferrand und seine Berittenen ihnen in den Weg fielen. Nun drangen auch wir vor, um ihm beizustehen. So hieben wir sie zusammen, und das Fußvolk vermochte uns nicht mehr stand zu halten, als es sah, wie es seiner Reiterei erging. Da hättest Du nun den Staub schauen sollen, der da aufstieg, die Streiche hören sollen, die da fielen! Hunderte ließen sich, ohne Widerstand zu leisten, erschlagen, und das gesamte Heer ergriff planlos die Flucht!« »Mein Vater, mein Vater!« rief Arthur. »Was ist aus ihm geworden?« – »Er entkam glücklich,« sagte der Schweizer, »er entfloh mit Karl.«

Sie wurden durch Mordaunt unterbrochen. »Still, still!« rief dieser. »Der König und die Königin treten herein!« – König René kam, Arm in Arm mit seinem Großsohne, aus dem Kabinett, und Margarethe, mit Vergnügen und Verdruß auf der Stirn, folgte ihnen. Als sie an Arthur vorüberging, winkte sie ihm und flüsterte ihm zu: »Laß Dir ausführlich berichten und erzähle mir dann alles! Mordaunt wird Dich bei Ferrand vorstellen!« – Dann warf sie einen Blick auf den jungen Schweizer und erwiderte höflich dessen linkische Verbeugung, Die königliche Familie verließ das Gemach.

Sie waren kaum hinaus, so bemerkte Sigismund: »Und das ist also ein König und eine Königin? Pest! Der König sieht dem alten Jakob, dem Geiger, ähnlich, der auf der Fiedel zu kratzen pflegte, wenn er auf seiner Rundwanderung nach Geierstein kam. Aber die Königin ist eine stattliche Kreatur. Wie keck Du mit ihr sprachst, Arthur, ich hätte es nicht mit solchem Anstande tun können. – Wo hast Du denn so schnell die höfischen Sitten gelernt?« – »Laß das für jetzt, ehrlicher Sigismund,« antwortete Arthur, »und erzähle mir mehr von jener Schlacht.«

»Nun – wo blieb ich – ja, wo wir das Fußvolk niederschlugen – nun, sie kamen nimmer wieder auf die Beine und gerieten bei jedem Schritt nur in noch größere Verwirrung – wir hätten die Hälfte der Fliehenden noch erschlagen können. hätten wir nicht innegehalten, um Karls Lagerzelte zu beschauen. Gott helf uns Arthur, was war da zu sehen! jedes Zelt voll reicher Zeuge, prächtiger Waffen, großer Schüsseln und Humpen, die, wie einige sagten, von Silber wären. Da gab es einen Troß von Lakaien, Edelknaben, Schildträgern, und Tausende von hübschen Dirnen obendrein. Aber ich sage Dir, mein Vater verfuhr streng gegen jeden, der das Kriegsrecht verletzte. Das war Dir eine reiche Beute, denn die Deutschen und Franzmänner, die bei uns waren, rafften alles weg, und manche der unsrigen folgten dem Beispiel. Doch ich ging in Karls Zelt, wo Rudolf und etliche der Seinigen sich bemühten, einen jeden fernzuhalten, wahrscheinlich, damit alles, was drinnen war, ihnen selber bleiben möchte; mich aber ließen sie ein, und ich sah, wie sie die Zinnteller, die so hell wie Silber glänzten, in Kisten und Kasten packten. Ich trat an Karls Feldbett. – Nun, ich will ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen – es war das einzige harte Bett im ganzen Kriegslager – und da lagen Dir gar schöne glänzende Steine zwischen Handschuhen, Stiefeln und Wämsern umher, – Da dachte ich an Deinen Vater und an Dich, und schaute nach etwas für Euch aus, und siehe da! da fand ich einen alten Freund wieder, den ich, wie Du weißt, dem Scharfrichter von La Ferette einst abnahm.«

Bei diesen Worten zog er das Halsgeschmeide der Königin Margarethe unter dem Wamse hervor.

»Diese Steine,« sagte Arthur, »sind von unschätzbarem Werte und gehören weder meinem Vater noch mir, sondern der Königin, die Du eben gesehen hast. Doch was ist aus dem Herzog geworden?«

»Karl hat sich nach Burgund zurückgezogen, gleich einem Eber, der einen Speerstich erhielt, und mehr in Wut gebracht als verwundet worden ist; allein er soll traurig und mürrisch sein. Andere sagen aus, er habe seine zerstreute Streitmacht gesammelt, neue Heeresmacht dazu gezogen und seine Untertanen geschraubt, ihm Geld zu geben, so daß wir einen zweiten Angriff zu erwarten haben. Doch nach einem solchen Siege wird die ganze Schweiz mit uns ziehen,« – »Und mein Vater ist beim Herzog?« fragte Arthur, – »Ei freilich, und hat auf recht gottgefällige Weise versucht, einen Frieden mit meinem Vater zu schließen. Aber es wird ihm schwerlich glücken, Karl ist so toll wie immer. Und unser Volk ist gar stolz auf seinen Sieg! darum wird's weitergehen.« – »Und was bringt Dich und Deinen Feldherrn, den Prinzen Ferrand von Nancy, hierher?« – »Ei, Du selbst bist die Ursache unserer Herreise, – Es heißt, Du und die Königin Margarethe, Ihr ginget damit um, diesen alten Fidelkönig René dahin zu bringen, daß er seine Länder an Karl abtrete und Ferrand dessen Anrechte auf Lothringen verleugnet. Und der Herzog von Lothringen schickte einen Mann, den Du gar Wohl kennst, das heißt, Du kennst ihn nicht, sondern Du kennst jemanden von seiner Familie. Der sollte einen Strich durch Eure Rechnung machen und es verhindern, daß Karl die Provence erhielte und Ferrand in seinen natürlichen Rechten auf Lothringen gekränkt oder übervorteilt würde. Dieser Gesandte war mein Ohm, der Graf Albert von Geierstein, meines Vaters Bruder.« – »Anna von Geiersteins Vater?« wiederholte Arthur. – »Freilich! Dieser, mein Ohm, hat ein paar Zauberbücher aus der Burg Arnheim bei sich, und man sagt, er kann mit mehr als menschlicher Eile von einem Ort zum andern kommen; ja es sollten ihm in seinem Treiben mächtigere Ratgeber als bloße Menschen beistehen. Bei alledem sollen, wie hoch und gewaltig seine Gaben auch sein mögen, sie ihm doch nicht sonderlich gedeihen, sie mögen nun aus gottesfürchtiger oder aus gottloser Quelle stammen. Er ist ewig in Streit und Gefahr verwickelt.«

»Ich weiß Näheres von seinem Lebenslauf,« sagte Arthur, »doch ich habe gehört, daß er die Schweiz verließ, um zum Kaiser zu gehen.«

»Wahr,« antwortete der junge Schweizer, »und dann heiratete er die junge Freiin von Arnheim. – Allein späterhin zog er sich des Kaisers Ungnade zu, und so hielt mein Ohm es für geratener, über den Rhein zu gehen und sich an des Burgunders Hof zu begeben. Er wurde huldvoll aufgenommen; allein nach Jahr und Tag war es auch mit dieser Freundschaft aus. Ohm Albert bekam viel Gewalt in heimlichen Verbindungen, die Karl mißbilligte, und er setzte deshalb meinem Ohm dermaßen zu, daß dieser ein Mönchskleid antat und sich das Haupt scheren ließ, um nicht den ganzen Kopf hergeben zu müssen. Obwohl der Herzog ihn laufen ließ, fand er ihn doch so oft in seinem Wege, daß alle Welt meinte, er warte nur auf die Gelegenheit, ihn zu greifen und ums Leben zu bringen. Mein Ohm aber behauptet fortwährend, daß er den Burgunderherzog nicht fürchte, wohl aber dieser weit mehr ihn zu fürchten habe. Und Du hast ja auch gesehen, wie keck er seine Rolle zu La Ferette spielte.«

»Beim St. Georg zu Windsor!« rief Arthur, – »Der schwarze Priester zu St. Paul!« – »Oho! verstehst Du mich jetzt? Nun, er nahm es auf sich, daß Karl es nicht wagen würde, ihn für seinen Anteil am Tode des Hagenbachers zu strafen; und ruhig saß Ohm Albert unter den Ständen Burgunds und wiegelte sie auf, daß sie dem Herzoge das verlangte Geld verweigern sollten. Allein, als der Schweizerkrieg ausgebrochen war, erkannte Albert, daß er als Geistlicher nicht mehr sicher sein würde, und so erschien er plötzlich in Ferrands Lager zu Neuenburg und sandte Botschaft an Karl, worin er ihm den Dienst aufkündigte und ihm Trotz bot. Er erzählte dem Herzog Ferraud, daß Du hier wärst, und erbot sich herzugehen und nähere Kunde einzuziehen. Obschon er das Schweizer Feldlager erst vor fünf oder sechs Tagen vor der Schlacht verließ und die Entfernung von Arles und Neuenburg wohl achtzig Meilen betragen mag, begegneten wir ihm doch schon auf der Rückreise, als Herzog Ferrand mit mir vom Schlachtfelde hierher eilte.« – »Ihr seid ihm begegnet!« sagte Arthur, »Dem schwarzen Priester von St. Paul?« – »Nun ja doch,« versetzte Sigismund, »aber er war als Karmelitermönch verkleidet,« – »Als Karmeliter!« rief Arthur. »Und ich war so blind, seine Dienste der Königin anzubieten. Und doch ist's vielleicht gut, daß die Unterhandlung sich zerschlug. Nach dieser entsetzlichen Niederlage hatte doch alles rückgängig gemacht werden müssen.«

Soweit war ihr Gespräch gediehen, als Mordaunt erschien und den Engländer aufforderte, ihm in das Gemach seiner Gebieterin zu folgen.

»Ach, armer Arthur,« redete sie ihn an, »Dein Leben beginnt da, wo Deines Vaters Leben zu enden droht, in vergeblicher Arbeit zur Rettung eines sinkenden Schiffes. Der Herzog von Burgund, der bisher siegreich in allen seinen kühnen Unternehmungen war, braucht nur den flüchtigen Gedanken zu hegen, dem Hause Lancaster Beistand zu leisten, und siehe! sein Schwert zerbricht an dem Dreschflegel eines Bauers! und seine wohlgeregelten Heerscharen, die für die rüstigsten der Welt galten, zerstieben wie Staub im Winde! Wo ist Dein Vater?« – »Bei dem Herzoge, edle Frau, wie ich erfuhr,« versetzte Arthur. – »Eile zu ihm, und sage, ich befehle ihm, auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein, und für meine Angelegenheit nicht mehr zu sorgen. Dieser letzte Streich hat mich zu Boden geschmettert, – Ich bin ohne Bundesgenossen, ohne Freund, ohne Geldmittel,« – »Nicht so, Königin,« erwiderte Arthur, »Ein Teil Eurer Habe ist Eurer Hoheit durch gutes Glück zurückgebracht worden,« – Damit holte er den kostbaren Halsschmuck hervor und erzählte, wie derselbe gerettet wurde,

»Ich freue mich über den glücklichen Zufall, der uns diese Diamanten zurückgibt,« sagte die Königin, »ich bin nun wenigstens imstande, meinen Dank abzustatten. Bringe diese Edelsteine Deinem Vater, sag' ihm, meine Pläne wären zu Ende – sag' ihm, mein Herz wäre endlich gebrochen. Sag' ihm, der Schmuck gehöre ihm, und zu seinem eigenen Nutzen möge er ihn verwenden. Aermlich nur wird er ihn für die edle Grafschaft Oxford entschädigen, die er in meinen Diensten verlor,« – »Königliche Frau,« sagte der Jüngling, »seid versichert, mein Vater würde lieber als einfacher Reitersmann dienen, als Euer Mißgeschick noch erschweren,« – »Nie hat er Gehorsam verweigert,« sagte Margarethe, »und dies ist der letzte Wille, den ich ihm äußere. So er selber zu reich oder zu stolz ist, um aus einer Königin Geheiß Vorteil zu ziehen, so wird er arme Leute meines Anhanges genug finden, die weniger Mittel besitzen oder weniger Bedenken hegen. Doch ich höre den törichten, alten Mann zurückkehren, der alle ergebnisreichen Vorfälle dieses Tages schon wieder vergessen hat. Im Heraufkommen pfeift er sich ein Lied. Nun, wir werden bald von einander scheiden, und meine Entfernung wird eine Erlösung für ihn sein. Du, aber, Arthur, kehre morgen früh zu Deinem Vater zurück!«

So aus der Königin Gegenwart entlassen, gab Arthur Thibault die Weisung, alles zur Abreise bereit zu halten. Dann widmete er sich der Lustbarkeit des Abends. Doch fand er wenig Freude an den geselligen Veranstaltungen, zumal er sich plötzlich durch den Herzog Ferrand, den siegreich vom Schlachtfelde hergekommenen Krieger, und durch Sigismund, den riesigen Schweizer, den Ferrand überall als Grafen von Geierstein vorstellte, ganz in den Schatten gestellt sah. Kein Mensch kümmerte sich um den jungen Engländer; ja, man begegnete ihm, dem Parteimann der Margarethe, deren Sache ganz verloren war, und die mit ihrem melancholischen Wesen an dem lustigen Hofe schon manches Vergnügen gestört hatte, mit unverhohlenem Mißbehagen. All das verdroß ihn heftig.

Er vermied es eine Zeitlang, Margarethe anzusehen; denn es widerstrebte ihm, den Anschein zu erregen, als wollte er sich um Schutz an sie wenden. Schließlich aber lenkte er doch den Blick auf den Platz, wo sie saß. Margarethens Haupt lehnte an dem Kopfpolster ihres Armstuhles, ihre Augen waren halb geschlossen, ihre Gesichtszüge scharf, ihre Hände krampfhaft geballt. Die englische Gesellschaftsdame, die hinter ihr stand, war alt, taub und kurzsichtig und hatte nicht das mindeste von der auffallenden Haltung ihrer Gebieterin wahrgenommen, einer Haltung, wie sie die Königin nie anzunehmen pflegte, wenn sie bei den Festlichkeiten am provençalischen Hofe körperlich zugegen und geistig abwesend war. Während Arthur, heftig erschrocken, hinter sie trat, um die Ehrendame zur Aufmerksamkeit auf ihre Gebieterin anzumahnen, rief die Alte: »Mutter des Himmels! die Königin ist tot!«

Und so war es.

Es schien, als hätte die letzte Lebensfiber dieser stolzen, ehrsüchtigen Frau, wie sie selber es voraussagte, in dem nämlichen Augenblicke brechen müssen, in welchem ihr der letzte Strahl irdischen Hoffens schwand

Siebzehntes Kapitel

Arthur verlor keine Zeit, in der Person Thibaults einen Eilboten an seinen Vater mit einem Schreiben abgehen zu lassen, durch das er dem älteren Philippson in Kürze alles mitteilte, was seit seiner Ankunft in Aix vorgefallen war, hauptsächlich aber Kunde gab von dem Hinscheiden der Königin und deren letztwilligen Verfügungen, durch die ihr Vermögen unter ihre Anhänger verteilt wurde, insbesondere aber das Halsgeschmeide den Philippsons zufiel. Schließlich bat er um Anweisung zu fernerem Tun und Lassen, da der notwendige Aufenthalt bei der Bestattungsfeier einer Person so hohen Ranges ihn solange in Aix zurückhalten würde, bis er Antwort haben könnte.

Der alte König René verwand den Schrecken über den plötzlichen Tod seiner Tochter mit solcher Leichtigkeit, daß er am zweiten Tage nach dem Trauerfalle schon beschäftigt war, eine prächtige Prozession zum Leichenbegängnisse anzuordnen und ein Grablied zu verfassen, das nach einer ebenfalls von ihm komponierten Weise zu Ehren der hingeschiedenen Königin gesungen werden sollte. Als der erste Ausbruch des Schmerzes vorüber war, konnte der alte König Rens sich nicht des Gefühles erwehren, daß Margarethens Tod einen politischen Knoten durchschnitten habe, der sonst schwer hätte gelöst werden mögen. Er selbst war nun in der Lage, es öffentlich mit seinem Enkel zu halten und ihm einen bedeutenden Anteil an dem Geldschatz der Provence zu gewahren, der sich freilich nur auf zehntausend Krontaler belief. Nachdem Ferrand den Segen seines Großvaters empfangen hatte, kehrte er zu den Verwegenen zurück, die er befehligte, und mit ihm zog nach liebevollem Abschiede von Arthur der derbe, obwohl einfältige junge Schweizer, Sigismund Biedermann.

Der kleine Hof zu Aix war seiner Trauer hingegeben. König René, für den Gepränge, gleichviel ob fröhlicher oder trauriger Natur, jederzeit eine Sache von Wichtigkeit war, hätte gern dazu beigetragen, die Totenfeier seiner Tochter Margarethe mittels seines letzten Geldes noch feierlicher zu gestalten, allein, er sah sich daran teils durch die Vorstellungen seiner Räte, teils durch die Einwendungen des jungen Engländers verhindert, der streng nach dem Willen der Erblasserin verfuhr und gegen jeglichen phantastischen Aufputz des Leichenbegängnisses, der der Königin bei ihren Lebzeiten zuwider gewesen wäre, Einspruch erhob. Nachdem mehrere Tage unter öffentlichen Gebeten und andern gottesdienstlichen Handlungen verflossen waren, wurde die Totenfeier mit all der düstern Pracht gehalten, die dem Range der Verstorbenen zukam, und durch die die römische Kirche es wohl versteht, Auge, Ohr und Gemüt zu gleicher Zeit für sich einzunehmen.

Unter den verschiedenen Edlen, die der Feierlichkeit beiwohnten, befand sich einer, der eben angelangt war, als die großen Turmglocken der St. Sauveur-Kirche ankündigten, daß der Leichenzug sich schon auf dem Wege nach der Kathedrale befand. Der Fremde hatte seine Reisekleider schnell gegen einen Traueranzug vertauscht, und so angetan, erschien er in der Kirche, wo die edle Gestalt des Fremden den übrigen solche Ehrfurcht einflößte, daß man ihm gestattete, neben die Bahre zu treten. Am Kopfkissen der toten Königin, für die er so lange Zeit gestrebt und soviel erlitten hatte, wechselte nun der Graf von Oxford einen traurigen Blick mit seinem Sohne. Die Leidtragenden, besonders die englische Dienerschaft Margarethens, betrachtete beide mit Ehrfurcht und Verwunderung, und der ältere Kavalier besonders schien ihnen kein unwürdiger Stellvertreter der treuen Untertanen in England zu sein, um deren letzte Pflicht am Grabe der Frau zu üben, die so lange hindurch, wenn auch nicht auf fehlerfreie Weise, doch jederzeit mit kühner, entschlossener Hand den Zepter über jene Insel geführt hatte.

Der letzte Ton der feierlichen Trauerlieder war verklungen, und fast alle Teilnehmer an der Leichenfeier hatten sich enfernt, als Vater und Sohn noch in düsterem Schweigen neben der Gruft ihrer entseelten Monarchin weilten.

»Das ist also ihr Ende,« sprach der Graf endlich. »Hier, königliche Frau, zerschellt alles, was wir für Dich versuchten und wagten! Das innere Leben des Entschlusses, das Haupt des Entwurfes ist dahin, und was nützt es, daß die Glieder der Unternehmung noch Bewegungs- und Lebenskraft haben? Ach, Margarethe von Anjou! möge der Himmel Deine Tugenden belohnen und Dich entsühnen von Deinen Irrtümern! Deine Tugenden, wie Deine Irrtümer gehörten Deinem Stande an, und spanntest Du zur Zeit des Glückes Deine Segel zu hoch, so lebte nimmer eine Fürstin, die stolzer den Stürmen des Mißgeschicks Trotz bot. Mit diesem Trauerfall geht ein Drama zu Ende, und unsere Rollen, mein Sohn, sind ausgespielt.« – »So tragen wir denn die Waffen gegen die Ungläubigen, mein Vater,« sagte Arthur mit einem Seufzer, der jedoch kaum hörbar war,– »Nein,« versetzte der Graf, »nicht eher, als bis ich höre, daß Heinrich von Richmond, der Erbe des Hauses Lancaster, meiner Dienste nicht mehr bedarf. In jenen Juwelen, von denen Du mir schriebst, die so seltsamer Weise verloren gingen und wiedererlangt wurden, möchte ich ihm Hilfsmittel reichen, die ihm nötiger sein dürften als unsere beiderseitigen Dienstleistungen. Doch in das Feldlager des Burgunders kehre ich nicht zurück. Denn dort ist keine Hilfe zu hoffen.« – »Kann es möglich sein, daß die Gewalt eines so großen Herrschers durch eine einzige unglückliche Schlacht zunichte gemacht wurde?« fragte Arthur.– »Keineswegs,« erwiderte der Vater. »Der Verlust zu Granson war sehr groß, doch für die Stärke Burgunds ist und bleibt er nichts weiter als eine Schramme auf der Schulter eines Giganten. Karl aber ist verstimmt, und da ich mich von Anfang an weigerte, die Waffen gegen unsere einstigen Reisegefährten zu ziehen, so fing er an, mir zu mißtrauen. In meinem Beisein sprach er von lauwarmen Freunden, von kaltblütigen, gleichgültigen Seelen – von denen, die wenn sie nicht für ihn wären, gegen ihn sein müßten. Ich sage Dir, Arthur de Bere, der Herzog hat so ehrverletzend geredet, daß nichts als die Befehle der Königin Margarethe und die Angelegenheiten des Hauses Lancaster mich vermochten, ferner in seinem Kriegslager zu weilen. Das ist nun vorbei. Meine königliche Herrin bedarf meiner geringen Dienste nicht mehr – der Herzog kann unserer Sache keine Hilfe verleihen – und wir können seine Absichten auf die Provence nicht mehr unterstützen. Da habe ich denn beschlossen, am Hofe des Königs René so lange zu weilen, bis ich Nachrichten von dem Grafen von Richmond, wie wir ihn noch nennen müssen, erhalten habe. Mich dünkt, daß Verbannte zwar selten am Hofe eines auswärtigen Fürsten willkommen sind; allein ich bin der treue Anhänger der Tochter des Königs René gewesen. Ich werde um nichts weiter ersuchen, als unerkannt hier zu weilen, und begehre weder Rücksicht noch Unterstützung, König René wird es uns nicht weigern, daß wir die Luft in seinem Lande so lange atmen, bis ich erfahre, wohin mich Geschick oder Pflicht rufen werden.«

Dem guten König wäre ein heitrerer Gast als der ernste Graf Oxford lieber gewesen, doch gewährte er ihm freundliche Aufnahme, und der ältere Philippson fand Gelegenheit, seinen Dank dafür abzustatten. Es wurde nämlich ein höchst wichtiger Vertrag zwischen René und dessen Neffen Ludwig XI. von Frankreich geschlossen, in dem René sein Fürstentum an diesen schlauen Monarchen abtrat, weil er durchaus kein anderes Mittel mehr hatte, Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen. Der Gedanke aber, Karl von Burgund dabei zu begünstigen, war nach dem Tode der Königin Margarethe völlig erloschen. Die Staatseinsicht und die Weisheit des Grafen von Oxford, dem fast allein die ganze Abschließung dieses geheimen Vertrages anvertraut wurde, erwirkten dem guten König René besondere Vorteile, so daß er von Geldverlegenheiten befreit und in den Stand gesetzt war, bis an sein Lebensende zu pfeifen und Harfe zu spielen.

Mittlerweile wüteten die Kriege des Herzogs von Burgund mit den Schweizer Kantonen und dem Grafen Ferrand von Lothringen fort.

Zum Beginn des Sommers 1476 hatte Karl eine neues Heer von mindestens sechzigtausend Mann zusammengebracht, das von einhundertfünfzig Geschützen unterstützt wurde und bestimmt war, in die Schweiz einzudringen, wo die kriegslustigen Bergbewohner leicht eine Heeresmacht von dreißigtausend Schweizern stellten, die jetzt fast als unüberwindlich angesehen wurden, und ihre Verbündeten, die freien Städte am Rhein, aufforderten, mit einer mächtigen Reiterschar zu ihnen zu stoßen. Die ersten Angriffe Karls verliefen günstig. Er stürmte in das Waadtland und eroberte die meisten der Plätze wieder, die er nach der Niederlage bei Granson verloren hatte. Allein statt nun einen annehmbaren Frieden mit seinen furchtbaren Grenznachbarn zu schließen, faßte dieser hartnäckigste aller Fürsten den Vorsatz, in die Schluchten der Alpen zu dringen, und die Bergbewohner im Innern ihrer natürlichen Festen zu züchtigen, obwohl die Erfahrung ihn hätte lehren sollen, daß ein solcher Versuch ein verhängnisvolles Ende nehmen müßte. Als Oxford und dessen Sohn im Sommer an den Hof des Königs René zurückkehrten, erfuhren sie, daß der Herzog Karl bis Murten, das am See gleichen Namens liegt und den Eingang in die Schweiz bildet, vorgerückt wäre. Es hieß ferner, daß Hadrian von Bubenberg, ein kriegserfahrener Berner Ritter, daselbst befehligte und den hartnäckigsten Widerstand in der Hoffnung leistete, bald von seinen herbeieilenden Landsleuten entsetzt zu werden. –

In der letzten Woche des Monats Juni lief denn auch in Aix die Kunde von einer zweiten furchtbaren Niederlage des Burgunders ein.

Achtzehntes Kapitel

Obwohl es dem Grafen Oxford nun im Grunde gleichgiltig sein konnte, ob der Herzog von Burgund Sieger blieb oder geschlagen wurde, so nahm er doch regen Anteil an Karls Schicksale. Arthur war eben aufgestanden und stand im Begriffe, sich anzukleiden, als Pferdegetrappel seine Aufmerksamkeit erregte. Er hatte kaum zum Fenster hinausgeblickt, so rief er: »Nachrichten, Vater, Nachrichten vom Heere!« Er stürzte auf die Straße, wo ein Reiter, der einen weiten Weg zurückgelegt zu haben schien, nach den beiden Philippsons fragte. Arthur erkannte in dem Reiter sogleich Colvin, den Hauptmann des burgundischen Geschützwesens. Der gespensterartige Blick des Ankommenden zeugte von tiefem Seelenkummer; seine unordentliche Kleidung und zersplitterte Rüstung trug von Regen oder Blut Rostflecken an sich, und sein trefflicher Hengst war so erschöpft, daß das Tier sich kaum aufrecht erhalten konnte. Der Zustand des Reiters war nicht viel besser. Als er vom Rosse stieg, um Arthur zu begrüßen, wankte er dergestalt, daß er ohne augenblickliche Unterstützung zu Boden gefallen wäre. Seine starrblickenden Augen schienen ihre Sehkraft verloren zu haben; und mit halb erstickter Stimme murmelte er: »Nur Erschöpfung, nichts als Mangel an Ruhe und Nahrung.«

Arthur führte ihn in das Haus, und Erfrischungen wurden herbeigeschafft; er aber schlug alles aus, bis auf einen Becher Weins. Nachdem er davon gekostet hatte, sank er auf einen Sessel, starrte den Grafen Oxford mit einem Blicke der tiefsten Niedergeschlagenheit an und stammelte: »Der Herzog von Burgund –« »Geschlagen?« versetzte der Graf. »Ich will nicht hoffen –« – »Geschlagen, und so völlig und fürchterlich,« erwiderte der Kriegsmann, »daß alle Niederlagen, die ich bisher mitangesehen, nichts dagegen waren.« – »Doch wie und wo?« fragte der Graf. »Ihr wart doch stärker an Mannschaften, wie wir vernahmen.« – »Zwei Mann gegen einen zum mindesten,« antwortete Colvin, »und wenn ich in diesem Augenblicke von unserm Zusammentreffen rede, so möchte ich mir fast mit meinen eigenen Zähnen das Fleisch von den Knochen nagen, daß ich hier sein und solche Schmach nacherzählen muß. Wohl eine Woche lang hatten wir vor dem elenden Neste, dem Murten oder Morat oder wie es sonst heißen mag, gelegen. Der Kommandant drinnen, einer von den hartnäckigsten Gebirgsbären aus Bern, bot uns Trotz. Er wollte sich nicht einmal herablassen, seine Tore am Tage zu schließen, und gab, als wir sie aufforderten, sich zu ergeben, die Antwort, wir möchten einziehen, so es uns gefiele, wir sollten gebührend empfangen werden. Nun hätte ich gern versucht, ihn durch ein paar Salven aus meinen Schießmörsern zur Vernunft zu bringen; allein der Herzog war zu sehr ergrimmt, um gutem Rate Gehör zu geben. Gereizt durch den schwarzen Verräter, den Campobasso, hielt Karl es für zweckmäßiger, mit seiner ganzen Streitmacht einen Sturm zu unternehmen. Wir wurden mit großem Verlust zurückgeschlagen, und nun erfuhren wir, daß das Heer der Feinde zum Entsatz der Stadt herannahte. Karl, der nur seinen eigenen kühnen Geist befragte, rückte gegen sie an, indem er sich auf den Vorteil unseres Geschützes und auf unsere feste Stellung verließ. Auf seinen Befehl, doch ganz gegen mein Dafürhalten, begleitete ich ihn mit zwanzig guten Mörsern und dem Kern meines Volkes. Wir brachen am nächsten Morgen auf und waren noch nicht weit vorgerückt, als wir dichte Reihen von Spießen und Hellebarden und doppelgriffigen Schwertern auf dem Berge erblickten. Dazu fügte der Himmel seine Schrecken – ein Donnersturm erhob sich mit aller Wut über beiden Heeren; er wurde jedoch den Unsern um so verderblicher, da unsere Scharen empfindlicher gegen den Regen, der herabstürzte, und gegen die Pfützen waren, die unter unseren Füßen zu Strömen anschwollen, unsere Stellung überschwemmten und uns in Unordnung brachten. Mit einemmale hielt der Herzog es für notwendig, seinen Vorsatz zu ändern und von einer Schlacht abzusehen. Er ritt zu mir heran und befahl mir, mit dem Geschütz den Rückzug zu decken, den er beginnen wollte, indem er hinzusetzte, er wollte in Person mich dabei mit seinen Reitern unterstützen. Befehl zum Rückzug wurde gegeben. Allein diese Bewegung verlieh dem schon hinlänglich verwegenen Feinde erhöhten Mut. Augenblicklich senkten die Reihen der Schweizer sich zum Gebet – ein Gebrauch bei ihnen auf dem Schlachtfelde, den ich verspottete – allein ich werd's nimmer wieder tun! Als sie nun nach fünf Minuten wieder aufsprangen, rasch vorrückten und ihre Hörner entsetzlich ihr gewöhnliches, wildes Kriegsgeschrei übertönten – seht, Mylord, da taten sich auf die Wolken des Himmels und ließen auf die Eidgenossen das geheiligte Licht der wieder hervorbrechenden Sonne herableuchten, während unsere Reihen noch im Düster des Sturmes standen. Meine Mannschaft war mutlos. Die Scharen hinter ihr zogen sich zurück; das plötzlich über die Schweizer verbreitete Sonnenlicht zeigte entlang den Bergen eine zahllose Menge von Panieren, ein Glitzern der Waffen, das alles miteinander dem Feinde das Ansehen verlieh, als hätte seine Zahl sich plötzlich verdoppelt. Ich ermahnte meine Jungen, fest zu stehen, aber ich sprach dabei ein Wort, das eine gar schwere Sünde war: »Steht fest, Ihr meine Schießmänner!« sprach ich, »sie sollen von uns bald einen läutern Donner hören und verderblichere Blitze sehen, als ihre Gebete auf uns herabgerufcn haben!« – mein Volk schrie jauchzend auf – aber es war eine gotteslästernde Rede – und eitel Böses ging für uns daraus hervor. Wir richteten unsere Mörser auf die andringenden Massen, so wohl gezielt, wie nur je – ich kann's verbürgen, denn ich selbst richtete die Großherzogin von Burgund – ach! arme Herzogin, welche rauhen Hände mögen Dich jetzt betasten! – Die Ladung wurde abgefeuert, und ehe der Qualm sich vor den Mündungen noch zerteilt hatte, sah ich gar manchen Mann, manches Banner sinken. Ich dachte ganz natürlich, daß eine solche Ladung den Feind zurückgescheucht hätte, und bemühte mich, unsere Mörser wieder zu laden. Allein, ehe die Rauchwolken sich zerteilt hatten und das Geschütz frisch geladen werden konnte, stürzten sie wie rasend auf uns los. Reiter und Fußvolk, Greise und Buben, Ritter und Troßknechte warfen sich vor und auf die Mündungen der Schießmörser, ohne im mindesten ihres Lebens zu achten. Meine tapferen Burschen wurden durchbohrt, in Stücke gehauen oder niedergestoßen, als sie noch dabei waren, die Mörser zu laden, so daß kein Geschütz zum zweiten Male abgefeuert werden konnte,«

»Und der Herzog?« fragte der Graf von Oxford, »kam er Euch nicht zu Hilfe?« – »Ritterlich und tapfer,« antwortete Colvin. »Und zwar mit seiner eigenen wallonischen und burgundischen Leibwache. Allein eintausend Söldner machten sich davon und ließen sich nimmer wieder sehen. Dazu war der Paß, in dem obendrein das Geschütz stand, nur eine schmale Furche zwischen hohen Bergen, neben denen ein tiefer See hinwogte. Kurz, es war ein Platz, wo Reiter nichts ausrichten konnten. Trotz aller Anstrengungen des Herzogs und der tapferen Flamländer, die um ihn fochten, mußten wir doch in völliger Unordnung zurückweichen. Ich war zu Fuß und wehrte mich, so gut ich konnte, ohne jede Hoffnung, mein Leben zu erhalten, ja auch ohne nur an meine Rettung zu denken, als ich nun sah, wie die Mörser genommen und meine wackeren Gesellen erschlagen wurden. Unser Rückzug artete zur sinnlosen Flucht aus, und als wir unsern Nachtrab erreichten, den wir in festverschanztem Lager zurückgelassen hatten, flatterten die Paniere der Schweizer auf unsern Wällen; denn eine starke Abteilung des Feindes hatte einen Umweg durch ihnen allein bekannte Bergpässe gemacht und unser Lager angegriffen, wobei sie von dem herzugeeilten Volk des Hadrian von Bubenberg unterstützt worden waren, der aus der belagerten Stadt einen Ausfall gemacht hatte. Ich habe noch mehr zu sagen, allein, da ich Tag und Nacht geritten bin, Euch diese böse Zeitung zu bringen, so klebt meine Zunge mir am Gaumen, und ich fühle, daß ich nicht mehr reden kann.«

Mit Mühe überredete man den gebeugten Krieger, etwas Speise zu sich zu nehmen und zur Ruhe zu gehen. Der Graf von Oxford, der jeden andern Beistand fernhielt, wachte abwechselnd mit seinem Sohne am Lager Colvins. Trotz des ihm verordneten Schlaftrunkes, war sein Schlummer nichts weniger als ruhig. Er fuhr oft auf, Schweiß trat auf seine Stirn, seine Gesichtsmuskeln verzerrten sich, und die Art, wie er seine Hände ballte und mit seinen Gliedmaßen um sich schlug, zeigte, daß er in seinen Träumen abermals die Schrecknisse einer verzweiflungsvollen, verlorenen Schlacht durchlebte. Dies dauerte mehrere Stunden; allein gegen Mittag siegten Ermattung und Heiltrank über seine aufgereizten Nerven, und der geschlagene Geschützhauptmann verfiel bis zum Abend in einen tiefen, ungestörten Schlaf. Gegen Sonnenuntergang erwachte er, und als er nun erfuhr, wo und bei wem er war, stärkte er sich mit Speise und Trank und erzählte, ohne dem Anschein nach zu wissen, daß er es schon einmal getan, abermals alle einzelnen Umstände der Schlacht bei Murten. – »Die eine Hälfte des Herzoglichen Heeres,« sagte er, »fiel durch das Schwert oder ertrank im See. Die, welche entkamen, wurden größtenteils auseinandergesprengt, so daß sie sich wohl nie wieder sammeln können. Eine so verzweifelte, unaufhaltsame Flucht ward nimmer gesehen. Wir flohen wie Rehe, Schafe oder wie sonst ein scheues Tier, das nur darum bei seinesgleichen bleibt, weil es sich fürchtet, allein zu sein, nicht aber, um gemeinschaftlich auf Gegenwehr bedacht zu sein.«

»Und der Herzog?« fragte der Graf von Oxford. – »Wir rissen ihn mit uns fort,« antwortete der Krieger, »und zwar mehr aus Instinkt als aus Vasallenpflicht, gleich Menschen, die vor einer Feuersbrunst fliehen und alles aufraffen, was sie an wertvollen Dingen besitzen, ohne zu wissen, was sie tun. Anfänglich sträubte sich der Herzog und wollte zurück gegen den Feind; allein als die Flucht allgemein geworden war, jagte er mit uns davon, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Befehl zu erteilen. Als wir so den ganzen Tag ritten, ohne auf eine einzige Frage an ihn auch nur die leiseste Antwort zu erhalten, als er finster jegliches Nahrungsmittel zurückwies – als sein verwegenes, unstätes Gemüt sich völlig dumpfer, schweigender Verzweiflung hingab, da hielten wir Rat, was zu tun sei, und auf einmütigen Beschluß wurde ich abgesandt, Euch zu bitten, daß Ihr, für dessen Ratschläge Karl, wie man weiß, eine Zeitlang besonders empfänglich war, augenblicklich zu ihm eilen und all Euren Einfluß aufbieten möchtet, ihn aus seiner Lethargie zu wecken, in der sonst sein Leben wird erlöschen müssen. Karl war ja einst Euer Waffenbruder, und für Eure persönliche Sicherheit wird jeder ehrliche Mann im Lager willig Bürgschaft leisten.«

»Das ist meine geringste Sorge,« sprach Oxford gleichgiltig, »und so meine Gegenwart wirklich dem Herzog nützlich werden kann – so ich glauben könnte, er wünschte selber mich bei sich zu haben –« – »Er wünscht es, wünscht es, Mylord,« sagte der treue Krieger mit einer Träne im Auge – »wir hörten ihn wiederholt im Traume Euren Namen nennen.« – »Dann will ich zu ihm,« sagte Oxford. »Dann will ich augenblicklich zu ihm. Wo schlug er sein Hauptquartier auf?« – »Das war noch nicht bestimmt. Doch Herr von Contay nannte den Ort La Riviére, unweit Salins in Oberburgund, als das Ziel unseres Rückzugs. – »Dorthin denn wollen wir, mein Sohn, und zwar in aller Eile!« beschloß Graf Oxford.

In Begleitung des Geschützhauptmanns durchzogen sie nun die Dauphiné und Franche-Comté, die zwischen Aix, und dem Dorfe liegen, nach welchem der Herzog von Burgund sich zurückgezogen hatte, doch bei der Entfernung und der üblen Beschaffenheit des Weges währte ihre Reise über vierzehn Tage, und der Juli des Jahres 1476 war vorüber, als die Reisenden in Oberburgund auf dem Schlosse La Rivière ankamen, das etliche Stunden südwärts von der Stadt Sains liegt. Das nicht sehr große Schloß war von vielen unordentlich aufgeschlagenen Zelten umringt. Nirgends sah man eine Spur von der soldatischen Regelmäßigkeit, die man sonst in dem Feldlager Karls des Kühnen wahrzunehmen pflegte. Daß jedoch der Herzog sich hier befand, war an dem Panier zu erkennen, das reich mit all seinen Feldern von den Zinnen der Feste herniederflatterte. Die Wache trat hervor, um die Fremden zu empfangen, doch dies geschah auf so unordentliche Weise, daß der Graf seinen Reisegenossen Colvin durch einen Blick um Erklärung bat. Der Geschützhauptmann zuckte die Achseln und schwieg.

Colvin hatte Bericht von seiner Ankunft, sowie der des englischen Grafen, an Herrn von Contay eingeschickt, der sie, hocherfreut über ihr Eintreffen, sogleich vor sich ließ, –»Etliche treue Diener des Herzogs,« sagte er, »halten hier Rat. Ihr werdet ihnen willkommen sein, edler Lord von Oxford. Die Herren de la Croix, de Craon, Rubempré und andere Edle Burgunds sind eben versammelt, um Schutzmaßregeln für die Sicherheit des Landes zu beschließen.«

Alle diese Männer drückten ihre Freude aus, als sie den Grafen von Oxford erblickten. »Seine Hoheit der Herzog,« sagte de Craon, »hat zweimal nach Euch und zwar unter Eurem angenommenen Namen Philippson, gefragt.« – »Ich wundere mich darüber nicht, mein Herr de Craon,« erwiderte der englische Edelmann, »der Ursprung dieses Namens schreibt sich aus früheren Tagen her, als ich nämlich während meiner ersten Verbannungszeit hier weilte. Es hieß damals, wir armen Edlen von der Partei Lancaster müßten uns andere Namen beilegen, und der gute Herzog Philipp sagte, da ich ein Waffenbruder seines Sohnes Karl wäre, möchte ich mich nach ihm selber Philippson nennen. Zum Gedächtnis des gütigen Fürsten nahm ich diesen Namen wirklich an, als die Tage der Not hereinbrachen, und ich sehe nun, daß der Herzog gern der Vertraulichkeit gedenkt, die in früheren Tagen zwischen uns herrschte. – Wie steht es um Seine Hoheit?«

Die Burgunder sahen einander an, ohne zu antworten. – Es entstand eine Pause.

»Wie um einen Mann, der gänzlich betäubt ist, lieber Oxford,« erwiderte endlich de Contay, »Er gleicht einem Sinnlosen. Nach der Schlacht von Granson war er eigensinnig, unvernünftig, gebieterisch, unberechenbar und nahm jeden ihm dargebotenen Rat als Beleidigung auf. Dazu hegte er den Wahn, seine Untertanen schätzten ihn gering. Jetzt ist eine gänzliche Veränderung mit ihm vorgegangen, und er zeigt keine Spur mehr von Heftigkeit und Leidenschaft. Er ist stumm wie ein Karthäuser, einsam wie ein Eremit, zeigt für nichts Teilnahme, am wenigsten aber für sein Heer. Nicht Haar noch Nägel läßt er sich säubern. Er ist gänzlich unempfindlich für Hochschätzung und Geringachtung gegen seine Person, nimmt wenig oder gar keine Speise zu sich, trinkt starke Weine, die jedoch, wie es scheint, ihm den Kopf nicht schwindlig machen, und will von Krieg oder von Staatsangelegenheiten ebensowenig wie von Jagd oder sonstigen Belustigungen hören. Das ist aus dem einst so kühnen und tatenlustigen Karl von Burgund geworden.« – »Ihr sprecht von einer schwererkrankten Seele,« erwiderte der Engländer. »Haltet Ihr es für geraten, mich dem Herzoge vorzustellen?« – »Ich will mich danach erkundigen,« sagte Contay, verließ das Gemach, kehrte sogleich zurück und gab dem Grafen ein Zeichen, ihm zu folgen.

In einer Kammer oder einem Kabinette lag der unglückliche Karl in einem Lehnsessel, die Beine nachlässig auf einen Schemel gestreckt, und in seinem ganzen Wesen so verändert, daß der Graf von Oxford kaum etwas anderes als das Gespenst des einst so verwegenen Herzogs zu sehen glaubte. Das zottige lange Haar, das von seinem Haupte herabhing und sich mit seinem Barte mischte, die tiefen Höhlen, in denen seine wilden Augen rollten, die eingesunkene Brust, die hervortretenden Schultern und die Kleidung, die in nichts als einem übergeworfenen Mantel bestand, gaben ihm das Aussehen eines schreckenerregenden Geisterbildes. De Contay nannte den Grafen Oxford; allein der Herzog starrte ihn mit glanzlosem Blicke an und gab ihm keine Antwort.

»Redet mit ihm, wackerer Oxford,« flüsterte der Burgunder ihm zu, »er ist eben jetzt schlimmer als je, und vielleicht erkennt er Eure Stimme.«

Noch nie, solange dem Herzog von Burgund das glorreichste Glück gelächelt hatte, war der Engländer mit solcher Ehrfurcht wie jetzt vor ihm niedergekniet, um ihm die Hände zu küssen. Er ehrte in ihm nicht nur den betrübten Freund, sondern den gedemütigten Herrscher. Wahrscheinlich machte eine auf die Hand des Herzogs gefallene Träne diesen aufmerksam: »Oxford – Philippson – mein alter, mein einziger Freund, hast Du mich aufgefunden in diesem Winkel der Schmach und des Elends? Noch jüngst hieß ich Karl von Burgund, der Kühne – jetzt bin ich zweimal von dem Abschaum eines Bauernvolkes geschlagen, meine Fahnen genommen, meine reisigen Mannen in die Flucht gejagt, mein Feldlager zweimal geplündert worden – der bitterste Fluch der Hölle kann nimmerdar bitterere Schmach auf das Haupt eines Herrschers wälzen!« – »Im Gegenteil, hoher Herr,« sagte Oxford. »Es ist dies eine Prüfung des Himmels, der zur Geduld und Seelenstärke mahnt. Der beste, tapferste Ritter kann aus dem Sattel geworfen werden; wenn er aber nach dem Unfalle im Sand der Schranken liegen bleibt, ist er ein Feigling.« – »Wie? Feigling, sagst Du?« rief der Herzog, dessen ehemaliger Mut durch das harte Wort zum Teil wieder erweckt wurde. »Verlaßt mich, Herr, und kehrt nicht eher zu mir zurück, bis man Euch rufen läßt,«

»Und das wird, hoffe ich, sofort geschehen, sobald Euer Hoheit das Nachtgewand abgelegt hat, um Vasallen und Freunde mit einem Euch und ihnen geziemendem Anstande zu empfangen,« versetzte der Graf gelassen. – »Und wer bin ich, daß Ihr so zu mir redet?« fragte Karl, indem er auffuhr mit all seinem angeborenen Stolz und seiner natürlichen Wildheit. »Oder wer seid Ihr anders, als ein elender Verbannter, und wagt es doch mit solchen unehrerbietigen Vorwürfen in mein innerstes Gemach zu dringen?« – »Was mich betrifft,« versetzte Oxford, »so bin ich, wie Ihr sagt, ein nicht geachteter Verbannter; dennoch schäm ich mich meiner Lage nicht, denn durch unerschütterliche Treue zu meinem Könige und dessen Nachfolger ist's dahin mit mir gekommen. Allein, vermag ich in Euch, in einem in sich versunkenen Einsiedler, den Herzog von Burgund zu erkennen, dessen Heer eine regellose Schar ist, dessen Staatsrat den Kopf verloren hat, weil der Monarch versagt, der selber gleich einem lahm geschossenen Wolfe in seiner Höhle lauert und auf den Ruf eines Urihorns zu harren scheint, daß die Tore seiner Burg davon aufspringen, weil sie unverteidigt sind?«

»Tod und Hölle, verleumderischer Verräter!« donnerte der Herzog und griff an die Hüfte, wo er jedoch keine Waffe vorfand. »Dein Glück ist's, daß ich kein Schwert habe, sonst solltest Du nimmer Dich rühmen können, daß Deine Schmähung ungestraft blieb! – Contay, tretet vor gleich einem wackern Ritter und straft den Lästerer Lügen! Sprecht, sind meine Mannen nicht in Zucht und Ordnung?«

»Hoher Herr,« sagte Contay und zitterte, so tapfer er sonst im Kampfe war, als er die rasende Wut sah, in welcher Karl aufbrauste. »Zahlreiche Mannschaft steht noch unter Eurem Befehle, doch mit Zucht und Ordnung ist's schlecht bestellt. Eure Hoheit hat die Führer der Söldner stets daran gewöhnt, nur aus Eurem eigenen Munde oder von Eurer eigenen Hand Befehle anzunehmen. Auch schreien sie nach Löhnung, und der Schatzmeister weigert sich, ohne Euer Hoheit Verfügung Geld zu zahlen. So will niemand auf uns hören, sondern nur auf Euch allein.«

Der Herzog lachte finster, war aber offenbar ziemlich erfreut über die Antwort. »Ha, ha!« sagte er; »es ist nur Burgund, der seine unbändigen Rosse reiten und seine wilde Kriegerschar bändigen kann. Heda, Contay! Morgen reit' ich aus, die Heerschau zu halten, wer was versah, soll büßen! – Auch der Sold soll ausgezahlt werden! Laßt meine Leibpagen kommen, mich mit geziemender Kleidung und mit Waffen zu versehen. Ich habe« – indem er einen düstern Blick auf Oxford, warf – »eine gute Lehre bekommen und will mich nicht wieder schmähen lassen. Hinweg mit Euch beiden! Und Du, Contay schicke den Schatzmeister her mit seinen Berechnungen, und wehe ihm, so ich über ihn zu klagen habe! Hinweg, sage ich, und schick ihn her!« Als sie gingen, rief der Herzog plötzlich: »Lord von Oxford, ein Wort mit Euch! Wo habt Ihr die Arzneikunde erlernt? Dein Heiltrank hat ein Wunder bewirkt. Doch hätte es Dir das Leben kosten können, Doktor Philippson.« – »Ich habe stets mein Leben für wohlfeil erachtet,« sagte der Graf, »sobald es galt, meinem Freunde zu helfen.« – »Du bist in der Tat ein Freund,« sagte Karl, »und ein furchtloser Freund. Aber geh', ich bin sehr angegriffen gewesen, und Du hast mir viel zu schaffen gemacht. Morgen werden wir uns weiter sprechen. Unterdessen verzeihe ich Dir und halte Dich in Ehren!«

Der Graf von Oxford begab sich in den Versammlungssaal des Staatsrates, wo der burgundische Adel ihm mit Dank, Begrüßung und Glückwunsch entgegenkam. Allgemeine Regsamkeit erwachte; Befehle flogen nach allen Richtungen hin. Diejenigen Befehlshaber, die ihre Dienstpflichten vernachlässigt hatten, eilten, ihr Versehen wieder gut zu machen. Im Lager entstand allgemeiner Tumult.

Am folgenden Tage hielt Karl Heerschau über sein Kriegsvolk und zwar mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit, ordnete neue Truppenaushebungen an, verteilte seine Heeresmacht, verbesserte vorgefundene Fehler in der Kriegszucht und fesselte die Kriegsknechte durch Auszahlung der Löhnungen aufs neue an das Panier, dem zu dienen sie geschworen hatten.

Auch willigte der Herzog nach Rücksprache mit seinem Staatsrate darein, eine Ständeversammlung in seinen gesamten Staaten zu berufen, gewisse dem Volke mißfällige Einrichtungen abzuschaffen und etliche bisher von ihm verweigerte Vergütungen zu leisten; so daß er bei seinen Untertanen diejenige Beliebtheit wiedererlangte, die er durch sein früheres vorschnelles Verfahren verscherzt hatte.

Neunzehntes Kapitel

Von diesem Augenblicke an herrschte am Hofe des Herzogs von Burgund und in dessen Heere rege Tätigkeit; Gelder wurden eingetrieben, Kriegsknechte ausgehoben, und alles war zu einem abermaligen Feldzuge bereit. Allein, obgleich Karl dem äußern Scheine nach tätig wie ehedem war, so meinten doch die, die in seiner unmittelbaren Nähe weilten, er zeige nicht mehr seine sonstige Geistesklarheit noch die Stärke der Urteilskraft, die ihn vor den verhängnisvollen Schlachten ausgezeichnet hatte. Er litt oft an Anfällen finsterer Schwermut und furchtbarer Wut.– Wochen und Monate waren verflossen, als die Kunde eintraf, Ferrand de Vaudemont habe einen Einfall in Lothringen unternommen und, unterstützt vom Heere der Eidgenossen, die Hauptstadt Lothringens erstürmt, Karl beschloß nun sofort, gegen ihn zu ziehen. – »Dieser junge irrende Ritter,« rief er, »wagt sich aus dem Schutze seiner Gebirge hervor, und der Himmel soll mich richten, so ich meinen Schwur nicht halte! Ich gelobe, das nächste Schlachtfeld, auf dem wir beide uns treffen, soll einen von uns getötet sehen! Wir sind jetzt in der letzten Woche des alten Jahres und noch vor dem Dreikönigstage wollen wir sehen, wer von uns beiden die Bohne im Kuchen finden wird. – In den Waffen, Ihr Herren! laßt unser Lager sogleich aufbrechen, und unsere Mannen nach Lothringen vorrücken. Die italienischen und albanischen leichten Reiter bilden den Vortrab. – Oxford, Du trittst mit unter die Waffen auf diesem Zuge, nicht wahr?« – »Gewiß,«, sagte der Graf, »ich esse das Brot Eurer Hoheit, und wenn Feinde in Euer Land fallen, so ziemt es meiner Ehre, für Euch zu fechten, als wäre ich Euer wahrhaftiger Vasall. Mit Eurer Hoheit Erlaubnis entsende ich einen Boten mit Briefen an meinen ehemaligen Gastfreund, den Landammann von Unterwalden, um ihm diesen meinen Entschluß kund zu tun.«

Nachdem der Herzog dies bereitwillig zugestanden hatte, wurde ein Bote abgefertigt, der nach wenigen Stunden schon zurückkehrte. So nahe befand sich bereits das feindliche Heer. Er brachte ein Schreiben vom Landammann zurück, das im Tone der Höflichkeit, ja selbst der Güte abgefaßt war und das Bedauern aussprach, daß die Verhältnisse zwei ehemalige Freunde zwängen, die Waffen gegeneinander zu führen. Derselbe Bote überbrachte auch Grüße der Brüder Biedermann an Arthur, nebst einem besonderen Schreiben an diesen letzteren, das folgendermaßen lautete:

»Rudolf von Donnersberg hegt den lebhaften Wunsch, mit dem jungen Kaufmann Arthur von Philippson den seinerzeit im Burghofe zu Geierstein abgebrochenen Handel auszutragen, wünscht dies um so mehr, da ihm bekannt geworden ist, daß dieser Arthur ihm ein Mädchen von Stande abspenstig gemacht habe, für das dieser Philippson nichts mehr ist als ein gewöhnlicher Bekannter. Rudolf von Donnersberg wird dem Arthur Philippson kund tun, wo ein ritterliches Zusammentreffen auf neutralem Boden stattfinden kann. Mittlerweile wird er in den ersten Reihen des Vortrabs anzutreffen sein.« Arthurs Brust hob sich höher, als er die Herausforderung las, deren spitziger Ton hinlänglich dartat, wie aufgebracht Rudolf darüber war, daß Anna von Geierstein dem Fremden ihre Neigung zugewendet hätte. Arthur fand Gelegenheit, dem Schweizer eine Erwiderung zukommen zu lassen, die die Versicherung enthielt, daß er entweder in der Schlachtreihe oder an jedem vom Donnersberger bezeichneten Platze ihm stehen würde.

Mittlerweile rückte der Herzog gegen Nancy vor und beschloß, die Stadt zu belagern. Die Mehrzahl der burgundischen Räte war, zusamt den Grafen Oxford, gegen diesen Plan, Man stellte dem Herzog die Schwäche seines Heeres zu solchem Unternehmen, die Strenge der Jahreszeit und die Schwierigkeit vor, Lebensmittel zu erhalten. Man riet ihm, sich zurückzuziehen und jede Entscheidung bis zum Frühlinge zu verschieben. Anfänglich versuchte Karl diese Gründe zu bestreiten, als aber seine Räte ihn erinnerten, daß er sich und sein Heer in ebendieselbe Stellung bringen würde, wie zu Granson und Murten, ward er wütend über diese Erinnerung; Schaum trat aus seinem Munde, und er antwortete nur mit Schwüren und Flüchen, daß er vor dem Dreikönigstage Herr von Nancy sein wollte.

So bezog denn das burgundische Heer eine feste Stellung vor Nancy. Nachdem der Herzog durch diese Anordnung seiner Starrsinnigkeit Genüge geleistet hatte, schien es, als habe er mehr acht auf die Ratschläge seiner Vertrauten, soweit es die Sicherheit seiner Person anging, und gestattete dem Grafen von Oxford und dessen Sohne, nebst zwei oder drei Hauptleuten seiner Leibwache, die Männer von erprobter Treue waren, zu seinem besonderen Schutze mit ihm in einunddemselben Zelte zu schlafen.

Es war drei Tage vor dem Christfeste, als der Herzog das Lager vor Nancy bezog, und am Abend desselben Tages erhob sich ein Tumult, der die Besorgnisse für Karls persönliche Sicherheit zu rechtfertigen schien. Es war Mitternacht, und alles im Zelt des Herzogs war zur Ruhe gegangen, als plötzlich das Geschrei: »Verrat! Verrat!« laut wurde. Der Graf von Oxford zog sein Schwert, riß ein neben ihm brennendes Licht vom Tische und stürzte in des Herzogs Gemach. Karl stand unbekleidet da und schlug mit dem Schwert so wütend um sich, daß der Graf Mühe hatte, seinen Hieben auszuweichen. Auch die übrigen Wachthabenden traten mit gezückter Waffe ein, die Mäntel über den linken Arm geschlagen. Als der Herzog sich etwas beruhigt hatte und sich von seinen Freunden umringt sah, erzählte er voll Wut und Aufregung, daß trotz aller seiner Vorsicht die Boten des heimlichen Gerichts in sein Gemach gedrungen wären und ihm bei schwerer Leibesstrafe anbefohlen hätten, in der Christnacht vor dem Stuhle der heiligen Feme zu erscheinen.

Die Umstehenden hörten mit Staunen diese Kunde, und einige schienen zu zweifeln, ob sie sie für Wahrheit oder für einen Traum der überreizten Einbildungskraft des Herzogs halten sollten. Allein die Vorladung, wie üblich auf Pergament geschrieben und mit drei Kreuzen unterzeichnet, war mit einem Dolch auf den Tisch des Herzogs geheftet, und aus dem Holze ein Splitter geschnitten. Oxford las die Vorladung mit Aufmerksamkeit, Sie nannte wie gewöhnlich den Ort, wo der Herzog sich ohne Waffen einzufinden hätte, um von dort aus vor den heiligen Stuhl geführt zu werden.

Nachdem Karl eine Zeitlang in die Schrift geblickt hatte, gab er seinen Gedanken Worte: »Ich weiß,« sprach er, »von welcher Sehne der Pfeil abgeschossen wurde. Er kommt von der Hand jenes entarteten Edlen, jenes apostatischen Priesters, jenes Alberts von Geierstein. Wir haben vernommen, er befände sich unter der zusammengelaufenen Rotte Geächteter und Meuchler, mit welcher der Großsohn des alten Fiedlers in der Provence sich zusammengetan hatte. Aber beim St. Georg von Burgund! weder Kapuze noch Helm soll ihn nach einer solchen Schmach fürder schützen! Ich will ihn der Ritterwürde entkleiden und ihn am höchsten Kirchturm in Nancy hängen lassen, und seiner Tochter soll die Wahl bleiben zwischen dem schlechtesten Troßbuben meines Heeres und dem Kloster büßender Schwestern!« – »Welche Vorsätze Ihr auch hegen mögt,« sagte Contay, »so wäre es wohl das beste zu schweigen, da wir aus diesem letzten Ereignis schließen können, daß man uns deutlicher hört, als wir glauben.« – Der Herzog schien über diesen Wink betroffen zu sein und schwieg oder murmelte doch nur Flüche und Drohungen zwischen den Zähnen, während nach dem Störer seiner nächtlichen Ruhe die strengste Nachforschung, wiewohl ganz vergebens, angestellt wurde.

Karl gab indessen diese Nachforschungen nicht auf, denn er war außer sich über eine Kühnheit, die alles übertraf, was bisher das heimliche Gericht sich erdreistet hatte; denn so verwegen war es doch noch nie gewesen, die Hand nach Fürsten auszustrecken. Eine treue Schar burgundisch Volk wurde in der Christnacht ausgesandt, den Vorladungsort, einen Kreuzweg, der in der Pergamentrolle angedeutet worden war, besetzt zu halten und jeden, der sich dort würde blicken lassen, gefangen zu nehmen; allein nichts Verdächtiges ließ sich wahrnehmen. Nur um so heftiger fuhr der Herzog fort, dem Grafen Albert von Geierstein die erlittene Schmach zuzuschreiben. Ein Preis wurde auf dessen Kopf gesetzt, und Campobasso, stets bereit, der Laune seines Gebieters gefällig zu sein, nahm es auf sich, durch einige seiner Welschen, die auf dergleichen Fährten zu gehen verstanden, den verhaßten Geiersteiner lebend oder tot herbeizuschaffen.

Es war am zweiten Tage nach jenem Tumulte, als Oxford den Wunsch äußerte, über das Feldlager Ferrands von Lothringen Kundschaft einzuholen; denn er zweifelte an der Richtigkeit der bisher über die Stärke und Ausrüstung des Feindes eingelaufenen Berichte. Er erhielt des Herzogs Erlaubnis dazu, der zu gleicher Zeit ihm und seinem Sohne zwei edle Hengste von großer Stärke und Schnelligkeit schenkte. Sobald der Graf von Campobasso dies erfahren hatte, drückte er die größte Freude darüber aus, daß der erfahrene Oxford ihm auf seinem Kundschaftsritt beistehen wolle, und stellte ihm eine ausgesuchte Schar venezianischer Reiter zur Verfügung, die er schon manchesmal, wie er sagte, zu Scharmützeln mit dem Vortrabe der Schweizer ausgeschickt hätte.

Am Eingange eines ein wenig abwärts führenden Tales äußerte Campobasso gegen den englischen Edelmann, wenn sie bis an das entgegengesetzte Ende der Schlucht gelangen könnten, würden sie imstande sein, die ganze Stellung des Feindes zu überblicken. Zwei oder drei Venezianer sprengten vorweg, um den Talweg zu untersuchen, kehrten bald zurück und teilten ihrem Führer in ihrer Landessprache mit, daß alles sicher wäre, worauf Campobasso den Grafen Oxford aufforderte, ihn zu begleiten. – Ohne einen Feind wahrzunehmen, ritten sie das Tal entlang; allein, als sie auf die von Campobasso bezeichnete Ebene hinauskamen, konnte Arthur, der mit den Venezianern vorausritt, allerdings in einer Entfernung von tausend Schritte Ferrands Lager wahrnehmen, jedoch in demselben Augenblicke sprengte daraus eine Schar Berittener hervor und auf die Talöffnung zu, aus der Arthur hervorgekommen war. Eben wollte er sein Roß wenden und zurückreiten, jedoch im Vertrauen auf die Schnelligkeit seines Gaules dachte er, er könnte es wagen, einen Augenblick zu halten, um das Lager genau zu beaugenscheinigen. Die Venezianer, die ihn begleiteten, warteten nicht seinen Befehl zum Rückzug ab, sondern ergriffen die Flucht.

Unterdessen bemerkte Arthur, daß der Anführer der Berittenen ein gewaltiges Roß ritt, das durch seinen Tritt den Boden erbeben ließ, und daß er auf seinem Schilde den Bären von Bern führte, auch überhaupt in seiner riesenhaften Gestalt dem Rudolf von Donnersberg glich. Jeder Zweifel daran schwand vollends, als er sah, wie der Ritter seine Schar Halt machen ließ und allein auf ihn zukam, indem er die Lanze einlegte und sich langsam näherte, als wollte er seinem Gegner Zeit lassen, sich zum Zweikampfe zu rüsten. Solche Herausforderung in diesem Augenblick anzunehmen, war gefährlich; allein, ihr auszuweichen, wäre schimpflich gewesen; und während Arthurs Blut bei dem Gedanken kochte, einen groben Nebenbuhler zu züchtigen, freute es ihn im Herzen nicht wenig, daß ihr Zusammentreffen zu Roß ihm einen Vorteil über den Schweizer gewährte, indem er mit dem Lanzengefecht im Turnier, worin Rudolf nur ein Neuling sein konnte, genau bekannt war.

Sie trafen aufeinander. Die Lanze des Schweizers glitt ab vom Helme des Engländers, gegen den sie gerichtet gewesen war, während Arthurs Speer, genau auf den Bauch seines Gegners gerichtet, so richtig traf und durch die volle Wucht des Anlaufes so treulich unterstützt wurde, daß er nicht nur den Schild, den der unglückliche Krieger vorhielt, sondern auch eine Brustplatte und ein Panzerhemd, das er trug, durchbohrte. Arthurs Speer drang dem beklagenswerten Ritter gerade durch den Leib, und Rudolf stürzte kopfüber von seinem Gaule, als wäre er vom Blitze getroffen, wälzte sich ein paarmal am Boden hin und her, streckte sich dann lang aus und war tot.

Ein Weh- und Rachegeschrei erhob sich unter den Männern zu Roß, und mehrere von ihnen legten die Lanzen ein, um ihn zu rächen; allein Ferrand von Lothringen, der in Person zugegen war, befahl ihnen, den glücklichen Sieger zum Gefangenen zu machen, jedoch ihm kein Leides zu tun. Das geschah, denn Arthur hatte nicht Zeit, sein Pferd zur Flucht zu wenden, und Widerstand wäre Raserei gewesen. Als er vor Ferrand gebracht wurde, öffnete er sein Visier und fragte: »Ist es wohlgetan, einen fahrenden Ritter, der gegen persönliche Herausforderung seine Pflicht tat, gefangen zu nehmen?« – »Beklagt Euch nicht, Herr Arthur von Oxford,« sagte Ferrand, »ehe Euch noch Leides widerfährt. Ihr seid frei, Herr Ritter – Euer Vater und Ihr wart treue Anhänger meiner königlichen Muhme Margarethe, und wiewohl sie mir Feindin war, so will ich doch Eurer Treue gegen sie Gerechtigkeit widerfahren lassen und Euch die Freiheit geben. Aber ich muß auch Sorge für Euch tragen, bis Ihr in das burgundische Lager zurückgekehrt seid. Diesseits der Talschlucht schlagen treue und ehrliche Männerherzen, jenseits befinden sich Verräter und Mordgesellen. – Ihr, Herr Graf, möchtet, wie mich dünkt, unsern Gefangenen gern in Sicherheit wissen.«

Der Ritter, den Ferrand mit diesen Worten anredete, ein langer, stattlicher Mann, spornte sein Roß, um Arthur zu begleiten, während letzterer dem jungen Herzog von Lothringen seinen Dank für die ihm erwiesene ritterliche Behandlung aussprach. – »Lebt wohl, Sir Arthur de Vere,« fügte Ferrand. »Ihr habt einen edlen Kämpen niedergestreckt, der mir ein nützlicher und treuer Freund war, aber es geschah edel und offen, mit gleichen Waffen und angesichts der Schlachtlinie. Wehe dem, der deshalb Fehde mit Euch sucht!« Arthur verbeugte sich bis an den Sattelknopf. – Ferrand erwiderte den Gruß, und sie schieden.

Ein Stück nur waren Arthur und sein Geleitsmann geritten, als der Fremde das Wort nahm: »Wir waren ehedem schon Reisegenossen, junger Mann, jedoch Ihr erkennt mich nicht.« – Arthur warf einen Blick auf den Ritter, und als er gewahrte, daß der Kamm seines Helmes einen Geier bildete, fuhr ein seltsamer Argwohn durch seine Seele, der nur allzusehr bestätigt wurde, als der Ritter das Visier aufschlug und ihm die finstern, ernsten Gesichtszüge des schwarzen Priesters von St. Paul zeigte.

»Graf Albert von Geierstein,« sagte Arthur. – »Eben der,« versetzte der Graf, »obgleich Du ihn im andern Gewande und mit einem Glatzkopfe gesehen hast. Allein die Tyrannei treibt alle Welt unter Waffen, so habe auch ich die meinigen wieder ergriffen. Eine Fehde gegen Grausamkeit und Unterdrückung ist heilig wie ein Zug nach Palästina.« – »Mein Herr Graf,« sagte Arthur lebhaft, »ich kann Euch nicht früh genug bitten, zum Herzog Ferrand von Lothringen zurückzukehren. Hier seid Ihr in Gefahr, und weder Stärke noch Mut kann Euch schützen. Der Herzog von Burgund hat einen Preis auf Euren Kopf gesetzt, und das Land zwischen hier und Nancy wimmelt von italienischen Reitern.« – »Ich lache ihrer,« antwortete der Graf. »Ich habe darum nicht so lange in einer sturmbewegten Welt zwischen Staatsränken und Fehdezügen gelebt, um von so elenden Händen zu fallen. Ueberdies bist Du bei mir, und ich habe soeben gesehen, daß Du Dich ritterlich zu benehmen verstehst.« – »Zu Eurem Schutze, Herr Graf,« sagte Arthur, der in seinem Gefährten nur den Vater Annas von Geierstein erblickte, »würde ich es gewiß versuchen, mein Bestes zu tun.« – »Wie, Jüngling?« versetzte Graf Albert mit einem düstern Lächeln, »wolltest Du dem Feinde des Herrn, unter dessen Banner Du dienst, gegen dessen Söldlinge Beistand leisten?« – Arthur war über die Wendung betroffen, die seiner Erklärung gegeben wurde; doch er sammelte sich sofort und sprach: »Mein Herr Graf Albert, Ihr habt die Gefälligkeit gehabt, mich vor den Lanzen Eurer Parteigänger zu schützen, an mir ist es nun, ein Gleiches für Euch zu tun,« – »Das war ehrlich geantwortet,« sagte der Geiersteiner, »doch es gibt einen kleinen blinden Parteigänger, von dem die Troubadours und Minnesänger schwatzen, und diesem dürfte ich im Fall der Not wohl für den Beistand, den Ihr mir leisten würdet, am meisten zu Dank verpflichtet sein.«

Er ließ unserm Arthur, der nicht wenig verlegen war, keine Zeit zu antworten, sondern fuhr fort: »Höre mich, junger Mann! Deine Lanze hat an diesem Tage dem Schweizerlande, der Stadt Bern und dem Herzoge Ferrand großes Leid zugefügt. Mir ist jedoch der Tod des von Donnersberg willkommen. Als seine Dienste immer unentbehrlicher wurden, war er aufdringlich genug, Ferrand zu seinem Brautwerber zu gewinnen, so daß der Herzog selbst, der Sohn einer Fürstin, nicht errötete, die Letzte meines Hauses – denn der Stamm meines Bruders zeigt nur entartete Sprößlinge – von mir für einen anmaßenden Jüngling zu begehren, dessen Ohm ein Knecht im Hause meines Schwiegervaters war, wenngleich dieser Rudolf sich edler Herkunft rühmte.« – »Gewiß,« sagte Arthur, »eine Ehe zwischen Personen von so ungleicher Herkunft wäre zu widersinnig, um noch von ihr zu reden.«

»Bei meinen Lebzeiten,« erwiderte Graf Albert, »wäre solch ein Bündnis nimmermehr geschlossen worden, da der Tod des Bräutigams wie der Braut durch einen Dolch die Ehre meines Hauses gegen Gewalt hätte schützen können. Allein wenn ich – dessen Tage, ja dessen letzte Lebensstunden gezählt sind – nicht mehr sein werde, was könnte dann einen rücksichtslosen Fürstenknecht, unterstützt durch die Gunst des Herzogs, durch den Beifall seines Vaters und vielleicht auch durch die unseligen Vorurteile meines Bruders, hindern, seine Sache trotz allem Widerstande eines verwaisten Mädchens durchzusetzen? Nun merkt auf, Arthur de Bere! Meine Tochter hat mir erzählt, was zwischen Euch und ihr vorfiel. Eure Gesinnung wie Euer Wandel ist des edlen Hauses wert, von dem Ihr abstammt und das sich, wie ich weiß, an die edelsten Häuser Europas rühmlich anschließt. Zwar seid Ihr enterbt, allein auch Anna von Geierstein ist es, bis auf das, was ihr Oheim ihr von ihrem väterlichen Erbe etwa abtreten dürfte. Wenn Ihr es mit ihr teilen wollt, bis bessere Tage kommen – immer vorausgesetzt, daß Euer edler Vater seine Einwilligung gibt – so weiß meine Tochter, daß ich einwillige und sie segne. Auch mein Bruder soll meinen Willen erfahren. Er wird meine Absicht billigen; denn obgleich gestorben für Gedanken an Ehre und Rittertum, ist er doch empfänglich für häusliches Glück, liebt seine Nichte und hegt Freundschaft für Dich und Deinen Vater. Was sagst Du, junger Mann? Willst Du eine bettelarme Gräfin zur Gefährtin Deines Lebens wählen? Ich glaube, ja ich weissage – denn ich stehe so nahe dem Rande des Grabes, daß mich dünkt, mir sei ein Blick über dasselbe hinaus gestattet – es wird einst den Häusern de Bere und Geierstein ein neuer Glanz beschieden sein!«

De Bere schwang sich von seinem Pferde, ergriff des Grafen Hand und wollte in Danksagungen ausbrechen; doch der Geiersteiner gebot ihm Stillschweigen.

»Wir müssen scheiden,« sprach er. »Die Zeit ist kurz – der Ort gefährlich. Ihr seid mir, persönlich gesprochen, weniger als nichts. Wäre einer der vielen Pläne des Ehrgeizes, denen ich nachrang, geglückt, so wäre der Sohn eines verbannten Grafen nimmer der Eidam, den ich erwählt hätte. Besteigt Euer Pferd wieder! – Unverdienter Dank wird lästig.«

Arthur richtete sich auf und stieg schweigend wieder zu Roß.

»Ich weiß, daß meine letzte Stunde nahe ist,« fuhr Graf Albert von Geierstein fort, »Hört und zittert! Der Herzog von Burgund ist zum Tode verurteilt, und die unsichtbaren Richter, die in der Tiefe ihren Spruch fällen und im geheimen rächen, gleich der Gottheit, haben Strang und Dolch in meine Hand gelegt.« – »O, werft diese garstigen Symbole von Euch!« rief Arthur enthusiastisch aus. »Mögen sich Häscher und geheime Mörder finden, solch Amt zu vollführen, das den edlen Herrn von Geierstein entehrt!« – »Still, törichter Knabe!« antwortete der Graf. – »Der Eid, den ich geschworen habe, ist höher denn der wolkige Himmel, und fester begründet als jene fernen Berge. Auch wähne nicht, mein Tun sei das eines Meuchlers, eher könnte ich das des Herzogs als ein solches ansehen. Ich sende keine Mietlinge, wie diese elenden Venezianer es sind, hinaus auf die Jagd gegen, sein Leben, ohne das meinige dabei in Gefahr zu setzen. Ich gebe nicht seiner Tochter – die unschuldig ist an seinen Missetaten – die Wahl zwischen schmachvoller Ehe und einer vor der Welt entwürdigenden Zurückgezogenheit. Nein, Arthur de Bere, ich suche Karl mit der Entschlossenheit eines Mannes auf, der sich dem sichern Tode preisgibt, um das Leben eines Gegners zu vertilgen,« – »Ich bitte Euch, redet nicht mehr davon,« sagte Arthur, höchst ängstlich. »Bedenkt, ich diene für den Augenblick dem Fürsten, den Ihr bedroht –« – »Und bist verbunden,« unterbrach ihn der Graf, »ihm zu offenbaren, was ich Dir sage. Ich wünsche, daß Du es tust, und obwohl er die Vorladung der heiligen Feme gering geachtet hat, so freut es mich doch, ihm persönliche Herausforderung zukommen zu lassen. Sagt Karl von Burgund, daß er Albert von Geierstein schwer verletzte. Wer an seiner Ehre gekränkt wurde, verliert alle Freude am Leben. Warnt ihn, sich vor mir wohl in acht zu nehmen; denn Albert von Geierstein ist meineidig, so der Herzog noch die zweite Sonne des herannahenden Jahres erblickt. – Und jetzt lebt wohl; denn ich sehe eine Schar unter burgundischem Banner sich nahen.«

Mit diesen Worten warf der Geiersteiner sein Roß herum und sprengte von dannen, –

Zwanzigstes Kapitel

Arthur war allein gelassen worden, und vielleicht voll Verlangen, den Rückzug des Grafen Albert zu decken, ritt er dem herannahenden Häuflein Burgunder entgegen, das dem Fähnlein de Contays nachzog. »Willkommen, willkommen!« sagte dieser Edelmann, indem er hastig auf den jungen Ritter zukam. »Der Herzog ist eine Viertelstunde Weges mit einem Reiterhaufen hinter uns, den Aufklärern zu Hilfe zu kommen. Es ist noch keine halbe Stunde her, da kam Euer Vater zu uns zurück und meldete, Ihr wärt durch die Verräterei der Venezianer in einen Hinterhalt gelockt und zum Gefangenen gemacht worden. Er hat den Campobasso des Verrats bezichtigt und ihn zum Zweikampf herausgefordert. Beide wurden unter der Obhut des Obermarschalls in das Lager geführt, da sie sonst auf der Stelle aneinander geraten wären, obwohl mich dünkt, als zeigte der Welsche wenig Lust, es zu Hieben kommen zu lassen. Der Herzog hält ihre Schwerter in der Scheide und hat den Kampf auf den Dreikönigstag festgesetzt.«

Arthur ritt mit Contay zurück und stieß auf eine größere Reiterschar unter dem glänzenden Banner des Herzogs. Sofort wurde er vor Karl geführt. Dieser hörte mit anscheinender Besorgnis Arthur die Klage seines Vaters gegen den Italiener bestätigen, dem der Herzog so sehr gewogen war. Als Arthur versicherte, daß die Venezianer sich mit dem feindlichen Führer kurz vorher besprochen hätten, ehe der Graf Campobasso Arthur aufforderte, weiter zu reiten, und daß er dadurch in einen Hinterhalt geraten sei, schüttelte der Herzog den Kopf, senkte die dichten Augenbrauen und murmelte vor sich hin: »Bloß Haß gegen Oxford wahrscheinlich – diese Welschen sind rachsüchtig.« – Dann richtete er das Haupt auf und befahl unserm Arthur, fortzufahren.

Mit einer Art von Verzückung vernahm er die Erzählung vom Tode des Donnersberg, riß eine goldene Kette vom Hals und warf sie über Arthurs Nacken, »Traun, Du hast uns allen Ruhm vorweggenommen, junger Arthur,« fügte er, »das war der plumpste Bär von allen; die übrigen sind gegen ihn junge säugende Brut. Mich dünkt, ich habe einen jugendlichen David gefunden, der mir ihren dickköpfigen Goliath erschlug. Aber der Tölpel! daß er wähnte, seine Bauernfaust könnte eine Ritterlanze schwingen. Brav, mein wackerer Knabe, – und was mehr? Wie kamst Du davon? Durch irgend eine schlaue Kriegslist, möcht ich wetten!« – »Vergebt, hoher Herr,« antwortete Arthur, »ich wurde von dem feindlichen Führer Ferrand in Schutz genommen, der mein Zusammentreffen mit dem von Donnersberg als mannhaften Zweikampf betrachtete. Er entließ mich in allen Ehren, mit Roß und Waffen.« – »Hm!« sagte Karl, dessen üble Laune wiederkehrte, »Prinz Abenteuer muß den Großmütigen spielen – hm! – Es gehört dergleichen zu seiner Rolle; doch soll mich das keine Linie breit von meinem Verfahren ablenken. Setzt Eure Erzählung fort, Arthur de Bere.« – Als Arthur ferner mitteilte, was Graf Albert von Geierstein zu ihm über den Herzog gesagt hatte, heftete dieser einen brennenden Blick auf ihn und zitterte vor Ungeduld, indem er den Jüngling mit der hastigen Frage unterbrach: »Und Ihr – Ihr traft ihn mit Eurem Dolche unter der fünften Rippe? Tatet Ihr es nicht?« – »Ich tat es nicht, Herr Herzog, – wir waren einander durch gegenseitige Zusage verpflichtet.« – »Doch wußtet Ihr, daß er mein Todfeind ist,« sprach der Herzog, »geht junger Mann! Deine laue Gleichgültigkeit hat Dein Verdienst geschmälert. Daß Du Albert von Geierstein entrinnen ließest, macht den Tod Rudolfs von Donnersberg quitt.« – »Sei dem so, hoher Herr,« sagte Arthur kühn. »Ich mache weder Anspruch auf Euer Lob, noch verdiene ich Euren Tadel. In beiden Fällen hatte ich Gründe zu achten, die mich persönlich betrafen. Donnersberg war mein Feind, und dem Grafen Albert von Geierstein bin ich verpflichtet.« – Die umherstehenden burgundischen Edlen erschraken über diese kühne Rede. Allein es war nie vorauszusehen, wie Karl dergleichen aufnehmen würde. Diesmal blickte er mit einem Lachen umher und sagte: »Hört Ihr diesen englischen jungen Hahn, Ihr Herren? wie wird der eines Tages den Ton hochstimmen, da er jetzt schon in eines Fürsten Gegenwart so wacker kräht!«

Etliche Reiter trafen nun von verschiedenen Gegenden ein und meldeten, daß Herzog Ferrand und die Seinigen sich in ihr Lager zurückgezogen hätten, und daß das Land von Feinden frei wäre. »So laßt auch uns zurückgehen,« sagte Karl, »da sich keine Gelegenheit zum Lanzenbrechen bietet. Und Du, Arthur de Bere, halte Dich dicht in meiner Nähe.«

Im Zelte des Herzogs angelangt, mußte Arthur eine Untersuchung bestehen, in welcher er jedoch nichts von Anna von Geierstein, noch von den Absichten ihres Vaters inbetreff seiner selbst äußerte, weil er glaubte, daß Karl damit nichts zu schaffen hätte; allein offen teilte er dem Herzog die persönlichen Drohungen mit, die der Graf Albert gegen diesen ausgestoßen hatte. Der Herzog hörte ihm jetzt gelassener zu, und als Arthur geendet hatte, nahm Karl von seiner Brust ein goldenes Kreuz und küßte es mit vieler Andacht. »Auf dieses Kreuz,« sprach er, »will ich mein Vertrauen setzen. Fehle ich in dieser Welt, so mag ich Gnade finden in jenem Leben. – He, Herr Marschall!« rief er dann hinaus, »laßt Eure Gefangenen vor uns kommen.«

Der Marschall von Burgund trat mit dem Grafen von Oxford ein und erklärte, daß sein zweiter Gefangener, der Campobasso höchst ernsthaft gebeten hätte, man möchte ihm Urlaub geben, damit er an dem seiner Hut anvertrauten Teile des Feldlagers seine Schildwachen aufstelle, ein Gesuch, das der Marschall nicht hatte abschlagen wollen. »Gut,« sagte Burgund ohne weitere Bemerkung, »dann zu Euch, Lord Oxford, ich wollte Euch Euren Sohn vorstellen, aber Ihr habt ihn bereits in Eure Arme geschlossen. Er hat sich Ehre und Preis erworben und mir wackere Dienste geleistet. Wir sind an einem Zeitpunkt des Jahres, wo wackere Leute ihren Feinden vergeben. Ich weiß nicht, wie es kommt – aber ich fühle ein unbezwingliches Verlangen, dem nahen Zweikampfe zwischen Euch und dem Grafen Campobasso Einhalt zu tun. Willigt um meinetwegen darein, Freunde zu sein, nehmt Eure Herausforderung zurück – und laßt mich dieses Jahr – vielleicht das letzte, das ich erlebe, mit einer Tat des Friedens beschließen,«

»Hoher Herr,« sagte Oxford, »es ist ein Geringes, was Ihr von mir verlangt. Ich war aufgebracht über den Verlust meines Sohnes. Dem Himmel und Eurer Hoheit verdanke ich es, daß ich den Jüngling wieder habe, Campobassos Freund zu sein, ist mir unmöglich. Treue und Verrat, Wahrheit und Falschheit könnten sich dann ebenfalls die Hand reichen und sich umarmt halten. Allein der Welsche soll mir ebenso gleichgiltig sein, wie er es mir vor unserm Zwist war. Ich lege meine Ehre in Euer Hoheit Hand; nimmt Campobasso sein Wort zum Zweikampfe zurück, so tue ich es ebenfalls. John de Bere hat nicht zu befürchten, daß die Welt ihn im Verdacht habe, er fürchte sich vor einem Campobasso.«

Der Herzog erwiderte mit aufrichtigen Dankesworten und behielt seine Edlen den Abend bei sich im Zelte. Sein Benehmen erschien dem jungen Arthur friedliebender, als er es je zuvor an ihm wahrgenommen hatte. Der Herzog ordnete an, daß Lebensmittel und Wein unter seine Soldaten verteilt würden. »Wäre es nicht um unseres Schwures willen,« sagte er leise zu etlichen seiner Räte, »so wollten wir diese Fehde bis zum Frühling verschieben, wo unsere Mannen unter geringeren Strapazen ins Feld rücken könnten.« – Sonst war nichts Bemerkenswertes am Benehmen des Herzogs, außer daß er oft nach dem Grafen Campobasso fragte. Dieser ließ endlich melden, er sei unpaß und der Arzt habe ihm Ruhe befohlen; deswegen hätte er sich zurückgezogen, damit er mit dem Frührot zur Hand sein möchte, weil die Sicherheit des Feldlagers hauptsächlich von seiner Wachsamkeit abhinge. – Der Herzog verlor weiter kein Wort darüber, und eine Stunde vor Mitternacht wurden die Gäste aus dem Zelte des Herzogs entlassen.

Als Oxford mit seinem Sohne im eigenen Zelte angekommen war, versank der ältere Graf in tiefes Nachdenken, das fast zehn Minuten währte. »Mein Sohn,« sprach er dann, indem er plötzlich auffuhr, »gib dem Thibault und Deinen Jägern Befehl, unsere Rosse vor Tagesanbruch bereitzuhalten; auch könnte es nichts schaden, unsern Nachbar Colvin mitzunehmen. Ich habe Lust, um die Zeit des Frührots die Vorposten zu untersuchen. Wäre die Nacht mondhell, so würde ich sogleich die Runde machen.« – »Weshalb, mein Herr und Vater, erregt diese Nacht so besonders Euren Argwohn?«

»Sohn Arthur, Du wirst vielleicht Deinen Vater für leichtgläubig halten,« sagte der Graf. »Allein meine Amme Martha Nixon war ein Weib aus dem Norden und steckte voll Aberglaubens. Besonders pflegte sie zu sagen, jede plötzliche, grundlose Veränderung in eines Menschen Natur – wie etwa der Uebergang von Schwelgerei zu Mäßigkeit, von Heftigkeit zu Gelassenheit, von Geiz zu Freigebigkeit –deute stets darauf hin, daß eine große Umwälzung der Dinge, sei es zum Guten oder zum Bösen, für ihn vorgehen werde – und in diesem Falle mag es sich wohl zum Bösen wenden, da wir in einer argen Welt leben. Diese Vorstellung der alten Frau hat meine Seele so ergriffen, daß ich entschlossen bin, ehe noch der Tag anbricht, mit meinen eigenen Augen zu prüfen, ob unsere Wachen um das Lager her auf dem Posten sind,« – Arthur ließ Colvin und Thibault das Nötige wissen, und man begab sich zur Ruhe.


Es war noch vor Anbruch des ersten Januars 1477 (ein Zeitpunkt, der wegen des Ereignisses, das an diesem Tage stattfand, denkwürdig bleiben wird), da begannen der Graf von Oxford, Colvin und Arthur, begleitet von Thibault und zwei anderen Dienern, ihre Runde durch des Herzogs Lager. Auf dem größeren Teil des Weges fanden sie Schildwachen und Posten sämtlich in guter Ordnung. Es war ein schneidend kalter Morgen. Die Fläche war zum Teil mit Schnee bedeckt – Tauwetter hatte diesen Schnee etwas geschmolzen, aber strenger Frost, der danach eingetreten war, hatte eine Eisrinde gebildet, die sich jetzt immer mehr verdickte.

Allein wie groß war das Erstaunen und die Unruhe des Grafen und seiner Gefährten, als sie zu demjenigen Teil des Lagers gelangten, der am Tage vorher von Campobasso und dessen fast 2000 Mann zählenden Welschen besetzt worden war. Kein Zuruf erfolgte, kein Roß wieherte, kein Hengst stampfte, keine Wache war aufgestellt. Sie untersuchten die Zelte – alles war leer. – »Laßt uns zurückreiten und Lärm im Lager schlagen!« rief der Graf. »Hier liegt Verrat vor!«

»Ei, Lord,« versetzte Colvin, »laßt uns keine mangelhafte Kunde heimbringen. Hundert Schritt von mir stehen meine Schießmörser und decken den Zugang zu diesem Hohlwege; laßt uns sehen, ob meine deutschen Kanoniere an ihrem Posten sind. Mich dünkt, ich kann's beschwören, daß wir sie rüstig auf ihren Plätzen finden. Das Geschütz mündet auf einen Engpaß, durch den allein man in das Lager gelangen kann,« – »Vorwärts denn, in Gottesnamen!« sagte der Graf von Oxford,

Ueber Eis und durch Pfützen jagten sie weiter, sie kamen zu den Mörsern. Der blasse Wintermond, der sich in das Frühlicht mischte, beleuchtete die wohlgerichteten Kanonen, allein keine Schildwache war zu sehen,

»Die Schufte können nicht entwischt sein,« sagte der erstaunte Colvin. »Doch seht, da ist Licht in den Zelten. – O! des unseligen Weines! Der Trunk hat sie sicherlich übermannt. Ich will sie bald aus ihren Träumen aufschrecken!« – Er sprang von seinem Gaule und stürzte in das Zelt, in welchem das Licht schimmerte. Die Kanoniere oder doch die Mehrzahl derselben waren noch da, aber sie lagen hingestreckt auf dem Boden, die Trinkbecher neben ihnen; und alle miteinander waren so betrunken, daß Colvin nur zwei oder drei von ihnen durch Drohungen und Befehle erwecken konnte. Die Aufgescheuchten tappten in die Höhe und gehorchten ihm mehr aus Instinkt als mit Bewußtsein ihrer selbst, indem sie hintaumelten, das Geschütz zu bemannen.

In dem Augenblicke ließ sich von der andern Seite des Engpasses her ein Getöse wie von einherschreitenden Gewappneten vernehmen. – »Es ist das Geheul einer fernen Lawine,« sagte Arthur. – »Es ist eine Lawine von Schweizern, nicht von Schnee,« entgegnete Colvin. »O, der besessenen Knechte! Die Mörser sind schwer geladen und wohlgerichtet – diese Salve sollte sie zurückwerfen, wenn es Feinde wären, und das Gekrach würde früher, als wir es können, das Lager lebendig machen. Doch wehe, daß die Schufte betrunken sind!« – »Sorgt deshalb nicht!« sagte der Graf, »mein Sohn und ich wir wollen jeder einen Zündstock nehmen und gute Kanoniere abgeben.« – Sie saßen ab und befahlen Thibault und den beiden Dienern auf die Rosse acht zu geben, dann nahmen sie den hilflosen Trunkenbolden die Lunten weg. Drei der Soldaten waren indessen noch nüchtern genug, um an ihre Mörser zu treten.

»Bravo!« rief der alte Geschützhauptmann, »noch nimmer ward ein Geschoß so edel bedient. Jetzt, mein Bursche, vergebt, Mylords, aber es ist nicht Zeit, Umstände zu machen – und Ihr besoffenen Schelme, – gebt acht, daß Ihr nicht eher Feuer, gebt, als bis ich rufe. Dann sollen diese Trampler, und wären ihre Rippen felsenhaft wie die Alpen, es erfahren, wie der alte Colvin seine Mörser lädt.«

Alle fünf standen atemlos, jeder bei seinem Geschütz. Der dumpfe Hall der Tritte kam immer näher und näher, bis das mangelhafte Morgenlicht eine düstere, undeutlich erkennbare Reihe von Männern zeigte, die, mit langen Spießen, Streitäxten und andern Waffen versehen, unter dunkel flatternden Bannern einherzogen. Colvin ließ sie bis auf eine Entfernung von fünfzig Ellen heranrücken, und rief dann:, »Feuer!« aber nur sein Stück ging los; von den andern blitzte vom Zündloche nur eine schwache Flamme auf, weil die Mörser von den italienischen Verrätern vernagelt und unbrauchbar gemacht worden waren. Wären alle Mörser tauglich gewesen, so würde sich seine Prophezeiung wahrscheinlich erfüllt haben; denn schon die Entladung des einen Geschützes brachte eine schauderhafte Wirkung hervor, indem sie in den Reihen der Schweizer eine lange Linie Toter und Verwundeter niedermähte.

»Haltet stand,« rief Colvin, »und helft mir womöglich, den Mörser wieder zu laden,« – Doch dazu war keine Zeit. In der zerrütteten Kriegerschar schritt eine stattliche Gestalt, hob das Banner, dessen Träger mitgestürzt war, auf und rief mit der Stimme eines Riesen: »Was, Ihr Männer, Ihr habt Murten und Granson gesehen und fürchtet Euch vor einem einzigen Schießmörser? Bern! Ury! Schwyz! Banner vorwärts! Unterwalden, hier ist Dein Fähnlein! Laßt Euren Schlachtruf erschallen! Blast in Eure Hörner! Unterwalden folgt seinem Landammann!«

Und heran stürzten sie gleich einem wütenden Ozean, mit einem betäubenden Geheul, in unbändigem Lauf! Colvin, der noch bemüht war, seinen Mörser zu laden, wurde niedergemacht. Oxford und sein Sohn wurden durch die Menge, deren wilden Drängen allein sie es zu danken hatten, daß sie nicht tödliche Streiche empfingen, zu Boden gestoßen. Arthur schützte sich, indem er unter den Mörser kroch, bei dem er stand; über seinen Vater hin, der minder glücklich war, trabten die feindlichen Krieger und würden ihn zerquetscht haben, wenn seine Stahlrüstung ihn nicht beschirmt hätte. Die Schar der Schweizer, mindestens viertausend Mann, wälzte sich in das Lager hinein, indem sie ihr fürchterliches Geschrei fortsetzte, in das sich bald Geheul, Aechzen und Schreckensrufe mischten.

Ein breiter roter Schimmer stieg auf hinter den Anstürmenden und überstrahlte das bleiche Licht des Wintermorgens, als Arthur zuerst wieder zur Besinnung kam. Das Lager hinter ihm stand in Flammen und hallte wider vom Jauchzen der Sieger, vom Stöhnen der Ueberfallenen. Niederblickend, schaute er umher nach seinem Vater. Dieser lag bewußtlos neben ihm, wie auch die Kanoniere, die in ihrer Halbtrunkenheit wohl nicht an Flucht gedacht hatten. Als Arthur des Vaters Helm öffnete, sah er zu seiner Freude, daß er noch lebte, – »Die Rosse! – die Rosse!« rief Arthur, – »Thibault, wo bist Du?«

»Zur Hand, Mylord,« sagte dieser getreue Geleitsmann, der sich und seine Tiere durch klugen Rückzug in ein Dickicht gerettet hatte. – »Wo ist der tapfere Colvin?« fragte der Graf, der sich wieder erhob. – »Seine Kriege sind ausgekämpft, Mylord,« entgegnete Thibault, »er wird hienieden keinen Hengst mehr besteigen.« – Ein Seufzer der Teilnahme, als Oxford auf Colvin blickte, der mit gespaltenem Schädel vor der Mündung seines Schießmörsers lag, war alles, was der Augenblick gestattete. – »Wohin?« fragte Arthur. – »Zum Herzog,« sagte der ältere Graf. »Ich will ihn nicht an einem Tage wie diesem verlassen.«

»Mit Verlaub,« sagte Thibault, »ich sah den Herzog, begleitet von einem halben Schock seiner Leibwächter, in vollem Trabe über diesen Wasserstrom setzen – und den Weg nach dem nordöstlichen Flachlande einschlagen. Ich denke, ich kann Euch auf die Spur dahin bringen.« – »Wenn dem so ist,« sagte Oxford, »so sitzen wir auf und jagen ihm nach. Das Lager ist an mehr als einer Stelle überfallen worden, und alles muß verloren sein, da er entfloh.«

Mit Mühe nur konnte der Graf von Oxford den Gaul besteigen, und er ritt auch nur so schnell, als seine zertretenen Glieder es ihm gestatteten. Mehr als einmal blickten die Reiter zurück auf das Lager, das jetzt eine wilde Brandstätte war, bei deren glührotem Scheine sie am Boden die Spur von Karls Rückzug wahrnehmen konnten. Nach ungefähr einer halben Stunde erreichten sie einen halb zugefrorenen Morast, um den herum mehrere Leichname lagen. Unter ihnen erkannten sie Karl von Burgund. Er war zum Teil entkleidet und beraubt wie die übrigen, die um ihn her lagen. Sein Leib war mit verschiedenen Wunden bedeckt, die von mehr als einer Waffenart herrührten. Er hatte das Schwert noch in der Hand, und auf seinem erstarrten Gesicht lag noch jene Wildheit, die in der Schlacht seine Züge zu beleben pflegte. Dicht neben ihm, als seien beide im Kampf Mann gegen Mann gefallen, lag die Leiche des Grafen Albert von Geierstein und etwas abseits die Itel Schreckenwalds, des treuen wiewohl gewissenlosen Knappen des Geiersteiners. Beide waren wie die Leute von der Leibwache des Herzogs angetan – eine Verkleidung, die sie wahrscheinlich anlegten, um den Blutauftrag der heiligen Feme zu vollziehen. Es ist anzunehmen, daß Leute des Verräters Campobasso in dem Scharmützel tätig waren, in dem der Herzog fiel, denn sechs oder sieben dieser Gesellen und ebensoviele von des Herzogs Leibwache lagen ebenfalls tot am Boden.

Der Graf von Oxford stieg vom Pferde und untersuchte den Leichnam seines hingeschiedenen Waffenbruders, und zwar mit aller Bekümmernis, die die Erinnerung an die frühere Güte des Herzogs in ihm erweckte. Aber während er sich so seinem Schmerz überließ, rief Thibault, der auf den Pfad hinausschaute, auf welchem sie hergekommen waren: »Zu Roß, Mylord, hier ist nicht Zeit, die Toten zu beweinen. Die Schweizer sind uns auf den Fersen!«

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